Urteil des HessVGH vom 14.12.2006

VGH Kassel: prüfer, gebot der fairness, gutachter, biometrie, psychologie, neubewertung, diplom, zusammenarbeit, befangenheit, lehrbuch

Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 UE 1188/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 124a VwGO, Art 12 Abs 1
GG, Art 3 Abs 1 GG
(Zur Begründung einer zugelassenen Berufung - Zulassung
zum zweiten Teil der Diplomprüfung im Studiengang
Psychologie - Bewertung einer Diplomprüfungsarbeit)
Leitsatz
Zur Begründung der zugelassenen Berufung genügt es, auf die Begründung des
Zulassungsantrags Bezug zu nehmen. Die förmliche Stellung eines Berufungsantrags
ist nicht erforderlich, wenn sich der Berufungsantrag unter Heranziehung der
Berufungsgründe im Wege der Auslegung ermitteln lässt.
Kennt sich ein Prüfer in einem Prüfungsgebiet nicht aus, muss er sich in den
Prüfungsgegenstand einarbeiten oder anregen, dass ein anderer Prüfer bestellt wird.
Soweit ein Prüfer den Entwurf einer Diplomarbeit als passablen Entwurf bezeichnet, der
noch besser werden kann, er aber nur etwas mehr als einen Monat später die Arbeit mit
"nicht ausreichend" (5) bewertet, verstößt er gegen das im Prüfungsrecht allgemein
anerkannte Gebot der Fairness.
Ist der Prüfer in einem derartigen Fall - trotz der insgesamt überwiegend positiven
Bemerkungen zu dem eingereichten Entwurf - der Auffassung, dass die Arbeit
schlechter als ausreichend ist, so muss er den Prüfling auf diesen Umstand hinweisen.
Ist in einer Prüfungsordnung vorgesehen, dass der Prüfling während der Erstellung der
Diplomarbeit von einem oder mehreren Prüfern betreut wird, so darf eine Beurteilung
der Zusammenarbeit während der Betreuungsphase nicht in die Bewertung der
Diplomarbeit einfließen.
Die aufgrund einer Gerichtsentscheidung erforderlich werdende Neubewertung einer
Diplomarbeit muss durch andere als die bisherigen Prüfer vorgenommen werden, wenn
angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht mit der nötigen Sicherheit davon
ausgegangen werden kann, dass die bisherigen Prüfer bei der Neubewertung
unbefangen vorgehen werden.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom
10. Oktober 2005 – 3 E 868/04 – abgeändert und die Beklagte verpflichtet, die im
Juli 2002 abgegebene Diplomarbeit der Klägerin unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts durch zwei neue Prüfer neu bewerten zu lassen und
sodann über die Zulassung zur Diplom-Hauptprüfung erneut zu entscheiden.
Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin vorläufig
vollstreckbar. Jedoch kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
in Höhe der festgesetzten Kosten der Klägerin abwenden, wenn nicht diese zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin, die bei der Beklagten den Abschluss Diplom im Studiengang
Psychologie anstrebt, will im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren erreichen,
dass ihre Wiederholungs-Diplomarbeit von zwei anderen Prüfern neu bewertet wird
und dass sodann über die Zulassung zur Diplom-Hauptprüfung erneut
entschieden wird.
Nachdem die Klägerin wegen einer mit „nicht ausreichend“ bewerteten
Diplomarbeit ihre Diplomprüfung im ersten Versuch nicht bestanden hatte,
erstellte sie eine zweite Diplomarbeit. Thema dieser Arbeit war „Eine
Untersuchung zur Unterschriftenidentifikationsprüfung mittels eines
automatischen Unterschriftenprüfsystems des Fraunhofer Instituts Berlin“. Zur
Erstgutachterin wurde die Betreuerin der Diplomarbeit, Frau Prof. Dr. A. bestellt,
die auch die Vorsitzende des Prüfungsausschusses war, zum Zweitgutachter Herr
Privatdozent Dr. B. Ende Mai 2002 erhielt der Prüfer Dr. B. eine Entwurfsfassung
der Diplomarbeit und teilte der Klägerin mit E-Mail vom 3. Juni 2002 dazu mit:
„Liebe Frau A.,
ich habe mir ihren entwurf soweit durchgelesen und er gefällt mir schon
wesentlich besser als ihre erste fassung. es gibt allerdings noch einige
kleinigkeiten, die ich gerne mit ihnen besprechen würde. leider bin ich die nächsten
beiden tage nicht hier und donnerstag schon voll, sodass wir uns frühestens
nächsten Montag treffen könnten. soviel aber vorab:
(1) die ersten drei kapital sind so ok.
(2) die fragestellung kommt zu kurz weg und sollte ausführlicher sein.
(3) bei der methode gibt es einige kleinere ungenauigkeiten.
(4) ergebnisse und diskussion sollten getrennt werden.
(5) die ergebnisdarstellung ist noch stärker verbesserungsfähig, hier fehlen
auch jedwede tests. da ist auf jeden fall noch etwas zu tun, finde ich.
(6) die zusammenfassung sollte die gesamte arbeit darstellen und gehört
an den anfang.
(7) was hier ausblick heisst, finde ich gut. gehört in die diskussion. also
insgesamt ein passabler entwurf, der noch besser werden kann.
MfG
A. B.“
Am 8. Juli 2002 gab die Klägerin die Diplomarbeit bei dem Prüfungsausschuss ab.
Mit Gutachten vom 12. Juli 2002 (Bl. 90 – 94 der Prüfungsakte, im Folgenden: PA)
bewertete der Zweitgutachter die Diplomarbeit mit „nicht ausreichend“ (5,0). Mit
Schreiben vom 12. Juli 2002 teilte die Vorsitzende des Prüfungsausschusses, Frau
Prof. Dr. A., der Klägerin mit, dass ein drittes Gutachten eingeholt werden solle (Bl.
95 PA). In ihrem Gutachten vom 25. Juli 2002 (Bl. 96 – 101 PA) bewertete sie die
Diplomarbeit mit „nicht ausreichend“ (4,3) und teilte der Klägerin mit Bescheid
vom 3. September 2002 mit, dass sie den ersten Teil der Diplomprüfung endgültig
nicht bestanden habe und eine Wiederholungsprüfung nicht möglich sei. Die
Diplomprüfung gelte damit als endgültig nicht bestanden. Nachdem die Urteile der
beiden Gutachter zur Diplomarbeit „eindeutig konkordant“ seien (Note: 4,3 und
5,0), sei ein dritter Gutachter nicht mehr hinzugezogen worden.
Mit Schriftsatz ihres ehemaligen Bevollmächtigten vom 23. September 2002 legte
die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. September 2002 ein. Ihren
am 10. Februar 2003 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
lehnte das Verwaltungsgericht Gießen mit Beschluss vom 12. Februar 2003 – 3 G
386/03 – ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Hessische
Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Februar 2003 – 8 TG 423/03 –
zurück mit der Begründung, die Antragstellerin habe in der Beschwerdeschrift
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zurück mit der Begründung, die Antragstellerin habe in der Beschwerdeschrift
keine Gründe dargelegt, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
abzuändern oder aufzuheben sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2004, den neuen Bevollmächtigten der
Klägerin zugestellt am 13. Februar 2004, wies die Beklagte den Widerspruch gegen
den Bescheid vom 3. September 2002 zurück. Wegen der Einzelheiten der
Begründung wird auf diesen Widerspruchsbescheid (Bl. 4 – 11 der Gerichtsakte)
Bezug genommen.
