Urteil des HessVGH vom 29.09.2003

VGH Kassel: einreise, aufenthaltserlaubnis, aufnahme einer erwerbstätigkeit, rumänien, absicht, abschiebung, schengen, widerspruchsverfahren, visumpflicht, kompetenz

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TG 2339/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 3 Abs 3 S 1 AuslG
(Rechtswidrigkeit des länger dauernden Aufenthalts eines
rumänischen Staatsangehörigen nach visumloser Einreise)
Leitsatz
1. Rumänische Staatsangehörige gehören nicht zu der Gruppe der Positivstaater, die
nach deutschem Recht ohne Visum als Besucher einreisen und sich bis zu drei Monaten
in Deutschland aufhalten dürfen, ihnen ist aber kraft Gemeinschaftsrechts sowohl das
Überschreiten der EU-Außengrenzen (ausgenommen im Vereinigten Königreich und
Irland) für einen kurzfristigen Aufenthalt als auch der anschließende Aufenthalt im
Hoheitsgebiet der Schengen-Vertragsstaaten bis zur Dauer von drei Monaten innerhalb
von sechs Monaten nach der ersten Einreise erlaubt.
2. Es spricht sehr viel dafür, dass eine bereits bei der Einreise bestehende Absicht des
Drittstaatsangehörigen, den Aufenthalt über die danach vorgesehene visumfreie Dauer
hinaus auszudehnen (z.B. Beispiel nach der Eheschließung mit einem Unionsbürger),
der gemeinschaftsrechtlichen Visumfreiheit für Kurzaufenthalte anders als nach
deutschem Recht entgegensteht mit der Folge, dass sich die Einreise als rechtswidrig
darstellt.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung unter Abänderung des Beschlusses des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 8. August 2003 untersagt, vor der Entscheidung
über den Widerspruch der Antragstellerin vom 14. Juli 2003 gegen den
ausländerbehördlichen Bescheid vom 7. Juli 2003 Abschiebungsmaßnahmen
gegen die Antragstellerin zu ergreifen. Im Übrigen wird die Beschwerde
zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Antragstellerin und die
Antragsgegnerin je zur Hälfte zu tragen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4 000 Euro festgesetzt.
Gründe
Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerde weiterhin vorläufigen Rechtsschutz
gegenüber dem ausländerbehördlichen Bescheid vom 16. April 2003 über die
Versagung einer Aufenthaltsbewilligung und die Androhung der Abschiebung
begehrt, erweist sich diese mangels Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4
Sätze 1 bis 4 VwGO) und im Übrigen auch wegen Fortfalls des
Rechtsschutzinteresses als unzulässig. Wie das Verwaltungsgericht bereits
zutreffend entschieden hat, scheitert die von der Antragstellerin begehrte
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung schon am Ablauf der Dreimonatsfrist nach
Beendigung des visumfreien Aufenthalts und im Übrigen auch daran, dass der
angestrebte zeitlich und gegenständlich begrenzte Aufenthaltszweck der
Eheschließung inzwischen überholt ist. Hiergegen hat die Antragstellerin mit der
Beschwerde keine Bedenken vorgebracht, gleichwohl aber den Antrag nach § 80
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Beschwerde keine Bedenken vorgebracht, gleichwohl aber den Antrag nach § 80
Abs. 5 VwGO ausdrücklich auch hinsichtlich des Bescheids vom 16. April 2003
aufrecht erhalten.
Hinsichtlich des ausländerbehördlichen Bescheids vom 7. Juli 2003 über die
ehebezogene Aufenthaltserlaubnis ist die Beschwerde nach der hier angezeigten
Auslegung der förmlichen Anträge zulässig und zum Teil auch begründet.
Soweit die Antragstellerin ihren Rechtsschutzantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hinsichtlich der Versagung der ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis weiterverfolgt,
ist dieser, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat,
unzulässig, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Erlaubtheit der
Einreise (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG) ankommt. Der zugrunde liegende
Genehmigungsantrag (Anwaltsschriftsatz vom 30. Juni 2003, bei der
Antragsgegnerin eingegangen am 4. Juli 2003) hat nämlich eine Fiktionswirkung
nach § 69 Abs. 2 oder 3 AuslG nicht ausgelöst, weil die Antragstellerin damals
aufgrund des Bescheids vom 16. April 2003 weiterhin ausreisepflichtig und noch
nicht ausgereist war (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 3 AuslG). Auch insoweit
stellt sich die Beschwerde dem Wortlaut der Anträge nach als unzulässig dar, da
Einwände gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Ausschluss der
gesetzlichen Aufenthaltsrechts- oder Duldungsfiktion aufgrund von § 69 Abs. 2 Nr.
