Urteil des HessVGH vom 11.05.2010

VGH Kassel: amnesty international, politische verfolgung, irak, unhcr, anspruch auf rechtliches gehör, wahrscheinlichkeit, gefährdung, anknüpfung, anerkennung, neues vorbringen

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 A 2658/06.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 51 Abs 1 AuslG 1990, § 4
Abs 4 EGRL 83/2004, § 10d
EGRL 83/2004, § 60 Abs 5
AufenthG 2004, § 60 Abs 2
AufenthG 2004
(Streitgegenstand der Beanstandungsklage des
Bundesbeauftragten - neuer Verfolgungsgrund nach
Ausreise - politische Verfolgung in Anknüpfung an eine
gemischt-konfessionelle Ehe)
Leitsatz
1. Wendet sich der Bundesbeauftragte im Wege der Beanstandungsklage gegen die
Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1
AufenthG), so ist die Entscheidung über nachrangigen Abschiebungsschutz nach § 53
AuslG (heute: § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG), über den im Bundesamtsbescheid
keine Entscheidung getroffen wurde, nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens.
Auch im Fall des Erfolges der Beanstandungsklage wird der nachrangige
Abschiebungsschutz nicht Gegenstand des Klageverfahrens. Über die Gewährung
subsidiären Abschiebungsschutzes hat das Bundesamt nach Abschluss dieses
Klageverfahrens zu befinden, gegen dessen neue Entscheidung gegebenenfalls erneut
um Rechtsschutz nachgesucht werden kann.
2. Ein Asylbewerber, der einen nach seiner Ausreise aus dem Heimatstaat
eingetretenen neuen Verfolgungsgrund geltend macht, der in keinem Zusammenhang
mit einer etwaigen, vor seiner Ausreise erlittenen Verfolgung steht, wird hinsichtlich des
anzuwendenden Verfolgungsmaßstabs einem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber
gleichgestellt.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
vom 30. Januar 2004 - 3 E 2318/01.A - abgeändert.
Der Bescheid des Bundsamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
13. September 2001 wird insoweit aufgehoben, als darin für den Beigeladenen das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden ist.
Der von dem Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
gestellte Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Beigeladene wurde am ... 1948 in Najaf/Irak geboren und ist nach eigenen
Angaben irakischer Staatsangehöriger moslemischen Glaubens; er sei Schiit,
während seine Ehefrau Sunnitin sei.
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Am 18. März 2001 reiste er, gemeinsam mit seiner Frau, über den Flughafen
Frankfurt am Main in das Bundesgebiet ein und beantragte hier Asyl. Bei seiner
Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am
30. März 2001 gab er an, er gehöre dem Stamm der Ziara an und habe bis etwa
Februar 1999 mit seiner Frau in Najaf in seinem Elternhaus gelebt. In Najaf habe er
die Schule bis zur 5. Klasse besucht und später seinen Lebensunterhalt als
selbständiger Gemüsehändler verdient. Seinen Wehrdienst habe er von 1982 bis
1988 abgeleistet. Kinder habe er keine, seine Eltern seien schon gestorben, aber
er habe zwei Schwestern in Najaf und entferntere Verwandte im Kreis Najaf.
Gefragt nach den konkreten Gründen, die ihn zur Ausreise veranlasst hätten, gab
er an, 1991 habe bei ihnen in Najaf ein Aufstand der Schiiten gegen das Regime
Saddams stattgefunden und damals sei er – wie viele andere auch –
festgenommen worden. Man habe ihn 7 Monate festgehalten, in dieser Zeit
verhört und geschlagen. Jedes Mal, wenn religiöse Fest- oder Feiertage gewesen
seien, seien die schiitischen Männer von den Leuten der AMN festgenommen
worden. Das sei so weiter gegangen bis Februar 1999. Saddam sei sehr streng mit
den Einwohnern von Najaf umgegangen und habe sie unterdrückt. Er sei oft
festgenommen, verhört und wieder freigelassen worden. Im Februar 1999 – bei
einem religiösen Fest – habe er dann gehört, dass er auf der „Liste“ stehe, das
heiße, er habe festgenommen werden sollen. Deshalb habe er Najaf verlassen und
sei zu seinem Cousin nach Mesh-Khab gegangen. Seine Frau und er hätten sich
dort etwa ein Jahr aufgehalten, dann seien sie zu einem anderen Cousin nach
Ghammas gegangen, einem Dorf etwa 40 km von Najaf entfernt, wo sie 3 bis 4
Monate geblieben seien. Von dort seien sie nach Diwaniya gegangen, einer Stadt
60 km entfernt von Najaf, wo ein weiterer Cousin väterlicherseits gelebt habe. Bei
ihm seien sie wiederum 3 bis 4 Monate geblieben, bevor sie nach Najaf
zurückgekehrt seien. Dort hätten sie sich bis zu ihrer Ausreise noch einmal ein Jahr
lang bei seiner Schwester aufgehalten. Während dieser ganzen Zeit hätten sie sich
versteckt gehalten; sein Cousin und die Verwandtschaft hätten sie ernährt.
Während ihres Aufenthaltes in der Stadt seien sie immer zu Hause geblieben; sie
hätten ferngesehen und Tee getrunken. Irgendwelche Vorfälle habe es nicht
gegeben, er habe sich ja versteckt gehalten. Auf Nachfrage gab er an, als er sich
auf dem Land aufgehalten habe, habe er immer Nachricht von seinen Verwandten
aus der Stadt bekommen, dass man nach ihm suche. Auf die Frage, warum er
solange mit der Ausreise gewartet habe, gab er an, er habe aus finanziellen
Gründen nicht früher ausreisen können. Seine Frau habe sehr viel Goldschmuck
verkauft, außerdem hätten sie das Geld aus dem Hausverkauf gehabt und sein
Cousin habe noch ein vom Vater ererbtes Grundstück für ihn verkauft. Obwohl
seine Frau Marokkanerin sei, hätten sie nicht nach Marokko gehen können, weil
Marokko auch ein arabisches Land sei und bei zwei arabischen Ländern, die gute
Beziehungen zueinander unterhielten, könne es doch eher sein, dass man
ausgeliefert werde. In Deutschland fühle er sich sicherer; er erwarte nicht, dass
Deutschland ihn an den Irak ausliefere. Im Falle einer Rückführung fürchte er
jedoch, im Irak hingerichtet zu werden.
Mit Bescheid vom 13. September 2001 lehnte das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seinen Asylantrag ab, stellte jedoch fest,
dass hinsichtlich des Irak die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen,
weil der Beigeladene aus dem Zentralirak stamme und Antragstellern von dort
allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland politische
Verfolgung drohe.
Gegen diesen Bescheid, der den Beteiligten am 5. November 2001 übersandt
wurde, hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom
12. November 2001 - eingegangen beim Verwaltungsgericht Wiesbaden am 15.
November 2001 - Klage erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, zwar
könnten irakische Staatsbürger, die der illegalen Aus- oder Einreise beschuldigt
würden, wegen Übertretung des irakischen Passgesetzes bestraft werden; es gebe
jedoch keine Erkenntnisse, dass ihnen - ohne eine hohe Position in ihrer Heimat
bekleidet zu haben - durch die illegale Ausreise wegen unterstellter
Regimegegnerschaft mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer
Verfolgung drohe.
Angesichts der veränderten politischen Situation im Irak hat sich der Beklagte mit
Schreiben vom 14. Januar 2004 bereit erklärt, den angefochtenen Bescheid wegen
veränderter Umstände aufzuheben; vor der bereits für den 30. Januar 2004
anberaumten mündlichen Verhandlung und auch in der Zeit bis zur vorliegenden
Entscheidung des Senats erfolgte die Aufhebung jedoch nicht mehr.
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Mit Urteil vom 30. Januar 2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage des
Bundesbeauftragten abgewiesen; zur Begründung hat die Einzelrichterin
ausgeführt, der Klage fehle das Sachentscheidungsinteresse, weil die Beklagte die
Aufhebung des Bescheids vom 13. September 2001 zugesagt habe und davon
ausgegangen werden könne, dass sie sich dieser Aussage entsprechend verhalten
werde.
