Urteil des HessVGH vom 26.11.1991

VGH Kassel: treu und glauben, telefonverzeichnis, sorgfaltspflicht, karte, höchstbetrag, aufbewahrung, unverzüglich, abend, beweislast, meldung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 UE 1850/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 12 Abs 1 PostgiroO
(Mißbräuchliche Nutzung von ec-Karten an Geldautomaten
der Bundespost - Geltendmachung von Forderungen durch
Leistungsbescheid)
Tatbestand
Der Kläger war 1984 Inhaber eines Postgirokontos beim Postgiroamt F und nahm
am Euroscheck-Verfahren und am Geldautomatenverkehr der Deutschen
Bundespost teil. Im Dezember 1984 war er Inhaber zweier von der Deutschen
Bundespost überlassener ec-Magnetkarten, von denen eine bis Ende 1984 und die
zweite bis Ende 1986 gültig war. Zur Verwendung dieser Karten im
Geldautomatenverkehr war dem Kläger von der Deutschen Bundespost eine
persönliche, vierstellige Geheimzahl zugewiesen worden.
Am 10. Dezember 1984 wies das Postgirokonto des Klägers einen Schuldsaldo von
0,16 DM auf. Durch zwei vom Kläger am 6. Dezember 1984 mittels Geldautomat
vorgenommene Verfügungen über jeweils 300,-- DM zuzüglich 2,50 DM
Bearbeitungsgebühr erhöhte sich der Schuldsaldo um 605,-- DM auf 605,16 DM,
was ihm vom Postgiroamt F mit dem ihm am 13. Dezember 1984 zugegangenen
Kontoauszug Nr. 34 vom 11. Dezember 1984 mitgeteilt wurde.
Nach den beiden Geldautomaten-Verfügungen des Klägers vom 6. Dezember
1984 erfolgten in der Zeit von 9. Dezember bis 19. Dezember 1984 insgesamt 24
Verfügungen mittels Automat unter Verwendung der Scheckkarten des Klägers
über jeweils 300,-- DM, die den Schuldsaldo um 7.260,-- DM erhöhten und bis zum
29. Dezember 1984 zusammen mit hier unerheblichen Gebühren auf 7.917,16 DM
anwachsen ließen. Von den ersten sechs dieser Verfügungen, die am 7., 8. und 9.
Dezember 1984 erfolgten, wurde der Kläger durch das Postgiroamt F mit dem ihm
am 14. Dezember 1984 zugegangenen Kontoauszug Nr. 35 vom 12. Dezember
1984 unterrichtet. Nachdem der Kläger am Abend des 14. Dezember 1984 von
diesem Kontoauszug Kenntnis genommen hatte, erstattete er noch am selben
Abend Strafanzeige wegen Scheckkartenbetrugs (Blatt 128 GA). Am 17.
Dezember 1984 teilte er telefonisch dem Postgiroamt F mit, ihm seien die beiden
ec-Karten mit Magnetstreifen und seine persönliche Geheimzahl abhanden
gekommen. In einer vom Postgiroamt angeforderten schriftlichen
Sachverhaltsdarstellung vom 13. Januar 1985 (Blatt 4 der Beiakten der Beklagten),
auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, behauptete er, bereits am Abend
des 14. Dezember 1984 (Freitag) den Verlust der ec-Karten telefonisch beim
Postgiroamt F gemeldet zu haben, wobei ihm von dort aber die Auskunft erteilt
worden sei, daß die zuständigen Stellen erst wieder am 17. Dezember 1984
(Montag) besetzt seien. Die ec-Karten habe er in einer kleinen Ledermappe
aufbewahrt, die Geheimnummer habe sich getrennt hiervon in einem Kalender mit
Telefonverzeichnis befunden; die Nummer sei nicht als ec-Kennummer
gekennzeichnet gewesen, sondern im Telefonverzeichnis ohne Zuordnung eines
Namens oder einer sonstigen Bezeichnung notiert gewesen. Sowohl die
Ledermappe als auch der Terminkalender seien ihm gestohlen worden. Die
Kenntnisnahme Unbefugter von der persönlichen Geheimzahl könne er sich nur so
erklären, daß der Dieb sich das Telefonverzeichnis aufmerksam durchgelesen und
durch Kombination geschlossen haben müsse, daß es sich um eine Geheimzahl
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durch Kombination geschlossen haben müsse, daß es sich um eine Geheimzahl
handeln könnte.