Am 8. März 2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Insofern wird wegen der
Einzelheiten auf die Klagebegründung vom 6. April 2004 (Bl. 23 – 36 der
Gerichtsakten) und die dazu vorgelegten Anlagen (Bl. 37 – 44 der Gerichtsakten)
Bezug genommen. Darüber hinaus wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der
Klägerseite vom 6. Juli 2005 (Bl. 93 – 96 der Gerichtsakten), 11. Juli 2005 (Bl. 101 –
106 der Gerichtsakten), 24. August 2005 (Bl. 131 – 164 der Gerichtsakten) und die
unter dem 25. August 2005 vorgelegten Literaturauszüge zum Schriftsatz vom 24.
August 2005 (Bl. 165 – 260 der Gerichtsakten).
Die Klägerin hat eine von Frau Dr. Dipl.-Ing. C. verfasste „Beurteilung“ der
Diplomarbeit vom 8. Dezember 2003 vorgelegt, die zu dem Ergebnis kommt, dass
die Arbeit nach Ansicht von Frau Dr. C. den Mindestanforderungen an eine
Diplomarbeit genüge (vgl. Bl. 43/44 der GA).
Die Klägerin hat beantragt,
die angefochtenen Bescheide vom 3. September 2002 und 5. Februar
2004 aufzuheben und die Klägerin zur Diplomhauptprüfung im Fach Psychologie
zuzulassen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, die Diplomarbeit der Klägerin durch zwei neue
Prüfer bewerten zu lassen und sodann über die Zulassung zur
Diplomhauptprüfung erneut zu entscheiden,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, die Diplomarbeit der Klägerin unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts durch neue Prüfer,
hilfsweise,
durch die bisherigen Prüfer zu bewerten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat Stellungnahmen der Prüferin Prof. Dr. A. vom 2. Januar 2003 (Bl. 63 – 70
der Gerichtsakten) und des Prüfers Privatdozent Dr. B. vom 7. Januar 2003 (Bl. 71
– 76 der Gerichtsakten) vorgelegt.
Einen am 7. Mai 2004 gestellten weiteren Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit
Beschluss vom 13. September 2004 – 3 G 2210/04 – zurückgewiesen. Der Antrag
sei unzulässig, da er auf das gleiche Ziel wie der in dem vorangegangenen
Eilverfahren gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet sei,
ohne dass veränderte oder im früheren Verfahren ohne Verschulden nicht geltend
gemachte Umstände vorlägen. Im Übrigen habe die Klägerin die Voraussetzungen
für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Beschluss (Bl. 124 bis 133 der Akten 3 G 2210/04 VG
Gießen) Bezug genommen.
Am 23. Juni 2004 hat das Verwaltungsgericht einen Erörterungstermin
durchgeführt (Niederschrift Bl. 78 – 82 der Gerichtsakten). Mündliche
Verhandlungen fanden statt am 7. und 29. Juli 2005 (Bl. 99/100 und Bl. 109 – 112
der Gerichtsakten). In der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2005 hat das
Verwaltungsgericht mit zwei Beschlüssen acht Beweisanträge der Klägerin vom 7.
Juli 2005 und 18 Beweisanträge der Klägerin vom 29. Juli 2005 abgelehnt (Gründe
Bl. 113 – 116 und Bl. 123 – 129 der Gerichtsakten).
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Mit Urteil vom 10. Oktober 2005 hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, die Bewertung der Diplomarbeit der Klägerin leide nicht an
Verfahrensfehlern. Dass die Diplomarbeit zuerst von dem Zweitgutachter und erst
danach von der Betreuerin und Erstgutachterin beurteilt worden sei, widerspreche
§ 18 Abs. 2 der Diplomprüfungsordnung - DPO - nicht. Die Regelung zwinge nicht
zu einer bestimmten Prüfungsreihenfolge. Erforderlich sei nur die Beurteilung
durch zwei Prüfer. In der durch „nicht ausreichend“ (4,3) ausgedrückten Bewertung
durch die Erstgutachterin liege kein Verfahrensfehler. Zwar könnten nach § 12 Abs.
1 Satz 2 DPO Zwischenwerte durch Erniedrigen oder Erhöhen der einzelnen Note
um 0,3 nur im Bereich von 1,0 bis 4,0 vergeben werden. Jedoch werde die
Bewertungsstufe „nicht ausreichend“ durch eine Zahl „> 4,0“ ausgedrückt. Dass
der Erstgutachterin bei ihrer eigenen Bewertung diejenige des zweiten Prüfers
bekannt gewesen sei, stelle nach ständiger Rechtsprechung keinen
Verfahrensfehler dar. Eine Befangenheit des Zweitgutachters lasse sich seiner E-
Mail vom 3. Juni 2002 und der nachfolgenden Beurteilung der Arbeit mit „nicht
ausreichend“ nicht entnehmen. Soweit er im Erörterungstermin dargelegt habe, er
habe durch die Formulierung „insgesamt ein passabler Entwurf“ zum Ausdruck
bringen wollen, dass sich die Arbeit auf dem richtigen Weg befunden habe und,
wenn die fehlenden Teile noch ergänzend worden wären, hätte erfolgreich werden
können, erscheine dies dem Gericht schlüssig. Es könne nicht nachvollziehen, dass
der Zweitgutachter mit der Formulierung seiner E-Mail und die Erstgutachterin mit
ihren Anmerkungen bezüglich dreier Teile des Entwurfs den Eindruck erweckt
hätten, die Entwurfsfassung wäre mindestens mit der Note „ausreichend“ zu
bewerten. Eine Verletzung der den Prüfern aus dem Prüfungsrechtsverhältnis
obliegenden Fürsorgepflicht konnte das Verwaltungsgericht insofern nicht
feststellen. Es hat weiter ausgeführt, der Zweitkorrektor habe in der E-Mail eine
ganze Reihe von Kritikpunkten angesprochen. Die Formulierung in Nr. 5, die
Ergebnisdarstellung sei noch stärker verbesserungsfähig, lasse nicht erkennen,
dass der Zweitkorrektor den Entwurf als „ausreichend“ oder besser eingestuft
habe. Eine Befangenheit der Erstgutachterin könne auch nach der nicht
substantiierten Behauptung der Klägerin, die Erstgutachterin habe in Kenntnis der
Beurteilung des Zweitgutachters ihr Gutachten verfasst und es der Bewertung des
Zweitgutachters „angepasst“, im Hinblick auf den Vorwurf der „Anpassung“ nicht
festgestellt werden. Auch die Anmerkungen der Erstgutachterin seien ungeeignet,
die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes bei der Klägerin ernsthaft in
Erwägung zu ziehen.
Materielle Bewertungsfehler seien ebenfalls nicht ersichtlich. Die Erstkorrektorin
habe es im Erörterungstermin ausgeschlossen, dass das, was im Gutachten unter
der Überschrift „Verlauf der Betreuung“ ausgeführt worden sei, in die Beurteilung
eingeflossen sei. Anders als bei der von der Klägerin zitierten Entscheidung der
Kammer vom 25. September 2003 - 3 E 1420/97 -, in der der Prüfer ausdrücklich
auch das Verhalten des Kandidaten im Rahmen der Erstellung der Diplomarbeit in
seine Beurteilung einbezogen habe, sei dies bei dem Gutachten der Erstprüferin
nicht der Fall. Auch sei der Zweitgutachter für die Bewertung der Diplomarbeit
nicht deshalb fachlich unqualifiziert, weil er den Überblick zu den biometrischen
Daten, insbesondere zur Stabilität der erfassten Unterschriften als aus seiner
Sicht umfassend dargestellt bezeichnet und erklärt habe, er könne nichts dazu
sagen, ob die Darstellung aktuell und erschöpfend sei, da er sich in dem Gebiet
nicht auskenne. Daraus sei nicht ersichtlich, dass dieser Umstand in die
Notenbildung eingeflossen sei. Die Behauptung, der Zweitgutachter habe 30% der
Arbeit und die Erstgutachterin etwa 70%, aber keiner der beiden Prüfer die
gesamte Arbeit zur Kenntnis genommen und bewertet, sei unsubstantiiert. Dass
die Gutachter von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen seien, habe
die Klägerin nicht qualifiziert dargetan.
