Urteil des HessVGH vom 19.06.1991

VGH Kassel: politische verfolgung, organisation, strafrechtliche verfolgung, verein, amnesty international, staatliche verfolgung, bedingte entlassung, ausreise, öffentliche ordnung, mitgliedschaft

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 OE 350/82
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 AsylVfG, § 1a AsylVfG, § 4
Abs 1 AsylVfG, § 7 Abs 1 S 2 AsylVfG, §
12 Abs 6 S 3 AsylVfG
(Asylrecht: zur Frage der politischen Verfolgung in der Türkei durch
Strafverfolgung nach dem Anti-Terror-Gesetz - politisch motivierte Gewalttaten)
Tatbestand
Der am 3. Februar 1956 in ..., Kreis ..., Provinz .../Türkei, geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-alevitischen Glaubens. Er ist ledig. Am 26. Januar 1980 reiste
er auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland mit einem gültigen türkischen Nationalpaß ein.
Mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 29. Januar 1980 beantragte er bei der
Ausländerbehörde des Landrates des Landkreises O, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen. Zur
Begründung führte er aus, als Angehöriger der kurdischen Minderheit werde er von den türkischen
Regierungen unterdrückt. Diese verhinderten eine kulturelle Eigenständigkeit der Kurden in der Türkei und
duldeten vor allem Verfolgungsmaßnahmen rechter Kreise und Übergriffe von Türken, die auch mehrere
Personen in seiner nächsten Umgebung umgebracht hätten. Er habe deshalb befürchtet, daß auch ihm bald
etwas zustoßen könne. Bei der Anhörung vor der Ausländerbehörde am 12. März 1980 verwies er auf den
Inhalt dieses Schriftsatzes.
Im Rahmen der Vorprüfungs-Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
am 7. August 1980 führte der Kläger ergänzend aus, er habe bis 1968 die Grundschule in seinem
Heimatdorf ... besucht und dann in der Landwirtschaft des Vaters, der etwa fünfzehn Dönum Land besessen
habe, mitgearbeitet. 1974 sei die Familie in das Dorf ... umgezogen. Er habe von 1976 bis 1978 Militärdienst
geleistet und danach bis zu seiner Ausreise im Januar 1980 wieder seinem Vater bei der Landwirtschaft
geholfen. Nach der Rückkehr vom Militär habe er sich der Vereinigung "Devrimci Halkin Birligi" (Einheit des
revolutionären Volkes) angeschlossen, deren Ziel der Widerstand gegen den Faschismus gewesen sei. Die
Vereinigung habe in seinem Dorf 55 Mitglieder gehabt; er habe als einfaches Mitglied an Veranstaltungen
teilgenommen. Im Dorf hätten nur revolutionär gesonnene alevitische Kurden gelebt, auf die von
faschistischen Bewohnern der umliegenden Dörfer Druck ausgeübt worden sei. Diese hätten mehrmals
versucht, nachts in das Dorf einzudringen, die Häuser anzuzünden und die Menschen dort umzubringen. Da
die Dorfbewohner aber Posten aufgestellt hätten, sei es nie zu einem Überfall gekommen. Auch die
Regierung habe die Dorfbewohner unter Druck gesetzt. So seien im April und Juli 1979 Gendarmen im Dorf
erschienen und hätten eine Razzia nach Waffen und verbotener Literatur durchgeführt. Dabei seien einige
Männer für einige Tage festgenommen worden. Ihm selbst sei aber nichts geschehen. Nachdem Ende 1979
sechs "Faschisten" ihn verprügelt hätten, als er allein mit dem Traktor auf dem Weg in sein Heimatdorf
gewesen sei, habe er den Entschluß gefaßt, die Türkei zu verlassen. Er habe gar nicht den Versuch
gemacht, Arbeit in einer anderen türkischen Stadt zu finden, da er als Kurde überall schlecht behandelt
worden wäre.
Mit Bescheid vom 27. August 1980 lehnte das Bundesamt den Antrag im wesentlichen mit der Begründung
ab, eine Verfolgung von Minderheiten finde in der Türkei nicht statt. Es sei nicht davon auszugehen, daß der
türkische Staat die von dem Kläger geschilderten Übergriffe wissentlich dulde oder generell nicht in der Lage
sei, diese zu unterbinden. Auch die kurdischen Aleviten genössen wie alle religiösen Minderheiten den
Schutz des Art. 19 der türkischen Verfassung. Eine unmittelbar auf die Person des Klägers zielende
Verfolgung sei nicht erkennbar.
Dieser Bescheid wurde zusammen mit dem Bescheid des Landrates des Landkreises O vom 8. Oktober
1980, mit dem dieser den Kläger zur Ausreise innerhalb eines Monats nach Zustellung der Verfügung
aufforderte und ihm nach Ablauf dieser Frist die Abschiebung androhte, dem Kläger am 23. Oktober 1980
ausgehändigt.
Zur Begründung seiner am 12. November 1980 bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden eingegangenen
Klage, die sich gegen beide Bescheide richtete, nahm der Kläger im wesentlichen Bezug auf seine Aussage
im Rahmen der Vorprüfungs-Anhörung bei dem Bundesamt. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung
in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 26. März 1982 führte er ergänzend aus, der
Verein Devrimci Halkin Birligi sei 1974 in dem Dorf ... gegründet worden, bevor seine Familie dorthin
gezogen sei. Das Ziel des Vereins sei der Widerstand gegen die bestehende Ordnung gewesen, die die
Arbeiter ausbeute. Der Verein, der der CHP (Republikanischen Volkspartei) nahegestanden habe, sei in der
gesamten Türkei unter dem gleichen Namen verbreitet gewesen. Auf Vorhalt des Gerichts, es habe in der
Türkei nur eine "Halkin Birligi" genannte Vereinigung gegeben, die 1975 gegründet worden sei und als
linksextreme Gruppe der TKP/ML nahegestanden habe, erklärte der Kläger, diese beiden Organisationen
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linksextreme Gruppe der TKP/ML nahegestanden habe, erklärte der Kläger, diese beiden Organisationen
seien identisch. Auf Befragen des Gerichts konnte der Kläger den Gründer der TKP/ML nicht nennen; er
wußte auch nicht, daß dieser 1973 gestorben war. Den Führer der TKP/ML im Zeitpunkt der gerichtlichen
Anhörung konnte der Kläger auch nicht nennen. Er erklärte, "Devrimci Halkin Birligi" sei seit 1974/75 eine
Abspaltung von "Halkin Birligi". Ausweise habe es bei seiner Organisation nicht gegeben. Der Verein sei nach
der Machtübernahme durch die Militärs verboten worden. 15 Mitglieder seien festgenommen worden, und
ein Teil von ihnen sei (zum damaligen Zeitpunkt) noch in Haft. In Deutschland habe er Kontakt zu der in U
bestehenden Gruppe von "Devrimci Halkin Birligi", die er durch Geldspenden unterstütze. Er führe in der
Unterstützung dieser Organisation den Kampf gegen die Regierung seines Landes weiter. Er sei aber kein
eingetragenes Mitglied dieses Vereins. Bei einer Rückkehr in die Türkei fürchte er seine Festnahme durch die
Polizei, da Namenslisten des Vereins von der Polizei gefunden worden seien; darüber habe er durch Briefe
auch von den Angehörigen seiner Familie, die noch in seinem Heimatort lebe, erfahren.
Der Kläger beantragte,
den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 27. August 1980 und den Bescheid des Beklagten zu 2) vom 8.
Oktober 1980 aufzuheben sowie die Beklagte zu 1) zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
hilfsweise,
die Beklagte zu 1) zur Neubescheidung zu verpflichten.
Die Beklagten beantragten,
die Klage abzuweisen.
Sie bezogen sich zur Begründung auf ihre angefochtenen Bescheide. Der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten stellte keinen Antrag.
Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 26. März 1982 den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 8. August
1980 auf. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten zu 1) gerichtete Klage wurde abgewiesen.
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei wegen seiner politischen Überzeugung
und seiner Volkszugehörigkeit in der Türkei politisch nicht verfolgt worden. Die vom Kläger behauptete
Mitgliedschaft in der Organisation "Devrimci Halkin Birligi" in der Türkei habe nicht zu einer politischen
Verfolgung geführt. Bei den befürchteten Übergriffen und dem auf den Kläger tatsächlich erfolgten Überfall
handele es sich um Vorkommnisse, die seinerzeit in der Türkei an der Tagesordnung gewesen seien und
denen praktisch jeder Bürger der Türkei damals ausgesetzt gewesen sei. Der Vortrag zur Betätigung für die
"Devrimci Halkin Birligi" sei nicht glaubhaft, da nach den dem Gericht vorliegenden Informationen eine
solche in der Türkei landesweit verbreitete Organisation nicht bekannt sei. 1975 sei eine linksextreme
Splittergruppe "Halkin Birligi" gegründet worden, die sich ideologisch an der marxistisch-leninistischen
Türkischen Kommunistischen Partei TKP/ML orientiert habe. Zu den Zielen und führenden Personen dieser
Organisationen habe der Kläger bei der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung keine
brauchbaren oder nur falsche Angaben machen können. Wenn der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur
"Devrimci Halkin Birligi" nur einem gewissen "Druck" seitens politisch rechtsgerichteter Organisationen oder
der Gendarmen ausgesetzt gewesen sein wolle, so könne er nicht Mitglied dieser Organisation gewesen
sein. Wahrscheinlich habe es sich hierbei nur um einen auf sein Dorf beschränkten Selbsthilfeverein
gehandelt. Der Kläger habe keine Gründe für einen asylrelevanten Nachfluchttatbestand dargelegt, und ein
solcher sei im übrigen auch nicht ersichtlich.
Gegen dieses ihm am 8. Juni 1982 zugestellte Urteil hat der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit am
6. Juli 1982 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie ist im wesentlichen ergänzend zu dem
erstinstanzlichen Vorbringen damit begründet, daß der 1974 in dem Wohnort des Klägers gegründete
"Verein zur Entwicklung und Verschönerung" in Wahrheit eine Ortsgruppe der "Devrimci Halkin Birligi"
(Revolutionäre Volksvereinigung) gewesen sei, dessen Zwecke die Bewahrung des kurdischen
Nationalcharakters, die politische Neuorientierung des Landes und die Abwehr von Übergriffen der Türken
gewesen seien. Auch soweit seine Angaben zum Teil nicht mit den amtlichen Erkenntnissen, wie sie von
dem Verwaltungsgericht herangezogen worden seien, übereinstimmten, sei sein Vortrag glaubhaft, da die
politischen Verhältnisse "vor Ort" nicht immer durch Berichte richtig erfaßt werden könnten. Er habe durch
seine Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht Kenntnisse über die politischen Verhältnisse in der Türkei
offenbart, die ihn als einen wahrhaft politisch engagierten Menschen auswiesen. Er habe bei einer Rückkehr
in die Türkei politische Verfolgung auch deshalb zu befürchten, weil er sich in Deutschland weiterhin für die
kurdische Sache einsetze. So habe er sich in F der Organisation "KOMKAR" angeschlossen und besuche
laufend ihre Zusammenkünfte. Politischer Verfolgung in der Türkei seien alle Personen ausgesetzt, die sich
positiv zur Eigenständigkeit und Geschichte Kurdistans äußerten.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 26. März 1982 abzuändern und unter Aufhebung des
Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. August 1980 die
Beklagte zu 1) zu Verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen.
Die Beklagte zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf das angefochtene Urteil. Der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten stellt keinen Antrag.
Über die Asylgründe des Klägers ist aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 6. und 25. Februar sowie 12. März
1991 Beweis erhoben worden durch seine Vernehmung als Beteiligter und die Vernehmung der Zeugen ...
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1991 Beweis erhoben worden durch seine Vernehmung als Beteiligter und die Vernehmung der Zeugen ...
und .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über den Termin am 12. März
1991 verwiesen. Der Senat hat aufgrund der Beschlüsse vom 2. und 13. Mai 1991 Beweis erhoben über den
Gegenstand und die Auswirkungen des im April 1991 in der Türkei in Kraft getretenen "Anti-Terror-Gesetzes"
durch Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und
Internationales Strafrecht in Freiburg sowie mündlicher Erläuterung des Gutachtens durch die
Sachverständige Dr. Tellenbach und die Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen
des Ergebnisses wird auf die Auskunft des Auswärtiges Amtes vom 10. Mai 1991 mit Ergänzung (deutsche
Rohübersetzung des "Gesetzes über die Bekämpfung von Terror") vom 4. Juni 1991, das Gutachten des
Max-Planck-Instituts Freiburg vom 10. Mai 1991 mit Ergänzung vom 11. Juni 1991 (türkischer Text und
deutsche Übersetzung des "Anti-Terror-Gesetzes") sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung
am 19. Juni 1991 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie
der den Kläger betreffenden Behördenakten der Beklagten zu 1) -- Az.: Tür-S-35748 -- und der Beklagten zu
2) -- Az.: 5/28019 -- verwiesen. Diese waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die
nachfolgend aufgeführten Dokumente:
I.
1. 18.02.1981 Auswärtiges Amt an VG Berlin
2. 28.04.1981 amnesty international (a.i.) vor dem
Europarat
3. 12.06.1981 Zeugin Schuchard vor VG Hamburg
4. 12.06.1981 Sachverständiger Roth vor VG Hamburg
5. 12.06.1981 Sachverständige Prof. Dr. Kappert vor
VG
Hamburg
6. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
7. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Mainz
8. 23.06.1981 a. i. an VG Hamburg
9. 03.08.1981 a. i. an VG Stuttgart
10. 09.08.1981 a. i. an VG Mainz
11. 07.10.1981 a. i. an Bundesminister der Justiz
12. 20.11.1981 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
13. 10.11.1982 Sachverständiger Dr. Nebez vor VG
Berlin
14. 10.11.1982 Sachverständiger Kaya vor VG Berlin
15. 11.11.1982 Sachverständiger Taylan vor VG Berlin
16. 15.11.1982 Sachverständiger von Sternberg-Spohr
vor
VG Berlin
17. 15.11.1982 Sachverständiger Roth vor VG Berlin
18. 16.11.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
19. 03.01.1983 Auswärtiges Amt an VG Hannover
20. 18.02.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an VG
Karlsruhe
21. 04.03.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an OVG
Nordrhein-Westfalen
22. 18.05.1983 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
23. 12.06.1983 Oehring an VGH Baden-Württemberg
24. 16.06.1983 Hauser an VGH Baden-Württemberg
25. 26.08.1983 Thränhardt an OVG Berlin
26. 06.02.1984 Sidiq an VG Hamburg
27. Mai 1984
Bericht der Delegation Fischer u. a.
