Urteil des HessVGH vom 23.02.1995

VGH Kassel: recht auf freiheit, wissenschaft und forschung, daten, eingriff, naevus, vergleich, allgemeines verwaltungsrecht, papier, hochschule, informatik

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 UE 652/93
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 5 Abs 5 GG
(Eingriff in die Forschungsfreiheit eines Hochschullehrers
durch die Tätigkeit einer vom Dekan eingesetzten
Kommission)
Tatbestand
Der Kläger ist als Hochschullehrer am Fachbereich bei der Beklagten tätig.
Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit beschäftigte und beschäftigt sich der Kläger
u. a. mit der Frage der diagnostischen Unterscheidbarkeit von malignen
Hauttumoren (Melanome), sogenannten Naevi und dysplastischen Naevi durch
Fluoreszenzmessungen an der Haut. Unter seiner Leitung wurden Patienten, bei
denen Hautveränderungen der zuvor bezeichneten Art vorlagen, mit Hilfe der
Fluoreszenzspektroskopie untersucht, wobei Messungen im Innenbereich der
Hautflecken, am Rand sowie im Bereich der gesunden Haut vorgenommen
wurden. Im Jahre 1988 veröffentlichte der Kläger zusammen mit einem weiteren
Autor die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit in der Fachzeitschrift
"Naturwissenschaften"; in zwei weiteren Veröffentlichungen aus dem Jahre 1989
wiederholte er seine Ergebnisse, wonach bei Patienten mit Melanomen eine
signifikante Erhöhung der Fluoreszenz gemessen worden sei.
Mit Schreiben vom 14. Mai 1990 unterrichtete ein wissenschaftlicher Mitarbeiter
des Klägers, Herr Dr. N., den damaligen Dekan des Fachbereichs darüber, daß ihm
anläßlich der Betreuung von Diplomanden und Doktoranden Diskrepanzen
zwischen den ihm zugänglichen Meßergebnissen der Fluoreszenzspektroskopien
und den Daten, die sich in den Veröffentlichungen des Klägers fänden, aufgefallen
seien. Weiter heißt es in diesem Brief, bei insgesamt vier Gesprächen mit dem
Kläger habe sich herausgestellt, daß die vom Kläger publizierten Meßergebnisse
nicht mit den tatsächlich gewonnenen übereinstimmten. Der Kläger sei jedoch
nicht bereit gewesen, seine Veröffentlichungen zu korrigieren.
Dieses Schreiben nahm der Dekan des Fachbereichs zum Anlaß, zur Klärung der
Vorgänge eine "ad-hoc-Kommission" einzuberufen, der außer ihm selbst zunächst
sechs weitere Professoren des Fachbereichs, darunter der Prodekan, angehörten.
Mit Beginn des Wintersemesters 1990/91 wurde auch der neugewählte Prodekan
Mitglied der Kommission, die erstmals am 3. Juli 1990 zusammengetreten war. An
den ersten drei der insgesamt sieben Sitzungen der Kommission nahm der Kläger
teil.
Nachdem in der ersten Sitzung die erhobenen Vorwürfe gemeinsam mit dem
Kläger und Herrn Dr. N. diskutiert worden waren, legte der Kläger beim zweiten
Zusammentreffen der Kommission am 6. Juli 1990 zur Rechtfertigung der von ihm
publizierten Daten sogenannte Scattergramme vor, die er anhand der Daten von
52 - nach seinen Angaben zufällig ausgewählter und mit der
Fluoreszenzspektroskopie untersuchter - Patienten erstellt hatte. Da ein Konsens
bezüglich des Datenmaterials nicht erzielt werden konnte, beschloß die ad-hoc-
Kommission schließlich in ihrer vierten Sitzung, an der Erstellung eines
umfassenden unstrittigen Datensatzes nicht mehr mitwirken zu wollen. In den
folgenden Sitzungen wurde der Entwurf einer abschließenden Stellungnahme zu
dem aufgeworfenen Fragenkomplex beraten. In der letzten Sitzung am 7. Mai
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dem aufgeworfenen Fragenkomplex beraten. In der letzten Sitzung am 7. Mai
1991 wurden die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe abschließend behandelt
und in folgender, einstimmig beschlossener Erklärung zusammengefaßt:
"FESTSTELLUNGEN UND BESCHLUSSE DER AD HOC-KOMMISSION DES FB ZUR
KONTROVERSE UBER "FLUORESZENZUNTERSUCHUNGEN AN HAUT"
I. AUSGANGSLAGE
Am 14.5.1990 erhob AOR Dr. in einem Brief an den Dekan des FB schwerwiegende
Vorwürfe gegen wissenschaftliche Arbeiten von Prof. Dr. (Anlage 1). Der Dekan
setzte darauf eine ad hoc-Kommission ein, um die Vorwürfe zu klären. Zwischen
dem 3.7.1990 und dem 7.5.1991 wurden sieben Sitzungen abgehalten, drei
hiervon mit den Beteiligten (Anlage 2). Nachdem zunächst das breite Spektrum
der Vorwürfe diskutiert worden war, konzentrierte sich die Kommission sodann auf
den aktuellsten und wichtigsten Vorwurf; er betrifft
"FLUORESZENZUNTERSUCHUNGEN AN HAUT".
In der ersten, gemeinsam mit Prof. Dr. (damals Universitäts-Hautklinik) in den
Naturwissenschaften 75, 201-202 (1988) publizierten Arbeit "In situ Detection of
Melanomas by Fluorescence Measurements" behaupteten die Autoren, eine 10-
fache Randüberhöhung der Fluoreszenzintensität bei Melanomen (im Vergleich zu
den Naevi; ohne Randüberhöhung) und eine 100-prozentige Übereinstimmung mit
den histologischen Befunden festgestellt zu haben:
"The peak intensity (of healthy skin) is about 30 counts per 100 ms. ... At the edge
of a tumor (melanoma). the count rate increases ... to 300-400 counts per 100
ms... A total of 82 patients with naevus cell neavi (54) and melanomas (28).
respectively, were tested... Until now, all fluorescence results were confirmed
histologically."
Prof. wiederholte in mehreren weiteren Publikationen diese Aussagen (enthalten in
Anlage 3), so z.B. in den Naturwissenschaften 76, 72-74 (1989) (s. Lit. 5 von
Anlage 3):
"The intensity of the fluorescence is about ten times higher at the rim of a
malignant melanoma than in the adjacent healthy tissue, while no fluorescence
could be detected in the tumor region."
Mehrfach zitierte Prof. auch den Fall eines 56 Jahre alten Patienten mit einem
Melanom am unteren Lid seines linken Auges (s. Lit. 9, 10 u. 13 von Anlage 3).
Nachdem die o.g. Aussagen auf der 1. Sitzung der ad hoc-Kommission hinterfragt
und in Zweifel gezogen wurden (s. Anlage 4 und 5), präsentierte Prof. auf der 2.
Sitzung ein von ihm eigens erstelltes Scattergramm (Anlage 6), für das er - nach
eigenem Bekunden - aus dem gesamten Datenmaterial 52 Patienten "willkürlich,
ungezielt und daher repräsentativ" ausgewählt hatte. Das Scattergramm erweckte
den Eindruck einer Signifikanz der Fluoreszenz-Methode und ihrer Brauchbarkeit
für die klinische Diagnose. Die zuvor publizierte Behauptung einer 100-prozentigen
Übereinstimmung mit den histologischen Befunden (s.o.) schwächte Prof. nun auf
"ca. 90%" ab.
Die ad hoc-Kommission beauftragte daraufhin Dr. mit einer Aufstellung sämtlicher
bisher untersuchten Fälle. OA Dr. med. (von der Universitäts-Hautklinik) stellte
eine 201 Fälle umfassende histologische Befundliste zur Verfügung und Prof.
übergab sein - nach eigenem Bekunden - komplettes Datenmaterial dem Dekan.
Nachdem dieses anonymisiert worden war, erstellte Dr. zusammen mit Dr. und Dr.
die gewünschten Listen.
