Urteil des HessVGH vom 07.04.1994

VGH Kassel: unterricht, bevorzugung, begriff, organisation, beamtenrecht, schule, zukunft, zugang, persönlichkeit, zusammenarbeit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 470/94
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 2 GG, Art 3 Abs 3
GG, § 8 Abs 1 BG HE, Art
33 Abs 2 GG
(Beamtenrecht: fehlerhafte Auswahlentscheidung; keine
Bevorzugung allein unter dem Gesichtspunkt der
Frauenförderung nach BG HE § 8)
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem
Antragsgegner im Ergebnis zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung
vorläufig untersagt. die Beigeladene vor Abschluß eines erneut durchzuführenden
Auswahlverfahrens dem Antragsteller bei der Besetzung der Stelle eines
Fachlehrers für arbeitstechnische Fächer als Koordinator für Fachpraxis an
beruflichen Schulen an der Beruflichen Schule des ...-Kreises in ... vorzuziehen.
Der Antragsgegner bat von der ihm durch Art. 33 Abs. 2 GG § 8 Abs. 1 HBG
eingeräumten Beurteilungsermächtigung fehlerhaft Gebrauch gemacht und
dadurch den Antragsteller in seinem grundrechtsgleichen Recht auf (chancen-)
gleichen Zugang zu dem angestrebten öffentlichen Amt nach Maßgabe der
Kriterien von Eignung. Befähigung und fachlicher Leistung verletzt, indem er die
Beigeladene im Verhältnis zum Antragsteller als im wesentlichen gleich geeignet
eingestuft und sodann unter dem Gesichtspunkt der Frauenförderung seine
Auswahlentscheidung dahingehend getroffen hat. die Beigeladene dem
Antragsteller bei der Besetzung der streitgegenständlichen Beförderungsstelle
vorzuziehen. Diese Auswahlentscheidung ist bereits deshalb fehlerhaft, weil der
Antragsgegner den anzuwendenden Begriff der "Eignung" des Antragstellers und
der Beigeladenen für die ausgeschriebene Stelle verkannt und zu Unrecht auf ein
Hilfskriterium zurückgegriffen hat. Mit Blick auf die erneut zu treffende
Auswahlentscheidung ist vorsorglich darauf hinzuweisen, daß nach Auffassung des
Senats der Antragsteller für die zu besetzende Stelle besser geeignet erscheint
als die Beigeladene.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 HBG ist die Auslese der Bewerber nach Eignung.
Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Der Begriff der "Eignung" stellt
das umfassendste Qualifikationsmerkmal dar. das die gesamte Persönlichkeit
eines Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfaßt und damit die
beiden anderen Merkmale der "Befähigung" und "fachlichen Leistung" bereits
umschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1975, BVerwGE 47, 330, 336;
Beschluß des Senats vom 15. März 1994 - 1 TG 3000/93 -). Gegenstand des
Eignungsurteils ist die Prognose darüber, ob und wie ein Bewerber die
Dienstaufgaben seiner Laufbahn mit Rücksicht auf seine bisherigen fachlichen
Leistungen und auf seine Eigenschaften, die seine gegenwärtige Befähigung
ausmachen, in Zukunft erfüllen wird. Ausgangspunkt für die Beurteilung der so
verstandenen "Eignung ist das Anforderungsprofil für die Funktionsstelle eines
Koordinators/einer Koordinatorin für Fachpraxis an beruflichen Schulen, das in § 34
der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und
sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 8. Juli 1993 (ABl. 1993,
691) wie folgt umschrieben wird:
Mitwirkung bei Aufgaben der Organisation und der Durchführung des
arbeitstechnischen Unterrichts, bei der Abstimmung des fachtheoretischen und
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arbeitstechnischen Unterrichts, bei der Abstimmung des fachtheoretischen und
arbeitstechnischen Unterrichts, bei der Vorbereitung und Durchführung
fachpraktischer Prüfungen, bei der Überwachung der Betriebsbereitschaft der im
arbeitstechnischen Unterricht verwendeten technischen Geräte und Einrichtungen,
bei der Beschaffung von Einrichtungen und Ausstattungen für den
arbeitstechnischen Unterricht, bei der Vorbereitung und Durchführung von
Fachkonferenzen, welche den arbeitstechnischen Unterricht betreffen, sowie bei
der Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben.