28. 29.05.1984 Kappert an VGH Baden-Württemberg
29. 04.06.1984 Thränhardt an Hess. VGH
30. 08.06.1984 Hauser an Hess. VGH
(mit Anlage vom 12.02.1983)
31. 10.06.1984 Taylan an Hess. VGH
32. 13.06.1984 Götz an Hess. VGH
33. 13.06.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
34. 11.07.1984 Oehring an Hess. VGH
35. 21.07.1984 a. i. an Hess. VGH (mit Anlagen)
36. 01.10.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an
Hess. VGH -- 10 OE 88/83 --
37. 16.10.1984 Roth an Hess. VGH
38. Okt. 1984 Oguzhan, Die Rechtsstellung der Kurden
24
in der Türkei
39. 19.11.1984 Auswärtiges Amt an Bundesminister der
Justiz
40. 19.11.1984 Auswärtiges am an OVG Hamburg
41. 10.12.1984 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
42. 30.12.1984 Taylan an VG Ansbach
43. Dez. 1984 Barbe an VG Mainz
44. 15.04.1985 Kappert an Hess. VGH
45. Sept. 1985 Das türkische Sprachenverbotsgesetz
(m. Anm. Rumpf), InfAuslR 1985, 251
46. 20.06.1986 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
47. 18.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
48. 15.03.1987 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
49. 29.06.1987 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
50. 20.01.1988 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
51. 02.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
52. 14.11.1988 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
53. 17.11.1988 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
54. 02.03.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
55. 13.04.1989 Auswärtiges Amt an VG Hamburg
56. 13.04.1989 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
57. 21.04.1989 a. i. an VG Kassel
58. 28.04.1989 a. i. an VG Schleswig-Holstein
59. 05.05.1989 Auswärtiges Amt an VG Bremen
60. 05.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
61. 09.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
62. 27.06.1989 Taylan an VG Wiesbaden
63. 15.08.1989 Kaya an VG Hamburg
64. 15.11.1989 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
65. 12.02.1990 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
66. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Braunschweig
67. 20.04.1990 FR "Barrikaden brennen auf der
Seidenstraße"
68. 03.07.1990 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
69. 31.07.1990 Rumpf an Hess. VGH
70. 01.08.1990 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
71. 17.08.1990 Franz an VG Hamburg
72. 09.10.1990 Kaya an VG Hamburg
73. 25.10.1990 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
74. 29.10.1990 Auswärtiges Amt an Bay.
Staatsministerium
des Innern
75. 31.10.1990 Rumpf an VG Hamburg
76. 30.11.1990 medico international -- Gutachten --
77. 16.01.1991 Auswärtiges Amt -- Lagebericht Türkei --
78. 17.01.1991 a. i. an VG Hamburg
79. 28.01.1991 FAZ "Ankara hebt Verbot des Kurdischen
auf"
80. 28.01.1991 FR "Die Kurden in der Türkei bekommen
ihre Sprache zurück"
81. 04.02.1991 FAZ "Özal gibt sich überraschend
demokratisch"
82. 08.02.1991 FAZ: "Hohe Geldstrafen für die
Veröffentlichung kurdischer Texte"
83. 09.02.1991 FAZ: "Alltägliches von Ankara
sanktioniert"
84. 19.04.1991 Auswärtiges Amt an Innenminister
Schleswig-Holstein
II.
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1. 02.06.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
2. 03.03.1981 Auswärtiges Amt an VG des Saarlandes
3. 21.09.1981 Auswärtiges Amt an VG Mainz
4. 25.10.1982 Auswärtiges Amt an VGH Baden-
Württemberg
5. 29.11.1982 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
6. 28.12.1982 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
7. 21.03.1983 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
8. 31.01.1984 Taylan an VGH Baden-Württemberg
9. 07.09.1984 Taylan an VG Düsseldorf
10. 20.02.1987 Auswärtiges Amt an VGH Baden-
Württemberg
11. 05.09.1987 Taylan an VG Gelsenkirchen
12. 31.01.1991 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
III.
1. 10.06.1984 Taylan an Hess. VGH
2. 30.12.1984 Taylan an VG Ansbach
3. 29.05.1985 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
4. 29.10.1985 Auswärtiges Amt an VGH Baden-
Württemberg
5. 17.04.1986 Taylan an Hess. VGH
6. 08.07.1986 Roth an Hess. VGH
7. 14.07.1986 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
8. 25.04.1988 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
IV.
1. 07.11.1982 Roth an VG Hamburg
2. 18.05.1983 Bundesminister des Innern an VG Köln
3. 19.06.1983 amnesty international (a. i.) an
VG Hamburg
4. 10.10.1983 Auswärtiges Amt an VG Schleswig-
Holstein
5. 28.10.1984 von Sternberg-Spohr an OVG Lüneburg
6. 14.02.1984 Bundesamt für Verfassungsschutz an
VG Köln
7. 23.02.1984 Auswärtiges Amt an VG Köln
8. 08.05.1984 Sachverständige Dietert-Scheuer vor
VG Hamburg
9. 08.05.1984 Sachverständiger Kaya vor VG Hamburg
10. 08.05.1984 Sachverständiger Taylan vor VG
Hamburg
11. 09.05.1984 Sachverständiger von Sternberg-Spohr
vor VG Hamburg
12. 30.07.1984 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
13. 24.08.1984 Sachverständiger Taylan vor VG
Hamburg
14. 29.08.1984 Sachverständiger Oberdiek vor VG
Hamburg
15. 01.10.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an
Hess. VGH -- X OE 282/82 -- (mit
Anhang)
16. 10.12.1984 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
17. 29.05.1985 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
18. 23.09.1985 a. i. an VG Ansbach
19. 17.04.1986 Taylan an Hess. VGH
20. 15.05.1986 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
21. 26.05.1986 Taylan an VG Gelsenkirchen
22. 08.07.1986 Roth an Hess. VGH
23. 15.07.1986 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
27
24. 18.08.1986 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
25. 28.08.1986 Auswärtiges Amt an Bundesamt
26. 03.11.1986 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
27. 15.01.1987 Auswärtiges Amt an OVG Rheinland-Pfalz
28. 20.03.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
29. 02.09.1987 Auswärtiges Amt an VG Bremen
30. 11.01.1988 Zeugenvernehmung vor VG Hamburg
31. 25.04.1988 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
32. 14.05.1988 FR "Konsulat bespitzelt Türken"
33. 11.04.1989 FR "Türkischer Regimegegner bei
Heimkehr
festgenommen"
34. 27.11.1989 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
35. 06.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
36. 03.04.1990 Auszug aus der WDR-Sendung
Panorama
"Türkischer Geheimdienst"
37. 27.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
V.
1. 1955
Das Türkische Strafgesetzbuch
vom
01.03.1926, übersetzt und
eingeführt von
Sensoy u. Tolun
2.
29.05.1978 Oguzhan, Der
Bestimmtheitsgrundsatz und
die Art. 141 Abs. 1, 2 und 142 Abs.
1 des
Türkischen Strafgesetzbuches,
Diss. Bonn
3.
08.07.1980 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
4.
13.08.1980 Auswärtiges Amt an VG Köln
5.
16.01.1981 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
6.
23.12.1981 Max-Planck-Institut Heidelberg --
Gutachtliche
Stellungnahme zum türkischen
Recht--
7.
25.12.1981 Töb-Der-Urteil des Militärgerichts
Nr. 3
der
Ausnahmezustandskommandantur
Ankara
8.
01.09.1982 Auswärtiges Amt an OVG Berlin
9.
15.11.1982 Auswärtiges Amt an OVG Münster
10.
20.05.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an
VG Ansbach (M. Erg. v.
22.08.1983)
11.
28.06.1983 Meldung aus Cumhuriyet betr. PKK-
Viransehir-Verfahren
(zit. nach türkei infodienst
Nr. 59 v. 05.07.1983)
12.
Aug. 1983 Chotjewitz u. Damkowski,
Menschenrechtsverletzungen
in der Türkei, Bericht einer
Untersuchungskommission
(Anlage zur Drs.
11/1089 der Bürgerschaft der
Freien und
Hansestadt Hamburg vom
12.09.1983)
13.
12.10.1983 amnesty international (a. i.) an VG
Köln
14.
07.11.1983 Sachverständiger Roth vor OVG
28
29
14.
07.11.1983 Sachverständiger Roth vor OVG
Hamburg
15.
11.04.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-
Württemberg
16.
12.06.1984 Götz an VGH Baden-Württemberg
17.
29.08.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an
VGH
Baden-Württemberg mit
Ergänzung vom
20.09.1984 und Berichtigung vom
21.02.1985
18.
15.09.1984 Oehring an VGH Baden-
Württemberg
19.
19.09.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an
Hess. VGH
20.
22.01.1985 Cumhuriyet "Das Südostverfahren
mit beantragten
30 Todesstrafen hat begonnen"
21.
31.07.1985 FAZ "Ankara plant Amnestie für
politische
Häftlinge"
22.
09.09.1985 Antwort der Bundesregierung
(Drs. 10/3798) auf die kleine
Anfrage der
Fraktion der SPD (Drs. 10/3684
vom
26.07.1985)
23.
26.10.1985 FAZ "Eine neue Front gegen die
Türkei"
24.
28.01.1986 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
25.
28.07.1986 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
26.
29.01.1987 Auswärtiges Amt an VG Berlin
27.
01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
28.
30.03.1988 Max-Planck-Institut Heidelberg an
OVG Lüneburg
29.
02.03.1989 Auswärtiges Amt an
Landesanwaltschaft
Bayern
30.
03.01.1990 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
31.
08.05.1990 Rumpf an VG Wiesbaden
32.
26.06.1990 a. i. "Menschenrechtsverletzungen
in
Türkei dauern an"
33.
23.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Er kann nach der maßgeblichen Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht beanspruchen, daß die Beklagte zu 1) ihn als
Asylberechtigten anerkennt -- denn er ist nicht politisch Verfolgter (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. §§ 1 Abs.
1, 4 Abs. 1 AsylVfG -- A.) -- und feststellt, daß in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen (B.).
A.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in
seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder
Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --,
BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1
Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung
des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20;
BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 -- 9 C 185.83 --,
BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters
der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden
zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 80, 315 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation
vgl. BVerwG, 19.05.1987 -- 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben
oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die
berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die
nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner
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nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner
des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG,
02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O., u. 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986
-- 9 C 16.85 --, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben,
wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die
Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen
absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ
1986. 760 m.w.N.). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in
seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O.;
BVerwG, 25.09.1984 -- 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Der Asylbewerber ist
aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, umfassend die in seine eigene
Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu
tragen (BVerwG, 08.05.2984 -- 9 C 141.83 --, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 -- 9 C 27.85 --,
EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 -- 9 C 32.87 --, EZAR 630 Nr. 25) und insbesondere
auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 -- 9 C
68.81 --, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 -- 9 C 473.82 --, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB
1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, daß die
vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG,
23.11.1982 -- 9 C 74.81 --, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung
kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der
Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist
(BVerwG, 12.11.1985, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen Angaben des Klägers, der
Beweisaufnahme, der zum Verfahren beigezogenen Akten sowie der in das Verfahren eingeführten
Gutachten, Auskünfte und sonstigen Dokumente zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger weder
aufgrund innerstaatlich geltender völkerrechtlicher Vereinbarungen (I.) als Asylberechtigter anzuerkennen
ist, noch daß er bei der Ausreise aus der Türkei politisch verfolgt war (II.) oder mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen hätte, daß ihm bei einer Rückkehr in seine Heimat politische
Verfolgung droht (III.).
I.
Der Kläger, an dessen kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keinen Zweifel hat, kann seine Anerkennung
als Asylberechtigter nicht bereits aufgrund des Abkommens über die Ausdehnung gewisser Maßnahmen
zugunsten russischer und armenischer Flüchtlinge auf andere Kategorien von Flüchtlingen vom 30. Juni 1928
(abgedruckt in: Societe des Nations, Recueil des Traites, Bd. 89 11929>, S. 64) erreichen. Da er 1956
geboren ist und erst 1980 die Türkei verlassen hat, kann dieses Abkommen auf ihn nicht angewandt werden
(ständige und vom Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 17.05.1985 -- 9 C 874.82 --, BVerwGE 67,
195 = EZAR 201 Nr. 5, bestätigte Rechtsprechung des Hess. VGH, vgl. z. B. 11.08.1981 -- X OE 649/81 --,
ESVGH 31, 268, 07.08.1986 -- X OE 189/82 --, 01.02.1988 -- 12 OE 419/82 --, 20.03.1989 -- 12 UE 1705/85 --
sowie 13.08.1990 -- 12 UE 2313/85 --). Der Senat kann deshalb offenlassen, ob dem durch die genannte
Vereinbarung geschützten Personenkreis überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder
Asylgewährung in anderer Form zusteht, nachdem § 39 Nr. 4 AsylVfG die bis dahin in § 28 AuslG 1965
enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene Verweisung auf die
erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitigt hat, eine Asylanerkennung nunmehr allein an die
Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anknüpft (vgl. dazu auch Berberich, ZAR 1985, 30 ff.,
Köfner/Nicolaus, ZAR 1986, 11, 15, und zu Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK BVerwG, 25.10.1988 -- 9 C 76.87 --
EZAR 200 Nr. 22) und auch das neugeschaffene Institut der Flüchtlingsanerkennung (§ 51 Abs. 1 und Abs. 3
AuslG) sog. statutäre Flüchtlinge nicht erfaßt (Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 9 f., 14).
II.
Der Kläger war bei seiner Ausreise aus der Türkei weder wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen
Volksgruppe (1.) noch wegen seiner politischen Betätigung politisch verfolgt (2.).
1. Der Kläger war in der Türkei bis zu seiner Ausreise am 26. Januar 1980 nicht wegen seiner Zugehörigkeit
zu der kurdischen Volksgruppe verfolgt. Daraus kann er keinen Vorfluchttatbestand herleiten. Denn der
Senat vermag nicht festzustellen, daß die kurdische Bevölkerungsgruppe in der Türkei in der Zeit bis zur
Ausreise des Klägers allgemein dem türkischen Staat zuzurechnenden politischen Repressalien ausgesetzt
war (vgl. Hess. VGH, 07.08.1986 -- X OE 189/82 --, 06.11.1986 -- X OE 444/82 --, 02.05.1988 -- 12 OE 503/82
--, 18.09.1989 -- 12 UE 2700/84 --, 13.08.1990 -- 12 UE 2313/85 --, 25.02.1991 -- 12 UE 2106/87 --,
18.03.1991 -- 12 OE 166/82 --; ferner die Nachweise über die Entscheidungspraxis des Bundesamts und der
Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Bollermann, ZAR 1986, 129, 134 f., Fn. 77 und 78).
Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei seinerzeit asylrechtlich relevante Repressalien zu
erleiden oder zu befürchten hatte, ist von dem Grundsatz auszugehen, daß ein Mehrvölkerstaat seine
staatliche Einheit und seinen Gebietsstand sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch durchsetzen
darf, ohne daß die davon Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte anzusehen sind; eine andere
Beurteilung könnte Platz greifen, wenn ein Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung oder in der
Staatswirklichkeit von der Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere ausgeht, die ethnischen, kulturellen
oder religiösen Eigenarten bestimmter Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart
entsprechenden Existenzweise hindert (BVerwGE, 17.05.1983 -- 9 C 36.83 --, BVerwGE 67, 184, -- 9 C
874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5), wenn er also insbesondere mit verschiedenartigen Mitteln
eine Zwangsassimilierung betreibt. In diesem Zusammenhang bedarf es hier vor allem der Untersuchung,
wie der türkische Staat die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung damals behandelt hat, wie sich
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wie der türkische Staat die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung damals behandelt hat, wie sich
deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der türkischen Mehrheit in der Wirklichkeit darstellen und
ob dabei etwa Unterschiede je nach der soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß
der Assimilation der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Wie allgemein im Asylrecht genügt dabei
nicht eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des individuellen Schicksals des Asylsuchenden, es
kommt vielmehr auch hier auf eine umfassende Gesamtbetrachtung der innenpolitischen Lage in dem
angeblichen Verfolgerstaat und aller irgendwie relevanten Lebensumstände der Betroffenen an. Hierfür
sollen sowohl allgemein- oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge als auch Tatsachenbekundungen
aus den oben (S. 8 ff.) aufgeführten Unterlagen verwertet werden.
Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden erlebten nach dessen Zerfall eine
wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung ihrer angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die
Türkei und der Zusicherung einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die volle
Selbständigkeit in dem Friedensvertrag von Sevres vom August 1920 waren im Vertrag von Lausanne vom
21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie Kurden keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Die
Vorschriften der Art. 38 bis 45 dieses Vertrags befassen sich fast ausschließlich mit nicht-muslimischen
Minderheiten; nicht-türkische Minderheiten sind dort nicht erwähnt. Nach der Proklamation der türkischen
Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa Kemal -- "Atatürk" -- zum Staatspräsidenten wurden
verstärkt Türkisierungsversuche unternommen. So wurden etwa kurdische Dorfnamen und kurdische
Vornamen geändert, Kurdisch als Amts- und Unterrichtssprache verboten und die Türkei in drei ethnisch
abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste war das Gebiet, in dem die türkische Kultur in der Bevölkerung
sehr stark verankert war; die zweite war diejenige, wo die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu
türkisieren war; bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus gesundheitlichen, ökonomischen,
kulturellen, militärischen und sicherheitstechnischen Gründen entvölkert werden sollten und in denen sich
niemand mehr ansiedeln durfte. Nach der Niederschlagung verschiedener Aufstände in den Jahren 1925 bis
1930 kam es zu groß angelegten Umsiedlungsaktionen, die teilweise in Zwangsdeportationen ausarteten.
Im übrigen belegt schon der Abschluß der oben genannten Vereinbarung vom 30. Juni 1928, daß sich eine
große Anzahl kurdischer Volkszugehöriger bereits im ersten Jahrzehnt nach Beendigung des Ersten
Weltkriegs veranlaßt sah, die Türkei aus Verfolgungsgründen zu verlassen. Die auf Atatürk zurückgehenden
sechs kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staates -- Nationalismus, Säkularismus,
Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus -- wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg
nicht aufgegeben. Nach anfänglichen Erfolgen bei Demokratisierungsbestrebungen unter den
Ministerpräsidenten Inönü (CHP) und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli
1961 zu einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In den nachfolgenden zwei
Jahrzehnten gab es in der Türkei unter den Ministerpräsidenten Inönü (CHP), Ürgüplü (unabhängig), Demirel
(AP), Erim (parteilos), Melen (GP), Talu (unabhängig), Ecevit (CHP) und Irmak (GGP) verschiedene Koalitions-
und Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von Ecevit das Kriegsrecht vor allem über
ostanatolische Provinzen verhängt und später auf weitere Provinzen ausgedehnt und verlängert wurde.
Trotz einer Vielzahl von Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe vermag der Senat
nicht zu der Überzeugung gelangen, daß bis zur Ausreise des Klägers am 26. Januar 1980 eine staatliche
Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden erfolgt ist. Denn auch bei einer zusammenhängenden
Betrachtung der Umstände, daß der türkische Staat ihre Existenz leugnete, den Gebrauch der kurdischen
Sprache behinderte, sie in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkt und der wirtschaftlichen und
kulturellen Unterentwicklung in kurdischen Provinzen nicht effektiv entgegentritt, läßt sich nach Auffassung
des Senats nicht der Schluß ziehen, der türkische Staat unterdrücke und verfolge die Kurden bewußt mit
dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben oder zu vernichten (so aber Roth u.a., Geographie der
Unterdrückten, S. 69 ff., 178 bis 261). Eine solche Schlußfolgerung wäre zwar dann gerechtfertigt, wenn etwa
maßgebliche staatliche Organe zur Ausrottung oder Vertreibung der Kurden offen auffordern würden oder
ihren Äußerungen zumindest eine Billigung oder tatenlose Hinnahme solcher Tendenzen entnommen
werden könnte oder wenn die Regierung der Türkei bei ihren Bemühungen, Sicherheit und Ordnung im Land
wiederherzustellen, die kurdischen Volksteile und die von ihnen bewohnten Regionen bewußt vernachlässigte
oder sonst gezielt benachteiligte. Hierfür gibt es indes keine ausreichenden Anhaltspunkte und Hinweise. Es
mag sein, daß die Kurden in der Türkei auf Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen werden, die
vom türkischen Staat erwünscht, aber nicht zwangsweise durchgesetzt wird; das Asylrecht schützt jedoch
nicht vor derartigen langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund von veränderten
Lebensbedingungen (BVerwG, 15.02.1984, EZAR 203 Nr. 2 = InfAuslR 1984, 152).
Verfolgung einer ethnischen Minderheit kann sich vor allem im Leugnen der Existenz einer eigenständigen
Volksgruppe äußern. Insoweit liefert bereits das historisch gewachsene Selbstverständnis der Türkischen
Republik ein gewichtiges Anzeichen dafür, daß Kurden in der Türkei offiziell als nicht vorhanden angesehen
und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechtweg ignoriert wurden. Bei der Republik Türkei
handelt es sich um einen Einheitsstaat, der auf dem Bewußtsein einer einheitlichen Nation aufgebaut ist und
schon deshalb vom Türkentum abweichende nationale Elemente oder Bestrebungen nicht duldet. Dadurch
bleibt von vornherein kein Raum für ein anderes als das türkische Volk und ist jeder türkische Staatsbürger,
der sich nicht der türkischen Nation zugehörig fühlt, gehalten, sich entweder zu assimilieren oder sich
jedenfalls soweit zu integrieren, daß er ungeachtet seiner andersartigen Herkunft möglichst als
Nationaltürke erscheint. Diese negierende staatliche Einstellung gegenüber den Kurden wird u.a. daraus
deutlich, daß in den letzten Jahrzehnten offiziell nur von "Bergtürken" gesprochen worden ist (Dokumente I.
5., 9. u. 10.). Das Leugnen der Existenz der kurdischen Volksgruppe läßt indessen -- auch in
Zusammenschau mit den weiteren Restriktionen -- den Schluß auf eine asylerhebliche Zwangsassimilierung
nicht zu.
Ein gewisser Wandel zu einer offiziellen Kenntnisnahme der Kurden als eigenständige Volksgruppe kann
darin gesehen werden, daß der türkische Staatspräsident Özal Angaben über die Zahl der Kurden in der
Türkei machte und sie auf zehn bis zwölf Millionen Menschen bezifferte (I. 79.).
Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der Verdrängung oder vollständigen
Angleichung gegen eine ethnische Minderheit eingesetzt werden können, wiegt wohl am schwersten das
Verbot der eigenen Sprache. Wird einem Menschen auf Dauer der Gebrauch seiner Muttersprache verwehrt,
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Verbot der eigenen Sprache. Wird einem Menschen auf Dauer der Gebrauch seiner Muttersprache verwehrt,
wird ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit überhaupt entscheidend erschwert. Zudem kann ein Volk ohne
die Verständigung in der eigenen Sprache seine nationale Identität nicht bewahren, weil seine kulturelle
Eigenständigkeit gleichermaßen von seiner Literatur und Volkskunst, von Dichtung, Erzählungen und
Theater in der eigenen Sprache wie vom Gebrauch dieser Sprache im alltäglichen Umgang der
Volkszugehörigen miteinander abhängig ist. Soweit es das Primat der türkischen Sprache und den
Ausschluß jeder anderen -- und damit vor allem der kurdischen -- Sprache angeht, sind Rechtslage und
Rechtswirklichkeit seit Bestehen der Türkischen Republik zwar nicht ganz zweifelsfrei; es kann aber auch
nicht festgestellt werden, der Gebrauch der kurdischen Sprache sei im hier maßgeblichen Zeitraum in der
Türkei praktisch verboten gewesen.
Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des Lausanner Friedensvertrages
vom Juli 1923, nach dessen Art. 39 keinem türkischen Staatsbürger irgendwelche Beschränkungen beim
Gebrauch einer Sprache auferlegt werden können, kurdisch als Amtssprache verboten haben (Roth u.a.,
a.a.O., S. 61; Dokumente I. 5. und 26.). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache
jedenfalls in der Zeit von 1924 bis 1929 gesetzlich verboten worden sein; dieses Verbot ist aber danach
staatlicherseits im Laufe der Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (Dokument I. 7.). Im Jahre 1967 machte
sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von 1950 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und
verbot die Einfuhr und die Verteilung sämtlicher in kurdischer Sprache im Ausland herausgegebenen
Druckerzeugnisse, Schallplatten, Tonbänder und dergleichen; damit war die Verbreitung von im Ausland
hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe gestellt (Dokumente I. 7. u. 20.). Wenn demgegenüber
von einzelnen Sachverständigen ohne nähere Erläuterung und ohne Schilderung nachprüfbarer Beispiele
angegeben wird, allgemein sei der Besitz (Dokumente I. 4., 9. u. 17.) bzw. die Herausgabe und nicht nur die
Einfuhr kurdischer Schriften und Tonträger verboten und strafbar (Dokumente I. 5., 13., 25. u. 29.), so kann
dies durchaus auf Mißverständnissen und Ungenauigkeiten bei der Einholung und Wiedergabe von
Informationen beruhen; denn nach den glaubhaften Angaben von anderen Sachverständigen (Dokumente I.
20. u. 23.) wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften -- teilweise mit Beiträgen in türkischer Sprache --
nur dann und nur deswegen verboten und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomistisch oder
separatistisch angesehen wurde.
Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst wurde seit jeher auf den
Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt. Darüber hinaus war wegen der Türkisierung der Vor-,
Familien- und Ortsnamen die Registrierung kurdischer Namen nicht erlaubt (vgl. Dokumente I. 13. u. 25).
Anders als in der Schule, im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen bei
privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden bewohnten Siedlungsgebieten im
hier maßgeblichen Zeitraum vor der Ausreise des Klägers allgemein üblich und weder verboten noch gar
strafbar gewesen (Dokumente I. 7., 14., 19. u. 23.). Bei dem hohen Anteil von Analphabeten unter den
Kurden und bei deren vergleichsweise schlechter Schulausbildung bleibt vielen Kurden die türkische Sprache
ohnehin auch nach Schulbesuch und Militärdienst weitgehend fremd und unbekannt. Der Ausschluß des
Kurdischen vom Schulunterricht und aus dem Behördenverkehr rechtfertigt nicht die Annahme, damit sei
die kurdische Minderheit verfolgt worden; denn das Unterlassen staatlicher Förderung kann nicht schon als
Verfolgung angesehen werden, zumal mindestens fraglich erscheint, ob eine staatliche Verpflichtung
besteht, die Sprache einer Minderheit aktiv zu fördern.
Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer eigenständigen
Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und letztlich unerläßlich. Auch in dieser Hinsicht
unterliegen die Kurden gewissen Beschränkungen. Sie konnten allerdings im hier maßgeblichen Zeitraum
vor der Ausreise des Klägers grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische Volkslieder
singen und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und sich auch sonst als Kurden zu
erkennen geben -- angesichts ihrer kurdischen Sprache können sie ihre Herkunft ohnehin kaum verbergen.
Man kann für diesen Zeitraum im Vergleich zu der Zeit bis 1950 von einer relativen Liberalisierung sprechen
(Dokument I. 14.).
Es kann auch nicht festgestellt werden, daß der türkische Staat eine gezielte Assimilierungspolitik durch
bewußte Vernachlässigung kurdischer Siedlungsgebiete in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht betreibt.
Während Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen des Landes,
vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte angesiedelt und konzentriert sind, sind die
überwiegend von Kurden bewohnten 18 Provinzen in Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und
deren Strukturen und Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern
gekennzeichnet (Roth u.a., a.a.O., S. 187 ff). Unsichere Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um Weideland und
Ackerboden und die Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und den
Industrieländern Mitteleuropas haben zusammen mit der eklatanten Unterentwicklung der östlichen Gebiete
im Laufe der letzten 20 Jahre dazu geführt, daß immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer verlassen haben,
und diese Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und westlichen Provinzen der Türkei
noch verstärkt. Die Bodenschätze des Ostens wurden zur Industrialisierung des Westens genutzt.
Gesundheitswesen und Schulen sind wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei.
Zusätzlich wurde die Macht der Scheichs und Agas noch durch die nur mit großem Kapitaleinsatz mögliche
Mechanisierung, Meliorisierung und Intensivierung in der Landwirtschaft vergrößert.
Es sind jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf rechtfertigen, die türkische
Regierung vernachlässige die kurdischen Provinzen in der Absicht, die dort lebenden Kurden ihres Volkstums
wegen zu benachteiligen, oder in ihrer Politik spiele dieses Ziel zumindest eine nicht unwesentliche Rolle (so
aber etwa Dokumente I. 15. u. 27.). Denn immerhin ist festzuhalten, daß von den im Osten der Türkei
herrschenden Lebensbedingungen auch andere Bevölkerungsgruppen wie etwa christliche, jezidische und
islamische Türken betroffen sind (Dokument I. 5.). Insgesamt gesehen sind gewiß ganz verschiedenartige
Faktoren für die Benachteiligung der kurdischen Regionen verantwortlich, etwa die ungünstigen Boden-,
Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer Erschließungs- und Entwicklungsprogramme ist
wohl mit dem desolaten Zustand der Staatsfinanzen der Türkei und damit zu erklären, daß Investitionen und
Darlehen von ausländischen Finanziers und supranationalen Organisationen an Bedingungen gebunden
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Darlehen von ausländischen Finanziers und supranationalen Organisationen an Bedingungen gebunden
sind, die die wünschenswerte Förderung in der Türkei bisher nicht zugelassen haben.
Der Kläger hat nach der Überzeugung des Senats bis zu seiner Ausreise im Januar 1980 auch keine
individuelle politische Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu der kurdischen Volksgruppe erlitten.
Soweit er bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung bei dem Bundesamt dargelegt hat, auf das Dorf
..., in das er 1974 mit seiner Familie aus seinem Heimatdorf ... umgezogen sei, sei Druck von den
faschistischen Bewohnern der umliegenden Dörfer ausgeübt worden, da in diesem Dorf ausschließlich
revolutionär gesonnene alevitische Kurden gelebt hätten, kann daraus eine asylrechtlich erhebliche
Verfolgungsmaßnahme nicht entnommen werden. Unabhängig davon, daß der Kläger nicht substantiiert
dargelegt hat, aus welchem Grunde die Bewohner umliegender Dörfer sich gegen das Dorf des Klägers
wandten und dieses nach den Angaben des Klägers verschiedentlich zu überfallen versuchten, ist nicht zu
erkennen, daß diese vom Kläger nicht näher konkretisierten Umstände dem türkischen Staat zuzurechnen
wären. Eine solche Zurechnung kommt nur in Betracht, wenn der Staat asylerhebliche Handlungen Dritter
tatenlos hinnimmt und seinen Bürgern den erforderlichen Schutz versagt (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR
147/80 --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1; BVerwG, 17.01.1980 -- 1 B 573.79 --, EZAR 201 Nr. 4;
BVerwG, 01.03.1981 -- 9 C 6.80 --, BVerwGE 62, 123 = EZAR 200 Nr. 6; BVerwG, 03.12.1985 -- 9 C 33.85 --,
BVerwGE 72, 269 = EZAR 202 Nr. 5). Der Kläger ist insoweit, was Art, Umfang und Intensität der
behaupteten Übergriffe und des Versuchs des Erlangens staatlichen Schutzes anbelangt, seiner
Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Dies gilt auch für die allgemeine Behauptung des Klägers im
Rahmen seiner Vorprüfungs-Anhörung, im Jahre 1979 hätten Gendarmen im Dorf Razzien nach Waffen und
verbotener Literatur veranstaltet, wobei sie einige Männer verprügelt und für einige Tage in Haft genommen
hätten. Abgesehen davon, daß unklar bleibt, aus welchem Anlaß diese Durchsuchungen stattfanden, hat der
Kläger ausdrücklich erklärt, seitens der Gendarmen sei ihm nichts geschehen. Er sei aber Ende 1979, als er
mit dem Traktor allein auf dem Wege von der Kreisstadt in sein Dorf unterwegs gewesen sei, von sechs
"Faschisten" verprügelt worden, weil er Kurde sei. Auch im Hinblick auf die Asylrelevanz dieses Vorfalles hat
der Kläger nicht substantiiert dargelegt, daß er insoweit vergeblich versucht hätte, staatlichen Schutz zu
erlangen, und deshalb daraus entnommen werden könnte, Verfolgungshandlungen Dritter seien dem
türkischen Staat zurechenbar.