Gegen dieses ihm am 12. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten mit Schriftsatz vom 18. Februar 2004
- eingegangen beim Hess. VGH am 23. Februar 2004 - die Zulassung der Berufung
beantragt und geltend gemacht, das Urteil des VG Wiesbaden weiche von der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab und beruhe auf dieser
Abweichung. Denn das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung
vom 26. Februar 1981 (- 3 C 6/80 -, juris) ausgeführt, das Rechtsschutzinteresse
entfalle bei einer Anfechtungsklage nicht schon dadurch, dass der Beklagte im
Verhandlungstermin das Anfechtungsbegehren als berechtigt anerkenne und
erkläre, er werde den angefochtenen Verwaltungsakt aufheben. Die Beschwer
bleibe in einem solchen Fall solange bestehen, bis der betreffende Verwaltungsakt
tatsächlich entsprechend geändert worden sei.
Mit Beschluss vom 24. Juni 2004 - 10 UZ 635/04.A - hat der Hessische
Verwaltungsgerichtshof die Berufung gegen das Urteil des VG Wiesbaden wegen
Abweichung von der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2004 hat der Bundesbeauftragte für
Asylangelegenheiten die Berufung begründet und ausgeführt, nach dem
Machtwechsel im Irak seien keine Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung des
Beigeladenen erkennbar. Deshalb sei der Bescheid vom 13. September 2001
unter entsprechender Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils hinsichtlich
der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG aufzuheben.
Mit Beschluss vom 21. März 2005 hat der Senat dem Beigeladenen für den
zweiten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten
bewilligt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. August 2005 hat der Beigeladene sein
Vorbringen vertieft und dahin ergänzt, seine Heimatstadt Najaf sei überwiegend
schiitisch und er selbst habe zu den Unterstützern des Muqtada al-Sadr gehört,
einer Gruppierung, die in Opposition zu Saddam gestanden habe, der u.a. den
Vater des Muqtada habe töten lassen. Er - der Beigeladene - habe dieser Gruppe
finanziell geholfen. Mit seinem Auto habe er ab und an Material und Personen
transportiert, auch im Zuge des Aufstandes von 1991. Er sei damals in
Gefangenschaft geraten und misshandelt worden. In der Folgezeit habe er zu dem
Personenkreis gehört, der immer wieder von Festnahmen und Haft, mal nur für
wenige Tage, mal für einige Wochen betroffen gewesen sei. Im Februar 1999 habe
er sich dem entzogen und sei untergetaucht. Zwei Jahre seien sie von einem Ort
zum anderen gereist und jedes Mal, wenn sich die Sicherheitskräfte angekündigt
hätten, seien sie ein Dorf weiter gezogen. Im Falle einer Rückkehr in den Irak drohe
ihm Verfolgung durch die Sadriyun (Miliz des Muqtada al-Sadr). Frühere Mitglieder,
die sich ins europäische Ausland abgesetzt hätten, gälten aus deren Sicht als
Verräter und Spione der USA bzw. ihrer Verbündeten. Diese Vorbehalte seitens
der Milizen seien im Zuge der Besetzung des Landes allenfalls größer geworden.
Die Sadriyun verfolgten eine fundamentalistische, an Khomeni angelehnte Lehre
und Praxis des Islam und hätten in der früheren Saddam-Stadt, jetzt Sadr-Stadt,
ein eigenes Herrschaftsgebiet aufgebaut. Auch nach den Wahlen sei das Gebiet
allein in der Hand der Sadriyun und er müsse dort aufgrund seiner ihm wegen
seiner Flucht und des Auslandsaufenthalts sowie seiner Ehe mit einer
Marokkanerin unterstellten Haltung im Falle einer Rückkehr mindestens mit Haft
für unbestimmte Zeit rechnen. Schutz durch die Zentralregierung sei nicht zu
erhalten. Er könne auch in keinem anderen Gebiet leben, weil er dort auf Grund
seiner Religionszugehörigkeit und seiner Eigenschaft als Rückkehrer weder eine
Existenzmöglichkeit habe noch halbwegs sicher leben könne. Im Übrigen leide er
an Diabetes, Bluthochdruck, chronischen Magenschmerzen, Kopfschmerzen und
Schlaflosigkeit und könne ohne Tabletten nicht schlafen. Auch auf Grund seiner
dadurch bedingten eingeschränkten Leistungsfähigkeit könne er in keiner anderen
Region leben. Gleichzeitig hat er beantragt, über diese Behauptungen Beweis zu
erheben durch Einholung eines Gutachtens von amnesty international, des
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erheben durch Einholung eines Gutachtens von amnesty international, des
UNHCR, des Deutschen Orient-Institutes bzw. eines sonstigen
Sachverständigengutachtens.
Mit Beschluss nach § 130a VwGO vom 20. Dezember 2005 – 10 UE 1880/04.A –
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des VG Wiesbaden
abgeändert und den Bescheid des Bundesamtes vom 13. September 2001
insoweit aufgehoben, als darin für den Beigeladenen das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden war. Zur Begründung
hat er ausgeführt, nach dem Sturz Saddam Husseins gehe vom alten Regime
keine Gefahr mehr aus. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch die
Miliz des Muqtada al-Sadr erschöpfe sich der Vortrag des Beigeladenen in bloßen
Behauptungen. Die Beweisanträge hat er ebenfalls abgelehnt.
Gegen diesen Beschluss, der dem Bevollmächtigten am 4. Januar 2006 zugestellt
worden ist, hat der Beigeladene mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Januar 2006 -
eingegangen beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 10. Januar 2006 -
Beschwerde erhoben und die Zulassung der Revision sowie weiter beantragt, in
dem zugelassenen Revisionsverfahren unter Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses die Berufung des Bundesbeauftragten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden zurückzuweisen, hilfsweise das Verfahren unter
entsprechender Aufhebung des Beschlusses an den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Zur Begründung hat er geltend
gemacht, der Senat habe durch seine Entscheidung ohne Anhörung des
Beigeladenen diesen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Mit Beschluss vom 22. September 2006 - 1 B 36.06 (1 PKH 14.06) - hat das
Bundesverwaltungsgericht den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 20. Dezember 2005 aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof
zurückverwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Senat habe den Anspruch
des Beigeladenen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG verletzt, weil dieser
seine Entscheidung nicht habe treffen dürfen, ohne den Beigeladenen vorher zu
befragen und ihm Gelegenheit zu geben, sein neues Vorbringen zu ergänzen.
Außerdem habe das Berufungsgericht seine Erkenntnisse dazu, dass die vom
Beigeladenen benannten Quellen teilweise überholt seien, weder näher ausgeführt
noch belegt.
Mit Verfügung vom 4. März 2008 hat der Senat - auf der Basis des Vortrags des
Beigeladenen im Schriftsatz vom 6. August 2005 - das Auswärtige Amt, den
UNHCR und amnesty international um Auskunft gebeten. Nach einem
entsprechenden Hinweis des UNHCR (Bl. 365 d. GA) hat er zudem den
Beigeladenen mit Schreiben vom 17. Februar 2009 aufgefordert mitzuteilen, in
welcher Beziehung er vor seiner Flucht zu Bagdad bzw. zum Stadtteil Sadr-Stadt
gestanden habe. Mit Schriftsatz vom 25. März 2009 (Bl. 376 d. GA) hat der
Beigeladene daraufhin mitgeteilt, schon als junger Mann bzw. Jugendlicher habe er
immer an den Versammlungen bzw. Gebeten des Vaters von Muqtada al-Sadr,
des Ayatollah Muhammad Sadiq al-Sadr, in der Moschee teilgenommen. Er habe
auch regelmäßig bei der Vorbereitung und Durchführung der jährlich in Safar
stattfindenden Prozession zum Tode des Hussein nach Kerbela geholfen; er habe
den Pilgern geholfen, ihnen zu essen gegeben und anderes mehr. 1991 sei er - wie
geschildert - festgenommen und über ein Jahr festgehalten worden. Zusammen
mit Muhammad bzw. dessen Gruppe habe er dann einen kleinen Laster erworben,
der zur Hälfte ihm und zur Hälfte Muhammad bzw. der Gruppe gehört habe. Er -
der Beigeladene - habe diesen Laster dann für sich und auch für die Organisation
der Sadristen, teils für religiöse teils für humanitäre Zwecke, immer mehr aber
auch für militärische Zwecke benutzt. Sie hätten ihn angewiesen, wohin er habe
fahren sollen. So habe er z.B. Kämpfer nach Divanjiar, Smawa, Al Hillah, Kerbela
und zu anderen Orten gefahren. An den Auseinandersetzungen selbst habe er
nicht teilgenommen; genau genommen habe man das Fahrzeug nicht riskieren
wollen. Diese Tätigkeit habe er bis 1999/2000 durchgeführt; dann habe er sich dem
entzogen und sich an immer wechselnden Orten versteckt. Eine besondere
Beziehung zu Saddam-City bzw. Sadr-City habe er nicht. Insbesondere habe er
dort nicht längere Zeit gewohnt.
