Urteil des HessVGH vom 11.11.2004
VGH Kassel: afghanistan, gefahr, bundesamt, staat und kirche, regierung, ausländer, pakistan, wahrscheinlichkeit, leib, geheimdienst
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 UE 2759/01.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 53 Abs 6 AuslG 1990, §
54 AuslG 1990
(Abschiebungsschutz für afghanischen Paschtunen und
DVPA-Mitglied; ausländerrechtliche Erlasslage in Hessen)
Leitsatz
1. Für die Verfolgungsgefährdung ehemaliger afghanischer DVPA-Mitglieder sind auch
nach Entmachtung der Taliban im Prinzip noch die in der Rechtsprechung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs seit 1996 entwickelten Grundsätze heranzuziehen.
Danach besteht eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht schon wegen der
bloßen, einfachen Mitgliedschaft in DVPA, Geheimdienst, Militär oder sonstigen
Regierungsstellen; bedroht sind aber solche DVPA-Mitglieder oder
Regierungsmitarbeiter, die unter dem früheren kommunistischen Regime eine
ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser Tätigkeit deutlich und für einen
größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten sind und durch die Ausübung
ihrer Funktion - insbesondere im Militär und Geheimdienst - für die Tötung oder
Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnten.
Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind aber für eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens - oder Leibesgefährdung ehemaliger
DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere Anforderungen an deren herausragende
Stellung , an ihren überregionalen Bekanntheitsgrad und an ihre Teilnahme an gegen
Mudschaheddin gerichteten Aktivitäten zu stellen als unter der Herrschaft der Taliban.
2. Eine verfassungswidrige Schutzlücke, die eine verfassungskonforme Anwendung des
§ 53 Abs. 6 AuslG rechtfertigen könnte, besteht wegen des derzeitigen generellen
Abschiebungsstopps für Afghanistan nach der zur Zeit gültigen Hessischen Erlasslage
nicht.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel
vom 6. April 2000 - 3 E 536/00.A - abgeändert und die Klage in vollem Umfang
abgewiesen.
Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen;
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten des gesamten Verfahrens vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am ... in ... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger
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Der am ... in ... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger
paschtunischer Volkszugehörigkeit.
Nachdem seine am ... in ... geborene afghanische Ehefrau tadschikischer
Volkszugehörigkeit mit ihren am ... und am ... in Kabul geborenen Töchtern im Juli
1999 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war und einen - im September
1999 abgelehnten - Asylantrag gestellt hatte, reiste auch der Kläger am 2./3.
November 1999 hier ein und beantragte ebenfalls seine Anerkennung als
Asylberechtigter.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) machte er am 10. November 1999 nach
dem Protokoll u. a. folgende Angaben:
Er habe 1968 in der ehemaligen Sowjetunion in Baku das Studium der
Elektrotechnik erfolgreich abgeschlossen und danach zuerst in der Provinz und
dann in Kabul bei verschiedenen Ministerien als Elektroingenieur gearbeitet, und
zwar bis zum Sturz Nadschibullahs im Jahr 1992. Bis dahin sei er überzeugtes
Mitglied der "Demokratischen Volkspartei Afghanistans" (DVPA), aber trotzdem
nicht mit der russischen Invasion einverstanden gewesen. Danach sei ihm eine
geregelte Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich gewesen und er habe sich meistens
in den Städten Kabul, ... und ... aufgehalten, weil er diese für relativ sicher gehalten
habe. Seine Familie sei wohlhabend gewesen und habe in Kabul zwei
Geschäftsgebäude und ein an die irakische Botschaft vermietetes Haus sowie
noch 25 ha Land besessen; zudem habe er von seinen Ersparnissen aus seiner
Tätigkeit als Elektroingenieur gut leben können. Als die Taliban-Milizen an die
Macht gekommen seien, habe er auf eine positive Veränderung gehofft, sei aber
enttäuscht worden. Die Taliban habe mehr aus Pakistani als aus afghanischen
Staatsangehörigen bestanden. Etwa vor einem Jahr hätten ehemalige Mitglieder
der DVPA und einige intellektuelle Mudschaheddin bzw. Anhänger von Massud
beschlossen, der Taliban-Herrschaft ein Ende zu setzen. Deshalb hätte sich dieser
Personenkreis, zu dem auch er gehört habe, regelmäßig getroffen, manchmal
auch bei ihm zu Hause. Es seien Pläne gegen die Taliban geschmiedet und
Flugblätter verteilt worden. Am 8. Juli 1999 sei ein Mitglied seiner Gruppe von der
Taliban verhaftet worden. Ihm sei daraufhin von der Gruppe geraten worden, sich
in Sicherheit zu bringen, da er bei sich zu Hause eine Schreibmaschine und
Kopiergeräte aufbewahrt habe. Er habe sich in einen anderen Stadtteil von Kabul
begeben und sich dort im Haus eines Bruders versteckt. Am 13. Juli 1999 seien er
und seine Familie mit einem von Bekannten und Freunden zur Verfügung
gestellten Minibus auf Umwegen nach Jalalabad gefahren und hätten sich dort
etwa zehn Tage bei einem Freund außerhalb der Stadt aufgehalten. Danach habe
er von einem Bruder, der in Peshawar/Pakistan einen Fluchthelfer organisiert habe,
erfahren, dass die Reiseunterlagen fertiggestellt seien; sie seien dann dorthin
gefahren und er habe sich bis zur Ausreise seiner Ehefrau und der Kinder drei Tage
lang in Peshawar aufgehalten. Er sei am 28. Juli 1999 in ein kleines Dorf außerhalb
Jalalabads zurückgekehrt, wo er weitere zweieinhalb Monate geblieben sei. Am 27.
oder 28. Oktober 1999 sei er dann mit einem Auto von ... nach Peshawar/Pakistan
gefahren, sei nach drei Tagen nach Karachi geflogen und von dort am 1.
November 1999 mit dem Fluchthelfer Richtung Europa abgeflogen. Nach einem
Transit in einem ihm unbekannten arabischen Land sei er in den frühen
Morgenstunden des 2. November 1999 auf einem großen deutschen Flughafen
gelandet. Er habe noch zwei volljährige Söhne, die sich gegenwärtig in ...
aufhielten, eine weitere Tochter sei 1989 in die USA ausgewandert.
Bei einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von den Taliban-
Milizen getötet zu werden, mit den Mudschaheddin habe er nie Probleme gehabt.
Er habe sich den im Norden Afghanistans gegen die Taliban kämpfenden Gruppen
nicht angeschlossen, weil er nicht in dieses Kampfgebiet habe gehen wollen. Er
habe eigentlich gewollt, dass sich die Bevölkerung unbewaffnet gegen die Taliban
zur Wehr setze.
Nachdem die Asylklage seiner Ehefrau und der beiden Töchter mit Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Dezember 1999 - 2 E 3626/99.A -
abgewiesen und die Beklagte lediglich verpflichtet worden war, die
Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans wegen
einer extremen allgemeinen Gefahrenlage und insbesondere wegen ihrer
tadschikischen Volkszugehörigkeit festzustellen, weil Personen anderer Ethnien im
Taliban-Gebiet Gefahren für Leib oder Leben ausgesetzt seien, sofern sie nicht in
ein Stammes- oder Familiengefüge zurückkehren könnten, lehnte das Bundesamt
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ein Stammes- oder Familiengefüge zurückkehren könnten, lehnte das Bundesamt
den Asylantrag des Klägers und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 und des § 53 AuslG mit Bescheid vom 14. Februar 2000 ab.
Er habe weder einen Asylanspruch noch einen Anspruch auf Abschiebungsschutz
nach § 51 Abs. 1 AuslG. Afghanistan befinde sich immer noch im Bürgerkrieg und
es existiere weder ein Staat noch eine staatsähnliche Macht, so dass ihm nicht die
Gefahr politischer Verfolgung drohe; außerdem müsse davon ausgegangen
werden, dass er über einen sicheren Drittstaat auf dem Landweg eingereist sei.
Ihm sei auch nicht Abschiebeschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
Sein Verfolgungsschicksal sei "spektakulär in Szene" gesetzt, wenig
nachvollziehbar und wirke völlig konstruiert. Es sei realitätsfremd und wirke frei
erfunden. Auch die Kriegsgefahren und die allgemein schlechte Wirtschafts- und
Versorgungslage in Afghanistan rechtfertigten nicht die Feststellung eines
Abschiebungshindernisses. Nach der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs könne angesichts dieser Situation die Unzumutbarkeit
einer mit extremen Gefahren verbundenen Rückkehr nur dann festgestellt werden,
wenn es sich um eine Person handele, die bei einer Rückkehr mittellos und ohne
jeden Beistand durch Familie oder Stammesverband sei. Das sei hier jedoch nicht
der Fall. Für den Kläger ergäben sich schließlich auch keine außergewöhnlich hohen
Gefahren aus einer exilpolitischen Tätigkeit.
