Urteil des HessVGH vom 31.05.1999

VGH Kassel: subjektives recht, recht auf freiheit, verwaltungsverfahren, öffentliches recht, verwaltungsbehörde, hauptsache, berufsausübung, verkehr, unterlassen, vertretung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 TG 1961/98
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 3 AO 1977, § 14
Abs 3 VwVfG
(Kein subjektives Recht des Bevollmächtigten auf
Einhaltung der in VwVfG § 14 Abs 3 enthaltenen
Verfahrensverpflichtung)
Gründe
Die von dem Senat zugelassene Beschwerde des Antragstellers ist nicht
begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag, die Antragsgegnerin
im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, sich im
Verwaltungsverfahren unmittelbar an Beteiligte zu wenden, die den Antragsteller
als Bevollmächtigten für das Verwaltungsverfahren bestellt haben, abgelehnt.
Der Antragsteller hat zwar einen Anordnungsgrund für den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung; ihm steht aber kein Anordnungsanspruch auf Erlass der
von ihm begehrten einstweiligen Anordnung zu. Der Anordnungsgrund ergibt sich
daraus, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass sich die
Antragsgegnerin berühmt, sich weiter unmittelbar an Mandanten des
Antragstellers zu wenden, anstatt sich an die in der Regel einzuhaltende
Verpflichtung des § 14 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG zu halten, sich an den für das
Verwaltungsverfahren bestellten Bevollmächtigten zu wenden. Insoweit könnte
eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sein, um
wesentliche Nachteile von dem Antragsteller als Bevollmächtigtem im Sinne des §
14 Abs. 3 Satz 1 HVwVfG abzuwenden. Solche Regelungen im Hinblick auf
bestimmte Rechtsverhältnisse, hier die Rechtsbeziehung zwischen der
Verwaltungsbehörde und dem Antragsteller als Bevollmächtigtem von Beteiligten
des Verwaltungsverfahrens, sind insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung
des Umfangs einer Rechtsposition statthaft (Kopp, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 123
Rdnr. 8). Gegenstand einer einstweiligen Anordnung kann auch ein
Unterlassungsbegehren sein, z. B. - wie im vorliegenden Falle - die Verpflichtung
der Behörde, einstweilen eine bestimmte Handlung zu unterlassen (Kopp, a. a. O.,
§ 123 Rdnr. 9). Allerdings besteht kein Anordnungsgrund für die von dem
Antragsteller, der Rechtsanwalt ist, ausweislich seines Anordnungsantrages
begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Zwar kann ausnahmsweise auch im Wege einer einstweiligen Anordnung die
Hauptsache vorweggenommen werden; dies ist aber nur dann erforderlich und
damit statthaft, wenn effektiver Rechtsschutz anders nicht möglich ist,
insbesondere weil für den Antragsteller bis zu einem möglichen Obsiegen im
Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile eintreten würden (Kopp, a. a. O., §
123 Rdnr. 13). Dies ist im vorliegenden Falle nicht zu besorgen. Der Antragsteller
hat nicht glaubhaft gemacht, dass es nicht ausreichen würde, wenn die
Antragsgegnerin nur vorläufig bis zu einer endgültigen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren zu der von ihm begehrten Unterlassung verpflichtet würde.
Der somit wegen Vorliegens eines Anordnungsgrundes im dargestellten Umfang
zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nicht begründet.
Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf Erlass der von ihm
begehrten einstweiligen Anordnung. Ein solcher Anordnungsanspruch kann sich
aus § 80 Abs. 3 der Abgabenordnung, der in kommunale Abgaben betreffenden
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aus § 80 Abs. 3 der Abgabenordnung, der in kommunale Abgaben betreffenden
Verwaltungsverfahren - wie im vorliegenden Falle die Zahlung von
Kläranlagenbeiträgen an die Antragsgegnerin - gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 a) KAG
entsprechend anzuwenden ist, für das gerichtliche Verfahren - wie von dem
Antragsteller begehrt - schon deshalb nicht ergeben, weil für das Verfahren vor
den Verwaltungsgerichten ausschließlich die Verwaltungsgerichtsordnung
Anwendung findet. Der Antragsteller kann aber auch im Hinblick auf das
Verwaltungsverfahren aus dieser Vorschrift keinen Anordnungsanspruch herleiten.
