Urteil des HessVGH vom 15.02.1994

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, vergleich, beendigung, vollziehung, anforderung, rechtsgrundlage, begriff, druckmittel, anfechtungsklage, entstehungsgeschichte

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TH 1921/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 1 Nr 5 Buchst b
KAG HE, § 237 Abs 1 AO
1977, § 80 Abs 2 Nr 1
VwGO, § 80 Abs 4 S 3
VwGO, § 80 Abs 5 VwGO
(Keine aufschiebende Wirkung bei Widerspruch gegen
Aussetzungszinsen; Aussetzungszinsen nach
Prozeßvergleich über Abgabenforderung gemäß AO 1977 §
237 Abs 1)
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts
Frankfurt am Main vom 1. September 1992, mit dem ihr Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (VG Frankfurt a. M., 6 E 1335/92) gegen die
mit Bescheid vom 11. November 1991 festgesetzten und angeforderten
Aussetzungszinsen in Höhe von 3.234,-- DM und den diesbezüglichen
Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1992 abgelehnt wurde, hat keinen Erfolg.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht dabei davon ausgegangen, daß
Aussetzungszinsen - im Unterschied zu Säumniszuschlägen nach § 240 AO 1977,
die von ihrer Zweckbestimmung her als Druckmittel zur Erbringung von Zahlungen
und damit nicht unmittelbar der Finanzbedarfsdeckung der öffentlichen Hand
dienen und deswegen nicht unter den Begriff der Abgaben nach § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO fallen (vgl. BayVGH, 02.04.1985 - 23 C 585 A.361 -, NVwZ 1987, 63; OVG
Rheinland-Pfalz, 15.07.1986 - 12 B 79/86 -, NVwZ 1987, 64; a. A. OVG Münster,
31.8.1983 - 3 B 538/83 - HSGZ 1983, 467; OVG Bremen, 27.01.1986 - 1 B 65/85 -,
NVwZ 1987, 65) - Nebenleistungen von Abgaben darstellen, die in ihrem Bestand
ebenso wie Stundungszinsen von diesen unmittelbar abhängen, ihrerseits
überwiegend der Finanzbedarfsdeckung dienen und deswegen selbst wie Abgaben
zu behandeln sind, die unter § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO fallen (vgl. VGH Baden-
Württemberg, 01.06.1992 - 2 S 2999/90 -, VBlBW 1992, 470 unter Hinweis auf OVG
Lüneburg, 31.01.1989, DÖV 1989, 866; zu Stundungszinsen vgl. BayVGH,
02.04.1985, a.a.O. am Ende).
Der demzufolge zutreffend auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Senat hat ebensowenig ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Anforderung von Aussetzungszinsen durch die Antragsgegnerin wie das
Verwaltungsgericht; nur derartige Zweifel könnten aber in entsprechender
Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO den Senat im Rahmen des vorliegenden
Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO veranlassen, die Vollziehung des
Bescheids vom 11. November 1991 auszusetzen.
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Aussetzungszinsen ist § 4 Abs. 1 Nr. 5
Buchstabe b KAG in Verbindung mit § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, wonach der
aufgrund eines (Erschließungs) Beitragsbescheids geschuldete Betrag, hinsichtlich
dessen die Vollziehung ausgesetzt wurde, zu verzinsen ist, soweit ein
außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage endgültig keinen
Erfolg gehabt hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend - wie das
Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - gegeben, nachdem die
Antragstellerin und die Antragsgegnerin in dem Rechtsstreit um die mit
Bescheiden vom 25. Juli 1983 geforderten Erschließungsbeiträge für die
Grundstücke Gemarkung B Flur 13 Flurstücke 471/1 und 471/2 im Termin vor dem
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Grundstücke Gemarkung B Flur 13 Flurstücke 471/1 und 471/2 im Termin vor dem
erkennenden Senat (5 UE 591/89) am 22. Mai 1991 einen Vergleich des Inhalts
abgeschlossen haben, daß sich die Klägerin, die Antragstellerin in vorliegendem
Verfahren, verpflichtet, einen Betrag von 6.644,50 DM binnen einen Monats nach
Rechtskraft des Vergleichs an die Beklagte, hier Antragsgegnerin, zu entrichten;
zuvor hatte der Senat mit Beschluß vom 24. Mai 1988 (5 TH 1582/84) die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 1984 (I/2 H
625/84) bestätigt, wonach die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die
Bescheide vom 25. Juli 1983 angeordnet worden war.