Am 17. Dezember 1984 veranlaßte das Postgiroamt F eine Auszahlungssperre für
die bis Ende 1986 gültige ec- Karte des Klägers, am 18. Dezember 1984 sperrte
dieses Amt auch die bis Ende 1984 gültige Karte. In der Zeit von 15. Dezember bis
19. Dezember 1984 wurden mit den ec-Karten des Klägers noch insgesamt 8
Verfügungen über jeweils 300,--DM zu Lasten seines Postgirokontos getroffen,
davon je zwei am 15., 16. und 17. Dezember 1984 und jeweils eine am 18. und 19.
Dezember 1984.
Nachdem die Beklagte vom Kläger zunächst formlos den vollständigen Ausgleich
des am 27. Dezember 1984 mit einem Schuldsaldo von 7.917,10 DM belasteten
Postgirokontos verlangt hatte, schrieb sie nach Eingang seiner
Sachverhaltsdarstellung am 5. Februar 1985 einen Betrag von 1.089,--DM und am
13. März 1985 weitere 1.633,50 DM gut, wodurch sich der Schuldsaldo auf dem
Girokonto auf 5.211,26 DM reduzierte. Mit diesen Gutschriften übernahm die
Beklagte, wie das Postgiroamt F dem Kläger mit Schreiben vom 31. Januar und 5.
März 1985 mitteilte, 90 % des durch die Verfügungen Unbekannter zu Lasten des
Postgirokontos des Klägers ab 15. Dezember 1984 entstandenen Schadens. Zur
Begründung der nur eingeschränkten Schadensregulierung bezog sich das
Postgiroamt auf Ziffer 6 der "Bedingungen für die Benutzung von ec-
Geldautomaten mit eurocheque-Karten des Postgirodienstes" und auf Ziffer 4.2
der "Vorläufigen Richtlinien für die Regulierung von Schadensfällen bei Benutzung
von ec-Geldautomaten mittels abhandengekommener eurocheque-Karten mit
Magnetstreifen im Postgirodienst" des Bundesministers für das Post- und
Fernmeldewesen vom 27. Dezember 1983. Nach Ziffer 6 der
Benutzungsbedingungen trägt der Kontoinhaber alle Schäden, die durch eine
unsachgemäße oder mißbräuchliche Verwendung oder durch Verfälschung einer
auf sein Konto ausgegebenen eurocheque- Karte mit Magnetstreifen entstehen;
das gleiche gilt für Schäden, die durch eine mißbräuchliche Verwendung der
persönlichen Geheimzahl eintreten. Nach den nicht veröffentlichten Richtlinien für
die Schadensregulierung sind vorbehaltlich einer unverzüglichen Meldung an das
Postgiroamt 90 % der von einem Unberechtigten abgehobenen Beträge auf die
Postkasse zu übernehmen, sofern dem Postgiroteilnehmer eine Verletzung der
Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden kann. Wegen der Einzelheiten wird auf die
zitierten Benutzungsbedingungen (Blatt 38 f. der Beiakten der Beklagten) und auf
die Regulierungsrichtlinien (Blatt 8 ff. dieser Beiakten) Bezug genommen.
Mit Leistungsbescheid vom 15. April 1985 forderte das Postgiroamt F den Kläger
zum Ausgleich des verbliebenen Fehlbetrags auf seinem Postgirokonto von
5.211,26 DM zuzüglich 10 % Zinsen seit 11. Dezember 1984 in Höhe von 226,34
DM sowie 7,80 DM Zustellungskosten auf.
Auf den am 13. Mai 1985 beim Postgiroamt F eingegangenen Widerspruch des
Klägers gegen diesen Leistungsbescheid erließ der Präsident der
Oberpostdirektion F zunächst einen Widerspruchsbescheid, hob diesen aber später
wieder auf und gab mit Bescheid vom 2. Dezember 1985 unter Zurückweisung des
Widerspruchs in Höhe von 4.001,26 DM hinsichtlich eines weiteren Betrags von
1.210,--DM dem Rechtsbehelf statt. Zur Begründung dieses dem Kläger am 3.
Dezember 1985 zugestellten Bescheids wurde ausgeführt, vier weitere
Abhebungen (in Höhe von jeweils 302,50 DM einschließlich Gebühren) hätten
zugunsten des Klägers berücksichtigt werden können, weil beide entwendeten ec-
Magnetkarten unbefugt benutzt worden seien.
