Urteil des HessVGH vom 17.07.1989

VGH Kassel: politische verfolgung, ungarn, amnesty international, vollzug der strafe, wahrscheinlichkeit, bestrafung, ausreise, aufenthalt im ausland, wiederaufnahme des verfahrens, asylbewerber

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2624/84
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 1
Abs 1 AsylVfG, § 4 Abs 1
AsylVfG, § 2 Abs 1 AsylVfG
Ungarn - zur Bestrafungswahrscheinlichkeit nach
unerlaubtem Verbleiben im Ausland
Tatbestand
Der am 31. März 1947 geborene Kläger zu 1) und die am 21. September 1946
geborene Klägerin zu 2), die seit 1967 miteinander verheiratet sind, sind
ungarische Staatsangehörige. Beide reisten am 11. August 1980 mit ihren am 12.
September 1967 und am 7. November 1974 geborenen Töchtern im eigenen Pkw
aus Österreich kommend ins Bundesgebiet ein und am folgenden Tage nach
Belgien weiter; am 19. August 1980 kamen sie von dort aus erneut in die
Bundesrepublik Deutschland. Sie waren im Besitz ungarischer Nationalpässe, die
am 19. April 1974 ausgestellt und am 27. März 1980 bis zum 27. März 1985
verlängert worden waren. Außerdem verfügten sie über für 20 Tage ab Einreise -
längstens bis 1. September 1980 - gültige Sichtvermerke der Deutschen Botschaft
in Budapest vom 2. Juni 1980 und auf 30 Tage befristete ungarische
Auslandsaufenthaltserlaubnisse vom 27. März 1980. Ausweislich der Eintragungen
in ihren Pässen hielten sich die Kläger bereits in den Jahren 1974 und 1977 mit
(ebenfalls) jeweils auf 30 Tage befristeten ungarischen
Auslandsaufenthaltserlaubnissen in Westeuropa auf. Im Jahre 1974 dauerte ihr
Aufenthalt vom 16. Mai bis zum 15. Juni, wobei sie Österreich und die
Bundesrepublik Deutschland nur jeweils auf der Durchreise für insgesamt einen
Tag besuchten und sich im übrigen in Belgien aufhielten. im Jahre 1977 dauerte ihr
Aufenthalt vom 24. Juli bis zum 19. August, wobei sie sich jeweils mehrere Tage in
der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Belgien
aufhielten.
Mit Schreiben vom 16. September 1980 beantragten die Kläger ihre Anerkennung
als Asylberechtigte und trugen zur Begründung vor: Der Großvater des Klägers zu
1) habe versucht, eine von der offiziellen abweichende politische Meinung zu
verbreiten und sei deshalb 1952 zur Zwangsarbeit nach Diosgyör deportiert
worden. Im Zusammenhang damit sei das Vermögen der Eltern des Klägers zu 1)
beschlagnahmt worden, und sein Vater habe nur durch Gelegenheitsarbeiten das
Notwendigste zum Leben verdienen können. Dem Kläger zu 1) selbst sei schon in
der Schule vorgehalten worden, daß er aus einer antikommunistischen Familie
stamme; er sei deshalb völlig isoliert worden, und man habe ihm - trotz
bestandener Prüfung -nach dem Hauptschulabschluß den Besuch einer
weiterführenden Schule verwehrt, so daß er nicht das beabsichtigte Studium der
Maschinenbautechnik habe aufnehmen, sondern nur einen handwerklichen Beruf
habe erlernen können. Er habe dann als Dreher in einem Betrieb gearbeitet; da er
seine von der offiziellen abweichende politische Überzeugung laut geäußert habe
und sich hiervon auch nicht habe abbringen lassen, sei ihm im Jahre 1965
gekündigt worden. Er habe zwar in einem anderen Betrieb Arbeit gefunden; auch
dort hätten aber nach einiger Zeit Schikanen angefangen. Während des
Aufstandes in der Tschechoslowakei habe ihn mehrmals der Sicherheitsdienst
aufgesucht und mit schlimmen Folgen für ihn und seine Familie gedroht, weil er
Sympathie für das tschechische Volk geäußert habe. Nach zwei Jahren habe er
erneut seinen Arbeitsplatz verloren. Auf seine anschließenden Bewerbungen habe
er von mehreren Firmen Absagen erhalten mit der Begründung, daß er eine
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er von mehreren Firmen Absagen erhalten mit der Begründung, daß er eine
unerwünschte Person sei und nur Unruhe stiften würde. Nachdem er infolgedessen
eine Zeitlang nur Gelegenheitsarbeiten habe verrichten können, habe er
schließlich Arbeit in einem kleinen Betrieb gefunden, in dem dessen Inhaber bis
dahin allein tätig gewesen war; hier habe man ihn einigermaßen in Ruhe gelassen.
In dieser Zeit sei die Klägerin zu 2) an ihrem Arbeitsplatz immer wieder darauf
angesprochen worden, sie solle den Kläger zu 1) politisch beeinflussen. Als sie
daraufhin erklärt habe, dessen Auffassung zu teilen, sei sie an der Arbeitsstelle
isoliert und nicht mehr befördert worden; für den Fall des Nichteintritts in die Partei
sei ihr sogar mit Kündigung gedroht worden. Nach mehrmaligen Versuchen hätten
die Kläger schließlich ein Visum für einen Aufenthalt im Westen bekommen, jedoch
ohne ihre Tochter kein Asyl beantragen wollen. Nachdem sie sich besonders ruhig
verhalten hätten, sei ihnen 1977 ein Visum für die gesamte Familie erteilt worden.
Auch diesmal hätten sie aber noch keinen Asylantrag stellen können, weil ihre
jüngste Tochter habe operiert werden müssen und ihnen die finanziellen Mittel
hierfür im Westen gefehlt hätten. In der Zwischenzeit habe der
Staatssicherheitsdienst ihre Wohnung mit der Begründung versiegelt gehabt, sie
hätten illegal im Ausland bleiben wollen. Sie hätten daraufhin 14 Tage bei
Bekannten wohnen müssen; dann sei die Wohnung wieder freigegeben worden;
jedoch sei sein, des Klägers zu 1), gesamtes Werkzeug sichergestellt worden. Auf
seine Beschwerde hiergegen sei ihm gesagt worden, er solle froh sein, daß man
ihn nicht eingesperrt habe. Daraufhin hätten sie sich entschlossen, Ungarn so
schnell wie möglich zu verlassen. Da eine Flucht mit den beiden Kindern nicht
erfolgversprechend erschienen sei, hätten sie auf ein erneutes Visum warten
müssen, das ihnen jetzt erteilt worden sei.
Bei ihrer persönlichen Anhörung bei der Ausländerbehörde am 28. Oktober 1980
erstreckten die Kläger ihr Asylbegehren auch auf ihre beiden Töchter. Außerdem
gaben sie an, der Kläger zu 1) sei zuletzt selbständig als Dreher berufstätig
gewesen und die Klägerin zu 2) habe als Versicherungsangestellte gearbeitet. In
den unter demselben Datum von der Ausländerbehörde erstellten "Laufzetteln für
den Erkennungsdienst", die sich in den über die Kläger geführten
Ausländerbehördenakten befinden, ist als Tatbestand festgehalten, daß in der
Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt worden sei.
Anläßlich ihrer Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 12. Mai 1981 in Zirndorf bezog sich der
Kläger zu 1) auf seinen schriftlichen Asylantrag, den die deutsche Ehefrau eines
entfernten Bekannten, der ebenfalls Ungar sei, nach seinen und der Klägerin zu 2)
Angaben gefertigt habe. Ergänzend führte der Kläger zu 1) aus: Haus und
Grundeigentum seiner Eltern seien in den 50er Jahren enteignet worden. Er selbst
habe sich 1961 erfolglos um die Aufnahme in ein Maschinenbautechnikum
bemüht; für ihn gebe es keine Zweifel daran, daß seine Herkunft für seine
Ablehnung entscheidend gewesen sei. Er habe deshalb nach der Grundschule eine
Ausbildung zum Dreher absolviert und diese 1964 abgeschlossen. Vom
Militärdienst habe er sich durch die dreijährige Entrichtung einer sog. Militärsteuer
freigekauft. Als er im Jahre 1968 offen Sympathie für die Vorkommnisse in der
Tschechoslowakei geäußert habe, und zwar nicht etwa für den Einmarsch der
Staaten des Warschauer Paktes, hätten sich Sicherheitsorgane eingeschaltet und
ihm für den Fall, daß er seinen Mund nicht halte, mit Konsequenzen gedroht. Bis
1973 habe er als Dreher in verschiedenen Betrieben gearbeitet und zuletzt ca.
6.000 Forint monatlich verdient. Dann habe er eine kleine Dreherwerkstatt an das
Haus seiner Mutter angebaut und sich selbständig gemacht; sein monatliches
Gesamteinkommen habe bei etwa 12.000 Forint netto gelegen. Bei ihrer ersten
Westeuropareise im Jahre 1974 hätten sie weitläufige Verwandte seiner Ehefrau in
Belgien besucht. Der zweite Westaufenthalt im Jahre 1977 sei eine mit der ganzen
Familie durchgeführte Touristenreise gewesen. Sie seien damals nach Ungarn
zurückgekehrt, weil für die jüngste Tochter ein Operationstermin im Herbst
anberaumt gewesen sei; die Operation sei dann im November 1977 auch
durchgeführt worden. Trotz fristgerechter Rückkehr sei ihre Wohnung im Hause der
Mutter behördlich versiegelt gewesen, und zwar mit der Begründung, sie hätten im
Westen bleiben wollen. Bis zur Klärung seien 14 Tage vergangen, die sie bei
Verwandten und Bekannten hätten verbringen müssen. Werkzeuge von ihm seien
mit der Begründung sichergestellt gewesen, dies sei notwendig, damit Fremde sie
nicht mitnehmen könnten. Internierungen, gerichtlichen Verurteilungen aus
politischen Gründen oder Polizeimaßnahmen sei er - außer in den genannten
Fällen - in Ungarn nicht ausgesetzt gewesen. Der kommunistischen Partei oder
anderen kommunistischen Organisationen habe er nicht angehört. Etwa im
Februar 1981 habe er von seiner Mutter und einer Schwester der Klägerin zu 2)
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Februar 1981 habe er von seiner Mutter und einer Schwester der Klägerin zu 2)
erfahren, daß die ungarische Polizei sie suche; weitere Nachrichten hätten sie
seither nicht erhalten. Während ihres Aufenthalts in Belgien im August 1980 hätten
sie dort kein Asyl beantragt, weil sie einen derartigen Antrag in der Bundesrepublik
Deutschland stellen wollten. Auch die Klägerin zu 2) bezog sich auf den
schriftlichen Asylantrag sowie auf die Angaben des Klägers zu 1) bei der
Vorprüfung. Sie führte ergänzend aus: Sie habe nach der Grundschule im Jahre
1965 ein Diplom als Volkswirtschaftstechnikerin erhalten und sodann bis 1967 bei
einer staatlichen Versicherungsanstalt gearbeitet. Danach sei sie bis 1971 als
Angestellte in einem Betrieb und sodann bis 1978 bei einer Genossenschaft
beschäftigt gewesen. Diesen guten und ruhigen Arbeitsplatz habe sie aufgegeben,
weil ihr dort wegen der Vorkommnisse Ende 1977 schwer zugesetzt worden sei;
denn es sei der Verdacht bestehen geblieben, daß sie hätten im Ausland
verbleiben wollen. Danach habe sie eine zeitraubendere und schwierigere, aber
weit höher dotierte Außendiensttätigkeit aufgenommen, und zwar wiederum bei
der staatlichen Versicherungsgesellschaft, bei der sie früher einmal gearbeitet
hatte., sie habe zuletzt 6.600 Forint monatlich verdient. Der kommunistischen
Partei oder sonstigen kommunistischen Organisationen habe sie in Ungarn nicht
angehört.
