Urteil des HessVGH vom 08.11.1988

VGH Kassel: politische verfolgung, anhörung, bundesamt, zumutbarkeit, beschwerdeschrift, landrat, asylbewerber, klagefrist, hauptsache, staat

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TP 1096/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 166
VwGO, § 114 ZPO, § 11 Abs
2 AsylVfG, § 10 Abs 2
AsylVfG
(Prozeßkostenhilfe für Klage gegen
Abschiebungsandrohung vor Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die
Ablehnung des Asylantrages)
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg. Sie ist trotz der am 29. Februar 1988 erfolgten
Klageabweisung in der Hauptsache zulässig, weil sie innerhalb der der
Antragstellerin auch in Anbetracht des kurz bevorstehenden Verhandlungstermins
zuzugestehenden Zeitspanne erhoben wurde; überdies hat das betreffende Urteil
noch keine Rechtskraft erlangt, denn über die dagegen fristgerecht eingelegte
Berufung ist bisher nicht entschieden (vgl. Hess. VGH, 03.09.1982 - X TE 11/82 - u.
21.10.1987 -- 12 TP 2521/87 -).
Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hätte der
Antragstellerin die Gewährung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung von
Rechtsanwalt G. in Gießen nicht versagen dürfen. Die Rechtsverfolgung der
Antragstellerin bot nämlich im rechtlich maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung
des Verwaltungsgerichts über den Prozeßkostenhilfeantrag sowohl in bezug auf
den asylrechtlichen als auch in bezug auf den ausländerrechtlichen Teil des
Klageverfahrens hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien auch nicht mutwillig
(§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
Über einen Prozeßkostenhilfeantrag ist zu entscheiden, sobald der Antragsteller
die erforderlichen Unterlagen über seine persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO eingereicht und gemäß § 117 Abs. 1
Satz 2 ZPO das Streitverhältnis dargestellt hat und sobald der Gegner des
zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehört
ist (Hess. VGH, 03.09.1982 - X TE 11/82 - u. 19.11.1987 - 12 D 6124/86 zu 12 UE
2192/86 -). Hat sich das Verwaltungsgericht hieran gehalten und die Entscheidung
über den Prozeßkostenhilfeantrag nicht ohne sachlichen Grund verzögert, so bleibt
auch für die Überprüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung
von Prozeßkostenhilfe im Beschwerdeverfahren die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgebend, weil eine
eventuelle Prozeßkostenhilfebewilligung von da an wirken soll (Hess. VGH,
03.09.1982 - X TE 11/82 -, 21.10.1987 - 12 TP 2521/87 -, 01.12.1987 - 12 TP
2840/87 -, 02.12.1987 - 12 TP 2520/87 - u. 22.12.1987 - 12 TP 2454/87 -). Hat das
Verwaltungsgericht dagegen die Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag
über Gebühr verzögert, so ist für das Beschwerdeverfahren der Zeitpunkt rechtlich
maßgebend, in dem das Verwaltungsgericht hätte entscheiden müssen, sofern
sich in der Zeit bis zur tatsächlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts die
Sach- und Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers verändert hat (Hess. VGH,
03.09.1982 - X TE 11/82 -). Indessen ist zu beachten, daß sich die den
maßgebenden Zeitpunkt bestimmende Entscheidung des Verwaltungsgerichts
nicht in der erstmaligen Beschlußfassung über den Prozeßkostenhilfeantrag
erschöpft; sie schließt viel mehr auch die Beschlußfassung über die eventuelle
Abhilfe der hiergegen eingelegten Beschwerde ein. Änderungen der Sach- und
Rechtslage zugunsten des Antragstellers, die in der Zwischenzeit eingetreten sind,
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Rechtslage zugunsten des Antragstellers, die in der Zwischenzeit eingetreten sind,
sind deshalb zu berücksichtigen, freilich nur mit der Folge, daß frühestens ab
Eintritt der betreffenden Änderung Prozeßkostenhilfe bewilligt werden kann (Hess.
