Urteil des HessVGH vom 28.06.1989

VGH Kassel: minderung, universität, erwerbsfähigkeit, unterhaltsbeitrag, augenheilkunde, klinikum, wahrscheinlichkeit, erwerbsunfähigkeit, kausalität, erblindung

1
2
3
4
5
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 197/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 38 BeamtVG
(Kausalität im Dienstunfallrecht)
Tatbestand
Der am 25.8.1936 geborene Kläger wurde am 29.1.1969 unter Berufung in das
Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Wissenschaftlichen Assistenten ernannt. Am
15.7.1970 erlitt er im Laboratorium des Instituts für Ernährungswissenschaften II
der Justus Liebig-Universität Gießen eine schwere Schwefelsäureverätzung beider
Augen, die durch den Beklagten als Dienstunfall anerkannt wurde. Infolge der
Säureverätzungen mußte sich der Kläger mehrfach stationären augenärztlichen
Behandlungen unterziehen.
Mit Ablauf des 30.6.1972 wurde der Kläger aus dem Beamtenverhältnis entlassen.
Widerspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos (Urteil des erkennenden
Senats vom 22.6.1977 - I DE 23/76 -; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts
vom 20.9.1978 - 2 B 61.77 und 2 C 38.78 -).
Seit dem 1.8.1978 bezieht der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte eine Berufsunfähigkeitsrente auf Grund eines Gutachtens des
Augenarztes Dr. G., Gießen, vom 18.1.1979. Mit Schreiben vom 31.5.1979
beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages in
Höhe von 66 2/3 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge. In dem daraufhin in
Auftrag gegebenen Gutachten vom 14.7.1980 und Zusatzgutachten vom 2.3.1981
gelangt die Privatdozentin Dr. Sch., Oberärztin im Zentrum für Augenheilkunde am
Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M., zu dem Ergebnis,
daß infolge des Dienstunfalls die "praktische Erblindung" des linken Auges des
Klägers als Dauerschaden eingetreten sei. Dagegen müsse auf Grund des
Heilungsverlaufs angenommen werden, daß die Netzhautveränderungen auf dem
rechten Auge keine Folgen des Dienstunfalles seien. Die dienstunfallbedingte
Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage vom 10.4. bis 28.4.1978 100 % und ab
29.4.1978 25 %.
Auf Grund dieses Gutachtens wurde dem Kläger mit Bescheid des
Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 26.1.1982 ein Unterhaltsbeitrag für die
Zeit vom 10.4. bis 28.4.1978 in Höhe von 66 2/3 % der ruhegehaltfähigen
Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 13 (Stufe 8) und ab 29.4.1978 in Höhe
von 25 % des zuvor genannten Unterhaltsbeitrags gewährt. Hierauf wurde seine
Berufsunfähigkeitsrente nach Maßgabe des § 55 Beamtenversorgungsgesetz -
BeamtVG - angerechnet.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 24.2.1982,
eingegangen am 25.2.1982, Widerspruch mit folgender Begründung ein: Der Grad
der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit sei zu niedrig festgesetzt worden. Nach der
Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 30 Bundesversorgungsgesetz hätte allein die
Erblindung seines linken Auges mit einem Grad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit von 30 % berücksichtigt werden müssen. Die Beeinträchtigung
seines rechten Auges komme hinzu. Es sei außerdem fehlerhaft, daß die
Berufsunfähigkeitsrente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die
wegen der Erblindung des linken und der Beeinträchtigung des rechten Auges
gezahlt werde, in vollem Umfang auf die wegen der Beeinträchtigung nur eines
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
gezahlt werde, in vollem Umfang auf die wegen der Beeinträchtigung nur eines
Auges gewährten Versorgungsbezüge angerechnet werde.
Mit Bescheid vom 29.6.1982 hob der Regierungspräsident in Kassel den Bescheid
des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 26.1.1982 bezüglich der darin
enthaltenen Kassenanweisung auf und ersetzte diese durch eine Neuberechnung,
die er damit begründete, daß in dem Bescheid vom 26.1.1982 von für den Kläger
erkennbar fehlerhaften Beträgen ausgegangen worden sei.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 6.7.1982 am 7.7.1982 Widerspruch
ein.
