Urteil des HessVGH vom 20.12.1999

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, öffentlich, hütte, kreis, genehmigung, baurecht, hessen, anmerkung, landschaft

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TG 4637/98
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 61 Abs 2 BauO HE, § 78
Abs 1 BauO HE
(Einschreiten gegen baugenehmigungsfreies Vorhaben
wegen Verstoßes gegen sonstige öffentlich-rechtliche
Vorschriften)
Tatbestand
Der Antragsteller ist Miteigentümer des im Außenbereich der Stadt ... in der
Gemarkung R -- gelegenen Grundstücks Flur ..., Flurstück Nr. ..., auf dem sich eine
etwa 2,3 m3 große Gartenhütte befindet, die nach seinen Angaben im Sommer
1976 errichtet worden ist.
Mit Verfügung vom 14.08.1998 ordnete der Antragsgegner, gestützt auf § 78 Abs.
1 HBO, den Abbruch der Hütte an und untersagte ihre weitere Nutzung. Die
Anordnung der sofortigen Vollziehung des Nutzungsverbots gemäß § 80 Abs. 2 Nr.
4 VwGO ist Gegenstand des Verfahrens. Sie wurde mit formeller Illegalität der
Anlage begründet, weil "eine Baugenehmigung bzw. eine naturschutzrechtliche
Genehmigung" erforderlich gewesen wäre und die ungenehmigte Nutzung gegen
den Gesetzeszweck verstoße und einen ungerechtfertigten zeitweiligen Vorteil
verschaffe.
Das Grundstück lag ausweislich der Behördenakten zum Zeitpunkt der Errichtung
der Gartenhütte im Geltungsbereich der Verordnung zum Schutz von
Landschaftsteilen in den Landkreisen G, L, W, dem H-kreis, M-Kreis, R-kreis, U-
kreis, W-kreis und in dem Stadtkreis W im Regierungsbezirk D
"Landschaftsschutzgebiet Taunus" vom 20. Januar 1976 (StAnz. 1976 S. 294) --
LSchVO Taunus --.
Der Antragsteller legte unter dem 27.08.1998 Widerspruch ein und stellte beim
Verwaltungsgericht Gießen am 31.08.1998 einen Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23.11.1998 die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Gartenhütte des Antragstellers sei wegen
ihrer geringen Größe nicht baugenehmigungspflichtig gewesen. Der Antragsgegner
habe daher nur auf deren formelle Illegalität wegen Fehlens einer
naturschutzrechtlichen Genehmigung abstellen können. Trotz des weit gefassten
Wortlauts des § 78 Abs. 1 HBO seien die Bauaufsichtsbehörden nicht befugt, sich
für Maßnahmen der Gefahrenabwehr unmittelbar auf Verstöße gegen das
Naturschutz- oder Landschaftsschutzrecht zu stützen. Zu den sonstigen
öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne dieser Vorschrift gehörten nicht die
naturschutzrechtlichen Vorschriften, vielmehr lediglich die auf den Bau
einwirkenden Vorschriften des sogenannten Baunebenrechts.
Der Senat hat mit Beschluss vom 22. Dezember 1998 -- 4 TZ 4593/98 -- auf den
Antrag des Antragsgegners die Beschwerde gegen den Beschluss zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Beschwerde ist begründet, denn der Antragsteller hat keinen
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Die zugelassene Beschwerde ist begründet, denn der Antragsteller hat keinen
Anspruch auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs gegen das ihm gegenüber ergangene Verbot der Nutzung der Hütte.
Allerdings hat sich der Antragsgegner für den Sofortvollzug des Nutzungsverbots
für die nach ihrer Größe baugenehmigungs- und bauanzeigefreie Hütte zu Unrecht
auf § 6 Abs. 1 des Hessischen Naturschutzgesetzes bezogen, das zum Zeitpunkt
der Errichtung der Hütte im Jahre 1976 noch nicht in Kraft war. Das ändert an der
Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung nichts, weil auch vor Inkrafttreten des
Hessischen Naturschutzgesetzes der mit der Errichtung der Hütte verbundene
Eingriff in Natur und Landschaft unzulässig war und die Grundverfügung auf die
Behebung der Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes und der
Landschaftspflege zielt. Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 LSchVO Taunus bedurften auch
bauliche Maßnahmen, die bauanzeigefrei waren, der vorherigen Genehmigung
durch die zuständige Naturschutzbehörde. Die Maßnahme war zudem materiell
naturschutzwidrig, da im Landschaftsschutzgebiet Änderungen, die die Natur
schädigen, grundsätzlich verboten sind (§ 3 Abs. 1 LSchVO Taunus). Dazu gehört
die Errichtung von baulichen Anlagen, deren Fläche der freien Landschaft entzogen
wird.