Soweit die Klägerin materielle Bewertungsfehler der beiden Prüfer behaupte und
dazu in der mündlichen Verhandlung am 7. und 29. Juli 2005 Beweis angetreten
habe, sei sie der ihr obliegenden Substantiierungspflicht nicht nachgekommen. Sie
habe weder unter genauer Bezeichnung und Darstellung der von ihr in ihrer
Diplomarbeit vertretenen fachwissenschaftlichen Ansicht noch der dazu von der
Erstgutachterin oder dem Zweitgutachter vertretenen Auffassung und der diese
stützenden Fachliteratur einen wissenschaftlichen Meinungsstand dargelegt. Auch
im Rahmen der dem Gericht obliegenden Amtsermittlung sei es nicht dessen
Aufgabe, aus dem Konvolut von 95 Seiten Fotokopien, bestehend aus Auszügen
aus Diplomarbeiten, Lehrbüchern, Wörterbüchern, Aufsätzen u.a., das zu
extrahieren, was die Behauptungen der Klägerin zu den angeblichen
Bewertungsfehlern trage.
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Das Urteil ist den Bevollmächtigten der Klägerin am 24. Oktober 2005 zugestellt
worden. Am 16. November 2005 hat die Klägerin die Zulassung der Berufung
beantragt und diesen Antrag am 30. November 2005 wie folgt begründet: Bereits
im Eilverfahren habe sie beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die
Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, die Diplomarbeit durch zwei neue Prüfer
bewerten zu lassen und sodann über die Zulassung zur Diplomhauptprüfung
vorläufig erneut zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht habe gegen § 86 VwGO
sowie gegen Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs.
4 GG dadurch verstoßen, dass es die im nachgelassenen Schriftsatz vom 24.
August 2005 gestellten Beweisanträge abgelehnt habe. Die Bezugnahme auf
beigefügte Anlagen sei zulässig. Belegten die Anlagen, auf die ein Schriftsatz im
Einzelnen Bezug genommen habe, die geltend gemachte Forderung, so lasse die
fachgerichtliche Abweisung der Klage mit der Begründung, das Aktenkonvolut –
konkret sei es um 60 Seiten gegangen – sei nicht in nachvollziehbarer Weise
aufgearbeitet worden, nur den Schluss zu, dass das Fachgericht seiner Aufgabe
nicht nachgekommen sei. Es müsse den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis
nehmen, auch wenn dies in Folge sich aus der Natur der Sache ergebender
Schwierigkeiten einen besonderen Aufwand an Zeit und Geduld erfordere. Die
Klägerin habe mit Schriftsatz vom 24. August 2005 im Einzelnen dargelegt und –
soweit erforderlich – unter Beweis gestellt, dass die Prüfer den Antwortspielraum
der Klägerin verkannt hätten (so zum Beispiel im Hinblick auf den Aufbau der
Diplomarbeit), von falschen Tatsachen ausgegangen seien (so zum Beispiel im
Hinblick auf eine angeblich gleiche Bedeutung der Begriffe „Identität“ und
„Stabilität“ sowie im Hinblick auf ein fehlerhaftes Verständnis der Abhängigkeit von
„Theorie“ und „Hypothese“), und dass die Bewertung durch beide Prüfer auf den
nachstehend dargelegten Bewertungsfehlern beruhen könne. Die von der Klägerin
selbst vorgelegten Literaturauszüge (95 Seiten) seien weder ungeordnet noch
unübersichtlich gewesen und hätten ohne weiteres den Beweisanträgen
zugeordnet werden können. Die Klägerin habe substantiiert dargelegt, woher die
Anregung gekommen sei, die vorrangig durch die Klägerin aufgegriffen worden sei
und die sie zu beantworten versucht habe. Warum der hierzu angebotene Beweis
(Diplomarbeit von D. D., TU-Berlin, Oktober 1999, Seite 54) unsubstantiiert sein
solle, sei nicht erfindlich. Auch sei es ein Leichtes gewesen, diese Seite aus den
vorgelegten Texten – wenn sie nicht ohnehin bereits in der Reihenfolge des
Schriftsatzes geordnet gewesen seien –
herauszufinden.
Soweit die Klägerin vorgetragen habe, die Arbeit sei jedenfalls der Prüferin A.
bekannt gewesen, da sie von ihrer Mitarbeiterin Frau E. im März 2000 mitgebracht
worden sei, sei der angebotene Zeugenbeweis (Zeugnis Frau E., zu laden über das
Bundeskriminalamt in Wiesbaden) sowohl konkret als auch substantiiert. Er hätte
nur wegen fehlender Beweiserheblichkeit abgelehnt werden dürfen.
Soweit die Klägerin unter Beweisantritt und substantiiert dargelegt habe, dass die
Prüfer bei der Bewertung das Thema verfehlt hätten, setze sich das
Verwaltungsgericht damit nicht auseinander.
Die Klägerin habe auch substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass sich
die Bewertungs-Fragestellung der Prüferin nicht mit der Fragestellung der
Diplomarbeit decke und daher die Prüferin nicht an Hand der Fragestellung der
Klägerin bewertet habe, sondern inhaltliche Aspekte aus der Fragestellung der
ersten Diplomarbeit übernommen habe, ohne die Differenzierungen der zweiten
Arbeit zu berücksichtigen. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 7 bis
einschließlich Seite 8 oben der Zulassungsantragsbegründung vom 30. November
2005 (Bl. 339/340 der Gerichtsakten) Bezug genommen.
Die Klägerin habe weiter substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass
der Prüfer B. die Fragestellung verkannt habe. Insofern wird auf die Ausführungen
zu den Nrn. 2.1 bis einschließlich 6 auf Seite 8 der Zulassungsantragsbegründung
vom 30. November 2005 (Bl. 340 der Gerichtsakten) verwiesen.
Der Gutachter Dr. B. sei befangen. Die Vergabe und Betreuung einer Diplomarbeit
bedeute, dass der Betreuer die Pflicht habe, den Kandidaten auf einen Weg zu
bringen, der es ihm ermögliche, mindestens ein „ausreichend“ (bis 4,0) zu
erreichen. Wenn ein Prüfer diese Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Betreuung
verletze, sei dies bereits ein Verfahrensfehler. Darüber hinaus sei die Besorgnis
der Befangenheit wegen dieses Verfahrensfehlers begründet, wenn der Gutachter
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der Befangenheit wegen dieses Verfahrensfehlers begründet, wenn der Gutachter
die Kandidatin bewusst „ins Messer laufen“ lasse, und dies stelle auch einen
Verstoß gegen das Fairnessgebot dar. Insofern stützt die Klägerin sich erneut auf
die E-Mail vom 3. Juni 2002. Der Prüfer habe den Entwurf insgesamt als passablen
Entwurf bezeichnet, der noch besser werden könne. Es stelle einen Verstoß gegen
prüfungsrechtliche Grundsätze, insbesondere das Fairnessgebot und die
Fürsorgepflicht des Prüfers als Ausfluss von Art. 12 Abs. 1 GG dar, wenn der
gleiche Prüfer weniger als einen Monat später und in Kenntnis, dass die
Abgabefrist noch lange nicht abgelaufen sei, die Arbeit mit „nicht ausreichend“
(5,0) bewerte. Im Betreuungsverhältnis gebe es besondere Hinweis- und
Beratungspflichten des Prüfers. Der Prüfer Dr. B. habe diese Hinweispflicht
missachtet, damit die Besorgnis der Befangenheit begründet und gegen das
prüfungsrechtliche Fairnessgebot verstoßen.
