Urteil des HessVGH vom 23.04.1990
VGH Kassel: politische verfolgung, ausreise, beschneidung, religionsunterricht, bevölkerung, gefahr, anerkennung, minderheit, körperliche integrität, seelsorgerische betreuung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 61/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 1
Abs 1 AsylVfG
(Asylrecht Türkei - Syrisch-orthodoxe Christen)
Tatbestand
Die 1955 in Midyat, Bezirk Mardin, geborene Klägerin zu 1) ist türkische
Staatsangehörige syrisch-orthodoxen Glaubens. Die 1976 bzw. 1977 und 1. März
1979 in Mardin geborenen Kläger zu 2) bis 4) und der am 1981 in Aschaffenburg
geborene Kläger zu 5) sind die Kinder der Klägerin zu 1). Die Kläger zu 1) bis 4)
reisten am 21. Dezember 1979, mit dem Flugzeug von Istanbul kommend, in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Sie waren im Besitz eines am 27. November
1979 ausgestellten und bis 27. November 1981 gültigen Nationalpasses. Der
Ehemann der Klägerin, B., war bereits einige Monate zuvor in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist und ist inzwischen unanfechtbar als Asylberechtigter
anerkannt.
Mit Schriftsatz ihres früheren Bevollmächtigten vom 8. Mai 1980 beantragte die
Klägerin zu 1) ihre Anerkennung als Asylberechtigte mit der Begründung, daß sie
genauso wie ihr Ehemann unter Überfällen der islamischen Bevölkerung gelitten
habe. Sie, ihr Mann und ihr Schwiegervater seien des öfteren geschlagen worden.
Die Überfälle hätten letztlich zu ihrer Flucht geführt. Anläßlich ihrer mit
Übersetzung in die aramäische Sprache durchgeführten Anhörung im Rahmen der
Vorprüfung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
am 22. Oktober 1981 ergänzte und berichtigte die Klägerin zu 1) ihre Angaben bei
der Ausländerbehörde vom 1. Juli 1981; der Kläger zu 5) wurde in die Niederschrift
aufgenommen und durch Ankreuzen klargestellt, daß sich der Asylantrag auch auf
die Kläger zu 2) bis 5) erstreckt. Als Religion gab die Klägerin zu 1) "syrisch-
orthodox" an und als Volkszugehörigkeit "aramäisch". Des weiteren führte die
Klägerin zu 1) aus, sie sei Analphabetin; vor der Ausreise ihres Mannes -- d.h. ca.
sieben Monate vor ihrer Ausreise -- hätten sie und ihr Mann ca. zwei bis drei Jahre
in Istanbul gelebt. Nach der Ausreise ihres Mannes habe sie mit den drei Kindern
noch zwei Monate allein in Istanbul gelebt und sei dann mit den Kindern aus Angst
vor den Moslems und ihrer Situation als alleinstehende Frau nach Ayinvert zu
ihrem Schwiegervater gezogen. Bis zu ihrer Ausreise sei ihr persönlich weder in
Istanbul noch in Aynivert etwas zugestoßen. Allerdings sei das Haus ihres
Schwiegervaters von Moslems angegriffen worden, ohne daß jemand zu Schaden
gekommen sei.
Mit Bescheid vom 24. März 1983 -- zugestellt am 8. April 1983 -- lehnte das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanträge der
Kläger zu 1) bis 5) ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es sei nicht ersichtlich,
daß die Christen in der Türkei allgemein in asylerheblicher Weise verfolgt werden
und darüberhinaus im vorliegenden Fall für die Ausreise aus der Türkei politische
Verfolgung ursächlich gewesen sei oder daß bei einer Rückkehr mit asylerheblichen
Verfolgungsmaßnahmen gerechnet werden müsse. Weder gebe es in der Türkei
eine gezielte staatliche Verfolgung von Angehörigen der christlichen Minderheit,
noch könne von einer generellen Duldung, Untätigkeit oder gar Unterstützung des
türkischen Staates bei Übergriffen Dritter die Rede sein, wenngleich die türkische
Regierung nicht in jedem Fall die Sicherheit des Einzelnen garantieren könne. Die
Folgen der früheren desolaten innenpolitischen Zustände hätten im übrigen nicht
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Folgen der früheren desolaten innenpolitischen Zustände hätten im übrigen nicht
nur die christlichen Minderheiten, sondern die türkische Bevölkerung in ihrer
Gesamtheit getroffen. Abgesehen davon sei der Umstand, daß vielfach Christen
Opfer von Angriffen und Bedrohungen von Privatpersonen wurden, nicht in erster
Linie auf ihre Volks- und Religionszugehörigkeit, sondern auf ihre relativ bessere
wirtschaftliche Situation sowie auf ihre -- durch Abwanderung eines großen Teils
der arbeits- und verteidigungsfähigen Männer -- geschwächte
Selbstverteidigungskraft zurückzuführen. Gegen die geltend gemachten
Bedrohungen bzw. Übergriffe von Privatpersonen sei im übrigen der Schutz des
türkischen Staates in Anspruch zu nehmen. Daß gezielt staatlicher Schutz -- trotz
nachdrücklichen Bemühens hierum und Ausschöpfung aller Möglichkeiten des
Rechtswegs -- verweigert worden und die Volks- bzw. Religionszugehörigkeit von
ausschlaggebender Bedeutung gewesen sei, sei nicht hinreichend substantiiert
und glaubhaft gemacht. Nach dem vorliegenden Informationsmaterial sei im
übrigen davon auszugehen, daß -- gerade in Istanbul -- auch Christen bei der
Anrufung von Gerichten in der Türkei zu ihrem Recht gelangen könnten. Durch den
Machtwechsel vom 12. September 1980 habe sich überdies die Sicherheitslage
grundlegend verbessert; dies gelte auch für die traditionellen Siedlungsgebiete der
Christen in der Osttürkei; die von der Militärregierung eingeleiteten Maßnahmen
ließen keinen Zweifel daran, daß die staatlichen Sicherheitsorgane im gesamten
Staatsgebiet zur Schutzgewährung bereit und in der Lage seien. Unabhängig
hiervon seien die westliche Türkei und insbesondere Istanbul als inländische
Fluchtalternative anzuführen, wo ein hohes Maß an Toleranz im Verhältnis der
aufeinandertreffenden Kulturen und Lebensweisen bestehe. Dort träfen Christen
auf bereits vorhandene hilfsbereite und wohlhabende christliche Gemeinden, die
ihnen zusätzlich Rückhalt und Hilfestellung böten. Auch für vom Lande nach
Istanbul ziehende Christen bestehe derzeit die Möglichkeit, sich dort einen Arbeits-
und Sozialkreis zu schaffen. Für die Kläger zu 2) bis 5) seien weitere eigene
Asylgründe ohnehin nicht dargetan.
Mit Bescheid vom 7. April 1983 forderte der Landrat des Landkreises D die Klägerin
zu 1) zur Ausreise auf und drohte ihr für den Fall, daß sie nicht innerhalb eines
Monats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides des Bundesamtes der
Ausreiseaufforderung nachkomme, die Abschiebung an.
Mit Schriftsatz vom 12. April 1983 -- eingegangen am 13. April 1983 -- erhoben die
Klägerin zu 1) Klage gegen Bundesamtsbescheid und Ausreiseaufforderung sowie
die Kläger zu 2) bis 5) gegen den Bundesamtsbescheid. Zur Begründung trugen
sie durch ihren Bevollmächtigten vor: Sie gehörten der christlichen Minderheit in
der Türkei an und hätten ihr Heimatland wegen religiöser und politischer
Verfolgung verlassen, da sie ständigen Verfolgungsmaßnahmen durch ihre
moslemische Nachbarschaft ausgesetzt gewesen seien und somit eine
Gruppenverfolgung vorliege. Für die Kläger stelle Istanbul auch keine
Fluchtalternative dar; aus verschiedenen gutachterlichen Stellungnahmen ergebe
sich, daß für Christen in der Türkei keine Verbesserung der Situation eingetreten
sei. Die Klägerin, die ihre Kindheit und Jugend in Syrien verbracht habe, sei erst mit
ihrer Heirat im Jahre 1976 in die Türkei zurückgekehrt. Was den Überfall durch
Moslems im Hause ihres Schwiegervaters anlange, so sei ihr Schwiegervater zur
Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten, jedoch sei ihm mitgeteilt worden, daß
man nicht bereit sei zu helfen. Die Klägerin habe sich weder in Istanbul noch in
Midyat bzw. Ayinvert allein auf die Straße begeben, nachdem sie mehrfach von
Moslems, die sie als Christin erkannt hätten, beschimpft und auch geschlagen
worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 3. Oktober 1985
bestätigte die Klägerin ihr Vorbringen bei der Vorprüfungsanhörung.
Die Kläger beantragten,
1. die Beklagte zu 1) unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24. März 1983 zu verpflichten, sie
als Asylberechtigte anzuerkennen,
2. den Bescheid des Landrates des Landkreises D vom 7.4.1983 aufzuheben.
Die Beklagte zu 1) beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie machte geltend, daß die Kläger in Istanbul eine inländische Fluchtalternative
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Sie machte geltend, daß die Kläger in Istanbul eine inländische Fluchtalternative
hätten. Ferner habe die Klägerin zu 1) für sich und ihre Kinder, die Kläger zu 2) bis
5), asylrechtlich-relevante Verfolgungsmaßnahmen nicht substantiiert geltend
gemacht.
Der Beklagte zu 2) beantragte,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte beteiligte sich an dem Verfahren nicht.
Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 3. Oktober 1985 den Klagen unter
Zulassung der Berufung, soweit das Urteil die Beklagte zu 1) betrifft, statt und
führte zur Begründung aus, die Kläger seien als Asylberechtigte anzuerkennen,
denn sie seien politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Politisch
Verfolgter sei ein Ausländer, der in seiner Person liegender Eigenschaften wegen
oder aufgrund seiner Überzeugungen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe
seines Heimat- oder Herkunftslandes erlitten oder zu befürchten habe. Diese
Voraussetzungen erfüllten die Kläger, da sie als Christen einer Gruppe angehörten,
die in jüngster Zeit in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt worden sei. Es
erscheine allerdings zweifelhaft, ob von einer religiösen Gruppenverfolgung
gesprochen werden könne; die Situation stelle sich eher als eine Verfolgung wegen
der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, nämlich einer durch
das gemeinsame Merkmal des christlichen Glaubens verbundenen Minderheit.
Nach 1960 seien die syrisch-orthodoxen Christen und andere christliche
Minderheiten zunehmend nicht mehr in der Lage gewesen, sich gegen die
vornehmlich aus Neid und Feindseligkeit erfolgten Übergriffe türkischer Moslems
zu wehren. Staatliche Hilfe hätten die Christen nur in seltenen Fällen zu erlangen
vermocht. Insofern treffe die Stellungnahme von Monsignore Wilschowitz vom 9.
April 1981 den Kern der Sache, wenn es sich hierbei auch um eine vereinfachende
Darstellung der Situation der Christen in der Türkei handele. Die Beklagte zu 1)
habe die Lage der Christen in zahlreichen Bescheiden (etwa vom 10. Dezember
1982 -- Tür-T-13538 --) ebenfalls zutreffend geschildert. Da die Kläger nach ihren
glaubhaften Darlegungen in der Türkei mit feindlich gesinnten Moslems in
Berührung gekommen seien, könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß
sie von der allgemein stattfindenden Gruppenverfolgung der Christen in der Türkei
ausgenommen gewesen seien. Zudem müßten sie bei einer Rückkehr in die Türkei
befürchten, dort in asylrechtlich erheblicher Weise verfolgt zu werden. Zwar habe
sich insgesamt gesehen die Sicherheitslage nach dem Militärputsch am 12.
September 1980 deutlich verbessert. Dies gelte jedoch -- bedingt durch
zunehmende Abwanderung -- nicht für die christlichen Minderheiten, so daß von
einer weiterhin bestehenden Gruppenverfolgung gesprochen werden müsse.
Schließlich gebe es keine Möglichkeit, der Gruppenverfolgung innerhalb der Türkei
auszuweichen. Die als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden
Großstädte Istanbul und Ankara seien nicht in der Lage, die große Zahl der
abgewanderten Christen aufzunehmen und ihnen das Existenzminimum zu
gewährleisten. Die Rückkehr der Christen würde deshalb voraussichtlich zu
Spannungen führen, die sich zu pogromartigen Übergriffen steigern könnten.
Letzten Endes könne aber dahinstehen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt die
Minderheit der Christen in der Türkei verfolgt werde; sie müsse hiermit jedenfalls in
absehbarer Zukunft ernsthaft rechnen; denn die weitere Entwicklung lasse sich vor
dem Hintergrund der wachsenden Islamisierungstendenzen nicht sicher
abschätzen. Nach alledem sei den Klägern Asyl zu gewähren. Demgemäß sei auch
die Klage begründet, die sich gegen den Bescheid des Beklagten zu 2) richtete.
Gegen dieses ihm am 28. November 1985 zugestellte Urteil hat der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom 19. Dezember
1985 -- eingegangen am 23. Dezember 1985 -- Berufung eingelegt. Er macht
geltend: Die Kläger hätten weder bisher eine asylrechtlich erhebliche Verfolgung
erlitten, noch brauchten sie eine solche für den Fall ihrer Rückkehr zu befürchten.
In Istanbul, wo die Kläger vor ihrer Ausreise gelebt hätten, seien die syrisch-
orthodoxen Christen bereits in der Zeit vor dem Militärputsch keiner asylrechtlich
erheblichen Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen. Schwierigkeiten und
Diskriminierungen hätten damals nicht den Grad einer asylrechtlich erheblichen
Verfolgung erreicht, und es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der
türkische Staat seinerzeit die in Istanbul lebenden syrisch-orthodoxen Christen
gezielt benachteiligt habe. Die damalige schlechte wirtschaftliche Situation habe
zugewanderte Moslems in gleicher Weise betroffen. Anhaltspunkte dafür, daß
Übergriffe Dritter gerade an die Religions- und Volkszugehörigkeit der syrischen-
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Übergriffe Dritter gerade an die Religions- und Volkszugehörigkeit der syrischen-
orthodoxen Christen angeknüpft hätten, fehlten ebenfalls; die betreffenden
Übergriffe seien vielmehr Abbild der damaligen Gewaltkriminalität gewesen und
ohne Rücksicht auf die Religions- und Volkszugehörigkeit der Opfer erfolgt, zumal
ihre Häufigkeit nach der Machtübernahme durch die Militärs rapide abgenommen
habe. Im übrigen habe es sich um Einzelfälle gehandelt, aus denen sich eine dem
türkischen Staat zurechenbare politische Verfolgung nicht herleiten lasse. Die von
der Klägerin zu 1) geschilderten Schwierigkeiten -- Beschimpfungen und
Drohungen -- erreichten nicht den Grad einer asylrechtlich-relevanten Verfolgung.
Der Bundesbeauftragte beantragt,
das Urteil in bezug auf die Beklagte zu 1) aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Kläger beantragen unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 1) stellt zu der Berufung keinen Antrag.
Der Senat hat aufgrund der Beschlüsse vom 22. Januar 1990 und 16. März 1990
Beweis erhoben über die Asylgründe der Kläger zu 1) bis 5) sowie über die Frage
der eigenen Rückkehrbereitschaft im Falle einer eventuellen Abschiebung der
Kläger durch Vernehmung der Klägerin zu 1) als Beteiligte und ihres Ehemannes E
B als Zeuge durch die Berichterstatterin als beauftragte Richterin bzw. vor dem
Senat.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften vom 9.