Der Bundesbeauftragte beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 30.
Januar 2004 - 2 E 2318/01.A - den Bescheid des Bundesamtes für die
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Januar 2004 - 2 E 2318/01.A - den Bescheid des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13. September 2001 aufzuheben,
soweit für den Beigeladenen die Feststellung gem. § 51 Abs. 1 AuslG getroffen
worden sei.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und festzustellen, dass Abschiebungshindernisse
nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2010 hat er sein Vorbringen noch einmal ergänzt und
ausgeführt, die Einwendungen des Klägers gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben
des Beigeladenen seien nicht stichhaltig. Auch die Bewegung des Vaters des
Muqtada al-Sadr werde nach dem Sprachgebrauch der Betroffenen als Sadriyun
bezeichnet und habe über kleinere bewaffnete Gruppen verfügt, welche versucht
hätten, die schiitischen Pilger zu schützen. Hinsichtlich der vom Beigeladenen
vorgetragenen Haftzeiten sei zu sagen, dass die unter Saddam Verfolgten immer
wieder festgenommen, misshandelt und wieder freigelassen worden seien.
Angesichts der Erlebnisse des Beigeladenen sei dieser mit an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit zu einer geordneten Darstellung nicht mehr in der
Lage. Im Übrigen seien beide Eheleute in ihrer jeweiligen Religion aktiv und
besuchten regelmäßig die jeweilige Moschee. Die derzeitige relative Beruhigung
der Situation im Irak sei auf die Trennung von Sunniten und Schiiten
zurückzuführen, von der der Beigeladene jedoch angesichts seiner gemischt-
konfessionellen Ehe mit einer Ausländerin und des langen Auslandsaufenthalts
gerade nicht profitiere. Im Übrigen sei er krank und bedürfe fachärztlicher
Kontrolle, die jedoch im Irak ebenso wenig sichergestellt sei wie eine rasche
Notfallbehandlung.
Auf die Verfügungen des Senatsvorsitzenden vom 4. März 2008 und 17. Februar
2009 haben das Auswärtige Amt mit Schreiben vom 20. Mai 2008 (Bl. 282 d. GA),
der UNHCR mit Schreiben vom 16. September 2009 (Bl. 408 d. GA), das
Auswärtige Amt noch einmal mit Schreiben vom 20. Januar 2010 (Bl. 475 d. GA)
und amnesty international mit Schreiben vom 12. Februar 2010 (Bl. 480 d. GA) zu
den vom Beigeladenen aufgeworfenen Fragen Stellung genommen.
Der Beigeladene ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 11. Mai
2010 informatorisch gehört worden. Wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird
auf die Verhandlungsniederschrift vom 11. Mai 2010 Bezug genommen. Weiter hat
der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung acht Hilfsbeweisanträge gestellt
und eine BBC-Meldung vom 23. April 2010 zu den Gerichtsakten gereicht. Wegen
der Einzelheiten der Hilfsbeweisanträge und der BBC-Meldung wird auf diese
Unterlagen (Bl. 570 bis 579 d. GA) verwiesen.
Die Gerichtsakten (4 Hefte und ein PKH-Heft), die den Beigeladenen betreffende
Gerichtsakte VG Wiesbaden 2 E 2270/01.A, die den Beigeladenen betreffende Akte
des Bundesamts Az. 2 650 040, die die Ehefrau des Beigeladenen betreffende
Akte des Bundesamts Az. 2 650 084, und die den Beigeladenen und seine Ehefrau
betreffenden Ausländerakten (2 Hefte) sowie die den Beteiligten mit der Ladung
übersandte Liste der Erkenntnisquellen und die Auskünfte und Stellungnahmen
enthaltenden, Irak betreffenden Akten der Asyldokumentation des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (Ordner 7 bis 13, insgesamt 7 Ordner) haben vorgelegen
und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung des Klägers,
mit der er unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom
30. Januar 2004 die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13. September 2001 insoweit
begehrt, als dem Beigeladenen darin ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1
AuslG zuerkannt worden ist, ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere hat der
Kläger innerhalb der Monatsfrist nach § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO einen Antrag
gestellt und die Berufung begründet.
Die Berufung ist auch begründet und führt zur Aufhebung des Bescheids des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in dem aus dem
Tenor ersichtlichen Umfang. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen
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Tenor ersichtlichen Umfang. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (§ 77 Abs. 1 AsylVfG)
erweist sich der Bescheid des Bundesamtes vom 13. September 2001 hinsichtlich
der darin getroffenen Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG als rechtswidrig mit der
Folge, dass der Kläger insoweit seine Aufhebung verlangen kann (§ 113 Abs. 1 S. 1
VwGO i.V.m. § 87 b AsylVfG und § 6 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG in der Fassung vom 27.
Juli 1993).
I. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie § 60 Abs. 1
Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Neufassung des Aufenthaltsgesetzes auf
Grund des Art. 8 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 1162). Seit
dem 1. Januar 2005 ist § 60 Abs. 1 AufenthG gem. Art 15 Abs. 3 des Gesetzes zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes
und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
vom 30. Juli 2004 an die Stelle des § 51 Abs. 1 AuslG getreten.
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens
über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit
er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte,
den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1
AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem
sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner
politischen Überzeugung bedroht ist. Anders als bei der Anerkennung als
Asylberechtigter nach Art. 16 a GG kann eine drohende Verfolgung im Sinne dieser
Vorschrift nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von a) dem Staat, b)
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des
Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den
Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler
Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz
vor der Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine
staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine
innerstaatliche Fluchtalternative. Gemäß Satz 5 sind für die Feststellung, ob eine
Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die
Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen,
und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12),
nachfolgend Qualifikationsrichtlinie - QRL - genannt, ergänzend anzuwenden.
Davon ausgehend kann dahin stehen, ob der Beigeladene den Irak in Bezug auf
das Saddam-Regime vorverfolgt verlassen hat, d.h., ob der Beigeladene insofern
glaubhaft vorgetragen hat, denn er ist vor asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen
durch diese Machthaber bei einer Rückkehr in den Irak heute jedenfalls hinreichend
sicher; damit sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr in
den Irak derzeit und in absehbarere Zukunft tatsächlich erneut von solcher
Verfolgung bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 QRL). Insoweit lässt der Senat dahinstehen,
ob und inwieweit mit Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie ein anderer als der
bislang von der deutschen Rechtsprechung verwandte
Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden ist, denn mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist jedenfalls davon auszugehen,
dass nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG der nunmehr gem. § 60 Abs. 1
Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QRL zu berücksichtigenden
Beweiserleichterung in Form der widerlegbaren Vermutung einer fortdauernden
Verfolgungsgefahr durch die Zugrundelegung der bisher von der Rechtsprechung
entwickelten Prognosemaßstäbe Genüge getan ist. Demzufolge ist der allgemeine
Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden, wenn der Betroffene
sein Heimatland unverfolgt verlassen hat, während bei einer Rückkehr in den
Heimatstaat nach bereits erlittener Verfolgung ein Wiederaufleben der
ursprünglichen oder einer gleichartigen Verfolgung mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen sein muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2009, - 10 B
45/08 -, juris; BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008, - 10 C 33/07 -, juris,
Rdnrn. 37 f.; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006, - 1 C 15/05 - , juris, Rdnr. 26; ebenso
VGH München, Urteil vom 12. Januar 2009, - 11 B 06.30900 - , juris, Rdnr. 21;
Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand: Okt. 2008, § 60 Rdnr. 31 f.;
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Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand: Okt. 2008, § 60 Rdnr. 31 f.;
Treiber, in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, § 60 Rdnr. 119 f.).