Mit Bescheid vom 3. Juli 1981 - den Klägern ausgehändigt am 29. Juli 1981 - lehnte
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der
Kläger und ihrer beiden Töchter ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die
behauptete Unzufriedenheit mit dem kommunistischen System in ihrem
Heimatland reiche für sich allein zu einer Anerkennung nicht aus, da die Kläger
keinen schwerwiegenden Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen seien.
Soweit sie sich auf politische Schwierigkeiten ihrer Eltern beriefen, sei dies für ihr
eigenes Asylbegehren nicht bedeutsam. Wenn der Kläger zu 1) nicht die
gewünschte Ausbildung erhalten habe, so sei dies ebenfalls asylrechtlich
irrelevant, da nicht erkennbar sei, daß er deshalb eine ausreichende Existenz nicht
habe aufbauen können. Die den Behauptungen der Kläger zufolge erfolgte
Überwachung und Vernehmung durch die Sicherheitsbehörden reiche ebenfalls
nicht aus, weil keine weitergehenden Maßnahmen gegen sie eingeleitet worden
seien; daß auch keine dahingehende Absicht bestanden habe, zeige zudem die
Tatsache, daß sie die Genehmigung für eine Auslandsreise erhalten hätten.
Schließlich ergäben sich weder aus ihrem beruflichen Werdegang noch aus ihrem
Verhalten nach der Ausreise konkrete Anhaltspunkte dafür, daß ihr Verbleib im
Ausland die Belange der ungarischen Volksrepublik erheblich verletzt habe, und
deshalb müßten sie auch keine Bestrafung wegen Republikflucht befürchten.
Mit Schriftsatz vom 7. August 1981 - eingegangen am 12. August 1981 - erhoben
die Kläger Klage.
Zur Begründung bezogen sie sich wegen der Vorfluchttatbestände auf ihren
Asylantrag und ihr Vorbringen bei der Vorprüfungsanhörung. Zusätzlich gaben ihre
früheren Bevollmächtigten an, es sei vor und nach der Flucht zu
Hausdurchsuchungen gekommen, und die Kläger hätten vor ihrer Flucht eine
Ladung von den Ermittlungsbehörden erhalten. Im übrigen wurde geltend
gemacht, daß es entscheidend auf Nachfluchttatbestände ankomme. Der Kläger
zu 1) sei in Zirndorf sowohl vom deutschen als auch vom amerikanischen
Geheimdienst vernommen worden und habe hierbei Angaben gemacht. Aufgrund
dieser Tatsache und wegen der Asylantragstellung als solcher müßten sie, die
Kläger, entweder in Abwesenheit oder spätestens nach ihrer Rückkehr mit politisch
motivierter Bestrafung wegen Republikflucht nach § 217 Abs.1 b) UngStGB
rechnen. Es sei nämlich davon auszugehen, daß der in jeder Beantragung von Asyl
enthaltene Vorwurf politischer Verfolgung in Ungarn nach dortigem
Rechtsverständnis als eine erhebliche Verletzung der Belange der Volksrepublik
Ungarn angesehen werde; in diesem Sinne hätten etwa das Zentralbezirksgericht
Pest am 18. März 1980, das Kreisgericht Nagykanizsa am 12. November 1980 und
das Kreisgericht Sopron am 8. Januar 1981 im Einklang mit der übrigen
ungarischen Rechtsprechung geurteilt. Sie, die Kläger, erwarte demgemäß eine
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe durch das für sie zuständige ungarische
Gericht und außerdem die Beschlagnahme ihres gesamten Vermögens. Die Kläger
legten hierzu eine schriftliche Erklärung des TG vor, wonach dieser bei einem
Ungarnaufenthalt im Mai 1982 die Mutter des Klägers zu 1) aufgesucht und von
dieser erfahren habe, daß ihr Mitwisserschaft hinsichtlich der Fluchtabsicht des
Klägers zu 1) vorgeworfen werde und daß dessen Briefe fast immer geöffnet seien;
außerdem sei ihm, G ., gezeigt worden, daß Wohnung und Werkstatt noch immer
versiegelt seien, und schließlich habe er ein Schriftstück gesehen, wonach gegen
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versiegelt seien, und schließlich habe er ein Schriftstück gesehen, wonach gegen
den Kläger zu 1) Anklage wegen politischer Unzuverlässigkeit erhoben worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 3. August 1984
erklärten die Kläger übereinstimmend, daß sie anläßlich ihrer
Vorprüfungsanhörung in Zirndorf zusätzlich noch von einem deutschen und von
einem amerikanischen Bediensteten über asylunabhängige Umstände befragt
worden seien und daß TG ein Schriftstück gesehen habe, aus dem sich ergebe,
daß nach ihrer Ausreise ein Verfahren in Ungarn gegen sie eingeleitet und daß die
Werkstatt des Klägers zu 1) beschlagnahmt worden sei. Der Kläger zu 1) gab
ferner an: Schon nach der Beschlagnahme ihrer Wohnung im Jahre 1977 sei er von
der Polizei verhört worden. Außerdem seien sie während eines Urlaubs in Bulgarien
im Jahre 1978 offenbar beschattet worden, denn ein Bekannter sei wegen ihres
dortigen Verhaltens von den ungarischen Sicherheitsbehörden vernommen
worden. Daß sie im Jahre 1980 erneut eine Auslandsaufenthaltserlaubnis erhalten
hätten, hätten sie sich selbst nur schwer erklären können; sie hätten dies darauf
zurückgeführt, daß zum einen der für sie zuständige Sachbearbeiter beim
Sicherheitsdienst aus Altersgründen ausgeschieden sei und daß zum anderen der
Staat Selbständige ganz gerne ziehen lasse, um sich deren Vermögen
anzueignen. Bei der erkennungsdienstlichen Befragung in Zirndorf habe man von
ihm wissen wollen, wo sich an ihrem Wohnort Kasernen befänden, wo sowjetische
Truppen untergebracht seien und wo gegebenenfalls Waffen hergestellt würden.
Die Klägerin zu 2) führte des weiteren aus: Auch sie sei in Ungarn verfolgt worden,
und zwar von einem Auto des Komitat bei ihrer Außendiensttätigkeit für die
staatliche Versicherung. Vom Erkennungsdienst in Zirndorf sei sie zu ihrer
früheren Tätigkeit als Statistikerin bei der Genossenschaft sowie zu den von der
staatlichen Versicherung angebotenen (Pflicht-)Versicherungen befragt worden.
Sie hätten im übrigen festgestellt, daß ihre Post von und nach Ungarn geöffnet
werde. Die Klägerin zu 2) legte hierzu einen an sie und den Kläger zu 1)
gerichteten Briefumschlag aus Ungarn vor, der mit einem amtlichen Siegel der
Deutschen Bundespost verschlossen war, und äußerte die Vermutung, daß der
Brief für sie bestimmte Dokumente enthalten habe.
Die Kläger beantragten sinngemäß,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. Juli 1981 zu verpflichten, sie
als Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie vertrat die Auffassung, im Anerkennungsverfahren sei zutreffend festgestellt
worden, daß ein Anspruch auf Asylgewährung nicht bestehe. Insbesondere reiche
die von den Klägern behauptete Unzufriedenheit mit den politischen und
wirtschaftlichen Verhältnissen in Ungarn für sich allein nicht zur Annahme einer
politischen Vorverfolgung aus. Den Klägern stünden aber auch keine
Nachfluchttatbestände zur Seite. Vor allem hätten sie nicht mit Bestrafung nach §
217 Abs. 1 b) UngStGB zu rechnen, denn nach der Begründung zu diesem Gesetz
und nach drei bekannt gewordenen Urteilen des Obersten Gerichtshofes der
Ungarischen Volksrepublik würden nur Taten erfaßt, die entweder in bezug auf die
Person des Täters oder hinsichtlich der Umstände des Falles eine gesteigerte
Gefahr darstellten . Die Kläger hätten aber in ihrer Heimat weder eine
repräsentative Stellung bekleidet noch Zugang zu vertraulichen Informationen
gehabt, so daß sie auch unter Einbeziehung ihrer nachrichtendienstlichen
Befragung im Westen nicht mit schwerwiegenden staatlichen Maßnahmen zu
rechnen hätten. Die vorgelegte Erklärung des TG stehe dem nicht entgegen, denn
dessen Angaben komme schon deshalb kein Beweiswert zu, weil er selbst
anerkannter Asylberechtigter sei und gleichwohl nach Ungarn reise. Das ebenfalls
bekanntgewordene Urteil des Kreisgerichts Sopron vom 8. Januar 1981 sei für das
vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, weil ihm ein illegaler Grenzübertritt im
Wiederholungsfalle zugrundeliege, während die Kläger legal ausgereist seien.
Gleiches gelte möglicherweise für das in der amtlichen Auskunft des Auswärtigen
Amtes an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 12. März 1984 erwähnte Urteil
des Komitatsgerichts Szeged vom 7. Dezember 1983.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten äußerte sich nicht.
Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 3. August 1984 der Klage unter
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Das Verwaltungsgericht gab mit Urteil vom 3. August 1984 der Klage unter
Zulassung der Berufung statt und führte zur Begründung aus: Die Kläger seien
politisch Verfolgte i.S.d. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Ihnen stünden allerdings keine
Vorfluchtgründe zur Seite. Abgesehen davon, daß die von ihnen geschilderten
Benachteiligungen kaum die erforderliche Intensität gehabt haben dürften,
sprächen nämlich gewichtige Umstände - insbesondere die ihnen wiederholt
erteilten Ausreisevisa und das Dulden der Fortführung des selbständigen
Handwerksbetriebs des Klägers zu 1) -gegen eine konkrete, gegen die Kläger
gerichtete Verfolgungsabsicht staatlicher ungarischer Stellen. Letztlich könne dies
aber dahinstehen, da beide Kläger sich jedenfalls auf Nachfluchtgründe berufen
könnten. Sie hätten nämlich im Rückkehrfalle mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
wegen ihres Verbleibens im westlichen Ausland über die Geltungsdauer ihrer
Ausreisevisa hinaus Bestrafung nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB zu erwarten, welche
als politische Verfolgung anzusehen wäre. Das Urteil des Kreisgerichts Sopron vom
8. Januar 1981 betreffe nach der Begründung einen ungarischen
Staatsangehörigen, der legal ausgereist, aber gleichwohl verurteilt worden sei, und
zeige damit nicht nur, daß Bestrafungen nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB bei nicht
genehmigtem Verbleiben im Ausland - tatsächlich vorkämen, sondern darüber
hinaus, daß - jedenfalls bei Verurteilungen in Abwesenheit - eine ausdrückliche
Prüfung, ob Belange der Ungarischen Volksrepublik erheblich verletzt seien, nicht
notwendig erfolge. Da derartige Verurteilungen auch in Abwesenheit
ausgesprochen und dann ohne Kenntnisnahme des Verurteilten rechtskräftig
werden könnten, komme der restriktiveren Rechtsprechung des Obersten
Gerichtshofs, die von den erstinstanzlichen Gerichten nicht durchgängig beachtet
werde, keine maßgebliche Bedeutung zu. Selbst unter Zugrundelegung dieser
höchstrichterlichen ungarischen Rechtsprechung könnte aber eine Bestrafung der
Kläger nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB nicht mit der erforderlichen Gewißheit
ausgeschlossen werden, weil danach das Tatbestandsmerkmal "erhebliche
Interessenverletzung" als Generalklausel erscheine, deren Auslegung im Einzelfall
wesentlich auch auf politischen Werturteilen beruhe, und weil unter diesen
Umständen - zumal unter Berücksichtigung vorhandener konkreter Hinweise auf
eine bereits erfolgte Verurteilung in Ungarn - mindestens ebensoviel für wie gegen
eine Bestrafung der Kläger spreche. Diese an sich schon erhebliche
Wahrscheinlichkeit werde im Falle der Kläger noch erhöht durch die schriftliche
Erklärung des T G , an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln kein Anlaß bestehe, sowie
wegen der Einbeziehung der Kläger in eine Befragung durch in- und ausländische
Nachrichtendienste im Rahmen des Anerkennungsverfahrens, welche den
ungarischen Behörden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht
verborgen geblieben sei. insoweit komme es auf die von den Klägern dort
gemachten Angaben nicht entscheidend an, weil deren Umfang für die
ungarischen Behörden nicht nachprüfbar sei; es liege auf der Hand, daß diese
schon die Bereitschaft, gegenüber westlichen Geheimdiensten Auskunft zu
erteilen, als erhebliche Verletzung der Belange der Volksrepublik Ungarn ansehen
könnten.