Bei der statistischen Auswertung der insgesamt 45 Melanom-, 137 Naevus- und
20 dysplastischen Naevusfälle wurden die Außenwerte (als Kontrollwerte an
gesunder Haut), die Rand- und Innenwerte, sowie die Verhältnisse Rand/Kontrolle
und Rand/Innenwerte genauer untersucht. Zur Überprüfung des sogenannten "2.
Bernhardt'schen Kriteriums" bestimmte Dr. zusätzlich die mittleren und
maximalen Quotienten Außen/Innenwert. In seiner Auswertung vom 18.9.1990
stellte er fest, daß die vorliegenden Meßprotokolle keinen einzigen Melanomfall
enthielten, der auch nur annähernd eine zehnfache Randüberhöhung aufwies, und
daß die Wahrscheinlichkeit, 28 Melanomfälle mit einem solchen Verhältnis zu
finden, "aus statistischer Sicht ausgeschlossen" sei. Ferner hätte lediglich ein
Einzelwert von 212 gemessenen Fluoreszenzintensitäten im Inneren von
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Einzelwert von 212 gemessenen Fluoreszenzintensitäten im Inneren von
Melanomen den publizierten Wert Null besessen. Dr. zog den Schluß:
"Eine Melanomdiagnostik aufgrund der angegebenen Methode ist folglich
nicht möglich".
Hinsichtlich der "Bernhardt'schen Kriterien" würden sich Melanome "in keiner der
gemessenen Fluoreszenzcharakteristika signifikant von anderen Pigmentflecken
unterscheiden".
In zunächst drei "Mängellisten" beanstandete daraufhin Prof. 63 der insgesamt 206
von Dr. aufgeführten Fälle. Dieser akzeptierte 9 Einwände als voll gerechtfertigt
sowie 3 weitere Kritikpunkte als teilweise gerechtfertigt und korrigierte seine
Aufstellung entsprechend (s. Anlagen 7 und 8). Prof. hielt alle seine Einwände
aufrecht. Nachdem auf der 3. Ausschußsitzung keine Klärung der noch strittigen
Punkte erreicht und kein gemeinsames Datenmaterial erstellt werden konnte,
übergab Prof. seine eigene Aufstellung zusammen mit den "N-Listen" dem Institut
für Medizinische Informatik zur Auswertung. Die "L-Listen" enthielten nur 148 Fälle,
wobei insbesondere die Zahl der Naevus-Fälle (60) - im Vergleich zur Befundliste
von Dr. - halbiert war. Prof. begründete diese Maßnahme mit medizinischen
Gesichtspunkten: Er hätte "weitere Recherchen im Histologiebuch der Hautklinik"
angestellt. "Geringe Dysplasien" bei bisher als normal klassifizierten Naevi seien zu
berücksichtigen; auf den Unterschied zwischen der "abgekürzten Diagnose für die
abteilungsinterne Dokumentation" und dem "Originalbefund an den behandelnden
Arzt" wurde verwiesen. Daraufhin wich die ad hoc-Kommission von ihrer
ursprünglichen Absicht ab und verzichtete auf die Erstellung eines "einwandfreien
und unstrittigen Datensatzes". Der Dekan informierte im Auftrag der Kommission
Prof. Dr. J. (GfD des Instituts für Medizinische Informatik) von einem "massiven
Eingriff in das Datenmaterial" durch Prof.
Ende Januar 1991 legte Prof. das Ergebnis der statistischen Auswertung der
Datensätze von Prof. und Dr. vor. Anstelle der strittigen Randüberhöhung wurden
der "maximale Außenwert", der "Innenwert" und der "Quotient max. Außenwert zu
Innenwert" statistisch untersucht. Anstelle der strittigen Trefferwahrscheinlichkeit
wurden Irrtumswahrscheinlichkeiten p ermittelt (s. Anlage 9). Prof. zufolge zeigen
die Außenwerte der L-Listen hochsignifikante Unterschiede (mit p = 0,005)
zwischen Naevi und dysplastischen Naevi, während Melanome von Nicht-
Melanomen nicht zu unterscheiden wären. Die Innenwerte sowie die Quotienten
aus den L-Listen erlaubten hochsignifikante Unterscheidungen (mit p<0,001 bzw.
sogar p<0,00001) von Naevi einerseits und dysplastischen Naevi bzw. Melanomen
andererseits: die beiden letztgenannten Gruppen könnten dagegen nicht
unterschieden werden (s. Anlage 9 u. 10). Legt man die N Listen zugrunde, so
lieferten nach Prof. die Außenwerte keine Rückschlüsse auf die Pigmentart, und die
Innenwerte lägen an der "Grenze der Signifikanzschwelle" (mit p = 0,055).
Hingegen gestatteten die Quotienten eine deutliche Unterscheidung (mit p =
0,002) von Melanomen und Naevi. Prof folgerte aus diesen Ergebnissen (s. S. 4
von Anlage 9):
"Die von Herrn Dr. geäußerten Vorwürfe sind deshalb m.E.
nicht aufrechtzuerhalten und müssen nach dieser Auswertung
in aller Deutlichkeit zurückgenommen werden".
Am 8.4.1991 reichte Prof. eine vierte "Mängelliste" zur - Auswertung vom
18.9.1990 ein, legte u.a. ein Histogramm seiner, der statistischen Auswertung
zugrunde liegenden Daten vor (s. Anlage 10), rechtfertigte die Stichprobenauswahl
seines Scattergramms vom 6.7.1990 und stellte fest, daß "wir Werte am Tumor-
Rand ... nie zur Beschreibung einer möglichen Malignität benutzt haben" und daß
"bisher immer das Verhältnis max. Außenwert zu min. Innenwert benutzt" wurde
(s. Anlage 11).
Am 19.4.1991 stellte der GfD der Hautklinik, Prof. Dr.Dr. med. habil. mit Schreiben
an den Dekan fest:
"Die in der -Liste angegebenen Naevi und dysplastischen Naevi wurden
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"Die in der -Liste angegebenen Naevi und dysplastischen Naevi wurden
histologisch überprüft. Die Daten stimmen bis auf einen einzigen Wert (...) mit der
histologischen Nachklassifikation überein" (s. Anlage 12).
II: BESCHLUSSE
Um "die Wahrheit zu suchen und zu bekennen" sowie weitergehenden Schaden
vom Institut für dem Fachbereich und der Universität abzuwenden, trifft die ad
hoc-Kommission einstimmig folgende Feststellungen und stellt gleichfalls
einstimmig folgende Forderungen auf:
1. Publikationen von Prof. et al. (s. Anlage 3)
1.1. Feststellung
Für folgende in den o.g. Publikationen behaupteten Eigenschaften und Leistungen
der Fluoreszenz-Methode, nämlich eine Randüberhöhung von 10:1 (oder 6:1) und
eine hierauf beruhende, eindeutige Unterscheidbarkeit zwischen Naevi und
Melanomen liegen uns trotz Aufforderung an Prof. weder dokumentierte Fälle vor,
noch sind diese statistisch abgesichert.
Die Aussagen in den Publikationen sind daher nicht haltbar.
1.2 Forderung
Prof. wird aufgefordert, innerhalb von 3 Monaten und nach Rücksprache mit seinen
Koautoren in allen entsprechenden Zeitschriften Errata zur Veröffentlichung
einzureichen, in denen die obigen Aussagen zurückgenommen werden.
Er wird weiter aufgefordert, die o.g. Aussagen weder in Wort noch in Schrift zu
wiederholen.
1.3. Begründung
Die in Frage gestellten Aussagen lassen sich zwar nicht direkt nachprüfen, da die
Unterlagen aller 82 zugrunde liegenden Fälle nicht mehr auffindbar sind und selbst
Prof. keinerlei Angaben über deren Verbleib machen kann. Jedoch kann ein
Vergleich der o.g. Aussagen mit dem vorliegenden Datenmaterial von über 200
später untersuchten Fällen herangezogen werden, da eine physikalische Aussage
nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn sie innerhalb der Fehlergrenzen
reproduzierbar ist.
