Urteil des HessVGH vom 20.01.1989

VGH Kassel: satzung, bekanntmachung, bebauungsplan, entschädigung, grundstück, öffentlich, umbau, beratung, deckung, enteignung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 N 3095/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 1 BauGB, § 18
Abs 3 BauGB, § 214 Abs 1
BauGB
(Veränderungssperre - Wirksamkeit der Bekanntmachung)
Tatbestand
I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin der mit einem ehemaligen Lagergebäude
bebauten Grundstücke Flur 1, Flurstück 91 und 92 in der unbeplanten Ortslage von
K.-R.. Sie beabsichtigt den Umbau dieses Gebäudes zu einem Tanzcafé. Ein
entsprechender Bauantrag wird nach Inkrafttreten der auf zwei Jahre befristeten
streitbefangenen Satzung der Antragsgegnerin über die Veränderungssperre des
Bebauungsplans Nr. 21 "U. d. L.-Ortsmitte" im Ortsteil R. vom 22.07.1988 vom
zuständigen Kreisbauamt derzeit nicht weiter bearbeitet. Der Beschlußfassung der
Gemeindevertretung von K. über die Veränderungssperre vom 14.07.1988 ging
der Aufstellungsbeschluß über den Bebauungsplan Nr. 21 vom 20.06.1988 voraus.
In der Begründung zur Veränderungssperre heißt es, für den stark frequentierten
Ort mit dem Gaststättenzentrum, dem sich anschließenden Verkehrsamt und der
Post sollen über die Bauleitplanung ausreichend öffentliche
Parkplatzgelegenheiten geschaffen werden. Auch bestehe zwischen den
Kirchenbesuchern und dem Gaststättenbetrieb ein Spannungsverhältnis in
unmittelbarer Nachbarschaft, das über die Bauleitplanung geregelt werden solle.
Mit dem am 03.08.1988 gestellten Normenkontrollantrag macht die
Antragstellerin geltend, die Veränderungssperre ziele allein auf die Verhinderung
des Umbaus ihres Lagergebäudes mit der Absicht, ihr Grundstück
gemeindlicherseits zu übernehmen. Den durch die Veränderungssperre
ausgelösten Verkaufszwang sehe sie als Enteignung an. Alle anderen Grundstücke
im beabsichtigten Plangebiet entzögen sich vor allem wegen des
Denkmalsschutzes im umliegenden Kirchenbereich einer planerischen Gestaltung,
so daß nur sie selbst von der Veränderungssperre betroffen sei. Bei allem habe die
Antragsgegnerin keinerlei planerische Konzepte für das betreffende Gebiet. Bei
einem Abriß ihres Gebäudes könnten maximal nur 5 bis 6 Pkw's auf den
Grundstücken untergebracht werden. In unmittelbarer Nähe könne man aber im
Umkreis von 50 m an anderer Stelle ohne Verkehrsbehinderung öffentliche
Stellplätze errichten. Alternative Lösungen seien von der Antragsgegnerin aber
nicht untersucht worden, weshalb der Aufstellungsbeschluß über den
Bebauungsplan ebenso wie die Veränderungssperre ermessensmißbräuchlich
seien.
Die Antragstellerin beantragt,
im Wege der Normenkontrolle festzustellen, daß die Satzung der
Antragsgegnerin über die Veränderungssperre des Bebauungsplans Nr. 21 "U. d.
L.-Ortsmitte" im Ortsteil R. vom 22.07.1988 nichtig ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
In einem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter hat die Antragsgegnerin
vorgetragen, nach dem Aufstellungsbeschluß vom Juni 1988 sei ein Planungsbüro
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vorgetragen, nach dem Aufstellungsbeschluß vom Juni 1988 sei ein Planungsbüro
mit der Entwurfsplanung für den Bebauungsplan beauftragt worden. Teilweise
werde für die nicht mehr zur Verbreiterung vorgesehene Ortsdurchfahrt eine
Planung von der Straßenbauverwaltung selbst vorangetrieben. Diese Planung
könne auf anderen Grundstücken im vorgesehenen Planbereich zu etwa 6 bis 8
Parkplätzen führen, weshalb die Grundstücke der Antragstellerin für die Deckung
des öffentlichen Stellplatzbedarfs aber noch immer erforderlich seien.
Dem Senat liegt ein gehefteter Vorgang der Antragsgegnerin vor, der die
streitbefangene Veränderungssperre betrifft. Diese Unterlagen sind Gegenstand
der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf den übrigen
Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat kann gemäß § 47 Abs. 6 VwGO durch Beschluß entscheiden, weil er
eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Der zulässige Normenkontrollantrag ist nicht begründet.
Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in Verbindung mit § 11 Abs. 1 HessAG VwGO ist
das Normenkontrollverfahren gegen die Satzung über die Veränderungssperre der
Antragsgegnerin vom 22.07.1988 als einer nach den Vorschriften des
Baugesetzbuchs erlassenen Satzung statthaft.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Ihr nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO
erforderlicher Nachteil durch die Satzung liegt darin, daß ihr den Umbau ihres
Lagergebäudes im Satzungsbereich betreffender Bauantrag vom zuständigen
Kreisbauamt derzeit nicht weiterbearbeitet werden kann. Mithin kann sie ihre aus
dem Eigentumsrecht an dem bebauten Grundstück fließenden Nutzungsrechte
baubehördlicherseits nicht überprüfen lassen und ihre jedenfalls nicht vornherein
rechtlich ausgeschlossenen Umnutzungswünsche nicht zeitnah durchzusetzen
versuchen. Damit sind private Belange der Antragstellerin nachteilig betroffen, die
bei der gemeindlichen Ermessensentscheidung über die Veränderungssperre
gemäß § 14 Abs. 1 BauGB zu berücksichtigen waren (vgl. BVerwGE 59, 87 zur
Beeinträchtigung privater Belange, die bei einem Bebauungsplan
abwägungserheblich sind; sowie Kuhla NVwZ 88, 1084, 1085, der die
Antragsbefugnis von Grundstückseigentümern im Geltungsbereich einer
Veränderungssperre grundsätzlich bejaht).
Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1
BauGB liegen hier vor, und die Antragsgegnerin hat die ihr zustehende
Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei getroffen. Der Beschluß über die
Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 21 ist von der Gemeindevertretung der
Antragsgegnerin am 20.06.1988 gefaßt und anschließend ordnungsgemäß
öffentlich bekannt gemacht worden. Dasselbe gilt für die am 14.07.1988
beschlossene und ebenfalls im "Knüllwaldboten", dem amtlichen
Bekanntmachungsorgan der Antragsgegnerin, öffentlich bekannt gemachte
Satzung über die Veränderungssperre selbst.
Allerdings ist der Antragsgegnerin bei der Bekanntmachung der streitbefangenen
Satzung ein formeller Fehler unterlaufen. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 BauGB ist in
der Bekanntmachung nach § 16 Abs. 2 BauGB auf die Vorschriften des § 18 Abs. 2
Satz 2 und 3 BauGB hinzuweisen, was hier nicht geschehen ist. Der erforderliche
zusätzliche Hinweis in der Bekanntmachung bezieht sich auf Fragen der
Entschädigung für Vermögensnachteile, die nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BauGB dann
in Betracht kommt, wenn die Veränderungssperre länger als vier Jahre dauert oder
die erste Zurückstellung eines Baugesuchs diesen Zeitraum übersteigt. Gemäß §
18 Abs. 2 Satz 2 und 3 BauGB kann der Entschädigungsberechtigte die
Entschädigung verlangen, wenn die in § 119 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten
Vermögensnachteile eingetreten sind; zudem kann er die Fälligkeit des Anspruchs
dadurch herbeiführen, daß er die Leistung der Entschädigung schriftlich bei dem
Entschädigungspflichtigen beantragt.
Das Fehlen der erforderlichen Hinweise auf die Vorschriften des § 18 Abs. 2 Satz 2
und 3 in der Bekanntmachung der Satzung über die Veränderungssperre ist
gemäß § 214 Abs. 1 BauGB jedoch unbeachtlich, weil der vorbeschriebene formelle
Fehler bei den dort abschließend aufgeführten beachtlichen Verfahrens- und
Formfehlern nicht mitgenannt ist. Daß es sich bei einem Bekanntmachungsfehler,
hier dem Verstoß gegen § 18 Abs. 3 Satz 2 BauGB, um einen Verfahrensfehler
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hier dem Verstoß gegen § 18 Abs. 3 Satz 2 BauGB, um einen Verfahrensfehler
handelt, begegnet auch im Hinblick auf die frühere Rechtslage nach § 155 Abs. 1
und 3 BBauG keinen Bedenken und entspricht im übrigen der nicht umstrittenen,
übereinstimmenden Auffassung in der Kommentarliteratur (vgl. Schlichter/Stich,
Berliner Kommentar zum BauGB, 1988, Band II, § 214 Rdnr. 4 und 8;
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, Stand: 01.08.1986, Band III, § i55 a Rdnr. 5;
Gelzer, Bauplanungsrecht, 4. Auf!. 1984, Rdnr. 438; vgl. zur parallelen Problematik