Gegen dieses ihm am 6. September 1984 zugestellte Urteil hat der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom 24. September
1984, der am 26. September 1984 eingegangen ist, Berufung eingelegt.
Er macht geltend: Ob die Kläger - wie das Verwaltungsgericht angenommen habe -
im Rückkehrfalle ausnahmsweise mit Bestrafung nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB
rechnen müßten, könne offenbleiben. Denn es handle sich hierbei um einen
selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund, der nur in Ausnahmefällen zur
Asylanerkennung führen könne, und ein solcher sei hier nicht gegeben, weil die
Kläger sich vor ihrer Ausreise nicht politisch engagiert hätten und - wie die
Genehmigungen von Reisen ins westliche Ausland in den Jahren 1974, 1977 und
1980 zeigten - in Ungarn offenbar als regimetreu eingeschätzt worden seien. Da
auch - trotz der von ihnen geltend gemachten beruflichen Nachteile - eine
Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Kläger nicht vorgelegen habe, fehle
der grundsätzlich erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und
Flucht. Vielmehr sei die Verfolgungssituation erst und nur durch risikoloses eigenes
Tun der Kläger vom gesicherten Ort aus - nämlich durch ihr illegales Verbleiben im
Ausland - entstanden.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 3. August 1984 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beziehen sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die Entscheidungsgründe
des angegriffenen Urteils und führen ergänzend aus: In ihrem Falle dürften
Nachfluchtgründe nicht unberücksichtigt bleiben, weil sie in Ungarn durchaus in
gewissem Umfang politisch tätig gewesen seien. Denn sie hätten sich geweigert, in
die kommunistische Partei einzutreten, und daraus seien ihnen erhebliche
wirtschaftliche Nachteile entstanden. Neuere Erkenntnisse über die gegen sie
eingeleiteten Verfahren lägen ihnen allerdings nicht vor; insbesondere könnten sie
kein möglicherweise in Abwesenheit ergangenes Strafurteil vorlegen. Allerdings
habe eine Schwester der Klägerin zu 2) anläßlich eines Besuchs im Jahre 1985 das
gegen sie, die Kläger, betriebene Strafverfahren erwähnt. Außerdem seien sie von
einer ihnen unbekannten Person telegrafisch im Dezember 1984 nach Rosenheim
bestellt worden, wo sie - wie sie annähmen - ausgehorcht werden sollten.
Außerdem werde die Post der Klägerin zu 2) an ihre Eltern offensichtlich zensiert,
und es sei auch schon geschehen, daß die Klägerin zu 2) von ihren Eltern
abgesandte Post nicht erhalten habe.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 19. April 1989 durch den
Berichterstatter als beauftragten Richter Beweis erhoben über die Asylgründe der
Kläger durch deren Vernehmung als Beteiligte und darüber, ob gegen die Kläger
nach ihrer Ausreise in Ungarn ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, durch
Vernehmung des TG als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Niederschrift vom 15. Juni 1989 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die von diesen eingereichten Schriftsätze (einschließlich des
Anlagenheftes zum Schriftsatz der Beklagten vom 7. September 1983), den
einschlägigen Vorgang des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge - Geschäftsz. 165-10426-80 -und die über die Kläger geführten
Ausländerbehördenakten des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt
Wiesbaden Bezug genommen. Diese sind ebenso Gegenstand der Beratung
gewesen wie die nachfolgend aufgeführten Dokumente:
1. 15.02.1979 Institut für Ostrecht München an Bundesministerium des Innern
2. 21.06.1979 Institut für Ostrecht München an Bay. VGH
3. 12.03.1980 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
4. 02.05.1980 Max-Planck-Institut Freiburg an VG Stuttgart
5. 07.08.1980 amnesty international an VG Stuttgart
6. 04.09.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
7. 18.09.1980 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
8. 19.09.1980 Auswärtiges Amt an Bundesamt
9. 21.10.1980 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart
10. 29.10.1980 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
11. 12.12.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
12. 1980 Rupp, Die Republikflucht nach ungarischem Recht und das deutsche
Asylrecht, in: WGO-MfOR 1980, S. 153 ff. 13. 16.01.1981 Auswärtiges Amt an VG
Ansbach
14. 25.02.1981 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
15. 08.04.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
16. 14.07.1981 Auswärtiges Amt an VG Köln
17. 15.08.1981 Rechtsanwalt Rupp an VG Karlsruhe (mit Urteil des Kreisgerichts
Nagykanizsa vom 12.11.1980 und des Zentralbezirksgerichts Pest vom
18.03.1980)
18. 10.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
19. 26.10.1981 Dr. Pregun vor VG Wiesbaden
20. 27.11.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
21. 1981 Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Ungarischen Volksrepublik
zum rechtswidrigen Verbleiben im Ausland nach § 217 Abs. 1 Buchst. b StGB (m.
Anm. von Prof. Schroeder und RA. Rupp), in Jahrbuch für Ostrecht, Bd. XXII, S. 557
ff.
22. 08.01.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
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22. 08.01.1982 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
23. 08.01.1982 Auswärtiges Amt an VG Köln
24. 08.03.1982 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Stuttgart
25. 16.08.1982 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
26. 20.08.1982 amnesty international an VGH Baden-Württemberg
27. 20.09.1982 ZDWF an VGII Baden-Württemberg (m. drei Urteilen des Obersten
Gerichts der Ungarischen Volksrepublik)
28. 01.10.1982 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
29. 14.10.1982 Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf
30. 26.10.1982 Institut für Ostrecht München an VGH Baden-Württemberg
31. 24.03.1983 Prof. Schroeder an UNHCR
32. 05.07.1983 Institut für Ostrecht München an VG Gelsenkirchen (mit
undatiertem Gutachten von Schweissguth)
33. 26.10.1983 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
34. 10.02.1984 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
35. 12.03.1984 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden (mit Urteil des Kreisgerichts
Sopron vom 08.01.1981 nebst vom Auswärtigen Amt veranlaßter Übersetzung
sowie weiteren vom Bundesamt und vom VG Wies- baden veranlaßten
Übersetzungen)
36. 21.03.1984 amnesty international an Bundesamt
37. 25.05.1984 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
38. 26.06.1984 Auswärtiges Amt an VG Braunschweig
39. 25.10.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
40. 1984 Rechtsanwälte Meyer-Heim/Müller, Republik flucht aus Ungarn in: ZDWF-
Schriftenreihe, Nr. 5
41. 15.01.1985 Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Budapest an
Auswärtiges Amt
42. 02.09.1985 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Köln
43. 02.1.0.1985 Schweissguth an VG Köln
44. 18.11.1985 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Gelsenkirchen
45. 30.11.1985 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Gelsenkirchen
46. 05.05.1986 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Köln
47. 03.06.1986 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
48. 09.06.1986 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
49. 10.06.1986 Auswärtiges Amt an VG Kassel
50. 11.06.1986 Auswärtiges Amt an VG Schleswig
51. 19.06.1986 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
52. 18.09.1986 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Köln
53. 26.09.1986 Institut für Ostrecht der Universität Köln an VG Köln
54. 24.02.1987 Auswärtiges Amt an VG Köln
55. 25.02.1987 Auswärtiges Amt an VG Köln
Entscheidungsgründe
In Anbetracht des Einverständnisses der Beteiligten kann der Senat ohne
mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1 i.V.m. 101 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist frist- und
formgerecht eingelegt (§§ 124, 125 VwGO) und auch sonst zulässig. Sie ist
nämlich vom Verwaltungsgericht zugelassen worden (§ 32 Abs. 1 AsylVfG), und der
Bundesbeauftragte war zur Einlegung der Berufung ungeachtet dessen befugt,
daß er sich am erstinstanzlichen Verfahren weder durch einen Antrag noch sonst
beteiligt hat (BVerwG, 11.03.1983 - 9 B 2597.82 -, BVerwGE 67, 64 = NVwZ 1983,
413; Hess.VGH, 11.08.1981 - X OE 649/81 ESVGH 31, 268).
Die Berufung des Bundesbeauftragten ist auch begründet, denn die Kläger können
nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Berufungsentscheidung die Anerkennung als Asylberechtigte durch die Beklagte
nicht beanspruchen, weil sie nicht politisch verfolgt sind (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1
AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80
u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an
den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art.
16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
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Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt; insoweit kommt es entscheidend auf die
Motive für die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen an (BVerwG, 17.05.1983 - 9 C
874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 36.83 -,
BVerwGE 67, 184; BVerwG, 08.11.1983 - 9 C 93.83 -, BVerwGE 68, 171 = EZAR
200 Nr. 9; BVerwG, 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8;
BVerwG, 21.10.1986 - 9 C 28.85 -, BVerwGE 75, 99 = EZAR 200 Nr. 17; BVerwG,
19.05.1-987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 EZAR 200 Nr. 19; BVerwG,
20.10.1.987 - 9 C 277.86 -, EZAR 202 Nr. 11 = NVwZ 1988, 160; BVerwG,
15.03.1988 - 9 C 278.86 -, EZAR 201 Nr. 13 = JZ 1988, 709). Werden nicht Leib,
Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa
die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind
allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und
Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die
Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR
478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C
16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 104.85 -,
BVerwGE 74, 41; BVerwG, 20.10.1987 - 9 C 42.87 -, InfAus1R 1988, 22). Die Gefahr
einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei
verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche
Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum
ausgerichtet sein muß (BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3 =
DVB1. 1981, 1096; BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986,
760). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine
Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist
(BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.; BVerwG, 27.04.1982 - 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250
= EZAR 200 Nr. 7; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR
203 Nr. 1; BVerwG, 15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22; BVerwG, 23.02.1988
- 9 C 85.87 -, EZAR 202 Nr. 13 = NVwZ 1988, 635). Der Asylbewerber ist aufgrund
der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, umfassend die in
seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung
zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C
141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36; BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -,
EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79; BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630
Nr. 25) und insbesondere auch eine politische Motivation der
Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -,
Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG; BVerwG, 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR
630 Nr. 8). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland
genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende
Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -,
BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung
kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang
die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten
individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu
berücksichtigen ist (BVerwG, 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 = EZAR
201 Nr. 3; BVerwG, 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 = EZAR 630 Nr.
17; BVerwG, 12.11.1985, a.a.0.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen auf Grund der eigenen
Angaben der Kläger, der Beweisaufnahme und der in das Verfahren eingeführten
Dokumente zu der Überzeugung gelangt, daß die Kläger weder vor ihrer Ausreise
aus Ungarn politisch verfolgt waren (1.) noch bei einer Rückkehr in ihre Heimat mit
politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben (2.); darauf, ob
sie vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet am 19. August 1980 bereits anderswo vor
politischer Verfolgung sicher waren, kommt es demzufolge nicht mehr an (3.).