Februar 1990 sowie vom 23. April 1990 Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
auf die von diesen eingereichten Schriftsätze, die einschlägige Akte des
Bundesamtes (Behelfsakte) -- Gesch.-Z. 163/79288/81 --, die Ausländerakten des
Landrats des Landkreises Darmstadt-Dieburg (fünf Hefter) sowie die den Ehemann
der Klägerin zu 1), E B betreffenden Bundesamtsakten -- Gesch.-Z. Tür-T-14684 --,
Ausländerakten des Landrats des Landkreises Darmstadt-Dieburg sowie
Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Wiesbaden IV/1 E 5523/83 Bezug
genommen. Diese sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
wie nachfolgend aufgeführte Dokumente:
1. Dez. 1978 Yonan: "Assyrer heute"
2. 11.04.1979 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
3. Mai/Juni
pogrom Nr. 64 (Yonan: "Die Lage der christlichen
1979 Minderheiten in der Türkei" u.a.)
4. 07.08.1979 Dr. Harb-Anschütz an Bay. VGH
5. 12.11.1979 epd Dokumentation Nr. 49/79: "Christliche
Minderheiten aus der Türkei"
6. Nov. 1979 Ev. Akademie Bad Boll, Materialdienst 2/80:
"Christen aus der Türkei suchen Asyl"
7. Mai 1980
pogrom Nr. 72/73 (Yonan: "Der unbekannte
Völkermord an den Assyrern 1915 -- 1918" u.a.)
8. 20.05.1980 Patriarch Yakup III und Bischof Cicek vor dem VG
Gelsenkirchen
9. 15.10.1980 Carragher an Bay. VGH
10. 09.04.1981 Msgr. Wilschowitz: "Die Situation der
christlichen Minderheiten in der Türkei"
11. 29.04.1981 Reisebericht einer schwedisch-norwegischen
Reisegruppe
12. 02.05.1981 Dr. Hofmann: "Zur Lage der Armenier in
Istanbul/Konstantinopel"
13. 12.06.1981 Prof. Dr. Kappert vor VG Hamburg
14. 06.07.1981 Staatssekretär von Staden (BT-Drs. 9/650)
15. 20.07.1981 IGFM an VG Wiesbaden
15. 20.07.1981 IGFM an VG Wiesbaden
16. 22.07.1981 Vocke an VG Karlsruhe
17. 04.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
18. 24.11.1981 RA Wiskandt an Bundesamt: "Situation der Christen
in der Türkei"
19. 21.01.1982 Schweiz. Ev. Pressedienst Nr. 3
20. 03.02.1982 Auswärtiges Amt an VG Minden
21. 26.03.1982 Auswärtiges Amt an VG Trier
22. 07.04.1982 Pfarrer Diestelmann: "Die Situation der
syrisch-orthodoxen Christen ...."
23. 19.04.1982 Carragher zum Gutachten Wiskandt
24. 28.04.1982 Dr. Hofmann zum Gutachten Wiskandt
25. 06.05.1982 Diakonisches Werk EKD zum Gutachten Wiskandt
26. 18.05.1982 Ev. Gemeinde dt. Sprache in der Türkei an EKD
27. 26.07.1982 Sürjanni Kadim an VG Minden
28. 17.08.1982 Dr. Harb-Anschütz an VG Minden
29.
1983 Kraft, in "Christ in der Gegenwart": "Fremde und
Außenseiter"
30. Mai 1983
Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 27/83:
"Studienfahrt in die Türkei"
31. 25.05.1984 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
32. 12.06.1984 epd Dokumentation Nr. 26/84: "Die Lage der
christlichen Minderheiten in der Türkei ...."
33. 26.06.1984 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
34. 11.09.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
35. 14.09.1984 Dr. Oehring an VG Minden
36. 09.11.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
37. 03.12.1984 RA Müller, RA Wiskandt, Dr. Oehring und
Erzbischof Cicek als sachverständige Zeugen vor
dem Bay. VGH
38.
1985 Anschütz: "Die syrischen Christen vom Tur'Abdin"
39. 04.02.1985 Dr. Hofmann an VG Stuttgart
40. 17.03.1985 Prof. Dr. Wießner an VG Stuttgart
41. 07.05.1985 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
42. 30.05.1985 Dr. Oehring an VG Gelsenkirchen
43. 22.06.1985 RA Müller: "Reisebericht zur Lage der Christen in
der Türkei"
44. 07.10.1985 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
45. 01.07.1986 EKD an VG Hamburg
46. 14.10.1986 Prof. Dr. Wießner an VG Hamburg
47. 06.01.1987 Dr. Tasci vor VG Gelsenkirchen
48. 07.04.1987 Yonan: Gutachten
49. 23.04.1987 Yonan an Bundesamt; Stellungnahme
50. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
51. 30.06.1987 Ev. Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei an
VGH Baden-Württemberg
52. 06.07.1987 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
53. 18.12.1987 Auswärtiges Amt an OVG Bremen
54. 15.01.1988 Dr. Oehring an VGH Baden-Württemberg
55. April 1988 Regine Erichsen: "Die Religionspolitik im
türkischen Erziehungswesen von der Atatürk-Ära
bis heute" in: Zeitschrift für Kulturaustausch
1988, S. 234 ff.
56. 15.05.1988 Taylan an VG Karlsruhe
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57. 25.05.1988 Dr. Oehring an VG Düsseldorf
58. Juli 1988
Auswärtiges Amt -- Bericht zur "Lage der Christen
in der Türkei"
59. 11.07.1988 Dr. Oehring an VG Kassel
60. 02.09.1988 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
61. 24.09.1988 Dr. Binswanger an VG Karlsruhe
62. 02.11.1988 Taylan an Hess. VGH
63. Dez. 1988 Gesellschaft für bedrohte Völker -- Gutachten --
64. 09.12.1988 Pfarrer Klautke vor VG Köln
65. 08.01.1989 Wochenzeitschrift "Ikibine Dogru": "Die geheimen
Beschlüsse des islamischen internationalen Rates
sind enthüllt."
66. 12.01.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
67. 17.01.1989 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
68. 27.01.1989 Dr. Binswanger an Hess. VGH
69. März 1989 Gesellschaft für bedrohte Völker: "Wie einst die
Hugenotten -- Glaubensflüchtlinge heute" in:
Vierte Welt Aktuell Nr. 79
70. 20.03.1989 Dr. Oehring an VG Ansbach
71. 02.04.1989 Dr. Oehring an Hess. VGH
72. 09.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
73. 01.07.1989 Sternberg-Spohr u.a. in terre des hommes
"Religionsverfolgte aus der Türkei -- politische
Verfolgte oder Scheinasylanten"
74. 04.09.1989 Taylan an OVG Koblenz
75. 18.10.1989 Auswärtiges Amt an OVG Münster
76. Nov. 1989 Weber/Günter/Reuter: "Zur Lage der Christen in
der Türkei", Bericht einer ökumenischen
Besuchsreise vom 31.08. bis 11.09.1989 unter
Leitung von Dr. Oehring
77. 22.01.1990 Taylan vor Hess. VGH
78. 22.03.1990 6 Zeugen vor Hess. VGH
79. 15.02.1990 Auswärtiges Amt an OVG Rheinland-Pfalz
80. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
81. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Minden
Entscheidungsgründe
I. Die auf den asylrechtlichen Verfahrensteil beschränkte Berufung des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist frist- und formgerecht eingelegt
(§§ 124, 125 VwGO) und auch sonst zulässig. Sie ist nämlich vom
Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG), und der
Bundesbeauftragte war zur Einlegung der Berufung ungeachtet dessen befugt,
daß er sich am erstinstanzlichen Verfahren weder durch einen Antrag noch sonst
beteiligt hat (BVerwG, 11.03.1983 -- 9 B 2597.82 --, BVerwGE 67, 64 = NVwZ
1983, 413; Hess. VGH, 11.08.1981 -- X OE 649/81 --, ESVGH 31, 268).
II.
Die Berufung des Bundesbeauftragten ist auch begründet, denn die Kläger zu 1)
bis 5) können nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Berufungsentscheidung die Anerkennung als Asylberechtigte durch die Beklagte
zu 1) nicht beanspruchen, weil sie nicht politisch verfolgt sind (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1
AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
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wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80
u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an
den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art.
16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --,
BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 874.82 --,
BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 -- 9 C 185.83 --, BVerwGE 69,
320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen
Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den
subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR
502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG,
19.05.1987 -- 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht
Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie
etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so
sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und
Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die
Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O., u.
01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 -- 9 C 16.85 --,
BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist
gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände
seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei
die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der
letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202
Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch
verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 -- 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Der
Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht
gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern,
die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG,
08.05.1984 -- 9 C 141.83 --, EZAR 630 Nr. 13 = NVwz 1985, 36, 12.11.1985 -- 9 C
27.85 --, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 -- 9 C 32.87 --, EZAR
630 Nr. 25) und insbesondere auch den politischen Charakter der
Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 -- 9 C 68.81 --,
Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 -- 9 C 473.82 --, EZAR 630
Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im
Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht
entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982
-- 9 C 74.81 --, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer
asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das
Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem
Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im
Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des
Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG,
12.11.1985, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen
Angaben und Aussagen der Klägerin zu 1) und des vernommenen Zeugen, der
beigezogenen Akten und der in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der
Überzeugung gelangt, daß die Kläger zu 1) bis 5) nicht kraft innerstaatlich
geltender völkerrechtlicher Vereinbarung als Asylberechtigte anzuerkennen sind
(1.), daß die Kläger zu 1) bis 4) auch vor ihrer Ausreise weder als Mitglieder der
Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen politisch verfolgt (2.) noch persönlich von
Verfolgungsmaßnahmen betroffen (3.) waren und deshalb als unverfolgt
ausgereist anzusehen sind, ferner daß die Kläger zu 1) bis 5) auch bei einer
Rückkehr in die Türkei keine Gruppenverfolgung zu befürchten haben (4.) und daß
sie auch nicht persönlich politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2
GG ausgesetzt sein werden (5. u. 6.).
1. Die Kläger zu 1) bis 5), an deren syrisch-orthodoxer Glaubenszugehörigkeit der
Senat in Anbetracht der Angaben im Asylantrag vom 8. Mai 1980 und bei den
Anhörungen der Klägerin zu 1) bei der Ausländerbehörde und durch das
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Anhörungen der Klägerin zu 1) bei der Ausländerbehörde und durch das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 1. Juli 1981 bzw. 22.
Oktober 1981 sowie den Angaben des Ehemannes in dessen Asylverfahren keine
Zweifel hegt, können ihre Anerkennung nicht (schon) aufgrund des Abkommens
über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen zugunsten russischer und
armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni 1928
(abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 (1929), S. 64)
erreichen. Da die Klägerin zu 1) 1955 und die Kläger zu 2) bis 4) 1976, 1977 und
1979 geboren sind, erst 1979 die Türkei verlassen haben und der Kläger zu 5)
1981 im Bundesgebiet geboren ist, kann dieses Abkommen auf sie ohnehin nicht
angewandt werden (ständige und vom BVerwG durch Urteil vom 17.05. 1985 -- 9 C
874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, bestätigte Rechtsprechung des
Hess. VGH, vgl. z.B. 11.08.1981 -- X OE 649/81 --, ESVGH 31, 268, 07.08.1986 -- X
OE 189/82 --, 01.02.1988 -- 12 OE 419/82 -- sowie 04.12.1989 -- 12 UE 2652/85 u.
12 UE 63/86 --). Der Senat kann deshalb offenlassen, ob dem durch die genannte
Vereinbarung geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch auf
Asylanerkennung oder Asylgewährung in anderer Form zusteht, nachdem § 39 Nr.
4 AsylVfG die bis dahin in § 28 AuslG enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und
die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung
ersatzlos beseitig hat und eine Asylanerkennung nunmehr allein an die
Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anknüpft (vgl. dazu auch Berberich,
ZAR 1985, 30 ff., Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11, 15, und zu Art. 1 Abschn. A Nr. 2
GK BVerwG, 25.10.1988 -- 9 C 76.87 --, EZAR 200 Nr. 22).
2. Der Senat hat auch nicht feststellen können, daß die Angehörigen der syrisch-
orthodoxen Minderheit in der Türkei bis zur Ausreise der Kläger zu 1) bis 4) einer
unmittelbaren oder mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt waren.
Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen
des Staats; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe nichtstaatlicher Personen
und Gruppen als mittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen zurechnen lassen,
wenn er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den
Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR
147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine derartige staatliche
Verantwortlichkeit kommt aber nur in Betracht, wenn der Staat wegen fehlender
Schutzfähigkeit oder -willigkeit zum Schutz gegen Ausschreitungen oder Übergriffe
nicht in der Lage ist, wobei dem Staat für Schutzmaßnahmen besonders bei
spontanen und schwerwiegenden Ereignissen eine gewisse Zeitspanne zugebilligt
werden muß (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, BVerwGE 79, 79 = EZAR 202 Nr.
13). Asylrelevante politische Verfolgung -- und zwar sowohl unmittelbar staatlicher
als auch mittelbar staatlicher Art -- kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von
Menschen richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von
dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR
147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1, u. 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86
u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 02.08.1983 -- 9 C 599.81 --,
BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, u. 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, a.a.O.). Die
Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in
quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen
aufweist, daß ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes
Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG, 08.02.1989 -- 9 C 33.87 --,
EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502). Als nicht verfolgt ist nur derjenige
Gruppenangehörige anzusehen, für den die Verfolgungsvermutung widerlegt
werden kann; es kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen
schon in seiner Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --,
a.a.O.). Auch eine frühere Gruppenverfolgung führt für die Betroffenen zur
Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs hinsichtlich künftiger
Verfolgung (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, a.a.O.).
Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Christen in der Türkei im
allgemeinen und der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft im besonderen
sowie des Verhältnisses dieser Christen zu anderen dort lebenden religiösen und
ethnischen Gruppen die nachfolgend anhand der vorliegenden schriftlichen
Unterlagen (im folgenden nur noch mit der entsprechenden Nr. der Liste von S. 9
ff. bezeichnet) auszugsweise dargestellte historische Entwicklung der christlichen
Siedlungsgemeinschaften im Nahen Osten zugrunde.
Die Anhänger der syrischen Kirchen siedelten ursprünglich im mesopotamischen
Raum, und zwar im Bergland des Tur'Abdin mit dem Zentrum Midyat, im weiter
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Raum, und zwar im Bergland des Tur'Abdin mit dem Zentrum Midyat, im weiter
östlich gelegenen Bergland von Bohtan, im alpenähnlichen Hochgebirge Hakkari
und weiter südlich in der Mosul-Ebene sowie in der Urmia-Ebene. Nachdem im 7.