Durch Widerspruchsbescheid vom 1.3.1983 hob der Hessische Kultusminister den
Bescheid des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 26.1.1982 und den
Bescheid des Regierungspräsidenten in Kassel vom 29.6.1982 im Hinblick auf die
Festsetzung des bestehenden Grades der Erwerbsminderung auf, setzte diesen
nunmehr auf 30 % fest und legte diesen Prozentsatz der Berechnung des
Unterhaltsbeitrags zugrunde. Im übrigen wurden die Widersprüche des Klägers
zurückgewiesen.
Am 30.3.1983 hat der Kläger gemäß der Rechtsbehelfsbelehrung des
Widerspruchsbescheids beim Verwaltungsgericht Kassel Klage erhoben. Mit
Beschluß vom 18.5.1983 hat sich das Verwaltungsgericht Kassel für örtlich
unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Wiesbaden -
Kammern Gießen - verwiesen.
Der Kläger hat im wesentlichen vorgetragen: Der Unterhaltsbeitrag sei zu niedrig
festgesetzt worden. Der Beklagte trage die materielle Beweislast dafür, daß die
Beeinträchtigung seines rechten Auges nicht von dem Dienstunfall herrühre. Die
Anrechnung seiner Berufsunfähigkeitsrente gemäß § 55 BeamtVG sei
verfassungswidrig.
Der Kläger hat beantragt,
die Bescheide des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 26.1.1982 und
des Regierungspräsidenten in Kassel vom 29.6.1982 i.d.F. des
Widerspruchsbescheides des Hessischen Kultusministers vom 1.3.1983 insoweit
aufzuheben, als die Festsetzung einer Erwerbsminderung von mehr als 30 v.H. als
Folge seines Unfalls vom 15.7.1970 sowie eine Erhöhung des entsprechenden Teils
des Unterhaltsbeitrags verweigert wird, und den Beklagten zu verpflichten, ihm
unter Berücksichtigung einer völligen Erwerbsunfähigkeit 66 2/3 v.H. seiner
ruhegehaltfähigen Dienstbezüge mit Wirkung ab 29.4.1978 ohne Anrechnung der
ihm seit 1.8.1978 von der Bundesversicherungsanstalt gezahlten und noch zu
zahlenden Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.
Der Beklagte hat sinngemäß beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung ist die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf
der Grundlage des Gutachtens zutreffend vorgenommen worden. Die Regelung
des § 55 BeamtVG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Durch Urteil vom 10.12.1986 - VII/3 E 410/83 - hat das Verwaltungsgericht
Wiesbaden - Kammern Gießen - die Klage mit folgender Begründung abgewiesen:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren
Unterhaltsbeitrags gemäß § 38 Abs. 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 BeamtVG. Das beklagte
Land habe den Unterhaltsbeitrag für die Zeit ab 29.4.1978 in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise auf 30 % von 66 2/3 % der ruhegehaltfähigen
Dienstbezüge festgesetzt (§ 38 Abs. 2 BeamtVG). Nach der Beurteilung der
fachärztlichen Gutachten könne die sich im Ergebnis ebenfalls erwerbsmindernd
auswirkende Beeinträchtigung des rechten Auges bei der Feststellung des Grads
der Erwerbsminderung gemäß § 38 BeamtVG keine Berücksichtigung finden, da es
hierbei allein auf die durch den Dienstunfall verursachte Beeinträchtigung der
Erwerbsfähigkeit ankomme. Der Umstand, wonach im abschließenden
Zusatzgutachten mit nur einfacher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen worden sei,
daß die Beeinträchtigung der Sehschärfe am rechten Auge des Klägers nicht durch
den Dienstunfall verursacht worden sei, sei vorliegend nicht geeignet, ein für den
Kläger günstigeres Ergebnis herbeizuführen. Denn eine Schädigung könne nur
dann als Unfallfolge anerkannt werden, wenn das Unfallereignis "den
17
18
19
20
dann als Unfallfolge anerkannt werden, wenn das Unfallereignis "den
Schadenseintritt entscheidend" geprägt habe und von überragender Bedeutung
gegenüber anderen Teilursachen sei, in diesem Sinne also "wesentlich mitwirkende
Teilursache" gewesen sei. Könne bereits danach nicht positiv festgestellt werden,
daß die einige Jahre später eingetretene Beeinträchtigung am rechten Auge
wesentlich vom Dienstunfall herrühre, wobei eine mögliche Veranlagung
zurückzutreten hätte, so könne nach dem Ergebnis des Gutachtens vom 2.3.1980
sowie des Gutachtens hinsichtlich der BfA-Rente vom 17.1.1979 nicht von dem
Vorliegen eines typischen Geschehensablaufes im Sinne eines prima-facie-
Beweises ausgegangen werden, wonach der Säureunfall vom 15.7.1970 eine
typische Ursache für die Minderung der Sehschärfe des rechten Auges darstelle.