1. Im Einklang mit dem Verwaltungsgericht kann nicht festgestellt werden, daß die
Klüger bereits vor ihrer endgültigen Ausreise aus Ungarn von politischer
Verfolgung betroffen oder unmittelbar bedroht waren. Die von ihnen hierzu
gemachten Angaben erscheinen allerdings im wesentlichen glaubhaft, die ihnen
widerfahrenen Umstände erreichten indessen von ihrer Intensität her nicht die
Schwelle zur Asylerheblichkeit. Soweit die Kläger übereinstimmend von Nachteilen
in ihrem jeweiligen beruflichen Werdegang berichtet haben - der Kläger zu 1) etwa
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in ihrem jeweiligen beruflichen Werdegang berichtet haben - der Kläger zu 1) etwa
in der Schule, hinsichtlich des beabsichtigten Studiums und an späteren
Arbeitsstellen, die Klägerin zu 2) offenbar insbesondere während ihrer
Berufstätigkeit nach der Heirat mit dein Kläger zu 1) im Jahre 1967 - , kann
jedenfalls keine Rede davon sein, daß die wirtschaftliche Existenz der Kläger
bedroht und damit jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleistet gewesen
wäre, das ihr menschenwürdiges Dasein erst ausmachte (vgl. zu diesen
Anforderungen BVerfG, 12.01.1983 - 1 BvR 1360/82 - u. 30.01.1987 - 2 BvR
1393/86 -; BVerwG, 05-04.1983 - 9 CB 12.80 -, InfAus1R 1983, 258 = Buchholz
402.24 Nr.45 zu § 28 AuslG, 18.02.1986 - 9 C 104.85 -, BVerwGE 74, 41,
20.10.1987 - 9 C 42.87 -, InfAus1R 1988, 22, u. 08.02.1989 - 9 C 30.87 Hess. VGH,
05.09.1985 - 10 OE 171/83 - u. 20.03.1989 - 12 UE 1705/85 -). Denn der Kläger zu
1) war immerhin in der Lage, einen selbständigen Handwerksbetrieb zu eröffnen,
und erzielte dabei, ebenso wie die Klägerin zu 2) bei ihrer zuletzt ausgeübten
Außendiensttätigkeit für eine staatliche Versicherung, ein für ungarische
Verhältnisse beträchtliches Einkommen, das ihnen ermöglichte, einen Pkw zu
halten und mehrfach Auslandsreisen zu unternehmen. Soweit nach der Rückkehr
der Kläger von ihrer Westeuropareise im August 1977 das Werkzeug des Klägers
zu 1) sichergestellt worden war, hat auch dies ersichtlich zu keiner
Existenzgefährdung geführt, denn nach seinen Bekundungen bei der Vernehmung
durch den Berichterstatter des Senats am 15. Juni 1989 wurde das Werkzeug nach
14 Tagen freigegeben, und der Kläger zu 1) konnte damit wieder arbeiten. Wenn
der Kläger zu 1) außerdem geltend gemacht hat, daß er im Zuge des sog. "Prager
Frühlings" im Jahre 1968 wegen hiermit sympathisierender Verlautbarungen
mehrmals sicherheitsbehördlich überprüft worden sei, und beide Kläger ferner
darauf verweisen, daß ihnen Wohnung und Werkstatt in der Annahme, sie seien für
dauernd ausgereist, behördlich versiegelt worden seien und die Polizei den Kläger
zu 1) verhört habe, als sie 1977 aus dem Westen zurückkamen, so ist dem
entgegenzuhalten, daß die Kläger - wie die in den Jahren 1974, 1977 und 1980
erteilten Auslandsaufenthaltserlaubnisse und die Freigabe der beschlagnahmten
Gegenstände nach Klärung der Angelegenheit im Jahre 1977 zeigen - mindestens
nicht als ernsthafte Regimegegner eingestuft worden und daß die betreffenden
Nachteile jedenfalls nicht von asylerheblicher Intensität gewesen sind. Gleiches gilt
für den überdies weitgehend unsubstantiiert gebliebenen Vortrag in der
mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, sie seien während ihres
Urlaubs in Bulgarien im Jahre 1978 offenbar beschattet und die Klägerin zu 2) sei
bei ihrer Außendiensttätigkeit für die staatliche % Versicherung von einem Auto
des Komitat verfolgt worden. Zu weiteren staatlichen Maßnahmen - etwa einer
Hausdurchsuchung oder einer Vorladung der Kläger seitens ungarischer
Ermittlungsbehörden -ist es, wie der Kläger zu 1) bei seiner Vernehmung am 15.
Juni 1989 auf Befragen ausdrücklich - entgegen dem schriftsätzlichen Vorbringen
seiner früheren Bevollmächtigten - klargestellt hat, vor ihrer Ausreise ohnehin
nicht gekommen; ebensowenig haben die Kläger Näheres von irgendwelchen auf
ihre Nichtmitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zurückführbaren
Nachteilen zu berichten gewußt. Daß sie selbst ihre damalige Situation nicht als
sonderlich bedrohend empfunden zu haben scheinen, geht auch daraus hervor,
daß sie im Jahre 1977 nicht schon im Bundesgebiet geblieben sind, zumal eine
erforderliche Operation ihrer Tochter notfalls aus Sozialhilfemitteln hätte finanziert
werden können.
2. Waren die Kläger demnach vor ihrer Ausreise aus Ungarn nicht politisch verfolgt
und legt man demzufolge den "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an (vgl.
BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80EZAR 200 Nr. 3 = DVB1. 1981, 1096, 25.09.1984
- 9 C 17.84BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12, u. 03.12.1985 - 9 C 22.85EZAR
202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760), so kann auch nicht festgestellt werden, daß ihnen
bei einer Rückkehr nach Ungarn im jetzigen Zeitpunkt asylerhebliche Verfolgung
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Insbesondere brauchen sie - sofern sie
noch nicht verurteilt sind (a) -, keine Strafverfolgung nach § 217 Abs. 1 b)
UngStGB wegen sog. passiver Republikflucht oder nach anderen ungarischen
Strafbestimmungen zu befürchten (b); mindestens droht ihnen bei bereits
erfolgter Verurteilung keine Strafvollstreckung mehr (c), daher kann offenbleiben,
ob eine solche Bestrafung als politische Verfolgung zu qualifizieren wäre (d) und ob
ihr überhaupt asylrechtliche Beachtlichkeit zuerkannt werden könnte (e);
außerstrafrechtliche Nachteile, die die Kläger im Rückkehrfalle möglicherweise zu
erwarten haben, sind nicht von asylerheblicher Intensität (f).
a) Der Senat hat sich - bei Würdigung des bisherigen Vortrags der Kläger und des
Ergebnisses der vom Berichterstatter durchgeführten Beweisaufnahme - nicht die
volle Überzeugung davon verschaffen können, daß die Kläger bereits von einem
volle Überzeugung davon verschaffen können, daß die Kläger bereits von einem
ungarischen Strafgericht wegen ihres unerlaubten Verbleibens im westlichen
Ausland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Zwar hat die Klägerin zu 2)
am 15. Juni 1989 ausgesagt, eine ihrer sieben Schwestern, die in Oroshaza, dein
früheren Wohnort der Kläger, lebe, habe von einer ehemaligen Freundin der
Klägerin zu 2), die als Schreibkraft beim Stadtgericht Oroshaza gearbeitet habe,
erfahren, daß beide Kläger zu je einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.
Auch hat der Zeuge G , der seinen Bekundungen zufolge bereits bei einem Besuch
bei der in Ungarn zurückgebliebenen Mutter des Klägers zu 1) im Mai 1982 eine an
diese gerichtete Zeugenladung des Stadtgerichts Oroshaza zu einer Verhandlung
betreffend die Flucht der Kläger gesehen hat, darüber hinaus angegeben, bei
einem späteren Aufenthalt in Oroshaza - wahrscheinlich im September 1983 -
anläßlich seiner polizeilichen Anmeldung von dein diensthabenden Polizisten
darauf hingewiesen worden zu sein, daß die Kläger verurteilt worden seien.
Indessen verwundert, daß die Klägerin zu 2) - auch wenn sie nicht über
entsprechende schriftliche Belege verfügt diesen Sachverhalt, von dem sie
eigenen Bekundungen zufolge im Oktober 1988 und nach Angaben des
Bevollmächtigten (vgl. dessen Schriftsatz vom 7. Juli 1989) schon im Jahre 1985
erfahren haben will, erst anläßlich ihrer Vernehmung - und auch hier erst auf
mehrmalige Nachfrage. vollständig - mitgeteilt hat, obgleich ihr - wie auch dem
Kläger zu 1) - dessen Bedeutung für das Asylverfahren spätestens seit Kenntnis
des erstinstanzlichen Urteils bewußt sein mußte. Außerdem befremdet, daß sich
der - im Einverständnis der Beteiligten gesondert vernommene - Kläger zu 1)
hierüber nicht informiert gezeigt, daß er vielmehr bei seiner Vernehmung zunächst
angegeben hat, die Schwestern seiner Ehefrau hätten über ein eventuelles
Strafverfahren gegen die Kläger nichts gewußt, und daß er auch später - auf eine
Frage seines Bevollmächtigten - nicht zweifelsfrei sagen konnte, ob die Schwester
der Klägerin zu 2) von einer sicheren oder nur wahrscheinlichen Verurteilung der
Kläger gesprochen habe. Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen der Klägerin
zu 2) ergeben sich - auch bei Berücksichtigung der Ausführungen in dem
Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 7. Juli 1989 - ferner daraus, daß der Kläger
zu 1) erklärt hat, deren Schwester aus Oroshaza habe sich bei ihrem ersten
Besuch vor drei oder vier Jahren im dargelegten Sinne geäußert, obgleich sich den
eigenen Angaben der Klägerin zu 2) zufolge seinerzeit nur deren - insoweit nicht
unterrichtete - Schwester aus Budapest im Bundesgebiet aufgehalten haben soll,
sowie daraus, daß der Kläger zu 1) bekundet hat, die betreffende Schwester habe
ihre Erkenntnisse - unmittelbar oder mittelbar - von seiner Mutter bezogen; eine
mit der Klägerin zu 2) befreundete frühere Schreibkraft des Gerichts hat er in
diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Die Aussage des Zeugen G vermag den
Senat ebenfalls nicht davon zu überzeugen, daß eine Verurteilung der Kläger -
tatsächlich erfolgt ist, weil der Zeuge nach seiner in erster Instanz vorgelegten
Erklärung vom 7. Juli 1982 anläßlich des Besuchs bei der Mutter des Klägers zu 1)
ein Schriftstück gesehen haben will, wonach gegen diesen - also nicht auch gegen
die Klägerin zu 2) -wegen politischer Unzuverlässigkeit Anklage erhoben worden
sei, während er nunmehr von einer gerichtlichen Zeugenladung an die Mutter
berichtet hat. Der Senat vermag bei alledem nicht auszuschließen, daß es sich bei
dem betreffenden Schriftstück möglicherweise doch nur um eine
polizeibehördliche Mitteilung über die Rechtswidrigkeit des Auslandsaufenthalts der
Kläger gehandelt hat (vgl. Dokumente Nr. 25 u. 45, im folgenden nur noch mit der
entsprechenden Nummer der Liste von S. 13 f. bezeichnet). Befremdlich erscheint
überdies, daß der Zeuge - der offenbar weiterhin mit den Klägern Kontakt hielt und
über die Richtigkeit von dessen Anschrift sich der Berichterstatter des Senats
unter dem 18. März 1988 und dem 7. März 1989 vergewissert hat - die Kläger
nicht informiert haben sollte, nachdem er etwa im September 1983 von dem
ungarischen Polizisten von ihrer Verurteilung erfahren hatte bzw. daß die Kläger
dies nicht in ihr Asylverfahren eingebracht haben. Insgesamt gesehen bleibt
unerfindlich, daß die Kläger - auch wenn man für ihre Angst vor deutlichen
brieflichen und telefonischen Äußerungen Verständnis haben mag - sich nicht
nachdrücklicher und im gegenseitigen Einvernehmen bemüht haben sollten, über
eine mögliche Verurteilung Genaueres zu erfahren, zumal hiervon selbst im Falle
ihrer Asylanerkennung etwa abhängen könnte, als wie gefährlich eine spätere
Besuchsreise nach Ungarn zu veranschlagen wäre. Trotz aller verbliebenen Zweifel
sieht der Senat von weiteren Ermittlungen - etwa über das Auswärtige Amt durch
einen von der Deutschen Botschaft in Budapest einzuschaltenden
Vertrauensanwalt - dahingehend ab, ob es tatsächlich zu einer strafgerichtlichen
Verurteilung der Kläger gekommen und ob diese ggf. rechtskräftig geworden ist,'
weil die Kläger - wie sogleich darzulegen sein wird - in keinem Falle, auch nicht bei
bereits erfolgter (rechtskräftiger) Verurteilung, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
politische Verfolgung zu befürchten haben, wenn sie jetzt nach Ungarn
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politische Verfolgung zu befürchten haben, wenn sie jetzt nach Ungarn
zurückkehren.
b) Sollten die Kläger bisher nicht verurteilt sein, so droht ihnen im Falle ihrer
jetzigen Rückkehr keine Strafverfolgung (mehr), und zwar weder nach § 217 Abs. 1
b) UngStGB wegen sog. passiver Republikflucht (aa) noch nach anderen
Strafvorschriften (bb).
aa) Nach § 217 Abs. 1 b) UngStBG, der am 1. Juli 1979 - also vor der Ausreise der
Kläger - in Kraft getreten ist (12., S. 163, Fußn. 41; 20.; 40.), wird mit
Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft, wer unter Umgehung der Vorschriften
über Auslandsreise und -aufenthalt dauernd im Ausland bleibt und dadurch die
Belange der Ungarischen Volksrepublik erheblich verletzt (1.; 6.; 12., S. 163 f.; 13.;
31.). Vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung regelte § 205 Satz 1 UngStBG
1961, daß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird,
wer das Land in erlaubter Weise verlassen hat und -trotz Aufforderung der Behörde
nicht zurückkehrt oder sonst seinem Entschluß Ausdruck gibt, endgültig im
Ausland zu bleiben (12., S. 162; 31.). § 217 Abs. 1 b) UngStBG 1978 brachte somit
vor allem insofern Änderungen, als das Tatbestandsmerkmal der erheblichen
Verletzung der Belange der Ungarischen Volksrepublik hinzugefügt und der
Strafrahmen verringert wurden.