Jahrhundert im Zuge der Arabisierung die Mehrheit dieser Christen zum Islam
übergetreten war und dann mongolische Eindringlinge Ende des 14. Jahrhunderts
die syrischen Kirchen bis auf wenige Überreste vernichtet hatten, erlebten sowohl
die syrisch-orthodoxen als auch die anderen im Osmanischen Reich lebenden
Christen vom Ende des 15. Jahrhunderts an eine vergleichsweise friedliche und
gesicherte Periode (38., S. 18), in der einigen der christlichen Kirchen -- allerdings
nicht der syrisch-orthodoxen (3., S. 46) -- der Status als "millat" zuerkannt wurde,
so daß sie ihr Personal- und Familienrecht nach eigenem Rechtsstatut regeln
konnten. Während der im 19. Jahrhundert zur Bewahrung des Osmanischen Reichs
eingeleiteten Reformbewegungen kam es sodann etwa nach der Seeschlacht von
Navarino 1827 zu einer Verfolgung der Armenier und 1843 zu einem Massaker der
Kurden unter den nestorianischen Bergstämmen im Hakkari. Die abseits in ihren
Siedlungsräumen in Ostanatolien lebenden syrischen Christen blieben von
derartigen Ereignissen weitgehend verschont. Sie waren ähnlich wie die ebenfalls in
dieser Region siedelnden Kurden stammesmäßig organisiert und erhielten sich
Unabhängigkeit und Schutz durch Selbstverteidigung und durch Tributzahlungen
an den Sultan. Nachdem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rege
Missionstätigkeit christlicher Religionsgesellschaften aus Amerika, England und
Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung
der Christen im Nahen Osten zu heben und gleichzeitig deren politisches
Bewußtsein zu fördern, reagierte das Osmanische Reich im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts auf Unabhängigkeitsbestrebungen der Christen mit dem Einsatz
kurdischer Söldnertruppen, und dabei kam es dann häufig zu Morden,
Plünderungen und Hungersnöten (1., S. 17 ff.). Schließlich fanden während des
Ersten Weltkriegs unter den Christen zahlreiche Massaker statt, die insgesamt
über drei Millionen Tote gefordert haben sollen (1., S. 28; 5., S. 14; 7.; 24., S. 6;
38., S. 9 u. 18 f.; 48., S. 18); für sie werden zumindest auch die Allianz der Christen
mit England und Rußland und die Kriegserklärung des damaligen syrisch-
orthodoxen Patriarchen Benjamin XXI. an die Türkei im Mai 1915 verantwortlich
gemacht. So wurden etwa bis März 1915 im Urmia- und im Salamas-Gebiet über
70 Dörfer von türkischen Truppen und kurdischen Freiwilligen zerstört und
geplündert und die christliche Bevölkerung massakriert, und im selben Jahr folgten
weitere Massenmorde in der armenischen Stadt Van und im Bohtan-Gebiet (1., S.
29 f.). Bei der Flucht der Bergassyrer nach Salamas und der Urmia-Assyrer nach
Hamadan sollen jeweils mehr als 10.000 Menschen umgekommen sein (1., S. 30
ff.). Schließlich siedelten syrische Christen in den Jahren 1922 und 1924 in zwei
großen Fluchtbewegungen aus der Türkei in das benachbarte Syrien über (1., S.
110), und im Gefolge des Ersten Weltkriegs und des Friedensvertrags von
Lausanne vom 24. Juli 1923 verließen mehr als zwei Millionen Griechen die Türkei
(3., S. 41).
Es mag im einzelnen Streit darüber herrschen, welche Bedeutung das christliche
Bekenntnis der verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in
der Vergangenheit im einzelnen hatte, welche Rolle politische und militärische
Interessen fremder Großmächte gespielt haben und ob und in welchem Maße sich
etwa bei Armeniern, Griechen oder Assyrern ein eigenes Nationalbewußtsein
entwickeln konnte (vgl. dazu: 1., S. 12 ff.; 5., S. 1 ff.; 18., S. 6 ff.). Die Situation der
Christen in der Türkei ist jedenfalls seit langem geprägt von ihrer bis in die Anfänge
des Christentums zurückreichenden religiösen und kirchlichen Tradition, von den
ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der einzelnen Gruppen und von
einem mehr und mehr hoffnungslos erscheinenden Überlebenskampf in einer
mehrheitlich türkischen/muslimischen Umwelt, der angesichts der leidvollen
historischen Erfahrungen als besonders bedrückend empfunden wird. Während die
Christen Ende des 19. Jahrhunderts noch etwa 30 % der Untertanen des
Osmanischen Reichs ausmachten, stellen sie nunmehr in der Türkei mit
schätzungsweise kaum noch 100.000 Menschen nur eine äußerst kleine Minderheit
der Gesamtbevölkerung von 43 Millionen (zu den Zahlenangaben und im übrigen
vgl.: 2.; 5., S. 5; 6., S. 5; 7.; 18., S. 8; 40.). Außer den Armeniern und den Griechen
sind zahlenmäßig vor allem die Assyrer von Bedeutung, denen aber im
Unterschied zu den Armeniern, Griechen und Juden ein Schutz als
nichtmuslimische Minderheit aufgrund des Lausanner Vertrags von 1923 nicht
zugestanden wird (3., S. 46; 5., S. 6; 32., S. 17 u. 40.; 41., S. 2 f.; 60.; 63., S. 7;
68.). Die syrischen Christen gehören im wesentlichen vier Kirchen an, nämlich der
alten apostolischen Kirche des Ostens (oder nestorianischen), der syrisch-
orthodoxen (oder jakobitischen), der chaldäischen und der syrisch-katholischen
(1., S. 3; 6., S. 5 f. u. 16 f.; 38., S. 8 f.). Die alte apostolische Kirche, die die
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(1., S. 3; 6., S. 5 f. u. 16 f.; 38., S. 8 f.). Die alte apostolische Kirche, die die
diophysitische Lehre des Nestorius (Christ als Gott und Mensch zugleich sowie
Maria als Gebärerin Christi) vertritt, brach auf dem Konzil von Ephesus im Jahre
431 mit der römischen Kirche (vgl. 1., S. 12, u. 6., S. 15 f.). Das Konzil von
Chalkedon im Jahre 451 führte zur Abspaltung der syrisch-orthodoxen Kirche von
Rom, wobei wiederum eine abweichende -- diesmal extrem monophysitische --
Lehrmeinung über die Person Christi ausschlaggebend war (1., S. 12; 6., S. 5 f.);
ihr Patriarch von Antiochia und dem gesamten Osten, Mar Ignatius Yakup III., hat
seinen Sitz seit 1954 in Damaskus (5., S. 21; 8., S. 2; 9., S. 2). Nestorianer und
Syrisch-Orthodoxe bedienen sich bis heute einer altsyrischen Liturgiesprache (1.,
S. 12); die Syrisch-Orthodoxen heben sich außerdem durch verschiedene Dialekte
der neuaramäischen Umgangssprache (im Tur'Abdin: Turoyo) von den
muslimischen Türken und Kurden sowie von den Yeziden ab. Im 16. und 17.
Jahrhundert kamen Teile der nestorianischen Kirche infolge innerer Streitigkeiten
und auf Betreiben von Kapuzinermissionaren unter Beibehaltung ihres Ritus mit
der römischen Kirche zum Ausgleich; diese unierte nestorianische Kirche nennt
sich chaldäische Kirche; ihr Patriarch residiert (nach Vereinigung der früheren
Patriarchate von Babylon und Mosul) heute in Bagdad (1., S. 12; 3., S. 46; 5., S. 5;
6., S. 16; 29.; 38., S. 9). Im 18. oder 19. Jahrhundert kam es schließlich auch zu
einer Union eines Teils der syrisch-orthodoxen Kirche mit Rom, wobei gleichfalls
der syrische Ritus beibehalten wurde; hierbei handelt es sich um die sog. syrisch-
katholische Kirche (1., S. 3 u. 12; 3., S. 46; 5., S. 5; 6., S. 6 u. 16 f.; 38., S. 9).
Während bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Gebiet der heutigen Türkei noch
etwa eine Million Jakobiten und Nestorianer gelebt haben sollen und 1927
immerhin noch insgesamt 257.000 (1., S. 46 u. 110), beträgt die Zahl der Syrisch-
Orthodoxen in der Türkei neueren Schätzungen zufolge nur noch etwa 45.000 (1.,
S. 111; 5., S. 20), 35.000 (1., S. 46), 20.000 bis 25.000 bzw. 35.000 (6., S. 17; 58.,
S. 1), 20.000 (8., S. 2) oder sogar nur 10.000 bis 15.000 (2.). Im Gebiet des
Tur'Abdin (Berg der Gottesknechte), wo vor 25 Jahren noch 70.000 Syrisch-
Orthodoxe lebten, sollen es 1967/68 noch 20.000 gewesen sein (4., S. 2), 1980
noch ca. 13.000 (70., S. 7), 25.000 (5., S. 29) oder auch annähernd 40.000 (32., S.
17), 1987/1988 lediglich noch 5.000 bis 7.000 (48., S. 14; 63., S. 5; 70., S. 4 f., 7 u.
14) oder 12.000 (58., S. 2) und 1989 sogar nur noch ungefähr 4.000 (76., S. 13 u.
16), während ihre Zahl in Istanbul im selben Zeitraum von einigen Hundert auf
15.000 oder gar auf 17.000 angestiegen sein soll (5., S. 46; 9., S. 7; 21.; 26.; 27.;
für die Zeit nach 1982 vgl. auch 35.; 37., S. 11; 58., S. 2; 63., S. 5; 70., S. 4);
derzeit dürften in Istanbul noch ungefähr 10.000 syrisch-orthodoxe Christen leben
(64., S. 3; 66., S. 1). In der Bezirksstadt Midyat sollen im Jahr 1978 von den
ursprünglich 3.000 syrischen Familien infolge einer seit 1960 anhaltenden starken
Abwanderung in türkische Großstädte und ins Ausland noch 1.000 Familien
gewohnt haben (1., S. 117).
Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann nicht festgestellt
werden, daß die christliche Bevölkerung in der Türkei und insbesondere im Gebiet
des Tur'Abdin in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise der Kläger zu
1) bis 4) im Dezember 1979 unter einer an die Religion anknüpfenden
Gruppenverfolgung zu leiden hatte; dies gilt sowohl hinsichtlich einer unmittelbaren
staatlichen Verfolgung (a) als auch hinsichtlich einer vom türkischen Staat
gebilligten oder geduldeten Verfolgung durch andere Bevölkerungsgruppen (b)
(ebenso schon der früher für Asylverfahren allein zuständige 10. Senat des Hess.
VGH in st. Rspr., zuletzt 30.05.1985 -- 10 OE 35/83 --, und jetzt der 12. Senat,
22.02.1988 -- 12 UE 1071/84 --, NVwZ-RR 1988, 48, -- 12 UE 1587/84 u. 12 UE
2585/85 --, 30.05.1988 -- 12 UE 2514/85 --, 13.06.1988 -- 12 OE 94/83 --,
27.06.1988 -- 12 UE 2438/85 --, 04.07.1988 -- 12 UE 2573/85 u. 12 UE 25/86 --,
17.10.1988 -- 12 UE 2601/84, 12 UE 767/85, 12 UE 2497/85 u. 12 UE 2813/86 --,
05.12.1988 -- 12 UE 2487/85 u. 12 UE 2569/85 --, 06.02.1989 -- 12 UE 2580/85 u.
12 UE 2584/85, 27.02.1989 -- 12 UE 838/85 u. 12 UE 839/85 --, 20.03.1989 -- 12
UE 1705/85, 12 UE 2192/86 u. 12 UE 3003/86 --, InfAuslR 1989, 253, 29.05.1989 --
12 UE 2586/85 u. 12 UE 2643/85 --, 20.11.1989 -- 12 UE 2336/85, 12 UE 2437/85
u. 12 UE 2536/85 -- sowie 04.12.1989 -- 12 UE 2652/85 u. 12 UE 63/86 -- sowie
26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 --; ähnlich VGH Baden-Württemberg, 25.07.1985 -- A
12 S 573/81 --, u. OVG Lüneburg, 25.08.1986 -- 11 OVG A 263/85 --; a.A. Bay.
VGH, 19.03.1981 -- 12.B/5074/79 --, InfAuslR 1981, 219, VGH Baden-Württemberg,
09.02.1987 -- A 13 S 709/86 --, u. OVG Nordrhein-Westfalen, 23.04.1985 -- 18 A
10237/84 --, sowie OVG Rheinland-Pfalz, 10.12.1986 -- 11 A 131/86 --). Für die
Frage nach dem Vorliegen einer an die religiöse Grundentscheidung anknüpfenden
Gruppenverfolgung ist allgemein zu beachten, daß eine aus Gründen der Religion
stattfindende Verfolgung nur dann asylerheblich ist, wenn die Beeinträchtigungen
der Freiheit der religiösen Betätigung nach Intensität und Schwere die
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der Freiheit der religiösen Betätigung nach Intensität und Schwere die
Menschenwürde verletzen (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, BVerfGE 54,
341 (357) = EZAR 200 Nr. 1). Es muß sich um maßnahmen handeln, die den
Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer treffen wie bei
Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit (BVerwG,
18.02.1986 -- 9 C 16.85 --, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7), indem sie ihn
physisch vernichten, mit vergleichbar schweren Sanktionen bedrohen, seiner
religiösen Identität berauben oder daran hindern, seinen Glauben im privaten
Bereich und durch Gebet und Gottesdienst zu bekennen (BVerfG, 01.07.1987 --
BvR 472/86 u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20, u. 10.11.1989 -- 2 BvR
403/84 u.a. --, EZAR 203 Nr. 5 = NVwZ 1990, 254).
a) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und anderen
Erkenntnisquellen ergeben sich insgesamt keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür,
daß der türkische Staat die syrisch-orthodoxen Christen in diesem Sinne in dem
hier maßgeblichen Zeitraum unmittelbar aus religiösen Gründen verfolgt hat.
Die syrisch-orthodoxen Christen waren -- und sind -- von Verfassungs wegen
ebenso wie die Angehörigen anderer muslimischer und nichtmuslimischer
Glaubensgemeinschaften gegen Eingriffe in die Religionsfreiheit und gegen
Diskriminierungen aus religiösen Gründen geschützt (Art. 19 d. türk. Verf. v. 1961,
Art. 24 Abs. 1 d. türk. Verf. vom 07.11.1982; 18., S. 23; 41., S. 3; 57., S. 17 f.). Sie
sind in den durch Art. 14 der Verfassung von 1982 gezogenen Grenzen frei,
Gottesdienste, religiöse Zeremonien und Feiern abzuhalten (Art. 24 Abs. 2 dieser
Verfassung). Sie werden jedoch seit jeher anders als die Armenier, Griechen und
Juden in der Staatspraxis nicht zu den nichtmuslimischen Minderheiten gerechnet,
denen aufgrund der Art. 38 ff. des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli
1923 besondere Minderheitenrechte gewährleistet sind, so u.a. gemäß Art. 40 das
Recht, auf eigene Kosten jegliche karitative, religiöse und soziale Institutionen,
Schulen und andere Einrichtungen für Lehre und Erziehung mit dem Recht auf
Gebrauch ihrer eigenen Sprache und freie Religionsausübung zu errichten, zu
betreiben und zu kontrollieren (1., S. 112; 3., S. 46; 5., S. 6 u. 57 f.; 8., S. 3 f.; 9., S.
15 f.; 13.; 32., S. 17 u. 40; 41., S. 2 f.; 60.; 68.). Während die in Istanbul lebenden
etwa 80.000 Armenier dazu imstande sind, ungefähr 30 bis 40 Kirchen und einige
Schulen, mindestens ein Krankenhaus und 12 Jugendclubs zu unterhalten (12.;
53.; 76., S. 3), verfügen die etwa 10.000 Syrisch-Orthodoxen in Istanbul lediglich
über ein eigenes Kirchenzentrum und sind in fünf bis sieben weiteren Kirchen zu
Gast (18., S. 49; 26.; 27.; 35., S. 6; 37., S. 3, 8 u. 13; 64., S. 9; 66.; 76., S. 4 f.), sie
dürfen aber keine Schulen und keine Sozialeinrichtungen betreiben (58., S. 4; 63.,
S. 7). Die syrisch-orthodoxen Christen werden allerdings ebensowenig wie andere
christliche Glaubensgemeinschaften staatlicherseits unmittelbar an der Ausübung
ihrer Religion gehindert. Sie können sowohl im Gebiet des Tur'Abdin als auch in
Istanbul in den ihnen verbliebenen Kirchen Gottesdienst nach ihrer Liturgie feiern
und ihren Glauben praktizieren. Insbesondere haben sie die Möglichkeit zum Gebet
und zum Gottesdienst im häuslich-privaten Bereich und in Gemeinschaft mit
anderen Gemeindemitgliedern.