Auf seine am 28. Februar 2000 durch seine Bevollmächtigte erhobene Klage hat
das Verwaltungsgericht Kassel mit Urteil vom 6. April 2000 - 3 E 536/00.A - die
Beklagte unter entsprechender Aufhebung von Nr. 3 des Ablehnungsbescheides
zu der Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG
hinsichtlich Afghanistan verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Ein Asylanspruch oder ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG scheitere daran, dass derzeit in Afghanistan kein Staat existiere.
Dasselbe gelte für ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG.
Dem Kläger stehe aber ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in seiner Person hinsichtlich
Afghanistans bei verfassungskonformer Auslegung des Satzes 2 dieser Vorschrift
zu. Nach Auskunft des Hessischen Innenministeriums werde ein allgemeiner
Abschiebungsstopp nach Afghanistan von den Bundesländern auf absehbare Zeit
nicht getroffen werden. Den Berichten über die Lebenssituation der Bevölkerung in
Afghanistan sei zu entnehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr dorthin mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tod oder zumindest schwerste
Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen würden. Ohne
Anbindung an eine Familie, einen Stamm, eine insoweit leistungsfähige Person
oder an Grund und Boden habe schon bisher weder im Norden noch im Taliban-
Gebiet eine Überlebensmöglichkeit bestanden und diese Situation habe sich durch
die Umwälzungen des Jahres 1997 noch weiter verschlechtert. Das Gericht gehe
davon aus, dass nunmehr auch die Anbindung an Familie und/oder Grund und
Boden für Rückkehrer nach Afghanistan für ein Überleben nicht mehr ausreiche.
Das erkennende Gericht sei der Überzeugung, dass aufgrund der neuesten
Erkenntnisse die Einschätzung der Situation durch den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 26. Januar 1998 nicht mehr zutreffe. Es sei
nunmehr davon auszugehen, dass derzeit die Maßnahmen der Hilfsorganisationen
nicht ausreichten, Rückkehrer nach Afghanistan vor den Gefahren im Sinne von §
53 Abs. 6 AuslG zu bewahren.
Auf den Antrag der Beklagten, der u.a. damit begründet wurde, dass das
verwaltungsgerichtliche Urteil von der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes abweiche, wonach die Annahme einer akuten und
hochgradigen Gefahr für Leib und Leben eines afghanischen Rückkehrers vom
Fehlen familiären Beistands abhänge, hat der Senat mit Beschluss vom 15.
Oktober 2001 - 8 UZ 1701/00.A - die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. April 2000 zugelassen.
Der am 23. Oktober 2001 abgesandte Zulassungsbeschluss ist ausweislich der
zurückgesandten Empfangsbekenntnisse der Verfahrensbevollmächtigten des
Klägers am 24. und dem Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten am 25.
Oktober 2001 zugestellt worden; die Beklagte hat zunächst ein
Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt.
Mit am 26. November 2001 per Telefax eingegangenem Schriftsatz gleichen
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Mit am 26. November 2001 per Telefax eingegangenem Schriftsatz gleichen
Datums hat sie die zugelassene Berufung unter Bezugnahme auf ihren Schriftsatz
vom 4. Mai 2000 begründet und ein Empfangsbekenntnis über den Beschluss vom
15. Oktober 2001 ohne Eingangsstempel, aber mit den Bemerken eingereicht, das
genaue Eingangsdatum sei nicht feststellbar.
Im Verlauf des Verfahrens hat der Kläger zunächst im August 2002 eine eigene
Stellungnahme zur politischen Situation in Afghanistan, insbesondere hinsichtlich
der Mitglieder der DVPA, und eine Bescheinigung eines in Deutschland lebenden
Funktionärs dieser Partei eingereicht, für deren Inhalte auf die beglaubigten
Übersetzungen verwiesen wird.
Im April 2004 hat er nochmals eine ähnliche Übersetzung seiner persönlichen
Stellungnahme, der Bescheinigung des Funktionärs der DVPA und eine
Bestätigung des Rates der Afghanischen Flüchtlinge e. V. vom 22. März 2004
eingereicht; auch insoweit wird auf die in der Streitakte befindlichen Unterlagen
Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens
wird auf den Inhalt der vorliegenden und der Streitakte des Verwaltungsgerichts
Gießen - 2 E 3626/99.A - und auf die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge
einschließlich der den Kläger betreffenden Ausländerakte des Landkreises B-Stadt
verwiesen.
Wegen der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen wird auf das Schreiben
des Berichterstatters an die Beteiligten vom 25. Oktober 2004 Bezug genommen,
wegen des Ergebnisses der informatorischen Befragung des Klägers durch den
Senat auf die Verhandlungsniederschrift vom 11. November 2004.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Die Beklagte hat mit ihrem am 26. November 2001 beim Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs eingegangenen Telefax die auch in Rechtsstreitigkeiten
nach dem Asylverfahrensgesetz geltende Berufungsbegründungspflicht des § 124
a Abs. 3 VwGO a. F. (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 15. Januar 1998 - 6 UE 2729/97. A
- AuAS 1998 S. 93 f. = juris; BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 C 6/98 - NVwZ
1998 S. 1311 ff. = juris) rechtzeitig und hinreichend erfüllt.
Nach dem damals anzuwendenden Verfahrensrecht ist der Zulassungsbeschluss
des Senats vom 15. Oktober 2001 der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden,
weil das von ihr erst mit dem Telefax vom 26. November 2001 zurückgesandte
Empfangsbekenntnis keinen Eingangsstempel enthielt und das genaue
Eingangsdatum deshalb nicht feststellbar, die Zustellung also nicht
ordnungsgemäß erfolgt (vgl. Bay. ObLG, Beschluss vom 30. September 1997 - 2
ZBR 24/97 - juris) und gemäß § 9 Abs. 2 VwZG a. F. i.V.m. § 56 Abs. 2 VwGO a. F.
auch nicht geheilt worden ist. Nach letzterer Vorschrift war eine Heilung von
Zustellungsmängeln ausgeschlossen, wenn mit der Zustellung einer Frist für die
Erhebung der Klage, eine Berufungs- ,Revisions- oder
Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt, was hier der Fall gewesen wäre. Mangels
wirksamer Zustellung ist deshalb eine Berufungsbegründungsfrist nicht in Lauf
gesetzt worden.
Die in dem Telefax vom 26. November 2001 enthaltene bloße Bezugnahme auf
den Zulassungsantragsschriftsatz der Beklagten vom 4. Mai 2000 genügte auch
inhaltlich dem Begründungserfordernis des § 124 a Abs. 3 VwGO a. F.. Das ist nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Fall, wenn die
Bezugnahme - wie hier - in einem gesonderten Schriftsatz nach Zulassung der
Berufung erfolgt, dadurch eindeutig zu erkennen ist, dass der Berufungsführer
nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens erstrebt und durch den
Verweis auf die erfolgreiche Begründung des Zulassungsantrags hinreichend zum
Ausdruck gebracht wird, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil weiterhin
angefochten wird, weil dadurch zu einer entscheidungserheblichen Frage die von
der Vorinstanz abweichende Beurteilung der Berufungsbegründung deutlich wird
und damit letztlich das Vorbringen im Zulassungsverfahren den Anforderungen an
eine Berufungsbegründung genügt (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998
a.a.O. und Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 1 B 33.03 - DVBl. 2004 S. 125 f.).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsantragsschreiben des Bundesamtes
vom 4. Mai 2000, das auch schon einen Berufungsantrag enthielt, auf Grund
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vom 4. Mai 2000, das auch schon einen Berufungsantrag enthielt, auf Grund
seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gerecht.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, denn die Klage ist unter
Abänderung des teilstattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6.
April 2000 auch insoweit abzuweisen, als der Kläger die Verpflichtung der
Beklagten begehrt, für ihn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines
Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich
Afghanistans festzustellen.