Die Kläger haben den Tatbestand des § 217 Abs. 1 b) UngStBG zweifellos insofern
erfüllt, als sie nach ihrer Einreise im August 1980 über die Geltungsdauer ihrer auf
30 Tage befristeten ungarischen Auslandaufenthaltserlaubnisse - nämlich bis
heute im Bundesgebiet geblieben sind; fraglich erscheint indessen, ob sie dadurch
Belange der Ungarischen Volksrepublik erheblich verletzt haben. Einen
Anhaltspunkt für die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs bietet die
Begründung zum Gesetzentwurf, wonach jene Handlungen in den Kreis der
strafrechtlichen Verantwortlichkeit einbezogen werden sollten, die entweder wegen
der Person des Täters oder wegen objektiver Umstände des Falles eine
gesteigerte Gefahr bedeuten, und wonach dies etwa dann gegeben sei, wenn der
Täter im Besitz von Staatsgeheimnissen sei oder wenn er im Ausland gegenüber
der Ungarischen Volksrepublik ein .feindliches Verhalten bekunde (1.; 12., S. 166).
Insoweit kommt es freilich nicht darauf an, wie deutsche Gerichte, Gutachter (12.,
S. 174, Fußn. 63 und 64; 31.), das Auswärtige Amt (4.; 20.) oder andere Stellen
(5.; 1.9.) die betreffende Vorschrift auslegen; entscheidend ist vielmehr allein, wie
die ungarische Rechtsprechung dieses Tatbestandsmerkmal versteht und in
vergleichbaren Fällen gehandhabt hat.
Bisher sind hierzu drei - sämtlich im Jahre 1981 ergangene Urteile des Obersten
Gerichts der Ungarischen Volksrepublik bekannt geworden (2l.; 27.; 31.; 40.; 41.).
Danach läßt sich der Kreis der Belange, bei deren erheblicher Verletzung eine
Bestrafung nach § 217 Abs. 1 b) UngStBG in Betracht kommt, nicht abstecken; er
könne politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle, die Autorität
betreffende oder sonstige wichtige Interessen des Staates umfassen; im Hinblick
auf diesen weiten Kreis der in Betracht kommenden Interessen sei eine Abwägung
sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich; eine gesteigerte Gefahr und
damit eine erhebliche Verletzung von Belangen könne sowohl durch die Person
des Täters als auch durch die objektiven Umstände des Falles verursacht werden;
bei jeder rechtswidrig im Ausland verbliebenen Person, die über Daten verfüge,
die, auch wenn sie keine Staatsgeheimnisse beinhalteten, gegen die Belange der
Ungarischen Volksrepublik verwendet werden könnten, sei zu prüfen, ob die
gesetzlich vorgeschriebene Interessenverletzung vorliege; zu deren Feststellung
kämen auch sonstige durch den Arbeitsplatz oder ein ausgeübtes Amt erworbene
Kenntnisse oder spezifische persönliche Gegebenheiten in Betracht; so könne von
Bedeutung sein, daß früher eine leitende Stellung bekleidet wurde; komme in dem
rechtswidrigen Verweilen einer solcher Person zugleich eine Ablehnung der
gesetzlichen Ordnung der Ungarischen Volksrepublik zum Ausdruck, so könne dies
allein eine erhebliche Verletzung der Belange der Ungarischen Volksrepublik
darstellen; als Inhaber derartiger Positionen seien u.a. die Werktätigen in höheren
Stellungen der Staatsmacht, der Staatsverwaltung, der Wirtschaft, der
Wissenschaft und der Kunst zu nennen; einer solchen Beurteilung könnten
Wissenschaftler, Künstler und Sportler auch dann unterliegen, wenn ihr
rechtswidriges Verbleiben im Ausland wegen ihres anerkannten internationalen
Ansehens die Interessen der Ungarischen Volksrepublik erheblich verletze;
demzufolge sei eine erhebliche Interessenverletzung i.S. des § 217 Abs. 1 b)
UngStBG bei jeder Person feststellbar, bei der kraft ihrer persönlichen Umstände
oder der ihr bekannten Daten die Gefahr bestehe, daß die Tatsache ihres
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oder der ihr bekannten Daten die Gefahr bestehe, daß die Tatsache ihres
rechtswidrigen Verbleibens im Ausland gegen die Ungarische Volksrepublik
benutzt werden könne; ferner sei darauf hinzuweisen, daß die die
Interessenverletzung bewirkende Handlung nicht nur durch das Hervorrufen einer
Gefahrenlage offenbar werden, sondern auch in einem im Ausland gezeigten
feindlichen Verhalten gegenüber der Ungarischen Volksrepublik liegen könne; ein
Prestigeverlust könne aber nur dann als Interessenverletzung gewertet werden,
wenn er das internationale Ansehen des ungarischen Staates beeinträchtige und
seine sittliche Ehre verletze. In Anwendung dieser Grundsätze hat das Oberste
Gericht der Ungarischen Volksrepublik einen von einem Auslandsaufenthalt nicht
zurückgekehrten Oberarzt der Urologischen Abteilung eines
Komitatskrankenhauses trotz der staatlichen Investitionen in seine Ausbildung
freigesprochen (Az: 1. 181/1981); dagegen wurden ein international bekannter
Kernchemiker, der über im Ausland benutzbare Kenntnisse der Atomtechnik
verfügte, und der international anerkannte Leiter einer Forschungsgruppe auf
einem für die Landesverteidigung verwandten Forschungsgebiet verurteilt (Az: V.
868/1981 u. V. 823/1981). Auch wenn die zitierte Rechtsprechung des Obersten
Gerichts der Ungarischen Volksrepublik in der Literatur auf Kritik gestoßen ist,
indem etwa darauf hingewiesen wurde, daß die gerichtliche Auslegung die
Unbegrenztheit der in § 217 Abs. 1 b) UngStBG enthaltenen Generalklausel "in
erschreckender Weise deutlich gemacht" habe (21., S. 559; vgl. 31.), mit dieser in
ihrer unpräzisen Formulierung übereinstimme und die Bestimmung zu einer
"weitreichenden Vorschrift des Datenschutzes" ausgebaut habe (21., S. 564 u.
567), so hat das Oberste Gericht den Anwendungsbereich des § 217 Abs. 1 b)
UngStBG doch immerhin dahingehend eingeschränkt, daß regelmäßig bestimmte
Kriterien für die Bejahung einer erheblichen Verletzung der Belange der
Ungarischen Volksrepublik i.S. des § 217 Abs. 1 b) UngStBG vorliegen müssen,
nämlich Kenntnis von Staatsgeheimnissen oder sonstigen wichtigen Daten, eine
höhere leitende und/oder mit staatlicher Repräsentation verbundene Stellung,
feindseliges Verhalten gegenüber der Ungarischen Volksrepublik im Ausland oder
ein das internationale Ansehen des ungarischen Staates betreffender
Prestigeverlust (vgl. 21.; 44.; 45.).
Der Senat vermag aus den ihm vorliegenden Unterlagen - anders als das
Verwaltungsgericht - nicht zu entnehmen, daß die ungarischen Instanzgerichte
nicht durchgängig die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichts
beachten. Soweit solche Urteile vor dem Bekanntwerden der drei maßgebenden
höchstrichterlichen Entscheidungen ergangen sind, kann ihnen für die gegenwärtig
anzustellende Prognose ohnehin keine entscheidende Bedeutung zugemessen
werden, denn sie können für die derzeitige ungarische Rechtsprechungspraxis
nicht mehr als repräsentativ angesehen werden; dies gilt nicht nur für das Urteil
des Zentralbezirksgerichts Pest vom 18. März 1980 (17.; 31.; 44.), das nach
seinem Datum nicht bekannte, jedoch bereits 1980 veröffentlichte Urteil des
Komitatsgerichts Kecskemet (24., S. 15 f.; 41.; 44-) und die - sehr harte und
teilweise gesetzwidrige (24.) – Entscheidung des Kreisgerichts Nagykanizsa vom
12. November 1980 (17.; 18.; 31.) sowie die beiden Verurteilungen durch das
Bezirksgericht des fünften Bezirks in Budapest, die einem damaligen Referendar in
den Jahren 1979 und/oder 1980 bekanntgeworden sind (19.), und die vom 10.
Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in dem Verfahren 10 OE 171/83 als
glaubhaft gemacht angesehene, spätestens im Jahre 1980 erfolgte Verurteilung
des dortigen Klägers durch ein ungarisches Strafgericht (wohl in Budapest),
sondern auch für das Urteil des Kreisgerichts Sopron vom 8. Januar 1981 (35.), auf
das sich das Verwaltungsgericht entscheidend gestützt hat, so daß offenbleiben
kann, ob hieraus - zumal der dortige Täter nur wegen Versuchs verurteilt worden
ist und zweimal einschlägig vorbestraft war - überhaupt brauchbare Schlüsse für
das vorliegende Verfahren gezogen werden könnten, und ebenso für das Urteil des
Stadtgerichts Pecs vom 20. Januar 1981 (39.), das sich überdies mit einem
offensichtlich nicht vergleichbaren Fall sog. aktiver Republikflucht befaßt. Aus der
Zeit nach dem Bekanntwerden der drei einschlägigen Urteile des Obersten
Gerichts der Ungarischen Volksrepublik sind den dem Senat vorliegenden
Unterlagen lediglich Erkenntnisse über ein einziges weiteres Strafurteil zu
entnehmen, das unter dem 7. Dezember 1983 vom Komitatsgericht Szeged zu §
217 UngStBG ergangen sein und eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf
Bewährung ausgesprochen haben soll (35.; 39.), jedoch nicht verfügbar ist und
deshalb für die hier anzustellen ' de Prognose nicht verwertet werden kann, zumal
nicht ersichtlich ist, ob die Verurteilung überhaupt nach der hier interessierenden
Alternative des § 217 Abs. 1 b) UngStGB erfolgte. Soweit in den Gründen eines
Scheidungsurteils des Kreisgerichts Miskolc vom 2. September 1981 eine
Verurteilung durch das Kreisgericht Nyiregyhaza oder Nyeregyhaza zu einer
41
42
Verurteilung durch das Kreisgericht Nyiregyhaza oder Nyeregyhaza zu einer
Gefängnisstrafe von zwei Jahren (zit. nach VG Köln, 08.06.1982 - 12 K 10167/80
sowie VGH Baden-Württemberg, 24.11.1983 - A 13 S 870/83 u. 28.11.1983 - A 13
S 653/83 -) und soweit ferner von einem auf dieselbe Strafe lautenden (zweiten)
Urteil des Zentralbezirksgerichts Pest vom 5. Oktober 1982 berichtet wird (zit.