Die Ausführungen der Prüferin Frau Prof. Dr. A. zum „Verlauf der Betreuung“ im
Rahmen der Begutachtung vom 25. Juli 2002 hätten in einer Bewertung nichts zu
suchen; dies stelle einen Verfahrensfehler dar. Die Kausalität dieser Äußerungen
für die negative Bewertung mit 4,3 Punkten könne nicht ausgeschlossen werden.
Hierzu habe sich die Klägerin auf das Urteil der Kammer vom 25. September 2003
– 3 E 1420/97 – (insbesondere Seiten 12 ff.) bezogen. Frau Prof. Dr. A. habe eine
Drittel Seite ihrer Bewertung auf die „Zusammenarbeit“ bzw. „Betreuung“ der
Klägerin verwendet. Ebenfalls sei die einseitige negative Äußerung über das von
der Klägerin verwendete Programm zu Beginn des Gutachtens als rechtsfehlerhaft
zu würdigen. Zusammen machten diese beiden Punkte circa 1,5 von 6 Seiten des
Gutachtens aus. In Anbetracht der vorgebrachten Bedenken sei eine
Verbesserung der Note um mindestens 0,3 denkbar, was allein schon zum
Bestehen der Diplomarbeit führen würde.
Die Begründung des Verwaltungsgerichts, eine „Anpassung“ (der Bewertung von
Frau Prof. Dr. A. an die Bewertung von Herrn Dr. B.) könne nicht festgestellt
werden, verstoße gegen die Denkgesetze, zumal die Erstgutachterin eine Note
gewählt habe, die es in der Prüfungsordnung nicht gebe. Dies deute darauf hin,
dass hier „gemauschelt“ worden sei.
Der Prüfer Dr. B. habe die Prüfungsleistung nicht vollständig zur Kenntnis
genommen, denn er sei zu einer Bewertung der Prüfungsleistungen persönlich
nicht im Stande. Wenn ein Prüfer sich in dem entsprechenden Gebiet nicht
auskenne, müsse er sich in den Prüfungsgegenstand einarbeiten. Dies habe der
Prüfer Dr. B. nicht getan, wie sich aus Seite 2 seines Gutachtens ergebe. Keiner
der Prüfer habe die gesamte Arbeit zur Kenntnis genommen und bewertet.
Mit Beschluss vom 9. Mai 2006 – 8 UZ 2985/05 – hat der Senat die Berufung
zugelassen. Die Beurteilung von Prüfungsleistungen dürfe nur Personen
übertragen werden, die nach ihrer fachlichen Qualifikation in der Lage seien, die
Leistung des Prüflings eigenverantwortlich zu beurteilen. Der Prüfling habe ein
Recht darauf, dass über seine Leistung von hinreichend sachkundigen Personen
entschieden werde. Diesen Anforderungen werde der Zweitkorrektor nach seiner
eigenen Einschätzung in Bezug auf die Darstellung zu den biometrischen
Verfahren nicht gerecht.
Der Berufungszulassungsbeschluss wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am
16. Mai 2006 zugestellt. Am 17. Mai 2006 hat die Klägerin die zugelassene
Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf die Begründung des
Zulassungsantrags bezogen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 10. Oktober 2005 – 3 E
868/04 – abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Diplomarbeit der
Klägerin durch zwei neue Prüfer neu bewerten zu lassen und sodann über die
Zulassung zur Diplom-Hauptprüfung erneut zu entscheiden,
hilfsweise,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu
verpflichten, die Diplomarbeit der Klägerin durch die tätig gewordenen Prüfer unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu bewerten zu lassen und sodann
über die Zulassung zur Diplom-Hauptprüfung erneut zu entscheiden,
höchst hilfsweise,
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unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils den Rechtsstreit an das
Verwaltungsgericht Gießen zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, ein Verfahrensmangel liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 24. August
2005 sei kein einziger Beweisantrag gestellt worden. Über die von der Klägerin
gestellten Beweisanträge habe das erstinstanzliche Gericht in der mündlichen
Verhandlung entschieden. Es habe in der angegriffenen Entscheidung sämtliche
Beweisanträge der Klägerin gewürdigt, zur Kenntnis genommen und begründet
abgelehnt. Damit seien die Beweisantritte nicht unbeachtet geblieben.
Es sei unzutreffend, dass dem Zweitgutachter die zur Korrektur erforderliche
Prüfungskompetenz fehle. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der
sachkundigen Bewertung folge nicht, dass ein Gutachter perfekte Kenntnisse über
alle Einzelheiten oder sämtliche Teilaspekte der Prüfungsleistung haben müsse. Es
sei ausreichend, dass er über einen hinreichenden Überblick über den
fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand in demjenigen Fachgebiet verfüge, mit
dem sich die Diplomarbeit befasse. Die eingesetzten Prüfer müssten –
gegebenenfalls im Zusammenwirken – in der Lage sein, die fachliche Thematik zu
beurteilen.
Zur Zusammensetzung der Prüfungskommission sei anzumerken, dass die
Klägerin die Fragestellung ihrer Diplomarbeit selbst vorgeschlagen habe. Dabei sei
ihr bewusst gewesen, dass es sich um ein randständiges Thema aus dem
Grenzbereich zwischen Psychologie und Kriminaltechnik handele. An deutschen
Universitäten gebe es nur sehr wenige Personen, die hier einschlägige
Kompetenzen aufwiesen. Herr Dr. B. habe am Fachbereich 06, Psychologie und
Sportwissenschaft, das Gebiet „allgemeine Psychologie“ vertreten, das sich unter
anderem auch mit der menschlichen Motorik und deren Abhängigkeit von äußeren
und inneren Bedingungen befasse. Er sei insofern unter den infrage kommenden
Personen des Fachbereichs der am besten geeignete Zweitkorrektor gewesen, um
eine Beurteilung zu einer Arbeit über Schreibmotorik vorzunehmen. Kenntnisse in
Biometrie seien nicht nur nicht erforderlich, sondern führten unter Umständen zu
einer völligen Verzerrung der eigentlichen Problemstellung der Diplomarbeit. Die
menschliche Unterschrift sei kein biometrisches Merkmal, denn sie unterliege
einer spontanen Variabilität und sei durch viele Faktoren beeinflussbar. Die
Tatsache, dass die Unterschrift in einem Passdokument für eine sichere
Personenidentifikation nicht herangezogen werde, bestätige diese Feststellung.
Offenbar sei die Klägerin von einem gänzlich anderen Ansatz ausgegangen. Noch
in der ersten Diplomarbeit habe sie einen langen theoretischen Abschnitt
eingefügt, der sich mit allen Arten von biometrischen Merkmalen befasst habe,
aber nicht für die Fragestellung der Diplomarbeit relevant gewesen sei. In der
zweiten Arbeit habe sie diesen Abschnitt auf Empfehlung der Erstgutachterin
weggelassen. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die Bemerkung von Herrn Dr.