Obwohl die Religionsausübung nach außen hin -- weder in der Vergangenheit noch
jetzt -- offen behindert oder gar untersagt (worden) ist, sind dennoch zahlreiche
administrative Schwierigkeiten festzustellen (58., S. 5), die die Syrisch-Orthodoxen
bei der Ausübung ihres Glaubens und der Pflege ihres Brauchtums empfindlich
stören und auf Dauer gesehen das kirchliche und religiöse Leben beeinträchtigen
und schließlich zum Erliegen bringen können. So ist beispielsweise die Ausbildung
der Priester zwar von Staats wegen nicht verboten und auch nicht erkennbar
restriktiv reglementiert. Tatsächlich gibt es aber seit geraumer Zeit in der Türkei
weder einen syrisch-orthodoxen Bischof noch Priesterseminare (8., S. 4; 19., S.
16), und deshalb können neue Priester, die die türkische Staatsangehörigkeit
besitzen müssen, nur im Ausland ausgebildet und geweiht werden (9., S. 5; 12., S.
5; 45., S. 6 f.; 467., S. 6; 48., S. 19; 60., S. 2). Die seelsorgerische Betreuung der
noch in den ehemals syrisch-orthodoxen Siedlungsgebieten verbliebenen
Gläubigen ist auch dadurch erschwert, daß viele Priester ihre Gemeinden gegen
den Willen der Kirchenleitung verlassen haben und im Zuge der Anwerbung von
Arbeitnehmern durch die Bundesrepublik Deutschland und andere westdeutsche
Staaten ins Ausland abgewandert sind (40., S. 3; 46., S. 3). Die ehemals
zahlreichen Klöster im Tur'Abdin sind jetzt nur noch von wenigen Mönchen oder
Nonnen bewohnt und im übrigen verlassen (5., S. 21). Die Klosterschule in Dair
Za'faran wurde zudem mehrmals zumindest zeitweilig geschlossen, weil der
türkische Staat das Schulprogramm mit syrisch-aramäischem Sprachunterricht
und christlichem Religionsunterricht für illegal erachtete (5., S. 28; 6., S. 18; 32., S.
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und christlichem Religionsunterricht für illegal erachtete (5., S. 28; 6., S. 18; 32., S.
18; 46., S. 5; 76., S. 15). Der Bau und die Errichtung von Kirchen sind, nachdem
das Eigentum an dem Besitz der "frommen Stiftungen" im Jahre 1965 auf den
Staat übertragen worden ist, nur noch mit vorheriger staatlicher Genehmigung
zulässig (9., S. 17). Die Tatsache, daß in den vergangenen Jahren keine neue
syrisch-orthodoxe Kirche gebaut worden ist, während in der ganzen Türkei
zahlreiche neue Moscheen entstanden sind (43., S. 3 f.; 45., S. 3; 46., S. 4), kann
allerdings darauf zurückzuführen sein, daß Geld für einen derartigen Kirchenbau
nicht vorhanden war (28.). Trotz dieser faktischen Behinderungen im
administrativen Bereich läßt sich daraus eine unmittelbare staatliche
Beeinträchtigung der Religionsfreiheit für die Zeit bis zur Ausreise der Kläger zu 1)
bis 4) aus der Türkei nicht herleiten.
Ebenso verhält es sich im Ergebnis mit der Gestaltung des Religionsunterrichts an
den staatlichen Schulen (vgl. 55.). Insoweit ist allerdings zu beachten, daß die
Belastung nur eines bestimmten genau abgegrenzten Kreises von
Gruppenangehörigen -- hier: der eine Schule besuchenden und in der Regel
minderjährigen Personen -- nicht bereits eine Verfolgung der Religionsgruppe
insgesamt darstellt (BVerwG, 24.08.1989 -- 9 B 301.89 --, NVwZ 1990, 80 =
InfAuslR 1989, 348). Indessen kann eine asylrelevante Belastung der Angehörigen
einer solchen Untergruppe -- zumal ihr grundsätzlich jedes Mitglied der
Religionsgruppe im Verlaufe seines Lebens eine Zeitlang angehört -- ein gewisses
Indiz für eine Verfolgung aller Gruppenangehörigen sein. Wären nämlich
Angehörige weiterer Untergruppen -- etwa der Wehrpflichtigen, der Frauen
bestimmten Alters und/oder der minderjährigen Kinder -- ebenfalls asylrechtlich
erheblicher Verfolgung ausgesetzt, so könnte sich eine Verdichtung bis hin zur
Annahme einer Gruppenverfolgung aller Mitglieder der betreffenden
Religionsgruppe ergeben. Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen
hat, die Pflicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht stelle für sich
allein keine asylerhebliche Beeinträchtigung der Religionsausübung dar, da sie
nicht gleichgesetzt werden könne mit der Pflicht, sich zum Islam zu bekennen
(BVerwG, 14.05.1987 -- 9 B 149.87 --, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987, 1113), neigt
der Senat zu einer grundsätzlich anderen Betrachtungsweise. Denn
Religionsunterricht, der gegen den Willen der Kinder oder der insoweit
erziehungsberechtigten Eltern erteilt wird, kann den Beginn einer
Zwangsbekehrung bedeuten, stellt doch die religiöse Unterweisung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen einen unverzichtbaren -- weil lebenswichtigen -- Teil
der Religionsfreiheit dar. Ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser
Überzeugungen vermag nämlich weder der einzelne Gläubige noch die
Glaubensgemeinschaft auf Dauer zu bestehen. Neben der Verkündigung des
Glaubens während des kirchlichen Gottesdienstes spielt hierbei vor allem der
Religionsunterricht für Kinder eine ausschlaggebende Rolle. In vorliegendem
Zusammenhang ist indessen von maßgeblicher Bedeutung, daß zur Zeit der
Ausreise der Kläger zu 1) bis 4) im Dezember 1979 noch keine Pflicht zur
Teilnahme am islamischen Religionsunterricht bestanden hat. Zwar war 1950 für
die vierte und fünfte Grundschulklasse, 1956 für die sechste und siebte Klasse der
Mittelschule und 1967/68 auch für die erste und zweite Klasse des Gymnasiums
der Religionsunterricht auf freiwilliger Basis eingeführt und ab 1976 in allen Klassen
der Mittelschule und des Gymnasiums angeboten worden. Auch hatte man
1974/75 in den beiden letztgenannten Schulformen einen sog. Ethik- bzw.
Moralkundeunterricht als Pflichtfach eingeführt (55.; 63., S. 20).
Dieser war aber jedenfalls in den 70er Jahren weitgehend laizistisch und
wertneutral; erst später wurde er in der Praxis zu einem "Neben-
Religionsunterricht" (35.) und schließlich zwischen 1982 und 1985 mit dem
Religionsunterricht zusammengelegt (55.). Für die Zeit vor dem Inkrafttreten der
Verfassung von 1982 und vor der Machtübernahme durch das Militär im
September 1980 besteht daher keine Veranlassung zu der Annahme, der
türkische Staat habe durch die Gestaltung des Religionsunterrichts an staatlichen
Schulen unmittelbar in einer Art und Weise in die Freiheit der religiösen Betätigung
der syrisch-orthodoxen Christen eingegriffen, die die Menschenwürde und das sog.
religiöse Existenzminimum antastete. Auch wenn man berücksichtigt, daß ein
christlicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen nicht angeboten wurde und
es im Rahmen des Ethik- bzw. Moralkundeunterrichts bei der praktischen
Handhabung der Unterscheidung zwischen ethischen und allgemein religiösen
Lehrinhalten einerseits und islamischen Glaubensinhalten andererseits zu
Benachteiligungen und Beeinträchtigungen der Glaubensüberzeugungen
christlicher Schüler kommen konnte, kann darin insgesamt ein asylrelevanter
Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von der regelmäßig fehlenden
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Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von der regelmäßig fehlenden
Intensität mangelte es insoweit jedenfalls an der asylrechtlichen Zurechenbarkeit,
weil Anhaltspunkte dafür, daß die verantwortlichen Stellen derartiges dienstliches
Fehlverhalten von Lehrern seinerzeit förderten oder zumindest duldeten, aus den
dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen sind.
Schließlich können Anzeichen für eine gegen Christen gerichtete
Gruppenverfolgung zur Zeit der Ausreise der Kläger zu 1) bis 4) auch nicht aus der
Art und Weise entnommen werden, wie christliche Wehrpflichtige damals in der
türkischen Armee behandelt worden sind. Eine Verfolgung der betreffenden
Religionsgruppe insgesamt könnte allein daraus ohnehin nicht entnommen werden
(vgl. BVerwG, 24.08.1989 -- 9 B 301.89 --, NVwZ 1990, 80 = InfAuslR 1989, 348).
Für den Senat steht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen und der
Erkenntnisse aus den in letzter Zeit entschiedenen zahlreichen
Berufungsverfahren fest, daß es jedenfalls bis etwa zum Zeitpunkt des
Militärputsches im September 1980 nur in Einzelfällen zu ihrer Intensität nach als
Verfolgung zu qualifizierenden Übergriffen auf christliche Wehrpflichtige gekommen
ist. Bis dahin scheint die Führung der türkischen Streitkräfte, die sich als Hüter
laizistischer Prinzipien verstehen, mit Erfolg darauf geachtet zu haben, daß
religiöse Strömungen dort keinen nachhaltigen Widerhall finden konnten (vgl. 36.).
Demzufolge hatten christliche Wehrpflichtige in aller Regel weder seitens ihrer
Vorgesetzten noch seitens ihrer Kameraden mit schwerwiegenden
Diskriminierungen zu rechnen, wenn auch -- nach der Darstellung des Auswärtigen
Amtes -- Sticheleien und gelegentliche Übergriffe von Kameraden nicht
auszuschließen waren (33.; 36.) und es -- nach den Äußerungen anderer
Sachverständiger -- darüber hinaus vielfach zur Betrauung mit besonders
unangenehmen Aufgaben, zu verbalen Beleidigungen, zum Versuch der
Bekehrung zum Islam und zur Androhung der Zwangsbeschneidung sowie in
Einzelfällen auch zu schweren Körperverletzungen gekommen sein mag (39.; 40.;
42.) und christliche Wehrpflichtige mit Abitur meist -- anders als Muslime -- nicht
als Offiziersanwärter rekrutiert wurden (und werden) (41.). Die zwangsweise
Durchführung von Beschneidungen christlicher Wehrpflichtiger war in der Zeit bis
September 1980 offenbar nur in seltenen Einzelfällen festzustellen (42.). Diese
Einschätzung der damaligen Situation christlicher Wehrpflichtiger wird durch die
von dem erkennenden Senat in zahlreichen Berufungsverfahren gewonnenen
Erkenntnisse aufgrund der in diesen Asylverfahren vorgelegten Erklärungen und
mitgeteilten Angaben von türkischen Christen, die vor dem Militärputsch ihren
Wehrdienst abgeschlossen haben, bestätigt. Die vom Senat gehörten Christen
haben entweder selbst in dem Zeitraum zwischen 1953 und 1978 ihren Wehrdienst
abgeleistet oder aber von den Erfahrungen ihrer Brüder während deren damaliger
Dienstzeit berichtet. Während einige, obgleich sie vom Alter her Wehrdienst
geleistet haben müßten, diesen Punkt in ihren Asylverfahren überhaupt nicht
angesprochen haben, haben sich andere auf die Mitteilung der Dienstleistung als
solcher beschränkt und von irgendwelchen Benachteiligungen nichts erwähnt (vgl.
etwa Hess. VGH, 27.06.1988 -- 12 UE 2438/85 -- (Abdruck S. 3), 04.07.1988 -- 12
UE 25/86 -- (Abdruck S. 3), 06.02. 1989 -- 12 UE 2584/85 -- (Abdruck S. 3),
29.05.1989 -- 12 UE 2586/85 -- (Abdruck S. 3 u. 40), 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86
-- (Abdruck S. 26)). Die übrigen haben von einer übermäßigen Heranziehung zum
Wachdienst und zu besonders schmutzigen Arbeiten, von Beschimpfungen ihrer
Person und ihrer Religion und von wiederholten Schlägen berichtet, mit denen
regelmäßig das Ziel verfolgt worden sei, sie zum Übertritt zum Islam und zur
Beschneidung zu bewegen; in allen Fällen gelang es den Betroffenen jedoch,
sowohl einer Zwangsbekehrung als auch einer Zwangsbeschneidung letztlich zu
entgehen, wobei es allerdings einmal zu einer Brandverletzung am Geschlechtsteil
kam und ein andermal erst im Militärkrankenhaus der Arzt dazu bewegt werden
konnte, von einer Beschneidung Abstand zu nehmen (vgl. etwa Hess. VGH,
22.02.1988 -- 12 UE 1071/84 -- (Abdruck S. 4 u. 34) u. -- 12 UE 2585/85 --
(Abdruck S. 4 u. 34 f.), 30.05.1988 -- 12 UE 2514/85 -- (Abdruck S. 5 u. 35 f.),
17.10.1988 -- 12 UE 2601/84 -- (Abdruck S. 35) u. -- 12 UE 767/85 -- (Abdruck S.
37), 18.10.1988 -- 12 UE 433/85 -- (Abdruck S. 33 f.)), 20.03.1989 -- 12 UE
1705/85 -- (Abdruck S. 5 u. 46 ff.) u. -- 12 UE 2192/86 -- (Abdruck S. 44 f.) sowie
04.12.1989 -- 12 UE 2652/85 -- (Abdruck S. 39)). Entsprechend stellen sich bei
zusammenfassender Betrachtung die in einem anderen Verfahren eingeführten
Angaben derjenigen knapp 20 Wehrpflichtigen dar, die vor dem Militärputsch ihren
Dienst geleistet haben; auch diese, deren Militärzeiten sich über einen Zeitraum
von 1958 bis 1980 erstreckt haben, machen Benachteiligungen der genannten Art
geltend, konnten aber jedenfalls eine Beschneidung erfolgreich abwehren (vgl.
Hess. VGH, 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 -- (Abdruck S. 27)). Danach kann schon
nicht festgestellt werden, daß seinerzeit praktisch jeder christliche Wehrpflichtige
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nicht festgestellt werden, daß seinerzeit praktisch jeder christliche Wehrpflichtige
mit Rechtsverletzungen zu rechnen hatte, die nicht nur als Beeinträchtigungen,
sondern auch als ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung
der staatlichen Einheit ausgrenzende Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren sind
(vgl. BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr.
20). Schon deshalb kann daraus für die Zeit vor dem Militärputsch nicht auf eine
Verfolgung des abgegrenzten Kreises der wehrpflichtigen Gruppenangehörigen
und erst recht nicht auf eine Gruppenverfolgung aller syrisch-orthodoxen Christen
geschlossen werden. Darüber hinaus fehlen für den betreffenden Zeitraum
Anhaltspunkte dafür, daß die militärische Führung Übergriffe, soweit sie vorkamen,
geduldet oder gar gefördert hat (vgl. 33.; 41.); mithin läßt sich für die damalige
Zeit die asylrechtliche Zurechenbarkeit, die auch für Zugriffe innerhalb der Armee
erforderlich ist, ebenfalls nicht annehmen, weil nicht festgestellt werden kann, daß
der türkische Staat seinerzeit an die Religion anknüpfenden Übergriffen auf
Wehrpflichtige nicht entgegengewirkt hätte, indem er beispielsweise präventive
Vorkehrungen unterlassen hätte, um weitere Übergriffe zu verhindern und, wenn
sie gleichwohl vorgekommen wären, weder den Opfern Schutz gewährt noch gegen
pflichtwidrig Handelnde Sanktionen verhängt hätte (vgl. BVerwG, 22.04.1986 -- 9 C
318.85 u.a. --, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8).
b) Darüber hinaus waren die Christen in der Türkei, insbesondere in der
Südosttürkei, in dem hier maßgeblichen Zeitraum auch keiner mittelbaren
staatlichen Kollektivverfolgung in der Weise ausgesetzt, daß sie von anderen
Bevölkerungsgruppen ihrer Religion und ihres christlichen Bekenntnisses wegen
verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz nicht erhalten konnten.