Am 2. Januar 1986 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
Klage erhoben. Zur Begründung hat er die Auffassung vertreten, die Beklagte
habe nicht im Wege des Leistungsbescheids vorgehen dürfen, sondern allenfalls
Leistungsklage erheben können. Im übrigen treffe ihn an den unbefugten
Abhebungen kein Verschulden, da er sowohl die Magnetkarten als auch seine
Geheimzahl ordnungsgemäß aufbewahrt habe und den Verlust auch nicht früher
habe erkennen können, weil er erst durch die verspätete Übersendung des
Kontoauszugs Nr. 35 vom 12. Dezember 1984 einen Hinweis auf die unbefugten
Verfügungen über sein Konto erhalten habe. Über den durch seine eigenen
Abhebungen verursachten Schuldsaldo von 605,16 DM hinaus sei er der Beklagten
nicht zu Nachzahlungen verpflichtet, auch deswegen, weil die Errichtung des
Geldautomatensystems für den Verbraucher unverhältnismäßig hohe Risiken mit
sich bringe, die die Beklagte durch kulante Schadensregulierung auszugleichen
habe. Ein Mitverschulden an den unbefugten Abhebungen treffe ihn nicht deshalb,
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habe. Ein Mitverschulden an den unbefugten Abhebungen treffe ihn nicht deshalb,
weil er die Geheimzahl in einem Telefonverzeichnis vermerkt habe. Denn
Computerspezialisten mit unlauteren Absichten sei es inzwischen möglich, den
Code von Scheckkarten zu entschlüsseln.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
den Leistungsbescheid des Postgiroamts F vom 15. April 1985 und den
Widerspruchsbescheid des Präsidenten der Oberpostdirektion F vom 2. Dezember
1985 insoweit aufzuheben, als die mit den Bescheiden geltend gemachte
Forderung einen Betrag von 605,16 DM zuzüglich 10 % Zinsen hieraus seit 11.
Dezember 1984 übersteigt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe die ihm bei der Aufbewahrung
der überlassenen Magnetkarten obliegende Sorgfaltspflicht dadurch verletzt, daß
er beide Karten mitgeführt und die zugehörende Geheimzahl in einem Notizbuch
so vermerkt habe, daß sie von jedermann als solche zu erkennen gewesen sei. Die
von den Regulierungsrichtlinien der Banken abweichenden Haftungsregelungen der
Beklagten seien durch § 10 Abs. 4 der Postgiroordnung vom 5. Dezember 1984
(BGBl. I Seite 1478) gedeckt. Für die von der Beklagten bisher auch nicht teilweise
ersetzten Abbuchungsbeträge hafte der Kläger voll, weil er den Verlust seiner ec-
Magnetkarten erst nach sieben Tagen bemerkt und nicht unverzüglich eine Sperre
der Karten veranlaßt habe.
Das Verwaltungsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten zur Entscheidungsform
mit Gerichtsbescheid vom 1. Juni 1987 den Bescheid des Postgiroamts F vom 15.
April 1985 und den Widerspruchsbescheid des Präsidenten der Oberpostdirektion F
vom 2. Dezember 1985 insoweit aufgehoben, als die Beklagte einen 2.462,34 DM
nebst 9 % Zinsen übersteigenden Betrag gefordert habe; im übrigen hat das
Gericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht
ausgeführt, die dem Postgiroteilnehmer gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3
Postgiroordnung obliegende Verpflichtung, bei Kontoüberziehung unverzüglich
Ausgleich zu leisten, könne durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden.