B. auf diesen Abschnitt der ersten Diplomarbeit bezogen habe. Letztlich fuße die
Beurteilung der Diplomarbeit nicht auf der Interpretation von biometrischen
Fragestellungen. Sowohl im Erst- als auch im Zweitgutachten werde klargestellt,
dass die Bewertung der Diplomarbeit darauf beruhe, dass die Ausführungen
teilweise unverständlich und in sich widersprüchlich seien und dadurch einen Beleg
dafür lieferten, dass die Klägerin die Grundbegriffe der empirischen Methodik sowie
grundlegende methodische und statistische Verfahren nicht verstanden habe.
Diese zentralen und zur Abwertung führenden Mängel der Diplomarbeit seien auch
ohne Spezialkenntnisse in Biometrie erkennbar. Die Beurteilung biometrischer
Fragestellungen habe daher keinen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis der
Diplomarbeit. Der Zweitgutachter sei daher allein, in jedem Fall aber im
Zusammenwirken mit der Erstgutachterin, zu einer sachgerechten Beurteilung der
Arbeit befähigt und in der Lage gewesen. Es sei weiterhin nicht nachvollziehbar, wie
die Klägerin zu ihrer Behauptung gelange, die Erstgutachterin habe etwa 70%, der
Zweitgutachter 30% der Prüfungsarbeit zur Kenntnis genommen, jedoch keiner
der beiden die gesamte Arbeit.
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (zwei Behördenakten und zwei Bücher)
sowie die Gerichtsakten der Eilverfahren 3 G 386/03 VG Gießen = 8 TG 423/03
Hess. VGH und 3 G 2210/04 VG Gießen – je ein Band – haben vorgelegen und sind
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der
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zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten
Unterlagen, die gewechselten Schriftsätze und den darüber hinaus gehenden
Inhalt der das vorliegende Berufungsverfahren betreffenden Gerichtsakten (3
Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgemäß innerhalb der vom
Senatsvorsitzenden bis zum 15. Juli 2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist
per Telefax bereits am 17. Mai 2006 begründet worden. Es reicht insofern aus,
dass im Telefax-Schriftsatz vom 17. Mai 2006 auf die Begründung des
Zulassungsantrags Bezug genommen worden ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO,
Kommentar, 14. Auflage, 2005, Rdnr. 68 zu § 124a). Es ist auch nicht schädlich,
dass der Schriftsatz vom 17. Mai 2006 keinen – ausdrücklichen - Berufungsantrag
enthält. Die förmliche Stellung eines Berufungsantrags ist nicht erforderlich. Es
genügt vielmehr, wenn sich unter Heranziehung der Berufungsgründe der
Berufungsantrag im Wege der Auslegung ermitteln lässt (vgl. Kopp/Schenke, a. a.
O., Rdnr. 69 i.V.m. Rdnr. 32 zu § 124a VwGO). Dies ist hier der Fall. Der oben
formulierte Antrag der Klägerin lässt sich ohne weiteres dem Vortrag auf Seite 2
der Zulassungsantragsbegründung vom 30. November 2005 (Bl. 333 f. der
Gerichtsakten) entnehmen. Aus dem Umstand, dass die
Zulassungsantragsbegründung als Berufungsbegründung zu beachten ist, folgt
gleichzeitig, dass das in der Zulassungsantragsbegründung formulierte Begehren
als Berufungsantrag dem weiteren Verfahren zugrunde zu legen ist.
Die somit zulässige Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte
der Klage stattgeben müssen.
1. Der Senat hat in seinem Berufungszulassungsbeschluss vom 9. Mai 2006 - 8
UZ 2985/05 - unter Hinweis auf den entsprechenden Vortrag der Klägerin darauf
hingewiesen, eine ordnungsgemäße Bewertung setze voraus, dass die Betreuerin
und der Zweitgutachter die Prüfungsleistung vollständig zur Kenntnis nähmen und
zu einer Bewertung persönlich imstande seien. Die Rechtsprechung habe stets
gefordert, dass eine hinreichende fachliche Qualifikation zur Beurteilung der
Prüfungsleistung vorliegen müsse. Dies bedeute für einen Prüfer dann, wenn er
sich auf dem entsprechenden Gebiet nicht auskenne, dass er sich in den
Prüfungsgegenstand einarbeiten müsse. Dies habe der Zweitkorrektor jedoch
nicht getan. Er hätte bereits im Vorfeld darauf hinweisen müssen, dass er nicht
befähigt sei, diese Fragen zu beantworten; jedenfalls hätte er die Klägerin in seiner
Mail darauf hinweisen müssen, dass er insoweit nicht befähigt sei, und anregen
können, einen anderen Gutachter zu bestellen. Dies hätte der Klägerin die Chance
gegeben, einen kompetenten Gutachter durch den Fachbereich berufen zu lassen
oder – wenn der Fachbereich nicht über einen derartigen Gutachter verfügt hätte –
anzuregen, einen auswärtigen Gutachter zur Betreuung der Diplom-Arbeit oder
jedenfalls zur „Mit-Betreuung“ zu bestellen. Es folge schon aus dem Wesen einer
Prüfung und sei auch wegen der Einhaltung der Chancengleichheit geboten, dass
die Beurteilung von Prüfungsleistungen nur Personen übertragen werden dürfe, die
nach ihrer fachlichen Qualifikation in der Lage seien, die Leistung des Prüflings
eigenverantwortlich zu beurteilen und zu ermitteln, ob der Prüfling die geforderten
Fähigkeiten besitze, deren Feststellung die Prüfung diene. Dem aus dem
Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) herzuleitenden
verfassungsrechtlichen Gebot der sachkundigen Bewertung entspreche ein Recht
des Prüflings, dass über seine Leistung letztlich von hinreichend sachkundigen
Personen entschieden werde. Der Prüfer müsse über die erforderliche Sachkunde,
also die sogenannte Prüferkompetenz verfügen. Wegen der zahlreichen Nachweise
aus Rechtsprechung und Literatur wird auf Seite 5 des Zulassungsbeschlusses
vom 9. Mai 2006 Bezug genommen.
Der Senat hat weiter ausgeführt, dass der Zweitkorrektor nach seiner eigenen
Einschätzung in Bezug auf die Darstellung zu den biometrischen Verfahren diesen
Anforderungen nicht gerecht werde.
An dieser Einschätzung hält der Senat auch im Berufungsverfahren fest.
Der Zweitkorrektor, Privatdozent Dr. B., hat mit seinem die Diplomarbeit der
Klägerin bewertenden Gutachten vom 12. Juli 2002 auf Seite 2 unter der
Überschrift „Inhalt:“ unter anderem ausgeführt:
„Der Überblick zu den biometrischen Verfahren und insbesondere zur
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„Der Überblick zu den biometrischen Verfahren und insbesondere zur
Stabilität der erfassten Unterschriften ist aus meiner Sicht umfassend dargestellt.