Bei diesen mehr als 200 neuen Fällen wurde in keinem einzigen Fall auch nur
annähernd eine Randüberhöhung von 10:1 (gemäß Lit. 1 ff aus Anlage 3) bzw. von
6:1 (gemäß Lit. 14 aus Anlage 3) am selben Patienten beobachtet; der höchste,
dokumentierte Melanom-Quotient betrug 1,6 :1 (s. Anlage 5).
In dem von Prof. wiederholt zitierten Fall eines Melanoms unter dem linken Auge
(s. Lit. 9, 10, 13 von Anlage 3) zeigt der Vergleich mit den Meßprotokollen, daß
mehrere Meßpunkte unkorrekt publiziert wurden. Insbesondere konnte die
angeblich stark überhöhte Fluoreszenzintensität am Rand (2000 Impulse pro
Sekunde) nirgends im dokumentierten Datensatz gefunden werden (s. Anlage 4).
Prof. hat vor der ad hoc-Kommission diese Fehler zugegeben und zunächst die
Publikation eines Erratums angekündigt. Er berief sich auf falsche Informationen
durch seine Mitarbeiter. In der darauf folgenden Kommissionssitzung lehnte Prof.
die Publikation des Erratums jedoch ab (s. Protokoll der 3. Sitzung).
Vergleicht man die von Dr. erstellten Verteilungskurven der Randüberhöhungen
aller dokumentierten und histologisch zuordenbaren Naevi-, dysplastischen Naevi-
und Melanomfälle (Anlage 8), so erweist sich die publizierte Behauptung von der
100-prozentigen Übereinstimmung mit den histologischen Befunden ebenso wie
die spätere Abschwächung auf "ca. 90%" als nicht haltbar. Dies gilt sowohl für den
Vergleich auf der Basis der 206 von Dr. zusammengestellten Fälle (unter
Berücksichtigung aller akzeptierten Kritikpunkte) als auch bei der Zugrundelegung
der neueren, nur noch 148 Fälle umfassenden Listen von Prof. selbst (s. mittlere
und rechte Spalte von Anlage 8; alle Histogramme wurden von Dr. vorgelegt). Alle
diese Aussagen über Randüberhöhungen werden durch die von Prof. vorgelegte
statistische Auswertung nicht berührt.
2. Scattergramm Prof. vom 6.7.1990 (s.Anlage 6)
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2.1. Feststellung
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist in dem von Prof. vorgelegten
Scattergramm die getroffene Auswahl von Fällen und von individuellen Meßwerten
nicht zufällig und ungezielt vorgenommen worden. Die aus dem Scattergramm
gezogenen Schlußfolgerungen sind daher nicht haltbar.
Es muß davon ausgegangen werden, daß die protokollierten Aussagen von Prof.
über die Erstellung des Scattergramms nicht den Tatsachen entsprechen.
2.2. Forderung
Prof. wird aufgefordert, das Scattergramm innerhalb von 3 Monaten schriftlich
zurückzunehmen und dieses nicht an anderer Stelle zu verwenden.
2.3. Begründung
Prof. betonte, daß er aus Zeitmangel nicht sämtliche vorhandenen Daten
auswerten konnte. Angesichts von nur 3 Tagen, die ihm zwischen der 1. und der 2.
Sitzung der ad hoc-Kommission zur Verfügung standen (s. Anlage 2), mußte ihm
dies zunächst zugebilligt werden.
Allerdings zeigt schon der bloße Vergleich der sich aus der Aufstellung ergebenden
Verteilungskurven mit den entsprechenden, aus dem Scattergramm folgenden
Graphiken (s. Anlage 8): Die Wahrscheinlichkeit, durch eine zufällige Auswahl von
Personen und deren Daten das fragliche Scattergramm zu erhalten, ist äußerst
klein. Dies fällt besonders deutlich beim Vergleich der Randwerte der beiden Naevi-
Verteilungen ins Auge.
Bei der Würdigung des Vorganges ist noch zu berücksichtigen, daß das
Scattergramm die Kommissionsmitglieder zunächst stark beeindruckte. Das
Scattergramm war der Anlaß für die spätere Zusammenstellung aller verfügbaren
Daten.
3. Statistische Auswertung Prof. (s. Anlage 9)
3.1. Feststellung
Es bestehen keine Zweifel an der Korrektheit der statistischen Auswertung durch
das Institut für Medizinische Informatik. Allerdings hängt auch in diesem Fall die
Aussagekraft der Auswertung vom Vertrauen in das zugrunde liegende
Datenmaterial ab: Solange der "korrigierte" Datensatz Prof. insbesondere die
drastische Reduzierung der Anzahl aller Fälle, nicht durch die vorliegende klinische
Befundliste gedeckt ist, bleiben statistische Schlußfolgerungen fraglich. Es
verwundert, daß der Ausgangs- und Kernpunkt der Kontroverse, nämlich die von
Prof. wiederholt publizierte und von Dr. angezweifelte "Randüberhöhung" der
Fluoreszenzintensität bei Melanomen - verglichen mit gesunder Haut
("Außenwerte") - in der statistischen Auswertung überhaupt nicht erwähnt wird und
daß stattdessen wissenschaftlich sinnlose maximale Außen- und minimale
Innenwerte verwendet wurden. Im übrigen widerlegt bereits die Existenz von Null
verschiedener Melanom-Innenwerte und die dadurch gegebene Möglichkeit,
Außen- zu Innen-Quotienten zu bilden, eine Aussage Prof. "no fluorescence could
be detected in the tumor region" (s. Lit. 5 von Anlage 3; s.a. Abschnitt I). Die
statistische Auswertung betrachtet Signifikanzen und Irrtumswahrscheinlichkeiten;
sie nimmt zu der von Prof. behaupteten und von Dr. angezweifelten
Trefferwahrscheinlichkeit (von 100% bzw. 90%; s. Abschnitt I und II.1) nicht direkt
Stellung. Die vorliegende statistische Auswertung stellt also keine Entkräftung oder
gar Widerlegung der Vorwürfe Dr. bezüglich der wissenschaftlichen Arbeiten und
Publikationen Prof. (nach Anlage 3) dar. Allerdings zeigt die Auswertung der Listen
durch das Institut für medizinische Informatik, daß die Möglichkeit einer statistisch-
signifikanten Unterscheidung gewisser, einzelner Gruppen von Hautveränderungen
mithilfe der Fluoreszenzmethode prinzipiell nicht auszuschließen ist.
Pauschalurteile über eine durchgängige Unbrauchbarkeit der Methode sind daher
nicht vertretbar.
3.2. Forderung
Prof. wird aufgefordert, weder seinen "korrigierten" Datensatz noch dessen
statistische Ergebnisse in Wort oder Schrift zu verwenden, solange die von ihm
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statistische Ergebnisse in Wort oder Schrift zu verwenden, solange die von ihm
vorgenommene drastische Reduzierung der Gesamtzahl aller Fälle nicht durch die
Hautklinik schriftlich bestätigt wird. Bis dahin haben auch Äußerungen zu
unterbleiben, eine histologische Nachklassifikation durch die Hautklinik (s. Anlage
12) hätte seinen Datensatz bestätigt.
Etwaige Äußerungen, die statistischen Auswertungen Prof. hätten Prof. publizierte
Feststellungen (s. Anlage 3) bestätigt und Dr. Vorwürfe entkräftet oder ger
widerlegt, haben zu unterbleiben.
Andererseits haben auch etwaige pauschale Negativaussagen über statistische
Signifikanzen der Fluoreszenzmethode zu unterbleiben.
3.3. Begründung
Prof. erstellte seinen "korrigierten" Datensatz aufgrund" weiterer Recherchen" in
der Hautklinik (s. Abschnitt I). Hierbei strich er 77 der ursprünglich 137 Naevus-
Fälle aus der entsprechenden -Liste und vergrößerte die Zahl der 20
ursprünglichen Fälle dysplastischer Naevi auf 47. Diesen Maßnahmen widerspricht
die Befundliste der Hautklinik, welche OA Dr. med. der Kommission am 10.8.1990
vorlegte und die er noch am 7.12.1990 ausdrücklich als "im Prinzip stimmig"
bezeichnet hat (s. Protokoll der 3. Kommissionssitzung). Prof. war dies bekannt.