2. Der Kläger hat auch wegen seiner Mitgliedschaft in "Devrimci Halkin Birligi" und der Betätigung für diese
Organisation vor seiner Ausreise noch keine asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen erlitten.
Der Senat glaubt dem Kläger aufgrund seiner Angaben und den Bekundungen der Zeugen E und A, daß er
1978 und 1979 Mitglied dieser Organisation war und sich auch für sie betätigt hat. Der Kläger hat dazu bei
der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung, bei der informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht
und bei der Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats übereinstimmend
dargelegt, daß er sich nach Rückkehr vom Militärdienst, den er in den Jahren 1976 bis 1978 abgeleistet
habe, einer Untergruppe der in der gesamten Türkei verbreiteten Organisation "Devrimci Halkin Birligi"
angeschlossen habe, die in seinem Dorf als "Verein zur Entwicklung des Dorfes" vor seinem Zuzug im Jahre
1974 gegründet worden sei. Der Kläger hat zu den Zielen dieses Vereins durchgehend in seinen
Vernehmungen inhaltlich im wesentlichen gleichlautend erklärt, der Verein habe sich für eine revolutionäre
Veränderung der bestehenden "faschistischen" Ordnung, die die Arbeiter ausbeute, eingesetzt. Er habe als
einfaches Mitglied in dem Verein mitgearbeitet, regelmäßig an seinen Sitzungen teilgenommen und
Zeitschriften wie die politisch auf das Ziel der Arbeiterrevolution ausgerichtete Zeitung "Ileri" an die
Dorfbewohner verteilt. Er habe sich insbesondere auch deshalb für diese Organisation engagiert, da von ihr
nach der Arbeiterrevolution den Kurden die Autonomie oder ein selbständiger Staat versprochen worden
seien. Zu gegen ihn gerichteten politischen Verfolgungsmaßnahmen ist es wegen der Zugehörigkeit zur
"Devrimci Halkin Birligi" und der Betätigung für diese Organisation nicht gekommen. Der Kläger hat auf
ausdrückliches Befragen, ob er wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Organisation Schwierigkeiten mit der
Polizei bzw. mit den Behörden gehabt habe, nur pauschal darauf hingewiesen, daß es Druck seitens der
Rechten aus den Nachbardörfern wie auch seitens der Gendarmen gegeben habe, die Durchsuchungen
durchgeführt hätten. Auch in der Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats hat er
von irgendwelchen gegen ihn bis zu seiner Ausreise im Januar 1980 gerichteten staatlichen Maßnahmen
nichts berichtet.
Die Mitgliedschaft des Klägers in der Untergruppe der "Devrimci Halkin Birligi" in seinem Dorf wird bestätigt
durch die Aussage des Zeugen ... in der Beweisaufnahme am 12. März 1991, der glaubhaft bekundet hat,
daß der Kläger in dem Dorf, in dem er ebenso wie der Kläger gewohnt habe, bei der seit 1975 dort
bestehenden Gruppe der "Devrimci Halkin Birligi" mitgearbeitet habe. Dies stimmt auch überein mit der
Aussage des nach seinen Angaben aus dem gleichen Dorf stammenden Zeugen ..., der, ohne selbst
Mitglied des Vereins gewesen zu sein, die Mitgliedschaft des Klägers in dem Verein "Aufbau und Entwicklung
von ..." bestätigt hat. Er hat dargelegt, daß dieser Verein im Zuge der Reorganisation der TKP/ML 1975 von
Revolutionären in dem Dorf ... gegründet worden sei. Der Verein sei eine Versammlung gewesen, in der die
Bevölkerung des Dorfes ihre Probleme habe besprechen können, und der insbesondere umfangreiche
praktische Arbeit in dem Dorf geleistet habe, so die Einrichtung eines Postamts, den Bau von Straßen und
den Ausbau der Wasserversorgung. Der legale Verein sei an sich keine politische Organisation gewesen,
seinem Vorstand hätten aber mehrere Revolutionäre angehört, die politisch arbeiteten. In dem Verein seien
die Zeitschriften der TKP/ML, so insbesondere auch die Zeitschrift "Halkin Birligi", die der TKP/ML politisch
nahestehende Ziele vertreten habe, verteilt worden. Die meisten Mitglieder des Vereins hätten auch diese
Ziele unterstützt. Nach den Ereignissen von K 1978 sei dem Verein, der damals etwa 70 bis 80 Mitglieder
gehabt habe, verboten worden, seine Tätigkeit weiter auszuüben. Nach dem Militärputsch 1980 seien dann
Aktivisten unter dem Vorwurf, Mitglied in der Organisation "Devrimci Halkin Birligi" und der TKP/ML zu sein,
festgenommen und verurteilt worden. Dazu habe auch er gehört.
Auch wenn die Aussagen des Zeugen ... und des Klägers im Hinblick auf den Gründungszeitpunkt, den
genauen Namen und die Mitgliederzahl des Vereins zum "Aufbau und Entwicklung von ..." geringfügig
voneinander abweichen, hat der Senat aufgrund der im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen keine
durchgreifenden Zweifel daran, daß diese Gruppe der "Devrimci Halkin Birligi" in dem Dorfe des Klägers
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durchgreifenden Zweifel daran, daß diese Gruppe der "Devrimci Halkin Birligi" in dem Dorfe des Klägers
bestanden hat, der Kläger Mitglied dieses Vereins war und sich dort auch als einfaches Mitglied betätigt hat.
Der Senat ist insbesondere entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts davon überzeugt, daß es
eine Organisation "Devrimci Halkin Birligi" seit Mitte der 70er Jahre in der Türkei gegeben hat. Nach den dem
Senat vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ist die Organisation "Devrimci
Halkin Birligi" -- Revolutionäre Volks-Einheit -- ebenso wie die "Halkin Birligi" -- Volks-Einheit -- als
linksextreme Splittergruppe aus der verbotenen Türkischen Kommunistischen Partei/Marxismus-Leninismus
(TKP/ML) hervorgegangen (II. 3., 4.). Beide Gruppen waren ideologisch ähnlich wie die TKP/ML an einer
marxistisch-leninistischen Gesellschaftsanalyse orientiert, nach der die Türkei ein Staat mit feudalistischen
Strukturen ist, die Großgrundbesitzern und der Großbourgeoisie gehöre. Die wirtschaftliche und
gesellschaftliche Macht der Großgrundbesitzer könne nur durch eine von den ländlichen Regionen
ausgehende Revolution, die dann auf die Städte übergreife, gebrochen werden; zur Errichtung eines
wahrhaft sozialistischen Staates, wie ihn die Volksrepublik China bis zum Tode Maos angestrebt habe, sei
ein Bürgerkrieg, der sich von einem Guerillakrieg bis zu dem Kampf einer regulären Armee, die dann die
Revolution vollende, entwickele, erforderlich (Dokument II. 8.). Die Errichtung eines marxistisch-leninistischen
Regimes in der Türkei nach einem mit terroristischen Mitteln durchgeführten Umsturz gehörte auch zur
Zielsetzung der "Devrimci Halkin Birligi" (Dokument II. 6.). Nach Verfallserscheinungen der TKP/ML nach dem
Tod ihres Führers Ibrahim Kaypakkaya im Jahre 1973, der die Partei 1972 gegründet hatte, erfolgte in den
Jahren 1974/1975 eine Reaktivierung der Partei, in deren Folge eine Gruppierung 1976 die zunächst legale
Zeitschrift "Halkin Birligi" herausgab; in den Jahren 1977/1978 spaltete sich davon unter anderem die
Gruppe "Devrimci Halkin Birligi" ab (Dokument II. 5.). Während davon auszugehen ist, daß die von der
Gruppe "Halkin Birligi" herausgegebene Zeitschrift gleichen Namens zunächst noch legal war (Dokumente II.
4., 5., 12.), war die Gruppe "Devrimci Halkin Birligi" von Anfang an illegal (Dokument II. 10.). Die Führung der
TKP/ML brachte zeitweise auch die von dem Kläger erwähnte und nach seinen Angaben von ihm in seinem
Dorf verteilte Zeitschrift "Ileri" heraus, die illegal war (Dokument II. 9.).
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist der Senat davon überzeugt, daß es die Organisation "Devrimci
Halkin Birligi" seit etwa Mitte der 70er Jahre in der Türkei gab und diese die dargestellten Ziele verfolgte. Da
sie wegen ihrer revolutionären Zielsetzung von Anfang an illegal war, erscheint es auch durchaus glaubhaft,
daß in dem Dorf des Klägers eine Untergruppe der "Devrimci Halkin Birligi" unter der Tarnbezeichnung eines
Vereins zur Dorfentwicklung gegründet wurde, die in Verbindung mit praktischer Arbeit für das Dorf den
Bewohnern die ideologischen Ziele der Organisation nahebringen sollte. Auch aus den herangezogenen
Erkenntnissen läßt sich aber nicht entnehmen, daß insbesondere in den Jahren 1978/1979, in denen der
Kläger in diesem Verein nach eigenem Bekunden tätig war, allgemeine staatliche Verfolgungsmaßnahmen
gegen diese Organisation stattfanden. So wird im Juni 1980 noch festgestellt, daß eine Verfolgung von
Mitgliedern dieser Gruppierungen außerhalb der Bestimmungen des türkischen Gesetzes über politische
Parteien von staatlichen türkischen Stellen allein wegen der Mitgliedschaft nicht betrieben werde (Dokument
II. 1.). Erst für die Zeit danach, so im März 1981 (Dokument II. 2.) wird dargelegt, daß allein wegen der
Mitgliedschaft zu der Organisation "Halkin Birligi" eine Strafverfolgung zu befürchten sei, wenn sie mit nach
den Bestimmungen des Türkischen Strafgesetzbuches strafbaren Aktivitäten verbunden war. Auch aus den
Bekundungen des Klägers und des Zeugen ... ist zu entnehmen, daß eine staatliche Verfolgung der
Mitglieder dieser Organisation nach dem Militärputsch im September 1980 einsetzte. Der Kläger hat dazu
ausgesagt, daß die Organisation nach dem Militärputsch 1980 praktisch aufgelöst worden sei; der Zeuge ...,
der über ein Verbot des Vereins nach den Ereignissen in ... -- also möglicherweise schon Ende 1978/Anfang
1979 -- berichtet hatte, hat von tatsächlichen Verfolgungsmaßnahmen und insbesondere Verhaftungen --
wie die ihn betreffende im März 1981 -- nur für die Zeit nach dem Militärputsch gesprochen. Auch in den
herangezogenen Dokumenten wird über Verhaftungen von Mitgliedern der der TKP/ML nahestehenden
Organisationen für die Zeit ab November 1980 berichtet (Dokument II. 7., 8.). Insgesamt ist danach nicht
festzustellen, daß der Kläger vor seiner Ausreise aus der Türkei politische Verfolgung erlitten hat oder ihm
eine derartige Verfolgung unmittelbar bevorstand.
III.
Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
asylrechtlich erhebliche politische Verfolgung, und zwar weder wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit
(1.), noch wegen seiner politischen Betätigung vor seiner Ausreise aus der Türkei (2.) oder wegen seiner
exilpolitischen Tätigkeit für KOMKAR in Deutschland (3.). Da der Kläger vor seiner Ausreise aus der Türkei
nicht politisch verfolgt war, ist der "normale" Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Prognose der
Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in das Heimatland zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, 31.03.1981 -- 9 C
286.80 --, EZAR 200 Nr. 3, 03.12.1982 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr. 6, 25.09.1984 -- 9 C 17.84 --, BVerwGE
70, 169 = EZAR 200 Nr. 12).
1. Allein wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit muß der Kläger im Falle einer jetzigen Rückkehr nicht
politische Verfolgung befürchten (ebenso Dokumente I. 42., 48. u. 49.). Der Senat kann nämlich -- trotz seit
der Ausreise des Klägers eingetretener erheblicher politischer Veränderungen -- nicht feststellen, daß die
kurdische Bevölkerungsgruppe im gegenwärtigen Zeitpunkt allgemein dem türkischen Staat
zuzurechnenden politischen Repressalien ausgesetzt ist. Auch insoweit stützt sich der Senat auf allgemein-
oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge und auf Tatsachenangaben aus den oben (S. 8 ff.)
aufgeführten Unterlagen.
Etwa acht Monate nach der Ausreise des Klägers, nämlich am 12. September 1980, übernahm General
Evren mit dem "Nationalen Sicherheitsrat" die Macht in der Türkei. Nach einer Übergangszeit von etwa zwei
Jahren wurde eine neue Verfassung von der verfassungsgebenden Versammlung erarbeitet, am 18. Oktober
1982 vom Nationalen Sicherheitsrat verabschiedet und nach der Bestätigung in der Volksabstimmung vom
7. November 1982 in Kraft gesetzt. Gleichzeitig wurde General Evren für sieben Jahre zum
Staatspräsidenten gewählt. Aufgrund der am 6. November 1983 durchgeführten Parlamentswahlen amtierte
Özal (AP) als Ministerpräsident bis November 1989. Im gleichen Monat wurde er zum achten
Staatspräsidenten der Republik Türkei gewählt. Das Kriegsrecht ist inzwischen in allen Provinzen
aufgehoben; nur in acht Provinzen des Südostens gilt weiter der Ausnahmezustand (Dokumente I. 48., 49.).
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Trotz der mit den neuen politischen Verhältnissen verbundenen Verschärfung und gesetzlichen Absicherung
der Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe kann eine ethnisch motivierte
Verfolgung auch gegenwärtig nicht angenommen werden, obgleich der türkische Staat nach wie vor den
Gebrauch der kurdischen Sprache behindert, die Kurden in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten
einschränkt und in den kurdischen Provinzen massiert Sicherheitskräfte einsetzt.
Der Konzeption als Einheitsstaat gemäß ist die Türkische Republik in der Präambel und in Art. 2 der seit 9.