Dieses Anforderungsprofil hat der Antragsgegner bei seiner Auswahlentscheidung
nicht hinreichend beachtet. Im Rahmen der Besetzung von Stellen, für die
bestimmte besondere persönliche und fachliche Voraussetzungen gefordert
werden, hat der Dienstherr bei im wesentlichen gleicher Leistungsbeurteilung zu
prüfen, welcher Bewerber die im Anforderungsprofil umschriebenen
Eignungsmerkmale am besten erfüllt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 15. Februar
1985 - 1 TG 252/85 -, NJW 1985, 1103, 1104 sowie vom 29. Juli 1993 - 1 TG 888/93
-). Bei der ausgeschriebenen Stelle eines Fachlehrers/einer Fachlehrerin für
arbeitstechnische Fächer als Koordinator/Koordinatorin für Fachpraxis an
beruflichen Schulen an der Beruflichen Schule des ... in... handelt es sich, wie § 34
der Dienstordnung vom 8. Juli 1993 zeigt, um eine Funktionsstelle im
berufsschulischen Bereich, deren Schwerpunkt auf den Gebieten der Organisation
und Verwaltung liegt, und zwar erkennbar mit der Aufgabe, einen möglichst
effizienten arbeitstechnischen Unterricht in allen Fachbereichen unter
Berücksichtigung ihrer bereichsspezifischen Belange einschließlich der
Bereitstellung der erforderlichen Arbeitsmittel sowie insbesondere der Koordination
der Fachprüfungen zu gewährleisten. Deutlich ist ferner, dar diese
Aufgabenstellung neben organisatorischem Geschick in erster Linie praktische
Erfahrung in der Verwaltung sowie auch im Prüfungswesen erfordert.
In Verkennung dieses Anforderungsprofils hat der Antragsgegner in seinem
Auswahlvermerk vom 8. September 1993 ein "vergleichbares Leistungsbild" des
Antragstellers und der Beigeladenen angenommen und sich dabei ersichtlich nur
auf das Ergebnis des schulfachlichen Überprüfungsverfahrens vom 17. Februar
1993 gestützt. Darin liegt ein Beurteilungsfehler. Abgesehen davon, dar der
Antragsteller bei dem schulfachlichen Überprüfungsverfahren - wenn auch nur
geringfügig - besser abgeschnitten hat als die Beigeladene, hätte der
Antragsgegner bei der gebotenen Würdigung des gesamten für die persönliche
und fachliche Einschätzung der Bewerber bedeutsamen Inhalts der Personalakten
(vgl. dazu Beschluß des Senats vom 26. Oktober 1993 - 1 TG 1 585/93 - n.w.N.)
berücksichtigen müssen, dar der Antragsteller aufgrund seines bisherigen
Werdegangs und der dabei gezeigten Leistungen im Hinblick auf das spezifische
Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle in besonderem Male qualifiziert ist.
Ein Eignungsvorsprung des Antragstellers gegenüber der Beigeladenen ergibt sich
insbesondere daraus, dar der Antragsteller während seiner Tätigkeit als Fachlehrer
an den Beruflichen Schulen in ... seit 1973 maßgeblich an Einrichtung und Ausbau
des Fachbereichs für Ernährungsberufe mitgewirkt und insbesondere die
Ausbildung von Köchen einschließlich des dazugehörigen Prüfungswesens
organisiert und mitgetragen hat. Auch an der Planung, Gestaltung und Einrichtung
der entsprechenden Funktionsräume war der Antragsteller maßgeblich beteiligt
und hat sich, wie aus dem Würdigungsbericht vom 1. September 1993 hervorgeht,
dabei hervorragend bewährt.