Die ad hoc-Kommission nimmt zwar die Erklärungen von Prof. und Dr. zur
Kenntnis, daß bei einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung ursprünglich
als Naevi diagnostizierte und dokumentierte Fälle als gering dysplastische Fälle
nachklassifiziert werden könnten und daß sich dadurch die Zahl der Naevus-Fälle
zugunsten der Anzahl der dysplastischen Naevus-Fälle verringern würde. Die
Kommission sieht aber nicht, wie sich dadurch die Gesamtzahl aller Fälle (von 206
der -Listen auf 148 der "korrigierten" -Listen) ändern kann. Nach Auskunft von Dr.
beinhaltete die im Schreiben von Prof. angesprochene histologische
Nachklassifizierung (s. Abschnitt I) auch lediglich eine stichprobenartige
Überprüfung der Naevus- und dysplastischen Naevus-Fälle aus den "korrigierten" -
Listen. Dagegen wurde die entscheidende Frage, warum Prof. fast 30% der Fälle
aus den -Listen eliminierte, offenbar nicht untersucht. Insofern kann die
histologische Nachklassifikation nicht als generelle Legitimation der -Korrekturen
angesehen werden.
Durch die Korrekturen erhöht sich der geometrische Mittelwert der Naevus-
Innenwerte um den Faktor 1,5, während der gemittelte Naevus-Quotient um den
Faktor 1,8 abnimmt, so daß die betreffenden Signifikanzen im Vergleich zu den
Listen dramatisch ansteigen: die Irrtumswahrscheinlichkeiten fallen um das 55-
bzw. 200-fache (s. Anlage 9).
Die ad hoc-Kommission bedauert, daß kein gemeinsamer, einwandfreier und
unstrittiger Datensatz erstellt werden konnte. Sie sah zwar von Anfang an ihre
Hauptaufgabe darin, die gegen Prof. erhobenen Vorwürfe aufzuklären und nicht,
die statistische Signifikanz oder medizinische Brauchbarkeit einer Methode
nachzuweisen oder zu widerlegen. Im Verlaufe des Verfahrens sah sich die
Kommission aber gezwungen, sich dennoch mit dieser Frage zu befassen und
bemühte sich um die Akzeptanz eines Datenmaterials. Leider hat Prof. seine Kritik
nicht in einer einzigen, umfassenden und klar formulierten "Mängelliste"
vorgebracht; er hat seine Argumentation schließlich auf der Kommission
unzugänglichen Arztbriefen aufgebaut. In dieser Situation mußte sich die ad hoc-
Kommission auf ihre eigentliche Aufgabe zurückziehen.
Die Kommission hat folgende Bedenken gegen die in den statistischen
Auswertungen verwendeten Parametern "max. Wert außerhalb der beschriebenen
Hautveränderungen", "Meßwert innerhalb der Hautveränderungen" und "Quotient
Außenwert zu Innenwert":
a. Bei der Erhebung von Extremwerten aus statistischen Zufallsproben fehlt eine
klare Meßvorschrift.
b. Insbesondere ist die Bildung von Quotienten aus Maximal- und Minimalwerten
wissenschaftlich unsinnig. Bei der in der statistischen Auswertung zugrunde
gelegten Normalverteilung müssen nämlich diese Quotienten bei Erhöhung der
Zahl der Messungen notwendigerweise gegen Unendlich konvergieren.
c. Der Ort, an dem die jeweiligen "maximalen Außenwerte" auftreten, streut sehr
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c. Der Ort, an dem die jeweiligen "maximalen Außenwerte" auftreten, streut sehr
stark: Nach den -Listen liegen bei Melanomen ca. 33% der betreffenden
Maximalwerte am Rand, ca. 27% außen und ca. 40% "weit außen". Damit wird auch
eine biophysikalisch-medizinische Deutung des max. Außenwertes äußerst
schwierig.
Der von Prof. untersuchte und deutliche Signifikanzen aufweisende "Quotient
Außen/Innenwert" geht auf das sogenannte "2. Bernhardt'sche Kriterium zur
Diagnosehilfe bei Melanomen" zurück. In seiner Auswertung vom 18.9.1990
ermittelte Dr. diesen Quotienten nur im Zusammenhang mit der Frage, ob ein
Schwellwert überschritten wird und wieviele der insgesamt drei Kriterien aus
Bernhardts Dissertation brauchbare Diagnosehinweise liefern könnten. Dabei
formulierte er: "In keinem der genannten Fluoreszenzcharakteristika unterscheiden
sich Melanome signifikant von anderen Pigmentflecken" (s.a. Abschnitt I). Diese
Aussage könnte mißverstanden werden, wenn sie aus dem zitierten
Zusammenhang gelöst und verallgemeinert würde.
4. Allgemeine Folgerungen
4.1. Feststellung
Das Fluoreszenzverfahren ist zur Zeit nicht in der Lage, brauchbare Diagnosehilfen
zur Unterscheidung aller drei Typen von Hautveränderungen (Naevi, dysplastische
Naevi, Melanome) voneinander zu liefern. Die in den strittigen Publikationen Prof.
(s. Anlage 3) behauptete und angeblich auf Randüberhöhung fußende
Trefferwahrscheinlichkeit von 90 bis 100% ist nicht gegeben (s. Abschnitt II.1). Eine
von und behauptete Randüberhöhung von 10:1 (s. Lit. 1 ff von Anlage 3) wurde in
keinem, der Kommission jetzt vorliegenden Fall reproduziert. Auch die statistische
Auswertung durch das Institut für Medizinische Informatik (s. Anlage 9) liefert
keinen Beitrag zur Klärung der diagnostischen Leistungsfähigkeit der Methode. Die
verwendete "einfache Varianzanalyse" gibt nur Signifikanzen bzw.
Irrtumswahrscheinlichkeiten an, nicht aber Trefferwahrscheinlichkeiten bei einer
etwaigen diagnostischen Anwendung. Zudem zeigt die statistische Auswertung,
daß das vorhandene Datenmaterial bestenfalls eine Unterscheidung zwischen
gewissen Einzelgruppen von Hautveränderungen erlaubt, in keinem Fall aber
zwischen Melanomen einerseits und den beiden Typen von Nicht-Melanomen
andererseits. Eine Differenzierung der dysplastischen Naevi, als möglicherweise
gefährliche Zwischenstufen, ist zur Zeit ebenso nicht möglich.
Eine bessere bzw. genauere Beurteilung des Fluoreszenzverfahrens im
allgemeinen und dessen diagnostischer Verwendbarkeit im besonderen würde
nicht nur die Verfügbarkeit eines unstrittigen und klinisch abgesicherten
Datensatzes aller bisher untersuchten Fälle voraussetzen, sondern auch eine
Fortführung des physikalisch-medizinischen Vorhabens mit umfangreichen
klinischen Reihentests. Diese setzten die durchgängige Anwendung der
allgemeinen, strengen wissenschaftlichen Kriterien voraus; im vorliegenden Fall
sind dies insbesondere:
a. die strenge Doppelblindheit der Versuche,
b. eine hinreichend große Anzahl untersuchter Fälle,
c. eine genügend große Anzahl von Fluoreszenzmeßwerten pro Fall,
d. genaue Meßvorschriften zur Ermittlung und Lokalisation der in die Statistik
eingehenden Parameter,
e. die Sicherstellung der Reproduzierbarkeit des Meßverfahrens,
f. eine genaue und eindeutige Zuordnung von physikalischen und medizinischen
Befunden, sowie
g. eine klare und transparente Dokumentation.
Die bisherige Arbeitsweise zeigt hinsichtlich dieser elementaren wissenschaftlichen
Kriterien gravierende Mängel.