3 AuslG nicht erhoben werden. Hinzu kommt, dass in dem zweiten Bescheid die
Abschiebung nicht angedroht ist, die Antragstellerin sich also nicht mit einem
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen deren gesetzlich vorgesehenen
Sofortvollzug wenden kann.
Unter diesen Umständen ist der Rechtsschutzantrag der Antragstellerin in einen
solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der
vorübergehenden Untersagung der Abschiebung umzudeuten (§ 123 Abs. 1
VwGO), weil dies dem erkennbaren Willen der Antragstellerin entspricht (vgl. §§ 82,
86 Abs. 3, 88 VwGO). Zwar hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin einen
dahingehenden Antrag ausdrücklich weder im Antrags- noch im
Beschwerdeverfahren formuliert, sondern mit der Beschwerde nur Anträge nach §
80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich beider Ablehnungsbescheide gestellt. Die
Beschwerdebegründung zielt aber inhaltlich so eindeutig auf die vorübergehende
Aussetzung der Abschiebung nach der am 26. Juni 2003 erfolgten Eheschließung
mit einem deutschen Staatsangehörigen ab, dass hier nicht allein auf die
Einhaltung der formellen Antragserfordernisse nach § 80 Abs. 5 VwGO abgestellt
werden kann. Im Interesse einer sachgerechten Antragstellung kann auch nicht
außer Acht gelassen werden, dass das Verwaltungsgericht die nach § 123 Abs. 1
VwGO auf vorläufige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis
gerichteten Anträge ebenso als unzulässig angesehen hat wie den Antrag nach §
80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis, sich aber
gleichwohl an anderer Stelle, nämlich im Rahmen der sachlichen Überprüfung des
Bescheids vom 16. April 2003, im Einzelnen zur Aussichtslosigkeit des Antrags auf
eine ehebezogene Aufenthaltsgenehmigung geäußert hat. Wenn sich die
Antragstellerin bei dieser nicht leicht durchschaubaren Verfahrenskonstellation mit
der Beschwerdebegründung auf den aktuell allein interessierenden Wunsch nach
einer auf ihre Ehe gestützten Aufenthaltsgenehmigung konzentriert und ohne
Zweifel auf dieser Grundlage einen vorläufigen weiteren Verbleib in Deutschland
anstrebt, dann kann sie trotz anwaltlicher Vertretung nicht an ihren formellen
Beschwerdeanträgen festgehalten werden. Angesichts der Eilbedürftigkeit dieses
Verfahrens wird darauf verzichtet, die Beteiligten auf diese Antragsauslegung
hinzuweisen. Schließlich ist auch nicht zu erwarten, dass sie ihr Vorbringen in
inhaltlicher Hinsicht unter diesem formalen Gesichtspunkt ändern oder ergänzen
könnten.
Der Beschwerde ist insoweit stattzugeben, als der Antragsgegnerin
Abschiebungsmaßnahmen bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den
Bescheid vom 7. Juli 2003 zu untersagen sind, weil sonst die Verwirklichung eines
der Antragstellerin wahrscheinlich zustehenden Aufenthaltsrechts zumindest
wesentlich erschwert werden könnte und ihr dadurch voraussichtlich wesentliche
Nachteile entstehen würden (§ 123 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen, nämlich über das
Widerspruchsverfahren hinaus, ist die Beschwerde dagegen unbegründet.
Zumindest nach dem Beschwerdevorbringen sprechen überwiegende
Gesichtspunkte dafür, dass der Antragstellerin ein sicherungsfähiger Anspruch auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Einhaltung des Visumverfahrens, also
ohne vorherige Ausreise zusteht.
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Zwischen den Beteiligten ist nach dem beiderseitigen Vorbringen in diesem
Verfahren unstreitig, dass die Antragstellerin nach ihrer Eheschließung mit dem
deutschen Staatsangehörigen A. am 26. Juni 2003 grundsätzlich die von ihr unter
dem 30. Juni 2003 beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke
des ehelichen Zusammenlebens verlangen kann (§§ 17, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG).