November 1982 geltenden neuen Verfassung u.a. als dem Nationalismus Atatürks verbundener Staat
bezeichnet und in Art. 3 betont, daß sie in ihrem Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares Ganzes
darstellt und ihre Sprache Türkisch ist. Diese Grundprinzipien der Türkischen Republik sind nach Art. 4 der
Verfassung unabänderlich. Die Unabhängigkeit und Einheit des türkischen Volkes zu schützen, gehört nach
Art. 5 zu den Grundzielen und -aufgaben des Staates, und Art. 6 bezeichnet die türkische Nation als den
uneingeschränkten und unbedingten Souverän. Der Begriff der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und
Staatsvolk kehrt wiederholt in der Verfassung wieder, um die Beschränkung von Grundrechten und
Grundfreiheiten zu umschreiben, etwa in Art. 13 (Beschränkung der Grundrechte und -freiheiten), Art. 14
(Mißbrauch der Grundrechte und -freiheiten), Art. 27 (Freiheit der Wissenschaft und Kunst), Art. 28
(Pressefreiheit), Art. 30 (Schutz der Pressemitglieder) und Art. 33 (Vereinsgründungsfreiheit). Diese
Vorschriften entsprechen ähnlichen Regelungen früherer Verfassungen sowie offiziellen Verlautbarungen
maßgeblicher Repräsentanten der Türkischen Republik und politischen Äußerungen vorwiegend
rechtsgerichteter Parteiführer. Das Bekenntnis der Türkischen Republik zur Einheit des Staatsvolkes schließt
die Anerkennung eines anderen Volkstums innerhalb der Türkei und damit auch der kulturellen Eigenarten
des kurdischen Volkes aus. Zwar wird in Art. 10 Abs. 1 der Verfassung die Gleichheit vor dem Gesetz ohne
Rücksicht auf Unterschiede in Sprache, Rasse u.a. garantiert und damit die Existenz ethnischer
Minderheiten auf türkischem Staatsgebiet mittelbar bestätigt. Die Vorschriften über den Mißbrauch von
Grundrechten (Art. 14 Abs. 1) wenden sich aber gegen jeden, der u.a. Unterschiede in Sprache und Rasse
"schafft"; sie setzen also ähnlich wie die bereits genannten Formeln von der Einheit von Staatsgebiet und
Staatsvolk sowie von der Souveränität der türkischen Nation eine jedenfalls im wesentlichen einheitliche
ethnische Zusammensetzung des Staatsvolks voraus. Deshalb erscheinen diese Proklamationen einer
Übereinstimmung von Staatsvolk und türkischer Nation als unvereinbar mit der Annahme, die Türkei
verstehe sich als Vielvölkerstaat, in dem das Staatsvolk nicht in ethnischem, sondern nur in
staatsangehörigkeitsrechtlichem Sinne verstanden wird und in dem die türkische Mehrheit möglicherweise
einer oder mehreren völkischen Minderheiten gegenübersteht. Die demzufolge auch in der Verfassung von
1982 zum Ausdruck gelangte Negierung der Existenz der kurdischen Volksgruppe durch den türkischen
Staat rechtfertigt indessen nach wie vor nicht den Schluß auf eine staatlich bezweckte asylerhebliche
Zwangsassimilierung.
Nachdem in den letzten Jahren die rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse für die Benutzung der
kurdischen Sprache immer mehr verstärkt worden waren (vgl. auch Bollermann, ZAR 1986, 78, 85), scheint
sich in letzter Zeit aufgrund der Aufhebung des sogenannten Sprachenverbotsgesetzes von 1983 eine
Liberalisierung anzudeuten, die dem Gebrauch der kurdischen Sprache im Alltag mehr Raum gibt. Gemäß
Art. 3 der neuen Verfassung ist Türkisch die Sprache des Staates Türkei; im Verfassungsentwurf vom 17.
Mai 1982 hatte es noch geheißen: "Die offizielle Sprache ist Türkisch". Obwohl die Überschrift des Abschn. III
des Ersten Teils der Verfassung lautet "Die Einheit, Amtssprache ...", ist damit der allgemeine Gebrauch der
türkischen Sprache und nicht nur die Verwendung im amtlichen Verkehr gemeint; denn nach der
ausdrücklichen Vorschrift des Art. 176 der Verfassung kommt es insoweit allein auf den Wortlaut des
Verfassungstextes an und nicht auf die Überschriften der einzelnen Vorschriften an. Die damit erreichte
Hervorhebung des Türkischen als "Staatssprache" war dadurch verstärkt, daß bei der Äußerung oder
Verbreitung von Meinungen und bei Presseveröffentlichungen keine durch Gesetz verbotene Sprache
verwendet werden darf (Art. 26 Abs. 3 Satz 1, Art. 28 Abs. 2) und daß in den Erziehungs- und Lehranstalten
den türkischen Staatsbürgern als Muttersprache keine andere Sprache beigebracht und gelehrt werden darf
als die türkische (Art. 42 Abs. 9 Satz 1). Da anfangs die Große Nationalversammlung ihre Tätigkeit noch
nicht aufgenommen hatte und ein gesetzliches Verbot bestimmter Sprachen noch nicht bestand, waren die
Vorschriften des Art. 26 und 28 der Verfassung allerdings zunächst noch nicht in Kraft getreten bzw.
gegenstandslos (Art. 177, Dokument I. 20.).
Am 19. Oktober 1983 erging das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als der
türkischen Sprache" (Dokumente I. 41. u. 45.), das die Grundlagen und Verfahren regelte, "die auf
Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen Anwendung finden" (Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses
Gesetzes waren die Erklärung, Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache verboten,
die nicht die erste offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten Staates war. Art. 3 Abs. 1 bestimmte,
daß Türkisch die Muttersprache der türkischen Staatsangehörigen sei, und verbot jegliche Aktivität mit der
Zielsetzung des Gebrauchs und der Verwendung einer solchen Sprache auf Plakaten, Schallplatten u.a..
Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung seines Gegenstandes in Art. 1 nur
"Veröffentlichungen" betraf und nur auf die allein für die Presse geltende Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der
Verfassung Bezug zu nehmen schien, ging der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3 darüber hinaus und
erfaßte auch andere als veröffentlichte schriftliche Meinungsäußerungen. Eine verfassungsrechtliche
Grundlage dafür befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder
Verbreitung von Meinungen darf keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden ...". Deshalb
bestanden gewichtige Bedenken gegen die Auffassung, nur der "öffentliche" Gebrauch der kurdischen
Sprache sei untersagt und der private Bereich "nicht berührt" (Dokumente I. 38. u. 41.). Dagegen, daß nur
Veröffentlichungen in kurdischer Sprache von diesem Gesetz erfaßt wurden, sprach, daß ausdrücklich auch
die Erklärung von Gedanken bzw. Meinungen erwähnt war. Ob allerdings mit dem genannten Gesetz jede
Kommunikation auf Kurdisch pönalisiert und damit ein wesentlicher Teil des Alltags der kurdischen
Volksgruppe kriminalisiert wurde, war offen (Hess. VGH, 07.08.1986, ebenso schon Hess. VGH, 07.08.1986 -
- X OE 189/82 --, 06.11.1986 -- X OE 444/82 --, 13.11.1986 -- X OE 46/82 --). Denn es gibt keinen
Anhaltspunkt dafür, daß die türkischen Behörden beabsichtigten, eine derartige Sprachregelung
durchzusetzen und Verstöße dagegen auch strafrechtlich zu ahnden. Lediglich im Umgang mit Behörden
und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst wurde das Monopol der türkischen Sprache seit dem
Militärputsch auch durchgesetzt (Dokumente I. 13., 14., 17., 18.). Gegen den Gebrauch des Kurdischen bei
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Militärputsch auch durchgesetzt (Dokumente I. 13., 14., 17., 18.). Gegen den Gebrauch des Kurdischen bei
privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr wurde dagegen nicht eingeschritten (Dokumente I.
7., 12., 19., 22., 23., 24., 27., 28., 46., 48. u. 49.).
Das "Gesetz über Veröffentlichungen in anderen Sprachen als dem Türkischen" (Nr. 2932) ist durch Art. 23
e) des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors" (Nr. 3713) vom 12. April 1991 ersatzlos aufgehoben
worden (Dokumente I. 84., 85.). Daraus kann angesichts des in Art. 1 normierten Zwecks des
Sprachenverbotsgesetzes, dem Schutze der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk zu dienen,
entnommen werden, daß der Gebrauch einer anderen als der türkischen, insbesondere der Sprache der
Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei, nicht mehr als separatistische,
gegen die Einheit des türkischen Staates gerichtete Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der
Aufhebung der bisherigen Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes, die Muttersprache der türkischen
Staatsbürger sei türkisch, eingeräumt, daß türkische Staatsbürger auch eine andere Muttersprache haben
können, und damit mittelbar auch die Existenz anderer ethnischer Gruppen neben den Türken anerkannt,
wie dies auch schon in der oben dargestellten Feststellung des türkischen Staatspräsidenten Özal, in der
Türkei lebten 10 bis 12 Millionen Kurden (Dokumente I. 79.), zum Ausdruck kommt. Insgesamt wird durch die
Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes vor allem der öffentliche Gebrauch insbesondere der kurdischen
Sprache erheblich erleichtert. So ist gemäß Art. 3 Abs. 2 b) nicht mehr verboten, auf Versammlungen und
Demonstrationen Plakate in einer anderen als der türkischen Sprache zu zeigen und dort in diesen
Sprachen Schallplatten u. ä. abzuspielen. Das Verbot des Art. 26 Abs. 3 der Türkischen Verfassung, nach
dem bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet
werden darf, ist insoweit wieder gegenstandslos. Allerdings ist zugrundezulegen, daß die für bestimmte
Bereiche geltenden Verbote der Verwendung anderer Sprachen als des Türkischen, wie im Parteiengesetz
und Vereinsgesetz vorgesehen (Dokument I 45.), weiter bestehen.
In bezug auf die Pflege kurdischen Brauchtums ist es seit dem Militärputsch zu weitergehenden
Einschränkungen gekommen. So laufen Kurden, die ihre Volkszugehörigkeit im völkischen oder
gesellschaftlichen Bereich und ihr Verlangen nach politischer Autonomie oder Loslösung vom türkischen
Staat ostentativ bekunden, Gefahr, von der Polizei oder anderen Sicherheitskräften des Separatismus
bezichtigt zu werden (Dokumente I. 5., 10., 12., 14., 16., 23., 24., 25., 26., 27., 28., 29., 30., 32. u. 37.).
Wegen des schlichten Bekenntnisses zu ihrer Volkszugehörigkeit sind Kurden indessen nach wie vor nicht
von staatlicher Verfolgung bedroht (Dokumente I. 6., 7. u. 22.). Bestraft worden ist wegen eines solchen
Bekenntnisses bisher jedenfalls nur ein ehemaliger Minister aus der Regierung Ecevit (Dokumente I. 5., 6.,
7., 11. u. 12.), und eine eingeschränkte Pflege kurdischen Brauchtums ist weiterhin möglich (Dokumente I.
46., 28. u. 49.).
In engem Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen Verdachts des Separatismus stehen
die nach dem Militärputsch verstärkt unternommenen Razzien, die der Suche nach Waffen und dem
Aufspüren Krimineller dienen, die aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern oder
bestimmten Gecekondu-Bereichen erfassen und diese oft einer erniedrigenden, brutalen oder sonst
menschenrechtswidrigen Behandlung unterziehen (Dokumente I. 3., 4., 8., 15., 16., 25., 26., 48. u. 49.). Im
Zuge der Verfolgung kurdischer Separatisten kam es dabei im Herbst 1984 ("Operation Sonne") auch zu
türkischen militärischen Aktionen auf irakischem Gebiet (Dokumente I. 46., 47. u. 48.). Während teilweise
angenommen wird, diese Aktionen richteten sich systematisch gegen die kurdische Bevölkerung und sollten
deren Einschüchterung bewirken (Dokumente I. 4., 16. u. 17.), wird in anderen Berichten betont, kurdische
Siedlungsgebiete seien nur wegen der dort festzustellenden Häufigkeit von anarchistischen, extremistischen
und separatistischen Untergrundorganisationen besonders oft und hart betroffen (Dokumente I. 1., 6., 11.,
12., 19., 48. u. 49.). Man wird hierbei berücksichtigen müssen, daß tatsächlich der Anteil der Kurden an
separatistischen und terroristischen Gewalttätern groß zu sein scheint, die Grenzgebiete wegen der
möglichen Verbindung zu kurdischen Organisationen im Irak und im Iran objektiv besonders gefährdet
erscheinen und im übrigen in anderem Zusammenhang das Sicherheitsvakuum und die mangelnde
Präsenz der staatlichen Sicherheitsorgane in den Grenzregionen beklagt worden sind. Die verschiedentlich
geschilderte Brutalität und die scheinbare Wahllosigkeit und Willkür bei den Militäraktionen könnten
allerdings darauf hindeuten, daß mit ihnen das Ziel verfolgt wird, die Kurden auch wegen einer tatsächlich
vorhandenen oder ihnen unterstellten politischen Überzeugung oder ihrer Volkszugehörigkeit unter
Verletzung von Menschenrechten zu verfolgen. Es kann sich aber durchaus um Exzesse in Einzelfällen
handeln. Gegen eine gezielte und von den verantwortlichen Organen zumindest gebilligte Verfolgung spricht
letztlich, daß anläßlich derartiger Ausschreitungen den Betroffenen mit Sanktionen für den Fall gedroht
worden ist, daß sie diese Untaten anzeigen sollten (so auch Büchner, InfAuslR 1983, 236, 238).
Zwar ist aus der Mehrzahl der insoweit in Betracht zu ziehenden neueren Erkenntnisquellen nicht zu
entnehmen (Dokument. I 50., 53., 64.), ob und gegebenenfalls in welchem Umfang derartige
Ausschreitungen weiter stattgefunden haben, jedoch ist weiterhin nicht davon auszugehen, daß sich die
Situation, wie sie der erkennende Senat bereits in früheren Entscheidungen dargestellt hat (02.05.1988 --
12 OE 503/82 --, 18.09.1989 -- 12 UE 2700/84 -- u. 13.08.1990 -- 12 UE 2313/85 --), verbessert hat.
Zu den staatlichen Maßnahmen gehören auch Umsiedlungsaktionen. Sie wurden in Ausübung der
Notstandskompetenzen gemäß § 4 h der Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft Nr. 185 und unter Hinweis
auf das Gesetz Nr. 25 c (Siedlungsgesetz) und gemäß Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft Nr. 413 und 424
-- diese Rechtsgrundlage für die Verschärfung des Ausnahmezustandes im Südosten der Türkei wurde durch
die am 16. Dezember 1990 verkündete Verordnung Nr. 430 mit Gesetzeskraft ersetzt, wodurch sich
allerdings in der Praxis nur wenig ändert (Dokument I. 76.) -- durchgeführt (zur Frage der
Verfassungsmäßigkeit der Rechtsverordnung Nr. 424 -- insbesondere hinsichtlich der Begrenzung der
Siedlungsfreiheit gemäß Art. 2 b und der darauf gestützten Umsiedlungen --, Rumpf, Notstandsdiktatur in
Teilen der Türkei und ihre rechtliche Auswirkungen auf das Regime der Normalverfassung im übrigen
Staatsgebiet der Republik, EuGRZ 1990, 249). Dabei wurden unter Überwachung der Sicherheitskräfte vor
allem im Südosten des kurdischen Siedlungsgebietes Kurden gezwungen, ihre Dörfer, deren Gebäude zum
Teil danach niedergebrannt wurden, zu verlassen und in weiter westlich gelegene Ansiedlungen mit
Notbehausungen zu ziehen (Dokumente I. 72., 75.). Zum Teil wird über die Entsiedlung von über 100
Dörfern (I. 72.), zum Teil von über 200 Dörfern in den letzten fünf Jahren berichtet (Dokument I. 75.).
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Dörfern (I. 72.), zum Teil von über 200 Dörfern in den letzten fünf Jahren berichtet (Dokument I. 75.).
Nachdem wegen des Widerstandes der Dorfbewohner gegen diese Umsiedlungsaktionen negative
Reaktionen in der türkischen und internationalen Öffentlichkeit bekannt geworden waren, wurde aufgrund
eines Beschlusses des nationalen Sicherheitsrates vom 28. März 1990 über die "Beschleunigung der
Räumung der Dörfer" anstelle einer gewaltsamen Vertreibung der indirekte Druck zum Verlassen der Dörfer
durch das Leben in der Region nachhaltig erschwerende Maßnahmen so erhöht (Minenverlegung nahe der
Dörfer, Verbrennen von Wald und Obstbäumen aus Sicherheitsgründen, Meldeauflagen zur Information der
Gendarmerie über alle Vorgänge im Dorf, häufige Durchsuchungen), daß die Bewohner ihre Siedlungen
"freiwillig" verließen (Dokument I. 72.).