Ob die Darstellung aktuell und erschöpfend ist, vermag ich nicht zu sagen, da ich
mich in dem Gebiet nicht näher auskenne. Erstaunt hat mich aber, dass das
offensichtlich als grundlegend empfundene Lehrbuch (Michel, 1982) bereits 20
Jahre alt ist. …“
Die Bewertung der Diplomarbeit der Klägerin ist schon deshalb fehlerhaft und
muss zu einer Neubewertung führen, weil der Zweitkorrektor, der in Wahrheit die
Arbeit als erster Prüfer korrigiert hat, nicht zu sagen vermochte, ob die Darstellung
zu den biometrischen Verfahren und insbesondere zur Stabilität der erfassten
Unterschriften aktuell und erschöpfend ist, da er sich nach seiner eigenen
Einschätzung in dem Gebiet nicht näher auskennt. Sollte „die Darstellung aktuell
und erschöpfend“ sein, was der Zweitkorrektor nicht zu beurteilen vermöchte, so
könnte dies gegebenenfalls zu einer positiven Beurteilung der Arbeit führen. Daran
vermag auch der Vortrag der Beklagten in der Berufungserwiderung vom 5.
Oktober 2006 (Bl. 403 – 405 der Gerichtsakten) nichts zu ändern. Der Umstand,
dass der Klägerin wegen der von ihr selbst vorgeschlagenen Fragestellung der
Diplomarbeit bewusst war, dass es sich um ein „randständiges Thema aus einem
Grenzbereich zwischen Psychologie und Kriminaltechnik handelt“, wie die Beklagte
vorträgt, rechtfertigt es nicht, einen Prüfer einzusetzen, der sich „in dem Gebiet
nicht näher“ auskennt, wie er selbst einräumt. Ist die Hochschule nicht in der Lage,
einen geeigneten Prüfer bereitzustellen, so muss sie den Themenvorschlag des
Prüflings ablehnen, oder dafür sorgen, dass der Prüfer sich in die ihm bisher nicht
oder nicht vollständig vertraute Materie einarbeitet.
Die Beklagte trägt in der Berufungserwiderung weiter vor, eine mangelnde
Kompetenz des Zweitkorrektors aufgrund angeblich fehlender Kenntnisse über
Biometrie abzuleiten, sei abwegig. Kenntnisse in Biometrie seien nicht nur nicht
erforderlich, sondern führten unter Umständen zu einer völligen Verzerrung der
eigentlichen Problemstellung der Diplomarbeit. Die menschliche Unterschrift sei
eben kein biometrisches Merkmal, denn sie unterliege einer spontanen Variabilität
und sei durch viele Faktoren beeinflussbar. Die Tatsache, dass die Unterschrift in
einem Passdokument für eine sichere Personenidentifikation nicht herangezogen
werde, sondern andere Merkmale dies übernähmen, bestätige diese Feststellung.
Offenbar sei die Berufungsklägerin jedoch von einem gänzlich anderen Ansatz
ausgegangen. Sodann verweist die Beklagte auf die erste Diplomarbeit und führt
weiter aus, in der zweiten Arbeit habe die Klägerin den entsprechenden Abschnitt
auf Empfehlung der Erstgutachterin weggelassen. Es sei nicht auszuschließen,
dass sich die Bemerkung des Zweitkorrektors auf diesen Abschnitt der ersten
Diplomarbeit bezogen habe. Letztlich habe die Beurteilung nicht auf der
Interpretation von biometrischen Fragestellungen gefußt. Sowohl in dem Erst- als
auch in dem Zweitgutachten werde eindeutig klargestellt, dass die Bewertung der
Diplomarbeit darauf beruhe, dass die Ausführungen der Klägerin teilweise
unverständlich und in sich widersprüchlich seien und dadurch einen Beleg dafür
lieferten, dass die Klägerin die Grundbegriffe der empirischen Methodik sowie
grundlegende methodische und statistische Verfahren nicht verstanden habe.
Diese zentralen und zur Abwertung führenden Mängel der Diplomarbeit seien auch
ohne Spezialkenntnisse in Biometrie erkennbar. Die Beurteilung biometrischer
Fragestellungen habe daher keinen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis der
Diplomarbeit gehabt.
Diese von der Beklagten nachträglich vorgenommene Bewertung des Gutachtens
des Zweitkorrektors vom 12. Juli 2002 vermag an der aus prüfungsrechtlicher Sicht
gegebenen Fehlerhaftigkeit dieses Gutachtens nichts zu ändern. Ob bestimmte
Ausführungen einer Prüfungsarbeit zum Thema dieser Arbeit gehören oder nicht,
beurteilt in aller Regel der Prüfer eigenverantwortlich im Rahmen seines
prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraums. Die Überschreitung dieses
Spielraums kann allerdings prüfungsrechtlich relevant sein und zur Aufhebung der
Prüfungsentscheidung führen.
Hier ist der Zweitkorrektor erkennbar davon ausgegangen, dass die von ihm
angesprochenen Aspekte der „biometrischen Verfahren“ und insbesondere der
„Stabilität der erfassten Unterschriften“ zum Thema der Diplomarbeit gehörten.
Andernfalls wäre die oben wörtlich zitierte Passage von Seite 2 Mitte des
Gutachtens vom 12. Juli 2002 überflüssig gewesen. Davon kann jedoch nicht
ausgegangen werden, zumal die vom Zweitkorrektor angesprochene Stabilität
auch im weiteren Verlauf des Gutachtens vom 12. Juli 2002 eine Rolle spielt. Der
Zweitkorrektor fährt nämlich fort, im Kapitel 3.1 würden die zentralen Begriffe der
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Zweitkorrektor fährt nämlich fort, im Kapitel 3.1 würden die zentralen Begriffe der
Arbeit nicht klar definiert und auch nicht immer sauber getrennt. Hier sei von
Objektivität, , Reliabilität, Konsistenz und auch noch Konstanz die Rede.
Dementsprechend unklar bleibe, wie (in Tabelle 5) durch „ split-
half-methoden “ gewonnen werden könnten. Nach dem Verständnis des
Zweitkorrektors sei Objektivität das Ausmaß, in dem zwei (oder mehr) Beurteiler
bei derselben Schriftprobe zum selben Ergebnis kämen, Stabilität das Ausmaß,
mit dem zwei (oder mehr) Unterschriften derselben Person übereinstimmten,
Reliabilität das Ausmaß, mit dem eine Schriftprobe vom selben Beurteiler in
wiederholten Beurteilungen übereinstimmend analysiert werde. Diese Konzepte
gingen im Text der Autorin aber leider munter durcheinander und erweckten teils
den Eindruck, synonym verwendet zu werden. Hier scheine also ein grundlegendes
methodisches Verständnis zu fehlen.
Dass auch die Biometrie im weiteren Verlauf des Gutachtens eine Rolle spielt,
zeigen die Ausführungen ab Seite 2 unten des Gutachtens. Dort heißt es, das
Kapitel 3.2 zur fokussiere auf dem hier eingesetzten Verfahren des
Fraunhofer-Instituts Berlin und gehe wenig auf andere Ansätze ein. Diesen Teil der
Arbeit habe er, der Zweitkorrektor, inhaltlich aber relativ am besten gelungen
gefunden. Die Inhalte seien klar und verständlich (und auch anschaulich)
dargestellt.
Setzt sich demnach der Zweitkorrektor sowohl mit den Ausführungen der Klägerin
zur Biometrie als auch insbesondere mit ihren Erwägungen zur Biometrie
auseinander und bewertet die Ausführungen der Klägerin zu diesen Aspekten teils
negativ, teils positiv, so kann nicht – wie die Beklagte meint – davon die Rede sein,
dass die Beurteilung biometrischer Fragestellungen keinen maßgeblichen Einfluss
auf das Ergebnis der Diplomarbeit gehabt habe.