Soweit die Ausländerbehörde in dem zeitweiligen unrechtmäßigen Aufenthalt einen
Ausweisungsgrund erblickt (§§ 46 Nr. 2, 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), der die Versagung
der Aufenthaltserlaubnis im Wege des Ermessens ermöglicht (§ 17 Abs. 5 AuslG),
hat die Rechtsverfolgung der Antragstellerin gewisse Erfolgsaussichten. Zum einen
ist jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht sicher, ob überhaupt ein
Ausweisungsgrund objektiv vorliegt. Der Antragstellerin könnte nämlich, wie
nachfolgend auszuführen ist, ein rechtliches Abschiebungshindernis zur Seite
stehen, das ihr einen Duldungsanspruch vermittelt und den Tatbestand des § 92
Abs. 1 Nr. 1 AuslG auch ohne den Besitz einer Duldungsbescheinigung entfallen
lässt (dazu BVerfG-Kammer, 06.03.2003 – 2 BvR 397/02 -, EZAR 355 Nr. 34 =
InfAuslR 2003, 185), oder der Regelverstoß könnte als einmalig oder im Hinblick
auf die Bedeutung der Ehe als geringfügig anzusehen sein und daher nicht zur
Ausweisung taugen (§ 46 Nr. 2 AuslG). Zum anderen ist bis zur Klärung der
näheren Umstände der Einreise der Antragstellerin und deren Pläne für eine
Eheschließung nicht abschließend darüber zu befinden, ob die Ausländerbehörde
von dem ihr nach § 17 Abs. 5 AuslG eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch
gemacht hat.
Soweit sich die Ausländerbehörde an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
deswegen gehindert sieht, weil die Antragstellerin ohne das erforderliche Visum
eingereist sei (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) und die Aufenthaltserlaubnis auch nicht
ausnahmsweise vom Inland aus einholen dürfe (§ 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG i.V.m. § 9
DVAuslG), kann ihr grundsätzlich in rechtlicher Hinsicht zugestimmt werden.
Gegen die tatsächlichen Annahmen bestehen allerdings aufgrund des Antrags-
und des Beschwerdevorbringens so erhebliche Bedenken, dass es angezeigt
erscheint, die insoweit maßgeblichen Tatsachen zunächst im
Widerspruchsverfahren aufzuklären.
Ob die Antragstellerin ohne das erforderliche Visum, also unerlaubt eingereist ist
und ihr daher eine Aufenthaltsgenehmigung ohne vorherige Ausreise grundsätzlich
nicht erteilt werden darf (§§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Nr. 1, 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), ob dies
entsprechend der Auffassung der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts
von einer schon bei der Einreise am 1. Dezember 2002 bestehenden Absicht zur
Eheschließung abhängt und ob die Antragstellerin diese Absicht tatsächlich schon
bei der Einreise hegte, ist im Ergebnis offen und kann jedenfalls im vorliegenden
Eilverfahren nicht endgültig geklärt werden.
Die Antragstellerin ist rumänische Staatsangehörige und benötigte daher nach
deutschem Recht als Negativstaaterin für Einreise und Aufenthalt eine
Aufenthaltsgenehmigung in der Form des Visums. Hiervon wäre sie für einen
Aufenthalt bis zu drei Monaten allenfalls befreit gewesen, wenn Rumänien zu den
„Positivstaaten“ gehörte; denn sie besaß einen gültigen Nationalpass und hat
keine Erwerbstätigkeit aufgenommen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage I DVAuslG).
Rumänien war und ist aber in der Anlage I zur DVAuslG nicht aufgeführt. Daher
kann der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht nicht in der Feststellung
gefolgt werden, die Antragstellerin gehöre als Rumänin zu dem privilegierten
Personenkreis der Positivstaater.