Da der Kläger nach seinen eigenen Angaben nicht in der Lage sei, durch eine
erneute gutachtliche Stellungnahme den Nachweis dafür zu erbringen, daß die
Beeinträchtigung des rechten Auges mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit von dem Dienstunfall herrühre, könne er mit dem Hinweis auf
die bloße Möglichkeit dieser Verknüpfung nicht gehört werden. Die Höhe des
prozentualen Grads der Erwerbsminderung sei ohne Rechtsfehler festgesetzt
worden. Bei der Beurteilung des Grads der Erwerbsminderung sei von der
körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben auszugehen. Der
Rückgriff auf die Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 30 BVG, worin die Minderung der
Erwerbsfähigkeit nach typisierten Beeinträchtigungen und nach allgemeinen
Merkmalen aufgeführt sei, sei im Rahmen des Beurteilungsvorgangs nicht
angreifbar. Die nach objektiven Kriterien und mit Sachverstand erstellten
Richtlinien orientierten sich an den von § 38 Abs. 5 BeamtVG vorausgesetzten
Beeinträchtigungen im allgemeinen Erwerbsleben. Daß der Kläger durch die Art
der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen
oder nachweislich angestrebten Beruf besonders betroffen sei, spiele für § 38
BeamtVG keine Rolle. Die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers sei in rechtlich nicht
zu beanstandender Form gemäß § 55 BeamtVG voll angerechnet worden.
Gegen das am 19.12.1986 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz seiner
Bevollmächtigten vom 16.1.1987, eingegangen beim Verwaltungsgericht Gießen
am 19.1.1987, Berufung eingelegt. Er hat zunächst beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden - Kammern Gießen - vom
10.12.1986 und die Bescheide des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom
26.1.1982 und des Regierungspräsidenten in Kassel vom 29.6.1982 i.d.F. des
Widerspruchsbescheids des Hessischen Kultusministers vom 1.3.1983 insoweit
aufzuheben, als die Festsetzung einer Erwerbsminderung von mehr als 30 % als
Folge des Unfalls des Klägers vom 15.7.1970 sowie eine Erhöhung des
entsprechenden Teils des Unterhaltsbeitrags verweigert wird, und den Beklagten
zu verpflichten, ihm bei Berücksichtigung einer völligen Erwerbsunfähigkeit 66 2/3
% seiner ruhegehaltfähigen Dienstbezüge mit Wirkung ab 29.4.1978 ohne
Anrechnung der ihm gezahlten Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.
Mit Schriftsatz vom 13.6.1987 hat er diesen Berufungsantrag insoweit
zurückgenommen, als das Unterbleiben der Anrechnung der Berufsunfähigkeits-
bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente nicht mehr gefordert wird.
Er trägt im wesentlichen vor: Die Gutachten vom 14.7.1980 und vom 2.3.1981
seien mit groben Mängeln behaftet und widersprüchlich, so daß sie zur
Feststellung der Kausalität zwischen der Augenverätzung und der
Beeinträchtigung des rechten Auges untauglich seien und eine neue
Begutachtung erforderlich sei. Es liege bereits nach dem ersten Anschein auf der
Hand, daß die Beeinträchtigung der Maculafunktion durch Pigmentveränderungen
eine Folge der starken Verätzung sein müsse. Bereits der Gutachter im Rahmen
der Feststellung der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente, Dr. G., sei davon
ausgegangen, daß die Pigmentveränderungen und damit die Sehbeeinträchtigung
nur eine Folge der Verätzung sein könnten. Dies belege zum eigen die vorgelegte
Bescheinigung des Dr. G. vom 16.4.1987 und zum anderen dessen Gutachten
gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Die Feststellung der
Gutachterin Dr. Schmitt in dem Zusatzgutachten vom 2.3.1981 und die hierauf
beruhenden Schlußfolgerungen des Verwaltungsgerichts seien offensichtlich nicht
haltbar. Sie beruhten auf einer nicht nachvollziehbaren Würdigung der
tatsächlichen Umstände. Es werde keinerlei plausible Erklärung dafür geliefert, wie
die aufgetretene Sehverschlechterung des rechten Auges sonst entstanden sein
solle. Das Verwaltungsgericht hätte im übrigen die Akten der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beiziehen müssen.