Darüber hinaus droht dem Beigeladenen auch auf Grund sonstiger Ereignisse, die
eingetreten sind, nachdem er sein Heimatland verlassen hat (§ 28 Abs. 1 a
AsylVfG), weder seitens des jetzigen Regimes noch anderer nichtstaatlicher
Akteure mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
1. Der Beigeladene ist vor politischer Verfolgung durch das ehemalige Saddam-
Regime hinreichend sicher. Die politische Situation im Irak hat sich durch die am
20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten
Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Das
Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Macht über den
Irak verloren. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden
Organisationen und Institutionen dieses Regimes wie beispielsweise der Baath-
Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Am 28.
Juni 2004 wurde die amerikanisch-britische Besatzung des Irak formal beendet und
die Souveränität des Irak wiederhergestellt. (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Lagebericht
vom 2. November 2004, Seite 3). Die US-Zivilverwaltung wurde aufgelöst und die
Macht an die am 30. Januar 2005 gewählte Übergangsregierung unter dem
Ministerpräsidenten Al-Dschaafari übergeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom
10. Juni 2005, Seite 6). Aus den Wahlen am 15. Dezember 2005 gingen die
Schiiten als stärkste Fraktion hervor und am 20. Mai 2006 wählte das irakische
Parlament den Schiitenführer Nuri Al-Maliki zum Ministerpräsidenten. Am 7. März
2010 fanden die dritten demokratischen Wahlen statt. Nach dem vorläufigen
amtlichen Endergebnis, das am 26. März 2010 verkündet wurde, erlangte die
„Irakische Nationale Bewegung“ des früheren Ministerpräsidenten Allawi 91 Sitze,
das „Rechtsstaatsbündnis“ des amtierenden Ministerpräsidenten 89 Sitze und die
„Irakisch Nationale Allianz“ 70 Sitze. (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11.
April 2010, Seite 8). Bereits ab Oktober 2005 hatte das irakische Sondergericht zur
Aufarbeitung von Verbrechen des ehemaligen Regimes ein Verfahren gegen
Saddam Hussein sowie sieben weitere Repräsentanten der Diktatur durchgeführt.
Am 5. November 2005 wurde gegen Saddam Hussein, seinen Halbbruder und den
ehemaligen Präsidenten des Revolutionsgerichts die Todesstrafe ausgesprochen.
Vier Mitangeklagte wurden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, einer wurde
freigesprochen. Am 30. Dezember 2006 wurde Saddam Hussein hingerichtet
(Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 2007, Seite 9).
Das zugrunde gelegt gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass
Angehörige des früheren Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten,
sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen (vgl.
dazu BVerwG, Urteil vom 25. August 2004 - 1 C 22/03 -, juris; Bay. VGH, Urteil vom
28. Juni 2006 - 23 B 06.30248 -, juris; Bay. VGH, Urteil vom 13. November 2003 -
15 B 02.31751 -, juris, mit Hinweis auf Nds. OVG vom 14. August 2003, - 20 A
430/02.A -; Sächs. OVG vom 28. August 2003, AuAS 2003, S. 250 ; OVG
Schleswig-Holstein vom 28.10.2003 - 1 LB 41/03 -).
2. Seitens der heutigen irakischen Regierung oder sonstiger nichtstaatlicher
Akteure hat der Beigeladene im Falle seiner Rückkehr in den Irak asylerhebliche
Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG derzeit und in absehbarer Zukunft nicht mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
Insoweit kommt der Verfolgungsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
unabhängig davon zur Anwendung, ob der Kläger den Irak im Jahre 2001
vorverfolgt verlassen hat, da eine etwaige Verfolgung durch die derzeitige
Regierung infolge der grundlegenden Veränderungen der politischen Verhältnisse
nicht die hierfür erforderliche Verknüpfung zur Vorverfolgung durch das Saddam-
Regime aufweisen würde. Voraussetzung für die Anwendung des herabgestuften
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes der hinreichenden Verfolgungssicherheit ist ein
innerer Zusammenhang zwischen den Umständen, vor denen der Flüchtling
geflohen ist, und denen, auf Grund derer ihm nunmehr im Falle einer Rückkehr
erneut Verfolgung drohen soll. Die Furcht eines Flüchtlings kann dementsprechend
dann nicht länger als begründet angesehen werden, wenn sich die Verhältnisse in
seinem Heimatland nachträglich und nicht nur vorübergehend so verändert haben,
dass eine Wiederholung der die Flucht auslösenden Verfolgungsmaßnahmen auf
absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und im Falle der
Rückkehr dem Flüchtling auch nicht aus anderen Gründen eine gänzlich neue oder
andersartige Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Denn sind die
Umstände entfallen, auf Grund derer die Verfolgung erfolgte, so vermag der
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Umstände entfallen, auf Grund derer die Verfolgung erfolgte, so vermag der
Umstand, dass nunmehr neue, andersartige Verfolgungsgefahren geltend
gemacht werden, die unmittelbar drohende Gefahr erneuter Verfolgung nicht zu
indizieren (BVerwG, 7. Februar 2008, a.a.O., Rdnrn. 36 und 41; Urteil vom 12. Juni
2007, - 10 C 24/07, juris, Rdnr. 25; Hailbronner a.a.O. Rdnr. 34). Ein Asylbewerber,
der einen nach seiner Ausreise aus dem Heimatstaat eingetretenen neuen
Verfolgungsgrund geltend macht, der in keinem Zusammenhang mit etwaiger, vor
seiner Ausreise erlittener Verfolgung steht, wird demzufolge hinsichtlich des
anzuwendenden Verfolgungsmaßstabs einem unverfolgt ausgereisten
Asylbewerber gleichgestellt (so auch EuGH, Urteil vom 2. März 2010, - C-175/08 -,
juris, Rdnrn. 88 f.). So liegen die Dinge hier, so dass es darauf ankommt, ob der
Beigeladene bei Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat. Das ist nicht der Fall.
a) Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladene Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 60
Abs. 1 AufenthG durch das jetzige Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
befürchten hat, sind nicht ersichtlich und von ihm auch nicht vorgetragen worden.
Das gilt auch hinsichtlich der von ihm behaupteten Gefährdung wegen des langen
Auslandsaufenthalts. Insoweit hat das Auswärtige Amt in seinen Auskünften vom
20. Mai 2008 und 20. Januar 2010 im vorliegenden Verfahren (Bl. 282 und 475 d.
GA) mitgeteilt, es sei unwahrscheinlich, dass der Beigeladene deswegen mit Haft
zu rechnen habe; er laufe allerdings Gefahr, Entführungsopfer zum Zwecke der
Lösegelderpressung durch kriminelle Elemente zu werden. Da eine solche
Verfolgung jedoch nicht in Anknüpfung an eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG
genannten asylrelevanten Merkmale erfolgen würde, sondern schlicht kriminelles
Unrecht wäre, kommt insoweit die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach
§ 60 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.
b) Dem Beigeladenen droht darüber hinaus - entgegen seiner Auffassung - im
Falle seiner Rückkehr in den Irak auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Verfolgung durch die Sadriyun (Miliz des Muqtada al-Sadr). Insoweit lässt der
Senat dahingestellt, ob die Ausführungen des Beigeladenen hinsichtlich der von
ihm für diese Gruppe in den Jahren 1991 bis 1999 geleisteten
Unterstützungshandlungen sowie seine Angaben zu den Aufenthaltszeiten bei
verschiedenen Verwandten während der Zeit seines Untertauchens zwischen
Februar 1999 und der Ausreise im März 2001 als glaubhaft anzusehen sind. Denn
auch bei Unterstellung, dass der Kläger die von ihm geschilderten
Unterstützungsleistungen tatsächlich so oder ähnlich erbracht und dadurch später
den Unwillen der Sadriyun wegen seiner Flucht ins Ausland erregt hat, sieht der
Senat eine politische Verfolgung seitens dieser Gruppierung heute jedenfalls nicht
mehr als beachtlich wahrscheinlich an. Der Beigeladene war - legt man seine
eigenen Schilderungen zugrunde - allenfalls ein „kleines Rädchen“ in der
Organisation des Muqtada al-Sadr bzw. der Organisation des Vaters des Muqtada
al-Sadr. Es ist schon nicht ersichtlich, dass er unter den Sadriyun überhaupt
bekannt gewesen ist. Aber selbst wenn ihn einige derjenigen, die er damals mit
dem LKW gefahren haben will, gekannt haben sollten, ist heute - 10 bis 18 Jahre
später - nicht mehr davon auszugehen, dass sie sich noch an ihn erinnern
geschweige denn ihn als Flüchtling und damit als „Verräter“ ansehen. Der
Umstand, dass Muqtada al-Sadr den geistlichen Führern der Schiiten, die sich
unter Saddam Hussein ins Auslandsexil begeben haben, den Vorwurf gemacht
hat, das irakische Volk im Stich gelassen zu haben und ihnen mit dieser
Begründung den Führungsanspruch abgesprochen hat (vgl. dazu ai, Auskunft an
Hess. VGH vom 20. Januar 2010. Seite 3), vermag eine Gefährdung des
Beigeladenen - angesichts seiner nicht exponierten Stellung in der Gruppe - nicht
zu begründen. Hinzukommt, dass auch die Organisation des Muqtada al-Sadr
nach den Operationen der Regierung im Frühjahr 2008 - bis auf sog. „special
groups“, die sich der Kontrolle al-Sadrs entziehen -, ihre Strategie geändert hat.