Dieser grundsätzlichen Ausgleichsverpflichtung des Klägers stünden aber die von
der Beklagten erlassenen und für sie verbindlichen "Vorläufigen Richtlinien für die
Regulierung von Schadensfällen bei Benutzung von ec-Geldautomaten mittels
abhandengekommener eurocheque-Karten mit Magnetstreifen im Postgirodienst"
entgegen. Nach Ziffer 4.1 dieser Richtlinien sei der Gesamtbetrag der
abgebuchten Lastschriften ohne Rücksicht auf deren Stückzahl bis zu einem
Höchstbetrag von 6.000,--DM voll auf die Postkasse zu übernehmen, wenn dem
Postgiroteilnehmer eine Verletzung der Sorgfaltspflichten nicht nachgewiesen
werden könne. Nach Ziffer 2.1 der Richtlinien sei der Postgiroteilnehmer
verpflichtet, einen Diebstahl oder das sonstige Abhandenkommen der
eurocheque-Karte mit Magnetstreifen unverzüglich seinem Postgiroamt zu melden
und Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Eine entsprechende Meldepflicht ergebe
sich aus Ziffer 7 der Bedingungen für die Benutzung von ec-Geldautomaten mit
eurocheque-Karten des Postscheckdienstes. Entgegen der Auffassung der
Beklagten habe der Kläger diese Obliegenheiten erfüllt, woraus sich für ihn ein
Anspruch auf volle Schadensregulierung unter Berücksichtigung des
Höchstbetrags von 6.000,--DM ergebe. Die telefonische Meldung der Entwendung
beider Scheckkarten am Abend des 14. Dezember 1984 sei als unverzüglich
anzusehen, da der Kläger infolge verzögerter Buchungsmitteilungen der Beklagten
erst an diesem Tage von den unbefugten Abhebungen zu Lasten seines
Postgirokontos Kenntnis erlangt habe. Die Art der Aufbewahrung der Scheckkarten
durch den Kläger und der getarnte Vermerk der Geheimzahl in einem
mitgeführten Telefonverzeichnis seien ihm nicht als Verschulden anzurechnen, da
ein Postgiroteilnehmer nicht damit rechnen müsse, daß ein Unberechtigter, der in
einem Telefonverzeichnis eine vierstellige Zahl vorfinde, diese als Geheimzahl für
die Teilnahme am ec- Geldautomatenverkehr erkennen könne. Der auf den
begründeten Teil der Klageforderung entfallende Zinsanspruch ergebe sich aus §
12 Abs. 1 Satz 4 Postgiroordnung, der Zinssatz sei gemäß Verfügung Nr.
256/1976 (Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen Nr.
44 vom 30. März 1976, Seite 536) jedoch nur in Höhe von 9 % begründet.
Weitergehenden Ansprüchen des Klägers stehe die zulässigerweise
vorgenommene Begrenzung des Erstattungsbetrags auf 6.000,--DM in Ziffer 4.1
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vorgenommene Begrenzung des Erstattungsbetrags auf 6.000,--DM in Ziffer 4.1
der Vorläufigen Richtlinien vom 27. Dezember 1983 entgegen. Die Begrenzung sei
sachlich nicht zu beanstanden. Denn diese Summe entspreche dem Betrag, über
den gemäß damaliger Höchstgrenze mit den in einem Scheckheft normalerweise
vorhandenen 20 Scheckformularen hätte verfügt werden können. Die Berechnung
des begründeten Teils der Klageforderung ergebe sich aus der Differenz zwischen
dem erwähnten Grenzbetrag von 6.000,--DM einerseits und den von der Beklagten
bereits erstatteten 3.932,50 DM zuzüglich des vom Kläger selbst verursachten
Schuldsaldos in Höhe von 605,16 DM andererseits.
Gegen diesen der Oberpostdirektion F am 10. Juni 1987 zugestellten
Gerichtsbescheid hat die Beklagte bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
am 6. Juli 1987 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, das
Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, sie trage die Beweislast
dafür, daß der Kläger seine Sorgfaltspflichten verletzt habe. Im übrigen habe das
Gericht übersehen, daß es zu den Pflichten des Postgiroteilnehmers gehöre, seine
Scheckkarte sicher aufzubewahren. Diese Pflicht habe der Kläger verletzt, indem
er den Diebstahl nicht bemerkt habe, obgleich eine ganze Anzahl weiterer
persönlicher Gegenstände gestohlen worden sein solle. Von einer gesicherten
Aufbewahrung könne unter diesen Umständen nicht mehr ausgegangen werden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Berufungsschrift der
Oberpostdirektion F vom 3. Juli 1987 und deren Schriftsatz vom 15. Februar 1988
Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts
Frankfurt am Main vom 1. Juni 1987 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verteidigt zur Begründung den angegriffenen Gerichtsbescheid. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29.
Oktober 1987 Bezug genommen.
Beide Beteiligte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erklärt.
Dem Senat liegen die den Erstattungsvorgang betreffenden Akten der
Oberpostdirektion F (1 Band, Blatt 1 bis 39) vor. Der Senat hat ergebnislos
versucht, polizeiliche Ermittlungsakten bezüglich der Strafanzeige des Klägers vom
14. Dezember 1984 beizuziehen. Die Polizeistation N und das Polizeipräsidium F,
auf deren Schreiben vom 19. September 1991 (Bl. 131 GA) bzw. vom 9. Oktober
1991 (Bl. 135 GA) Bezug genommen wird, haben dem Gericht mitgeteilt, daß dort
keine entsprechenden Unterlagen mehr vorliegen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entschieden werden kann (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO), ist
zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 124 Abs. 2 und 3
VwGO).