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen
des Verwaltungsgerichts verwiesen (S. 7 bis S. 9, 1. Abs. einschließlich), denen der
Senat folgt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der Senat teilt insbesondere die vom Verwaltungsgericht in Würdigung des
Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks der Norm und unter Berücksichtigung ihrer
Entstehungsgeschichte gewonnene Auffassung, daß auch eine Beendigung des
Rechtsstreits durch Vergleich das in § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geforderte
Tatbestandsmerkmal der "endgültigen Erfolglosigkeit des eingelegten
Rechtsbehelfs" erfüllen kann (ausdrücklich bejahend u. a. auch Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 3. Aufl. 1991, Rdnr. 865; a. A. Bay. VGH,
01.02.1988 - 6 B 87.02003 -, BayVBl. 1988, 500, der formale Kriterien in den
Vordergrund rückt und entscheidend darauf abstellt, daß der Vergleich einen
selbständigen Vollstreckungstitel darstelle und aus der Tatsache des
Vergleichsabschlusses nicht ohne weiteres auf die Erfolgsaussichten des jeweiligen
Rechtsbehelfs geschlossen werden könne).
Dies gilt jedenfalls dann, wenn aus dem Inhalt des abgeschlossenen Vergleichs
deutlich wird, daß auf die ursprüngliche Beitragsforderung zumindest ein Teilbetrag
gezahlt und damit die Forderung im Ergebnis in dieser Höhe anerkannt wird. In
einem solchen Fall stellt sich der Sachverhalt im Ergebnis nicht anders dar, als
wenn nach entsprechender Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts ein
Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten für
erledigt erklärt und der Ausgangsbescheid mit geändertem Inhalt unanfechtbar
wird; auf diesen Fall der Beendigung des Rechtsstreits durch übereinstimmende
Erledigungserklärungen findet § 237 Abs. 1 AO 1977 aber Anwendung (vgl. etwa
Klein/Orlopp, AO, 4. Aufl. 1989, § 237 Anm. 5c; Koch/Scholtz, AO, 4. Aufl. 1993, §
237 Rdnr. 8; weitere Nachweise bei BayVGH, a.a.O.).
Etwas anderes könnte vorliegend nur dann gelten, wenn aus dem Vergleich selbst
oder aus sonstigen Umständen in Zusammenhang mit dem Vergleichsabschluß
eindeutig entnommen werden könnte, daß die getroffene Vergleichsregelung auch
die Anforderung von Nebenleistungen einschließen sollte; hierfür ist jedoch nichts
ersichtlich. Im Vergleichstext selbst sind sie nicht erwähnt; die Niederschrift über
den Termin zur mündlichen Verhandlung, in dem der Vergleich abgeschlossen
wurde, schweigt hierzu ebenso. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann
aus diesem Schweigen kein Verbot der Forderung von Aussetzungszinsen
hergeleitet werden; denn die Verpflichtung zur Verzinsung entsteht bei Vorliegen
der Voraussetzungen kraft Gesetzes und wird auch im "Normalfall" einer
gerichtlichen Entscheidung durch (teilweise) Klageabweisung nicht etwa
ausdrücklich ausgesprochen. Der kraft Gesetzes eintretenden
Zinszahlungsverpflichtung hätte die Antragstellerin somit nur durch ausdrückliche
Aufnahme einer entsprechenden Regelung in den Vergleich entgehen können.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.