Da das Hauptbegehren auf Asylgewährung gemäß Art. 16 a GG und/oder auf
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, das Hilfsbegehren auf Aufhebung der
negativen Feststellung zu § 53 AuslG und zugleich teilweise Aufhebung der
Abschiebungsandrohung wegen des Bestehens von Abschiebungshindernissen
nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG in Bezug auf das Abschiebezielland und das weitere
Hilfsbegehren jedenfalls auf die Verpflichtung des Bundesamtes, die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen,
entweder eigenständige Streitgegenstände oder jedenfalls rechtlich abtrennbare
Streitgegenstandsteile in einem bestimmten Rangverhältnis darstellen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 - InfAuslR 1997 S. 420 ff. = juris) und
das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil das Haupt- und erste
Hilfsbegehren des Klägers rechtskräftig abgewiesen hat, ist Streitgegenstand des
vorliegenden Berufungsverfahrens nur noch der vom Verwaltungsgericht
zugesprochene Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen
des § 53 Abs. 6Satz 1 AuslG in Bezug auf den Kläger und Afghanistan.
Da gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für diese Verpflichtungsklage (vgl. BVerwG, Urteil
vom 29. März 1996 - 9 C 116/95 - DVBl. 1996 S. 1257 = juris) auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, ist §
53 Abs. 6 AuslG in der derzeit noch gültigen Fassung anzuwenden, denn § 60 Abs.
7 des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004
(BGBl. S. 1950 <1972>) tritt nach dessen Art. 15 Abs. 3 erst am 1. Januar 2005 in
Kraft.
Eine Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der tatbestandlichen
Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses ergibt sich zunächst nicht in
unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Dem Kläger droht nach
der gegenwärtigen Sachlage im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit und landesweit eine konkrete, d.h.
einzelfallbezogen und individuell auf seine Person zielende erhebliche Gefahr für
Leib, Leben oder Freiheit.
Dabei sind auch Gefahren zu berücksichtigen, die der Schutzsuchende bereits
ohne Erfolg in einem Asylverfahren vorgebracht hat, die Gefahr muss auch nicht
vom Staat oder von einer staatsähnlichen Macht ausgehen oder diesem(r)
zurechenbar sein. Da der Gefahrbegriff des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht das sich
aus dem besonderen humanitären Charakter des Asylrechts ergebende Element
der Zumutbarkeit der Rückkehr enthält, hat eine eventuelle Vorverfolgung für den
anzulegenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer
individuell erheblichen Gefährdungssituation aber auch keine herabstufende
Wirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 - NVwZ 1996 S. 199
ff. = juris).
Die vom Kläger dargelegte Mitgliedschaft in der kommunistischen DVPA, sein
Studium in der ehemaligen Sowjetunion, seine beruflichen und ehrenamtlichen
Tätigkeiten unter der kommunistischen Regierung Afghanistans, seine
paschtunische Volkszugehörigkeit und/oder sonstige besondere persönliche
Umstände, wie etwa auch seine Betätigung in exilpolitischen Gruppierungen,
begründen für ihn keine über die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan
hinausgehende und davon unabhängige individuelle Gefahr im Sinne dieser
Vorschrift.
Die von ihm als Ausreisegrund geschilderten und vom Bundesamt im
Ablehnungsbescheid vom 14. Februar 2000 als "völlig konstruiert" bezeichneten
konkreten Geschehnisse um die Flugblattverteilung im Jahre 1999 können
unberücksichtigt bleiben, weil eine Vorverfolgung den Maßstab nicht herabstufen
würde und sich die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan
zumindest insoweit verändert haben, dass eine landesweite Verfolgung durch die
Taliban nicht mehr beachtlich wahrscheinlich ist.
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Für die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder sind nach
Einschätzung des Senats auch für die Zeit nach der Entmachtung der Taliban bis
heute im Prinzip noch die in der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs seit 1996 entwickelten Grundsätze heranzuziehen.
Danach besteht in den einzelnen regionalen Herrschaftsbereichen, die sich in
Afghanistan nach dem Sturz der kommunistischen Regierung herausgebildet
hatten und nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft wieder herausgebildet haben,
eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht schon wegen der bloßen,
einfachen Mitgliedschaft in der DVPA oder wegen einer untergeordneten Stellung
in Geheimdienst, Militär oder sonstigen Regierungsstellen. Da die regionalen
Machtzentren aber weiterhin in erheblichem Umfang auch mit ehemaligen
Mudschaheddin-Kommandanten und -Kämpfern bzw. mit Personen besetzt sind,
die auf Grund ihrer streng islamischen Ausrichtung jedes ehemalige Mitglied der
DVPA als potentiellen Feind betrachten und nicht davor zurückscheuen, gegen
solche Personen Verfolgungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn gegen sie - aus Sicht
der potentiellen Verfolger - über die bloße Parteimitgliedschaft hinaus
schwerwiegende Beschuldigungen zu erheben sind, sind seit dem Sturz des
kommunistischen Regimes auch unter den Bedingungen seit 1996 solche früheren
Angehörigen der DVPA und sonstige Mitarbeiter der früheren kommunistischen
Regierung in erheblichem Maße von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die unter
dem früheren Regime eine ranghohe Stellung eingenommen hatten, in dieser
Tätigkeit deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen
getreten sind und durch die Ausübung ihrer Funktion - insbesondere im Militär und
im früheren Geheimdienst Khad - für die Tötung oder Verfolgung von
Mudschaheddin verantwortlich gemacht werden könnten (vgl. Hess. VGH, Urteile
vom 8. Juli 1996 - 13 UE 962/96.A -, vom 26. Januar 1998 - 13 UE 2978/96.A - und
vom 16. November 1998 - 9 UE 3908/96.A - jeweils juris). Angesichts des
inzwischen weiteren zeitlichen Abstands zum Ende der kommunistischen
Herrschaft im April 1992, der Entmachtung der übersteigert extrem-
fundamentalis-tischen Taliban Ende 2001, der Einmischung des Auslands mit der
Präsenz der ISAF-Truppen und der amerikanischen Streitkräfte mit ihren
Verbündeten in Kabul und vornehmlich in den süd/süd-östlichen Gebieten
Afghanistans sowie der internationalen Hilfeleistung und Beobachtung sind aber
für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Lebens- oder
Leibesgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder tendenziell eher höhere
Anforderungen an deren herausragende Stellung, an ihren überregionalen
Bekanntheitsgrad und an ihre Teilnahme an gegen Mudschaheddin gerichteten
Aktivitäten, die ihnen zum Vorwurf gemacht werden könnten, zu stellen als unter
der Herrschaft der Taliban.
Diese Einschätzung beruht auf der Bewertung der gesellschaftlichen und
politischen Verhältnisse und Entwicklungen Afghanistans, wie sie der Senat aus
den in den zitierten Urteilen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
herangezogenen und aus den Erkenntnismitteln herleitet, die den Beteiligten des
vorliegenden Verfahrens mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Oktober 2004
ergänzend benannt worden sind; daraus ergibt sich im Wesentlichen folgendes
Bild:
Das zentralasiatische Hochgebirgsland Afghanistan mit einer etwa doppelt so
großen Fläche wie die BRD und mit mehr als 20 Mio. Einwohnern ist ein
Vielvölkerstaat. Die Bevölkerungsmehrheit stellen die Paschtunen (ca. 45 - 50 %),
die in zahlreiche Stämme zerfallen, dann folgen die Tadschiken (ca. 25 - 30 %), die
Hazaras (ca. 20 %), die im Gegensatz zur sunnitischen Mehrheit Schiiten wie die
Perser sind, die Usbeken (ca. 6 %) und u.a. noch die Nuristani und Belutschen. Die
angestammten Siedlungsgebiete der Paschtunen liegen schwerpunktmäßig im
Süden und Südosten Afghanistans mit den großen Städten Kandahar, Ghazni und
Jalalabad und überschreiten die Grenze zu Pakistan, wo die Paschtunen die Nord-
West-Grenzprovinz bewohnen. Die Tadschiken leben hauptsächlich in den
städtischen Zentren, im Umland von Herat und Kabul sowie im Nordosten,
während die Usbeken in den Ebenen Nordafghanistans mit den großen Städten
Mazar-e-Sharif und Kundus und die Hazaras im zentralen Bergland siedeln
(G/Geschichte 5/89 "Afghanistan" S. 19).