VGH, 01.12.1987 - 12 TP 2840/87 -).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht, nachdem erst am 12. Februar
1988 der Prozeßkostenhilfeantrag gestellt und die erforderlichen Unterlagen am
selben Tage sowie die Klagebegründung am 15. Februar 1988 eingegangen waren,
in Anbetracht der kurz bevorstehenden mündlichen Verhandlung zeitgerecht am
18. Februar 1988 über den Antrag entschieden. Es hat sodann am 4. März 1988
beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Dieser interne Beschluß (und
damit auch der ihm zugrundeliegende Beschluß vom 18. Februar 1988) war
spätestens am 14. März 1988, als die Prozeßkostenhilfeakte beim
Beschwerdegericht einging, für das Verwaltungsgericht unabänderlich geworden
(vgl. Stein/Jonas-Grunsky, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1977, §
571, Rdnr. 4). Da sich in der Zeit vom 4. bis zum 14. März 1988 Änderungen
ersichtlich nicht ergeben haben, kann hier dahinstehen, ob solche noch
einzubeziehen wären. Allerdings folgt hieraus noch nicht ohne weiteres, daß als
maßgebender Zeitpunkt für die Überprüfung des Prozeßkostenhilfeantrags im
vorliegenden Beschwerdeverfahren unter Berücksichtigung der im vorstehenden
Absatz dargestellten Grundsätze der 4. März 1988 zugrunde zu legen ist. Denn
immerhin waren die Voraussetzungen für die Beschlußfassung über eine
eventuelle Abhilfe bereits mit dem Eingang der mit einer Begründung versehenen
Beschwerdeschrift am 29. Februar 1988 erfüllt. Indessen haben sich bedeutsame
Veränderungen in sachlicher und rechtlicher Hinsicht allein am 29. Februar 1988 -
nicht in der Folgezeit bis einschließlich 4. März 1988 - ergeben. In einer (fiktiv) am
1. März 1988 erfolgten Nichtabhilfeentscheidung könnte aber noch keine
ungebührliche Verzögerung erblickt werden, die es rechtfertigen würde, für die
Überprüfung der Erfolgsaussichten der Klage auf den 29. Februar 1988 - und zwar
auf eine Tageszeit vor dem Sachbericht des erstinstanzlichen Berichterstatters in
der mündlichen Verhandlung - abzustellen. Eine ungebührliche Verzögerung
könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die Antragstellerin zu Beginn
der mündlichen Verhandlung ausdrücklich um sofortige Entscheidung über eine
eventuelle Abhilfe gebeten hätte. Hierfür ergeben sich jedoch aus der
Verhandlungsniederschrift und aus dem übrigen Akteninhalt keinerlei
Anhaltspunkte. Demnach ist unerheblich, ob letztlich auf den 1. oder den 4. März
1988 als maßgebenden Zeitpunkt abgestellt wird. Deshalb braucht auch nicht
weiter aufgeklärt zu werden, zu welcher Tageszeit die Beschwerdeschrift am 29.
Februar 1988 beim Verwaltungsgericht eingegangen ist.
Bezogen auf den hiernach maßgebenden Zeitpunkt bot die Rechtsverfolgung der
Antragstellerin hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien auch nicht mutwillig.
Ist - wie hier - im maßgebenden Zeitpunkt bereits die Klage in der Hauptsache
abgewiesen, so genügt für die Begründung hinreichender Erfolgsaussicht freilich
nicht mehr die bloße Schlüssigkeit der Darlegungen. Die Prognose hinreichenden
Erfolges fällt vielmehr schon dann negativ aus, wenn die erfolgte Klageabweisung
bei summarischer Überprüfung rechtlich nicht zu beanstanden ist (Hess. VGH,
08.09.1986 - 10 TP 2188/86 -, 01.12.1987 - 12 TP 2840/87 -, 02.12.1987 - 12 TP
2520/87 - u. 09.12.1987 - 12 TP 2947/87 -). Im vorliegenden Fall hält die
Hauptsacheentscheidung des Verwaltungsgerichts weder hinsichtlich des
asylrechtlichen noch hinsichtlich des ausländerrechtlichen Teils überschlägiger
Prüfung stand.
In bezug auf den asylrechtlichen Verfahrensteil steht das erstinstanzliche Urteil
vom 29. Februar 1988 teilweise mit den Denkgesetzen nicht in Einklang; es beruht
darüber hinaus auf gravierenden Verfahrensfehlern und ist schließlich auch im
Ergebnis - ohne weitere Ermittlungen und Beweiserhebung - nicht haltbar.
