Urteil des HessVGH vom 31.03.2010

VGH Kassel: schule, erlass, physik, hessen, fürsorge, stadt, wohnung, obsiegen, rechtsgrundlage, amt

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 B 272/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 3 BeamtStG, § 29
BG HE
(Freigabeerklärung im Rahmen des
Lehreraustauschverfahrens)
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 28. Januar 2010 - 1 L 60/10.KS - aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahrens auf 5.000,00
€ festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das
Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben.
Der Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antrag der Antragstellerin auf
Versetzung an eine Schule in Baden-Württemberg zum 1. August 2010
unverzüglich an die zuständige Landesschulbehörde weiterzuleiten und die
Freigabe zu erklären, ist nicht zulässig, denn der Erlass der begehrten
einstweiligen Anordnung würde zu einer unzulässigen Vorwegnahme der
Hauptsache führen. Die einstweilige Anordnung soll grundsätzlich nicht befriedigen
oder endgültig regeln, sondern nur sichern oder tragbare Verhältnisse schaffen.
Eine Ausnahme hiervon besteht im Hinblick auf die Gewährung effektiven
Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nur dann, wenn der Antragstellerin durch
die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile drohen;
auch in diesem Fall muss ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (st. Rspr. des Senats: vgl. z. B. Beschlüsse
vom 1. Februar 1988 - 1 TG 3967/87 - und vom 22. April 2005 - 1 TG 554/05 -;
Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 Rdnrn. 13 ff.). Der Erlass der von der
Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung würde ihr bereits im Verfahren
gemäß § 123 VwGO in vollem Umfang das gewähren, was sie im
Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Eine solche Position kann ihr auch nicht
vorläufig oder vorübergehend eingeräumt werden.
Es kann dahinstehen, ob der Antragstellerin durch die Verweisung auf das
Hauptsacheverfahren unzumutbare Nachteile drohen, denn ein Obsiegen im
Hauptsacheverfahren ist nicht hinreichend wahrscheinlich.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 15 BeamtStG i. V. m.
§ 29 HBG. Nach diesen Vorschriften können Beamtinnen und Beamte auf Antrag
oder aus dienstlichen Gründen in den Bereich eines Dienstherrn eines anderen
Landes in ein Amt einer Laufbahn versetzt werden, für die sie die Befähigung
besitzen. Die Versetzung, die gemäß § 15 Abs. 3 BeamtStG von dem abgebenden
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besitzen. Die Versetzung, die gemäß § 15 Abs. 3 BeamtStG von dem abgebenden
in Einverständnis mit dem aufnehmenden Dienstherrn verfügt wird, steht in
pflichtgemäßem Ermessen des Dienstherrn. Die Ablehnung der Weiterleitung des
Versetzungsantrags der Antragstellerin an die zuständige Landesschulbehörde in
Baden-Württemberg durch den Bescheid des Staatlichen Schulamtes für den
Landkreis und die Stadt Kassel vom 3. Dezember 2009 ist nicht ermessenswidrig.
Sie steht im Einklang mit dem für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen
Beschluss der Kultusministerkonferenz der Länder vom 10. Mai 2001 und der
hierzu getroffenen Verfahrensabsprache vom 7. November 2002.
Ein Anspruch auf die Erteilung einer Freigabeerklärung ergibt sich entgegen der
Auffassung der Antragstellerin nicht aus der Fürsorge- und Schutzpflicht des
Dienstherrn. Der Dienstherr ist im Hinblick darauf zwar gehalten, im Rahmen
seiner Ermessensausübung nicht nur die notwendigen Belange der
Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes und die Dienst- und Treuepflicht der
Bediensteten einzubeziehen, sondern auch Gesichtspunkte der Fürsorge und des
Schutzes für seine Bediensteten. Im Rahmen der Entscheidung über die Freigabe
von Lehrkräften für die Aufnahme in das Lehreraustauschverfahren zwischen den
Bundesländern sind somit auch die Belange angemessen zu berücksichtigen, die
dem Antrag der Lehrkraft auf Übernahme in das Tauschverfahren aus deren Sicht
maßgebend zu Grunde liegen. Hierzu gehört nach Nr. 2.1 des Beschlusses der
Kultusministerkonferenz vom 10. Mai 2001 ausdrücklich auch der Gesichtspunkt
der Familienzusammenführung, auf den die Antragstellerin ihr Begehren vorrangig
stützt. Gleichwohl ist im Hinblick darauf ein Anspruch der Antragstellerin auf
Freigabe nicht begründet. Sie kann sich insbesondere nicht auf Art. 6 GG berufen,
wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung
stehen. Die Antragstellerin ist nicht verheiratet. Zwar hat sie eine Bescheinigung
des Standesamtes Karlsruhe vorgelegt, wonach sie ihre Eheschließung mit ihrem
langjährigen Lebensgefährten für den xx. Juli 2010 angemeldet hat. Diese
Bescheinigung hat jedoch keine bindende Wirkung. Der Termin für die
Eheschließung kann jederzeit aufgehoben werden.