Sie ist jedoch nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat der Klage im dem
aus dem Tenor des angefochtenen Gerichtsbescheids ersichtlichen Umfang zu
Recht stattgegeben.
Entgegen der vom Kläger in erster Instanz geäußerten Auffassung ist allerdings
nicht zu beanstanden, daß die Beklagte ihre vermeintlichen Forderungen aus dem
Postgiroverhältnis mit dem Kläger diesem gegenüber durch Leistungsbescheid
geltend gemacht hat. Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung
(Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 4. März 1985 - 7 B 101.84 - Buchholz
442.041 Nr. 5 zum Postgesetz unter Hinweis auf BGHZ 67, 69; vgl. auch
Altmannsperger, Postgesetz, Randnummer 19 zu § 7 mit weiteren Nachweisen)
handelte es sich bei dem Postgiroverhältnis bis zum Inkrafttreten des § 7
Postgesetz in der Fassung des Poststrukturgesetzes vom 8. Juni 1989
(Bundesgesetzblatt I Seite 1026 bzw. in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.
Juli 1989, Bundesgesetzblatt I Seite 1449) um eine öffentlich-rechtliche
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Juli 1989, Bundesgesetzblatt I Seite 1449) um eine öffentlich-rechtliche
Rechtsbeziehung, die durch Verwaltungsakt begründet wurde, so daß prinzipiell die
Geltendmachung von Erstattungsforderungen der Beklagten im Wege des
Leistungsbescheids möglich war. Mithin geht der Hinweis des Klägers auf die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Durchsetzung vertraglicher
Ansprüche durch Verwaltungsakt (Urteil vom 13. Februar 1976 - IV C 44.74 - NJW
1976, 1516) fehl.
Die Beklagte hat jedoch (zumindest) die Erstattung des 2.462,34 DM nebst 9 %
Zinsen übersteigenden Betrags durch den Kläger zu Unrecht verlangt. Denn der
Kläger haftet nicht nach der Spezialvorschrift des § 16 Abs. 4 Satz 1 der am 1.
November 1984 in Kraft getretenen Postgiroordnung vom 5. Dezember 1984
(Bundesgesetzblatt I Seite 1478; vgl. zum Inkrafttreten deren § 28 Abs. 1) in
Verbindung mit Nr. 6 der "Bedingungen für die Benutzung von ec-Geldautomaten
mit eurocheque-Karten des Postscheckdienstes" (Blatt 38 f. der beigezogenen
Behördenakten; im folgenden: ec-Bedingungen) für diesen Fehlbetrag, der durch
die unbefugte Benutzung einer ihm erteilten Scheckkarte zur Abhebung von
Geldbeträgen an einem Geldautomaten als Schuldsaldo auf seinem Postgirokonto
entstanden ist. Zwar wird durch die genannten Vorschriften die Mißbrauchshaftung
im Zusammenhang mit der Benutzung von eurocheque-Karten
verschuldensunabhängig auf den Postgiroteilnehmer abgewälzt, was jedenfalls für
die Zeit bis zur Benachrichtigung des Postgiroamts bzw. einer
institutsübergreifenden ec-Zentrale auch im Rahmen einer am Grundsatz von Treu
und Glauben orientierten Angemessenheitskontrolle nicht zu beanstanden sein
dürfte (vgl. hierzu LG Köln, Urteil vom 20. Oktober 1987 - 11 F 63/87 -, Computer
und Recht 1989, 27; LG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juni 1989 - 9 S 10/89 -, NJW-RR
1989, 1070 = WM IV 1990, 63; LG Wuppertal, Urteil vom 30. Juni 1987 - 1 U 224/86
-; NJW 1988, 500). Ebenso wie das Landgericht Köln sieht auch der Senat in den
ec-Bedingungen der Beklagten für die Zeit vor Inkrafttreten des
Poststrukturgesetzes zulässige Nebenbestimmungen zu dem
mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt, mit dem die Befugnis des Kunden zur
Teilnahme am ec-Verfahren begründet worden ist.