Mit den Denkgesetzen ist das Urteil insofern unvereinbar, als die Klage nur als
(schlicht) unbegründet abgewiesen wird (vgl. den Tenor und die
Entscheidungsgründe - S. 9, 2. Abs. - des Urteils), während es an anderer Stelle in
den Entscheidungsgründen (S. 8, 1. Abs., a.E., des Urteils) - und zwar vor
Ausführungen zur Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative, die das
Verwaltungsgericht in Form von bloßen Hilfserwägungen macht heißt, nach
alledem habe das Bundesamt "die Klage" (muß heißen: den Antrag) "zutreffend als
offensichtlich unbegründet abgewiesen". Damit kann das Verwaltungsgericht nicht
etwa nur gemeint haben, das Bundesamt habe seinerzeit auf der Grundlage der
ihm vorliegenden Erkenntnisse richtig entschieden, denn unmittelbar vor der
vorgenannten Schlußfolgerung setzt sich das Urteil mit Vorbringen der
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vorgenannten Schlußfolgerung setzt sich das Urteil mit Vorbringen der
Antragstellerin auseinander, das erstmals im gerichtlichen Verfahren erfolgt ist.
Mit der Klageabweisung als schlicht unbegründet steht demgegenüber die
Zulassung der Berufung und die erst knapp zwei Monate nach der
Hauptsacheentscheidung erfolgte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Klage im Eilverfahren (VG Wiesbaden, 22.04.1988 - II H 20841/87 -) im Einklang.
Zwar wird das Verwaltungsgericht auch dann, wenn das Bundesamt einen
Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, die Klage nur als
(schlicht) unbegründet abweisen, falls es den Asylantrag für erfolglos hält, aber
dem Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts nicht folgt. Bestätigt das
Verwaltungsgericht jedoch - wie hier - bezogen auf den eigenen
Entscheidungszeitpunkt ausdrücklich das Offensichtlichkeitsurteil, so ist nicht
nachvollziehbar, daß keine Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet
gemäß § 32 Abs. 6 AsylVfG erfolgt.
Die vom Verwaltungsgericht offenbar als tragend angesehene (Haupt-
)Begründung (S. 7, 2. Abs., bis S. 8, 2. Abs., des Urteils) beruht auf gravierenden
Verfahrensfehlern. Hierzu ist im einzelnen folgendes zu bemerken:
Maßgebliche Erwägung für das Verwaltungsgericht scheint zu sein, daß seiner
Ansicht nach die Yeziden gegenwärtig in ihren angestammten Siedlungsgebieten
im Südosten der Türkei trotz partieller Schutzunfähigkeit des Staates keiner
politischen Verfolgung ausgesetzt sind, denn Übergriffe Dritter seien dem
türkischen Staat jedenfalls asylrechtlich nicht zurechenbar (S. 7, 2. Abs., des
Urteils). Welchen Prognosemaßstab das Verwaltungsgericht dieser Einschätzung
zugrunde legt, kann allenfalls mittelbar daraus entnommen werden, daß in den
sich anschließenden Absätzen des Urteils eine Vorverfolgung der Antragstellerin
nicht festgestellt wird. Demzufolge müßte das Verwaltungsgericht die Auffassung
vertreten, daß der Antragstellerin im Rückkehrfalle jedenfalls nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (vgl. dazu etwa BVerwG, 31.03.1981
- 9 C 286.81 -, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -,
BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12, u. 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6
= NVwZ 1986, 760). Aufgrund welcher tatsächlichen Erkenntnisse das
Verwaltungsgericht zu der betreffenden Einschätzung gelangt, ist nicht ersichtlich.
Denn im besagten Zusammenhang wird kein einziges der unter dem 1. Februar
1988 in das Verfahren eingeführten Dokumente zitiert; es wird nicht einmal
pauschal hierauf verwiesen. Die u.a. für "die allgemeine Situation der Yeziden im
Südosten der Türkei" erfolgende Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid (vgl.
S. 7, 3. Abs. des Urteils) ändert hieran nichts, denn in jenem Bescheid finden sich
keine Feststellungen zur asylrechtlichen Zurechenbarkeit von Übergriffen Dritter in
bezug auf den türkischen Staat; derartigen Übergriffen wird vielmehr schon
mangels ausreichender Intensität die Asylerheblichkeit abgesprochen (vgl. S. 3, 2.
Abs., des Bescheids vom 17.03.1987).
