Urteil des HessVGH vom 08.05.1995

VGH Kassel: sozialhilfe, unterkunftskosten, haushalt, miete, höchstbetrag, angemessenheit, wohnungsmarkt, quelle, ausnahme, naturschutz

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TG 73/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 BSHG, § 3 Abs 1
RegSatzV, § 12 BSHG, § 22
BSHG
(Sozialhilfe: Übernahme von Unterkunftskosten bei
sozialhilferechtlich unangemessenen Unterkunftskosten;
Angemessenheit einer Wohnung für Alleinerziehende mit
Kind)
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet; denn das
Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu
Unrecht teilweise stattgegeben. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung ist in vollem Umfang unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen
Sachverhalt glaubhaft gemacht, nach dem ihr Leistungen der Sozialhilfe für ihre
Wohnung zustehen.
Aus § 12 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) i. V. m. § 3 Abs. 1 der
Regelsatzverordnung folgt, daß laufende Leistungen der Sozialhilfe für die
Unterkunft grundsätzlich nur dann zu gewähren sind, wenn diese Kosten den
sozialhilferechtlich angemessenen Umfang nicht übersteigen (vgl.
Bundesverwaltungsgericht in dem bereits von dem Verwaltungsgericht zitierten
Urteil vom 23. Januar 1993 - BVerwGE 92, 1).
Die Kosten für die Wohnung der Antragstellerin, in der sie seit September 1994 mit
ihrer im Mai 1994 geborenen Tochter lebt, überschreiten den sozialhilferechtlich
angemessenen Umfang.
Liegen keine anderen greifbaren Anhaltspunkte für die Beurteilung der
sozialhilferechtlichen Angemessenheit einer Wohnung vor, so können als
Orientierungshilfe die Höchstbeträge nach § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG)
herangezogen werden (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 11. August 1994 - 9 TG
2099/94 -). Geht man davon aus, daß die Wohnung der Antragstellerin nach dem
31. Dezember 1991 bezugsfertig geworden ist, so ergibt sich nach § 8 WoGG für
Hofheim, das der Mietenstufe IV zugeordnet ist, ein Höchstbetrag von 705,00 DM
bei einem Haushalt mit zwei Familienmitgliedern. Dieser Höchstbetrag gilt nach §
5 WoGG für die Miete einschließlich der Umlagen mit Ausnahme der Heizkosten.
Wegen der für die Wohnungssuchenden besonders ungünstigen Lage des
Wohnungsmarkts im Rhein-Main-Gebiet kann dort zwar eine Miete auch dann noch
sozialhilferechtlich angemessen sein, wenn die Höchstbeträge nach dem
Wohngeldgesetz um nicht mehr als 25 % überschritten werden. Auch diese Grenze
von 881,25 DM wird hier aber nicht eingehalten, und zwar auch dann nicht, wenn
man die ab Dezember 1994 von 1.050,00 DM auf 1.020,00 DM - ohne Umlagen -
geänderte Miete zugrundelegt.
Bei der Heranziehung der Höchstbeträge nach § 8 WoGG kann der Haushalt der
Antragstellerin nicht so behandelt werden, als bestehe er aus drei Personen. Zwar
hat das Hessische Ministerium für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft,
Forsten und Naturschutz im Erlaß vom 13. April 1992 (Staatsanzeiger 1992, 1087)
ausgeführt, für Alleinerziehende mit einem Kind sei eine Wohnung mit zwei
Wohnräumen zuzüglich Küche nicht ausreichend. Deshalb sei bei der Anwendung
des Wohnungsbindungsgesetzes für Alleinerziehende mit einem Kind eine
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des Wohnungsbindungsgesetzes für Alleinerziehende mit einem Kind eine
Wohnung von nicht mehr als drei Wohnräumen zuzüglich Küche als angemessen
anzusehen. Damit wird der Haushalt von Alleinerziehenden mit einem Kind bei der
Anwendung des Wohnungsbindungsgesetzes einem Drei-Personen-Haushalt
gleichgestellt. Dieser Erlaß bezieht sich aber nach seinem eindeutigen Wortlaut nur
auf die Anwendung des Wohnungsbindungsgesetzes. Er ist deshalb bei der
Anwendung des § 8 WoGG und des § 3 Abs. 1 der Regelsatzverordnung
unberücksichtigt zu lassen.