Im Übrigen kann auch nicht ohne weiteres der in den angegriffenen
Entscheidungen vertretenen Auffassung zugestimmt werden, eine über den
Besuchsaufenthalt von längstens drei Monaten hinausgehende Absicht des
weiteren Verbleibs oder einer Erwerbstätigkeit führe zum Fortfall der
Visumbefreiung. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats kommt es
auf eine derart überschießende Willensrichtung nicht an. Der Aufenthalt eines
Positivstaaters wird zwar sofort mit Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder nach
Ablauf der drei Monate rechtswidrig; weder die Erwerbstätigkeit noch das
Überschreiten des visumfreien Zeitraums wirken sich aber auf die Erlaubtheit der
Einreise und des sich daran anschließenden Aufenthalts aus (Renner
Ausländerrecht, 7. Aufl., 1999, § 8 AuslG, Rdnr. 8 m. Nachw. d. Rspr.; anders
allerdings Nr. 8.1.2. AuslG-VwV). Die von vornherein bestehende Absicht eines
längeren Verbleibs oder einer Erwerbstätigkeit löst bei einem Negativstaater die
Zustimmungsbedürftigkeit des Visums aus, wie sich aus dem ausdrücklich auf die
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Zustimmungsbedürftigkeit des Visums aus, wie sich aus dem ausdrücklich auf die
innere Willensrichtung abstellenden Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DVAuslG
ergibt – „aufhalten will“ und „ausüben will“ –, berührt aber bei einem Positivstaater
angesichts der objektiven und eine bestimmte Absicht außer Acht lassenden
Formulierungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 DVAuslG – „für Aufenthalte bis zu drei
Monaten“ und „keine Erwerbstätigkeit (§ 12) aufnehmen“ – nicht die Befreiung
vom Visumzwang für Einreise und kurzfristigen Aufenthalt. Mit dieser zeitlich und
gegenständlich begrenzten Ausnahme von der Genehmigungspflicht (aufgrund § 3
Abs. 1 Satz 2 AuslG) ist der Positivstaater allerdings für einen weiteren Aufenthalt
nicht von der in § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG vorgeschriebenen Einhaltung des
Visumverfahrens befreit. Dies bestimmt sich allein nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG
i.V.m. § 9) DVAuslG.
Grundlegend anders stellt sich die Rechtslage aufgrund der einschlägigen
unmittelbar anwendbaren europäischen Rechtsvorschriften dar, die
Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht weder ihrem Wortlaut noch ihrem Inhalt
nach erwähnt und offenbar in vollem Umfang vernachlässigt haben, obwohl diesen
der Vorrang vor dem innerstaatlichen deutschen Recht zukommt. Rumänien war
zunächst in der in der ersten Hälfte des Monats April 2001 in Kraft getretenen Liste
der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen
kein Visum benötigen, mit dem Vermerk enthalten: „Siehe Artikel 8 Absatz 2“,
was bedeutete, dass die Visumfreiheit noch von einer vorherigen Entscheidung
des EU-Rats abhängig war (Art. 1 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Anlage II VO/EG Nr.
539/2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1 – EUVisaVO –; dazu allgemein Hess.
VGH, 07.02.2003 – 12 TG 212/03 -, EZAR 011 Nr. 18). Diese Ratsentscheidung ist
sodann im Dezember 2001 mit der VO/EU Nr. 2414/2001 (ABl. L 327 vom
12.12.2001, S. 1) erlassen worden mit der Folge, dass rumänische
Staatsangehörige seit dem 1. Januar 2002 an der Grenze für Kurzaufenthalte
keines Visums mehr bedürfen. Da der Visumzwang nach europäischem
Rechtsverständnis nur den Grenzübertritt und nicht den anschließenden Aufenthalt
betrifft (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 EUVisaVO, Fahrenbacher, ZAR 2002, 58; Welte,
ZAR 2003, 273; Westphal/Stoppa, ZAR 2002, 315), widerspricht die danach für
rumänische Staatsangehörige bestehende Visumfreiheit an den Außengrenzen
der EU-Staaten (ausgenommen das Vereinigte Königreich und Irland) nicht in
vollem Umfang dem oben festgestellten Visumzwang für eben diese Personen
nach deutschem Recht. Als Zwischenergebnis ist danach festzuhalten:
Rumänische Staatsangehörige benötigen für das Überschreiten der Außengrenzen
kein Visum. Insoweit geht die EUVisaVO der DVAuslG und § 3 Abs. 1 AuslG vor.