Die danach gegebene verschuldensunabhängige Mißbrauchshaftung des Kunden
für die Zeit bis zur Verlustmeldung ist indessen eingeschränkt durch die von der
Beklagten auch im vorliegenden Fall angewandten (vorläufigen) "Richtlinien für die
Regulierung von Schadensfällen bei Benutzung von ec-Geldautomaten mittels
abhandengekommener eurocheque-Karten mit Magnetstreifen im Postgirodienst"
- ec-Richtlinien -, deren Ziffer 4.1 die uneingeschränkte Schadensregulierung bis
zum Höchstbetrag von 6.000,-- DM durch die Beklagte für den Fall vorsieht, daß
dem Postgiroteilnehmer eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht nachgewiesen
werden kann. Voraussetzung ist insbesondere die unverzügliche Meldung eines
Diebstahls bei dem für den Kunden zuständigen Postgiroamt (Ziffer 2.1 der ec-
Richtlinien). Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung der Beklagten
die materielle Beweislast für die Verletzung von Sorgfaltspflichten des
Postgiroteilnehmers im Sinne der Nr. 6 der ec- Richtlinien mit Recht bei der
Beklagten gesehen. Denn mit den ec-Richtlinien, die als allgemeine
Verwaltungsvorschriften über den Gleichbehandlungsgrundsatz Außenwirkung
entfalten, hat die Beklagte bewußt das Haftungsrisiko des Postkunden auch für
unbefugte Abhebungen vor Entdeckung eines Diebstahls auf die Beklagte
verlagern wollen. Durch die eindeutige Formulierung in Ziffer 4.1 der ec-Richtlinien,
wonach der Gesamtbetrag der abgebuchten Lastschriften bis zum Höchstbetrag
von 6.000,-- DM voll auf die Postkasse zu übernehmen ist, wenn "dem
Postgiroteilnehmer eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht nachgewiesen werden
kann", hat die Beklagte bewußt die materielle Beweislast für solche
Pflichtverletzungen übernommen, wohl nicht zuletzt deshalb, um im Wettbewerb
mit Banken bestehen zu können.
Eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht ist dem Kläger weder im Hinblick auf die
Aufbewahrung von Scheckkarten und Geheimnummer noch hinsichtlich seiner
Meldepflicht nachzuweisen, nachdem auch die vom Senat im Rahmen seiner
Amtsermittlungspflicht vorgenommenen Nachfragen bei den mit dem
Abhandenkommen der Scheckkarten befaßten Polizeidienststellen ergebnislos
verlaufen sind. Eine Beweiserleichterung, etwa nach den Grundsätzen des
Anscheinsbeweises, kommt der Beklagten nicht zugute, insbesondere nicht
deshalb, weil der Kläger zwei von der Beklagten erteilte Scheckkarten mit sich
geführt und damit das Risiko für die Beklagte verdoppelt hat. Denn da von der
Beklagten zwei Scheckkarten ausgegeben wurden und diese dazu bestimmt sind,
zur Benutzung im Bedarfsfall ständig mitgeführt zu werden, kann allein die
zur Benutzung im Bedarfsfall ständig mitgeführt zu werden, kann allein die
Tatsache der Mitführung zweier Scheckkarten nicht als Sorgfaltspflichtverletzung
gewertet werden. Was die Grundlagen der Berechnung des der Beklagten
zustehenden Erstattungsbetrags angeht, kann auf die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid gemäß § 130 b VwGO
Bezug genommen werden. Das Verwaltungsgericht hat sich allerdings zu
Ungunsten des Klägers um 1.000,-- DM verrechnet (vgl. Tenor und S. 11 des
angefochtenen Gerichtsbescheids, Bl. 63, 73 GA), was gemäß § 118 Abs. 1 VwGO
durch das Rechtsmittelgericht berichtigt werden könnte (BVerwG, Beschluß vom
16. Juli 1968 - VI C 1.66 -, BVerwGE 30, 146). Zur Vermeidung einer
Überraschungsentscheidung erscheint es dem Senat aber angezeigt, auf die
Unrichtigkeit und die Möglichkeit einer Berichtigung nach § 118 Abs. 1 VwGO durch
das Verwaltungsgericht (auch noch nach Eintritt der Rechtskraft des
Gerichtsbescheids) lediglich hinzuweisen. Ob dem Kläger noch weitere Beträge
hätten erstattet werden müssen, weil die Beschränkung der Schadensregulierung
auf einen Höchstbetrag von 6.000,-- DM rechtlichen Bedenken begegnen könnte,
kann dahinstehen, weil der Gerichtsbescheid rechtskräftig ist, soweit die Klage
abgewiesen worden ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.