Gemäß § 78 Abs. 1 HBO kann die Bauaufsichtsbehörde u.a. die Nutzung baulicher
Anlagen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO untersagen, die gegen baurechtliche oder
sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen. Die Vorschrift regelt die
Aufgaben und Befugnisse der Bauaufsichtsbehörden umfassend. Sie haben neben
den Vorschriften des Baurechts (Bauordnungs- und Bauplanungsrecht) alle
öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen, die auf bauliche Anlagen
einwirken. Dazu gehören auch die Vorschriften des Naturschutzrechts und die
darauf beruhenden Natur- und Landschaftsschutzverordnungen. Die
Bauaufsichtsbehörde kann allein wegen Verstößen gegen naturschutzrechtliche
Vorschriften einschreiten, zum Beispiel auch bei baugenehmigungsfreien
Vorhaben (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 09.04.1986 -- 1 A 104/84 -- BRS 46, Nr. 195 zu
§ 100 Abs. 2 LBO 1975; Simon, Kommentar zur Bay. BauO 1994 Art. 66 Rdnr. 7b;
a. A. Hess. VGH, B. v. 13.08.1986 -- 3 TH 2033/86 -- BRS 46 Nr. 213 = NuR 1987,
85; Hess. VGH, B. v. 05.12.1994 -- 4 TH 2165/94 -- BRS 57 Nr. 283 = DVBl. 1995
S. 525 und im Anschluss an diese Entscheidungen Allgeier in
Müller/Weiss/Allgeier/Jasch/Skoruppa, Das Baurecht in Hessen § 61 Anmerkung 2.7
und Rasch/Schätzel/Pfaff/Seehausen, Hessische Bauordnung, Kommentar, § 61
Anmerkung 2.2.1.1.2.1 S. 12). Das Gericht ist in den genannten Entscheidungen
davon ausgegangen, dass der weit gefasste Wortlaut der
Ermächtigungsvorschriften der §§ 83 Abs. 1 HBO 1990, 61 Abs. 1 HBO 1993
einschränkend dahin auszulegen sei, dass die Bauaufsichtsbehörde nicht befugt
sei, sich für Maßnahmen der Gefahrenabwehr unmittelbar auf Verstöße gegen das
Naturschutzrecht oder Landschaftsschutzrecht zu stützen. Die Befugnis zur
Gefahrenabwehr gebe der Bauaufsichtsbehörde keine Allzuständigkeit, auf allen
Gebieten des öffentlichen Rechts mit belastenden Verwaltungsakten vorzugehen
und die vielfältigen und differenzierten Kompetenzregelungen zugunsten der
jeweils gesondert zuständigen Fachbehörden zu überspielen. An dieser Auffassung
hält der Senat nicht fest. Die in den Entscheidungen der Bausenate angeführten
Gründe für eine die Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde gegenüber den
Zuständigkeiten der Fachbehörden einschränkende Auslegung des Gesetzes
haben nach Auffassung des Senats weiterhin Gewicht und könnten Leitlinie einer
Zuständigkeitsabgrenzung sein, die zu treffen allerdings die Entscheidung des
Gesetzgebers ist und von der -- auch im Hinblick auf die jüngere Gesetzgebung --
nicht zu erkennen ist, dass der Gesetzgeber sie so hätte treffen wollen; sie finden
im Gesetz aber keine hinreichende Grundlage. Insbesondere bietet § 78 Abs. 1
HBO, der hinsichtlich der Befugnis der Bauaufsichtsbehörde zum Erlass von
Nutzungsverboten und Beseitigungsanordnungen abweichend von dem Wortlaut
der Vorgängerregelung des § 83 Abs. 1 Abs. 1 HBO 1990 ausdrücklich auf einen
Verstoß gegen baurechtliche und sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften
abstellt, keinen hinreichenden Ansatz für die Differenzierung zwischen Vorschriften
des sogenannten Baunebenrechts (etwa des Immissionsschutzrechts und des
Denkmalschutzrechts) und anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften wie dem
Naturschutzrecht und dem Landschaftsschutzrecht. Zutreffend haben
Pfaff/Seehausen (a. a. O.) auch darauf hingewiesen, dass nach Inkrafttreten des
neu gefassten § 29 Abs. 1 BauGB i. d. F. vom 27.08.1997 (BGBl. I S. 2141) am
01.01.1998 die bauaufsichtliche mit der naturschutzrechtlichen Zuständigkeit
konkurriert (vgl. §§ 61 Abs. 2 Satz 1 HBO, § 8 HENatG). Anknüpfungspunkt für die
Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde bleibt in jedem Fall die Anlage im Sinne
des § 1 Abs. 2 HBO. Die daneben bestehenden Zuständigkeiten der Fachbehörden
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des § 1 Abs. 2 HBO. Die daneben bestehenden Zuständigkeiten der Fachbehörden
bleiben uneingeschränkt erhalten. § 61 Abs. 7 HBO, wonach die gesetzlich
geregelten Befugnisse anderer Behörden unberührt bleiben, besagt nur, dass die
Handlungsmöglichkeiten der anderen Fachbehörden nicht eingeschränkt werden.
Das heißt nicht, dass diese ausschließlich zuständig sind, es sei denn, dass dies
ausdrücklich vorgeschrieben ist, wie es der Senat in der Vergangenheit für den
Bereich des Abfallrechts angenommen hat. Die Bauaufsichtsbehörde kann nach
alledem auch gegen eine bauliche Anlage im Sinne der §§ 1 und 2 HBO vorgehen,
die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung baurechtlich anzeigefrei und zu diesem
Zeitpunkt deshalb auch nicht vom Bauplanungsrecht betroffen war, jedoch
landschafts- bzw. naturschutzrechtlich formell, zudem materiell illegal war und
keinen Bestandsschutz genießt und auch heute nicht genehmigungsfrei zulässig
ist. Die Erwägungen zum Sofortvollzug sind nicht zu beanstanden.
Eines Verfahrens nach § 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 11 VwGO bedarf es
nicht, weil der 4. Senat zur Zeit allein für das Rechtsgebiet Baurecht zuständig ist,
so dass allein ihm die Beurteilungskompetenz nach den genannten Vorschriften
zukommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20, 25 GKG. Für die zweite
Instanz bemisst sich der Wert des Streitgegenstandes nach der Bedeutung der
Sache für den Antragsgegner. Der Senat bewertet das Verwaltungsinteresse im
Eilverfahren mit der Hälfte des Hilfsstreitwerts des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG
zuzüglich eines Viertels des Betrages des angedrohten Zwangsgeldes.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.