Die wegen der gegenständlichen Beschränkung des Vorrangs verbleibende Frage
der Erlaubnis für den der Einreise über die EU-Außengrenze nachfolgenden
Aufenthalt ist mit Hilfe des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) zu
beantworten (dazu u. zu Folgendem näher Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für
die Polizei, 2. Aufl., 2001, S.136 ff.). Nach Art. 1 Abs. 2 EUVisaVO sind zwar
Drittstaatsangehörige von der Visumpflicht „für einen Aufenthalt, der insgesamt
drei Monate nicht überschreitet, befreit“. Die Visumpflicht bezieht sich aber nach
der in Art. 1 Abs. 1 EUVisaVO vorangestellten Definition nur auf das
„Überschreiten der Außengrenzen Mitgliedstaaten“ und damit nicht auf den
anschließenden Aufenthalt. Diese Auslegung wird auch dadurch bestätigt, dass die
EUVisaVO auf Art. 62 Nr. 2 Bst. b Ziff. i EG gestützt, wonach der EU die Kompetenz
hinsichtlich des Überschreitens der Außengrenzen für „Visa für geplante
Aufenthalte von höchstens drei Monate“ zusteht. Dagegen hat die Vorschrift des
Art. 62 Nr. 3 EG über die Zuweisung der Kompetenz für die Festlegung der
Bedingungen, unter denen Drittstaater im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten
während eines solchen Kurzaufenthalts Reisefreiheit genießen, als Grundlage für
die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den EU-Rechtsrahmen gedient
(Beschluss des Rates vom 20.05.1999, ABl. L 176 vom 10.07.1999, S. 17, 20).
Hiernach richtet sich der Aufenthalt im Anschluss an die Einreise nach Art. 20 Abs.
1 SDÜ, wonach sich sichtvermerksfreie Drittstaater bis zu drei Monaten innerhalb
eines Zeitraums von sechs Monaten nach der ersten Einreise frei im Schengen-
Gebiet bewegen dürfen (zum früheren Verhältnis von Schengen-Visum und
deutschem Recht vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 26.11.2001 - 18 B 242/01 -, EZAR
017 Nr. 19).
Stellt sich danach der Aufenthalt der Antragstellerin in Deutschland im Anschluss
an die Einreise über eine EU-Außengrenze aufgrund Art. 20 Abs. 1 SDÜ in dem
dort beschriebenen zeitlichen Rahmen grundsätzlich als rechtmäßig dar, bleibt wie
im deutschen Recht die Frage nach Bedeutung und Rechtsfolgen eines etwa bei ihr
schon für den Zeitpunkt des Grenzübertritts feststellbaren Willens zur
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schon für den Zeitpunkt des Grenzübertritts feststellbaren Willens zur
Eheschließung mit einem Deutschen und damit zum mehr als nur kurzfristigen
Verbleib in Deutschland. Weder in der bisherigen Rechtsprechung des Senats noch
vom Bundesverwaltungsgericht oder anderen Oberverwaltungsgerichten ist
geklärt, welchen Einfluss ein solchermaßen überschießender Willen auf die
Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts hat. Sehr viel spricht dafür, dass
die Absicht, den Aufenthalt über die erlaubte Zeit hinaus auszudehnen, die
Visumfreiheit und damit auch den erlaubnisfreien Kurzaufenthalt im Schengen-
Gebiet entfallen lässt (so auch Westphal/Stoppa, aaO, S. 137. Die Kompetenz der
EU umfasst nämlich nur Visa „für geplante Aufenthalte“ von bis zu drei Monaten
Dauer (Art. 62 Nr. 2 Bst. b Ziff. i EG), und das Visum ist als Genehmigung für die
Einreise „zum Zwecke eines Aufenthalts“ von bis zu drei Monaten definiert (Art. 2
EUVisaVO). Diese Wortlaute folgen aus der Begrenztheit des der EU
zukommenden Regelungsumfangs, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er nur
den Einreisevorgang und diesen nur für einen zeitlich begrenzten Aufenthaltszweck
umfasst.