Davon abgesehen hält die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Prämisse
fehlender Vorverfolgung der Antragstellerin, nach der sich der Prognosemaßstab
hinsichtlich der Rückkehr bemißt, summarischer Überprüfung nicht stand. Ob eine
Gruppenverfolgung zumindest begrenzter Art der Yeziden in einzelnen Bereichen
der Türkei im Zeitpunkt der Ausreise der Antragstellerin am 15. Februar 1987 noch
gegeben (vgl. dazu etwa Hess. VGH, 29.09.1983 - X OE 1351/81 -, 01.03.1984 - X
OE 364/82 -, 26.04.1984 - X OE 1116/81 - u. 28.11.1985 - X OE 149/82 -, sowie
OVG Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 -) und ob
gegebenenfalls die Antragstellerin hiervon betroffen war, prüft das
Verwaltungsgericht überhaupt nicht näher. Soweit es sich mit der Frage einer
individuellen Vorverfolgung der Antragstellerin auseinandersetzt, wird
entscheidungserheblicher tatsächlicher Vortrag der Antragstellerin unter
Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nicht zur Kenntnis genommen
(vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 1 Satz 2 u. Abs.
2 VwGO; ferner Hess. VGH, 25.11.1986 - 10 TE 2696/86 -, 01.12.1986 - 10 TE
2974/86 - u. 10.03.1988 - 12 TG 927/88 - jeweils m.w.N.). So wird das bereits in der
Klagebegründung vom 12. Februar 1988 und erneut in der mündlichen
Verhandlung unter Beweis gestellte Vorbringen, die Antragstellerin und zwei ihrer
Verwandten seien nach einem Raubüberfall in Midyat unter Hinweis auf ihre
Religionszugehörigkeit aus der Polizeistation gejagt worden, als sie Anzeige hätten
erstatten wollen, in den Entscheidungsgründen des Urteils (S. 8, 1. Abs.)
unzutreffend und unvollständig wiedergegeben und infolgedessen zu Unrecht als
offenkundig unerheblich abgetan. Soweit die Antragstellerin bei ihrer
informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 29. Februar 1988
substantiiert ihre Angst vor einer Entführung dargelegt - und zwar ebenfalls unter
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substantiiert ihre Angst vor einer Entführung dargelegt - und zwar ebenfalls unter
Beweisantritt - sowie über Erpressungen durch Soldaten berichtet hat, fehlt dazu
im Urteil jegliche Stellungnahme. Offenbar ist dem Verwaltungsgericht entgangen,
daß die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung nicht nur ihre in der
Klagebegründung dargelegten Gründe wiederholt (so aber S. 8, 2. und 3. Zeile,
des Urteils), sondern zusätzliche Vorfälle mitgeteilt hat. Selbst wenn man -
entgegen den auf die Annahme fehlender Schlüssigkeit hindeutenden
Formulierungen (S. 8, 3. und 4. Zeile, des Urteils) - davon ausgeht, das
Verwaltungsgericht habe (etwa durch die Bezugnahme auf den
Bundesamtsbescheid und durch die Ausführungen auf S. 7, letzter Abs., des
Urteils) die Glaubwürdigkeit der Antragstellerin verneinen wollen, wäre dies nicht
haltbar. Denn aus der beigezogenen Bundesamtsakte (Bl. 20 und 21) geht hervor,
daß - nachdem sich die Bevollmächtigten der Antragstellerin am 13. März 1987,
also vor der Absendung des ablehnenden Bescheids vom 17. März 1987,
gemeldet hatten - der erneute Versuch einer persönlichen Anhörung oder
mindestens das Abwarten des Eingangs der angekündigten Begründung des
Asylantrags geboten gewesen wären. Und ferner ist einer ausführlichen
Niederschrift über eine Vernehmung der Antragstellerin bei der Polizeistation
Grünberg am 17. August 1987, die sich in der vom Landrat des Landkreises
Gießen geführten Ausländerbehördenakte befindet, zu entnehmen, daß die
Antragstellerin sich lediglich einige Tage nicht in Schwalbach aufgehalten, dort
aber spätestens am 2. März 1987 anläßlich der Anhörung vor Erlaß der
Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung wieder vorgesprochen hat (vgl. Bl. 20
des ursprünglich vom Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf geführten
Bandes der Ausländerbehördenakte) und sich sodann in der Folgezeit mit Kenntnis
der jeweils zuständigen Ausländerbehörde in verschiedenen ihr zugewiesenen
Unterkünften aufgehalten hat; die Beiziehung dieser Ausländerbehördenakten hat
das Verwaltungsgericht indessen verabsäumt. Abgesehen davon haben die
Bevollmächtigten der Antragstellerin anläßlich der Klagebegründung vom 12.
