Urteil des HessVGH vom 26.08.1992

VGH Kassel: versetzung, feuerwehr, beamter, organisation, verordnung, verfügung, zivilprozessrecht, quelle, anhörung, altersgrenze

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 470/91
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 51 Abs 1 S 1 BG HE, § 51
Abs 2 BG HE, § 193 Abs 1
BG HE, § 193 Abs 2 BG HE,
§ 197 Abs 1 BG HE
(Anspruch eines einsatzdienstunfähigen
Feuerwehrbeamten auf Versetzung in den Ruhestand)
Tatbestand
Der am 1. September 1941 geborene Kläger ist Hauptbrandmeister bei der
Berufsfeuerwehr der Beklagten. Am 25. April 1988 empfahl der betriebsärztliche
Dienst der Beklagten, den Kläger in den Innendienst wegen seiner
gesundheitlichen Behinderungen zu versetzen, die Folgen eines am 20. Dezember
1981 erlittenen Dienstunfalles seien und gegen seine weitere Verwendung im
Einsatzdienst sprächen. Daraufhin wurde der Kläger durch Anordnung vom 10. Mai
1988 mit Wirkung vom 3. Mai 1988 aus gesundheitlichen Gründen bis auf weiteres
in den "Tagesdienst" zur Ableistung von Verwaltungsdienst versetzt. Durch
Verfügung vom 15. August 1988 wurde er auf die Stelle eines Schuhmachers in
der Abteilung "Technische Dienste" umgesetzt.
Bei seiner amtsärztlichen Untersuchung am 7. Dezember 1988 wurde festgestellt,
daß aufgrund seiner orthopädischen Gesundheitsstörungen seine weitere
Einsatzdienstfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Insofern sei die weitere
Feuerwehrdiensttauglichkeit als eingeschränkt zu beurteilen. Eine allgemeine
Dienstfähigkeit sei derzeit jedoch noch gegeben.
Daraufhin beantragte der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20.
März 1989, ihn wegen fehlender Feuerwehrdiensttauglichkeit in den Ruhestand zu
versetzen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. August 1989
ab. Den Widerspruch des Klägers vom 31. August 1989 wies sie durch
Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1989 mit folgender Begründung zurück:
Das statusrechtliche Amt eines Oberbrandmeisters schließe die Zuweisung von
Innendienst-Tätigkeiten nicht aus. Dies ergebe sich aus § 13 Abs. 1 Satz 3 des
Brandschutzhilfeleistungsgesetzes i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung über
die Organisation, Stärke und Ausrüstung der öffentlichen Feuerwehr vom 20. März
1980 (GVBl. I S. 105). Danach könnten die Angehörigen des Einsatzdienstes der
Berufsfeuerwehr zur Wahrnehmung von Aufgaben der technischen Sonderdienste
herangezogen werden. Das Hessische Ministerium des Innern habe damit kraft
seiner Organisationsgewalt auch die Wahrnehmung von Aufgaben der technischen
Sonderdienste zum Inhalt des abstrakt-funktionellen Aufgabenbereichs eines
Feuerwehrbeamten bestimmt. Die dem Widerspruchsführer zugewiesene Tätigkeit
gehöre zu den Aufgaben der technischen Sonderdienste. Für eine Tätigkeit im
Innendienst bei der Feuerwehr sei die Feuerwehrdiensttauglichkeit nicht
Voraussetzung.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 2. November 1989 hat der Kläger am
8. November 1989 beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage erhoben. Er hat
vorgetragen: Gemäß § 197 HBG i.V.m. § 193 HBG sei er wegen
Feuerwehrdienstuntauglichkeit in den Ruhestand zu versetzen. Eine Versetzung in
ein Amt einer anderen Laufbahn komme nicht in Frage, weil er das 45. Lebensjahr
bereits überschritten habe. Die Beklagte könne sich nicht auf § 2 Abs. 2 Satz 3 der
Feuerwehrorganisationsverordnung berufen, denn hierdurch könnten die
Vorschriften des Hessischen Beamtengesetzes nicht außer Kraft gesetzt werden.
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Vorschriften des Hessischen Beamtengesetzes nicht außer Kraft gesetzt werden.