Bei der Beurteilung dieser Umsiedlungsaktionen ist zu berücksichtigen, daß wegen der schon oben
dargelegten gewalttätigen Aktionen kurdischer Organisationen in der Türkei, die insbesondere
Unterstützung von ihren Landsleuten in den Dörfern ihres Siedlungsgebietes fordern und zum Teil erhalten,
sowie wegen ihrer Verbindung zu kurdischen Gruppen im Irak und Iran, im Grenzgebiet im Dreiländereck der
Südosttürkei auch wegen seiner zum Teil schwer zugänglichen Regionen Ausübung staatlicher Gewalt unter
Sicherheitsaspekten sehr erschwert ist. Insofern erscheinen die Umsiedlungsaktionen als Maßnahmen zur
Aufrechterhaltung der innenpolitischen Sicherheit und Verteidigung der Grenzen nicht als gezielt gegen die
Kurden als Volksgruppe gerichtete Verfolgungsmaßnahmen. Soweit es dabei zu den Vorschriften
widersprechenden Übergriffen einzelner Angehöriger der Sicherheitskräfte kommt (Dokument I. 75.), gibt es
keine Erkenntnisse darüber, daß dies von den verantwortlichen Stellen gebilligt oder geduldet würde und
damit dem türkischen Staat als mittelbare Verfolgung zuzurechnen wäre.
2. Es ist auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Kläger im Falle seiner
Rückkehr in die Türkei mit politischer Verfolgung rechnen muß, weil er einer Unterorganisation der "Devrimci
Halkin Birligi" beigetreten war und sich bis zu seiner Ausreise für diese Organisation aktiv eingesetzt hat.
Allerdings ist für die Zeit nach dem Militärputsch im September 1980 nach den dem Senat vorliegenden
Erkenntnissen zugrunde zu legen, daß die Mitgliedschaft bei "Devrimci Halkin Birligi" und die aktive
Unterstützung dieser Organisation in der Türkei strafrechtlich verfolgt wurden. Nach den oben getroffenen
Feststellungen ist der Senat davon überzeugt, daß der Kläger in der Türkei Mitglied einer Untergruppe der
linksextremen, der TKP/ML nahestehenden Organisation "Devrimci Halkin Birligi" war, für die er sich auch
aktiv eingesetzt hat. Nach den übereinstimmenden Bekundungen des Klägers und der Zeugen E und A hat
der Kläger in dem von Mitgliedern der "Devrimci Halkin Birligi" gegründeten und maßgeblich beeinflußten
Verein zur Entwicklung des Dorfes ... praktisch mitgearbeitet, regelmäßig an den Veranstaltungen des
Vereins teilgenommen und auch die Zeitschriften der "Devrimci Halkin Birligi" und anderer der TKP/ML
politisch nahestehender Gruppierungen -- wie die Zeitung "Ileri", die ebenso wie die "Devrimci Halkin Birligi"
für die Ziele der Arbeiterrevolution in der Türkei eintrat -- im Dorf verteilt und für die Ziele der "Devrimci
Halkin Birligi" unter den Dorfbewohnern geworben.
Der Senat hält es für sehr wahrscheinlich, daß dem türkischen Staat die Mitgliedschaft und Betätigung des
Klägers in der "Devrimci Halkin Birligi" aufgrund der den türkischen Sicherheitsbehörden zugänglichen Listen
über die Mitglieder des Vereins im Wohnort des Klägers bekannt geworden sind. Der Kläger hat -- insoweit
übereinstimmend mit dem Zeugen ... -- bei seiner informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht
und auch in der Beweisaufnahme am 12. März 1991 glaubhaft bekundet, daß der Verein Listen mit den
Namen seiner Mitglieder geführt habe, die von der Polizei bei Durchsuchungen der Vereinsräume in der Zeit
nach dem Militärputsch gefunden worden seien. Der Zeuge ... hat dies konkretisierend bekundet, daß er
nach seiner Verhaftung im März 1981 -- unter dem Vorwurf, er sei Mitglied in der Organisation "Devrimci
Halkin Birligi" und der TKP/ML -- gehört habe, daß die Sicherheitsbehörden eine Liste der Mitglieder des
Vereins für den "Aufbau und Entwicklung von ..." gehabt hätten. Ihm seien Namen aus Listen vorgelesen
worden und er sei dazu befragt worden, was er über die Mitgliedschaft der auf der Liste stehenden Personen
in diesen Organisationen wisse. Dabei sei er auch nach dem Kläger gefragt worden, dessen Name auch auf
der Liste gestanden habe. Einige Mitglieder des Vereins, deren Namen sich in den Listen befunden hätten,
seien -- wie auch der Vorsitzende im Dorf, ... -- verhaftet und unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der
TKP/ML zu Haftstrafen verurteilt worden. Er selbst habe bis zum Juli 1983 in Untersuchungshaft gesessen
und sei 1986 zu acht Jahren Gefängnis und zwanzig Monaten Verbannung verurteilt worden. Aufgrund dieser
glaubhaften Aussage des Zeugen ... und der damit übereinstimmenden Bekundung des Klägers muß nach
Auffassung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß auch der Name des
Klägers in den den türkischen Behörden vorliegenden Listen über die Mitglieder des der "Devrimci Halkin
Birligi" nahestehenden Vereins enthalten ist und der Kläger deshalb mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen
muß.
Dafür, daß eine solche strafrechtliche Verfolgung tatsächlich durchgeführt wird, sprechen neben den
glaubhaften Angaben des Zeugen ... die von dem Senat herangezogenen Erkenntnisquellen. Danach haben
auch einfache Mitglieder der Organisationen "Halkin Birligi" und "Devrimci Halkin Birligi", die sich nicht an
gewaltsamen und terroristischen Aktionen beteiligt haben, aber durch ihre Mitgliedschaft die Zielsetzung
und Aktivitäten der Gruppen unterstützten, wegen dieser Unterstützung der nach türkischem Recht
verfassungswidrigen Aktivitäten mit Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der einschlägigen Bestimmungen
des türkischen Strafrechts zu rechnen (Dokument II. 4., 7.). So wurden einfache Mitglieder und Anhänger der
TKP/ML, denen keine Gewaltaktionen vorgeworfen wurden, wegen Mitgliedschaft und
Kommunismuspropaganda zu hohen Strafen von fünf und acht Jahren Haft verurteilt (Dokument II. 8.).
Insgesamt wurden viele Verfahren gegen Anhänger der "Devrimci Halkin Birligi" mit der Verhängung zum Teil
erheblicher Haftstrafen beendet (Dokument II. 10.). Unter Berücksichtigung dieser zahlreichen
strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen Mitglieder und Anhänger der "Devrimci Halkin Birligi" muß
auch der Kläger damit rechnen, daß er bei einer Rückkehr in sein Heimatland strafrechtlicher Verfolgung
ausgesetzt ist.
Die Strafverfolgung, die der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten
hat, wird aller Voraussicht nach an Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 des Gesetzes über die Bekämpfung von Terror
("Anti-Terror-Gesetz" -- ATG) anknüpfen. Eine dem Kläger ursprünglich gemäß Art. 141, 142 TStGB drohende
Verfolgung kommt nicht mehr in Betracht, da die Strafverfolgung gemäß § 142 TStGB verjährt ist und
zudem die Vorschriften durch Art. 23 b) ATG aufgehoben worden sind.
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Nach § 142 Abs. 1 TStGB wurde mit Zuchthaus von fünf bis zu zehn Jahren bestraft, wer in der Absicht, die
Diktatur einer Gesellschaftsklasse über eine Gesellschaftsklasse zu errichten oder eine Gesellschaftsklasse
zu unterdrücken, die wirtschaftliche oder soziale Grundordnung des Landes zu zerstören oder die politische
und rechtliche Ordnung des Staates völlig zu beseitigen, Propaganda in irgendeiner Form oder unter
irgendeinem Namen betrieb. Eine Strafverfolgung nach dieser Vorschrift dürfte angesichts der Ausreise des
Klägers aus der Türkei im Januar 1980 gemäß Art. 102 Nr. 3 TStGB verjährt sein. Danach entfällt das
öffentliche Verfahren bei Straftaten, die mit mehr als fünf Jahren und weniger als 20 Jahren Zuchthaus
bewehrt sind, nach zehn Jahren.
Nicht verjährt gewesen sein dürfte allerdings die Strafverfolgung aus § 141 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 TStGB wegen
Teilnahme an einer Vereinigung, die die Absicht verfolgte, die Diktatur einer Gesellschaftsklasse über eine
andere Gesellschaftsklasse zu errichten oder eine Gesellschaftsklasse zu unterdrücken oder die
wirtschaftliche oder soziale Grundordnung des Landes zu zerstören. Das Strafmaß für diese Tat betrug fünf
bis 12 Jahre Zuchthaus. Die spätestens im Januar 1980 begonnene Verjährung dürfte im Hinblick auf diese
Straftat gemäß Art. 106 TStGB unterbrochen worden sein. Danach unterbrechen die wegen einer Straftat
getroffenen, die Verjährung unterbrechenden Verfügungen die Verjährung auch gegenüber solchen an
dieser Straftat beteiligten Personen, gegen die eine Verfolgung oder Untersuchung nicht eingeleitet worden
ist. Eine Bestrafung nach Art. 141 Abs. 1, Abs. 5 TStGB könnte wegen der Mitgliedschaft und Betätigung des
Klägers in der "Devrimci Halkin Birligi", die als Untergruppe der TKP/ML ebenso wie diese die Errichtung eines
marxistischleninistischen Regimes in der Türkei nach einem gegebenenfalls auch mit gewaltsamen Mitteln
durchgeführten Umsturz anstrebte, in Betracht kommen. Nach der glaubhaften Aussage des in der
Beweisaufnahme am 12. März 1991 vernommenen Zeugen A sind Mitglieder der Gruppe, der der Kläger in
seinem Wohnort angehörte, darunter auch der Vorsitzende, verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt worden.
Nach seiner Inhaftierung ist der Zeuge nach seinen glaubhaften Angaben selbst nach dem Kläger gefragt
worden, dessen Name nach seiner Bekundung auf von der Polizei beschlagnahmten Listen der Mitglieder
der örtlichen Organisation stand. Da somit Strafverfahren gegen Mitglieder der örtlichen Gruppe der
"Devrimci Halkin Birligi", zu der auch der Kläger gehörte, durchgeführt wurden, kann davon ausgegangen
werden, daß durch Verurteilungen und Haftbefehle im Sinne des Art. 104 Abs. 1 TStGB die Verjährung der
öffentlichen Klage gegen den an derselben Vereinigung im Sinne des Art. 141 Abs. 1 TStGB beteiligten
Kläger unterbrochen wurde. Auf dieser Grundlage konnte der Kläger somit auch bei Inkrafttreten des "Anti-
Terror-Gesetzes" im April 1991 noch bestraft werden. Nach Art. 2 Abs. 2 TStGB ist allerdings das für den
Kläger günstigere Gesetz anzuwenden und zu vollstrecken, soweit die Bestimmungen des Gesetzes, das zur
Zeit der Begehung eines Vergehens gegolten hat, und die des später erlassenen Gesetzes verschieden
sind. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ATG wird mit drei bis fünf Jahren Zuchthaus und einhundert bis dreihundert
Millionen TL bestraft, wer einer Organisation beitritt, die unter Art. 1 ATG fällt. Nach Art. 1 Abs. 1 ATG ist --
soweit hier relevant -- Terror jede Art von Aktivität, die durch irgendeine Methode von Zwang, Gewalt,
Versetzen in Angst und Schrecken oder Bedrohung von einer oder mehreren zu einer Organisation
gehörigen Personen mit dem Ziel begangen wird, die politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung der
Republik zu ändern oder die öffentliche Ordnung zu zerstören.
Da Art. 2 Abs. 2 TStGB nach Aussage der Sachverständigen Dr. Tellenbach in der mündlichen Verhandlung
am 19. Juni 1991 sowohl Fälle betrifft, in denen bereits ein Verfahren eröffnet wurde, als auch solche, in
denen ein Verfahren zu eröffnen sein wird, ist diese die übergangsweise Anwendung alter und neuer
Strafvorschriften regelnde Vorschrift auch im Hinblick auf eine Strafverfolgung des Klägers anwendbar.
Danach ist für den Fall, daß eine in der Vergangenheit begangene Tat, für die noch kein Verfahren eröffnet
oder für die noch keine Anklage erhoben war, nach einer Vorschrift des Anti-Terror-Gesetzes strafbar ist,
nicht ausgeschlossen, daß hierauf die Übergangsvorschrift des Art. 2 Abs. 2 TStGB angewandt wird mit der
Folge, daß ein Verfahren stattfindet. Ob ein Straftatbestand für den Täter "günstiger" ist, ist insbesondere
danach zu beurteilen, ob an die Voraussetzungen der Strafbarkeit geringere oder höhere Anforderungen
gestellt werden; zudem ist das Strafmaß von entscheidender Bedeutung. Voraussetzung für die
Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 2 TStGB ist nach Darlegung der Sachverständigen Dr. Tellenbach Identität
der aufgehobenen und der neu in Kraft getretenen Norm. Dies bedeutet, daß der Tatbestand und das
geschützte Rechtsgut im wesentlichen übereinstimmen müssen. Art. 141 TStGB richtete sich vor allem
gegen kommunistische Organisationen. Sinn und Zweck des Anti-Terror-Gesetzes ist nach Einschätzung der
Sachverständigen Dr. Tellenbach unter anderem auch, strafrechtliche Sanktionen gegen gewaltfreie
kommunistische Organisationen abzubauen. Dementsprechend sind die verschiedene Aktivitäten -- wie
Organisation, Teilnahme und Propaganda -- für eine kommunistische Vereinigung sanktionierenden
Tatbestände der §§ 141, 142 TStGB aufgehoben worden. Strafbar bleibt aber "jede Art von Aktivität" im
Sinne des Art. 1 ATG. Strafbar ist insoweit nach dem Anti-Terror-Gesetz nur, wer Organisationen gründet,
organisiert, leitet oder beitritt oder unterstützt, die als "terroristische Organisationen" unter Art. 1 ATG fallen.
Danach ist Terror jede Art von Aktivitäten, die durch irgendeine Methode von Zwang, Gewalt, Versetzen in
Angst und Schrecken oder Bedrohung durch eine oder mehrere zu einer Organisation gehörige Personen
mit dem Ziel begangen werden, die in der Verfassung festgelegten Merkmale der Republik, ihre politische,
rechtliche, soziale, laizistische oder wirtschaftliche Ordnung zu ändern, die untrennbare Einheit von
Staatsgebiet und Staatsvolk zu zerstören, die Existenz des türkischen Staates und der Republik zu
gefährden, die Staatsgewalt zu schwächen, zu zerstören oder an sich zu reißen, die Grundrechte und -
freiheiten zu vernichten, die innere und äußere Sicherheit des Staates, die öffentliche Ordnung oder die
öffentliche Gesundheit zu zerstören. Damit wird jede Art gewaltsamen Engagements auch für
kommunistische Organisationen, die nach ihrem Programm grundsätzlich und in der Regel die soziale und
wirtschaftliche Ordnung in der Türkei ändern wollen, gemäß Art. 1 Abs. 1 ATG als Terror bezeichnet und
gemäß Art. 7 ATG unter Strafe gestellt. Das Rechtsgut, die derzeitige soziale und wirtschaftliche Ordnung
der Türkei, soll jedenfalls gegenüber den in Art. 1 Abs. 1 ATG zum Teil vage umrissenen "Terror"-Aktivitäten
geschützt werden; es ist insoweit grundsätzlich mit der in Art. 141 Abs. 1 TStGB genannten "wirtschaftlichen
und sozialen Grundordnung des Landes" identisch. Allerdings wird das -- nicht unter Art. 1 Abs. 1 ATG
fallende -- gewaltfreie Engagement für kommunistische Organisationen nicht mehr strafrechtlich
sanktioniert. Soweit ein gewaltsamer Einsatz für eine kommunistische Gruppierung vorliegt, stimmen die
Tatbestände des Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG und des Art. 141 Abs. 1, Abs. 5 TStGB im
wesentlichen überein.