nach Kanein/Renner, Ausländerrecht, 4. Aufl. 1988, GG/GK, Rdnr. 114), sind weder
die zugrunde liegenden Sachverhalte in ausreichender Deutlichkeit noch die jeweils
angewandte Strafvorschrift erkennbar. Weitere einschlägige Entscheidungen sind
seither nicht bekanntgeworden (36.; 38.; 39.; 51.; 53.), was freilich nicht
ausschließt, daß solche dennoch ergangen, aber nicht nach außen gedrungen
sind. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß Verurteilungen nach § 217 Abs. 1 b)
UngStBG in Ungarn offenbar in der Regel nicht -etwa in der Tagespresse publiziert
werden und daß nach ungarischem Strafrecht die Möglichkeit einer Verurteilung in
Abwesenheit besteht und die Gerichte hiervon, wie die wenigen vorliegenden
Strafurteile zeigen, auch Gebrauch machen (vgl. 16.; 17.; 21., S. 563; 35.) mit der
Folge, daß die Betroffenen von den öffentlich - d. h. durch Aushang im Gericht -
zugestellten Urteilen nicht ohne weiteres Kenntnis erlangen. Dennoch erscheint es
angesichts der zwischen Ungarn und dem westlichen Ausland bestehenden
vielfältigen Kontakte unwahrscheinlich, daß eine größere Anzahl von
Verurteilungen im Westen gänzlich unbemerkt geblieben wäre, zumal davon
auszugehen ist, daß insbesondere Asylbewerber die ihnen zur Verfügung
stehenden Informationsmöglichkeiten ausschöpfen würden, um sich über eine
erfolgte Verurteilung zu vergewissern und diese ggf. zur Stützung ihres
Asylbegehrens glaubhaft zu machen (Hess.VGH, 17.01-. 1985 - X OE 12/82 - u.
05.09.1985 - X OE 220/82 -). Vielmehr spricht mehr dafür, daß die politische Justiz
in Ungarn in letzter Zeit verstärkt Zurückhaltung übt (46.; 52.); nach neuesten
Presseberichten etwa hat der Leiter der Paßabteilung des ungarischen
Innenministeriums erklärt, nach illegalem Auslandsaufenthalt zurückkehrende
Ungarn hätten Strafverfolgung nicht zu befürchten, wenn sie vor ihrer Ausreise
keine strafbaren Handlungen begangen hätten (FAZ vom 14. Juli 1989:
"Staatsbürger zur Heimkehr ermutigt"), und außerdem soll ein Gesetzentwurf
vorliegen, der eine weitere Liberalisierung der Ein- und Ausreisebestimmungen
bringe mit der Folge, daß ungarische Staatsangehörige künftig ohne
Schwierigkeiten im Ausland Aufenthalt nehmen und dort arbeiten könnten (FAZ
vom 26. Juni 1989: "Neue Führung für Ungarns Kommunisten" und FAZ vom 14. Juli
1989: "Zufriedenheit in Budapest").
Nach der unter diesen Umständen zugrunde zu legenden Rechtsprechung des
Obersten Gerichts der Ungarischen Volksrepublik kann nicht davon ausgegangen
werden, daß jeder ungarische Staatsbürger - unabhängig von seiner Person - allein
dadurch, daß er im westlichen Ausland ein Asylverfahren betreibt, Belange der
Ungarischen Volksrepublik erheblich verletzt und deshalb im Rückkehrfalle mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Strafverfolgung nach § 217 Abs. 1 b) UngStBG
ausgesetzt ist (5.; 10.; 14.; 26.; 45.; a.A. 19.; 36.). Abgesehen davon, daß es in
den letzten Jahren nachweislich wiederholt Fälle gegeben hat, in denen ungarische
Staatsangehörige - so offenbar auch der Zeuge G nach Anerkennung als
Asylberechtigter in der Bundesrepublik Deutschland Reisen nach Ungarn
unternommen haben, ohne bei dieser Gelegenheit in ihrem Heimatland
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder an einer Rückkehr gehindert
worden zu sein (9.; 51.), dürfte in Ungarn - nicht zuletzt wegen der sich in jüngster
Zeit abzeichnenden Liberalisierungstendenzen - sehr wohl in Rechnung gestellt
werden, daß in vielen Fällen der Asylantrag dazu dient, einen sonst illegalen
Aufenthalt zunächst einmal zu legalisieren. Mithin läßt sich bei einem ungarischen
Staatsangehörigen, der im westlichen Ausland ein Asylverfahren betreibt, nur
unter Würdigung der Gesamtumstände im Einzelfall beurteilen, ob ihm bei
Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Strafverfolgung
nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB droht (Hess.VGH, 17.01.1985 - X OE 12/82 - u.
05.09.1985 - X OE 220/82 -; im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg,
26.04.1982 - A 13 S 407/81 -, InfAus1R 1982, 212 <Ls.>,17.02.1983 - A 13 S
537/82 -, 24.11.1983 - A 13 S 870/83 - u. 28.11.1983 - A 13 S 653/83 -; Bay.VGH,
06.07.1982 - 20 B 80 C.1519 - u. 28.02. 1984 - 719 XII/XX 78 OVG Hamburg,
25.08.1982 - Bf VII 91/82 -; OVG Nordrhein-Westfalen,13.07.1988 - 17 A 3.0025/84
-; OVG Rheinland-Pfalz, 12.06.1985 - 11 A 190/82 -; vgl. ferner Kanein/Renner,
a.a.O., GG/GK, Rdnr. 114, u. Marx/Strate/Pfaff, 2. Aufl. 1987, § 1 AsylVfG, Rdnrn.
343 f.).
Ausgehend von diesen Erkenntnissen über das Verständnis und die Handhabung
des § 217 Abs. 1 ID) UngStGB durch die ungarische Rechtsprechung und auf der
Grundlage der dem Senat sonst vorliegenden Dokumente (insbesondere 19.; 20.;
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44
Grundlage der dem Senat sonst vorliegenden Dokumente (insbesondere 19.; 20.;
38.; 44.; 45.; 46.).
Denn der Kläger zu 1) als von 1973 bis zur Ausreise selbständiger Handwerker und
die Klägerin zu 2), die zeitweise als Statistikerin bei einer Genossenschaft und
zuletzt im Außendienst für eine staatliche Versicherung tätig war, verfügten
ersichtlich nicht über nennenswerte Datenkenntnisse, durch deren Preisgabe im
Ausland eine Gefährdung der Ungarischen Volksrepublik bewirkt werden könnte.
Da die Klägerin zu 2) darüber hinaus offenbar keine leitende berufliche Position
innehatte und beide Kläger weder als Künstler, Sportler, anerkannte
Wissenschaftler noch als Funktionsträger der Kommunistischen Partei
Repräsentanten des ungarischen Staates sind und sich auch sonst sowohl in
Ungarn als auch im Bundesgebiet weitgehend unauffällig verhalten haben, fehlt es
an Anhaltspunkten dafür, daß sie im Rückkehrfalle mit Strafverfolgung nach § 217
Abs. 1 b) UngStGB rechnen müßten. Allein die sicherheitsbehördliche Überprüfung
des Klägers zu 1) im Jahre 1968 und dessen polizeiliche Vernehmung nach der
Rückkehr von der Westeuropareise im Jahre 1977 führen - schon wegen der im
Jahre 1980 erneut erteilten Auslandsaufenthaltserlaubnis und der damit zum
Ausdruck gekommenen Einordnung des Klägers zu 1) als im wesentlichen
regimetreu - zu keiner anderen Einschätzung. Die Stellung des Asylantrags und
die darin liegende Behauptung politischer Verfolgung durch den ungarischen Staat
begründet für sich allein nach ungarischem Rechtsverständnis noch keinen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zur Bestrafung führenden internationalen
Prestigeverlust des ungarischen Staates (vgl. 5.; 10.; 20.; 26.; 27.; 30.; 36.; 51.);
dieser Umstand pflegt nicht einmal - bei Verurteilung aus anderen Gründen -
strafverschärfend gewertet zu werden (45.). Auch die Begründung des
Asylvorbringens der Kläger enthält keine derart schwerwiegenden Vorwürfe, daß
von der Annahme einer erheblichen Verletzung der Belange der Ungarischen
Volksrepublik ausgegangen werden könnte. Das gilt auch, soweit die Kläger von
angeblichen Bespitzelungen in Ungarn -etwa während ihres Bulgarienurlaubs im
Jahre 1978 und bei der Außendienstätigkeit der Klägerin zu 2) seit 1978 - berichtet
haben sowie davon, daß sie im Dezember 1984 telegrafisch nach Rosenheim
bestellt worden seien, wo sie - wie sie annähmen - ausgehorcht werden sollten,
zumal sie den letztgenannten Vorfall selbst nicht einmal ausdrücklich mit dem
ungarischen Geheimdienst in Verbindung gebracht haben. Ferner haben sich die
Kläger - ihren Bekundungen bei der Vernehmung am 15. Juni 1989 zufolge - auch
in Briefen und Telefonaten gegenüber in Ungarn verbliebenen Personen schon mit
Rücksicht auf mögliche staatliche Kontrollen (vgl. 52.; 55.) nur zurückhaltend
geäußert. Das Bestrafungsrisiko der Kläger erhöht sich schließlich nicht dadurch
auf ein Maß beachtlicher Wahrscheinlichkeit, daß sie im Zusammenhang mit dem
Anerkennungsverfahren nachrichtendienstlich vernommen worden sind. Denn
nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht
am 3. August 1984 wurde der Kläger zu 1) zwar dazu befragt, wo sich an ihrem
Wohnort Oroshaza Kasernen befänden, wo sowjetische Truppen untergebracht
seien und wo ggf. Waffen hergestellt würden, und die Klägerin zu 2) zu ihrer
früheren Tätigkeit als Statistikerin bei der Genossenschaft sowie zu den von der
staatlichen Versicherung angebotenen (Pflicht-) Versicherungen. Die Kläger haben
jedoch selbst nicht behauptet - und dies kann auf Grund ihrer insoweit
beschränkten Kenntnisse auch nicht angenommen werden -, daß sie auf die ihnen
gestellten Fragen Angaben von Bedeutung gemacht haben bzw. machen konnten.
Allein der Umstand, daß sie sich der Befragung gestellt haben, dürfte nicht ins
Gewicht fallen. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Praxis
nachrichtendienstlicher Vernehmung ungarischer Asylbewerber den ungarischen
Behörden bekannt, und dennoch fehlen Anhaltspunkte dafür, daß schon deswegen
Strafverfolgung gemäß § 217 Abs. 1 b) UngStGB erfolgt. Daher geht der Senat
davon aus, daß eine nachrichtendienstliche Befragung das Bestrafungsrisiko nur
dann erhöht, wenn hierbei - und daran fehlt es im vorliegenden Fall - die Preisgabe
wichtiger Informationen zu besorgen ist (vgl. 49., ferner Hess.VGH, 17.01.1985 - X
OE 12/82 - u. 05.09.1985 - X OE 220/82 -; VGH Baden-Württemberg, 24.11.1983 -
A 13 S 870/83 -).
Ist demnach schon nicht beachtlich wahrscheinlich, daß ungarische
Strafverfolgungsbehörden bei einer jetzigen Rückkehr der Kläger den Tatbestand
des § 217 Abs. 1 b) UngStBG als erfüllt ansehen würden, so kann offenbleiben, ob
ihnen auch deswegen keine Strafverfolgung nach dieser Vorschrift mehr droht, weil
seit ihrem unerlaubten Verbleiben im Ausland nahezu neun Jahre verstrichen sind.