bei § 44 Abs. 5 BauGB Battis-Krautzberger-Löhr, BauGB, Komm.; 2. Aufl. 1987, §
44 Rdnr. 9 a.E.).
Die Planung für den künftigen Planbereich, die mit der Veränderungssperre
gesichert werden soll, ist hier aufgrund der vorgelegten Satzungsunterlagen auch
hinreichend ersichtlich und genügend konkretisiert. Der in den Grundzügen
konkretisierte künftige Planinhalt muß nicht mit öffentlich bekannt gemacht, aber
verläßlich in der Weise festgelegt worden sein, daß der Satzungsgeber einer
Veränderungssperre gegebenenfalls einen entsprechenden Nachweis darüber
führen kann (vgl. Battis u.a., a.a.O., § 14 Rdnr. 9). Hier ist der Satzung über die
Veränderungssperre eine bei der Abstimmung im Gemeindevorstand und in der
Gemeindevertretung zugrundeliegende Begründung beigegeben worden, die das
gemeindliche Interesse an öffentlichen Stellplätzen auf den Grundstücken der
Antragstellerin wiedergibt. Damit wird ein planerisches Ziel der Antragsgegnerin
erkennbar, das im jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit
des Erlasses und der Aufrechterhaltung der Veränderungssperre (vgl. dazu Kuhla,
NVwZ 1988, 1084) gerichtlicherseits inhaltlich schon deshalb nicht zu überprüfen
ist, weil das planerische Ergebnis noch gar nicht konkret vorliegt. Mithin geht auch
der Hinweis der Antragstellerin auf alternative Lösungen in der näheren Umgebung
im gegenwärtigen Zeitpunkt fehl, zumal die von ihr im Erörterungstermin
vorgeschlagene Ersatzlösung, eine begrünte und buschbewachsene Böschung
unterhalb des zum Umgebungsbereich der denkmalgeschützten Kirche
gehörenden Pfarrgrundstücks abzutragen und die dort befindliche Stützmauer zur
Gewinnung mehrerer Stellplätze entsprechend zu versetzen, sich städtebaulich
und naturschutzrechtlich nicht ohne weiteres aufdrängt.
Soweit die Antragstellerin darüber hinaus der Auffassung ist, es liege hier eine
unzulässige Individualsperre zu ihren Lasten vor, ist ihr entgegenzuhalten, daß
eine solche nur auf ein Grundstück oder wenige Grundstücke bezogene
Individualsperre grundsätzlich sogar rechtlich möglich wäre (vgl. Battis u.a., a.a.0.,
§ 14 Rdnr. 10). Im übrigen ist hier darauf hinzuweisen, daß das vom
Aufstellungsbeschluß umfaßte beabsichtigte Plangebiet noch andere, etwa auch
unbebaute Grundstücke wie, die Flurstücke 56 und 57 umfaßt, die einer planerisch
festlegbaren anderen Nutzungsart offenstehen können.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch die Aufrechterhaltung der
Veränderungssperre im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht als
ermessensfehlerhaft anzusehen ist. Immerhin hat die Antragsgegnerin nach dem
Aufstellungs- und dem Satzungsbeschluß ein ihr häufiger zuarbeitendes
Planungsbüro mit einer Entwurfsplanung betraut. Der inzwischen verstrichene
Zeitraum von gut einem halben Jahr ist angesichts der Tatsache, daß dieses Büro
regelmäßig bereits eine Vorabklärung mit verschiedenen Trägern öffentlicher
Belange selbst vornimmt, was bei kleineren Gemeinden plausibel ist, nicht als so
ungebührlich groß anzusehen, daß dieser Umstand eine Aufhebung der
Veränderungssperre rechtfertigen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Mangels näherer,
bezifferbarer Anhaltspunkte für das Interesse der Antragstellerin an einem
erfolgreichen Verfahrensausgang setzt der Senat den gesetzlichen Hilfsstreitwert
fest.
Die Voraussetzungen für die Vorlage der Sache an das Bundesverwaltungsgericht
gemäß § 47 Abs. 5 VwGO liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
Durch Beschwerde kann nach § 47 Abs. 7 VwGO angefochten werden, daß die
Sache nicht dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Auslegung
revisiblen Rechts wegen grundsätzlicher Bedeutung oder wegen Abweichung von
der Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten
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Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe vorgelegt wurde. Die Beschwerde ist durch einen Rechtsanwalt oder
einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule einzulegen. In der
Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt
oder die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes, von der die Entscheidung abweicht, bezeichnet werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung
einzulegen bei dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof
Brüder-Grimm-Platz 1
3500 Kassel
Hinweis: Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.