Die Übereinstimmung dieser vom Antragsteller über seine Tätigkeit als Fachlehrer
hinaus geleisteten Organisations- und Verwaltungsarbeit mit zahlreichen
Merkmalen des in § 34 der Dienstordnung vom 8. Juli 1993 umschriebenen
Anforderungsprofils liegt auf der Hand und begründet bei im übrigen annähernd
gleicher Leistungsbeurteilung einen Eignungsvorsprung zugunsten des
Antragstellers, den die Beigeladene trotz ihrer entsprechend gewürdigten
Verdienste im fachpraktischen Unterricht und ihrer umfassenden Fortbildung nicht
auszugleichen vermag. Zu dem gleichen Ergebnis ist auch das Staatliche
Schulamt für den ...-Kreis in seinem Auswahlvorschlag vom 3. August 1993
gekommen.
Unter diesen Umständen ist es dem Antragsgegner verwehrt, auf Hilfskriterien wie
z.B. Gesichtspunkte der Frauenförderung zurückzugreifen. Hilfskriterien dürfen
grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn nach dem aktuellen Eignungs-
und Leistungsvergleich mehrere Bewerber für die zu besetzende Stelle als gleich
gut geeignet anzusehen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1988, BVerwGE
80, 123; Beschlüsse des Senats vom 18. Februar 1985 - 1 TG 252/85 - a.a.O. und
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80, 123; Beschlüsse des Senats vom 18. Februar 1985 - 1 TG 252/85 - a.a.O. und
vom 20. Juli 1993 - 1 TG 1904/93 -).
Da der Beschwerde aus den dargelegten Gründen der Erfolg zu versagen ist,
kommt es auf die vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt der angefochtenen
Entscheidung gestellte Frage, ob die Auswahlentscheidung auf das Kriterium des
Geschlechts gestützt werden durfte, für die Entscheidung im vorliegenden
Verfahren nicht mehr an. Der Senat weist allerdings aus gegebenem Anlaß darauf
hin, dar auch nach seiner Auffassung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs.
1 HBG eine Berücksichtigung des Geschlechts als Hilfskriterium bei gleicher
Eignung der Bewerber und Bewerberinnen zwingend ausgeschlossen ist, wie das
Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung unter Einschlug der aus Art. 3
Abs. 2 und 3 GG folgenden verfassungsrechtlichen Grundlagen ausgeführt hat (S.
6 f. des Entscheidungsabdrucks). An dieser eindeutigen Rechtslage hat sich durch
das Inkrafttreten des Hessischen Gesetzes über Gleichberechtigung von Frauen
und Männern und zum Abbau von Diskriminierungen von Frauen in der öffentlichen
Verwaltung (Hessisches Gleichberechtigungsgesetz - GleichstG HE -) vom 21.
Dezember 1993 (GVBl. I S. 729) nichts geändert. Vielmehr ist die Vorschrift über
Auswahlentscheidungen in § 10 Abs. 1 GleichstG HE durch die Bezugnahme auf
Eignung, Befähigung und fachliche Leistung schon in ihrem Wortlaut § 8 Abs. 1
HBG nachgebildet; auch die vom Gesetz geforderte Berücksichtigung von
Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Familienarbeit wird in § 10 Abs. 1 Satz 2
GleichstG HE ausdrücklich in den durch Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 HBG
vorgegebenen Rahmen gestellt. Auch die nach § 10 Abs. 6 Satz 1 GleichstG HE
gebotene Bevorzugung des Personenkreises, der aus familiären Gründen aus dem
öffentlichen Dienst ausgeschieden ist oder nach Ableistung eines
Vorbereitungsdienstes keinen Antrag auf Übernahme in den öffentlichen Dienst
stellen konnte, soll nach dem Wortlaut des Gesetzes nur unter Beachtung von § 8
HBG in Betracht kommen. Diesen Vorschriften des Hessischen
Gleichberechtigungsgesetzes lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen,
dar der Gesetzgeber abweichend von § 8 Abs. 1 HBG das Kriterium des
Geschlechts bei beamtenrechtlichen Auswahlentscheidungen berücksichtigt
wissen wollte.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.