Dahinstehen kann -die einschlägigen ungarischen Bestimmungen sind durch
Verfügung des Berichterstatters vom 19. Juni 1989 in das Berufungsverfahren
eingeführt worden, insbesondere ob etwa die Strafverfolgung bereits verjährt ist,
45
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eingeführt worden, insbesondere ob etwa die Strafverfolgung bereits verjährt ist,
was vor allem davon abhängt, ob die - hier dreijährige (§ 33 Abs. 1 b) i.V.m. § 217
Abs. 1 b) UngStGB) - Verjährungsfrist nach § 34 c) UngStGB bereits mit Verbleiben
im Ausland über den Zeitraum der Auslandsaufenthaltserlaubnis hinaus oder - was
vorherrschender Meinung entspricht (vgl. 21., S. 562; 31.; ferner VGH Baden-
Württemberg, 24.11.1983 - A 13 S 870/83 - u. 28.11.1983 - A 13 S 653/83 -) - nach
§ 34 d) UngStGB erst mit der Rückkehr nach Ungarn bzw. der Legalisierung des
unerlaubten Auslandsaufenthalts beginnt. Ebensowenig bedarf einer Entscheidung,
ob es sich bei den Klägern um sog. "Alt-Emigranten" handelt, denen nach mehr als
fünfjährigem Auslandsaufenthalt ein Reisepaß zum hiesigen Verbleib ausgestellt
werden könnte, und ob unter diesen Umständen überhaupt noch ein Fortbestehen
des Umgehens der Vorschriften über Auslandsreise und -aufenthalt im Sinne des §
217 Abs. 1 b) UngStGB angenommen werden kann (vgl. 38.; ferner Hess.VGH,
05.09.1985 - 10 OE 171/83 -, OVG Rheinland-Pfalz, 12.06.1985 - 11 A 190/82 -, VG
Köln, 01.06.1982 - 12 K 10167/80 -, u. VG Stuttgart, 19.02.1.981 - A 11 K 503/80 -,
InfAus1R 1981, 228).
bb) Es kann auch nicht festgestellt werden, daß den Klägern nach anderen
ungarischen Strafbestimmungen im Rückkehrfalle mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Zwar ist nach den dem Senat vorliegenden
Dokumenten nicht auszuschließen, daß rückkehrende Asylbewerber im Einzelfall
nach § 144 UngStGB wegen Landesverrats, nach § 147 wegen Spionage, nach §
148 wegen Hetze, nach §§ 221 f. wegen Geheimnisverrats, nach § 269 wegen
Verunglimpfung und nach §§ 335 f. wegen Wehrdienstentziehung oder -
verweigerung bestraft werden können (7.; 20.; 21., S. 567; 23.; 30., 42., 43.; 52.).
Bei den Klägern fehlt es hierfür jedoch an hinreichenden Anhaltspunkten. Scheidet
wegen ihrer geringen Datenkenntnisse schon eine erhebliche Verletzung von
Belangen der Ungarischen Volksrepublik i.S. des § 217 Abs. 1 b) UngStGB aus, so
liegt erst recht die Annahme fern, durch ihre Angaben im Asylverfahren -
insbesondere bei der nachrichtendienstlichen Befragung - sei der Tatbestand der
§§ 144, 147 und/oder 221 f. UngStGB verwirklicht worden. Eine Strafverfolgung des
Klägers zu 1) nach §§ 335 f. UngStGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil
er sich seinen Angaben zufolge vom Wehrdienst durch die dreijährige Entrichtung
einer sog. Militärsteuer freigekauft hat. Auch eine Strafverfolgung der Kläger
wegen Hetze oder Verunglimpfung (§§ 148 und 269 UngStGB; vgl. 23.; 42.; 52.) ist
unter Berücksichtigung ihres weitgehend zurückhaltenden Vorbringens im
Asylverfahren und der zunehmend liberaleren Strafpraxis (42.; 52.) nicht
beachtlich wahrscheinlich; vielmehr fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die
ungarischen Strafverfolgungsbehörden in dem Verhalten der Kläger Handlungen
sehen könnten, die diese begangen haben, um etwa zum Haß gegen die
ungarische Nation oder die verfassungsmäßige Ordnung der Ungarischen
Volksrepublik aufzustacheln, oder die jedenfalls zum Hervorrufen derartigen
Hasses geeignet sind (vgl. 42., 43., 52.).
c) Sollte sich eine Verurteilung der Kläger nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB zwar in
den Akten des Stadtgerichts Oroshaza befinden - und dort von der mit der
Klägerin zu 2) befreundeten früheren Justizschreibkraft gesehen worden sein -,
ohne daß das Urteil bisher bekanntgegeben worden ist - eine
Sachverhaltsvariante, die der Senat freilich für wenig wahrscheinlich hält -, so wäre
diese Entscheidung, falls ihre Bekanntgabe etwa im Rückkehrfalle der Kläger noch
erfolgen sollte, jedenfalls bisher nicht rechtskräftig, und die Kläger könnten
hiergegen noch Rechtsmittel einlegen; für diesen Fall hielte es der Senat mit Blick
auf die Darlegungen im vorstehenden Absatz (oben II. 2. b) nicht für beachtlich
wahrscheinlich, daß das Berufungsgericht die Verurteilung bestätigen würde;
vielmehr wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Freispruch zu erwarten. Sollten die
Kläger hingegen nicht nur in Abwesenheit verurteilt worden sein, sondern das Urteil
im Wege öffentlicher Bekanntgabe an der Gerichtstafel auch Rechtskraft erlangt
haben (vgl. 16.; 17.; 21., S. 563; 35.), so mag die Möglichkeit bestehen, unter
Berufung auf die Verurteilung in Abwesenheit eine Wiederaufnahme des
Verfahrens erreichen zu können (vgl. 32. und 43.). Dem braucht der Senat jedoch
nicht weiter nachzugehen, denn jedenfalls ist keine beachtliche Wahrscheinlichkeit
dafür zu erkennen, daß die Kläger im Rückkehrfalle noch mit einer Vollstreckung
der gegen sie verhängten Strafe rechnen müßten (vgl. hierzu auch Hess.VGH,
05.09.1985 - 10 OE 171/83 -, u. Bay.VGH, 28.02.1984 - 719 XII/XX 78 -). Dies ergibt
sich aus folgenden Erwägungen:
Nach § 67 Abs. 1 d) UngStGB verjährt die Hauptstrafe bei Freiheitsentzug bis zu
fünf Jahren - die Kläger wollen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt
worden sein - nach Ablauf von fünf Jahren. Die Frist für die Verjährung der
48
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worden sein - nach Ablauf von fünf Jahren. Die Frist für die Verjährung der
Hauptstrafe beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung (§ 68 Abs. 1 Satz 1
UngStGB), und die Verjährung wird durch jede Maßnahme unterbrochen, die sich
gegen den Verurteilten richtet und auf den Vollzug der Strafe bezieht, mit der
Folge, daß die Verjährungsfrist mit dem Tage der Unterbrechung von neuem
beginnt (§ 68 Abs. 3 UngStGB).
Der Senat ist der sicheren Überzeugung, daß ein Urteil gegen die Kläger, sollte es
überhaupt öffentlich bekanntgegeben worden sein, jedenfalls vor weit mehr als fünf
Jahren, nämlich spätestens Ende des Jahres 1983, rechtskräftig geworden ist. Zwar
sollen nach Auskunft des ungarischen Außenministeriums juristische Maßnahmen
erst ergriffen werden, wenn der Aufenthalt im Ausland länger als ein Jahr dauert
(34.), während früher die Durchführung der Strafverhandlung in der Regel innerhalb
eines Jahres nach der Flucht erfolgte (12., S.Fußn. 56). In dessen ist aus den
bekanntgewordenen einschlägigen ungarischen Strafurteilen, soweit sie Angaben
zur Tatzeit und ein Entscheidungs- und/oder Rechtskraftdatum enthalten, zu
entnehmen, daß die betreffenden Strafverfahren, selbst wenn sie sich über mehr
als eine Instanz erstreckten, meist zwischen ein und zwei Jahren, jedenfalls nicht
länger als drei Jahre dauerten (17.; 21.; 35.). In diesem zeitlichen Rahmen hielt sich
offenbar auch das gegen die Kläger möglicherweise durchgeführte Strafverfahren,
deren Auslandsaufenthaltserlaubnis im September 1980 abgelaufen war; denn
nach den Bekundungen des Zeugen G im Mai 1982 die Ladung der Mutter des
Klägers zu 1) als Zeugin zu der betreffenden Verhandlung vor dem Stadtgericht
Oroshaza gesehen und ist er etwa eineinhalb Jahre später - vermutlich im
September 1983 - von einem Polizisten über die Verurteilung der Kläger
unterrichtet worden. Daß die Kläger selbst erst einige Jahre später von der in
Oroshaza lebenden Schwester der Klägerin zu 2) anläßlich deren Besuchs von der
Verurteilung erfahren haben wollen - nach Aussage des Klägers zu 1) im Jahre
1985 oder 1986, nach Aussage der Klägerin zu 2) im Oktober 1988 -, berührt die
zeitliche Einschätzung des Senats nicht.
Hat demnach die Verjährungsfrist spätestens mit Ablauf des Jahres 1983 zu laufen
begonnen, so ist die Verjährung der Strafvollstreckung zwischenzeitlich
eingetreten. Maßnahmen, die die Verjährung nach dem vom Senat
angenommenen spätesten Beginn der Verjährungsfrist hätten unterbrechen
können, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Soweit der Kläger zu 1)
anläßlich der Vorprüfungsanhörung angegeben hat, er habe etwa im Februar 1981
von seiner Mutter und einer Schwester der Klägerin zu 2) erfahren, daß die Polizei
sie suche, und soweit der Zeuge G bekundet hat, anläßlich seines Besuches im
Mai 1982 habe die Mutter des Klägers zu 1) geäußert, daß die Polizei mehrmals
dagewesen sei und ihr Fragen gestellt habe, lagen diese Maßnahmen ohnehin vor
dem angenommenen Beginn der Verjährungsfrist, so daß ihre Qualität
dahinstehen mag. Soweit die Kläger davon berichtet haben, daß ihre Post von und
nach Ungarn in großem Umfang geöffnet und teilweise offenbar beschlagnahmt
werde, handelt es sich nicht um Maßnahmen, die sich i. S. d. § 68 Abs. 3 Satz 1
UngStGB auf den Vollzug der Strafe beziehen. Was die telegrafische Bestellung
der Kläger nach Rosenheim angeht, so fehlt es schon an Anhaltspunkten dafür,
daß diese überhaupt von staatlichen ungarischen Stellen - und sei es nur mittelbar
veranlaßt worden ist. Andere im hier interessierenden Zusammenhang relevante
Maßnahmen haben die Kläger nicht vorgetragen; hätten solche in Ungarn
stattgefunden, so ist davon auszugehen, daß die in Oroshaza lebende Schwester
der Klägerin zu 2) hiervon erfahren und die Kläger anläßlich ihres letzten Besuchs
im Herbst 1988 entsprechend unterrichtet hätte.