Er, der Kläger, sei kein gelernter Schuhmacher. Er solle erst gegen seinen Willen
als Schuhmacher ausgebildet werden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihn in den Ruhestand zu versetzen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Begründung des Widerspruchsbescheides wiederholt und darauf
hingewiesen, daß nach einem Beschluß des Hess. Verwaltungsgerichtshofs vom
10. Januar 1989 - 1 TG 3883/88 - Beamte des Einsatzdienstes der Berufsfeuerwehr
aufgrund § 2 Abs. 2 Satz 3 der Feuerwehrorganisationsverordnung auch dann
ohne weiteres zur Wahrnehmung von Aufgaben der technischen Sonderdienste
herangezogen werden könnten, wenn sie feuerwehrdienstuntauglich - aber
allgemein dienstfähig - seien.
Nach vorheriger Anhörung hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden durch
Gerichtsbescheid vom 21. Januar 1991 - VIII E 980/89 - die Beklagte verpflichtet,
den Kläger in den Ruhestand zu versetzen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Kläger habe gemäß § 197 HBG i.V.m. § 193 HBG einen Anspruch auf
Versetzung in den Ruhestand. Nach den amtsärztlichen Gutachten stehe fest, daß
der Kläger nicht mehr tauglich für den Einsatzdienst der Feuerwehr sei. Er sei
deshalb gemäß § 51 Abs. 1 HBG in den Ruhestand zu versetzen. Diese nach dem
Wortlaut eindeutigen Vorschriften dürfe die Beklagte nicht unter Hinweis auf
Organisationsvorschriften ignorieren. Die "Umsetzung" auf die Stelle eines
Schuhmachers bei der Feuerwehr in der Abteilung "Technische Dienste" sei keine
rein organisatorische Maßnahme ohne statusrechtliche Auswirkung. Nach dieser
Umsetzung sei der Kläger nämlich nicht mehr im Amt eines Hauptbrandmeisters
des Einsatzdienstes der Berufsfeuerwehr der Beklagten, sondern Schuhmacher in
der Abteilung "Technische Dienste". Diese Maßnahme stelle sich also als eine
Versetzung ohne Zustimmung des Klägers dar.
Gegen den am 28. Januar 1991 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am
27. Februar 1991 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen.
Die Beklagte beantragt,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und der
beigezogenen einschlägigen Verwaltungsvorgänge (1 Heft), die zum Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 124, 125 VwGO zulässige Berufung ist nicht begründet. Das
Verwaltungsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben. Die Beklagte ist
verpflichtet, den Kläger in den Ruhestand zu versetzen. Der ablehnende Bescheid
der Beklagten vom 11. August 1989 und deren Widerspruchsbescheid vom 26.
Oktober 1989 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113
Abs.4 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 51 Abs.1 Satz 1 HBG ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu
versetzen, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche
seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten
dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Gemäß § 51 Abs.2 HBG bleiben gesetzliche
Vorschriften unberührt, die für einzelne Beamtengruppen andere
Voraussetzungen für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit bestimmen. Für die
Beamten des Einsatzdienstes der Berufsfeuerwehr ist insoweit die Regelung des §
197 Abs.1 i.V.m. § 193 HBG maßgeblich. Nach diesen Vorschriften ist ein Beamter
des Einsatzdienstes einer Berufsfeuerwehr dienstunfähig, wenn er nach
amtsärztlichem Gutachten den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für
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amtsärztlichem Gutachten den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für
den Einsatzdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, daß er seine volle
Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wieder erlangt. Der
einsatzdienstunfähige Feuerwehrbeamte kann gemäß § 197 Abs.1 i.V.m. § 193
Abs.2 HBG nur bis zum vollendeten 45.Lebensjahr in ein Amt einer anderen
Laufbahn versetzt werden, wenn er persönlich die Eignung für die Laufbahn besitzt.