Die ad hoc-Kommission stellt ferner fest, daß Publikationen der Art wie über
Fluoreszenzuntersuchungen am menschlichen Körper nicht nur eine einwandfreie
Datenerhebung, sondern auch die vorherige statistische Auswertung
voraussetzen. Dies ist im Falle der strittigen Publikationen Prof. (s. Anlage 3) nicht
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voraussetzen. Dies ist im Falle der strittigen Publikationen Prof. (s. Anlage 3) nicht
erfolgt.
4.2 Forderung
Prof. wird aufgefordert, etwaige Äußerungen über eine diagnostische
Verwendbarkeit seiner Fluoreszenzmethode in Wort und Schrift solange zu
unterlassen, bis einwandfreie Datensätze und eindeutige Auswertungsergebnisse
vorliegen.
4.3. Begründung
Nach Überzeugung der Kommission liegen einwandfreie Datensätze und
eindeutige Auswertungsergebnisse nicht vor.
Die ad hoc-Kommission erachtet es nicht als ihre Aufgabe oder Legitimation, über
die Zweckmäßigkeit medizinischer Diagnoseverfahren zu entscheiden. Sie sieht
sich auch nicht aufgerufen, über eine etwaige Fortführung des
Fluoreszenzvorhabens zu befinden. Der Verlauf der Kontroverse zwingt die
Kommission, die obigen Feststellungen zu treffen und die sich hieraus ergebende
Forderung zu stellen.
III. ABSCHLIESSENDE FESTSTELLUNGEN
1. Außer den hier behandelten Vorwürfen zu "Fluoreszenzuntersuchungen an
Haut" enthielt der Brief Dr. vom 14.5.1990 einige weitere Kritikpunkte zu den
wissenschaftlichen Arbeiten Prof. z.B. bezüglich Katarakt-Linsen, der Leukämie-
Erkennung mithilfe der ESR-Spektroskopie, des NAD-Fluoreszenzspektrums u.a.
(s. Anlage 1). Die Tatsache, daß die ad hoc-Kommission hierzu keine Beschlüsse
gefaßt hat, bedeutet nicht, daß diese Anschuldigungen verworfen oder widerlegt
worden wären.
2. Mit den vorliegenden Feststellungen und Beschlüssen beendet die ad hoc-
Kommission des FB ihre Untersuchungen zu den "Fluoreszenzuntersuchungen an
Haut".
3. Die vorliegenden Feststellungen und Beschlüsse der ad hoc- Kommission des
FB gehen den beteiligten Parteien, Prof. Dr. und AOR Dr. schriftlich zu.
Der Präsident der JLU erhält einen kompletten Satz der Unterlagen.
Kopien der Feststellungen und Beschlüsse (mit den Anhängen) erhalten zur
Kenntnisnahme der Dekan des FB, die Gf. Direktoren der Hautklinik, der
Augenklinik, der Frauenklinik, der Chirurgischen Klinik, des Instituts für Medizinische
Informatik und des Strahlenzentrums sowie alle Koautoren der in Anlage 3
genannten Publikationen.
4. Eventuelle Einsprüche der Beteiligten sind innerhalb von 3 Monaten schriftlich an
den Dekan des FB zu richten.
5. Die ad hoc-Kommission bleibt bis zum Ablauf dieser Dreimonate-Frist im Amt.
Die Originalakten der Fluoreszenzuntersuchungen verbleiben bis zum Abschluß
des Verfahrens im Dekanat des FB
6. Die vereinbarte Vertraulichkeit wird aufgehoben. Im Interesse der betroffenen
Personen, des Instituts für des Fachbereichs und der Universität fordert die ad
hoc-Kommission jedoch alle Beteiligten und Mitwirkenden an dem Verfahren
dringend auf, große Zurückhaltung zu üben. Dies gilt insbesondere gegenüber der
nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit.
7. Die Beschlüsse der ad hoc-Kommission beinhalten keinen Rechtsanspruch
gegen die Beteiligten. Die Forderungen der Kommission stellen einen Appell an
das wissenschaftliche Gewissen der Beteiligten dar."
Diese Feststellungen und Beschlüsse der Kommission wurde den unter Punkt III.3
des Papiers vom 7. Mai 1991 genannten Personen zur Kenntnisnahme übersandt;
ferner wurden der Präsident der Beklagten sowie der Fachbereichsrat über die
Vorgänge informiert.
Am 10. Juli 1991 hat der Kläger gegen den Dekan des Fachbereichs Klage mit dem
Ziel erhoben, diesem zu untersagen, die in dem Kommissionsbeschluß
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Ziel erhoben, diesem zu untersagen, die in dem Kommissionsbeschluß
getroffenen Feststellungen und Forderungen aufrechtzuerhalten sowie den Dekan
zu verpflichten, das Urteil den mit dem Vorgang befaßten Personen zur Kenntnis
zu bringen. Diese Klage ist in der Folgezeit gegen die Universität umgestellt
worden.
Zur Begründung hat er vorgetragen, sowohl die Einsetzung als auch die
Beschlußfassung der Kommission seien rechtswidrig gewesen. Weder der Dekan
noch die Kommission hätten die Kompetenz, derartige Entscheidungen zu treffen.
In der Sache handele es sich bei der Stellungnahme der Kommission um
wissenschaftliche Kritik an seiner, des Klägers, Forschungstätigkeit; derartige
Streitigkeiten müßten auf wissenschaftlicher Ebene, nicht aber über Organe der
Hochschule ausgetragen werden. Soweit die Kommission dem Kläger ein
unkorrektes und den wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügendes Arbeiten
vorwerfe, könnten derartige Anschuldigungen nur zum Gegenstand eines
Disziplinarverfahrens gemacht werden. Zu rügen sei auch die Zusammensetzung
der Kommission; obwohl es um einen Themenkreis aus dem Schnittpunkt von
Physik und klinischer Medizin gegangen sei, habe der Kommission kein einziger
Mediziner, Histologe oder Onkologe angehört. Ferner habe das Gremium entgegen
seiner ursprünglich erklärten Absicht, die Wahrheit zu erforschen, schon sehr bald
beschlossen, an der Erstellung eines gemeinsamen unstreitigen Datensatzes nicht
mehr mitwirken zu wollen. Die von der Kommission erhobenen Vorwürfe seien aber
auch in der Sache unzutreffend. Weder habe er, der Kläger, unrichtige Daten
publiziert noch habe er eine hundertprozentige Übereinstimmung der
Fluoreszenzmeßergebnisse mit den klinisch-histologischen Befunden behauptet.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß der Beschluß der ad hoc-Kommission vom 7. Mai 1991
rechtswidrig ist.
2. der Beklagten zu untersagen, Feststellungen und Forderungen, die von der ad
hoc-Kommission des Fachbereichs k in ihrem Beschluß vom 7. Mai 1991 gemacht
worden sind, aufrecht zu erhalten, zu äußern oder zu verbreiten.