Nach dem mit § 14 Abs. 3 VwVfG inhaltsgleichen und diesem nachgebildeten § 80
Abs. 3 AO soll sich die Behörde an den Bevollmächtigten wenden, wenn ein solcher
für das Verwaltungsverfahren bestellt ist. Sie kann sich an den Beteiligten selbst
wenden, soweit er zur Mitwirkung verpflichtet ist. Wendet sich die Behörde an den
Beteiligten, so soll der Bevollmächtigte verständigt werden. Der Antragsteller kann
daraus keinen Anordnungsanspruch herleiten, weil diese Vorschrift - wie das
Verwaltungsgericht zu Recht dargelegt hat - kein subjektives Recht des
Bevollmächtigten auf Einhaltung dieser Verpflichtung begründet. Denn diese
Vorschrift dient zum einen dem öffentlichen Interesse an einer zweckmäßigen
Verfahrensgestaltung und zum anderen dem Schutz der Verfahrensbeteiligten
selbst, die sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Sie begründet kein
eigenes subjektiv-öffentliches Recht des Bevollmächtigten in der Weise, dass er
unabhängig von dem ihn beauftragenden Beteiligten des Verwaltungsverfahrens
selbst die Einhaltung dieser Verfahrensverpflichtung der Behörde geltend machen
könnte. Der Bevollmächtigte kann somit aus eigenem Recht die Einhaltung dieser
Verpflichtung der Behörde nicht beanspruchen.
Der Senat gibt seine früher zugrunde gelegte Auffassung auf, der Bevollmächtigte
könne aus eigenem Recht eine Feststellungsklage gegenüber der
Verwaltungsbehörde auf Einhaltung der Verpflichtung der Behörde nach § 14 Abs.
3 VwVfG erheben (Hess. VGH, U. v. 09.04.1984 - 11 UE 149/84 -, NVwZ 1984,
802). Er folgt nunmehr im Ergebnis der Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts, nach der sich aus § 14 Abs. 3 VwVfG kein subjektives
Recht des Bevollmächtigten auf Einhaltung der dort geregelten Verpflichtung der
Behörde herleiten lässt (BVerwG, U. v. 10.07.1984 - 1 C 155/79 -, NJW 1985, 339,
zu § 14 Abs. 3 Satz 3 VwVfG). Entscheidend dafür ist, dass § 14 Abs. 3 VwVfG der
sachgerechten Vertretung des Beteiligten im Verwaltungsverfahren dienen soll,
also in seinem Interesse die Bestellung eines Bevollmächtigten und die Pflichten
der Behörde gegenüber dem bestellten Bevollmächtigten regelt. Es ist kein
Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Bevollmächtigte unabhängig von dem
Beteiligten Verfahrensrechte gegenüber der Behörde im Verwaltungsverfahren
geltend machen können sollte. Die unabhängige und gegenüber dem
Bevollmächtigten hervorgehobene Stellung des Beteiligten selbst wird aus § 80
Abs. 3 Satz 2 AO bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 VwVfG deutlich, nach dem sich die
Behörde an den Beteiligten selbst wenden kann, soweit er zur Mitwirkung
verpflichtet ist. Anders als im gerichtlichen Anwalts-Prozess, in dem der
Rechtsanwalt ausschließlicher Ansprechpartner des Gerichts und der
Prozessparteien ist, soll der Beteiligten des Verwaltungsverfahrens auch
unabhängig und neben seinem Bevollmächtigten von der Verwaltungsbehörde
angesprochen werden können.
Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass Bevollmächtigte im Sinne des § 14
VwVfG nicht nur Rechtsanwälte, sondern alle handlungsfähigen natürlichen
Personen sein können. Insoweit ist kein zwingender sachgerechter Grund dafür
erkennbar, dass ein Kontakt zwischen der Verwaltungsbehörde mit dem
Verfahrensbeteiligten nur über seinen Bevollmächtigten hergestellt werden dürfte.
Der ausschließliche Verkehr des Gerichts und der Prozessparteien im
Anwaltsprozess über den Anwalt der Partei hat seinen Sinn maßgeblich auch darin,
dass der Rechtsanwalt im Verhältnis zu der von ihm vertretenen Partei meist
ausschließlich oder doch jedenfalls in weit höherem Maße über juristisches
Fachwissen verfügt, das er zum Nutzen der Partei bzw. des Beteiligten einsetzt.