Der Charakter dieser Volksstämme, insbesondere aber der mehrheitlich-
dominierenden Paschtunen, wird dahin beschrieben, dass sie ein unter asiatischen
Völkern einzigartiger, ausgeprägter Drang nach individueller Freiheit gegenüber
fremder und eigener obrigkeitlicher Herrschaft bei gleichzeitiger absoluter Loyalität
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fremder und eigener obrigkeitlicher Herrschaft bei gleichzeitiger absoluter Loyalität
zu ihren Stammesführern auszeichnet, so dass sich ein afghanisches
Nationalgefühl nie entwickelt habe und eine Zentralgewalt immer schon von
wackeliger Natur gewesen sei; zur Stammesstruktur gehörten auch stets
Blutrache und Sippenhaft (vgl. u.a. Gutachten Dr. Mostafa Danesch, ein aus dem
Iran stammender Autor und Journalist, an Sächs. OVG vom 24. Juli 2004;
Deutsches Orient-Institut an Sächs. OVG vom 23. September 2004 und
G/Geschichte 5/89 S. 48). Die afghanischen Stämme wurden schon in "Meyers
Konservationslexikon" von 1895 kollektiv als "geborene Krieger, unerschrocken und
mutig im Angriff, verräterisch, treulos und unersättlich in ihrer Rache" beschrieben
(vgl. Berg, das Erbe der Großmoguln, 1988, S. 86).
Nachdem das afghanische "Durchzugsgebiet" zwischen Persien, Indien und China
jahrhundertelang Schauplatz von Eroberungszügen gewesen war (u.a. 330 v. Chr.
Alexander der Große, ab 652 n. Chr. Abasiden/Islamisierung, 1220 Dschingis Khan,
1370 Timur Lenk und ab 1526 die Großmoguln), gründete der paschtunische
Stammesführer Ahmed Schah Durrani 1747 ein Königreich, das die Dynastie der
Durrani zwischen Russland im Norden und den Briten als Kolonialmacht Indiens im
Süden nach britischer Besetzung 1919 in die Unabhängigkeit führte. Der damalige,
westlich orientierte König Amanullah brachte mit seiner Reformpolitik (u.a.
allgemeine Schulpflicht, Frauenemanzipation, Trennung von Staat und Kirche)
Stammesführer und islamische Geistlichkeit gegen sich auf und wurde 1929
gestürzt. Ab 1933 übernahm der stärker nach Russland orientierte König Zahir
Schah die Regierung, die er 1953 an seinen Vetter, Prinz Mohamed Daud,
übergab. Dieser stärkte die Zentralgewalt, leitete die Modernisierung des Landes
und soziale Reformen ein, unterdrückte Demokratiebestrebungen und betrieb eine
Neutralitätspolitik zwischen den Supermächten USA und UdSSR. Nachdem er
wegen des Dauerkonflikts mit Pakistan um ein unabhängiges "Paschtunistan" im
Gebiet der teilautonomen pakistanischen Nord-West-Grenzprovinz westlichen
Militärpakten nicht beigetreten war, näherte er sich weiter der UdSSR an, die dann
u.a. die afghanische Armee ausbildete und ausrüsteten sowie in Afghanistan
Verbindungsstraßen baute. Auf den Widerstand der unterdrückten Opposition und
konservativer Kreise hin berief ihn der König 1963 ab und ernannte in der Folge
sechs bürgerliche Ministerpräsidenten. Nach den ersten Parlamentswahlen 1965
kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen traditionell-
islamischen Kräften und progressiv-kommunistischen Gruppierungen. Im Juli 1973
übernahm Mohamed Daud in einem unblutigen Staatsstreich mit Unterstützung
pro-sowjetischer Armeeangehöriger und kommunistischer Gruppierungen wieder
die Macht (der abwesende König verblieb bis April 2002 im italienischen Exil),
verkündete die Republik und führte zunächst seine frühere Politik der Blockfreiheit
und inneren Reformen fort, löste sich dann aber auf den Druck konservativ-
islamischer Kreise von den kommunistischen Gruppen und versuchte, den
sowjetischen Einfluss zurückzudrängen.
Am 27. April 1978 kam es in einem blutigen Staatsstreich zur kommunistischen
Machtübernahme durch die bis dahin oppositionelle, pro-sowjetische DVPA, die in
einen paschtunisch dominierten Khalq-Flügel und einen tadschikisch dominierten
Parcham-Flügel gespalten war. Ministerpräsident wurde Nur Mohamed Taraki, der
Gründer der Khalq-Partei, mit den Stellvertretern Babrak Karmal, dem Führer des
Parcham-Flügels, und Hafizullah Amin. Afghanistan wurde "Volksrepublik" mit
Einheitspartei, Revolutionsrat und Zentralkomitee. Der auch gegen die
Reformvorhaben (u.a. Bodenreform, Frauenemanzipation, Modernisierung des
Erziehungswesens) sehr schnell - insbesondere von Stammesführern und Mullahs
- entfachte bewaffnete Widerstand durch Mudschaheddin-Gruppen wurde
gewaltsam bekämpft. Auf Grund eines Machtkampfes innerhalb der DVPA
übernahm Hafizullah Amin im September 1979 das Amt des Ministerpräsidenten,
wobei Nur Mohamed Taraki umgebracht wurde.
Am 27. Dezember 1979 erfolgte die Invasion sowjetischer Truppen, Amin wurde
hingerichtet und der 1978 entmachtete Babrak Karmal als neuer Regierungschef
eingesetzt. Der bewaffnete Widerstand wurde nun zu einem mit pakistanischer und
amerikanischer Hilfe geführten Freiheitskampf der Mudschaheddin, die sich in
unterschiedlichste Kampfgruppen aufteilten. Zu ihnen gehörten insbesondere
radikal-fundamentalistisch bzw. traditionalistisch orientierte Islamisten, wie etwa
die radikale Hezb-e-Islami unter dem paschtunischen Kommandanten Hekmatyar
und die Islamische Partei unter Yunos Khalis, die pro-westliche Nationale
Islamische Front unter Sayred Ahmed Geilani aus Jalalabad, die islamische
Befreiungsallianz unter Abdulrab Sayyaf und die Jamiat-e-Islami unter den
tadschikischen Führern Rabbani und Ahmed Schah Massud. Im Verlauf der
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tadschikischen Führern Rabbani und Ahmed Schah Massud. Im Verlauf der
nachfolgenden Auseinandersetzungen flohen etwa 3,1 Mio. Afghanen nach
Pakistan und 2,35 Mio. in den Iran.
Im Zuge der politischen Veränderungen in der UdSSR nach Amtsantritt von
Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU wurde Babrak Karmal 1986/87 zum
Rücktritt gezwungen und durch den früheren Leiter des Geheimdienstes Khad und
trotz seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit dem Parcham-Flügel der DVPA
angehörenden Mohammed Nadschibullah ersetzt. Nachdem sein Versuch einer
"Nationalen Versöhnung" am Boykott der Widerstandsgruppen gescheitert war,
wurden die sowjetischen Truppen auf Grund einer im April 1988 in Genf unter
Beteiligung der USA geschlossenen Friedensvereinbarung bis zum 15. Februar
1989 endgültig abgezogen.
Die verbliebene pro-sowjetische Kabuler Regierung Nadschibullahs verfügte durch
kommunistisch erzogene Kader in der Armee, der Polizei, dem Geheimdienst Khad
und der Beamtenschaft über ein zentralgesteuertes Machtpotential und konnte
sich zunächst gegen die uneinigen Mudschaheddin behaupten, die einen
Rachefeldzug, eine gewaltsame Eroberung Kabuls und eine blutige Abrechnung mit
den kommunistischen Machthabern angedroht hatten (vgl. Berg a.a.O. S. 302).
Erst nachdem der Usbeken-General Rashid Dostum der kommunistischen
Regierung seine Unterstützung entzogen, die Nordprovinzen unter seine Kontrolle
gebracht und sich mit der Jamiat-e-Islami von Rabbani und Massud verbündet
hatte, rückten die Verbände aller Mudschaheddin-Gruppen im April 1992 in Kabul
ein, setzten Nadschibullah ab und ersetzten ihn durch einen Rat der - inzwischen in
"Watan" (Vaterland) umbenannten - DVPA, der mit ihnen über eine friedliche
Machtübergabe verhandelte; es wurde eine Übergangsregierung unter
Mudschadidi, dem Führer der "Nationalen Befreiungsfront", gebildet.
Unmittelbar nach dem Einmarsch begannen heftige Kämpfe zwischen den
Mudschaheddin-Gruppen von Rabbani/Massud und Hekmatyar, der in die
Außenbezirke Kabuls zurückgedrängt wurde. Vereinbarungsgemäß übernahm
Rabbani im Juni 1992 das Amt des Übergangspräsidenten; im Dezember 1992
wurde er zum Staatspräsidenten gewählt. In der Folge kam es mehrfach zu
Einigungsversuchen und erneuten Feindseligkeiten und es bildeten sich Einfluss-
und Machtbereiche verschiedener Mudschaheddin-Gruppen heraus.