In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, die Ursachen der oben (unter
II. 2.) dargestellten Abwanderungsbewegungen aus den ursprünglich ausschließlich
oder zumindest überwiegend christlichen Dörfern nach Mardin und Midyat und vor
allem nach Istanbul und von dort aus ins Ausland im einzelnen zu ermitteln.
Tatsächlich sind die Christen den Anwerbeaktionen der westeuropäischen
Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre wohl dank ihrer besseren Ausbildung und
ihrer größeren Flexibilität eher gefolgt als die in der Südosttürkei lebenden Kurden
und haben dann nach und nach ihre Familien in die Bundesrepublik Deutschland
und in andere westeuropäische Länder nachgeholt. Eine gewisse Rolle mag
anfangs auch die allgemein in der Türkei zu beobachtende Landflucht gespielt
haben, die die Einwohnerzahl von Istanbul auf jetzt 8 bis 10 Millionen hat
anwachsen lassen (1., S. 111; 18., S. 20). Wie bereits oben (unter II. 2. a)
festgestellt, haben zudem viele Priester im Zuge der Gastarbeiterwanderung ihre
syrisch-orthodoxen Gemeinden im Tur'Abdin verlassen und sind gegen den Willen
der Kirchenleitung nach Europa und nach Übersee ausgewandert (40., S. 3; 45., S.
3), was zusätzlich zu einer Destabilisierung der gewachsenen Siedlungsstrukturen
der Christen in der Südosttürkei beigetragen hat. Schließlich haben auch die
Ereignisse um Zypern, im Libanon und im Iran sowie allenthalben feststellbare
Islamisierungstendenzen zu einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Christen
und muslimischen Kurden im Tur'Abdin beigetragen. Ungeachtet der im einzelnen
maßgeblichen Gründe für die Bevölkerungsbewegungen, die durchaus umstritten
sein mögen, wurde aber seit Mitte der 70er Jahre aus dem Gebiet um Midyat über
eine auffällige Zunahme schwerer Übergriffe der muslimischen Mehrheit (meist
Kurden) gegen Christen berichtet, und zwar über Morde, Mordversuche,
Entführungen, Zwangsbeschneidungen, Viehdiebstähle, Landwegnahmen,
Sachbeschädigungen und Plünderungen (vgl. dazu etwa: 1., S. 112 f. u. 115 f.; 3.,
S. 46 ff.; 5., S. 32 ff. u. 106 ff.; 11., S. 5 ff.; 14.; 16.; 32., S. 17 ff.). Gleichzeitig
wurde allgemein beanstandet, daß staatliche Stellen, wenn sie um Hilfe
angegangen wurden, entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder aber
sogar offen zum Ausdruck gebracht haben, sie lehnten es ab, Christen Schutz zu
gewähren (vgl. etwa: 4., S. 3 u. 5; 5., S. 34; 15.). Außerdem wurde betont, ähnliche
Gewalttaten Syrisch-Orthodoxer seien, wenn sie vereinzelt vorgekommen seien,
auch verfolgt worden (9., S. 21).
Bei der Frage nach den Ursachen für die danach seit Mitte der 70er Jahre vermehrt
feststellbaren Beeinträchtigungen der Christen durch die muslimische Bevölkerung
im Tur'Abdin werden teils die Auswirkungen der Verfolgung weniger schwerwiegend
dargestellt, teils eine Anknüpfung an die Religionszugehörigkeit seitens der
Verfolger bezweifelt und teils die Einstellung der staatlichen Stellen zu diesen
Maßnahmen der andersgläubigen Mitbürger nicht so gewertet und eingeschätzt,
daß den Christen der erforderliche staatliche Schutz gegen private Übergriffe ihrer
Religion wegen verwehrt wurde. So bestätigen etwa auch andere als die bereits
erwähnten Quellen gewalttätige Auseinandersetzungen und existenzbedrohende
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erwähnten Quellen gewalttätige Auseinandersetzungen und existenzbedrohende
Übergriffe im Südosten der Türkei (2., S. 2; 17.) und die Gefahr administrativer
Schikanen sowie die Schutzlosigkeit gegenüber gesetzlosen Zuständen vor der
Machtübernahme durch das Militär im September 1980 (15.). Andererseits wird
aber darauf hingewiesen, daß unter schwierigen Lebensverhältnissen und der
gesetzlosen Lage vor September 1980 auch die übrige Bevölkerung zu leiden
gehabt habe, die Abwanderung aus dem Tur'Abdin vorwiegend wirtschaftliche und
soziale Gründe habe und die Wanderungsbewegung bei den Christen nicht stärker
sei als bei der übrigen Bevölkerung (vgl. vor allem 18., S. 23 ff. u. 31 ff.). Während
das Auswärtige Amt als Ursachen für die Abwanderung neben religiösen
Spannungen sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch die in
Gewalttätigkeiten ausufernden Streitigkeiten aus sprachlichen, sozialen und
ethnischen Motiven nennt, räumt es doch gleichzeitig ein, Christen hätten teilweise
existenzbedrohende Benachteiligungen erlitten und seien gewalttätigen
Übergriffen ausgesetzt gewesen, gegen die ausreichender staatlicher Schutz
besonders in schwer zugänglichen ländlichen Gebieten häufig nicht habe gewährt
werden können, so daß praktisch die christliche Minderheit oftmals gewalttätigen
Übergriffen schutzlos preisgegeben gewesen sei (2., S. 2). Wenn Wiskandt
bezweifelt, daß Christen aus dem Tur'Abdin in wesentlich größerem Ausmaß als
Kurden abgewandert sind (18., S. 23 ff., besonders S. 28), so fällt auf, daß er die
Anzahl der in der Provinz Mardin lebenden Syrisch-Orthodoxen aus einer offiziellen
Einwohnerstatistik und eigenen Berechnungen ableitet, während die oben (unter II.
2., Seite 19) erwähnten Zahlenangaben anderer Autoren zwar vorwiegend auf
Schätzungen beruhen, aber insgesamt zutreffender erscheinen, weil dort der
Bevölkerungsrückgang bei den Christen zum größten Teil durch die Nennung von
Ortsnamen und exakten Einwohnerzahlen belegt ist. Es mag zutreffen, daß die
historischen Fakten in den epd-Dokumentationen (5. u. 32.) nicht immer neutral
dargestellt sind und die religiösen Bezüge dort ebenso einseitig in den
Vordergrund gestellt werden wie von Yonan (1.) der Prozeß der Entwicklung einer
assyrischen Nation. Abgesehen aber davon, daß Wiskandt seine Befragungen
offenbar ohne die in solchen Situationen wichtige Vertrauensbasis zu den
befragten Personen ohne Bekanntgabe seines Auftrags durchgeführt hat, ist in
seinem Gutachten an zahlreichen Stellen nachzuweisen, daß seine Ausführungen
nicht völlig frei sind von Vorverständnissen und festliegenden persönlichen
Positionen, die die Beantwortung der ihm gestellten Fragen teilweise beeinflußt
haben könnten (vgl. dazu im einzelnen 23., 24., 25.). So wirft er der ersten epd-
Dokumentation offen bewußte Zahlenmanipulation vor (S. 27, 29), polemisiert
gegen die "hiesige Lobby der Sürjannis" (S. 65) und beschreibt die "Erfolge" der
Militärregierung ohne jede Einschränkung (S. 20 ff.), obwohl Vorbehalte gegen die
Politik der Militärregierung angesichts zahlreicher Proteste gegen
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zumindest erwähnenswert gewesen
wären.
Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, daß die Christen in der Türkei
-- und zwar auch im Tur'Abdin -- in ihrer Gesamtheit in der Zeit bis zur
Machtübernahme der Militärs im September 1980 in der Weise mittelbar aus
religiösen Gründen verfolgt worden sind, daß sie als Angehörige der christlichen
Minderheit gewalttätigen Übergriffen mit Gefahren für Leib und Leben und die
persönliche Freiheit durch die muslimische Bevölkerung ausgesetzt waren und der
türkische Staat diese Verfolgungsmaßnahmen entweder gebilligt oder zumindest
tatenlos hingenommen und damit den Christen den erforderlichen staatlichen
Schutz versagt hat. Die dargelegten Verhältnisse stellen sich allerdings so dar,
daß in zahlreichen Einzelfällen tatsächlich syrisch-orthodoxe Bewohner des
Tur'Abdin von muslimischen Mitbürgern umgebracht, verletzt, entführt oder
beraubt worden sind, ohne daß die zuständigen staatlichen Behörden hiergegen
eingeschritten sind, obwohl ihnen dies möglich gewesen wäre.
Wenn das Verwaltungsgericht demgegenüber in dem angegriffenen Urteil
angenommen hat, die Kläger zu 1) bis 4) seien von einer mittelbaren
Gruppenverfolgung aller Syrisch-Orthodoxen in der Türkei betroffen worden, die
allerdings nach dem Militärputsch vom September 1980 nicht mehr andauere,
dann beruht dies auf einer nicht gerechtfertigten Auswertung des Inhalts der in
diesem Urteil zitierten Gerichtsentscheidungen und Erkenntnisquellen. So beruft
sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht zum Nachweis dafür, daß die Syrisch-
Orthodoxen zumindest vor September 1980 im Tur'Abdin wegen ihres Glaubens
verfolgt worden seien, u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2.
August 1983 -- 9 C 599.81 -- (BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1). In dieser
Entscheidung mußte das Bundesverwaltungsgericht -- wie auch in anderen
Verfahren -- aufgrund seiner Bindung an Tatsachenfeststellungen in dem
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Verfahren -- aufgrund seiner Bindung an Tatsachenfeststellungen in dem
zugrundeliegenden Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. § 137
Abs. 2 VwGO) davon ausgehen, daß existenzbedrohende Benachteiligungen und
gewalttätige Übergriffe um das Jahr 1976 so zugenommen hatten, daß die
Auswanderung der Christen aus dieser Region zunehmend Fluchtcharakter
annahm und ihre Zahl von ursprünglich 70.000 auf einen Bruchteil dessen absank
und daß die Sachwalter des türkischen Staats das Vorgehen der Muslime aufgrund
der weitgehend von feudalen Stammes- und Religionsführern bestimmten
Machtstrukturen in der Region nicht oder völlig unzureichend ahndeten. Wenn das
Revisionsgericht daraufhin ausgeführt hat, das Berufungsgericht habe diesen
Sachverhalt zu Recht dahin gewürdigt, daß zu der im dortigen Verfahren
maßgeblichen Zeit die syrisch-orthodoxen Christen in einer dem türkischen Staat
zuzurechnenden Weise als Gruppe asylrechtlich verfolgt worden sind, dann
bedeutet dies nicht, daß diese Frage seitdem letztverbindlich entschieden war.
Deshalb blieb auch die Revision eines syrisch-orthodoxen Christen erfolglos, in
dessen Verfahren der 10. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine
dem türkischen Staat zurechenbare allgemeine Gruppenverfolgung syrisch-
orthodoxer Christen im Tur'Abdin verneint hatte (27.05.1982 -- X OE 727/81 --);
das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausdrücklich ausgeführt, ein Asylbewerber
könne tatsächliche Feststellungen der Tatsachengerichte zur Gruppenverfolgung
im Revisionsverfahren nicht erfolgreich damit angreifen, daß andere
Tatsachengerichte dieselbe Situation anders beurteilten (BVerwG, 08.05.1984 -- 9
C 141.83 --, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36). Hinsichtlich der tatsächlichen
Feststellungen des Verwaltungsgerichts über eine Fortdauer der landesweiten
Gruppenverfolgung Syrisch-Orthodoxer in der Türkei fällt auf, daß diese nahezu
ausschließlich auf die Stellungnahme von Monsignore Wilschowitz vom 9. April
1981 (10.) gestützt sind, obwohl die Beteiligten mit der Ladung zu dem Termin
vom 20. August 1986 auf mehr als 70 Dokumente über die Lage der Christen in
der Türkei hingewiesen worden waren, daß die Äußerungen von Monsignore
Wilschowitz in dem angegriffenen Urteil nur teilweise zitiert sind, ohne daß Gründe
für die Auswahl der entsprechenden Passagen genannt sind, und daß die
Bekundungen von Monsignore Wilschowitz den vom Verwaltungsgericht hieraus
gezogenen Schlußfolgerungen widersprechen. Monsignore Wilschowitz hat in dem
Anschreiben vom 9. April 1981 nämlich zusammenfassend u.a. ausgeführt: "Von
einer generellen Christenverfolgung in der Türkei zu sprechen, ohne differenziert
auf die allgemeine Benachteiligung aller Minderheiten in der Türkei und
insbesondere im Osten dieses Landes hinzuweisen, ist unseriös."
In der Stellungnahme selbst heißt es u.a.: "Als Minderheiten in der Osttürkei
werden die Christen benachteiligt, sie werden bedrängt, und je schwächer sie
werden um so mehr. Die christlichen Dörfer werden immer kleiner, die Kirchen
immer leerer. Übergriffe und Diskriminierungen sind an der Tagesordnung. Dazu
kommt, daß eine allgemeine religiöse Besinnung und islamische Neuorientierung
(als Reaktion auf die atatürkischen Reformen!) schon seit Jahren im Osten zu
verzeichnen ist. Aber jetzt von den Betroffenen und von den sie vertretenden
deutschen Anwälten, die in Normalzeiten sich selten mit dem europäischen
Christentum, geschweige denn mit dem Christentum östlicher Prägung befaßt
hätten, Druck auf die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik auszuüben mit
dem schrecklichen Wort 'Christenverfolgung!', halte ich für schlechthin unredlich."
3. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß die Kläger zu 1) bis 4) persönlich
bereits vor ihrer Ausreise aus der Türkei in Ayinvert von asylerheblichen
Übergriffen muslimischer Mitbürger betroffen waren und dagegen staatlichen
Schutz nicht in Anspruch nehmen konnten. Ebensowenig kann angenommen
werden, daß die Kläger zu 1) bis 4) damals schon in ihrer persönlichen Freiheit, in
ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt oder
bereits so konkret bedroht waren, daß ein asylrelevanter Eingriff unmittelbar
bevorstand, und sie deswegen als vorverfolgt anzusehen sind. Die Angaben der
Klägerin zu 1) zu ihrem Lebensschicksal und des der Kläger zu 2) bis 4) und zu den
Gründen und Umständen ihrer Ausreise aus der Türkei sind allerdings im
wesentlichen glaubhaft. Wenn die Klägerin zu 1) bei ihrer Anhörung zunächst
vorgetragen hat, sie habe vor ihrer Ausreise in Istanbul gelebt, so hat sie dieses
bei ihrer Vernehmung durch die Berichterstatterin richtiggestellt und ausgeführt,
daß es damals Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben
habe und sie sehr aufgeregt gewesen sei.