Maßgeblich für die Ablehnung des Versetzungsantrages durch den Bescheid des
Staatlichen Schulamtes für den Landkreis und die Stadt Kassel vom 3. Dezember
2009 war insbesondere, dass die Antragstellerin die Lehrbefähigung für das Fach
Physik hat, das zu den Mangelfächern gehört, bei denen der Mangel nicht durch
ausreichende Neueinstellungen aufgehoben werden kann. Diese Begründung ist
nicht ermessensfehlerhaft. Zwar haben sich die Länder in dem Beschluss der
Kultusministerkonferenz vom 10. Mai 2001 verpflichtet, die Freigabeerklärung für
die Übernahme in ein anderes Bundesland so großzügig wie möglich zu erteilen;
diese Verpflichtung steht jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Beachtung
dienstlicher Interessen. Den Antragstellern wird somit kein Anspruch unmittelbar
auf Abgabe der Freigabeerklärung eingeräumt. Im vorliegenden Fall bedarf es
keiner näheren Begründung, dass es nicht ermessenswidrig ist, einer Lehrerin die
Freigabe zu verweigern, die die Lehrbefähigung in einem sog. Mangelfach hat,
sofern dieser Fachbedarf in absehbarer Zeit nicht durch neu ausgebildete Lehrer
gedeckt werden kann. Da es um eine Versetzung in ein anderes Bundesland geht,
ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin und des Verwaltungsgerichts nicht
auf die Situation der Schule, an der die betreffende Lehrkraft unterrichtet, oder
des betreffenden Schulamtsbezirks, sondern auf die landesweite Bedarfssituation
abzustellen. Die Antragstellerin ist Beamtin des Landes Hessen und kann als
solche an jede berufliche Schule in Hessen versetzt werden, sofern der Bedarf
nicht durch eine andere Lehrkraft mit der Lehrbefähigung in dem Mangelfach
ermessensfehlerfrei abgedeckt werden kann (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 6.
Dezember 2004 - 3 CE 04.2651 - juris; VG Frankfurt, Beschluss vom 28. März 2006
- 9 G 1117/06 - juris; VG Darmstadt, Urteil vom 26. November 2008 - 1 K
793/08.DA -). Auch die Antragstellerin hat nicht in Frage gestellt, dass bei dem
Lehramt für berufliche Schulen das Fach Physik jedenfalls landesweit ein
Mangelfach ist und auch in absehbarer Zeit sein wird (vgl. Lehrerbedarfsprognose,
Homepage des Hessischen Kultusministeriums).
Die Ablehnung der Freigabeerklärung und damit der Versetzung ist auch bei
Berücksichtigung der gesamten persönlichen Situation der Antragstellerin und
insbesondere ihres dargelegten Kinderwunsches nicht ermessenfehlerhaft. Der
gegenwärtige Einsatz der Antragstellerin an einer beruflichen Schule in
Nordhessen beruht auf ihrem entsprechenden Wunsch. Auf ihren Antrag vom 19.
Dezember 2006 ist sie mit Wirkung vom 1. August 2007 von der Gewerblich-
Technischen Schule in xxx/Baden-Württemberg an die xxx-Schule in xxx versetzt
und in den hessischen Schuldienst übernommen worden. In ihrem Antrag führte
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und in den hessischen Schuldienst übernommen worden. In ihrem Antrag führte
sie seinerzeit aus, ihr Lebensmittelpunkt sei seit geraumer Zeit in xxx in
Nordhessen, wo ihr künftiger Ehemann lebe und dessen Kinder aus erster Ehe in
der Nähe wohnten. Der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind sei aufgrund der
Entfernung schwer zu realisieren. Ihre derzeitige Wohnung in Karlsruhe sei für sie
nur ein Arbeitsort.
Der Umstand, dass ihr Lebensgefährte nun in der Nähe von Karlsruhe eine
Arbeitsstelle antrat, führte bei der Antragstellerin dazu, dass sie nur zwei Jahre,
nachdem sie ihrem Wunsch entsprechend nach Nordhessen versetzt worden war,
einen Antrag auf Rückversetzung nach Baden-Württemberg gestellt hat. Ihr
verständlicher Wunsch nach einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem
Lebenspartner könnte z. B. auch dadurch realisiert werden, dass sie einen Antrag
auf Versetzung an die Beruflichen Schulen des Kreises Bergstraße in xxx stellt, die
laut ihrer Homepage auch Lehrkräfte für Physik suchen. Die Antragstellerin und ihr
Ehepartner könnten dann einen gemeinsamen Wohnsitz zwischen xxx und
Karlsruhe nehmen.
Die Antragstellerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten
Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47
Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Der Senat berechnet den Streitwert
ebenso wie das Verwaltungsgericht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.