1994 traten die Taliban, aus ehemaligen Koranschülern in pakistanischen
Flüchtlingslagern rekrutierte, von Pakistan/Saudi-Arabien und den USA sowie
pakistanischen und arabischen Kämpfern unterstützte sunnitisch-
fundamentalistische Mudschaheddin-Gruppierungen paschtunischer Herkunft, in
den Bürgerkrieg ein und eroberten im Oktober 1994 den Süden und Kandahar und
- nachdem sie sich vor Kabul festgesetzt hatten - im September 1995 Herat im
Westen Afghanistans, so dass etwa die Hälfte des afghanischen Territoriums ihrer
rigoros-fundamentalistischen Herrschaft unterlag. Die bis dahin entstandenen
Macht- und Einflusszonen der einzelnen Gruppierungen gerieten mit einer neuen
Offensive der Taliban ins Wanken, die im September 1996 erst die östlichen
Provinzen mit Jalalabad und dann die Hauptstadt Kabul einnahmen, dort
Nadschibullah und seinen Bruder hinrichteten und nach Norden vordrangen. In den
beiden nachfolgenden Jahren kam es zu Offensiven der Taliban Richtung Norden
und zu Gegenoffensiven der nach Nordosten, insbesondere ins Pandschir-Tal
zurückgewichenen Streitkräfte Massuds; nachdem Mazar-e-Sharif von den Taliban
im Mai 1997 kurzfristig und im August 1998 endgültig erobert worden und General
Dostum in die Türkei geflüchtet war, beherrschten die Taliban Ende 1998 ca. 80 %
Afghanistans und war allein Massud als Führer der gegen die Taliban kämpfenden
Nordallianz verblieben.
Nachdem die Taliban Osama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al-Qaida
unterstützten und die USA, Pakistan und Saudi Arabien ihnen gegenüber schon ab
1998 eine eher zurückhaltende Position eingenommen hatten, fiel am 9.
September 2001 Ahmed Schah Massud einem - den Taliban zugeschriebenen -
Bombenattentat zum Opfer und fanden am 11. September 2001 die der Al-Qaida
zugeschriebenen Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das
Pentagon in Washington statt. Dies veranlasste die USA zum Eingreifen. Im
Flankenschutz der im Oktober 2001 begonnenen amerikanisch/britischen
Luftangriffe machte die Nordallianz rasche Geländegewinne und eroberte im
November 2001 Mazar-e-Sharif, Herat, Kabul und Anfang Dezember 2001
Kandahar als die letzte Hochburg der Taliban; diese zogen sich zum Teil in die
gebirgige süd-östliche Grenzregion zu Pakistan zurück, wo sie bis heute
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gebirgige süd-östliche Grenzregion zu Pakistan zurück, wo sie bis heute
amerikanischen und anderen westlichen Sondereinheiten Widerstand leisten,
Anschläge verüben und in jüngster Zeit wieder Geländegewinne verzeichnen.
In der Afghanistan-Konferenz der UN auf dem Petersberg bei Bonn wurde im
Dezember 2001 eine 29-köpfige Interimsregierung für sechs Monate unter dem
Vorsitz des Paschtunen Hamid Karsai gebildet, in der alle großen ethnischen
Gruppen vertreten sind und der u.a. folgende Minister angehör(t)en: Dr. Abdullah
Abdullah/Außen, Yunus Kanuni/Inneres und Mohamed Fahim /Verteidigung, drei
Tadschiken aus dem Pandschir-Tal und ehemalige Kommandanten unter Massud,
und Usbeken-General Dostum als stellvertretender Verteidigungsminister. Die
schlechte Sicherheitslage in Kabul und Umgebung sollte durch Entsendung einer
UN-Friedenstruppe (ISAF) verbessert werden, in den Provinzen hängt die
Sicherheit von den jeweiligen lokalen "warlords" ab. Zwischen diesen kam und
kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen und es fanden
inzwischen auch mehrere Mordattentate statt; so wurde u.a. im Juli 2002 der von
Karsai als Vizepräsident in die Regierung geholte paschtunische Gouverneur der
Provinz Nangarhar aus Jalalabad, Abdul Kadir, ermordet. Im Juni 2002 fand nach
vorherigen präventiven Verhaftungen von Islamisten eine "Emergency Loya Jirga"
statt, in der Karsai zum Präsidenten gewählt und eine Übergangsregierung und ein
Übergangsparlament eingesetzt wurden. Im Januar 2004 wurde von einer erneuten
Versammlung eine Verfassung verabschiedet. Die für den Sommer vorgesehenen
Präsidentschaftswahlen haben erst am 9. Oktober 2004 - allerdings ohne die
angedrohten Anschläge der Taliban - stattgefunden (Karsai wurde zum
Präsidenten gewählt).
Nach den aktuell verfügbaren Erkenntnismitteln hat sich auch nach dem Sturz der
Taliban Ende 2001 und der nachfolgenden Einsetzung der Übergangsregierung
Karsai die Verfolgungsgefährdung ehemaliger DVPA-Mitglieder angesichts der
Schwäche der Zentralregierung, der nach wie vor bestehenden ethnischen und
politischen Spannungen und Auseinandersetzungen und der Dominanz regionaler
und lokaler Machthaber nicht grundlegend verbessert, so dass die in der
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs während der Taliban-
Herrschaft entwickelten Maßstäbe grundsätzlich - wenn auch mit den oben
gemachten Einschränkungen - ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Die Situation stellt sich danach zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Wesentlichen wie
folgt dar:
Das Auswärtige Amt (AA) führt in seinem Lagebericht vom 23. April 2004 (Stand:
März 2004) u.a. aus, die Übergangsregierung bestehe aus teils stark miteinander
rivalisierenden Fraktionen. Es fehle an funktionierenden Verwaltungsstrukturen,
einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen und an Einigkeit über die
Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Der praktisch landesweit
bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen sei noch nicht
überwunden, was etwa an der Vielzahl meist unbekannt bleibender
Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich
besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen sichtbar werde. Eine
Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen sei
praktisch nicht möglich. Eine funktionierende Polizei existiere derzeit noch nicht,
der Aufbau der Nationalarmee komme voran.
Die Sicherheitslage habe sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin
landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Im Raum
Kabul bleibe sie weiter fragil, auch wenn sie auf Grund der ISAF-Präsenz im
regionalen Vergleich zufriedenstellend sei. Es komme aber immer wieder zu
Granatenbeschuss und teilweise zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften;
so sei es auch zu mehreren - teilweise missglückten - Mordanschlägen
gekommen. Die Anti-Terror-Koalition bekämpfe die radikal-islamistischen Kräfte
vor allem im Osten, Südosten und Süden mit über 11.000 Mann. Diese Kräfte
sickerten aus dem pakistanischen Paschtunengürtel ein, auch Kräfte des
Milizenführers Hekmatyar seien wieder verstärkt aktiv und es häuften sich in
süd/östlichen Provinzen terroristische Anschläge. In den verschiedenen Teilen des
Landes hielten Kämpfe zwischen militärischen und politischen Rivalen weiter an.
Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte gehe von lokalen
Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung habe auf viele dieser
Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie könne diese Täter weder
kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des
desolaten Verwaltungs- und Rechtswesens blieben darüber hinaus
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desolaten Verwaltungs- und Rechtswesens blieben darüber hinaus
Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktion.
Zur Verfolgungsgefährdung ehemaliger Kommunisten ist in dem Lagebericht
wörtlich ausgeführt:
"Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Übergangsregierung
unter Präsident Karsai ehemalige Kommunisten verfolgt. Eine Gefährdung - auch
an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der Demokratischen
Volkspartei Afghanistans (Parcham- wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs
und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen
Zeit durch Teile der Bevölkerung kann allerdings als mögliche Reaktion auf frühere
Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. Es bestehen Hinweise
darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder in eigener Verantwortung Verfolgung,
Repression und auch Tötung ehemaliger Feinde gut heißen. Private Racheakte
gegen hochrangige ehemalige Repräsentanten des kommunistischen Systems
können nicht ausgeschlossen werden. Einige ehemalige Kommunisten, die sich zur
Zeit in Kabul aufhalten, können dies nur deshalb gefahrlos tun, weil sie über
entsprechende Netzwerke und Kontakte verfügen. Ohne diese Absicherung wäre
der gefahrlose Aufenthalt in der Hauptstadt undenkbar. Die Zentralregierung
verfügt nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem
Maße zu schützen. Der Einfluss der Zentralregierung ist insbesondere in den
Provinzen begrenzt, bzw. praktisch nicht vorhanden."