Al-Sadr beschloss, der politischen Teilhabe Priorität einzuräumen und seine Milizen
nicht weiter einzusetzen. Bei den Parlamentswahlen am 7. März 2010 hat seine
Gruppierung überraschend stark abgeschnitten und al-Sadr angekündigt, sich
stärker politisch zu engagieren und weitgehend auf Gewalt zu verzichten (vgl.
Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010, Seiten 8, 10 und 12). Von
der Gruppierung selbst sind daher Gewaltmaßnahmen derzeit nicht mehr mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten und selbst wenn einige der
genannten „special groups“ es ablehnen, sich dieser neuen Strategie al-Sadrs
anzuschließen, lässt sich daraus angesichts der untergeordneten Rolle des
Beigeladenen eine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung seiner Person nicht
herleiten.
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c) Soweit der Beigeladene zudem geltend macht, die Sadriyun hätten in der
früheren Saddam-Stadt - jetzt Sadr-City - ein eigenes Herrschaftsgebiet errichtet
und er müsse im Gebiet der Sadriyun auf Grund seiner ihm wegen seiner Flucht,
seines Auslandsaufenthalts sowie seiner Ehe mit einer Marokkanerin unterstellten
Haltung mindestens mit Haft für unbestimmte Zeit rechnen, kann er auch daraus
keinen Anspruch auf Zuerkennung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG
herleiten.
aa) Eine individuelle, d.h. gezielte Verfolgung gerade des Beigeladenen scheidet
insoweit - wie bereits dargelegt - angesichts der lange zurückliegenden
angeblichen Unterstützungshandlungen und der untergeordneten Stellung des
Beigeladenen aus.
bb) Zwar kann die Gefahr eigener Verfolgung sich für einen Ausländer nicht nur
aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte
Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen, wenn
diese wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen
teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und
Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gruppenverfolgung).
Voraussetzung für eine derartige Verfolgung ist jedoch, dass die festgestellten
Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an ein
asylerhebliches Merkmal treffen und die Verfolgungshandlungen im
Verfolgungszeitraum und -gebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder abzielen. Es muss eine so große Zahl an Einzelhandlungen
feststellbar sein, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die
Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit
besteht. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden
gruppengerichteten Verfolgung setzt insoweit eine bestimmte „Verfolgungsdichte“
voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (BVerwG,
Urteil vom 21. April 2009, 10 C 11.08 -, juris, Rdnr. 13; BVerwG, Urteil vom 18. Juli
2006, a.a.O., Rdnr. 20).
Eine diesen Anforderungen entsprechende Gruppenverfolgung ist hinsichtlich des
Beigeladenen nicht festzustellen. Insoweit mag dahinstehen, ob eine solche
Verfolgung angesichts der vom Beigeladenen als Ausgangspunkt für die von ihm
befürchteten Maßnahmen genannten Umstände - die gemischt-konfessionelle Ehe
mit einer Ausländerin, der lange Auslandsaufenthalt sowie die Erkrankung des
Beigeladenen - überhaupt in Anknüpfung an eines der asylrelevanten Merkmale
Religion, soziale Gruppe oder politische Überzeugung erfolgen würde, denn
jedenfalls ist eine derartige Verfolgung mangels der für die Annahme einer
Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte nicht beachtlich
wahrscheinlich.
(1) Insoweit können die Verhältnisse im Bagdader Stadtteil Sadr-City außer
Betracht bleiben, weil sie, selbst wenn man insoweit die Angaben des
Beigeladenen zugrunde legt (vgl. die dazu vom Senat eingeholten Auskünfte:
Auswärtiges Amt vom 20. Mai 2008, Seite 1 und 20. Januar 2010, Seite 2; UNHCR
vom 16. September 2009, Seite 6; amnesty international vom 12. Februar 2010,
Seite 4), für das vorliegende Verfahren ohne Belang sind. Denn für die Frage, ob
ihm eine Rückkehr in seine Heimat zuzumuten ist, ist zunächst auf den Ort bzw.
die Region abzustellen, aus der er stammt bzw. in der er zuletzt gelebt hat. Nach
eigenen Angaben kommt der Beigeladene jedoch nicht aus Bagdad, sondern aus
Najaf und hatte - wie er dem Senat auf ausdrückliche Nachfrage des UNHCR
mitgeteilt hat - auch keine nähere Beziehung zu Bagdad und dem Stadtteil Sadr-
City; insbesondere hat er dort auch nicht längere Zeit gewohnt.
(2) Für Najaf lässt sich eine den oben genannten Anforderungen entsprechende
Gruppenverfolgung durch die Sadriyun jedoch nicht feststellen. Zwar war es den
Mahdi-Milizen bis August 2004, als al-Sadr einen landesweiten umfassenden
Waffenstillstand ausrief und seine Beteiligung am politischen Prozess im Irak
ankündigte, gelungen, ihr Einflussgebiet auszudehnen, so dass sie in der Folgezeit
zumindest de-facto die Kontrolle über weite Teile einiger Städte - u.a. auch Najafs -
ausübten. Im März 2008 kam es jedoch erneut zu heftigen Gefechten zwischen
den Mahdi-Milizen und US-Truppen, die im Mai 2008 in einem Waffenstillstand
endeten, der anhält. In der Folgezeit zogen sich die Mahdi-Milizen - durch die
wochenlangen Kampfhandlungen in Bagdad und Najaf stark geschwächt - aus den
Gebieten der größeren Städte zurück. Berichten zufolge sollen sich Teile in den
Iran abgesetzt haben, während einzelne Gruppierungen nach wie vor aktiv sein
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Iran abgesetzt haben, während einzelne Gruppierungen nach wie vor aktiv sein
sollen (UNHCR, a.a.O., Seite 4/5; vgl. auch die Ausführungen des Auswärtigen
Amtes im Lagebericht vom 11. April 2010 zu den sog. „special groups“, Seite 12).
Najaf ist mit ca. 500.000 Einwohnern (Stand Januar 2007) die siebtgrößte Stadt
des Irak (Wikipedia, Liste der Städte im Irak, Recherche vom 08. Januar 2010), so
dass die Mahdi-Miliz sich auch dort zurückgezogen haben dürfte. Davon
ausgehend lassen sich den dem Senat vorliegenden Auskünften keine
Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass gemischt-konfessionellen
Ehepaaren durch die Sadriyun/Mahdi-Miliz in Najaf, dem Herkunftsort des
Beigeladenen, Verfolgungsmaßnahmen in einem Ausmaß drohen, das die für die
Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreicht. Auch
die Ausführungen des Beigeladenen enthalten keine dahingehenden
substantiierten Darlegungen und in der mündlichen Verhandlung hat er dazu
ebenfalls keine weiteren Ausführungen gemacht.
d) Der Beigeladene hat darüber hinaus auch von sonstigen Fundamentalisten oder
Gruppierungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante
Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten.
aa) Auch durch derartige Akteure droht ihm keine anlassgeprägte
Einzelverfolgung, da weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen ist, dass
gerade er und seine Frau auf Grund ihrer ganz persönlichen Lage ins Visier
sonstiger Fundamentalisten oder Gruppierungen geraten sein könnten.
bb) Eine Gruppenverfolgung durch sonstige nichtstaatliche Akteure lässt sich
ebenfalls weder für gemischt-konfessionelle Paare noch für mit einer Sunnitin
verheiratete Schiiten feststellen. Insoweit lässt der Senat auch hier dahinstehen,
ob etwaige Verfolgungsmaßnahmen auf Grund dieser vom Beigeladenen
angeführten Umstände in Anknüpfung an die Religion, die politische Überzeugung
bzw. an die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfolgen würden, da jedenfalls
eine derartige Verfolgung mangels der für die Annahme einer Gruppenverfolgung
erforderlichen Verfolgungsdichte nicht beachtlich wahrscheinlich ist.