Februar 1988 dargetan, daß der späte Vortrag des individuellen
Verfolgungsschicksals der Antragsteller nicht auf deren eigenes Fehlverhalten
zurückgeht.
Ist demnach durchaus denkbar, daß die gebotenen weiteren Ermittlungen und
Beweiserhebung letztlich - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - zur
Bejahung einer Vorverfolgung der Antragstellerin führen, so kann dies hinsichtlich
der für den Rückkehrfall anzustellenden Prognose die Anwendung des sog.
herabgeminderten Maßstabs zur Folge haben (vgl. BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR
147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1; BVerwG, 27.04.1982 - 9 C
308.81 -, BVerwGE 65, 250 = EZAR 200 Nr. 7, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE
67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, 15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22, u.
23.02.1988 - 9 C 85.87 -). Ob danach die Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen
werden könnte, ist sowohl in bezug auf den Heimatort der Antragstellerin als auch
in bezug auf die Orte einer eventuellen inländischen Fluchtalternative in der
Westtürkei (vgl. BVerfG, 02.07.1980, a.a.O., sowie BVerwG, 02.08.1983, a.a.O.,
15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 = DVBl 1984, 570, 02.07.1985 - 9 C
58.84 -, EZAR 203 Nr. 3 = NVwZ 1986, 485, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203
Nr. 4 = InfAuslR 1988, 57, 09.02.1988 - 9 C 55.87 - u. 16.06.1988 - 9 C 1.88 -)
mindestens ohne weitere tatsächliche Feststellungen zur persönlichen Situation
der Antragstellerin als offen anzusehen. Immerhin hat der früher für Asylsachen
allein zuständige 10. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die
Zumutbarkeit einer Rückkehr mindestens bei vorverfolgten Frauen, denen - wie
der Antragstellerin - aufgrund ihres Alters Entführungsgefahr drohte, im Ergebnis
stets verneint (vgl. etwa 29.09.1983 - X OE 1351/81 - u. 01.03.1984 - X OE 364/82 -
; ebenso ganz generell OVG Rheinland-Pfalz, 06.07.1988 - 13 A 225/87 -). Soweit
sich das Verwaltungsgericht in seinen Hilfserwägungen (S. 8, 3. Abs., bis S. 9, 1.
Abs., des Urteils) auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.
März 1987 - 11 B 84 C.150 - bezieht, vermag dies zu keinem anderen Ergebnis zu
führen. Denn abgesehen davon, daß sich diese Entscheidung auf aus ihr selbst
nicht ersichtliche Erkenntnisquellen stützt (vgl. S. 5, 1. Abs., des Abdrucks) mit der
Folge, daß nicht feststellbar ist, ob diese auch zum Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens gemacht worden sind, wird darin der "normale" Prognosemaßstab
angelegt (vgl. S. 4, 3. Abs., des Abdrucks). Schließlich hat die Antragstellerin in der
mündlichen Verhandlung substantiiert und unter Beweisantritt zur
Entführungsgefahr für yezidische Frauen gerade in Istanbul vorgetragen. Des
weiteren ist noch nicht abschließend geklärt, ob ein Asylbewerber auch dann auf
eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden darf, wenn er am Ort dieser
Alternative in eine wirtschaftliche Notlage am Rande des Existenzminimums
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Alternative in eine wirtschaftliche Notlage am Rande des Existenzminimums
geriete (vgl. für Yeziden Hess. VGH, 17.05.1988 - 12 TE 3943/87 u. 12 TE 3947/87 -
, verneinend für eine über 70jährige syrische-orthodoxe Christin Hess. VGH,
16.05.1988 - 12 UE 2571/85 -); in diesem Zusammenhang bedarf es noch näherer
Feststellungen, ob in der Türkei zur Existenzsicherung der Sozialhilfe vergleichbare
Leistungen gewährt werden (vgl. Hess. VGH, 17.10.1988 - 12 UE 4006/88 -).