3. die Beklagte zu verpflichten, durch den Dekan des Fachbereichs den Tenor des
Urteils in schriftlicher Form folgenden Organen beziehungsweise Personen
bekanntzugeben: a) dem Akademischen Oberrat Dr., b) den Geschäftsführenden
Direktoren der Hautklinik, der Augenklinik, der Frauenklinik, der Chirurgischen
Klinik, des Instituts für Medizinische Informatik und des Strahlenzentrums der
Beklagten, c) den Ko-Autoren des Klägers, nämlich: E. P, F. H, J. M, Ch. L, W. K, J. S,
K. W. J, W. S, P. B, H. W, Ch. W, S. O, O. H, B. H, X. S, M. N, J. B, K. S, K. H. M und A.
S, d) den Mitgliedern der ad hoc-Kommission des FB 13, nämlich: den Professoren
Dr. S, Dr. Dr. C, Dr. K, Dr. K, Dr. S und Dr. M.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Klage sei unbegründet, da sowohl die Bildung der
Kommission als auch deren Feststellungen und Forderungen rechtmäßig seien. Bei
der Auseinandersetzung handele es sich um einen wissenschaftlichen Streit, der
nicht auf der Ebene der wissenschaftlichen Öffentlichkeit habe stattfinden können,
weil es darum gegangen sei aufzuklären, ob publizierte Daten korrekt gewesen
seien. Die Hochschule dürfe zu Fragen, die weder die Auswahl des
Forschungsthemas noch die Methodik oder die wissenschaftliche Bewertung von
Versuchsergebnissen zum Gegenstand hätten, sondern die der Klärung der einer
solchen Bewertung zugrunde liegenden Fakten dienten, Stellung nehmen. Dabei
sei der für den Fachbereich handelnde Dekan funktional auch zuständig, da dem
Fachbereich grundsätzlich alle Aufgaben der Hochschule in dem jeweiligen
Fachgebiet übertragen seien. Auch habe der Dekan eine Kommission, deren
Mitglieder ihn fachlich kompetent beraten sollten, bilden dürfen. Die Feststellungen
und Forderungen dieser Kommission beinhalteten keinen Eingriff in das Grundrecht
der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit des Klägers. Ausweislich der
eindeutigen Formulierungen in dem Beschluß seien nämlich keine
rechtsverbindlichen Anordnungen getroffen worden; vielmehr habe man lediglich
an das wissenschaftliche Gewissen des Klägers appelliert und ihn unverbindlich
aufgefordert, die Veröffentlichungen zu korrigieren. Die Feststellungen der
Kommission könnten aber auch nicht als unwahre Tatsachenbehauptungen oder
gar als ehrverletzende Äußerungen qualifiziert werden. Entgegen der Auffassung
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gar als ehrverletzende Äußerungen qualifiziert werden. Entgegen der Auffassung
des Klägers sei der Vorwurf, der Kläger habe die wissenschaftliche Öffentlichkeit
bewußt getäuscht, nie erhoben worden.
Mit dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 1993 ergangenen
und mit dem Datum "23. Februar 1992" (richtig: 1993) versehenen Urteil hat das
Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte
am 5. März 1993 Berufung eingelegt.
Zur Begründung führt sie in Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrages aus, es
gehe nicht darum, den Kläger durch ein Einschreiten der Hochschule vom
wissenschaftlichen Diskurs fernzuhalten. Ob und wie der Kläger auf die in dem
Beschluß der Kommission getroffenen Feststellungen und Appelle reagiere, sei
ausschließlich seine Sache. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht aus Art. 5
Abs. 3 GG entnommen, daß die Beklagte zu den streitgegenständlichen Arbeiten
und Unterlagen des Klägers nicht habe Stellung nehmen dürfen. Auch die
Hochschule und ihre Untergliederungen seien nämlich Träger des Grundrechts der
Wissenschaftsfreiheit. Über die Stellungnahme der Kommission habe sich die
Beklagte am Wissenschaftsprozeß als einem Kommunikationsprozeß beteiligt. Da
durch die Stellungnahme der Kommission keine Rechtsfolgen gegenüber dem
Kläger ausgelöst und damit grundrechtlich verbriefte Freiheiten des Klägers nicht
verletzt worden seien, dem Kläger andererseits aber ein Recht auf Freiheit von
Kritik nicht zustehe und die Äußerungen der Kommission die wissenschaftliche
Ehre des Klägers nicht verletzten, stehe das Verhalten der Beklagten im Einklang
mit der geltenden Rechtsordnung.
Der Kläger hat seine erstinstanzlichen Anträge geändert. Er beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, die Feststellungen und
Beschlüsse der ad-hoc-Kommission des Fachbereichs 1
zur Kontroverse über "Fluoreszenzuntersuchungen
an Haut" aufzuheben,
2. der Beklagten zu untersagen, Feststellungen und Forderungen,
die von der ad-hoc-Kommission des Fachbereichs
in ihrem Beschluß vom 7. Mai 1991 gemacht
worden sind, zu äußern oder zu verbreiten.
Den vor dem Verwaltungsgericht unter Nr. 3 gestellten Antrag hält er aufrecht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. Februar
1992 (richtig: 1993) aufzuheben und die Klage
abzuweisen, auch soweit die Klageanträge geändert
worden sind.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, die Beklagte habe keineswegs am
Wissenschaftsprozeß teilgenommen, sondern vielmehr autoritär in seine
Wissenschaftsfreiheit eingegriffen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die
Beklagte Rechtsfolgen habe setzen wollen. Entscheidend sei, daß sie kraft ihrer
Institution faktisch Druck auf ihn, den Kläger, ausgeübt habe, um ihm eine
bestimmte wissenschaftliche Überzeugung aufzuzwingen. Auch sei es nicht
zulässig, daß die Hochschule das ihr zustehende Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 GG
gegen das Individualgrundrecht des Klägers einsetze; die Universität sei zwar auch
Grundrechtsträgerin; sie habe aber im Grundrechtsgefüge von Art. 5 Abs. 3 GG
gegenüber der Grundrechtsverwirklichung durch den Hochschullehrer eine
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gegenüber der Grundrechtsverwirklichung durch den Hochschullehrer eine
dienende Funktion. Jedenfalls resultiere daraus keine Befugnis, durch Organe der
Hochschule die Forschung zu kontrollieren. Beschlüsse des Fachbereichs dürften
nur die Forschungsorganisation betreffen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist
unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht
stattgegeben.
Die Klage mit dem Ziel, die Beklagte zu verurteilen, die Feststellungen und
Beschlüsse der ad-hoc-Kommission aufzuheben und die durch sie verursachten
Folgen zu beseitigen, ist zulässig.
Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, weil der
mit dieser Klage verfolgte Anspruch seine rechtliche Grundlage in Art. 5 Abs. 3
Grundgesetz - GG - sowie in den Rechtsbeziehungen findet, die zwischen dem
Hochschullehrer und der Hochschule aufgrund des Hessischen Hochschul- und des
Universitätsgesetzes bestehen und die dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
Statthafte Klageart ist hinsichtlich des ersten Klageantrages die allgemeine
Leistungsklage, da die Feststellungen und Beschlüsse der ad-hoc-Kommission
keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Hess. Verwaltungsverfahrensgesetz -
HVwVfG - darstellen. Zwar entfalten die Feststellungen und Beschlüsse der ad-
hoc-Kommission im Verhältnis zum Kläger Außenwirkung, da sie geeignet sind,
den Kläger in dessen durch Art. 5 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschütztem
Recht auf Wissenschaftsfreiheit zu verletzen; den Forderungen und Beschlüssen
der Kommission kommt jedoch keine Regelungswirkung zu, da sie nicht auf die
unmittelbare Bewirkung von Rechtsfolgen gerichtet sind. Sie begründen
insbesondere für den Kläger keine Bindungswirkung und können auch nicht als
Grundlage für weitere Maßnahmen herangezogen werden. Soweit der Kläger in der
Berufungsinstanz anstelle der ursprünglich erhobenen Feststellungsklage eine
Leistungsklage erhoben hat, ist diese Klageänderung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO
zulässig, weil die Beklagte eingewilligt hat, wobei die Einwilligung der Beklagten
darin zu sehen ist, daß sie nach einem nach einem Hinweis des Gerichts
hinsichtlich des vom Kläger geänderten Antrages zur Sache verhandelt und ihre
eigene Antragstellung entsprechend angepaßt hat (vgl. § 91 Abs. 2 VwGO).
Die Leistungsklage (Klageantrag zu 1.) ist auch begründet. Denn der Kläger hat
gegen die Beklagte einen Anspruch auf Aufhebung der Feststellungen und
Beschlüsse der ad-hoc-Kommission, weil diese rechtswidrig sind und den Kläger in
seinen Rechten verletzen.
Die Feststellungen und Beschlüsse der ad-hoc-Kommission greifen in das dem
Kläger nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsrechtlich zustehende und in § 11
Abs. 2 Satz 1 Hessisches Hochschulgesetz - HHG - näher konkretisierte
Grundrecht der Forschungsfreiheit ein.