Aus der vom Senat eingeholten Auskunft des UNHCR ergibt sich zwar, dass
gemischt-konfessionelle Paare nach dem Bombenanschlag auf die Al-Askari-
Moschee in Samarra am 22. Februar 2006 in dem danach eskalierenden Konflikt
zwischen alle Fronten gerieten und insbesondere in den Jahren 2006 und 2007
zahlreiche Quellen über zielgerichtete Angriffe auf gemischt-konfessionelle Paare
und Familien berichtet haben, die von Beschimpfungen und Diskriminierungen
über körperliche Angriffe bis hin zu gezielten Tötungen reichten. Hunderte dieser
Paare seien in dieser Zeit von sunnitischen oder schiitischen Milizen oder eigenen
Familienangehörigen zur Scheidung gedrängt worden und in den Jahren 2007 und
2008 hätten die Familiengerichte auch einen signifikanten Anstieg der
Scheidungen gemischt-konfessioneller Paare verzeichnet (vgl. Auskunft vom 16.
September 2009; Seite 8 f.). Gleichwohl ist der Senat nicht zu der Überzeugung
gelangt, dass gemischt-konfessionellen Paaren in der Heimatregion des
Beigeladenen Verfolgung in einem solchen Ausmaß droht, dass für jeden
Einzelnen ohne weiteres die Gefahr eigener aktueller Betroffenheit zu bejahen ist.
Zunächst schildern die zitierten Ausführungen des UNHCR die Zustände im
Zusammenhang mit dem Höhepunkt der Eskalation der Auseinandersetzung
zwischen Sunniten und Schiiten in den Jahren 2006 und 2007. Im weiteren Verlauf
der Auskunft wird aber mitgeteilt, dass die extreme Gewalt insbesondere in den
südirakischen Provinzen - u.a. auch in Najaf - seit Ende 2007 spürbar abgeebbt sei.
Dieses führt der UNHCR zwar vor allem auf die Entflechtung der Bevölkerung des
Landes zurück und berichtet, dass es nach wie vor in den gemischt-konfessionell
bewohnten Gebieten zu konfessionell motivierten An- und Übergriffen komme und
noch immer in den Straßen Bagdads und anderer gemischt-konfessioneller
Gebiete gelegentlich Leichen sunnitischer und schiitischer Bewohner gefunden
würden (Seite 9). Die daraus vom UNHCR gezogene Schlussfolgerung, dass
gemischt-konfessionelle Paare - und damit auch der Beigeladene und seine Frau -
in Gebieten mit sunnitischer oder schiitischer Bevölkerungsmehrheit keinen
verlässlichen Schutz finden können und daher dort einer gewissen Gefährdung
unterliegen, erscheint dem Senat deshalb plausibel. Das zugrundegelegt erreicht
diese Gefährdung jedoch nicht eine Verfolgungsdichte, die die Annahme einer
Gruppenverfolgung gemischt-konfessioneller Ehepaare rechtfertigen würde.
Auch die Auskunft von amnesty international führt zu keiner anderen
Einschätzung. Sie stützt die Angaben des UNHCR - teils unter Bezugnahme auf
dessen Auskunft - und berichtet auf Grund zahlreicher im Frühjahr 2008 geführter
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dessen Auskunft - und berichtet auf Grund zahlreicher im Frühjahr 2008 geführter
Interviews mit irakischen Flüchtlingen in Syrien von zwei Fällen, in denen gemischt-
konfessionelle Ehepaare Opfer von Gewalt wurden. Diese Angaben genügen den
Anforderungen an die für die Bejahung einer Gruppenverfolgung erforderliche
Verfolgungsdichte weder qualitativ noch quantitativ. In dem einen der
geschilderten Fälle wurde der sunnitische Ehemann einer schiitischen Witwe von
einer bewaffneten Gruppe entführt und trotz einer Lösegeldzahlung in Höhe von
50.000 US-Dollar später ermordet, ohne dass ersichtlich wäre, wer hinter dieser
Entführung stand. Nach den Ausführungen von amnesty international bleibt offen,
ob die Entführung überhaupt in Anknüpfung an die gemischt-konfessionelle Ehe
des Paares erfolgte. Ebenso gut könnte es der bewaffneten Gruppe allein um die
Beschaffung finanzieller Mittel durch die Lösegelderpressung gegangen sein. In
dem weiteren von amnesty international geschilderten Fall wird zwar berichtet,
dass der Ehemann dieses zweiten Paares von einer Gruppe maskierter
bewaffneter Männer mit Gewehren bedroht und aufgefordert worden sei, sich von
seiner schiitischen Ehefrau scheiden zu lassen. In welchem Zusammenhang damit
die zwei Monate später durch eine Spezialeinheit der Polizei erfolgte Verhaftung
stehen soll, bleibt jedoch unklar. Auch insoweit lässt sich ein Zusammenhang mit
der gemischt-konfessionellen Ehe des Paares nicht herleiten.
Selbst wenn man jedoch zugunsten des Beigeladenen in beiden Fällen von einer
spezifischen Zielrichtung der Übergriffe auf die Paare in ihrer Eigenschaft als
gemischt-konfessionelle Paare ausgehen würde, wären diese beiden Fälle schon
rein zahlenmäßig nicht geeignet, die für eine Gruppenverfolgung erforderliche
Verfolgungsdichte zu begründen. Das gilt um so mehr, als sich aus der im Rahmen
der vom UNHCR zitierten Quelle UNHCR’s Eglibility, Seite 55 - Englisch - ergibt,
dass vor dem Niedergang des Saddam-Regimes Eheschließungen zwischen
Sunniten und Schiiten im Irak durchaus verbreitet waren (common: gebräuchlich,
alltäglich, verbreitet). Danach erfolgten von den 6,5 Millionen Eheschließungen 2
Millionen zwischen sunnitischen und schiitischen Partnern, so dass es im Irak auch
heute noch einen nennenswerten Anteil gemischt-konfessioneller Paare geben
muss. Demgegenüber vermögen die vom UNHCR und von amnesty international
mitgeteilten Tötungen dreier Paare, die der „Union for Peace in Iraq“ zum Schutz
gemischt-konfessioneller Paare angehörten und die diese Vereinigung
mitbegründet haben, eben so wenig eine Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu begründen wie der Umstand, dass gemischt-konfessionelle
Paare nach wie vor Schwierigkeiten in Gebieten haben, in denen die eine oder die
andere Glaubensgemeinschaft die Mehrheit stellt (UNHCR Egibility, Seite 55).