d) Droht mithin den Klägern im Rückkehrfalle weder Strafverfolgung noch
Strafvollstreckung nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB oder anderen ungarischen
Strafbestimmungen, so kann offenbleiben, ob eine solche Bestrafung als politische
Verfolgung zu qualifizieren wäre. Dies hat die Rechtsprechung für die ungarischen
Strafvorschriften betr. die sog. passive Republikflucht früher im wesentlichen mit
der Begründung bejaht, daß eine darauf gestützte Bestrafung regelmäßig der
Abwehr und Ahndung des - aus der Sicht des Verfolgerstaates - auf abweichender
politischer Überzeugung beruhenden Wunsches diene, in einem anderen Lande
leben zu können, und zwar sowohl für § 205 Satz 1 UngStGB 1961 (BVerwG,
26.10.1971 - 1 C 30.68 -, BVerwGE 39, 27; 26.10. 1971 - 1 C 41.67 -, DVB1. 1972,
277; 27.03.1979 - 1 C 61.77 - InfAuslR 1979, Heft 2, S. 41; 24.04.1979 - I C 49.77 -,
EZAR 200 Nr. 4 = Buchholz 402.24 Nr. 13 zu § 28 AuslG) als auch für § 217 Abs. 1
b) UngStGB 1978 (BVerwG, 10.02.1984 - 9 B 337.83 - Hess.VGH, 17.01.1985 - X
OE 12/82 - u. 05.09.1985 - 10 OE 171/83 - VGH Baden-Württemberg, 26.04.1982 -
A 13 S 407/81 - InfAuslR 1982, 212 <Ls.>, 17.02.1983 - A 13 S 537/82 - ;
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53
A 13 S 407/81 - InfAuslR 1982, 212 <Ls.>, 17.02.1983 - A 13 S 537/82 - ;
24.11.1983 - A 13 S 870/83 - u. 28.11.1983 - A 13 S 653/83 - OVG Nordrhein-
Westfalen, 12.04.1989 - 17 A 10134/85 -;zweifelnd Bay.VGH, 27.09.1979 - 644 XII
78 -, BayVBl. 1980,26 <Ls.>). Neuerdings hat das Bundesverwaltungsgericht
offengelassen, ob an der bisherigen Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten
werden könne (BVerwG, 21.06.1988 - 9 C 5.88 -,EZAR 201 Nr. 14 = NVwZ 1989,
68; ebenso im Ergebnis schon Hess.VGH, 05.09.1985 - X OE 220/82 - u. OVG
Hamburg, 25.08.1982 - Bf VII 91/82 -). Auch im vorliegenden Fall bedarf die Frage,
wie dargelegt, keiner Entscheidung.
e) Ebenso kann offenbleiben, ob eine den Klägern drohende Bestrafung nach § 217
Abs. 1 b.) UngStGB, wäre sie als politische Verfolgung zu qualifizieren, in
Anwendung der neueren - an der Fallgruppe exilpolitischer Betätigung entwickelten
- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -,
BVerfGE 72, 51 = EZAR 200 Nr. 18, u. 17.11.1988 - 2 BvR 442/88 -, InfAuslR 1989,
31) asylrechtlich überhaupt beachtlich wäre. Danach setzt das Asylgrundrecht des
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG von seinem Tatbestand her grundsätzlich den
Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus und kann deshalb
grundsätzlich nicht auf sog. subjektive Nachfluchttatbestände erstreckt werden,
die der Asylbewerber risikolos vom gesicherten Ort aus durch eigenes Tun
geschaffen hat; etwas anderes gelte - als allgemeine Leitlinie - mir dann, wenn die
selbstgeschaffenen Nachfluchttatbestände sich als Ausdruck und Fortführung
einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar
betätigten Überzeugung darstellten. Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum zwar
vorwiegend auf Kritik gestoßen (vgl. u. a. Brunn, NVwZ 1987, 301; J. Hofmann, ZAR
1987, 115; J. Hofmann, DÖV 1987, 491; R. Hofmann, NVwZ 1987, 295; Huber,
NVwZ 1987, 391; Kimminich, JZ 1987, 194; Wolf, InfAusIR 1987, 60;
Wollenschläger/Becker, ZAR 1987, 51, 54 f.).
Dennoch hat sich das Bundesverwaltungsgericht ihr zwischenzeitlich unter Hinweis
auf die seiner Ansicht nach insoweit bestehende Bindungswirkung gemäß § 31
BVerfGG angeschlossen und ausgeführt, seine frühere Rechtsprechung zu den
subjektiven Nachfluchttatbeständen sei überholt und die Vorschrift des § 1 a
AsylVfG laufe für solche Nachfluchttatbestände leer, die nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts schon vom Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2
Satz 2 GG ausgeschlossen seien, und regele für die beachtlichen
Nachfluchttatbestände darüber hinaus, daß bestimmte, ihre Herbeiführung
betreffende Umstände bei der Asylentscheidung außer Betracht zu bleiben hätten
(BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 EZAR 200 Nr. 19; vgl. zur
Fallgruppe der exilpolitischen Betätigung ferner 20.10.1987 - 9 C 147.86 -;
20.10.1987 - 9 C 42.87 -, InfAus1R 1988, 22; 22.06.1988 - 9 B 65.88 -, InfAus1R
1988, 255, u. 22.06.1988 - 9 B 189.88 -, InfAus1R 1988, 254). Außerdem hat das
Bundesverwaltungsgericht die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten
Grundsätze im Hinblick auf weitere Fallgruppen selbstgeschaffener
Nachfluchttatbestände präzisiert (vgl. etwa zur Asylantragstellung 30.08.1988 - 9
C 80.87 -, InfAusIR 1988, 337, 30.08.1988 - 9 C 20.88 -, InfAus1R 1989, 32, u.
11.04.1989 - 9 C 53.88 - sowie zur sog. aktiven Republikflucht 06.12.1988 - 9 C
22.88 -, InfAusIR 1989, 169) und dabei entschieden, daß auch eine nach dem
Verlassen des Heimatstaates erfolgte Bestrafung wegen illegalen Verbleibens im
Ausland nach legaler Ausreise gemäß § 217 Abs. 1 b) UngStGB wie ein
selbstgeschaffener Nachfluchttatbestand zu behandeln und deshalb asylrechtlich
unbeachtlich sei, Wenn der Ausländer nicht schon vorher politisch verfolgt worden
war oder eine solche Verfolgung im Zeitpunkt seiner Ausreise begründet zu
befürchten hatte (BVerwG, 21.06.1.988 - 9 C 5.88 -, EZAR 201 Nr. 14 = NVwZ
1989, 68; ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, 09.03.1988 - 17 A 10766/82 - u. 17 A
10769/82 -, 20.04.1988 - 17 A 10034/83 - sowie 12.04.1989 - 17 A 10134/85 -).
Der Senat hat zu der Frage der Asylerheblichkeit selbstgeschaffener
Nachfluchttatbestände ebenso wie zu der einer möglichen Bindung an die
betreffende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (kritisch hierzu VGH
Baden-Württemberg, 19.11.1987 - A 12 S 761/86 -, NVwZ-RR 1989, 46) bisher
noch nicht grundsätzlich Stellung genommen, sondern mehrere Berufungen - u. a.
auch bezüglich ungarischer Staatsangehöriger (19.11.1987 - 12 TE 2368/87 -) -
wegen grundsätzlicher Klärungsbedürftigkeit u. a. in rechtlicher Hinsicht
zugelassen. Der vorliegende Fall bietet freilich keine Veranlassung für eine
diesbezügliche Grundsatzentscheidung, weil den Klägern im Rückkehrfalle nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Bestrafung nach § 217 Abs. 1 b) UngStGB droht.
f) Soweit der Kläger zu 1) bei seiner Vernehmung am 15. Juni 1989 bekundet hat,
er befürchte bei einer jetzigen Rückkehr nach Ungarn mindestens
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er befürchte bei einer jetzigen Rückkehr nach Ungarn mindestens
Benachteiligungen in ähnlicher Form, wie er sie schon nach seiner Rückkehr von
der Westeuropareise im Jahre 1977 erlebt habe, dürften seine Befürchtungen
durchaus begründet sein. Denn ausweislich der dem Senat vorliegenden
Dokumente haben Rückkehrer mit administrativen und beruflichen
Beeinträchtigungen und mit Diskriminierungen im sozialen Bereich (etwa
hinsichtlich der Wohnungsbeschaffung und der Bildungsmöglichkeiten für ihre
Kinder) zu rechnen, werden auf fünf Jahre Ausreisebeschränkungen unterworfen
und evtl. auch mit einem Bußgeld bis zu 2.000 Forint belegt sowie am Arbeitsplatz
überwacht (5.; 7.; 28.; 32.; 34.; 36.; 38.; 48.; 52.; 53.; 54.; 55.). Es muß auch davon
ausgegangen werden, daß -entsprechend den Bekundungen der Kläger - ihr
Vermögen, also insbesondere die Wohnung der Kläger und die Werkstatt des
Klägers zu 1), beschlagnahmt worden sind (8.; 10.; 19.; 43.; 45.). Anhaltspunkte
dafür, daß die Kläger im Rückkehrfalle in ihrer - vor allem wirtschaftlichen - Existenz
bedroht und für sie nur noch ein Leben "am Rande des Verderbens" gewährleistet
wäre (vgl. dazu BVerwG, 06.10.1987 - 9 C 13.87 -, EZAR 203 Nr. 4 = InfAus1R
1988, 57), liegen indessen nicht vor. Vielmehr stellen die geschilderten Nachteile
schon ihrer Intensität nach (noch) keine politische Verfolgung im asylrechtlichen
Sinne dar (Hess.VGH, 05.09. 1985 - X OE 220/82 -; VGH Baden-Württemberg,
17.02.1983 - A 13 S 537/82 -; Bay.VGH, 06.07.1982 -20 B 80 C.1519 - u.
28.02.1984 - 719 XII/XX 78 -; OVG Hamburg, 25.08.1982 - Bf 791/82 -; OVG
Nordrhein-Westfalen, 13.07.1988 - 17 A 10025/84 -; OVG Rheinland-Pfalz,
12.06.1985 - 11 A 190/82 -). Unabhängig hiervon wäre selbst bei Unfähigkeit der
Kläger, den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen, nach der neuesten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (31.01.1989 - 9 C 43.88 -, EZAR
200 Nr. 24) Asylrelevanz wohl nicht anzunehmen.
3. Droht den Klägern nach alledem im Rückkehrfalle unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgung, so
kommt es nicht darauf an, ob sie bereits in einem anderen Staat vor politischer
Verfolgung sicher waren (vgl. § 2 Abs. 1 AsylVfG), bevor sie am 19. August 1980
endgültig ins Bundesgebiet kamen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts findet allerdings § 2 Abs. 1 AsylVfG auch auf vor
seinem Inkrafttreten eingereiste Asylbewerber Anwendung (vgl. § 43 Nr. 2 AsylVfG
und BVerwG, 24.03.1987 - 9 C 47.85 - BVerwGE 77, 150 = EZAR 205 Nr. 5,
15.12.1987 - 9 C 285.86 - BVerwGE 78, 332 = EZAR 205 Nr. 6, 21.06.1988 - 9 C
5.88 - EZAR 201 Nr. 14 = NVwZ 1989, 68, u. 21.06.1988 - 9 C 12.88 - EZAR 205
Nr. 9 = InfAuslR 1988, 297; vgl. ferner BVerfG, 20.04.1988 - 2 BvR 1506/87 -, NVwZ
1988, 717); des weiteren ist indessen erforderlich, daß die Flucht - bei einer
Beurteilung nach objektiven Maßstäben - in dem betreffenden Drittstaat ihr Ende
gefunden hat (BVerwG, 21.06.1988 - 9 C 12.88 - EZAR 205 Nr. 9 = InfAuslR 1988,
297, u. 17.01.1989 - 9 C 41.88 -). Danach waren die Kläger zweifellos nicht schon
in Österreich, das sie nur auf der Durchreise während eines Tages besuchten, in
diesem Sinne sicher; fraglich kann demgegenüber sein, wie ihr einwöchiger
Aufenthalt in Belgien, wohin sie sich ihren Angaben zufolge zum Zwecke eines
Verwandtenbesuches - unter Durchquerung der Bundesrepublik Deutschland
begeben hatten, bei objektiver Betrachtung zu qualifizieren wäre. Andererseits
setzt anderweitige Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des § 2 AsylVfG nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, daß dem Ausländer in dem
betreffenden Zeitpunkt politische Verfolgung gedroht hat (BVerwG, 15.07.1986 - 9
C 323.85 -, EZAR 200 Nr. 16 = InfAuslR 1986, 331); und daran könnte es hier von
vornherein schon deshalb fehlen, weil die Auslandsaufenthaltserlaubnisse der
Kläger seinerzeit noch gültig waren (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 09.03.1988 - 17
A 10769/82 -). All diesen Fragen braucht jedoch - wie dargelegt - mangels den
Klägern gegenwärtig drohender politischer Verfolgung nicht weiter nachgegangen
zu werden.
III.
Die Entscheidungen über die Kosten des Verfahrens und über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 154, 159 Satz 1, 167 VwGO i.V.m. §§ 100 Abs. 1,
708 Nr. 11 und 711 Satz 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.