Dafür, dass die Stabilität der Unterschriften zum Thema der Diplomarbeit gehört,
spricht auch, dass nach Seite 3 der Stellungnahme der Erstkorrektorin vom 2.
Januar 2003 (Bl. 63 ff., 65 d. GA.) „die Stabilität der Unterschrift der
Versuchspersonen bedeutsam“ ist. Dies wird im Einzelnen begründet, worauf
verwiesen werden kann.
2. Zu beanstanden ist auch, dass der Zweitkorrektor – wenn auch vorsichtig
formuliert – Kritik daran übt, dass die Klägerin ein von ihr als grundlegend
empfundenes Lehrbuch (Michel, 1982) verwendet hat, obwohl dieses Lehrbuch
bereits 20 Jahre alt ist. Dem Prüfergutachten des Zweitkorrektors lässt sich nicht
entnehmen, warum der Zweitkorrektor diesen Aspekt kritisiert. Auch ein 20 Jahre
altes Lehrbuch kann für heutige Beurteilungen relevant sein.
3. Soweit der Zweitkorrektor in der oben zitierten E-Mail vom 3. Juni 2002 den
Entwurf der Arbeit als passablen Entwurf bezeichnet hat, der noch besser werden
kann, er aber nur etwas mehr als einen Monat danach die Arbeit mit „nicht
ausreichend“ (5) bewertet hat, hat er das im Prüfungsrecht allgemein anerkannte
Gebot der Fairness (vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2,
Prüfungsrecht, 4. Auflage, 2004, Rdnrn. 185 ff.; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht,
2. Auflage, 2001, Rdnrn. 194 ff., jeweils m. w. N.) verletzt. Das Fairnessgebot zielt
auf einen einwandfreien, den Prüfling nicht unnötig belastenden Prüfungsverlauf
ab. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Stils der Prüfung als auch der Umgangsformen
der Beteiligten (vgl. Niehues, a. a. O., Rdnr. 185; Zimmerling/Brehm, a. a. O., Rdnr.
194). Schon die Bemerkung, der Entwurf gefalle dem Prüfer schon wesentlich
besser als die erste Fassung, es gebe allerdings noch einige Kleinigkeiten, die der
Zweitkorrektor gern mit der Klägerin besprechen würde, musste bei der Klägerin
den Eindruck erwecken, sie sei auf einem guten Weg, ein Misserfolg der Arbeit sei
so gut wie ausgeschlossen. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die vorab, also vor
dem Gespräch, vom Zweitkorrektor in der E-Mail getroffenen 7 Feststellungen,
nämlich die ersten drei Kapitel seien „so ok“, die Fragestellung komme zu kurz
weg und sollte ausführlicher sein, bei der Methode gebe es einige kleinere
Ungenauigkeiten, Ergebnisse und Diskussion sollten getrennt werden, die
Ergebnisdarstellung sei noch stärker verbesserungsfähig, hier fehlten auch
jedwede Tests, da sei auf jeden Fall noch etwas zu tun, die Zusammenfassung
sollte die gesamte Arbeit darstellen und gehöre an den Anfang, was hier Ausblick
heiße, finde er, der Prüfer, gut, es gehöre in die Diskussion.
Wenn hier auch einzelne Kritikpunkte vorsichtig angesprochen werden, so musste
die Klägerin bei objektiver Beurteilung doch davon ausgehen, dass sie bei einer
Berücksichtigung dieser Kritikpunkte und bei Einarbeitung entsprechender
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Berücksichtigung dieser Kritikpunkte und bei Einarbeitung entsprechender
Verbesserungen jedenfalls ein „Ausreichend“ würde erreichen können. Dafür
sprach auch die Schlussbemerkung „also insgesamt ein passabler Entwurf, der
noch besser werden kann“. Dies alles gilt umso mehr, als die Klägerin in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen hat, sie
habe die von beiden Prüfern vorgeschlagenen Änderungen in die Diplomarbeit
eingearbeitet.
Es verstößt gegen das Fairnessgebot, dass der Zweitkorrektor bei der Klägerin den
Eindruck erweckte, ihr werde es jedenfalls gelingen, eine ausreichende Arbeit
zustande zu bringen, der Zweitkorrektor die Klägerin aber nur wenige Wochen nach
dieser Mitteilung - wie die Klägerin auf Seite 9 der Zulassungsantragsbegründung
hat vortragen lassen – „ins Messer laufen“ ließ, indem er die Arbeit mit „nicht
ausreichend“ (5) bewertete.
Insofern hat der Zweitkorrektor auch gegen seine Hinweispflichten verstoßen. Das
Prüfungsrechtsverhältnis ist „keine Einbahnstraße“. Es gibt sowohl
Mitwirkungsrechte des Prüflings als auch Fürsorge- und Hinweispflichten der
Prüfungsbehörde (vgl. Zimmerling/Brehm, a. a. O., Rdnr. 98 m. w. N.). Es
entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die
verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte auch im jeweiligen
Verfahrensrecht Geltung beansprucht. Dies gilt nicht nur für die Grundrechte aus
Art. 2 Abs. 2 GG, sondern auch für das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 13. November 1979 – 1 BvR 1022/78 – NJW 1980, 1153 f.,
m.w.N.). Daraus resultieren auch Hinweispflichten der Prüfungsbehörde bzw. der
Prüfer.
Hier hatte der Zweitkorrektor bei der Klägerin den Eindruck erweckt, bereits einen
passablen Entwurf vorgelegt zu haben. War er – wie die Beklagte nunmehr
sinngemäß vorträgt – trotz der insgesamt überwiegend positiven Bemerkungen zu
dem eingereichten Entwurf der Auffassung, dass die Arbeit schlechter als
ausreichend war, so hätte er die Klägerin gerade wegen der von ihm in der E-Mail
verwendeten positiven Formulierungen auf diesen Umstand hinweisen müssen.
Dies hat er jedoch nicht getan und damit die Gefahr heraufbeschworen, dass die
Klägerin davon ausging, schon zur Zeit der Abgabe des Entwurfs am 3. Juni 2002
eine wenigstens ausreichende Arbeit vorgelegt zu haben.
4. Prüfungsrechtlich zu beanstanden ist auch die Bewertung durch die
Erstkorrektorin und Betreuerin, deren Korrektur in Wahrheit die Zweitkorrektur war.
Sie hat am Ende ihres als „Referat zur Diplomarbeit“ bezeichneten
Prüfergutachtens vom 25. Juli 2002 (Bl. 96 – 101 des Verwaltungsvorgangs, rotes
Heft) Folgendes ausgeführt:
„Verlauf der Betreuung:
Frau A. ist ausführliche Betreuung von meiner Seite und Frau Dipl.-Psych.