Danach steht fest, daß die Klägerin zu 1) in Midyat geboren und in Ayinvert
aufgewachsen ist und dort bis zu ihrer Ausreise gelebt hat. Hinsichtlich des 11 km
nordöstlich von Midyat gelegenen Ortes Ayinvert -- wo von den Bauern
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nordöstlich von Midyat gelegenen Ortes Ayinvert -- wo von den Bauern
überwiegend Viehwirtschaft betrieben wurde -- nimmt der Senat an, daß es sich
hierbei ursprünglich um einen rein christlichen Ort mit 726 (Stand: 1975)
christlichen Einwohnern gehandelt hat (38., S. 72). 1980 sollen dort noch 90
christliche Familien gelebt haben (70., S. 65) und heute nach den Erkenntnissen
des Senats in anderen Verfahren (z. B. Hess. VGH, 27.02.1989 -- 12 UE 839/85 --
und 20.11.1989 -- 12 UE 2536/85 --) noch etwa 20 Familien leben. Diese Angaben
stehen auch in etwa in Übereinstimmung mit den Aussagen des von der
Berichterstatterin informatorisch gehörten Ehemanns der Klägerin zu 1), wonach
noch etwa 30 christliche Familien in Ayinvert leben. Die Angaben des Ehemanns
der Klägerin zu 1) erscheinen glaubhaft, da seine Eltern noch in Ayinvert leben und
er mit diesen in Kontakt steht. Der Senat konnte indessen nicht die Überzeugung
gewinnen, daß die Klägerin zu 1) bis 4) in Ayinvert politische Verfolgung erlitten
haben. Die von der Klägerin zu 1) angeführten Gründe, weshalb sie und die Kläger
zu 2) bis 4) Ayinvert verlassen haben, erscheinen aus der von ihr geschilderten
Situation naheliegend, rechtfertigen aber nicht die Annahme einer dortigen
Verfolgung in asylerheblicher Weise. Soweit die Klägerin zu 1) angegeben hat, sie
habe aus Angst vor Entführung das Haus nie allein verlassen, fehlen ausreichend
konkrete Anhaltspunkte dafür, daß für sie die Gefahr einer Entführung damals
tatsächlich unmittelbar bevorstand, zumal sie, als sie noch bei ihren Eltern lebte,
die Schule nicht besuchte und auch nach ihrer Heirat im Haus ihrer
Schwiegereltern immer den Schutz eines Familienverbandes genoß. Soweit die
Klägerin zu 1) anführt, daß das Haus ihrer Eltern und später das ihrer
Schwiegereltern des öfteren nachts überfallen und letzteren das Vieh umgebracht
worden sei, ist damit eine erlittene und unmittelbar drohende Verfolgung nicht
schlüssig dargetan, weil es an hinreichend substantiierten Angaben hinsichtlich
Ort, Zeit und Intensität der fraglichen Übergriffe und hinsichtlich einer versuchten
staatlichen Inanspruchnahme fehlt. Was schließlich den Umstand anbelangt, daß
ihr Ehemann nach einer Streiterei mit Muslimen wegen seines Glaubens und auch
wegen Diebstählen fliehen mußte und aufgrund dessen ausreiste -- was auch zu
seiner Anerkennung als Asylberechtigter führte --, kann sie daraus keinen eigenen
Asylanspruch herleiten. Denn es ist nicht ersichtlich, daß in den sieben Monaten,
die sie nach der Ausreise ihres Ehemannes noch in Ayinvert verbrachte, etwa
aufgrund des Streites ihres Ehemanns, der in Ayinvert als Religionslehrer tätig
gewesen war, ihr konkrete Gefahren drohten oder unmittelbar bevorstanden. Ihren
Angaben zufolge erkundigten sich zwar Muslimen nach ihrem Ehemann, jedoch
wurde bei ihrer Befragung nicht deutlich, ob sie selbst nach ihrem Ehemann
gefragt oder ob ihr gedroht wurde oder sie dieses nur von Dritten erfahren hatte.
Daß Muslime an die Klägerin zu 1) selbst herangetreten sind, um sich nach dem
Verbleib ihres Mannes zu erkundigen, erscheint fraglich, da nach der Ausreise
ihres Ehemannes weder sie noch ihre Kinder, die Kläger zu 2) bis 4), das Haus
verlassen hatten.
Hinsichtlich der Kläger zu 2) bis 4) ist ebenfalls nicht davon auszugehen, daß sie in
asylrechtlich erheblicher Weise vorverfolgt waren. Eine Vorverfolgung der Kläger zu
2) bis 4) wurde im übrigen von der Klägerin zu 1) nicht behauptet. Die Kläger zu 2)
bis 4), die bereits im Alter von 4, 3 und 3/4 Jahren ausreisten, konnten nach den
Bekundungen der Klägerin zu 1) bei ihrer Anhörung durch die Berichterstatterin
unbehelligt in Ayinvert leben. Soweit der Ehemann der Klägerin zu 1) bei seiner
informatorischen Anhörung vorgetragen hat, die Kläger zu 2) bis 4) hätten nach
seiner Ausreise nicht mehr das Haus verlassen dürfen, weil er befürchtete, sie, die
Klägerin zu 2) bis 4), würden, da man seiner nicht habhaft wurde, umgebracht
werden, fehlt es hierzu an konkreten Anhaltspunkten, so daß eine unmittelbar
drohende politische Verfolgung nicht schlüssig dargetan ist.
4. Sind demnach die Kläger zu 1) bis 4) unverfolgt ausgereist und legt man
demzufolge den "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an (vgl. BVerwG,
31.03.1981 -- 9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 181, 1096, 25.09.1984 -- 9 C
17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12, u. 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR
202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760), so kann auch nicht festgestellt werden, daß den
Klägern zu 1) bis 4) und dem erst im Bundesgebiet geborenen Kläger zu 5) bei
einer Rückkehr in die Türkei im jetzigen Zeitpunkt als Angehörigen einer kollektiv
verfolgten Gruppe politische Verfolgungsmaßnahmen drohen. Zwar hat sich die
Rechts- und Tatsachenlage seit der Ausreise der Kläger zu 1) bis 4) im Dezember
1979 in mehrfacher Hinsicht verändert; hieraus kann aber auf eine gegenwärtige
Gruppenverfolgung der syrisch-orthodoxen Christen nicht geschlossen werden.
Was die Gestaltung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen angeht, so
sehen die Vorschriften des Art. 24 der 1982 in Kraft getretenen neuen türkischen
55
sehen die Vorschriften des Art. 24 der 1982 in Kraft getretenen neuen türkischen
Verfassung vor, daß niemand gezwungen werden darf, an Gottesdiensten,
religiösen Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine religiöse Anschauung
und seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3) und daß die Religions-
und Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und Kontrolle des Staates
durchgeführt werden und religiöse Kultur und Sittenlehre in den Grund- und
Mittelschulen zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der Grundlage der
letztgenannten Verfassungsbestimmung ist in den Jahren 1982 bis 1985 der
bisherige Moralkundeunterricht mit dem Religionsunterricht zusammengelegt und
als Pflichtfach eingeführt worden (46., S. 5; 55.; 57., S. 9 ff.; 58., S. 5; 63., S. 20;
64, S. 5; 69.). Mit Beschluß vom 3. Oktober 1986, Nr. 28, des Erziehungs- und
Ausbildungsausschusses, der im Mitteilungsblatt des Ministeriums für nationale
Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986, Nr. 2219, veröffentlich wurde
(Anlage zu 50.; 57., S. 21 ff.), wurden "allgemeine Prinzipien der Religionslehre und
des Ethikunterrichts" festgelegt und ein Ausbildungsprogramm für diese Fächer
verabschiedet. Danach ist der Grundsatz des Laizismus immer zu beachten und
zu schützen und darf niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden;
außerdem ist bestimmt, daß, wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird",
unter den Religionen nicht unterschieden wird, um den Kindern später die
Anpassung an die Gesellschaft zu erleichtern. Insgesamt kommt in dem
Ausbildungsprogramm zwar deutlich zum Ausdruck, daß der Islam die Religion der
Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein soll (57., S. 28 ff.). Die nach
dem Verfassungsgrundsatz des Laizismus gebotene Distanz des türkischen
Staats gegenüber der islamischen Religion äußert sich aber darin, daß türkische
Schüler christlichen Glaubens das islamische Glaubensbekenntnis, die islamische
Einleitungsformel, die Glaubensformel Amentü, die Koranverse und das islamische
Ritualgebet Namaz nicht zu lernen und keine Kenntnisse über Namaz, Ramadan,
die Regeln über die islamischen Jahresspenden und das Pilgern nach Mekka zu
erwerben brauchen (vgl. Nr. 4 der Anlage zu 50. u. Nr. 4 in 57., S. 23). Durch
ergänzenden Beschluß vom 29. Januar 1987, Nr. 23, veröffentlich im
Mitteilungsblatt vom 9. Februar 1987, Nr. 2227, wurde zudem klargestellt, daß
christliche Schüler während der Behandlung der betreffenden Lehrinhalte nicht in
der Klasse anwesend sein müssen (57., S. 31 ff.). Nach alledem bieten die
gesetzlichen und die verwaltungsinternen Vorschriften, die auch Gegenstand eines
beim Höchsten Gerichtshof anhängigen Prozesses sind (63., S. 24 ff.), keine
Veranlassung für die Annahme, der türkische Staat greife zum jetzigen Zeitpunkt
unmittelbar in die Freiheit der religiösen Betätigung der Syrisch-Orthodoxen in
einer Weise ein, die die Menschenwürde oder das religiöse Existenzminimum
antastet. Davon abgesehen verfolgte die Einführung des staatlichen
Pflichtunterrichts in Ethik und Religion das Ziel einer Eindämmung der privaten
Koranschulen (20.; 57., S. 1) und läßt deshalb für sich keinen Rückschluß auf eine
damals und noch jetzt vorhandene Neigung staatlicher Stellen zur gezielten
Beeinträchtigung nichtmuslimischer Religionen zu. Auch eine mittelbare staatliche
Gruppenverfolgung läßt sich im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht nicht
feststellen. Zwar mag in einigen Fällen von den Lehrkräften gegen die oben
behandelten Vorschriften verstoßen werden und es zu Diskriminierungen von
christlichen Schülern kommen mit der Folge, daß diese lieber an den islamischen
Gebeten teilnehmen (vgl. 34.; 45., S. 3; 50.; 57., S. 26 ff., 35 ff. u. 47 ff; 58., S. 5;
63. S. 20 f.; 64., S. 5 ff.; 69.; 75.; 76., S. 5). Abgesehen von der insoweit meist
fehlenden Intensität der einzelnen Maßnahmen sind die gelegentlichen Übergriffe
von Lehrkräften dem türkischen Staat asylrechtlich nicht zuzurechnen, weil auch
gegenwärtig Anhaltspunkte dafür, daß die Verantwortlichen an höherer Stelle
derartige dienstliche Verfehlungen fördern oder zumindest dulden, nicht
festgestellt werden können (vgl. 58., S. 5).
Die Behandlung christlicher Wehrpflichtiger in der türkischen Armee hat sich nach
den Erkenntnissen des Senats seit der Machtübernahme durch das Militär im
September 1980 merklich verschlimmert. Die vorliegenden Auskünfte und
Stellungnahmen gehen nach wie vor überwiegend dahin, daß Drangsalierungen
durch Verbalinjurien und Schläge weiterhin vorkämen, daß aber Fälle von
Zwangsbeschneidungen und -bekehrungen nicht oder nur selten bekannt
geworden seien (53.; 56.; 61., S. 6; 63., S. 15; 64., S. 9; 66., S. 2 f.; 74., S. 4 f.; 77.,
S. 4). Demgegenüber hat ein Zeuge in einem Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nähere Angaben über einzelne Fälle von
Zwangsbeschneidungen gemacht (47.). Dieser ist 16 Monate lang bis Juli 1985
Militärarzt in Agri in der Osttürkei gewesen und hat während seiner Dienstzeit etwa
90 christliche Rekruten kennengelernt. Seinen Angaben zufolge kann er zwar nicht
als Augenzeuge bestätigen, daß jemand beim Militär einer mit körperlicher Gewalt
durchgeführten Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist. Er hat allerdings
durchgeführten Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist. Er hat allerdings
glaubhaft bezeugt, daß man auf andere Weise Personen dazu gezwungen hat, sich
beschneiden zu lassen. Er selbst habe die Beschneidung einiger Soldaten, die zu
ihm zur Zwangsbeschneidung geschickt worden seien, zwar abgelehnt. Er habe
aber mit eigenen Augen gesehen, daß man im Militärkrankenhaus von Agri einen
christlichen Soldaten beschnitten habe, der bei einem späteren Gespräch
offenbart habe, daß er nur unter Zwang die Beschneidung habe vornehmen
lassen; der Soldat sei nämlich nach seiner anfänglichen Weigerung "vom
Schreibdienst zum Toilettenplatz degradiert" und dann auch noch wiederholt
geschlagen worden. Der Zeuge gab ferner an, er wisse, daß 30 bis 40 Soldaten der
Beschneidung im Krankenhaus unterzogen worden seien; er habe diese Soldaten
aus den üblichen Generaluntersuchungen, die alle drei Monate stattfänden,
gekannt, und alle hätten ihm unter vier Augen bedeutet, sie seien auf keinen Fall
zur Beschneidung bereit gewesen. Die in einem Verfahren des Senats (12 UE
2997/86 -- Dok. 78) am 22. März 1990 vernommenen sechs Zeugen haben
ähnliches bekundet. Sie haben in dem Zeitraum zwischen Juli 1980 und Dezember
1986 jeweils unabhängig voneinander ihren Militärdienst abgeleistet und sind
allesamt Christen entweder -- in einem Fall -- armenisch-katholischer oder
arabisch- bzw. rum-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Ihre mindestens drei
Monate lange Grundausbildung absolvierten drei von ihnen in Sivas und die
übrigen in Amazya, und ihren anschließenden Dienst versahen sie in Samsun,
Konya, Istanbul, Van, Agri und Sarikamis. Alle sechs Zeugen haben glaubhaft
bekundet, daß sie während ihrer Militärzeit beschnitten worden sind, und zwar mit
einer Ausnahme im Verlaufe der Grundausbildung. Der Zeuge, der sich der
Beschneidung in der Grundausbildung noch entziehen konnte, hat dies
nachvollziehbar auf ein gewisses Wohlwollen seines Vorgesetzten zurückgeführt,
das er durch die Reparatur von dessen Fernsehapparat erlangt gehabt habe;
dieser Zeuge wurde dann an seinem neuen Standort Sarikamis beschnitten (78.,
S. 13). Die Zeugen sind ihren in sich stimmigen und von den übrigen
Verfahrensbeteiligten nicht in Zweifel gezogenen Angaben zufolge jeweils im
örtlichen Militärkrankenhaus beschnitten worden. Einem wurde vorgetäuscht, daß
er lediglich untersucht werde; er wurde sodann in Vollnarkose versetzt und
beschnitten (78., S. 3). Den anderen war klar oder wurde spätestens von den
Militärärzten eröffnet, daß sie beschnitten werden sollten. Hiervon ließen sich die
Ärzte auch nicht abbringen, obwohl drei der Zeugen ihnen gegenüber äußerten,
daß sie eine Beschneidung ablehnten; die Ärzte verwiesen entweder auf einen
ihnen erteilten Befehl oder auf die Regeln des Islam (78., S. 5, 7, 9). Einer der
Zeugen gab an, er habe sich angesichts eines vorausgegangenen Befehls des
obersten Vorgesetzten am Standort und anwesender Wachen nicht getraut, dem
Arzt gegenüber eine Beschneidung zu verweigern (78., S. 14). Und nur ein einziger
der sechs Zeugen hat ausgesagt, daß er sich nicht auf Befehl, sondern auf den
Rat des Arztes hin habe beschneiden lassen, weil er keinen anderen Ausweg
gesehen habe, wenn er nicht jeden Tag Prügel habe beziehen wollen (78., S. 11).