Der ausschließliche Verkehr mit der Partei über den sie vertretenden Rechtsanwalt
dient somit auch maßgeblich dem Schutz der Partei. Diese Gründe gelten aber im
Rahmen des § 14 Abs. 3 VwVfG bzw. § 80 Abs. 3 AO nicht, da der Bevollmächtigte
des Beteiligten im Verwaltungsverfahren keinerlei besondere Qualifikation
aufweisen muss. Es kann somit normativ nicht davon ausgegangen werden, dass
der Gesetzgeber wegen des oben durch das juristische Fachwissen des
Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren begründeten Schutzgedankens dem
Bevollmächtigten im Verwaltungsverfahren selbst ein eigenes Recht nach § 14
Abs. 3 Satz 1 VwVfG zubilligen wollte. Während das Bundesverfassungsgericht
davon ausgeht, dass insbesondere die Ausgestaltung der Befugnisse des
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davon ausgeht, dass insbesondere die Ausgestaltung der Befugnisse des
Rechtsanwaltes zur Strafverteidigung Teil seines Rechts auf freie Berufsausübung
nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ist (BVerfG, B. v. 08.04.1975 - 2 BvR 207/75 -,
BVerfGE 39, 238), kann davon auf der dargestellten normativen Grundlage des §
14 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf den "Jedermann-Bevollmächtigten" nach § 14
VwVfG nicht ausgegangen werden. In diesem Rahmen gilt insoweit nichts anderes
auch für Rechtsanwälte. Es ist § 14 Abs. 3 VwVfG nicht zu entnehmen, dass der
Gesetzgeber hinsichtlich des Vorliegens eigener Rechte des Bevollmächtigten
danach differenzieren wollte, ob es sich um Rechtsanwälte oder andere
Bevollmächtigte handelte (so im Ergebnis auch BVerwG, U. v. 10.07.1984 - 1 C
155/79 -, a. a. O.).
Die Rechte des Rechtsanwalts nach § 3 Abs. 2 BRAO, in Rechtsangelegenheiten
aller Art vor Behörden aufzutreten, und das damit ausgestaltete Recht auf Freiheit
der Berufsausübung als Rechtsanwalt wird ausreichend durch das Gebot des § 80
Abs. 3 Satz 3 AO bzw. § 14 Abs. 3 Satz 3 VwVfG gewahrt, nach dem der
Bevollmächtigte verständigt werden soll, wenn die Behörde sich an den Beteiligten
gewandt hat. Maßgeblich bleibt aber das Verhältnis zwischen Behörde und
Verfahrensbeteiligtem, auch wenn dieser einen Bevollmächtigten, insbesondere
einen Rechtsanwalt, bestellt hat. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Zustellung
eines Bescheides an einen Beteiligten, auch wenn dieser einen Bevollmächtigten
bestellt hat, wirksam ist (gemäß § 41 Abs. 1 VwVfG, der insoweit als
Sonderregelung § 14 Abs. 3 VwVfG vorgeht: Hess. VGH, U. v. 10.08.1992 - 12 UE
2254/89 -, NVwZ-RR 1993, 432; dieser Auffassung hat sich das
Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit Urteil vom 30.10.1997 - 3 C 35.96 -,
BayVBl. 1998, 374, angeschlossen).
Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass aus dem Verhältnis zwischen
Verfahrensbeteiligtem und seinem Bevollmächtigten gegenüber der
Verwaltungsbehörde im Verwaltungsverfahren davon auszugehen ist, dass der
vertretene Verfahrensbeteiligte neben seinem Bevollmächtigten eine derart
eigenständige Position hat, dass die Pflicht der Verwaltungsbehörde nach § 14
Abs. 3 Satz 1 VwVfG neben dem öffentlichen Interesse nur im Interesse des
Beteiligten selbst und nicht auch aufgrund eigenen Rechtes im Interesse des
Bevollmächtigten besteht. Dies bedeutet, dass eine Verletzung der Pflicht der
Behörde aus § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG nur von dem Beteiligten selbst, nicht aber
von seinem Bevollmächtigten aus eigenem Recht und unabhängig von dem
Beteiligten geltend gemacht werden kann (so im Ergebnis auch Kopp, VwVfG, 6.
Aufl. 1996, § 14 Rdnr. 18; Stelkens u. a., VwVfG, 5. Aufl. 1998, § 14 Rdnr. 21). Da
der Antragsteller somit kein eigenes Recht auf Einhaltung der Verpflichtung der
Antragsgegnerin aus § 14 Abs. 3 Satz 1 VwVfG hat, kann er einen
Unterlassungsanspruch, der der Einhaltung dieser Verpflichtung dienen soll, nicht
aus eigenem Recht geltend machen. Dieses Recht können nur die von ihm
vertretenen Mandanten gegenüber der Antragsgegnerin geltend machen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil seine
Beschwerde ohne Erfolg bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung
beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 entsprechend, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 3 GKG. Dabei
legt der Senat den Auffangstreitwert gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG zugrunde,
ohne diesen im Hinblick auf die vorläufige Bedeutung des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens auf die Hälfte zu reduzieren, da der Antragsteller, der
Rechtsanwalt ist, mit seinem Unterlassungsantrag die Vorwegnahme der
Hauptsache begehrt hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.