F. angeboten worden. Sie hat diese Unterstützung auch zeitweise ausführlich in
Anspruch genommen, allerdings nach einer Vielzahl von
Verbesserungsvorschlägen für die Kapitel 1. – 3. sowie für die
Auswertungsstrategie, wurde die Nachfrage nach Feedback abrupt abgebrochen,
und die Arbeit in den letzten Wochen selbständig weiter und zu Ende geführt. Es
drängte sich der Eindruck auf, als würden von Seiten der Kandidatin kritische
Stellungnahmen, die Anlaß zu arbeitsaufwändigen Korrekturen wären, vermieden
werden. Es fiel Frau A. schwer, auch nach sehr ausführlicher mündlicher
Erläuterung über Inhalt und Ziel eines Kapitels dies sprachlich präzise und
verständlich niederzulegen. Logische Gliederung und präzise Begriffsbildung musst
oft vorformuliert werden, der Sinn und die Logik der Auswertungsstrategien
musste mehrmals und ausführlich erläutert werden. Trotzdem waren Vorschläge
und Gedankengänge in der schriftlichen Niederlegung durch Frau A. in der
vorliegenden Arbeit oft nicht mehr wiederzuerkennen.“
Derartige Ausführungen, die eine Kritik der Klägerin hinsichtlich des Verlaufs der
Betreuung enthalten, die aber auch in sehr allgemeiner und pauschaler Form
monieren, welchen Niederschlag die Betreuung in der Arbeit gefunden hat,
gehören nicht in ein eine Examensarbeit betreffendes Prüfergutachten. Nicht das
Verhalten eines Prüflings während der Betreuung der Diplomarbeit ist zu bewerten,
sondern die Arbeit selbst, also die Prüfungsleistung, die ein Ergebnis auch der
Umsetzung dessen ist, was Gegenstand des Betreuungsverfahrens war. Es lässt
sich den Prüfungsvorschriften der Diplomprüfungsordnung Psychologie der
Beklagten vom 6. Dezember 1985 (ABl. vom 31. Mai 1986, Seite 261), in der
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Beklagten vom 6. Dezember 1985 (ABl. vom 31. Mai 1986, Seite 261), in der
Fassung der 8. Änderung vom 15. Dezember 1999 (StAnz. 45 vom 6. November
2000, Seite 3629), nicht entnehmen noch gibt es einen allgemeinen
Prüfungsgrundsatz dahingehend, dass der Umfang und/oder die Intensität der
Betreuung und das, was in Folge der Betreuung an Verbesserungen in die Arbeit
Eingang gefunden hat, zu einer Notenveränderung führen kann. Zum einen wäre
völlig unklar, wie der jeweilige Prüfer das Verhalten des Prüflings während der
Betreuungsphase wertet. Es ist denkbar, dass ein Prüfer das häufige
Inanspruchnehmen der Betreuung als Dokumentation des besonderen Interesses
des Prüflings sieht und die Note deshalb anhebt. Es ist aber auch möglich, dass
ein Prüfer die Inanspruchnahme negativ bewertet und die Note deshalb absenkt.
Schließlich könnte das Bestehen einer Kompetenz des Prüfers, den
Betreuungsverlauf in die Benotung einfließen zu lassen, bei einigen Prüflingen
sogar zu einer Vermeidung von Betreuungsleistungen führen, aus Angst, dadurch
die Note negativ zu beeinflussen. Letztlich wäre es dem Gutdünken des Prüfers
überlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen sowie in welchem Umfang er
eine Beeinflussung der Note durch das Verhalten des Prüflings während des
Betreuungsverfahrens annähme. Nach allem kann eine derartige Prüferkompetenz
nicht angenommen werden. Dass die Erstkorrektorin aber von einer derartigen
Prüferkompetenz ausgegangen ist, zeigen ihre Angaben im Erörterungstermin vor
dem Verwaltungsgericht am 23. Juni 2004. Sie hat dort unter anderem erklärt (Bl.
81 von Band I der Gerichtsakten):
„Ich meine, dass zu dem Gutachten auch Ausführungen über die
Betreuungssituation gehören, weil beispielsweise eine gute Arbeit, die mir
(gemeint ist: „mit“) sehr geringem Betreuungsaufwand erstellt worden ist, besser
bewertet werden kann, als die gleiche Arbeit, die der Prüfungskandidat mit hohem
Betreuungsaufwand erstellt hat.“
Schon diese Meinungsäußerung deutet darauf hin, dass die Bewertung der
Zusammenarbeit während der Betreuungsphase in die Bewertung der Arbeit
eingeflossen ist. Die Prüferin hat dies zwar im Erörterungstermin vor dem
Verwaltungsgericht auf entsprechende Frage des Klägerbevollmächtigten
bestritten. Dieses Bestreiten ist jedoch nicht stichhaltig, denn warum hat sie
Ausführungen zur Zusammenarbeit in ihrem Prüfergutachten gemacht, wenn dies
für die Bewertung der Diplomarbeit keine Rolle gespielt haben soll. Es ist
prüfungsrechtlich unerheblich, wenn ein Prüfer nach Anfechtung einer
Prüfungsentscheidung solche Passagen seines Prüfergutachtens, die vom Prüfling
angegriffen werden, für unwirksam, nichtig oder unerheblich erklärt, bzw. wenn er
nachträglich einen Einfluss auf die Beurteilung ausschließt. Vielmehr ist
grundsätzlich davon auszugehen, dass alles, was in die Begutachtung Eingang
findet, für die Bewertung auch relevant war. Dies kann allenfalls anders sein, wenn
sich dem Prüfergutachten selbst entnehmen lässt, dass es sich um eine beiläufige
Bemerkung gehandelt hat, die auf die Bewertung keine Auswirkungen gehabt hat.
Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte.
Es ist zwar nach der Rechtsprechung in den Fällen eines fehlenden
Widerspruchsverfahrens, aber auch im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens
geboten, den Prüfern Gelegenheit zu geben, im Wege eines Überdenkens ihre
Bewertung unter Berücksichtigung der Einwände des Prüflings noch einmal selbst
zu hinterfragen und gegebenenfalls eine Neubewertung vorzunehmen. Auch wenn
der Prüfer eine teilweise Fehlbeurteilung einräumt, hat er im Rahmen seines
prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraums abhängig von den Umständen des
jeweiligen Einzelfalls grundsätzlich das Recht, unter Aufrechterhaltung der
restlichen Einzelbewertungen eine Gesamtbewertung vorzunehmen, die zum
gleichen Ergebnis wie die ursprüngliche Bewertung kommt. Eine Neubewertung hat
die Erstkorrektorin hier jedoch nicht vorgenommen. Vielmehr hat sie sowohl in
ihrer Stellungnahme vom 2. Januar 2003 im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
(Bl. 63 – 70 der Gerichtsakten) als auch im Erörterungstermin vor dem
Verwaltungsgericht (Bl. 81 der Gerichtsakten) ihre vorgenommene Begutachtung
erläutert. Das heißt, es kann nicht unterstellt werden, sie räume einen Prüferfehler
ein, komme aber auf Grund der restlichen Mängel der Diplomarbeit in jedem Fall
zu dem gleichen negativen Ergebnis.
Damit hat der Senat die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Bewertung in vollem
Umfang zu beurteilen, soweit nicht der Beurteilungsspielraum der Erstkorrektorin
eingreift, was hier im Hinblick auf den genannten Kritikpunkt der Berücksichtigung
des Verlaufs der Betreuung nicht der Fall ist. Enthält das Gutachten Elemente, die
nicht in das Gutachten hineingehören, hier einen Aspekt, der nichts mit dem Inhalt
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nicht in das Gutachten hineingehören, hier einen Aspekt, der nichts mit dem Inhalt
der Arbeit selbst zu tun hat, sondern auf Umständen beruht, die außerhalb des
eigentlichen Inhalts der Diplomarbeit liegen, dann überschreitet der Prüfer insofern
den prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum.
Nach allem ist die Diplomarbeit der Klägerin neu zu bewerten. Die Neubewertung
muss auch durch andere als die bisherigen Prüfer vorgenommen werden, denn
angesichts der Umstände des vorliegenden Falls kann nicht mit der nötigen
Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die beiden bisherigen Prüfer bei einer
Neubewertung der Arbeit unbefangen vorgehen werden.
Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, da sie
unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.