Des weiteren haben fünf der Zeugen nicht nur von ihrer eigenen Beschneidung,
sondern darüber hinaus davon berichtet, daß die übrigen ihnen bekannten
christlichen Rekruten, die zum selben Zeitpunkt einberufen worden waren oder in
derselben Einheit Wehrdienst leisteten, nahezu ausnahmslos während der
Grundausbildung gegen ihren Willen beschnitten worden seien; insoweit wurden für
Sivas von einem Zeugen für seine Dienstzeit zehn armenische Christen (78., S. 3)
und von einem anderen für seine Dienstzeit insgesamt ca. 30 Christen (78., S. 9)
und für Amazya von drei Zeugen jeweils für die eigene Dienstzeit ca. 35 bzw. 45
bzw. 30 christliche Rekruten genannt (78., S. 4 f., S. 8 u. S. 12 f.). Einer der
Zeugen hat ferner bekundet, daß er sich nicht nur bei seinem Kompaniechef,
sondern -- zusammen mit anderen zwangsbeschnittenen Christen -- sogar bei
dem ranghöchsten Offizier in Sivas über den Eingriff erfolglos beschwert habe (78.,
S. 3); ein anderer Zeuge hat angegeben, daß er sich bei seinem direkten
Vorgesetzten ohne Erfolg zum Zwecke einer Beschwerde bei dem nächsthöheren
Vorgesetzten angemeldet habe (78., S. 5), und ein dritter, daß er wegen
Beleidigung seines direkten Vorgesetzten Disziplinararrest erhalten habe, als er
sich über diesen beim nächsthöheren Vorgesetzten beschwert habe (78., S. 11).
Wenn nach alledem nunmehr davon auszugehen ist, daß es nicht nur in Agri,
sondern auch in Sivas, Amazya und Sarikamis zu Zwangsbeschneidungen von
christlichen Wehrpflichtigen gekommen ist, und zwar nicht lediglich von einzelnen
Personen, sondern seit dem Militärputsch offenbar von nahezu allen zu einem
bestimmten Dienstantrittstermin einberufenen Rekruten, so vermag der Senat
jedenfalls in bezug auf diese Standorte und auch für die Zukunft eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit dafür nicht (mehr) zu verneinen, daß -- soweit eine
Beschneidung nicht sogar ausdrücklich befohlen wird -- christliche Wehrpflichtige
von Kameraden und insbesondere auch von Vorgesetzten mindestens derart
von Kameraden und insbesondere auch von Vorgesetzten mindestens derart
unter Druck gesetzt werden, daß sie einer Beschneidung regelmäßig nicht
ausweichen können. Mit physischer oder psychischer Gewalt durchgeführte
Beschneidungen liegen als Eingriffe in die körperliche Integrität, die regelmäßig mit
einem stationären Aufenthalt im Militärkrankenhaus verbunden sind, und als
Maßnahmen, die die Opfer unter Mißachtung ihres religiösen und personalen
Selbstbestimmungsrechts zum bloßen Objekt erniedrigen und deshalb das
religiöse Existenzminimum berühren, über der Schwelle dessen, was -- auch mit
Blick auf die allgemein rauhen Umgangsformen innerhalb der türkischen Armee
(39., S. 5; 41., S. 5 f.; 77., S. 2 u. 5) -- noch als hinnehmbar angesehen werden
kann (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, 15.02.1990 -- 14 A 10082/87 --).
Derartige Beschneidungen knüpfen überdies erkennbar an die
Religionszugehörigkeit der Betroffenen an. Denn sie stellen nach ihrem inhaltlichen
Charakter objektiv und nicht nur aus der Sicht derjenigen, die sie anordnen oder
veranlassen, und derjenigen, die sie durchführen, einen ersten und
unabänderlichen äußeren Schritt zur zwangsweisen Bekehrung der Opfer zum
Islam dar; den Betroffenen wird damit nämlich die symbolhafte Aufnahme in die
islamische Gemeinschaft aufgenötigt, mag deren innere religiöse Einstellung allein
dadurch auch noch unberührt bleiben können (vgl. 39., S. 5). Der Senat ist darüber
hinaus aufgrund der ihm nunmehr vorliegenden Erkenntnisse (78., 79. u. 81.) auch
zu der Überzeugung gelangt, daß die betreffenden Verfolgungsmaßnahmen dem
türkischen Staat zuzurechnen sind (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, 15.02.1990
-- 14 A 10082/87 --). Eine zurechenbare Verfolgung liegt nämlich schon dann vor,
wenn der Staat in der Armee auftretenden asylrelevanten Übergriffen auf
Wehrpflichtige nicht entgegenwirkt, indem er beispielsweise präventive
Vorkehrungen trifft, um Übergriffe zu verhindern, und indem er, wenn solche
Übergriffe gleichwohl vorkommen, den Opfern Schutz gewährt und gegen
pflichtwidrig Handelnde Sanktionen verhängt (BVerwG, 22.04.1986 -- 9 C 318.85
u.a. --, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8). Die Vielzahl der jetzt bekannt
gewordenen Fälle von Zwangsbeschneidungen christlicher Wehrpflichtiger während
ihres Militärdienstes kann der militärischen Führung nicht verborgen geblieben
sein. Gleichwohl hat sie keinerlei Vorkehrungen dafür getroffen, daß derartige
Übergriffe in Zukunft unterbleiben, sondern sie bietet hierzu offenbar weiterhin
Gelegenheit in mehreren Militärkrankenhäusern, in denen Beschneidungen ohne
weiteres und gegen den Willen der Betroffenen vorgenommen werden.
Ebensowenig kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vom 22. März 1990
und den sonst vorliegenden Erkenntnisquellen noch festgestellt werden, daß den
Betroffenen wenigstens im nachhinein Schutz gewährt wird und daß diejenigen, die
Beschneidungen anordnen, veranlassen oder durchführen, prinzipiell zur
Rechenschaft gezogen werden. Schon bisher ist der Senat davon ausgegangen,
daß die Beschwerden von Soldaten in den unteren Rängen häufig nicht akzeptiert
werden und die Folgen einer Beschwerdeeinlegung für sie eher negativ seien, so
daß sie aus Angst oder wegen des sozialen Drucks in ihrer Einheit in der Praxis von
der Beschreitung des Beschwerdewegs meist absehen (41., S. 6; 56.; 57.; 61.; 77.,
S. 4). Diese Einschätzung haben einige der Zeugen bestätigt und dabei
insbesondere auch darauf hingewiesen, daß sie keine Chance für eine erfolgreiche
Beschwerde an höherer Stelle gesehen hätten, weil jeweils der Beschwerdeweg
über den direkten Vorgesetzten einzuhalten sei (78., S. 5, 7, 10), und daß wegen
der Kontrolle der Post auch die Einschaltung politischer Stellen nicht angezeigt
gewesen sei (78., S. 3). Darüber hinaus hat einer der Zeugen glaubhaft bekundet,
daß selbst der ranghöchste Vorgesetzte am Standort Sivas auf seine Beschwerde
hin nicht tätig geworden sei (78., S. 3); andere haben angegeben, daß ihre
Beschneidung nicht irgendein militärischer Unterführer, sondern der jeweilige
Kapitän (Hauptmann) ihrer Einheit selbst befohlen habe (78., S. 7, 13 f.). Wenn
schließlich der ranghöchste Vorgesetzte in Sivas auf eine Beschwerde hin
geäußert hat, es sei beschlossene Sache, in der Türkei einen islamischen
Einheitsstaat zu schaffen (78. S. 3), so bestätigt dies hinreichend deutlich, daß die
Militärführung offenbar dem Laizismus nicht mehr hinreichend Geltung verschafft
und vor dem Hintergrund der in der Türkei spürbaren Rückbesinnung auf
islamische Werte Übergriffe gegenüber christlichen Wehrpflichtigen nicht mehr
energisch genug unterbindet (56.; 61.; 74., S. 4; 77., S. 5). Nimmt man noch
hinzu, daß der Generalstab im Ramadan 1984 kollektiv gefastet hat und daß in
letzter Zeit Offiziere zum gemeinsamen Freitagsgebet aufgefordert haben (77., S.
5), ferner daß der Staatsminister für das Amt für religiöse Angelegenheiten am 10.
November 1989 geäußert haben soll, es sei jetzt notwendig, die Christen zu
islamisieren (76., S. 18; vgl. dazu auch 61., S. 6), so liegen nunmehr die -- vom
Senat bisher vermißten (vgl. zuletzt vor allem Hess. VGH, 27.02.1989 -- 12 UE
839/85 --, 20.11.1989 -- 12 UE 2336/85 -- u. 04.12.1989 -- 12 UE 2652/85 u. 12 UE
63/86 --) -- verwertbaren Tatsachen vor, die auf eine Förderung oder zumindest
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63/86 --) -- verwertbaren Tatsachen vor, die auf eine Förderung oder zumindest
Duldung von Zwangsbeschneidungen gegenüber christlichen Wehrpflichtigen
hindeuten. Denn einmal sind jetzt konkrete Fälle bekannt, in denen Beschwerden
eingereicht und bei höherer Stelle erfolglos geblieben sind, und zum anderen
finden sich Äußerungen verantwortlicher Personen in der Öffentlichkeit oder
gegenüber Betroffenen, die -- im Einklang mit entsprechenden Beschlüssen des
"Islamischen Rates" aus dem Jahr 1984 (vgl. 65.) -- den generellen Schluß auf eine
staatliche Politik zulassen, die den Umstand mindestens mit Wohlwollen sieht --
wenn nicht sogar gezielt herbeiführt --, daß sich Christen durch Drangsalierungen
auf verschiedensten Ebenen -- nicht nur beim Militär -- zur Ausreise veranlaßt
sehen (56.; 77., S. 4; vgl. auch 43., S. 7, u. 45., S. 4). Bei alledem bedarf es --
zumal keiner der Beteiligten das vorliegende Tatsachenmaterial angezweifelt oder
die Einholung weiterer Auskünfte oder gutachtlicher Stellungnahmen substantiiert
beantragt hat -- derzeit keiner diesbezüglichen weiteren Ermittlungen; denn
bereits auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen steht
fest, daß gegenwärtig nicht (mehr) davon die Rede sein kann, daß der türkische
Staat im großen und ganzen erfolgreich das pflichtwidrige Handeln von
Militärangehörigen bekämpft und daß deshalb -- trotz Mißlingens einer lückenlosen
Verhinderung und Ahndung aller in seinem Machtbereich auftretenden Vorfälle --
seine asylrechtliche Verantwortlichkeit entfällt. Indessen reichen die vorliegenden
Feststellungen nicht für die Annahme aus, daß christliche Wehrpflichtige allgemein
mit einer Zwangsbeschneidung im Militär in dem Sinne zu rechnen haben, daß
daraus auf eine politische Kollektivverfolgung aller Christen oder zumindest des
abgrenzten Kreises aller wehrpflichtigen Gruppenangehörigen geschlossen werden
könnte. Denn die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte
voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen aufweist, daß dabei nicht mehr nur von -- möglicherweise
zahlreichen -- individuellen Übergriffen gesprochen werden kann, sondern von
einer ohne weiteres bestehenden aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes
Gruppenmitglieds (BVerwG, 08.02.1989 -- 9 C 33.87 --, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-
RR 1989, 502). Dafür genügen die bisher lediglich für vier Standorte festgestellten
Zwangsbeschneidungen von christlichen Wehrpflichtigen für sich allein noch nicht,
zumal aus einer politischen Verfolgung der wehrpflichtigen Gruppenangehörigen
nicht ohne weiteres eine Kollektivverfolgung der Syrisch-Orthodoxen insgesamt
entnommen werden könnte (BVerwG, 24.08.1989 -- 9 B 301.89 --, NVwZ 1990, 80
-- InfAuslR 1989, 348).
Den Klägern droht im Rückkehrfalle auch keine mittelbare staatliche
Gruppenverfolgung im Hinblick auf mögliche Übergriffe muslimischer Eiferer
außerhalb des Militärdienstes. Wie oben (unter II. 2. b) ausgeführt, hatten die
syrisch-orthodoxen Christen bis zur Ausreise der Kläger zu 1) bis 4) aus der Türkei
allgemein und insbesondere in Istanbul eine derartige politische Verfolgung nicht
zu befürchten. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage nach der Machtübernahme
durch die Militärs im September 1980 allgemein erheblich verbessert, und dies hat
sich nach allgemeiner Einschätzung auch zugunsten der syrisch-orthodoxen
Christen in Istanbul wie in anderen Landesteilen ausgewirkt (vgl. dazu etwa: 18., S.
34; 21.; 26.; 27.; 28.; 33.; 35.; 37.). Das Auswärtige Amt hat dazu nach
eingehenden Gesprächen mit syrisch-orthodoxen Geistlichen unter Bezugnahme
auf einen deutschsprachigen Bericht in dem Organ der Erzdiözese der
syrischorthodoxen Kirche von Antiochien in Europa vom Dezember 1982/ Januar
1983 einen zunehmenden staatlichen Schutz für die syrisch-orthodoxen Christen
nach der Machtübernahme durch die Militärs festgestellt (33.). Die Evangelische
Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei berichtet davon, daß von der
Geistlichkeit und von einzelnen Gemeindemitgliedern immer wieder festgestellt
werde, daß sich die Verhältnisse nach dem 12. September 1980 gebessert hätten
(26.). Die Sürjanni Kadim berichtet, ihre Mitglieder befänden sich wie jeder andere
türkische Bürger nach dem 12. September 1980 "in Ruhe und in Sicherheit" (27.).
Nach Auskunft der Sachverständigen Dr. Harb-Anschütz hat sich nach dem 12.
September 1980 auch in Istanbul der Lage der syrisch-orthodoxen Christen
wesentlich verbessert (28.). Zu demselben Ergebnis gelangten die Teilnehmer
einer von der Evangelischen Akademie Bad Boll im Mai 1983 veranstalteten
Studienfahrt in die Türkei (30., S. 7 u. 18). Soweit eine Verbesserung der
Sicherheitslage mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Situation der
Syrisch-Orthodoxen in Istanbul bezweifelt wird (32,. S. 17 ff.), S. 17 ff.), ff.), fehlt es
an konkreten Hinweisen darauf, daß sich tatsächlich entgegen der allgemeinen
Lebenserfahrung die in der Türkei in den letzten Jahren zu beobachtende
Verbesserung der Sicherheitslage nicht auch zugunsten der christlichen
Bevölkerung ausgewirkt haben könnte. Auch bei Berücksichtigung neuerer
Erkenntnisquellen hält der Senat an dieser Einschätzung fest. Insbesondere läßt
57
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Erkenntnisquellen hält der Senat an dieser Einschätzung fest. Insbesondere läßt
die insgesamt vorsichtig gehaltene und nach Straftaten differenzierende
Stellungnahme des Sachverständigen Oehring an das Verwaltungsgericht Kassel
vom 11. Juli 1988 (59.) nicht die Annahme zu, daß türkische Staatsbürger
christlichen Glaubens generell gegenüber Straftaten muslimischer Staatsbürger
strafrechtlichen Schutz nicht erhielten; entsprechend ist das Gutachten der
Gesellschaft für bedrohte Völker vom Dezember 1988 (63., S. 13 f.) zu würdigen.