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden - Kammern
Gießen - vom 10.12.1986
- VII/3 E 410/83 - die Bescheide des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom
26.1.1982 und des Regierungspräsidenten in Kassel vom 29.6.1982 i.d.F. des
Widerspruchsbescheids des Hessischen Kultusministers vom 1.3.1983 insoweit
aufzuheben, als die Festsetzung einer Erwerbsminderung von mehr als 30 % als
Folge seines Unfalls vom 15.7.1970 sowie eine Erhöhung des entsprechenden Teils
des Unterhaltsbeitrags verweigert werden, und den Beklagten zu verpflichten, ihm
bei Berücksichtigung einer völligen Erwerbsunfähigkeit 66 2/3 % seiner
ruhegehaltfähigen Dienstbezüge mit Wirkung ab 29.4.1978 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß eine erneute Begutachtung des Klägers nicht
erforderlich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und folgende, den
Kläger betreffende Beiakten, die beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden sind:
a) die Personalakten der Justus Liebig-Universität Gießen (zwei Bände);
b) die Personalakten des Hessischen Kultusministers (zwei Bände);
c) die Unfallakten der Justus Liebig-Universität Gießen;
d) die Versorgungsakten des Regierungspräsidenten in Kassel (zwei Bände);
e) die Versicherungsakten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (drei
Bände);
f) ein Hefter mit Sollnachweisen;
g) die Restakten I OE 13/76 des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger hinsichtlich der Anrechnung seiner Berufsunfähigkeitsrente auf
den Unterhaltsbeitrag die Berufung zurückgenommen hat, ist das
Berufungsverfahren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 125
Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen.
Im übrigen ist die gemäß §§ 124, 125 VwGO zulässige Berufung des Klägers nicht
begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren
Unterhaltsbeitrags. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst gemäß Art. 2 § 6
des Entlastungsgesetzes auf die im wesentlichen zutreffenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug. Ergänzend weist er auf
folgendes hin:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des
erkennenden Senates sind als Ursache im Rechtssinn auf dem Gebiet der
beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung nur solche für den eingetretenen
Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen
(natürlich-logischen) Sinn anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung
zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich
mitgewirkt haben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ursachen ist eine als alleinige
Ursache im Rechtssinn anzusehen, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise
überragend zum Erfolg mitgewirkt hat, während jede von ihnen als wesentliche
(Mit-) Ursache im Rechtssinn anzusehen ist, wenn sie nur annähernd die gleiche
Bedeutung für den Eintritt des Erfolges hatte (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom
30.6.1988 - 2 C 77.86 -, RiA 1989, 157 und Hess. VGH, Urteil vom 26.9.1984 - 1 OE
62/80 - ZBR 1985, 251, jeweils mit weiteren Nachweisen). Das erstinstanzliche
Urteil bedarf insoweit der Richtigstellung.
38
39
40
Der Senat ist auf Grund des Ergebnisses der fachärztlichen Begutachtung davon
überzeugt, daß die Erkrankung des rechten Auges des Klägers keine Folge des
Dienstunfalles vom 15.7.1970 im Sinne der vorstehenden Kausaltheorie der
"wesentlich mitwirkenden Teilursache ist. Im Rahmen der Heilbehandlung des
Klägers nach dem Dienstunfall und bei der Begutachtung in den Jahren 1980/81 ist
auf dem rechten Auge des Klägers kein anlagebedingtes Leiden festgestellt
worden, das durch den Dienstunfall - nicht rein zufällig im Sinne einer
Gelegenheitsursache - ausgelöst oder in der Entwicklung beschleunigt worden ist.
Dies wäre jedoch zur Anerkennung als Dienstunfallfolge erforderlich gewesen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 30.6.1988 - 2 C 77.86 -, a.a.O.; GKÖD, Bd. I Teil 4, Stand: April
1989, 0 § 31 Rdnr. 22; Schütz, Beamtenrecht, Stand: April 1989, § 31 BeamtVG
Rdnr. 34; Summer/Baumgartner, Der Dienstunfall, München 1967, S. 132; vgl.
auch Nr. 35.2.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum
Beamtenversorgungsgesetz vom 3.11.1980 - GMBl. S. 742).