Nach alledem ist die Befreiung vom Genehmigungserfordernis für Einreise und
Kurzaufenthalt nach Gemeinschaftsrecht davon abhängig, ob die Antragstellerin
beim Überschreiten der EU-Außengrenzen (wahrscheinlich nach der Landung mit
dem Flugzeug in Deutschland) bereits die spätere Eheschließung und damit einen
längeren Aufenthalt in Deutschland beabsichtigt hat. Hierzu fehlt es bisher an
brauchbaren Anhaltspunkten. Insbesondere ist nicht festgestellt, ob die
Antragstellerin ihre Wohnung und ggf. ihre Arbeitsstelle in Rumänien gekündigt und
ob sie über den Reisebedarf hinaus Bekleidung, andere Gebrauchsgegenstände,
Wertsachen und Urkunden sowie finanzielle Mittel mitgeführt hat. Ungeklärt ist
auch, ob sie schon in Rumänien Heiratsvorbereitungen getroffen und hierfür
notwendige Unterlagen nach Deutschland mitgebracht hat. Für eine von
vornherein bestehende Absicht eines Daueraufenthalts spricht die Erklärung in
dem Schriftsatz vom 15. Mai 2003, die Antragstellerin und Herr A. seien bereits
seit Frühjahr 2002 verlobt und ein Paar, Herr A. habe bereits am 1. November
2002 das örtliche Standesamt wegen eines Merkblatts für die Eheschließung
aufgesucht und beide gemeinsam dann am 16. Dezember 2002 zur Anmeldung
der Eheschließung. Wenn demgegenüber nunmehr mit der Beschwerde geltend
gemacht wird, sie hätten sich im Frühjahr 2002 während eines Aufenthalts des
Herrn A. in Rumänien kennen gelernt und dann in Brief- und Telefonverbindung mit
einander gestanden und die Antragstellerin sei bei der Einreise keineswegs
unverrückbar zur Eheschließung entschlossen gewesen, sondern habe zunächst
prüfen wollen, ob sie diese Verbindung eingehen wolle, dann kann diese
Darstellung der inneren Willenslage mangels gegenteiliger objektiver Umstände
jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht entkräftet werden. Hierzu bedarf es
vielmehr der weiteren Aufklärung insbesondere der oben genannten persönlichen
Verhältnisse im Widerspruchsverfahren.
Auch wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Antragstellerin schon bei der
Einreise einen längerfristigen Aufenthalt geplant hat, kann ihr nicht sofort eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, weil sie, wie Ausländerbehörde und
Verwaltungsgericht richtig erkannt haben, für den Daueraufenthaltszweck der
Führung ihrer Ehe im Inland ungeachtet der Art ihrer Einreise grundsätzlich der
Visumpflicht unterliegt (§ 3 Abs. 3 AuslG). Ob sich die Antragstellerin insoweit auf
einen der in § 9 DVAuslG enumerativ aufgeführten Befreiungstatbestände berufen
kann, erscheint dem Senat nicht sicher. Entgegen der Ansicht des
Verwaltungsgerichts ist die dort in Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 enthaltene Regelung auf die
Antragstellerin nicht anwendbar, weil sie nicht zu der Gruppe der Positiv-staatern
zählt. Sie hat aber, wie bereits ausgeführt, sehr wahrscheinlich durch ihre
Eheschließung einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer ehebezogenen
Aufenthaltserlaubnis erworben (§§ 17, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), und insoweit kommt
es auch nicht auf eine erlaubte Einreise an (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG). Es
erscheint dem beschließenden Senat aber nicht sicher, ob der Aufenthalt der
Antragstellerin die insoweit verlangten weiteren Anforderungen erfüllt. Ihr
Aufenthalt war nämlich im Zeitpunkt des Antrags vom 30. Juni 2003 weder
rechtmäßig noch gestattet noch geduldet im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAuslG,
und die damals bestehende Ausreisepflicht und die Abschiebungsandrohung vom
16. April 2003 waren zu diesem Zeitpunkt allem Anschein nach vollziehbar (§ 9
Abs. 2 Satz 2 DVAuslG). Insofern könnte sich aber nach dem Vorbringen im
Beschwerdeverfahren eine Änderung ergeben haben, die Anlass zur Aussetzung
der Abschiebung aus Rechtsgründen und zur Erteilung einer Duldung jedenfalls für
den gegenwärtigen Zeitpunkt gibt (§§ 55 Abs. 2, 56a AuslG) und damit als
Aufenthaltsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis ohne Einhaltung des
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Aufenthaltsgrundlage für eine Aufenthaltserlaubnis ohne Einhaltung des
Visumverfahrens bietet (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG).
Ob der Antragstellerin bei Nichterfüllung der Voraussetzungen für eine
ehebezogene Aufenthaltserlaubnis wegen Bestehens nicht selbst zu vertretender
Abschiebungshindernisse eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden könnte oder
müsste (§ 30 Abs. 3 AuslG), kann hier offen bleiben. Gerade beim Eingreifen
absoluter Versagungsgründe kommt ein Rückgriff auf diese Vorschrift in Betracht
(dazu BVerwG, 09.12.1997 – 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13 = EZAR 020 Nr. 8).