Das erstinstanzliche Urteil vom 29. Februar 1988 ist letztendlich auch nicht mit
Blick auf § 2 Abs. 1 AsylVfG im Ergebnis haltbar, ohne daß es weiterer Ermittlungen
und Beweiserhebung zu den vorstehend aufgeworfenen Fragen bedarf. Die allein
hierauf gestützte Ablehnung des Prozeßkostenhilfeantrags der Antragstellerin in
dem angegriffenen Beschluß vom 18. Februar 1988 ist nämlich schon deshalb
nicht tragfähig, weil sich die Antragstellerin offensichtlich kürzer als einen Tag in
Athen aufgehalten, Griechenland also ersichtlich nur als Fluchtweg zum Erreichen
der Bundesrepublik Deutschland benutzt hat (BVerwG, 15.12.1987 - 9 C 285.86 -,
EZAR 205 Nr. 6 = InfAuslR 1988, 120, u. 21.06.1988 - 9 C 12.88 -). Dies hat das
Verwaltungsgericht - wie die Entscheidungsgründe des Urteils vom 29. Februar
1988 deutlich werden lassen - offenbar selbst erkannt; es versäumte allerdings,
die Begründung des angegriffenen Beschlusses - wie es ordnungsgemäßer
Verfahrensweise entsprochen hätte - anläßlich der Nichtabhilfeentscheidung
entsprechend zu korrigieren.
In bezug auf den ausländerrechtlichen Teil des Verfahrens kann, da sich die Klage
gegen eine auf § 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 AsylVfG gestützte
Abschiebungsandrohung richtet, insbesondere Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung
nicht angenommen werden. Hiervon kann lediglich bei Klagen gegen
Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG die Rede sein, wenn sich die Angriffe des Asylbewerbers in einem
Verbundverfahren nach § 30 AsylVfG in der Behauptung erschöpfen, der
Asylantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden (Hess. VGH, 14.08.1984 - 10 UE
967/84 -, 28.10.1987 - 12 TE 1883/86 -, EZAR 221 Nr. 28, u. 15.01.1988 - 12 D
6140/87 zu 12 UE 3372/87 -). Demgegenüber kann das nach § 10 Abs. 3 Sätze 3
bis 5 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antragsverfahren jedenfalls nur
dann Erfolg haben, wenn die fragliche Abschiebungsandrohung nicht infolge
Ablaufs der Klagefrist bestandskräftig geworden ist (Hess. VGH, 22.12.1987 - 12 TP
2454/87 -). Der betreffenden Rechtsverfolgung kann darüber hinaus, auch wenn -
was deshalb hier offenbleiben kann - die mit Schriftsätzen vom 22. März und 16.
August 1988 im vorliegenden Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände gegen
die Abschiebungsandrohung als solche bei summarischer Überprüfung nicht
durchgreifen sollten, hinreichende Erfolgsaussicht bezogen auf den hier
maßgebenden Zeitpunkt nicht abgesprochen werden. Seinerzeit - also Anfang
März 1988 - war nämlich über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nicht
entschieden worden; diesem hat das Verwaltungsgericht erst durch Beschluß vom
22. April 1988 - 11 H 20841/87 - entsprochen. Insbesondere war damals die
Ausreisefrist noch nicht - was erst durch die vorgenannte Entscheidung vom 22.
April 1988 geschehen ist - kraft Gesetzes auf einen Monat nach Eintritt der
Unanfechtbarkeit der Ablehnung des Asylantrags verlängert worden (vgl. § 11 Abs.
3 AsylVfG), wie dies der in § 28 Abs. 2 AsylVfG vorgesehenen Mindestfrist
entspricht. Um diese Fristverlängerung herbeizuführen, bedurfte es, auch wenn sie
unmittelbare Folge nur des Antragsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO sein kann, -
wie oben dargelegt - der Erhebung der Klage. Es wäre daher - auch vom Ergebnis
her - unvertretbar, wollte man dem Asylbewerber, der die Kosten der
Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, lediglich für
den asylrechtlichen Teil des Hauptsacheverfahrens und für das Antragsverfahren
nach § 80 Abs. 5 VwGO bei hinreichender Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung
in bezug auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts Prozeßkostenhilfe
gewähren, obgleich er jedenfalls dann, wenn - wie in der Regel - über seinen
Eilantrag nicht vor Ablauf der Klagefrist entschieden werden kann, auch gegen die
Abschiebungsandrohung nach § 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 AsylVfG Klage
erheben muß (Hess. VGH, 22.12.1987 - 12 TP 2454/87 -).
Einer Kostenentscheidung bedarf es auch für das Beschwerdeverfahren nicht
(Hess. VGH, 03.12.1981 - X TE 500/81 -, u. Bay. VGH, 03.06.1986 - 7 C 84 A 996
u.a. -, BayVBl 1987, 572, jeweils m.w.N.).
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.