Dieses Grundrecht, dessen persönlichem Schutzbereich der Kläger als
Universitätsprofessor unterfällt, gilt gegenüber jedem staatlichen Hoheitsträger
und ist daher, soweit es um die Gewährleistung der individuellen
Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Hochschullehrers geht, auch von der
Universität als Institution sowie deren Organen und Einrichtungen zu beachten.
Der sachliche Schutzbereich der Forschungsfreiheit umfaßt den Prozeß
planmäßiger, methodischer und eigenverantwortlicher Suche nach Erkenntnissen
sachbezogen-objektiver Wahrheit sowie kommunikativer Vermittlung solcher
Erkenntnisse (Scholz, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Kommentar zum
Grundgesetz, Stand: 1993, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 101). Die in dem Papier der ad-hoc-
Kommission getroffenen Feststellungen und Beschlüsse greifen in den in diesem
Sinne definierten Schutzbereich des Grundrechts ein. Gegenstand der
Kommissionstätigkeit waren Arbeiten des Klägers, mit denen er klären wollte, ob
und inwieweit Melanome und Naevi anhand fluoreszenzspektroskopischer
Untersuchungen unterscheidbar seien. Damit diente die Beschäftigung des
Klägers der Gewinnung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sowie deren
Bewertung im Hinblick auf ihre Tauglichkeit zu medizinisch-diagnostischen
Zwecken. Seine Arbeiten einschließlich der sich darauf beziehenden Publikationen
sind daher dem geschützten Bereich der Forschung zuzurechnen.
Zwar widerspräche es wissenschaftlichen Grundsätzen, wahrheitswidrig
vermeintliche Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zu publizieren, die
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vermeintliche Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zu publizieren, die
überhaupt nicht ermittelt worden sind. Jedoch braucht die Frage, ob der Kläger
tatsächlich Daten unkorrekt publiziert hat, nicht geklärt zu werden, denn der
Kommission stehen die Äußerungen in dem angegriffenen Papier nicht zu, die auf
eine Bevormundung des Klägers hinauslaufen.
Die getroffenen Feststellungen und Beschlüsse der Kommission stellen einen
Eingriff in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit dar. Die von dem Dekan
einberufene und in seinem Namen bzw. dem des Fachbereichs handelnde
Kommission hat gegenüber dem Kläger ein Kontroll- und Maßregelungsrecht in
Anspruch genommen, das ihr nicht zusteht. Sie hat zum Beispiel in der
"Feststellung" unter Nr. II 1.1. zum Ausdruck gebracht, daß ihr trotz "Aufforderung"
an den Kläger für die behaupteten Eigenschaften und Leistungen seiner Methode
weder dokumentierte Fälle vorlägen, noch daß diese statistisch abgesichert seien,
so daß die Aussagen des Klägers in seinen Publikationen nicht haltbar seien. In der
"Feststellung" unter Nr. II 2.1 hat sie die Ansicht vertreten, daß mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit die von dem Kläger in dem von ihm vorgelegten
Scattergramm "getroffene Auswahl von Fällen und von individuellen Meßwerten
nicht zufällig und ungezielt vorgenommen worden" sei, die daraus gezogenen
Schlußfolgerungen deswegen nicht haltbar seien und davon ausgegangen werden
müsse, daß die protokollierten Aussagen des Klägers über die Erstellung des
Scattergramms nicht den Tatsachen entsprächen. Die "Forderungen" der
Kommission an den Kläger, seine Aussagen nicht zu wiederholen, nach
Rücksprache mit seinen Koautoren Errata einzureichen, das Scattergramm
zurückzunehmen, seinen "korrigierten" Datensatz vorläufig nicht mehr zu
verwenden und anderes mehr, sind mit Vorwürfen verbundene
Handlungsanweisungen, die über die bloße Äußerung von Kritik hinaus darauf
gerichtet waren, das Verhalten des Klägers zu beeinflussen, wobei der Senat nicht
zu entscheiden braucht, ob die Kommission berechtigt gewesen wäre, eine auf die
Äußerung von Kritik beschränkte Stellungnahme abzugeben.
Der Unzulässigkeit der Feststellungen und Beschlüsse steht die ausdrückliche
Feststellung unter Ziff. III.7 des Papiers, wonach durch den Beschluß kein
Rechtsanspruch gegen die Beteiligten begründet werden solle, die Forderungen
der Kommission vielmehr einen Appell an das wissenschaftliche Gewissen
darstellen sollten, nicht entgegen. Zwar hat die Kommission - wozu ihr im übrigen
auch jedwede rechtliche Kompetenz gefehlt hätte - dem Kläger weder mit dem
Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit untersagt, weiterhin bestimmte Aussagen und
Ergebnisse zur Fluoreszenzmethode zu verbreiten noch wurde der Kläger mit
bindender Wirkung verpflichtet, Errata zu veröffentlichen noch wurde ihm die
Einhaltung bestimmter wissenschaftlicher Standards und damit eine bestimmte
Methode der Erkenntnisgewinnung zwingend vorgeschrieben; die in dem Papier
enthaltenen Feststellungen und Beschlüsse sollten aber gleichwohl zumindest
mittelbar auf die Forschungstätigkeit des Klägers einwirken.
Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang der Tatsache zu, daß die
Feststellungen und Beschlüsse der Kommission im Namen des Dekans des
Fachbereichs ergangen sind, wobei die darin enthaltenen Rügen von einem im
Hochschulrecht nicht vorgesehenen Gremium, das eigens zur Behandlung dieser
Angelegenheit einberufen worden war, abgegeben worden sind. Die Form der
Beschlußfassung durch ein Gremium, die Durchführung eines mehr oder weniger
förmlichen Verfahrens vor diesem Gremium und die Tatsache, daß dieses
Gremium im Namen des Dekans des Fachbereichs der Universität gehandelt hat,
verleihen den Forderungen auch nach außen hin besonderen Nachdruck. Die
Frage, ob bereits der Versuch, letztlich durch die Erzeugung faktischen oder
moralischen Drucks auf die Art und Weise der Forschung Einfluß zu nehmen,
ausreicht, um einen Eingriff in die grundrechtliche Freiheit anzunehmen, muß
daher mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG,
Beschluß vom 1. März 1978 - 1 BvR 333/75 u. a. - BVerfGE 47, 327 (366 ff.)) bejaht
werden. Danach begründet Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein Recht auf Abwehr jeder
staatlichen Einwirkung auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Gewährleistet ist eine von jeder staatlichen
Einwirkung freie, nur der persönlichen und autonomen Verantwortung des
Wissenschaftlers unterliegende Betätigung (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 -
1 BvR 424/71 und 325/72 - BVerfGE 35, 79 (112)). Deswegen hat sich der Staat
grundsätzlich einer Bewertung von Forschungsmethoden und
Forschungsergebnissen zu enthalten, deren alleiniges Ziel es ist, die
Vorgehensweise des Forschers zu reglementieren und auf die Interpretation von
Ergebnissen in einer bestimmten Richtung hinzuwirken. Daß eine Bewertung
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Ergebnissen in einer bestimmten Richtung hinzuwirken. Daß eine Bewertung
wissenschaftlicher Arbeit als Vorfrage im Zusammenhang mit anderen, etwa
Personalentscheidungen oder bei der Verteilung vorhandener personeller und/oder
sächlicher Mittel als Kriterium zur Entscheidungsfindung zulässig ist, ändert daran
nichts.
Für den Eingriff in die Rechte des Klägers fehlt auch eine gesetzliche Grundlage, so
daß offenbleiben kann, ob eine derartige Bestimmung verfassungsrechtlich
zulässig wäre. Zwar enthält § 11 Abs. 2 Satz 2 HHG eine Regelung, wonach die
zuständigen Organe in bezug auf die Organisation des Forschungsbetriebes, die
Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben sowie auf die Bildung von
Forschungsschwerpunkten Beschlüsse fassen können; die ad hoc-Kommission
kann ihre Tätigkeit aber bereits deshalb nicht auf diese Vorschrift stützen, weil
diese Tatbestandsmerkmale hier nicht erfüllt sind.