Hinzu kommt, dass im August 2009 mehr als 1.700 schiitisch-sunnitische
Brautpaare im Rahmen einer Massenhochzeit aus einem Regierungsprogramm ein
Geldgeschenk in Höhe von 1.400 € in Empfang genommen haben (Die
Presse.com, 7. August 2009, recherchiert am 29. Dezember 2009). Dieses
Ereignis ist zwar nicht geeignet, die von den Auskünften geschilderten Gefahren zu
widerlegen, andererseits jedoch durchaus ein Indiz dafür, dass diese Paare das
Risiko einer gemischt-konfessionellen Ehe nicht als lebensbedrohlich einschätzen,
da sie andernfalls, wenn nicht von dieser Eheschließung überhaupt, so jedenfalls
von der Teilnahme an einer öffentlichen Massenhochzeit Abstand genommen
hätten. Dem kann der Beigeladene unter Bezugnahme auf die im Schriftsatz vom
3. Mai 2010 erwähnten beiden Meldungen im Internet - Fox-News vom 15. Juli 2009
und USA-Today vom 23. November 2009 - nicht mit Erfolg entgegenhalten, es
habe sich um lediglich 12 gemischt-konfessionelle Paare gehandelt und damit um
ein unbedeutendes Ereignis. Zwar heißt es in der Nachricht von USA-Today, dass
etwa ein Dutzend gemischt-konfessioneller Paare neben 375 gleich-
konfessionellen Paaren an einer Hochzeit teilnehmen werde. Es ist jedoch nicht
ersichtlich, dass diese Meldung von der gleichen Veranstaltung berichtet wie Fox-
News und Die Presse. Außerdem ergibt sich aus der vom Beigeladenen gleichzeitig
in Bezug genommen Nachricht von Fox-News, dass über 3.000.000 $ zur
Unterstützung dieses Projekts ausgegeben wurden. Daraus errechnet sich bei
Zugrundelegung des dort genannten Betrages von 1.800 € pro Ehepaar in etwa
die in der oben zitierten Nachricht vom 07. August 2009 angegebene Anzahl von
ca. 1.700 gemischt-konfessionellen Eheschließungen.
cc) Soweit der Beigeladene in seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2010 und auch in den
Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung
seine besondere Gefährdung auf die Kumulation der Eigenschaften „gemischt-
konfessionelles Ehepaar, ausländische Ehefrau, Rückkehrer aus Europa,
Erkrankung des Ehemannes“ zurückführt, ist auch das nicht geeignet, eine
Gruppenverfolgung zu begründen. Insoweit fehlt es jedenfalls an einer Anknüpfung
etwaiger Verfolgungsmaßnahmen an ein asylrelevantes Merkmal. Denn eine
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etwaiger Verfolgungsmaßnahmen an ein asylrelevantes Merkmal. Denn eine
soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 d) QRL, der gem. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG
ergänzend heranzuziehen ist, ist dann anzunehmen, wenn die Mitglieder dieser
Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden
kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die
so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht
gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und wenn gleichzeitig die Gruppe
in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der
sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Davon ausgehend
sind die vom Beigeladenen angeführten, ihn gefährdenden Umstände nicht
geeignet, eine derartige soziale Gruppe zu definieren, da es sich jedenfalls bei
diesen Anknüpfungspunkten weitgehend um persönliche Eigenschaften und
Umstände handelt, die sich aus der konkreten Lebensführung ergeben haben,
aber nicht als identitätsstiftend angesehen werden können.
e) Eine etwaige Verfolgungsfurcht des Beigeladenen in Anbetracht der in der
zweiten Jahreshälfte 2009 und auch in 2010 im Irak gehäuft aufgetretenen
Anschläge mit z.T. zahlreichen Toten kann ebenfalls die Zuerkennung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht rechtfertigen. Denn den
dem Senat vorliegenden Auskünften und Unterlagen lässt sich nicht entnehmen,
dass diese Anschläge in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale - und nur solche
Verfolgungsmaßnahmen wären im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevant -
erfolgt sind; sie sind vielmehr Ausdruck allgemeinen Terrors. Ausweislich der dem
Gericht vorliegenden Quellen betrafen die Anschläge z.T. religiöse Gruppen; zu
einem großen Teil zielten sie aber auch auf Regierungsgebäude ab ( vgl. dazu FR
und SZ vom 28. Dezember 2009: Anschläge auf schiitische Pilger, 41 Tote und 100
Verletzte; SZ vom 26. Oktober 2009: Mehr als 130 Tote bei Doppelanschlag in
Bagdad, auf Justizministerium und Provinzverwaltung; SZ 17. November 2009:
Massaker im Irak in einem sunnitischen Dorf, 16 Tote; FAZ vom 2. November
2009: 8 Tote bei Anschlägen in Mussjab und Kerbela; FAZ vom 26. November
2009: Anschlag in Kerbela auf ein Restaurant, das Soldaten als Stammgäste
hatte, 5 Tote, 45 Verletzte; SZ vom 2. Dezember 2009: Im November 2009 122
Tote bei Anschlägen im Irak; taz vom 8. Dezember 2009: 7 Tote Kinder bei
Anschlag auf Schulhof im Sadr-Viertel Bagdads; Deutsche Welle vom 9. Dezember
2009: 127 Tote und mehr als 400 Verletzte in Bagdad; taz vom 9. Dezember 2009:
Über 100 Tote bei Anschlagserie im Irak; FAZ vom 11. Dezember 2009: Al Qaida
bezichtigt sich der Anschläge; spiegel-online vom 15. Dezember 2009: In Bagdad
explodierten drei Autobomben; taz vom 16. Dezember 2009: Regierungsviertel
Bagdad - 4 Tote durch Sprengsätze).
Ausgehend von diesen Meldungen handelt es sich daher bei diesen Attentaten zur
Überzeugung des Senats nicht um zielgerichtete Anschläge in Anknüpfung an
asylrelevante Merkmale, sondern um Terroranschläge mit dem Ziel, den Irak zu
destabilisieren. Viele Iraker sehen offenbar auch innerschiitische Grabenkämpfe
und die Konflikte mit den Kurden als Grund für diese jüngste Gewalt an (SFH,
Alexandra Geiser vom 5. November 2009, Irak: Die aktuelle Entwicklung im
Zentral- und Südirak). Inwieweit der Beigeladene dadurch gefährdet sein könnte,
bedarf hier keiner Entscheidung, da Gefahren dieser Art allenfalls ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG zu begründen
vermögen.
II. Soweit der Beigeladene darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung
beantragt hat, in Bezug auf seine Person hinsichtlich des Irak die Voraussetzungen
des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen, ist dieser Antrag abzulehnen. Denn
die Frage, ob der Beigeladene einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären
Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG hat, ist nicht
Gegenstand dieses Verfahrens. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte
lediglich den vom Beigeladenen erhobenen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigter i.S.d. Art. 16 a GG abgelehnt und ihm ein Abschiebungsverbot
nach § 51 Abs. 1 AuslG zugesprochen. Ein weiterer darüber hinausgehender
Regelungsgehalt ist in dem Bescheid - entsprechend § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG -
nicht enthalten. Durch die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten ist nur
die positive Feststellung des Bundesamtes zu § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs.
1 AufenthG) rechtshängig geworden, so dass Streitgegenstand des gerichtlichen
Verfahrens auch nur der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist. Dem
Senat ist es daher verwehrt, über die Gewährung subsidiären
Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG zu entscheiden.
Durch diese Begrenzung des Streitgegenstandes wird der Beigeladene auch nicht
schutzlos gestellt, denn über die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes
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schutzlos gestellt, denn über die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes
nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG hat das Bundesamt nach Abschluss dieses
Verfahrens erstmals zu befinden und gegen diese Entscheidung kann er sodann
gegebenenfalls erneut um Rechtsschutz nachsuchen (vgl. ebenso BVerwG,
Beschluss vom 19. Dezember 2001, - 1 B 217/01 -, juris, Rdnrn. 5 und 7; Bay.
VGH, Urteil vom 27. Oktober 2009, - 11 B 06.30503 -, juris, Rdnr. 29; OVG
Lüneburg, Urteil vom 24. März 2009, - 2 LB 643/07 -, juris, Rdnrn. 163 ff.; OVG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. März 2006, - 3 L 176/01 -, juris, Rdnr. 68).
III. Nach alldem braucht der Senat auch die Beweise, die Gegenstand der vom
Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisanträge sind,
nicht zu erheben.
1. Hinsichtlich des Hilfsbeweisantrags zu 1 kann dahinstehen, ob auch die Gruppe
des Vaters des Muqtada al-Sadr, die der Beigeladene schon unterstützt haben will,
kleinere bewaffnete Gruppen zum Schutz schiitischer Pilger unterhalten hat, weil
diese Frage allenfalls im Rahmen der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben
des Beigeladenen von Bedeutung sein kann, der Senat diese Frage jedoch
ausdrücklich dahinstehen lässt. Es ist daher nicht ersichtlich, inwieweit die
Einholung der beantragten Auskünfte die Position des Beigeladenen verbessern
können sollte. Das gleiche gilt für die Behauptung des Beigeladenen, die unter
Saddam Hussein von Verfolgung betroffenen Schiiten seien immer wieder, teils für
lange Zeiträume, festgenommen, regelmäßig in der Haft schwer misshandelt,
entlassen und bei auch für den Betroffenen nicht vorhersehbaren Anlässen wieder
inhaftiert worden.