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Ist somit Art. 2 Abs. 2 TStGB auf die Tatbestände des Art. 7 Abs. 1 ATG und des § 141 Abs. 5 TStGB
anwendbar, wird nach dieser Vorschrift auf die Betätigung des Klägers für die "Devrimci Halkin Birligi" wohl
nunmehr Art. 7 Abs. 1 ATG statt des bisher einschlägigen Art. 141 Abs. 5 TStGB anzuwenden sein. Denn Art.
7 Abs. 1 ATG ist insoweit als das günstigere Gesetz zu beurteilen. Zum einen sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen -- Beitritt oder Unterstützung einer terroristischen Organisation im Sinne des Art. 1 Abs. 1
ATG -- deutlich enger als in Art. 141 Abs. 5 TStGB, für dessen Verwirklichung jede Teilnahme an einer
(kommunistischen) Organisation mit den in Art. 141 Abs. 1 TStGB beschriebenen Zielen ausreichte.
Niedriger ist auch der in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ATG für den Beitritt zu einer solchen Organisation vorgesehene
Strafrahmen von drei bis fünf Jahren Zuchthaus sowie die für die Unterstützung von Mitgliedern der gemäß
Art. 7 Abs. 1 gebildeten Organisation normierte Strafe von ein bis fünf Jahren Gefängnis. Nach Art. 141 Abs.
5 TStGB betrug die Strafe für die Teilnahme an der in Art. 141 Abs. 1 TStGB genannten Vereinigung fünf bis
12 Jahre Zuchthaus. Nach der für das Verhältnis von Art. 8 ATG und Art. 142 TStGB -- hier entsprechend --
geltenden Feststellung der Sachverständigen Dr. Tellenbach dürfte die in Art. 7 Abs. 1 ATG normierte
Geldstrafe gemäß Art. 2 Abs. 2 TStGB nicht verhängt werden, weil sie in Art. 141 Abs. 5 TStGB nicht
vorgesehen war.
Voraussetzung für eine Strafbarkeit des Klägers nach Art. 7 Abs. 1 ATG wegen seiner Betätigung für die
"Devrimci Halkin Birligi" ist zunächst, daß die Organisation unter Art. 1 fällt. Nach der von der
Sachverständigen Dr. Tellenbach gegebenen -- unter Berücksichtigung des Wortlauts und des oben
dargestellten Sinn und Zwecks -- nachvollziehbaren Auslegung des Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG
fallen darunter nicht Organisationen, deren Mitglieder vereinzelt Gewalt anwenden, zu deren Programm die
Gewaltanwendung aber nicht gehört. "Terroristische" Aktivitäten einzelner Mitglieder einer auf Gewaltfreiheit
angelegten Organisation erfüllen nicht den Tatbestand des Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG. Nach den
dem Senat vorliegenden Erkenntnissen ist die aus der TKP/ML hervorgegangene "Devrimci Halkin Birligi" zur
Durchsetzung ihres auf die Errichtung eines marxistisch-leninistischen Regimes gerichteten Programms
auch vor Gewalttaten nicht zurückgeschreckt (Dokument II. 10.). Die TKP/ML und ihre Fraktionen, zu denen
auch die "Devrimci Halkin Birligi" gehörte, strebten mit terroristischen Mitteln den Umsturz in der Türkei an
(Dokument II. 2.). Waffen und bewaffnete Auseinandersetzungen waren wichtige Bestandteile einer
Strategie, die über einen zum Bürgerkrieg ausgeweiteten Guerillakrieg die Revolution herbeiführen sollte
(Dokument II. 8.). Den Mitgliedern der Untergruppen der TKP/ML wurden zahlreiche Gewalttaten zur Last
gelegt, bei ihnen wurden immer wieder Waffen in großem Umfang sichergestellt (Dokument II. 7.). Nach den
Auskünften des Auswärtigen Amtes war es offensichtlich eher die Ausnahme, daß es "tatsächliche einfache
Mitglieder dieser Organisation" gab, die sich nicht an Gewalt und Terror beteiligt haben oder beteiligen
wollten (Dokument II. 4., 6.). Auf dieser Grundlage ist die "Devrimci Halkin Birligi" als eine
linksextremistische, kommunistische Organisation zu qualifizieren, zu deren Strategie jedenfalls auch der
Einsatz von Gewalt für die Durchsetzung der von ihr verfolgten Ziele gehörte. Da zu der "Devrimci Halkin
Birligi" gehörende Personen Gewalttaten mit dem Ziel begingen, die politische, soziale und wirtschaftliche
Ordnung in der Türkei zu ändern, ist sie eine Organisation, die gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ATG "unter Art. 1
fällt".
Der Kläger ist dieser Organisation auch im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ATG beigetreten und hat ihr im
Sinne des Art. 7 Abs. 2 Hilfe geleistet. Aufgrund der Bekundungen des Klägers und der damit im
wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeugen ... und ... steht fest, daß es in dem Wohnort des
Klägers in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, in dem Dorf ... eine von Mitgliedern der "Devrimci Halkin Birligi"
gesteuerte Gruppierung gab, die als Verein für den Aufbau und die Entwicklung von M bezeichnet wurde. Der
Kläger, der sich selbst als Teil der revolutionär gesonnenen Kurden in diesem Dorf einstufte, war in dieser
Gruppe politisch engagiert, er beteiligte sich an politischen Demonstrationen, nahm an den
Zusammenkünften des Vereins regelmäßig teil und verteilte Zeitschriften an die Dorfbewohner, unter
anderem die Zeitschrift "Ileri", deren Ziel -- wie oben schon dargestellt -- die Arbeiterrevolution war. Der
Verein leistete, wie insbesondere der Zeuge A dargelegt hat, tatsächlich praktische Arbeit zur
Dorfentwicklung, insbesondere für den Straßenbau und die Wasserversorgung; ihm wurde aber schon zur
damaligen Zeit von Sicherheitsbehörden kommunistische Propaganda vorgeworfen, da unter den
Mitgliedern von der TKP/ML und ihren Fraktionen beeinflusste Zeitschriften kursierten und verteilt wurden.
Unabhängig davon, ob der Verein organisatorischer Teil der "Devrimci Halkin Birligi" war -- nach der Aussage
des Zeugen ... gehörte er keiner politischen Organisation an --, unterstützte er die Politik der TKP/ML, zumal
seinem Vorstand nach der Bekundung des Zeugen ... "mehrere Revolutionäre" angehörten, die politisch
arbeiteten. Insgesamt ist danach festzustellen, daß der Dorfentwicklungsverein von Aktivisten der "Devrimci
Halkin Birligi" gegründet wurde, um eine Basis zur Unterstützung der Arbeit dieser Organisation zu schaffen,
von diesen geleitet wurde und der politischen Unterstützung der Strategie und Ziele der TKP/ML und ihrer
Fraktionen diente. Die politische Mitarbeit in dieser legalen Tarngruppe wurde nach der Aussage des Zeugen
... der Mitarbeit in den illegalen Fraktionen der TKP/ML, die nicht offiziell und öffentlich auftreten konnten,
gleichgestellt. Deshalb ist die Mitgliedschaft in dieser legalen Tarngruppe der "Devrimci Halkin Birligi" als
Beitritt zu dieser Organisation zu werten. Jedenfalls stellt es sich als Hilfeleistung für diese Organisation im
Sinne des Art. 7 Abs. 2 ATG dar.
Die dem Kläger deshalb nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG drohende Bestrafung stellt
jedenfalls dann, wenn einer Organisation beigetreten oder Hilfe geleistet wird, die "Terror" im Sinne des Art.
1 Abs. 1 ATG ausübt, indem sie Gewalttaten zur Durchsetzung der in Art. 1 Abs. 1 ATG genannten Ziele
begeht, keine politische Verfolgung dar. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus
der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR
502/86 --, a.a.O.). Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung, wie sie auch die materiellen
Normen des Anti-Terror-Gesetzes darstellen, können asylrechtsbegründend sein. Liegt eine betätigte
politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts, so kann eine staatliche Verfolgung von
Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen -- insbesondere
separatistische und politisch-revolutionäre Aktivitäten --, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Dagegen
ist die Verfolgung kriminellen Unrechts, die dem Schutz der privaten Rechtsgüter der Bürger vor -- auch
politisch motivierten -- Straftaten dient, keine politische Verfolgung. Auch die Verfolgung von Taten, die sich
gegen politische Rechtsgüter richten, stellen keine politische Verfolgung dar, wenn die Verfolgung nicht der
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gegen politische Rechtsgüter richten, stellen keine politische Verfolgung dar, wenn die Verfolgung nicht der
mit dem Delikt betätigten politischen Überzeugung als solcher gilt, sondern einer in den Taten zum
Ausdruck kommenden zusätzlichen kriminellen Komponente, deren Strafwürdigkeit der Staatenpraxis
geläufig ist (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, siehe zuletzt 25.04.1991 -- 2 BvR
1437/90 --). Die Verfolgung solcher Straftaten kann aber wieder in politische Verfolgung umschlagen, wenn
objektive Umstände darauf schließen lassen, daß der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen
Merkmals verfolgt wird. Dies ist insbesondere zu vermuten, wenn er eine Behandlung erleidet, die härter ist
als die sonst zur Verfolgung ähnlicher -- nicht politischer -- Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im
Verfolgungsstaat übliche (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 --, a.a.O.). Entscheidend ist, daß der
Unrechtsgehalt des Straftatbestandes nicht durch den Angriff auf das politische Rechtsgut geprägt ist. Auch
dann liegt aber keine politische Verfolgung vor, wenn der Tatbestand nur dazu dient, um einen Angriff auf
Rechtsgüter anderer Bürger in der bei Ahndung solcher Taten üblichen Intensität zu bestrafen (BVerfG,
20.12.1989 -- 2 BvR 958/86 --, a.a.O.).
Auf der Grundlage dieser Kriterien der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung stellt die Strafverfolgung
nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 wegen Beitritts oder Unterstützung einer Organisation im Sinne des Art. 1 Abs. 1
ATG, soweit diese Organisation "Terror" im Sinne dieser Norm durch Anwendung von "Gewalt" ausübt, keine
politische Verfolgung dar. Zwar kann die strafrechtliche Verfolgung von Tätern, die Organisationen beitreten
oder diese unterstützen, deren Mitglieder ihre in Art. 1 Abs. 1 ATG genannten politischen Ziele auch mit
Gewalt erreichen wollen, grundsätzlich politische Verfolgung sein. Soweit allerdings zugrunde zu legen ist,
daß maßgeblich für diesen Tatbestand der Schutz privater Rechtsgüter der Bürger ist, handelt es sich um
Verfolgung allgemein kriminellen Unrechts ohne ursächliche Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal.
Dazu ist für die Strafbarkeit nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG, soweit es sich um mit
"Gewalt" ihre Ziele verwirklichende Gruppen handelt, auszugehen. Die Sachverständige Dr. Tellenbach hat in
der mündlichen Verhandlung dargelegt, daß das Anti-Terror-Gesetz dazu dient, strafrechtliche Sanktionen
gegen gewaltfreie kommunistische Organisationen abzubauen. Eine Gruppe, die politische Ziele mit
demokratischen Spielregeln erstrebe, sei keine terroristische Organisation. In der Praxis sei dies vor allem
für kommunistische Gruppierungen von Bedeutung. Auch eine Organisation, zu deren Programm die
Gewaltanwendung nicht gehört, bei der aber unter Umständen einzelne Mitglieder Gewalt anwenden, fällt
nach dieser Bewertung nicht unter Art. 1 Abs. 1 ATG. Daraus ist zu folgern, daß der Schwerpunkt des
strafrechtlichen Vorwurfs in Art. 1 Abs. 1 ATG nicht in der Verfolgung bestimmter politischer Ziele liegt, also
mit einer Bestrafung und Heranziehung dieser Norm nicht auf eine bestimmte politische Überzeugung
zugegriffen werden soll, sondern der Grund für die Strafbarkeit des in Art. 1 Abs. 1 ATG normierten
Verhaltens, jedenfalls soweit diese Tatbestandsvoraussetzung erfüllt ist, in der Anwendung von Gewalt liegt.
Von den in Art. 1 Abs. 1 ATG als "Terror" qualifizierten Aktivitäten ist die Ausübung von Gewalt die am
stärksten auch in private Rechtsgüter der Bürger eingreifende Tatmodalität. Es ist deshalb anzunehmen,
daß diese Begehungsweise auch den Einsatz terroristischer Mittel, also insbesondere den Einsatz
gemeingefährlicher Waffen oder Angriffe auf das Leben Unbeteiligter umfaßt. Unabhängig davon, ob die
Asylverheißung nicht mehr für Asylsuchende gilt, die ihre politische Überzeugung unter Einsatz
terroristischer Mittel betätigen (BVerwG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 --, a.a.O.; nach Auffassung des
erkennenden Senats fraglich, aber im Ergebnis offen gelassen: Hess. VGH, 13.05.1991 -- 12 UE 2213/84 --),
stellt die strafrechtliche Bewehrung terroristischer Taten zur Durchsetzung politischer Zwecke einen der
Staatenpraxis geläufigen Rechtsgüterschutz dar. Die strafrechtliche Verfolgung solcher Taten gilt nicht der
mit einem Delikt betätigten politischen Überzeugung, sondern der in der Straftat zum Ausdruck
kommenden zusätzlichen kriminellen Komponente. Sie dient dem Schutz der privaten Rechtsgüter der
Bürger vor gemeingefährlichen Gewalttaten, die aus politischen Motiven auch gegen Unbeteiligte begangen
werden. Es ist in der Staatenpraxis durchaus üblich, zum Schutz vor politisch motivierten, gewaltsamen,
insbesondere terroristischen Taten, schon die Bildung einer Organisation, deren Tätigkeit auf die Begehung
von Gewalttaten -- auch zur Verwirklichung politischer Ziele -- gerichtet ist, strafrechtlich zu verfolgen (vgl.
§§ 129, 129 a StGB, Bildung krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen).
Eine Bestrafung nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG in der Begehungsmodalität "Gewalt" ist
auch nicht deshalb als politische Verfolgung zu qualifizieren, weil objektive Umstände darauf schließen
lassen, daß sie an ein asylrelevantes Merkmal anknüpft. Denn die Sanktion ist nicht schärfer, als dies sonst
bei der Verfolgung ähnlicher Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit in der Türkei üblich ist. So werden
Personen, die eine Vereinigung zur Begehung von Vergehen (auch) gegen Personen oder Sachen bilden,
mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft; wenn Angehörige dieser Vereinigung durch Berge und Felder oder
auf öffentlichen Wegen streifen, ist die Strafe drei bis zehn Jahre Zuchthaus (Art. 313 Abs. 1, Abs. 2 TStGB).