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren
hat der Senat keine Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung der
dienstunfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers in dem
augenärztlichen Gutachten der Privatdozentin Dr. Schmitt vom 14.7.1980 und
deren Zusatzgutachten vom 2.3.1981. Beide Gutachten beruhen auf einer
sorgfältigen Befunderhebung. Das Gutachten vom 14.7.1980 stützt sich auf die
Krankenblattunterlagen des Zentrums der Augenheilkunde am Klinikum der
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M., die ambulanten
Untersuchungen in der Poliklinik des Zentrums der Augenheilkunde am 6.11.,
12.11.1979 und 14.7.1980 sowie die Untersuchungen im Rahmen der stationären
Behandlung des Klägers in der Zeit vom 14.1. bis 18.1.1980 im Zentrum der
Augenheilkunde am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
a.M. Die Krankheitsvorgeschichte, der Heilungsverlauf nach dem Dienstunfall und
die Befunde auf Grund der durchgeführten Untersuchungen werden im einzelnen
dargestellt. Das Zusatzgutachten beruht außerdem auf den
Krankenblattunterlagen der Augenklinik der Justus Liebig-Universität Gießen, in der
der Kläger nach dem Dienstunfall behandelt worden war. Aus diesen Unterlagen
ergibt sich nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachterin, daß die
Verätzung auf dem rechten Auge wesentlich "blander" (= milder, reizloser)
verlaufen sei als auf dem linken Auge. Bereits bei der Entlassung aus der ersten
stationären Behandlung am 10.8.1970 hätten sich die Folgen der Verätzung am
rechten Auge weitgehend zurückgebildet gehabt. Zu diesem Zeitpunkt selbst sei
die Sehschärfe auf dem rechten Auge für Ferne und Nähe bereits wieder voll
gewesen. Die Hornhaut sei wieder glatt, spiegelnd und klar, die
Augenvorderkammer reizfrei gewesen. Weder zu diesem Zeitpunkt noch während
der weiteren stationären Aufenthalte hätten krankhafte Veränderungen der
Netzhaut auf dem rechten Auge festgestellt werden können, und zwar bis hin zu
der Netzhautkontrolle am 26.5.1976. An diesem Tage, also fast 6 Jahre nach dem
Unfallereignis, sei die Netzhaut auf dem rechten Auge unauffällig, und 4 Wochen
vorher die Sehschärfe auf dem rechten Auge noch voll gewesen. Wenn die
Gutachterin auf Grund dieser Feststellung und der eigenen Untersuchungen zu
dem Ergebnis gelangt, daß "mit einfacher Wahrscheinlichkeit - d.h. es spricht mehr
dafür als dagegen -" angenommen werden müsse, daß die
Netzhautveränderungen im Bereich der Stelle des schärfsten Sehens auf dem
rechten Auge keine Folge des Dienstunfalles vom 15.7.1970 sind, so ist diese
Beurteilung nach Auffassung des Senats schlüssig und überzeugend, so daß eine
erneute Begutachtung nicht geboten ist.
Hierzu besteht auch im Hinblick auf das von der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte eingeholte Gutachten vom 18.1.1979 und die vom Kläger vorgelegte
ärztliche Bescheinigung vom 16.4.1987 keine Veranlassung. In der "Epikritischen
Würdigung" seines Gutachtens vom 18.1.1979 bezeichnet der Gutachter Dr. G.,
Gießen, den Gesichtsfelddefekt des rechten Auges ausdrücklich als ungeklärt. Ein
Zusammenhang zwischen der Verätzung und dem damaligen Befund erscheint
ihm sogar sehr fraglich. Die augenärztliche Bescheinigung vom 16.4.1987 besagt
lediglich, daß bei dem Kläger auf beiden Augen ein Zustand nach
Schwefelsäureverätzung besteht. Über einen Kausalzusammenhang zwischen der
Erkrankung des rechten Auges und dem Dienstunfall im Jahre 1970 trifft sie keine
Feststellungen. Die Bescheinigung ist im übrigen von Dr. G,. ausgestellt, der für die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte das Gutachten vom 18.1.1979
erstellte, indem er einen Kausalzusammenhang ausdrücklich als sehr fraglich
bezeichnet hatte.
41
42
43
44
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der
Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es hierfür an den gesetzlichen
Voraussetzungen fehlt (§ 127 BRRG, § 183 HBG und
§ 132 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.