2. Die Behauptung des Beigeladenen, dass seiner Ehefrau die Einreise in den Irak
zwecks Familieneinheit mit ihrem Mann möglich sei, hat der Senat bei seinen
Überlegungen zugrunde gelegt und damit als wahr unterstellt, so dass er die
Beweise des Hilfsbeweisantrags zu 2 nicht zu erheben braucht.
3. Der Senat ist ferner auch nicht gehalten, Beweis zu erheben über die
Behauptungen des Beigeladenen, als Schiit und Partner einer gemischt-
konfessionellen Ehe werde er Opfer von lebensbedrohlichen Übergriffen und
Anschlägen organisierter Gruppen sowohl der Sunniten als auch der Schiiten,
wobei er staatlichen Schutz oder Schutz durch eine andere organisierte Gruppe
nicht erhalten könne (Hilfsbeweisantrag zu 3). Zum einen handelt es sich insoweit
um eine neue Tatsachenbehauptung, da Anknüpfungspunkt für die behauptete
Gefährdung ausweislich der Formulierung des Beweisantrages nicht die Tatsache
der gemischt-konfessionellen Ehe als solche, sondern der Umstand sein soll, dass
der Beigeladene als S c h i i t Partner einer solchen Ehe ist. Die Behauptung einer
darin begründeten besonderen Gefährdung hatte er bislang jedoch so nicht
geltend gemacht, so dass er mit diesem Vorbringen nach § 87 b Abs. 3 VwGO
angesichts der ihm vom Senatsvorsitzenden mit Verfügung vom 29. März 2010 bis
zum 4. Mai 2010 gesetzten Frist ausgeschlossen ist. Darüber hinaus hat der Senat
die vom Beigeladenen im Rahmen des Verfahrens beantragten Beweise eingeholt
(vgl. Auskunftsersuchen des Senatsvorsitzenden vom 4. März 2008, Bl. 255 d. GA)
und sowohl der UNHCR als auch amnesty international haben zu diesen Fragen in
ihren Gutachten von September 2009 bzw. Februar 2010 Ausführungen gemacht.
Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die vorliegenden Auskünfte unzureichend sind
bzw. welche darüber hinausgehenden neuen Erkenntnisse zu diesem
Fragenkomplex sich durch weitere Auskünfte - noch dazu von denselben
Auskunftsstellen - ergeben sollen.
4. Auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag zu 4
hinsichtlich der Behauptung, als mit einer Ausländerin verheirateter schiitischer
Rückkehrer aus Deutschland werde er in jedem Fall Opfer von lebensbedrohlichen
Übergriffen und Anschlägen organisierter Gruppen, ist nicht zu entsprechen. Zum
einen würde eine solche Verfolgung nach den obigen Ausführungen jedenfalls nicht
in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal (soziale Gruppe) erfolgen. Die
behauptete Gefährdung wäre als Gefahr, Opfer kriminellen Unrechts zu werden,
anzusehen und damit im Rahmen der allein den Verfahrensgegenstand bildenden
Feststellungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG unerheblich. Hinzu kommt, dass die vom
Senat eingeholten Auskünfte auch dazu bereits Ausführungen enthalten und der
Beigeladene nicht dargelegt hat, inwieweit diese Auskünfte unvollständig,
unzureichend oder angesichts veränderter Umstände überholt sein sollen.
5. Dem Hilfsbeweisantrag zu 5 ist ebenfalls nicht zu entsprechen. Mit der
Behauptung, der Beigeladene könne an keinem Ort, an dem ihm das Überleben
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Behauptung, der Beigeladene könne an keinem Ort, an dem ihm das Überleben
möglich wäre, wirksamen Schutz vor der von ihm geschilderten Verfolgung finden,
wirft er die Frage des internen Schutzes i.S.d. Art 8 QRL und damit nach dem
Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative auf. Diese Frage stellt sich hier
jedoch nicht, weil der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt ist, dass dem
Beigeladenen in seiner Heimat tatsächlich asylrelevante Verfolgung i.S.d. § 60
Abs. 1 AufenthG droht. Denn die Frage nach der Existenz einer inländischen
Fluchtalternative ist die Frage, ob der Asylsuchende vor zu befürchtender
asylrelevanter Verfolgung an einem anderen als seinem Herkunftsort im
Heimatland verfolgungsfrei leben kann; sie setzt damit die Bejahung von
Verfolgungsmaßnahmen voraus.
6. Auch die in den Hilfsbeweisanträgen zu 6 und 7 genannten Beweise sind nicht
zu erheben. da die insoweit aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Erkrankung des
Beigeladenen und der Behandelbarkeit seiner Erkrankung im Irak allenfalls im
Rahmen der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative bzw. der
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
von Bedeutung sind. Beide Fragestellungen sind jedoch nach den obigen
Ausführungen für die vorliegende Entscheidung unerheblich.
7. Schließlich ist der Senat auch nicht gehalten, dem Hilfsbeweisantrag zu 8 zu
entsprechen. Soweit der Beigeladene darin unter Beweis stellt, die Gefahr, dass
ein Rückkehrer aus Europa, insbesondere ein schiitischer Partner einer gemischt-
konfessionellen Ehe mit einer sunnitischen Ausländerin, Opfer lebensbedrohlicher
Anschläge werde, habe sich seit Anfang 2009 erhöht, ist diese Behauptung für das
vorliegende Verfahren ohne Belang. Die von ihm als gefährdet angesehenen
Personen sind - wie oben ausgeführt - keine soziale Gruppe i.S.d. Art. 10 d) QRL,
so dass die behauptete Gefährdung jedenfalls nicht an ein asylrelevantes Merkmal
anknüpfen würde. Hinzu kommt, dass allein die Erhöhung der behaupteten Gefahr
nicht ausreicht, um eine für den Beigeladenen günstigere Position zu begründen,
denn erst bei einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreichenden
Verfolgungsdichte könnte eine Gefährdung des Einzelnen überhaupt als beachtlich
wahrscheinlich angesehen werden. Im Übrigen stammen die vom Senat
eingeholten Auskünfte des UNHCR bzw. amnesty internationals von September
2009 bzw. Februar 2010 und umfassen damit zum einen den vom Beigeladenen
angegeben Zeitraum zumindest bis zu diesen Zeitpunkten. Zum anderen fehlt es
auch hier wieder an Ausführungen des Beigeladenen dazu, inwiefern diese
Auskünfte unzureichend sein sollen.
Die Behauptung des Beigeladenen, der Rückzug der US-Truppen führe für die
angesprochene Gruppe zu einer erheblichen Verschlechterung der
Sicherheitslage, beinhaltet in dieser Form schließlich eine dem Beweis nicht
zugängliche Spekulation, denn letztlich ist derzeit noch nicht absehbar, wann und
unter welchen Umständen die USA den Irak tatsächlich verlassen werden. Die
Behauptung, die ethnisch-konfessionelle Säuberung der Wohngebiete verschärfe
die Lage für Angehörige von Mischehen, ist nach dem oben Gesagten für das
vorliegende Verfahren unerheblich, da dieser Umstand allein keine asylrelevante
Verfolgung begründet.
Auch hinsichtlich der weiteren Behauptung, die staatliche Unterstützung für
Eheschließungen und Mischehen führe in der Praxis nicht zur Verbesserung der
Sicherheitslage der genannten Gruppe, ist der Senat nicht gehalten, Beweis zu
erheben, denn auch der Senat sieht darin keine Verbesserung der Sicherheitslage,
wohl aber - wie oben dargelegt - ein Indiz für die Einschätzung der Situation durch
die Iraker selbst.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG und
§ 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht insbesondere nicht der Billigkeit im Sinne von §
162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der
unterlegenen Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen, da die
Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten Erfolg hat und damit auch der
Beigeladene unterliegt.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO
vorliegt. Die Frage, welcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab angesichts neu
eingetretener Verfolgungsgründe nach Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie
anzuwenden ist, ist durch die Entscheidungen des BVerwG vom 7. Februar 2008
a.a.O. und des EuGH vom 2. März 2010 a.a.O. bereits höchstrichterlich hinreichend
geklärt und damit nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Gleiches gilt für den
geklärt und damit nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Gleiches gilt für den
eingeschränkten Prüfungsumfang bei Beanstandungsklagen der vorliegenden Art,
wie oben bereits ausgeführt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.