Dr. Danesch hat in seinem dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht erteilten
Gutachten vom 24. Juli 2004 u.a. ausgeführt, das Kabinett Karsai zerfalle in
ethnische Fraktionen und sei nach militärischen und machtpolitischen
Gegebenheiten zusammengesetzt, es gebe auch "graue Eminenzen", wie Rabbani
oder den extremen Fundamentalistenführer Sayyaf. Man könne von einem
Gewaltmonopol des Präsidenten durch die ISAF und US-Soldaten allenfalls in Kabul
und Umgebung sprechen, in den verschiedenen Landesteilen herrschten aber
ehemalige Mudschaheddin-Führer als lokale Kriegsfürsten und Kommandanten.
Diese seien teilweise offiziell von Karsai eingesetzt, ließen sich von der
Zentralregierung aber keine Vorschriften machen. In ganz Afghanistan bestehe
letztlich ein Gewaltmonopol derjenigen fundamentalistisch-islamischen Kräfte,
teilweise sogar derselben Personen, die 1992 Präsident Nadschibullah gestürzt
hätten und für die nachfolgende Verfolgung ehemaliger Kommunisten
verantwortlich gewesen seien. Der damalige erste Präsident und heute wieder
einflussreiche Mudschadidi erkläre seine Amnestie von 1992 für bedeutungslos
und rufe zur Fortsetzung des Heiligen Krieges gegen die alten Kommunisten auf.
Seine Recherchen über den Kläger jenes Verfahrens hätten ergeben, dass dieser
ein hochrangiges und altgedientes Mitglied der DVPA, 1975 innerhalb einer kleinen
Elite in heftigen Auseinandersetzungen mit späteren Mudschaheddin-Führern, wie
Hektmatyar, Massud und Sayyaf, verstrickt gewesen sei und nach der DVPA-
Machtergreifung 1978 mit dem Geheimdienst Khad zusammengearbeitet habe.
Als "eingefleischter Kommunist" und "Gottloser" begebe er sich bei einer Rückkehr
nach Afghanistan in größte Gefahr für Leib und Leben.
Das Deutsche Orient-Institut hat zum gleichen Fall unter dem 23. September 2004
in Übereinstimmung mit Dr. Danesch ein Gewaltmonopol der Übergangsregierung
allenfalls im Großraum Kabul i.S. eines durch die internationalen Truppen
geschaffenen künstlichen Schutzraumes bejaht; im Übrigen regierten wie seit
Jahrhunderten lokale Potentaten in den Regionen des Landes. Der Versuch der
westlichen Welt, aus Afghanistan so etwas wie einen Nationalstaat zu machen,
resultiere aus einer unhistorischen Betrachtungsweise.
Dem Kläger schade weder seine tadschikische Volks- noch seine schiitische
Glaubenszugehörigkeit. Wenn seine Angaben über seine Position in obersten
Gremien der DVPA und die Verursachung von Misshelligkeiten für andere Personen
zuträfen, drohe ihm auch heute noch nachwirkende Verfolgung mit nicht
unbeachtlicher Wahrscheinlichkeit, die allerdings schwer einzuschätzen sei, weil es
keine systematische Verfolgung aller DVPA-Funktionsträger gegeben habe oder
gebe, sondern diese auf individueller Basis stattfinde.
Nach den danach im Prinzip nach wie vor anzulegenden Maßstäben des
Grundsatzurteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juli 1996 (a.a.O.)
lässt sich dem Vorbringen des Klägers aus dem bisherigen Akteninhalt und aus
seiner informatorischen Anhörung vor dem Senat am 11. November 2004 eine an
seine frühere DVPA-Mitgliedschaft und seine Tätigkeiten im Staatsdienst
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seine frühere DVPA-Mitgliedschaft und seine Tätigkeiten im Staatsdienst
anknüpfende, konkret-individuell auf seine Person zielende und mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit landesweit drohende Leib-, Lebens- oder Freiheitsgefahr nicht
entnehmen.
Angesichts seiner insoweit recht detaillierten, im Wesentlichen widerspruchsfreien
und mit den allgemeinen Erkenntnissen über die Verhältnisse und die Entwicklung
in Afghanistan übereinstimmenden Angaben erscheint es glaubhaft, dass der
Kläger während seines Studiums der Elektro- oder Turbotechnik in der ehemaligen
Sowjetunion in Baku im Jahre 1966 in die - von dem späteren Ministerpräsidenten
Taraki gegründete und danach während des Daud-Regimes mit der Parcham-
Organisation zur DVPA zusammengeschlossene (vgl. Berg a.a.O. S. 230) - Khalq-
Partei eingetreten ist, sein Studium 1967 oder 1968 abgeschlossen und
anschließend höhere bis leitende technische Positionen als
Bauleiter/Generaldirektor eines Düngemittel/Strom-Kombinats in Mazar-e-Sharif,
als Präsident einer Zementfabrik in Herat und - nach zweimonatiger Tätigkeit im
Ministerium - einer Zementfabrik in Djabulsari in der Provinz Parvan und nach
einem zweijährigen Militärdienst als Präsident eines Energie-Kombinats in Kabul
bekleidet sowie schließlich von Ende 1985 bis 1992 als stellvertretender
Abteilungsleiter in einem Ministerium in Kabul gearbeitet und gleichzeitig
ehrenamtlich in der von Nadschibullah begründeten Versöhnungskommission
mitgearbeitet hat; es stimmt auch mit diesen Schilderungen und den vorliegenden
Erkenntnismitteln überein, dass er als DVPA-Mitglied nach dem Sturz der
kommunistischen Regierung und der Machtübernahme der Mudschaheddin im
April 1992 aus diesen Regierungsämtern entlassen worden ist.
Dem Kläger ist auch seine etwa zweijährige Tätigkeit als Schatzmeister des DVPA-
Verbandes der Provinz Parvan abzunehmen; er hat aber darüber hinaus keine
konkreten substantiierten Angaben gemacht, aus denen sich ergeben könnte,
dass er in einer hochrangigen Stellung in dem früheren kommunistischen Regime
deutlich und für einen größeren Personenkreis erkennbar nach außen getreten
wäre und durch die Ausübung seiner Funktion - insbesondere im Militär oder im
Geheimdienst - für die Tötung oder Verfolgung von Mudschaheddin verantwortlich
gemacht werden könnte. Er hat vielmehr rein technisch/administrative, wenn auch
leitende Tätigkeiten ausgeübt und selbst während seiner Militärzeit als einfacher
Soldat nicht an Kampfeinsätzen teilgenommen, sondern anderen Soldaten
Unterricht in Lesen und Schreiben erteilt. Es ist deshalb ohne plausiblen
Hintergrund und bleibt im Gegensatz zu seiner sonstigen Darstellung auch
pauschal und oberflächlich, wenn in den von ihm eingereichten schriftlichen
Bescheinigungen und Stellungnahmen und in seiner persönlichen Anhörung vor
dem Senat am 11. November 2004 davon die Rede ist, er habe als aktiver Kader
und bekannte Person der DVPA an Aktivitäten, Demonstrationen und an dem
politischen Kampf gegen den Fundamentalismus und die Fundamentalisten
teilgenommen (Bescheinigungen des Ingenieurs Barial vom 8. Juli 2002 und des
früheren Generals Gulaham Nabi), er habe 25 Jahre lang gegen die Leute
gekämpft, die jetzt in Afghanistan an der Macht seien (Anhörung vom 11.
November 2004) und er sei nach der Machtübernahme der Mudschaheddin 1992
untergetaucht und habe mit seiner Familie Tag und Nacht in Angst vor deren
Übergriffen verbracht (Stellungnahme des Klägers vom 25. März 2004). Er hat
zwar auch in seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass er mit seiner Familie
nach 1992 wiederholt Kabul verlassen und sich in Mazar-e-Sharif - der Stadt seiner
ersten beruflichen Tätigkeit und Geburtsstadt seiner Ehefrau - und in Jalalabad -
dem früheren Wohnsitz seiner beiden volljährigen Söhne und der Hauptstadt
seiner Geburtsprovinz Nangahar - aufgehalten hat; zur Begründung hat er aber
zunächst ohne weitere Erläuterung lediglich ausgeführt, er sei verfolgt worden;
naheliegender erscheint deshalb, dass der Kläger mit seiner Familie jeweils vor den
Auswirkungen des Bürgerkrieges geflohen ist. Auf Nachfrage des Gerichts hat er
dann zwar ergänzt, der Kommandant Massuds in der Provinz Parvan und jetzige
Verteidigungsminister Fahim habe ihn 1992 in Kabul persönlich bedroht. Er hat
dazu aber keine plausiblen und nachvollziehbaren Gründe und Einzelheiten
geschildert. Gegen die Existenz bzw. Ernsthaftigkeit einer solchen Drohung spricht
auch, dass es dem Kläger nach seinen Angaben vor dem Bundesamt und dem
Senat nach 1992 durchaus möglich war, seine Immobilien in Kabul zu vermieten
und 1996 zu verkaufen.