Auch die Sachverständige Dr. Tellenbach hat deutlich gemacht, daß sie den Unterschied des Strafrahmens
des Art. 7 ATG und vergleichbarer anderer Straftaten als nicht erheblich einstuft, sondern einen relevanten
Unterschied vor allem hinsichtlich der Strafvollstreckung sieht. Nach Art. 17 Abs. 1 ATG werden die nach
dem Anti-Terror-Gesetz zu Freiheitsstrafen Verurteilten, die drei Viertel der Strafe verbüßt haben, ohne
Antrag bedingt entlassen, wenn sie sich gut geführt haben. Demgegenüber kann nach Darlegung der
Sachverständigen Dr. Tellenbach aufgrund des Strafvollzugsgesetzes in der Türkei eine Strafaussetzung
nach einer Teilverbüßung von zwei Fünftel der Strafe erfolgen. Auch diese Regelung läßt nach Auffassung
des Senats aber nicht darauf schließen, daß die strafrechtliche Ahndung wegen eines asylerheblichen
Merkmals erfolgte. Soweit jedenfalls, wie dies im vorliegenden Falle dem Kläger drohen könnte, eine
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Beitritts zu oder Unterstützung einer Organisation gemäß Art. 7
Abs. 1, Abs. 2, ATG erfolgen sollte, die politische Ziele im Sinne des Art. 1 Abs. 1 ATG durch Gewalttaten zu
erreichen versucht, dient die spätere bedingte Entlassung gerade auch dem Zweck des stärkeren Schutzes
der Rechtsgüter aller Bürger vor Gewalttaten von nach ihrer Programmatik grundsätzlich gewaltbereiten
Organisationen, die durch Mitglieder oder Außenstehende unterstützt werden. Die Entscheidung über eine
bedingte Entlassung aus der Strafhaft an der Tat zu orientieren, entspricht durchaus der Praxis der
Strafvollstreckung in anderen Staaten. So kann nach § 57 StGB die Strafvollstreckung des Restes einer
zeitigen Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden. Nach § 57
Abs. 2 StGB sind bei der Entscheidung darüber insbesondere auch die Umstände der Tat zu
berücksichtigen. Demgemäß erscheint es im Hinblick auf den -- oben dargelegten -- kriminellen Gehalt der
Tat nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG und den Rechtsgüterschutz als eine auf allgemeine
strafrechtliche Zwecke gerichtete Regelung, daß jedenfalls hinsichtlich der hier relevanten
Regelungsmodalität des Art. 1 Abs. 1 ATG generalisierend vom Gesetzgeber eine bedingte Entlassung erst
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Regelungsmodalität des Art. 1 Abs. 1 ATG generalisierend vom Gesetzgeber eine bedingte Entlassung erst
später ermöglicht wird. Nach Auffassung des Senats ist jedenfalls insoweit nach dem Kriterium der
"objektiven Gerichtetheit" der Regelung zwischen den einzelnen Tatbestandsmodifikationen des Art. 1 Abs. 1
ATG im Hinblick auf die Anknüpfung der Strafbarkeit an ein asylerhebliches Merkmal zu differenzieren.
Zusammenfassend ist deshalb davon auszugehen, daß eine dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei
nach Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ATG drohende Bestrafung keine politische Verfolgung darstellt.
Strafrechtliche Verfolgung nach Art. 8 ATG, die in der Regel als politische Verfolgung zu qualifizieren ist
(Hess. VGH, 13.05.1991 -- 12 UE 2213/84 --), droht dem Kläger nicht, da nach den dem Senat vorliegenden
Erkenntnissen die TKP/ML und die ihr nahestehenden Gruppen wie die "Devrimci Halkin Birligi" keine
öffentliche Propaganda getrieben haben, die die Zerstörung der unteilbaren Einheit des Staatsgebietes und
des Staatsvolkes der Türkei zum Ziel hatte. Die Voraussetzungen dieser insbesondere auf die öffentliche
Werbung für einen eigenständigen kurdischen Staat oder eine Autonomie der kurdischen Siedlungsgebiete
zielenden Vorschrift liegen nicht vor. Zum einen hat der Kläger auf die Frage, ob innerhalb der "Devrimci
Halkin Birligi" für die Eigenständigkeit des kurdischen Volkes geworben worden sei, nur bekundet, ihnen sei
gesagt worden, die Kurden könnten nach der Arbeiterrevolution eine Autonomie oder sogar einen
selbständigen Staat bekommen. Mehr sei dazu nicht gesagt worden. Eine allgemeine öffentliche
Propaganda dieses Zieles durch die "Devrimci Halkin Birligi" ist daraus nicht zu folgern. Zudem hat der
Kläger keinerlei Angaben dazu gemacht, daß er selbst solche Propaganda durchgeführt hätte.
Auch eine strafrechtliche Verfolgung nach anderen Vorschriften des Türkischen Strafgesetzbuches, die
politische Verfolgung sein könnte, droht dem Kläger wegen seines Verhaltens vor seiner Ausreise aus der
Türkei bei einer Rückkehr in sein Heimatland nach Auffassung des Senats nicht.
3. Politische Verfolgung droht dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit auch nicht deshalb, weil er sich in Deutschland der Organisation "KOMKAR"
angeschlossen und für diese als einfaches Mitglied auch betätigt hat.
Der Senat glaubt dem Kläger aufgrund seiner Angaben und der Aussage des Zeugen ... in der
Beweisaufnahme am 12. März 1991, daß er, nachdem er sich bis 1982 in der Bundesrepublik Deutschland
nicht besonders politisch betätigt hat, danach öfters an Sitzungen, Veranstaltungen und Demonstrationen
des Kurdischen A-vereins in F, der dem Dachverband der Kurdischen A-vereine in Deutschland "KOMKAR"
angehört, teilgenommen hat. Der Kläger hat glaubhaft als seine besonderen politischen Aktivitäten in
diesem Rahmen das Verteilen von Zeitschriften, die Teilnahme am Newroz-Fest, das Plakatieren für
Veranstaltungen, den Verkauf von Karten und die Tätigkeit als Ordner bei Veranstaltungen angegeben. Er
hatte aber nach der glaubhaften Bekundung des Zeugen ..., der selbst Mitglied des Vorstandes des
Kurdischen A-vereins in F ist, keine besondere Funktion in dem Verein. Zudem konnte der Verein nach
Aussage dieses Zeugen seit 1988 keine politischen Aktivitäten -- bis auf eine Solidaritätsveranstaltung im
Oktober/November 1990 für die Zeitschrift "Deng" -- mehr entfalten, da er keine feste Tagungsstätte mehr
habe. Der Verein nehme an politischen Aktionen des Dachverbandes KOMKAR im Bundesgebiet teil. Nach
den übereinstimmenden Bekundungen des Klägers und des Zeugen E stand der Kläger seit Ende 1982 dem
Kurdischen A-verein als Sympathisant nahe, bis er 1987 als Mitglied in den Verein eintrat. Insgesamt kann
aus den allgemeinen und vagen Angaben des Klägers über seine Verbindung zu dem der "KOMKAR"
angehörenden Kurdischen A-verein in F nicht entnommen werden, daß seine Aktivitäten und die Beteiligung
an politischen Aktionen ein solches Maß erreicht hätten, daß mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
angenommen werden muß, den türkischen Sicherheitsbehörden sei die exilpolitische Betätigung des
Klägers bekanntgeworden, so daß hieran bei einer Rückkehr in sein Heimatland Strafverfolgung angeknüpft
werden könnte.
Zwar legt der Senat hinsichtlich des Bekanntwerdens exilpolitischer Betätigung insbesondere von Kurden
prinzipiell zugrunde, daß türkische Stellen staatsfeindliche Tätigkeiten von Türken im Ausland besonders
aufmerksam verfolgen (Dokument IV. 26., 28.). Nach den vorliegenden Erkenntnissen beobachtet der
türkische Geheimdienst insbesondere politisch aktive, oppositionelle und staatsfeindliche Organisationen
(Dokument IV. 36.). Besonderes Augenmerk gilt dabei, je nach Bewertung der Gefährlichkeit der einzelnen
Gruppe, den im besonderen Maße aktiv Engagierten (Dokument IV. 28., 35.). Vorrangig werden vor allem
solche Organisationen und Personen strafrechtlich verfolgt, die sich an subversiven, gegen das eigene
Sicherheitsinteresse des türkischen Staates gerichteten Aktivitäten beteiligen (Dokument IV. 34.). So hat
der Senat im Hinblick auf ein Vorstandsmitglied eines dem "KOMKAR" angehörenden Kurdischen A-vereins
angenommen, daß dessen hervorgehobene politische Tätigkeit, unter anderem als Mitglied einer kurdischen
Tanz- und Gesangsgruppe, die in einer Fernsehsendung auftrat, und durch die Beteiligung an einem
Hungerstreik, über den in kurdischen exilpolitischen Zeitungen und im deutschen Fernsehen berichtet
wurde, den türkischen Behörden bekanntgeworden ist (Hess. VGH, 18.09.1989 -- 12 UE 2700/84 --).
Demgegenüber hat der Kläger zunächst als Sympathisant und dann als einfaches Mitglied ohne besondere
Auffälligkeiten in dem Kurdischen A-verein mitgearbeitet, ohne daß es Anhaltspunkte dafür gibt, daß
aufgrund besonderer, publizitätswirksamer Aktivitäten des Klägers diese Tätigkeit türkischen Behörden
bekanntgeworden wäre. Zudem ist dabei auch zu berücksichtigen, daß nach der Aussage des Zeugen E, der
Vorstandsmitglied des Kurdischen A-vereins in F ist, seit Ende 1988/Anfang 1989 -- nachdem der Verein
keine feste Tagungsstätte mehr hatte -- politische Aktivitäten des Vereins bis auf die oben erwähnte
Solidaritätsveranstaltung zugunsten der Zeitschrift "Deng" nicht mehr stattfanden. Auch wenn der
Dachverband "KOMKAR" als Organisation der in der Türkei verbotenen TKSP ("Türkiye Kurdistani Sosyalist
Partisi = Sozialistische Partei Türkisch-Kurdistan") gilt (Dokument III 1., 2.), nach einer geheimen Erklärung
der türkischen Regierung an die türkischen Auslandsvertretungen als eine gegen die Türkei gerichtete und
schädliche Tätigkeit ausübende Organisation bezeichnet worden sein soll (Dokument III. 1.), gibt es keine
ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß alle Sympathisanten und Mitglieder kurdischer A-vereine in der
Bundesrepublik Deutschland, soweit sie nur an deren Veranstaltungen teilnehmen oder untergeordnete
organisatorische Hilfe zu ihrer Durchführung leisten, von türkischen Sicherheitsbehörden als gefährlich
eingestuft würden und deshalb wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit besonders beobachtet würden mit der
Folge, daß ihre Person aufgrund ihrer individuellen Betätigung bekannt wäre (für "einfache" Mitglieder so
auch: VGH Baden-Württemberg, 21.03.1985 -- A 13 S 39/83 --). Da mangels einer besonderen,
hervorgehobenen Betätigung des Klägers in dem Kurdischen A-verein keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,
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hervorgehobenen Betätigung des Klägers in dem Kurdischen A-verein keine Anhaltspunkte dafür vorliegen,
daß seine exilpolitische Tätigkeit türkischen Sicherheitsbehörden bekanntgeworden wäre, droht ihm unter
diesem Gesichtspunkt bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
politische Verfolgung aufgrund einer möglichen Bestrafung etwa nach Art. 8 ATG.
B.
Die Beklagte zu 1) ist auch nicht verpflichtet festzustellen, daß für den Kläger die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG vorliegen.
Seit dem Inkrafttreten des neuen Ausländerrechts am 1. Januar 1991 wird mit jedem Asylantrag sowohl die
Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, als auch, wenn der Ausländer dies
nicht ausdrücklich ablehnt, die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG); und
demzufolge ist in der Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
ausdrücklich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und ob der Antragsteller
als Asylberechtigter anerkannt wird (§ 12 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG). Da dem Berufungsverfahren eine
Asylverpflichtungsklage des Klägers zugrundeliegt, für deren Beurteilung die gegenwärtige Sach- und
Rechtslage maßgebend ist, sind -- angesichts des Fehlens von ihre Anwendung ausschließenden
Übergangsbestimmungen -- die genannten Vorschriften hier anzuwenden. Denn die Erweiterung der
Begriffsbestimmung für den Asylantrag erweitert automatisch auch den Inhalt des Asylverfahrens. § 12 Abs.
6 Satz 3 AsylVfG soll gewährleisten, daß weder das Bundesamt noch im Falle der Klage die Gerichte von sich
aus die Entscheidung über einen Asylantrag auf die Frage der Anerkennung als Asylberechtigter
beschränken können (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 11/6321, S. 88
f.). Vor dem Hintergrund der allgemein mit der Gesetzesänderung verfolgten Ziele der Konzentration und
Beschleunigung von Asylverfahren (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 48 f., und, in anderem Zusammenhang, Hess.
VGH, 23.11.1990 -- 12 TH 1760/90 --, EZAR 632 Nr. 10) ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die
Entscheidung über einen vor Inkrafttreten der neuen Verfahrensvorschriften gestellten Asylantrag auch
darauf zu erstrecken ist, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Hess. VGH, 25.02.1991 --
12 UE 2583/85 -- u. -- 12 UE 2106/87 --; ähnlich, aber mit der Maßgabe, daß wegen der Erweiterung des
Streitgegenstandes ein besonderer dahingehender Antrag erforderlich ist: Hess. VGH, 15.03.1991 -- 10 UE
1538/86 --, Bay. VGH, 17.05.1991 -- 24 B 88.30 479 --; a.M.: grundsätzlich sei keine Erweiterung des auf den
Asylantrag bezogenen Streitgegenstandes im gerichtlichen Verfahren im Hinblick auf § 51 Abs. 1 AuslG
möglich: VGH Baden-Württemberg, 25.02.1991 -- A 12 S 1644/90 --, 28.05.1991 -- A 16 S 2357/90 --). Die
danach kraft Gesetzes wirksam gewordene Erweiterung der Begriffsbestimmung für den Asylantrag gilt
regelmäßig auch für die gerichtliche Entscheidung in solchen Fällen, in denen der Asylantrag zwar noch nach
früherem Recht gestellt ist, in denen aber erst nach Inkrafttreten der Neuregelung gerichtlich entschieden
wird. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann anzunehmen, wenn der von der gerichtlichen Nachprüfung
betroffene Asylbewerber selbst ausdrücklich eine Entscheidung über nur eine der beiden nach § 12 Abs. 6
Satz 4 AsylVfG selbständig anfechtbaren Feststellungen wünscht. Gibt der Asylbewerber keine sein
Rechtsschutzbegehren in diesem Sinne einschränkende Erklärung ab, so kann regelmäßig ohne weiteres
davon ausgegangen werden, daß er eine umfassende gerichtliche Überprüfung erstrebt. Dies gilt
ungeachtet der Beteiligtenstellung, die der Asylbewerber in dem fraglichen Rechtsstreit innehat, mithin auch
dann, wenn er nicht selbst Kläger oder Berufungskläger ist; vor allem bedarf es bei Verfahrensgestaltungen
der zuletzt genannten Art keiner besonders einzulegenden Anschlußberufung des Asylbewerbers, um eine
gerichtliche Entscheidung auch hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu
erreichen (im Ergebnis ebenso Hess. VGH, 25.02.1991 -- 12 UE 2106/87 -- EZAR 231 Nr. 1; a. A. insoweit
Hess. VGH, 15.03.1991 -- 10 UE 1538/86 --). Der Kläger ist auf diese Rechtslage hingewiesen worden und
hat sein Klagebegehren in der mündlichen Verhandlung entsprechend formuliert.
Nach den obigen Feststellungen ist das Leben oder die Freiheit des Klägers in der Türkei nicht wegen seiner
Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu seiner bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen somit
nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte ausgewählt und
dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch die obersten Bundesgerichte erfolgt.