Dies kann aber nicht dahin verstanden werden, dass beim Nichtvorliegen der
Voraussetzungen für den Nachzug (§§ 17, 18 AuslG) im Falle des Absehens vom
Visumverfahren (§ 9 Abs. 2 DVAuslG) bei Ehegatten immer hilfsweise die
Möglichkeit einer Aufenthaltsbefugnis zu prüfen ist. Denn zunächst ist zugrunde zu
legen, dass der Gesetz- und der Verordnungsgeber mit den genannten
Vorschriften den Anforderungen des Eheschutzes aus Art. 6 GG Genüge getan
haben und nicht über den Umweg von Abschiebungshindernissen, die nur auf der
Nichterfüllung der Nachzugsvoraussetzungen und der Unzumutbarkeit von
Trennungszeiten beruhen, ein neuer Zuwanderungskanal für Ehegatten eröffnet
wird. Ungeachtet dessen würde sich die von der Ausländerbehörde
ausgesprochene und vom Verwaltungsgericht als rechtmäßig gewertete
Ablehnung einer Aufenthaltsbefugnis bei summarischer Überprüfung ebenso wie
die Versagung der Aufenthaltserlaubnis als fehlerfrei darstellen, wenn sich die
Voraussetzungen für eine Duldung und damit für das Absehen vom
Visumverfahren nicht nachweisen lassen.
Wie die Antragstellerin unter Berufung auf Telefonate mit Bediensteten des
rumänischen Konsulats in Bonn schlüssig und nachvollziehbar darlegt, drohen ihr
nämlich bei einer Rückkehr nach Rumänien wegen des ungenehmigten
Auslandsaufenthalts empfindliche Sanktionen in der Weise, dass eine
Ausreisesperre von mindestens einem Jahr verhängt und ihr Reisepass nicht
verlängert wird. Ob dieses Vorbringen zutrifft, ist bisher nicht zureichend
aufgeklärt. Die Ausländerbehörde hat zwar in einem Aktenvermerk über ein
Telefonat mit dem Leiter der Visastelle der deutschen Botschaft in Bukarest
dessen gegenteilige Darstellung festgehalten („Das ist absoluter Blödsinn und
völlig aus der Luft gegriffen.“). Diese Feststellungen sind der Antragstellerin vor
der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht bekannt gegeben worden, so dass
sie hierzu zunächst nicht Stellung nehmen konnte. Vor allem aber liegt eine
Antwort auf das Schreiben des Bevollmächtigten an die deutsche Botschaft in
Rumänien vom 22. August 2003 bisher nicht vor, mit der Aufschluss über die
rumänischen Staatsangehörigen nach einem illegal ausgedehnten
Auslandsaufenthalt drohenden Sanktionen gegeben werden könnte. Zuverlässige
sonstige Informationen über diesen Fragenkomplex, insbesondere über die
rumänische Rechtslage und die dort geübte Straf- und Verwaltungspraxis, liegen
dem Senat nicht vor. Eine Klärung kann am besten in dem laufenden
Widerspruchverfahren erfolgen. Ein Auskunftsersuchen des Senats an das
Auswärtige Amt würde die Entscheidung über Gebühr verzögern.
Unter diesen Umständen ist bei der hier allein möglichen summarischen Prüfung
nicht nur ein sicherungsfähiger Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung
wahrscheinlich als gegeben anzusehen, sondern gleichzeitig auch ein
Anordnungsgrund. Bis zur Klärung der geltend gemachten
Abschiebungshindernisse stehen einem Sofortvollzug der angedrohten
Abschiebung rechtliche Hindernisse entgegen, weil die Antragstellerin an der
(tatsächlichen, wenn auch noch nicht unbedingt rechtlich abgesicherten)
Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann in
Deutschland auf möglicherweise längere Dauer gehindert wird. Daher erscheint die
Abschiebung der Antragstellerin jedenfalls bis zu einer zuverlässigen Feststellung
im Widerspruchsverfahren, ob ihr bei einer Rückkehr in Rumänien die von ihr
behaupteten staatlichen Repressionen drohen, nicht vertretbar. Die mit einer
sofortigen Rückkehr nach Rumänien für die Antragstellerin verbundenen
Aufwendungen und Gefahren sind als gewichtiger einzuschätzen als die
vorübergehende Hinnahme eines weiteren Aufenthalts ohne gesicherte
Rechtsgrundlage. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des
Visumzwangs hat daher vorläufig hinter die ehebedingten privaten Belange der
Antragstellerin zurückzutreten.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und §§ 13
Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
22 Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.