Zudem wäre eine solche Bedrohung nach den allgemeinen Erkenntnissen
angesichts der Stellung des Klägers zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber auch
nicht sehr wahrscheinlich. Kurz nach dem im April 1992 erfolgten Sturz der
kommunistischen Regierung ist es zwar - auch auf Grund von Anweisungen des
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kommunistischen Regierung ist es zwar - auch auf Grund von Anweisungen des
Staatspräsidenten Rabbani zur Säuberung staatlicher Einrichtungen von
ehemaligen Kommunisten - bis 1993/94 zu zahlreichen Übergriffen gegen
Mitglieder und Sympathisanten der DVPA gekommen, von denen neben führenden
Repräsentanten auch einfache Mitglieder und Mitläufer betroffen gewesen sind.
Eine allgemeine oder breit angelegte Verfolgung von Kommunisten in Afghanistan
hat es aber nicht gegeben, vielmehr haben zahlreiche, auch prominente DVPA-
Mitglieder und führende Regierungsrepräsentanten sogar Anschluss an
Mudschaheddin-Gruppierungen gefunden. Gerade dies hat der Kläger aber gerade
auch für seine Person vorgetragen. Er hat nämlich sowohl dem Bundesamt wie
auch dem Senat gegenüber angegeben, etwa 1998 in einer gegen die Taliban
gerichteten Oppositionsgruppe, die sich teilweise auch in seiner Kabuler Wohnung
getroffen habe, mit Anhängern der Jamiat-Gruppierung Rabbanis und Massuds,
deren Kommandanten u.a. der jetzige Verteidigungsminister Fahim und der jetzige
Erziehungsminister und Präsidentschaftskandidat Kanuni gewesen sind,
zusammen gearbeitet zu haben, so dass eine Bedrohung - sollte sie wirklich
erfolgt sein - spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand. Vor dem
Bundesamt hat der Kläger sogar ausdrücklich erklärt, er habe mit Mudschaheddin
nie Probleme gehabt.
Bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens erscheint deshalb jedenfalls diese
letztere Aussage eher wahrscheinlich und ebenso glaubhaft wie die Darstellung
seines beruflichen und parteipolitischen Werdegangs, aus dem sich aber nach
alledem eine gegenwärtige Verfolgungsgefährdung nicht herleiten lässt.
Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses in unmittelbarer Anwendung des
§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG lässt sich auch nicht damit begründen, dass
Auslandsafghanen und Rückkehrer nach dem Lagebericht des AA vom 6. August
2003 (Stand: Juli 2003, S. 13) über den praktisch landesweit herrschenden
Zustand allgemeiner und weitgehender Rechtlosigkeit hinaus typischerweise Opfer
von Menschenrechtsverletzungen, Streitigkeiten um willkürlich besetzte
Privatgrundstücke und Wasserquellen, Plünderungen und Gelderpressungen seien,
weil von ihnen angenommen werde, dass sie über finanzielle Ressourcen und/oder
Rückkehrbeihilfen verfügten (so aber VG Wiesbaden, u.a. Urteil vom 14. November
2003 - 7 E 2415/03.A (V) -).
Diese besonderen Gefahren für Rückkehrer erwachsen nämlich aus der generell
schlechten Sicherheitslage Afghanistans und stellen sich deshalb als typische
Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage dar, die durch individuelle oder
gruppenspezifische erschwerende Besonderheiten begründet oder verstärkt
werden, die aber an der Typik einer sich realisierenden allgemeinen Gefahr im
Sinne des Satzes 2 des § 53 Abs. 6 AuslG nichts ändern (vgl. u.a. BVerwG, Urteil
vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 - NVwZ 1999 S. 666 ff. = juris).
Der Kläger hat auch wegen der allgemeinen schlechten Wirtschafts- und
Sicherheitslage in Afghanistan keinen Anspruch auf Feststellung der
Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG in
verfassungskonformer Anwendung. Dies setzt neben einer extremen Gefahrenlage
auch eine verfassungswidrige Schutzlücke voraus, die wegen des derzeitigen
generellen Abschiebungsstopps für Afghanistan nicht besteht.
Macht ein Ausländer nicht eine auf ihn persönlich konkret-individuell zielende,
sondern eine allgemeine Gefahr geltend, die im Abschiebezielstaat die
Bevölkerung insgesamt oder eine Bevölkerungsgruppe gleichermaßen so trifft,
dass grundsätzlich jedem von ihnen deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG droht, so dass wegen der Größe der betroffenen Gruppe und der Art der
Gefahr über die Schutzgewährung nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und
eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde zu entscheiden ist, greift
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die sog.
Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein. Danach wird bei solchen
allgemeinen Gefahren Abschiebungsschutz auch für den Einzelnen, selbst wenn er
von diesen Gefahren konkret und in individualisierbarer Weise betroffen ist,
ausschließlich durch eine - möglichst bundeseinheitliche - generelle Regelung
gewährt, die wegen ihrer weitreichenden Folgewirkungen nach der Konzeption des
Gesetzgebers für die gesamte Gruppe der potentiell Betroffenen einheitlich als
eine politische Leit- bzw. Grundsatzentscheidung getroffen wird und als solche
allein in das Ermessen der Innenministerien des Bundes und der Länder gestellt
ist, so dass insoweit auch subjektive, einklagbare Rechte einzelner Ausländer
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ist, so dass insoweit auch subjektive, einklagbare Rechte einzelner Ausländer
grundsätzlich ausgeschlossen sind.
Trotz geäußerter Kritik, es verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1
GG, wenn Ausländern unterschiedlicher Abschiebungsschutz gewährt werde je
nachdem, ob ihnen Gefahren nur als Teil einer Bevölkerungsgruppe drohten oder
ob sie persönlich als Einzelne betroffen seien, hat das Bundesverwaltungsgericht
mit der Begründung an seiner Rechtsprechung festgehalten, das Gesetz
überantworte den Abschiebungsschutz bei erheblichen konkreten Gefahren für
Leib, Leben oder Freiheit in gleicher Weise wie bei allgemeinen Gefahren dem
Ermessen der Exekutive und teile lediglich die Entscheidungszuständigkeit
zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde im Falle des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
einerseits und den zuständigen Innenministerien nach § 53 Abs. 6 Satz 2 und § 54
AuslG andererseits auf, womit auch eine unterschiedliche Ausgestaltung des
Rechtsschutzes verbunden sei. Während der Ausländer im Falle einer ihm
persönlich drohenden Gefahr einen Anspruch auf Feststellung der tatbestandlichen
Voraussetzungen der Abschiebungsschutzgründe durch das Bundesamt und auf
eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Ausländerbehörde habe, könne er im
Falle einer ihm als Teil einer Bevölkerungsgruppe drohenden allgemeinen Gefahr
einen allgemeinen Abschiebestopp durch ministeriellen Erlass nicht einklagen.
Dies sei sachlich durch die weiterreichenden Folgen der Gewährung von
Abschiebungsschutz für Angehörige einer ganzen Ausländergruppe und durch den
Charakter als politische Leitentscheidung gerechtfertigt.
Wenn die obersten Landesbehörden von dieser Ermessensermächtigung in § 54
AuslG keinen Gebrauch gemacht und einen generellen Abschiebestopp nicht
verfügt haben, obwohl im Abschiebezielstaat eine so extreme allgemeine
Gefahrenlage besteht, dass praktisch jeder einzelne in diesen Staat
abgeschobene Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten körperlichen Beeinträchtigungen alsbald nach seiner Rückkehr
landesweit oder auf dem Weg in sichere Landesteile ausgeliefert würde, gebieten
es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen
Ausländer in Überwindung dieser Sperrwirkung im Wege einer
verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG
Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift zu gewähren (vgl. grundlegend:
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 - a.a.O., u.a. auch Urteile vom 29.