Die Kommission war ferner nicht nach § 6 Hess. Universitätsgesetz - HUG -
berechtigt, sich mit den Inhalten der Forschung des Klägers zu befassen und dazu
Stellung zu nehmen. § 6 Satz 2 HUG begründet nur eine Verpflichtung des
Universitätsmitgliedes zur Information über Forschungsergebnisse, die bei
verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahren für Gesundheit, Leben oder
das friedliche Zusammenleben herbeiführen können. Eine Rechtsgrundlage für
Feststellungen und Beschlüsse von Kommissionen, die im Namen des Dekans
eines Fachbereichs zu Fragen der wissenschaftlichen Anforderungen an
Forschungsverfahren Stellung nehmen und die Bewertung von
Forschungsergebnissen vornehmen, beinhaltet diese Norm dagegen nicht.
Weiter geben weder § 22 Abs. 1 noch § 23 Abs. 3 Sätze 1 und 2 HUG der
Kommission die Befugnis, die in dem angefochtenen Papier getroffenen
Feststellungen und Forderungen zu erheben. § 22 Abs. 1 HUG normiert die
Verantwortlichkeit der Fachbereiche für die Pflege der Wissenschaften in Forschung
und Lehre für ihre Fachgebiete; darüber hinaus begründet diese Vorschrift die
Verpflichtung der Fachbereiche, für die Heranbildung des wissenschaftlichen und
künstlerischen Nachwuchses sowie für eine Zusammenarbeit mit anderen
Fachbereichen zu sorgen. Die den Fachbereichen danach obliegende
Verantwortung für die Pflege der Wissenschaften ermächtigt die Fachbereiche aber
nicht, einem anderen Grundrechtsträger - hier einem Hochschullehrer -
Vorschriften für seine Forschungen zu machen. Gleiches gilt für § 21 Abs. 3 Sätze
1 und 2 HUG. Danach ist der Dekan für die Wahrung der inneren Ordnung des
Fachbereichs verantwortlich; die ihm eingeräumte Befugnis, darauf hinzuwirken,
daß die Mitglieder und Angehörigen des Fachbereichs ihre Pflichten, insbesondere
die Lehr- und Prüfungsverpflichtungen, ordnungsgemäß erfüllen, schließt nicht das
Recht ein, auf seine eigenverantwortliche Forschung einzuwirken und in diesen
grundrechtlich geschützten Freiraum des einzelnen Hochschullehrers einzugreifen.
Die Feststellungen und Beschlüsse der Kommission lassen sich schließlich auch
nicht mit der Überlegung rechtfertigen, daß die einzelnen Mitglieder der
Kommission im Rahmen ihrer Tätigkeit von dem ihnen jeweils zustehenden
Individualgrundrecht der Wissenschaftsfreiheit Gebrauch gemacht hätten. Da die
Kommission als ein vom Dekan einberufenes Gremium gegenüber dem Kläger
aufgetreten ist, stand nicht die individuelle Betätigung ihrer Mitglieder im Bereich
Wissenschaft und Forschung im Vordergrund; es ging auch nicht darum,
gemeinsam mit dem Kläger dessen Forschungsbereich wissenschaftlich
aufzuarbeiten; Gegenstand der Beschlußfassung war vielmehr die kritische
Analyse und Bewertung der Forschungstätigkeit des Klägers und seine
Maßregelung, so daß eine Berufung der Kommission bzw. ihrer einzelnen
Mitglieder auf Art. 5 Abs. 3 GG als Ermächtigung für die Beschlußfassung
ausscheidet.
Die Tatsache, daß es für den Eingriff in die Rechte des Klägers an einer
gesetzlichen Grundlage fehlt, führt zur Rechtswidrigkeit des gesamten, von der
Kommission verfaßten Papiers. Zwar enthält dieses Papier auch einzelne
Feststellungen, die für sich genommen keinen Eingriff in Rechte des Klägers
darstellen; diese Feststellungen können jedoch nicht losgelöst von den übrigen, in
die Rechte des Klägers eingreifenden Forderungen und Beschlüsse gesehen
werden, sondern sie bilden mit diesen eine Einheit mit der Folge, daß das Papier
der Kommission nur insgesamt aufgehoben werden kann.
Die Klageanträge zu 2. und 3. sind ebenfalls als allgemeine Leistungsklagen
zulässig. Als Anspruchsgrundlage kommt zum einen der öffentlich-rechtliche
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zulässig. Als Anspruchsgrundlage kommt zum einen der öffentlich-rechtliche
Folgenbeseitigungsanspruch, zum anderen auch ein auf Unterlassung
beziehungsweise Widerruf ehrverletzender Äußerungen gerichteter Anspruch aus
§§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 und 2 BGB analog in Betracht.
Die Unterlassungsklage (Klageantrag zu 2.) ist auch begründet. Denn der Kläger
kann von der Beklagten verlangen, daß diese die Feststellungen und Forderungen,
die von der ad hoc-Kommission des Fachbereichs in dem Papier vom 7. Mai 1991
gemacht worden sind, weder äußert noch verbreitet. Grundlage für dieses
Begehren ist der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch. Dieser vornehmlich aus
Art. 20 Abs. 3 GG, daneben aber auch aus der Abwehrfunktion der Grundrechte
sowie aus dem Rechtsgedanken des § 1004 BGB entwickelte und inzwischen
allgemein als Grundsatz des Verwaltungsrechts anerkannte Anspruch setzt einen
andauernden rechtswidrigen und hoheitlichen Eingriff in subjektive Rechte des
Betroffenen voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 - DVBl.
89, 463; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1994, § 29 Rdnr. 3). Diese
Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, da die Feststellungen und
Forderungen der ad hoc-Kommission in rechtswidriger Weise in das dem Kläger
aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zustehende Grundrecht eingreifen, wobei diese
Rechtsverletzung solange fortdauert, wie die Beschlüsse und Forderungen der ad
hoc-Kommission wirksam sind. Die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände
erfordert es mithin, daß die Beklagte es unterläßt, die Feststellungen und
Forderungen der ad-hoc-Kommission weiter zu äußern oder zu verbreiten. Auf
diese Weise werden von dem Papier der ad hoc-Kommission ausgehende
Wirkungen für den Kläger beseitigt.
Schließlich ist auch der Klageantrag zu 3. aus den vorstehenden Erwägungen
begründet. Zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände ist es nämlich
erforderlich, den Urteilstenor den im Klageantrag zu 3. genannten Personen
bekanntzugeben. Die Feststellungen und Beschlüsse der Kommission haben nicht
nur das dem Kläger zustehende spezielle Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
verletzt; sie greifen darüber hinaus auch in das dem Kläger zustehende allgemeine
Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Die wissenschaftliche Reputation
unterfällt dem Begriff des Ehrenschutzes und damit ebenfalls dem Schutz dieses
Grundrechts.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dadurch verletzt, daß die dafür nicht
zuständige Kommission gegenüber dem Kläger den Vorwurf erhoben hat, dieser
sei im Rahmen seiner Forschungstätigkeit nicht korrekt vorgegangen. Zur Abgabe
derartiger Werturteile war die Kommission jedoch mangels einer entsprechenden
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht befugt. Vielmehr war sie wegen ihrer
Verpflichtung zur Nichteinmischung im Bereich von Forschungsfragen sogar
grundsätzlich an derartigen Äußerungen gehindert. Da die Beklagte den Beschluß
der Kommission den im Klageantrag zu 3. genannten Personen kundgetan hat, ist
eine Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände nur dadurch möglich, daß die die
Beschlußfassung der Kommission aufhebende gerichtliche Entscheidung diesen
Personen mitgeteilt wird.
Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß § 154 Abs. 2 VwGO der Beklagten
aufzuerlegen, da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1
VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Da die Entscheidung im Hinblick auf die Reichweite der Gewährung des
Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit grundsätzliche Bedeutung hat, ist die
Revision gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO zuzulassen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.