Die Mietkosten der Antragstellerin sind auch nicht deshalb noch als
sozialhilferechtlich angemessen anzusehen, weil der Antragsgegner in seinen
Richtlinien ausgeführt hat, in Einzelfällen könnten Mietkosten bis zu 17,00 DM pro
Quadratmeter berücksichtigt werden. Denn der Antragsgegner hat dies in seiner
Richtlinie nur für den Fall vorgesehen, daß bestimmte Wohnungsgrößen nicht
überschritten werden. Da in diesen Richtlinien für einen Zwei-Personen-Haushalt
nur eine Wohnfläche von bis zu 60 qm als angemessen bezeichnet ist, was nicht
zu beanstanden ist, während die Wohnung der Antragstellerin eine Fläche von etwa
70 qm aufweist, ist aus der Richtlinie des Antragsgegners insgesamt nichts
zugunsten der Antragstellerin herzuleiten.
Die Unterkunftskosten der Antragstellerin sind auch nicht nach § 3 Abs. 1 Satz 2
der Regelsatzverordnung - zumindest für eine Übergangszeit - in voller Höhe
anzuerkennen. Diese Vorschrift betrifft nicht den hier gegebenen Fall, daß eine
Hilfesuchende in Kenntnis ihrer Hilfsbedürftigkeit und ohne Billigung des Trägers
der Sozialhilfe eine Wohnung mit sozialhilferechtlich unangemessenen Kosten
anmietet (vgl. BVerwGE 92, 1).
Ob die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung entsprechend
anzuwenden ist, wenn es einem Hilfesuchenden nicht möglich ist, auf dem
Wohnungsmarkt eine preiswertere Wohnung zu finden, kann im vorliegenden
Verfahren offen bleiben. Denn die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, daß
ein solcher Fall hier gegeben ist. Zwar hat die Antragstellerin vorgetragen, sie
habe als Alleinerziehende mit einem Kleinkind keine andere Wohnung gefunden.
Der Senat ist aber davon überzeugt, daß es bei intensiver Suche und geringeren,
aber sozialhilferechtlich noch angemessenen Ansprüchen hätte möglich sein
müssen, eine preiswertere Wohnung zu finden. Dafür spricht auch das Vorbringen
des Antragsgegners, die Behörde beobachte intensiv den Wohnungsmarkt und es
würden durchaus in dem Zuständigkeitsbereich auch preiswertere Wohnungen
angeboten.
Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Übernahme jedenfalls des Teils
der Unterkunftskosten, der noch sozialhilferechtlich angemessen wäre. Der Senat
folgt der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in der bereits zitierten
Entscheidung, daß aus der Vorschrift des § 3 Abs. 1 der Regelsatzverordnung ein
solcher Anspruch nicht hergeleitet werden kann. Vielmehr besteht nach dieser
Bestimmung dann, wenn die Unterkunft - wegen der Kosten - sozialhilferechtlich
nicht angemessen ist, kein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe für diese
Unterkunft. Bei diesem Verständnis der Vorschrift kommt es - entgegen der
Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht darauf an, ob die Hilfesuchende die
Wohnung auch dann halten kann, wenn der Träger der Sozialhilfe nur einen Teil der
Unterkunftskosten übernimmt.
Schließlich hat die Antragstellerin keinen Anspruch darauf, daß ihr das (nicht von
einem Antrag abhängige) pauschalierte Wohngeld nach den §§ 31 und 32 WoGG
gewährt wird. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 WoGG besteht ein solcher Anspruch nur
dann, wenn die Aufwendungen für die Unterkunft "im Sinne des
Bundessozialhilfegesetzes anerkannt" sind. Diese Voraussetzung ist hier aber
gerade nicht erfüllt. Der Antragstellerin bleibt allein der Anspruch auf das
allgemeine Wohngeld nach den §§ 1 bis 30 WoGG. Dieses ist aber nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Da die Antragstellerin unterlegen ist, hat sie nach § 154 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Kosten des gesamten Verfahrens zu
tragen. Diese Kosten bestehen nur aus den außergerichtlichen Kosten der
Beteiligten, da nach § 188 Satz 2 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung
ihrer Bevollmächtigten Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, ist hingegen begründet.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, daß sie nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten ihrer Prozeßführung
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wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten ihrer Prozeßführung
im Beschwerdeverfahren auch nur teilweise zu tragen. Daß sie mit ihrer
Rechtsverfolgung letztlich keinen Erfolg hat, ist für die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe nach § 166 VwGO i. V. m. § 119 Satz 2 ZPO unerheblich, da die
Gegenseite das Rechtsmittel eingelegt hat. Schließlich ist die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin erforderlich im Sinne von § 121 Abs.
2 ZPO.
Dieser Beschluß ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.