Denn nach einer aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amts (72.) sind keine Fälle
bekannt geworden, in denen christlichen Türken behördlicher Schutz durch
Abweisung ihrer Strafanzeigen versagt worden ist (im Ergebnis ebenso Bay. VGH,
29.11.1985 -- 11 B 85 C 35 --; VGH Baden-Württemberg, 20.06.1985 -- A 13 S
221/84 -- u. 09.02.1987 -- A 13 S 709/86 --; OVG Bremen, 14.04.1987 -- 2 BA
28/85 u. 32/85 --; OVG Hamburg, 10.06.1987 -- Bf V 21/86 --; OVG Nordrhein-
Westfalen, 19.02.1987 -- 18 A 10315/86 --; Hess. VGH, 30.08.1984 -- X OE 306/82 -
-, 22.02.1988 -- 12 UE 1071/84 --, NVwZ-RR 1988, 48, -- 12 UE 1587/84 u. 12 UE
2585/85 --, 16.05.1988 -- 12 UE 2571/88 --, 30.05.1988 -- 12 UE 2514/85 --,
13.06.1988 -- 12 OE 94/83 --, 27.06.1988 -- 12 UE 2438/85 --, 04.07.1988 -- 12 UE
2573/85 u. 12 UE 25/86 --, 17.10.1988 -- 12 UE 2601/84, 12 UE 767/86, 12 UE
2497/85 u. 12 UE 2813/86 --, 05.12.1988 -- 12 UE 2487/85 u. 12 UE 2569/85 --,
06.02.1989 -- 12 UE 2580/85 u. 12 UE 2584/85 --, 27.02.1989 -- 12 UE 838/85 u.
12 UE 839/85 --, 20.03.1989 -- 12 UE 1705/85, 12 UE 2192/86 u. 12 UE 3003/86 --,
InfAuslR 1989, 253, 29.05.1989 -- 12 UE 2586/85 u. 12 UE 2643/85 --, 20.11.1989 -
- 12 UE 2336/85, 12 UE 2437/85 u. 12 UE 2536/85 -- sowie 04.12.1989 -- 12 UE
2652/85 u. 12 UE 63/86 -- sowie 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 u. 12 UE 2970/86 --).
5. Für die Klägerin zu 1) kann nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt
werden, daß ihr bei einer Rückkehr in ihre Heimat im derzeitigen Zeitpunkt
politische, nämlich an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfende Einzelverfolgung
droht.
Für die hinsichtlich des Rückkehrfalles anzustellende Prognose ist davon
auszugehen, daß die Klägerin zu 1) allein in die Türkei zurückkehren wird. Zwar
lassen Familienmitglieder nach der Lebenserfahrung einander in Notsituationen
nicht mutwillig im Stich und geben einander nicht einem unsicheren Schicksal
preis, dessen erkennbar bedrohliche Folgen sie ohne eigene Gefährdung oder
übermäßige Anstrengung abwenden können, und deshalb spricht eine tatsächliche
Vermutung dafür, daß der Ehemann und Vater einer mit ihrem Asylbegehren
erfolglos gebliebenen Familie diese heimbegleitet, wenn sie ohne ihn einer
Existenzgefährdung ausgesetzt wäre (BVerwG, 06.03.1990 -- 9 C 14.89 u. 9 C
15.89 --). Die genannte Vermutung gilt aber nur für das Verhältnis von Eltern zu
ihren noch sorgebedürftigen Kindern und von Eheleuten untereinander und
überdies nur dann, wenn nicht ihr entgegenstehende Tatsachen festgestellt sind
wie etwa die Anerkennung des Familienvaters als politisch Verfolgter oder dessen
erklärte Absicht, auf keinen Fall in das Herkunftsland zurückzukehren (BVerwG,
06.03.1990 -- 9 C 14.89 u. 9 C 15.89 --). In bezug auf die Klägerin zu 1) greift die
vorgenannte Vermutung schon deshalb nicht ein, weil ihr Ehemann rechtskräftig
als Asylberechtigter anerkannt ist und außerdem bei seiner zeugenschaftlichen
Vernehmung am 23. April 1990 (Bl. 237 d.A.) eindeutig und glaubhaft erklärt hat,
daß eine Rückkehr für ihn keinesfalls in Betracht komme.
Die Verfolgungsprognose ist für das gesamte Territorium des Heimatstaats
anzustellen; eine Beschränkung auf etwa den Geburts- oder den letzten
Herkunftsort ist nicht statthaft. Wer nämlich von nur regionaler politischer
Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs.
2 Satz 2 GG, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird,
wenn er also in anderen Teilen seines Heimatstaats eine zumutbare Zuflucht nicht
finden kann (sog. inländische Fluchtalternative); dies setzt freilich voraus, daß der
Betroffene in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung
hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und
Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen
Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese
existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, 10.07.1989 -
- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr. 20, u. 10.11.1989 -- 2 BvR
403/84 u.a. --, EZAR 203 Nr. 5 = NVwZ 1990, 254). Ist jemand vor einer
regionalen, an seine Religionszugehörigkeit anknüpfenden politischen Verfolgung
geflohen, so ist er am Ort einer in Betracht kommenden Fluchtalternative auch
dann nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung, wenn der Staat ihn durch
eigene Maßnahmen daran hindert, das religiöse Existenzminimum zu wahren;
entsprechendes gilt, wenn die dort ansässige Bevölkerung die Wahrung des
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entsprechendes gilt, wenn die dort ansässige Bevölkerung die Wahrung des
religiösen Existenzminimums durch aktives, mit dem für alle geltenden Recht
unvereinbares Handeln unmöglich macht, ohne daß der Staat die nach seiner
Rechtsordnung hiergegen allgemein in Betracht kommenden Maßnahmen ergreift
(BVerfG, 10.11.1989 -- 2 BvR 403/84 u.a. --, a.a.O.).
Für die Klägerin zu 1) wird in erster Linie eine Rückkehrmöglichkeit nach Ayinvert,
wo sie aufgewachsen ist und wo sie bis zu ihrer Ausreise -- zuletzt bei
Familienangehörigen ihres Ehemannes -- gelebt hat, zu prüfen sein. Der Senat
vermag derzeit für den Ort Ayinvert, wo die Klägerin zu 1) aufgewachsen und bis
zur Ausreise gelebt hat, keine gerade ihr im Rückkehrfalle drohende Verfolgung
festzustellen. Die Klägerin zu 1) könnte zumindest in Ayinvert ohne unmittelbar
drohende Furcht vor politischer Verfolgung leben. Denn sie verfügt dort über
familiäre Bindungen und Anknüpfungspunkte, so daß sie gegen gewaltsame
Übergriffe sowie gegen Entführungen und damit verbundene Zwangsbekehrungen
wirksam geschützt ist. Denn die Möglichkeit eines verfolgungsfreien Lebens hängt
bei aus dem Ausland zurückkehrenden Christinnen jüngeren und mittleren Alters
entscheidend davon ab, daß sie über ein funktionierendes wirtschaftliches und
gesellschaftliches Netz verfügen, das ihnen Schutz gewähren kann (vgl. dazu
allgemein Hess. VGH, 26.03.1990 -- 12 UE 2702/86 -- und -- 12 UE 2970/86).
Angesichts der allgemein christlichen Frauen, die allein und ohne gesicherte
wirtschaftliche Lebensgrundlage in die Türkei zurückkehren, drohenden
Gefährdung ist festzustellen, daß der Klägerin zu 1) unter Berücksichtigung ihrer
persönlichen Verhältnisse, Kenntnisse und Beziehungen ein verfolgungsfreies
Leben in der Türkei möglich sein wird. Sie verfügt dort über verwandtschaftliche
Anknüpfungspunkte, weil ihre Schwiegereltern noch in Ayinvert leben. Da die
Klägerin zu 1) sowohl seit ihrer Heirat zusammen mit ihrem Ehemann als auch
allein bis zu ihrer Ausreise im Hause der Schwiegereltern lebte, kann davon
ausgegangen werden, daß sie auch bei einer Rückkehr Aufnahme und Schutz im
Hause ihrer Schwiegereltern finden wird. Selbst wenn die Klägerin zu 1) auf ihre
finanzielle Unterstützung zum Aufbau einer Existenz durch die Schwiegereltern
nicht rechnen könnte, was hier offenbleiben kann, da eine möglicherweise zu
erwartende existentielle Notlage nicht bei der Entscheidung über die vorliegende
Asylverpflichtungsklage, sondern nur bei der Frage, ob ihr ungeachtet der
Ablehnung des Asylantrages der weitere Aufenthalt zu gestatten ist, zu prüfen ist,
so wird sie voraussichtlich finanzielle Hilfe durch ihre im Ausland lebenden
Angehörigen und ihren Ehemann erhalten. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die
Klägerin zu 1) aufgrund der bestehenden familiären Bindungen mit Hilfe der
Schwiegereltern Kontakte zu anderen christlichen Familien knüpfen kann, die ihr
über den Schutz des Familienverbandes hinaus bei dem Aufbau einer Existenz
behilflich sein können. Des weiteren ist davon auszugehen, daß die Klägerin auch
aufgrund ihres Bildungsstandes -- sie hat immerhin fünf Jahre die Grundschule
besucht -- und ihres Alters in der Lage sein wird, im Rückkehrfall mit Rückhalt und
der Sicherheit eines bestehenden Familienverbandes und der Gemeinschaft der
übrigen christlichen Familien eine Existenzgrundlage zu finden.
6. Den Klägern zu 2) bis 5) droht bei einer Rückkehr in die Türkei nach
Überzeugung des Senats ebenfalls keine politische, an ihre Religionszugehörigkeit
anknüpfende asylrelevante Verfolgung.
Auch bei ihnen ist hinsichtlich der Verfolgungsprognose davon auszugehen, daß
sie -- und zwar jeder für sich -- allein in die Türkei zurückkehren werden. Die an sich
bestehende tatsächliche Vermutung, daß der Ehemann und Vater einer mit ihrem
Asylbegehren erfolglos gebliebenen Familie diese heimbegleitet, wenn sie ohne ihn
einer Existenzgefährdung ausgesetzt wäre (vgl. oben II. 5.), greift schon deshalb
nicht ein, weil der Vater der Kläger zu 2) bis 5) rechtskräftig als Asylberechtigter
anerkannt ist und ihre Mutter, die Klägerin zu 1), keine Ausreisepflicht trifft, weil die
Ausländerbehörde des Landkreises Darmstadt-Dieburg ihr allein eine
Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung mit Schriftsatz
vom 29.01.1990 in Aussicht gestellt hat. Darüber hinaus haben die Klägerin zu 1)
und der Vater der Kläger zu 2) bis 5) bei ihrer diesbezüglichen Vernehmung am
23. April 1990 (Bl. 238 d.A.) eindeutig erklärt, daß eine Rückkehr für sie keinesfalls
in Betracht komme, und deshalb kann auch nicht angenommen werden, daß die
Kläger zu 2) bis 5) wenigstens zusammen mit ihrer Mutter als "Rumpffamilie" in die
Türkei zurückkehren werden (vgl. hierzu BVerwG, 06.03.1990 -- 9 C 14.89 u. 9 C
15.89 --).
Für die hier zu treffende Verfolgungsprognose ist das Alter der Kläger zu 2) bis 5)
insofern von Bedeutung, als die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung für einen
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insofern von Bedeutung, als die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung für einen
absehbaren Zeitraum nach dem jetzigen Zeitpunkt beurteilt werden muß. Insofern
kann davon ausgegangen werden, daß der 11 Jahre alte Kläger zu 4) und der 9
Jahre alte Kläger zu 5) auch in der Türkei noch schulpflichtig sind. Wie oben (unter
II. 2. a u. 4.) im einzelnen ausgeführt, kann indessen die Pflicht zur Teilnahme am
islamischen Religionsunterricht nicht als asylrelevante Verfolgung christlicher
Schüler angesehen werden. Schließlich droht den Klägern zu 2) bis 5), die derzeit
zwischen 14 und 9 Jahre alt sind, im Rückkehrfall auch keine asylrelevante
Verfolgung durch eine bevorstehende Aufnahme in ein staatliches türkisches
Waisenhaus und damit einhergehend die zwangsweise Aufgabe ihres christlichen
Glaubens (vgl. Hess. VGH, 23.08.1984 -- X OE 609/82 --, 30.05.1988 -- 12 UE
2514/85 --, 06.02.1989 -- 12 UE 2580/85 --, 20.03.1989 -- 12 UE 1705/85 --,
29.05.1989 -- 12 UE 2586/85 u. 12 UE 2643/85 --, 26.03.1990 -- 12 UE 2970/86 u.
12 UE 2702/86 --; OVG Nordrhein-Westfalen, 23.04.1985 -- 18 A 10237/84 --; a.A.
OVG Nordrhein-Westfalen, 07.12.1989 -- 14 A 10144/87 u. 14 A 10250/87 --).
Die Einweisung in ein türkisches staatliches Waisenhaus steht nur zu befürchten,
wenn ein syrisch-orthodoxes minderjähriges Kind allein in die Türkei zurückkehrt
und sich seine Eltern und Verwandten allesamt im Ausland befinden, da Versuche
der syrisch-orthodoxen Kirche, es in einer christlichen Familie oder in einem Kloster
unterzubringen, aufgrund der gegenüber nicht verwandten Personen nur sehr
eingeschränkten Aufnahmebereitschaft und aufgrund der -- infolge der
fortlaufenden Abwanderung -- stark begrenzten Kapazitäten regelmäßig erfolglos
bleiben (vgl. 51.; 52.; 54., S. 1 ff.; 60., S. 5; 64., S. 11; 66., S. 2; 70., S. 51 f., 57 u.
60; 76., S. 5). Demgegenüber verfügen die Kläger zu 2) bis 5) aber über
aufnahmebereite Verwandte in der Türkei. Im vorliegenden Fall ist davon
auszugehen, daß die Kläger zu 2) bis 5) von ihren Großeltern väterlicherseits als
nächste Verwandte aufgenommen werden und diese die Betreuung übernehmen.
Selbst wenn die Großeltern in absehbarer Zeit aufgrund ihres Alters dazu
körperlich und geistig nicht mehr in der Lage wären, kann davon ausgegangen
werden, daß sie dafür Sorge tragen, daß die Kläger zu 2) bis 5) von anderen
christlichen Familien im Ort betreut werden können. Ferner kann davon
ausgegangen werden, daß die Kläger zu 2) bis 5) die notwendige finanzielle
Unterstützung durch ihre im Bundesgebiet lebenden Eltern erfahren.
Die Rückkehrmöglichkeit der Klägerin zu 2) ist, da sie bereits 14 Jahre alt ist, ferner
unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob sie dort mit an ihre Religionszugehörigkeit
anknüpfende asylrelevanten Übergriffen muslimischer Türken zu rechnen hätte
und diesen Verfolgungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt wäre. Die Klägerin zu 2)
ist mit 14 Jahren bereits in einem Alter, in dem die Gefahr von Entführungen durch
muslimische Männer und damit verbunden die zwangsweise Aufgabe ihres
christlichen Glaubens bestehen (s.o. II. 5 S. 47). Für die Klägerin zu 2) kommt auch
unter diesem Aspekt in erster Linie eine Rückkehrmöglichkeit nach Ayinvert in
Betracht, wo sie geboren ist und bis zu ihrer Ausreise -- allerdings nur bis zum
Alter von 4 Jahren -- gelebt hat. Der Senat vermag derzeit nicht für den Ort
Ayinvert eine gerade der Klägerin zu 2) drohende Verfolgung festzustellen. Sie
könnte dort zumindest ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben, weil sie dort
über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfügt, so daß sie gewaltsame
Übergriffe sowie gegen Entführungen und damit verbundene Zwangsbekehrungen
geschützt wird. Wie bereits für die Klägerin zu 1) oben angeführt (II. 5. und 6.)
leben die Großeltern väterlicherseits in Ayinvert, wo die Klägerin zu 2) Aufnahme
finden und im Schutz eines Familienverbandes leben kann.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.