Einsatzdienstunfähig ist ein Beamter des Brandschutzdienstes (vgl. § 1 Abs.1 der
Feuerwehrlaufbahnverordnung in der Fassung vom 19. Mai 1980 - GVBl.I S.147 -),
wenn er dauernd nicht mehr in der Lage ist, die an die Einsatzfähigkeit zu
stellenden besonderen Anforderungen, nämlich die Verwendbarkeit auf jeder
seiner Amtsbezeichnung entsprechenden Stelle, ohne Rücksicht darauf zu erfüllen,
auf welchem Dienstposten er eingesetzt ist und auch eingesetzt bleiben soll (vgl.
zur entsprechenden Definition der Polizeidienstunfähigkeit Hess.VGH, Urteil vom
12. Januar 1983 - I OE 86/81 -, ZBR 1983, 242; VGH Baden-Württemberg, Urteil
vom 27. September 1990 - 4 S 3102/89 -, NVwZ-RR 1991, 370 ff.; VG
Gelsenkirchen, Beschluß vom 19. Oktober 1989 - 1 L 1199/89 -, NWVBl.1990, 172).
Im vorliegenden Fall ist der Kläger nach dem eingeholten amtsärztlichen
Gutachten eindeutig nicht mehr tauglich für den Einsatzdienst der
Berufsfeuerwehr. Dies wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Da der Kläger
das 45.Lebensjahr bereits überschritten hat und deshalb eine Versetzung in ein
Amt einer anderen Laufbahn nicht in Betracht kommt, hat er nach hessischem
Landesrecht gemäß §§ 51 Abs.1 Satz 1, 197 Abs.1 i.V.m. § 193 Abs.1 HBG einen
Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil
vom 27. September 1990 - 4 S 3103/89 - a.a.O.; Schütz, Beamtenrecht des
Bundes und der Länder, 5.Aufl., Stand: Juni 1992, § 194 Rdnrn.7 und 8; vgl. auch
BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 - 2 C 45.89 -, Dokumentarische Berichte,
Ausgabe B 1992 S.113 ff.).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Versetzung des Klägers in den
Ruhestand nicht unter Hinweis auf § 2 Abs.2 Satz 3 der Verordnung über die
Organisation, Stärke und Ausrüstung der öffentlichen Feuerwehren vom 20. März
1980 (GVBl.I S.105) - FeuerwOrgVO- und den Beschluß des Senats vom 10. Januar
1989 - 1 TG 3883/88 - abgelehnt werden. Gemäß § 2 Abs.2 Satz 3 FeuerwOrgVO
können die Angehörigen des Einsatzdienstes der Berufsfeuerwehr zur
Wahrnehmung von Aufgaben der technischen Sonderdienste herangezogen
werden. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu beachten, daß die Aufgaben der
technischen Sonderdienste grundsätzlich nicht von den Beamten des
Einsatzdienstes wahrgenommen werden, denn gemäß § 2 Abs.2 Satz 1
FeuerwOrgVO ist den technischen Sonderdiensten der Berufsfeuerwehr das
Personal zuzuordnen, das ohne dem Einsatzdienst anzugehören, verantwortlich in
Bereichen tätig ist, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft fördern oder ihr dienen.
Beamte des Einsatzdienstes können deshalb nur ausnahmsweise oder nur mit
dem geringeren Teil ihrer Arbeitszeit, jedenfalls aber nicht ausschließlich und auf
Dauer mit den Aufgaben der technischen Sonderdienste beauftragt werden.
Andernfalls würden sie nicht laufbahnentsprechend und amtsangemessen
verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 C 17.90 -, DVBl. 1992, 99 ff.).
Im Fall des Klägers ist dies offensichtlich, denn er soll als Hauptbrandmeister auf
der Stelle eines Schuhmachers in der Abteilung "Technische Dienste" eingesetzt
werden, obwohl er kein Schuhmacher ist.
Der vom Senat durch den Beschluß vom 10. Januar 1989 - 1 TG 3883/88 -
entschiedene Fall ist mit dem des Klägers nicht vergleichbar. Seinerzeit ging es
um die Frage, ob ein noch nicht 45jähriger, feuerwehrdienstuntauglicher
Oberbrandmeister des Einsatzdienstes einer Berufsfeuerwehr, der in die Laufbahn
des mittleren technischen Verwaltungsdienstes und das Amt eines Technischen
Hauptsekretärs versetzt worden war, während der Zeit der aufschiebenden
Wirkung seines Widerspruchs verpflichtet war, Dienst auf einem gleichwertigen
Dienstposten eines Technischen Hauptsekretärs zu leisten. Im vorliegenden
Verfahren geht es hingegen um einen Beamten, der wegen Überschreitens der
Altersgrenze nicht mehr in eine andere Laufbahn versetzt werden kann und der
deshalb einen Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.