März 1996 - 9 C 116/95 - a.a.O., vom 19. November 1996 - 1 C 6/95 - NVwZ 1997
S. 685 ff., vom 2. September 1997 - 9 C 40/96 - DVBl. 1998 S. 271 ff., vom 27.
April 1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998 S. 973 f., vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -
a.a.O. und Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/98 - NVwZ 1999 S. 668 jeweils
= juris).
Eine Überwindung der Sperrwirkung durch verfassungskonforme Anwendung des §
53 Abs. 6 AuslG wegen einer extremen Gefährdungslage ist wegen der aus dem
Gewaltenteilungsgrundsatz folgenden Pflicht zur möglichst weitgehenden
Beachtung des gesetzlichen Regelungskonzepts aber nur zulässig, um
verfassungswidrige Schutzlücken zu vermeiden. Deshalb wurde diese zunächst nur
dann als geboten und zulässig angesehen, wenn nicht bereits zielstaatsbezogener
Abschiebungsschutz nach anderen Bestimmungen (§ 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1
AuslG) oder nach § 54 AuslG bestand. Die verfassungskonforme Anwendung des §
53 Abs. 6 AuslG ist darüber hinaus aber auch dann zulässig, wenn der
Abschiebung zwar anderweitige Hindernisse entgegenstehen, aber keinen
gleichwertigen Schutz bieten, der dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen
eines Erlasses nach § 54 AuslG oder bei unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG hätte. Ist der Ausländer anderweitig und gleichwertig vor
Abschiebung geschützt, bedarf es nicht des zusätzlichen Schutzes durch eine
verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG. Als gleichwertig in
diesem Sinne können noch unentschiedene sonstige Bleiberechte und
Duldungsansprüche oder vorübergehende faktische Vollstreckungshindernisse
nicht angesehen werden. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sind
deshalb auf die Prüfung beschränkt, ob eine bestimmte Erlasslage oder eine aus
individuellen Gründen bereits schriftlich erteilte Aufenthaltsgenehmigung oder
Duldung weiteren Abschiebungsschutz im Wege einer verfassungskonformen
Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG entbehrlich macht (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.
Juli 2001 - 1 C 2/01 - und - 1 C 5/01 - NVwZ 2001 S. 1420 ff. und NVwZ 2002 S. 101
ff. jeweils = juris).
Eine in diesem Sinne verfassungswidrige Schutzlücke, die eine
verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zu Gunsten des Klägers
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verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG zu Gunsten des Klägers
ermöglichen würde, besteht im gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf
Afghanistan nicht, so dass die Frage einer extremen allgemeinen Gefahrenlage in
diesem Abschiebezielstaat derzeit keiner Entscheidung bedarf.
Dem Kläger ist zwar ausweislich seiner Ausländerakte keine
asylverfahrensunabhängige Duldung oder ein sonstiges Bleiberecht erteilt worden;
als gleichwertiger Schutz ist aber der generelle Abschiebestopp nach dem
derzeitigen Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom
22.Juli 2004 über die Rückführung afghanischer Staatsangehöriger anzusehen.
Dieser führt vorangegangene Erlasse vom 3. Dezember 2003, 26. Januar und 29.
März 2004 fort und verweist auf den Beschluss der Ständigen Konferenz der
Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 7./8. Juli 2004, wonach in den
nächsten Monaten Regelungen ausgearbeitet werden sollen über eine
zwangsweise Rückführung nach Afghanistan, die nach früheren Beschlüssen vom
6. Juni und 6. Dezember 2002 auf Grund der zivilen und militärischen Lage in
Afghanistan "derzeit bzw. zunächst weiterhin grundsätzlich nicht in Betracht" kam
und dann jeweils für spätere Zeitpunkte angestrebt wurde. In dem Erlass ist weiter
ausgeführt, dass nach dem IMK-Beschluss vom 7./8. Juli 2004 die Entscheidung
über den Zeitpunkt des generellen Beginns der Rückführung ausreisepflichtiger
afghanischer Staatsangehöriger weiterhin offen sei und deren Duldungen daher bis
zum 31. Dezember 2004 weiter verlängert werden können.
Damit ist inhaltlich eine dem § 54 Satz 1 AuslG vergleichbare Entscheidung
getroffen worden, wenn auch vom Wortlaut her keine strikte Anordnung der
Abschiebungsaussetzung vorliegt und es angesichts deren inzwischen sechs
Monate deutlich übersteigender Dauer nach Satz 2 der Vorschrift auch eines
Einvernehmens mit dem Bundesminister des Inneren bedurft hätte. Ob deshalb
eine Anordnung gemäß § 54 AuslG unwirksam wäre (oder ob die
Bundeseinheitlichkeit nicht durch die gemeinsame Beschlusslage der IMK-
Konferenz hinreichend gewahrt ist), kann hier dahinstehen, weil neben einer
Anordnung nach § 54 AuslG auch jede andere ausländerrechtliche Erlasslage zur
Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke ausreicht, die dem einzelnen
Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl.
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. September 2001 - A 14 S 2130/00 - InfAuslR 2002
S. 102 ff. = juris).
Das kann für den hessischen Erlass vom 22. Juli 2004 trotz seines nicht
anordnenden Wortlauts im Ergebnis bejaht werden. Die Formulierung, dass die
Duldungen afghanischer Staatsangehöriger bis 31. Dezember 2004 weiter
verlängert werden "können", ist nicht als Einräumung eines freien Ermessens an
die Ausländerbehörden zu verstehen, sondern stellt nur eine Öffnung für die
anschließend aufgeführten Sonderfälle (Straftäter, sog. Sicherheitsgefährder und
Befugnisverlängerungen) dar. Aus dem in Bezug genommenen IMK-Beschluss
ergibt sich jedenfalls, dass im Übrigen derzeit keine Abschiebung nach Afghanistan
durchgeführt wird.
Auch der Umstand, dass der Erlass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
keine drei Monate mehr erfassen wird, steht der Gleichwertigkeit des Schutzes
nicht entgegen, da jedenfalls eine Verlängerung bis Ende April 2005 sicher zu
erwarten ist (vgl. auch VGH Bad.-Württ. a.a.O. S. 105). Wenn vorher oder danach
ein Rückübernahmeabkommen mit Afghanistan abgeschlossen werden sollte,
bliebe es dem Kläger unbenommen, eine von ihm gleichwohl angenommene
extreme allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan im Rahmen eines
Folgeschutzgesuchs an das Bundesamt geltend zu machen und ein
Wiederaufgreifen des Verfahrens zu verlangen, weil die gerichtlich bestätigte
negative Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG nur mit dem Inhalt bestandskräftig wird,
den sie durch die letzte verwaltungsgerichtliche Entscheidung erhält (vgl. BVerwG,
Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2/01 - a.a.O.).
Soweit die Gleichwertigkeit dieses Schutzes im Hinblick auf die Bindungswirkung
des § 42 Satz 1 AsylVfG und die Förmlichkeit eines Widerrufsverfahrens gemäß §
73 Abs. 3 AsylVfG verneint werden könnte, steht dem zum einen entgegen, dass
diese Verfahrensgestaltung auch bei einem Erlass nach § 54 AuslG nicht besteht
und dass zum anderen die zusätzlichen Vorteile aus der weitreichenden
Bindungswirkung der Bundesamts-Entscheidung nicht zu berücksichtigen sind, weil
sie nicht dem Interesse des Asylbewerbers, sondern der Bewältigung der
behördlichen Zuständigkeitsaufteilung dienen (vgl. BVerwG a.a.O. S. 1422).
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Die Erlasslage über die derzeitige Abschiebungsaussetzung nach Afghanistan ist
auch weder "noch unentschieden" noch ein "vorübergehendes (nur) faktisches
Vollstreckungshindernis" und bietet deshalb gleichwertigen Abschiebeschutz im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Nach alledem ist der Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 83 b
AsylVfG, § 154 Abs. 1 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO
stattzugeben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor, weil bundesrechtliche Grundsatzfragen nicht behandelt worden
sind.
Sonstiger Langtext
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist
beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Brüder-Grimm-Platz 1, 34117 B-Stadt
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule
im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt
einzulegen; juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können
sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte
oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen
Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes,
dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. Die Beschwerde muss die
Entscheidung bezeichnen, die angefochten werden soll.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser
Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof einzureichen. In der Begründung muss entweder
- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden oder
- die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
bezeichnet werden, wenn geltend gemacht wird, von ihr werde in der in dem
vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung abgewichen und die
Entscheidung beruhe auf dieser Abweichung, oder
- ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem die Entscheidung beruhen
kann.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.