Urteil des HessVGH vom 27.10.1997
VGH Kassel: genehmigung, anfechtungsklage, gesamtpreis, firma, quelle, immaterialgüterrecht, zivilprozessrecht, stillegung, vergleich, strahlenschutz
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 TE 4632/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 13 Abs 1 S 1 GKG, § 17
BImSchG
(Zur Streitwertfestsetzung - hier: nachträgliche Anordnung
gem BImSchG § 17)
Leitsatz
Der Streitwert einer Anfechtungsklage nach § 17 BImSchG richtet sich nach den
(regelmäßig nur zu schätzenden) Kosten, die dem Kläger bei der Befolgung der
streitigen Anordnung voraussichtlich entstehen.
Gründe
Die von dem Beklagten eingelegte zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, den Streitwert des ruhenden
Verfahrens auf 2.800.000,00 DM festzusetzen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zur Bestimmung des Wertes des
Streitgegenstandes des vorliegenden Klageverfahrens gem. § 13 Abs. 1 Satz 1
GKG auf die Kosten abgestellt, die die Klägerin im Falle der Befolgung der mit ihrer
Anfechtungsklage angegriffenen Anordnung zur sicherheitstechnischen
Nachrüstung der Anlage voraussichtlich aufzuwenden hätte.
In Entsprechung zu dem von einer Arbeitsgruppe von Verwaltungsrichtern
erarbeiteten Streitwertkatalog (DVBl. 1996, S. 605 ff.; s. Gliederungsnr. 11, 16.1.2)
legt auch der Senat in ständiger Rechtsprechung in immissionsschutzrechtlichen
Verfahren, die die Aufhebung einer nachträglichen Anordnung nach S 17 BImSchG
zum Gegenstand haben, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
regelmäßig nur zu schätzenden Kosten, die dem Adressaten der Anordnung bei
Befolgung derselben voraussichtlich entstehen werden, seiner
Streitwertbemessung zugrunde.
Danach ist es nicht zu beanstanden, daß das Verwaltungsgericht auf das von der
Klägerin im parallelen Eilverfahren mit Schriftsatz vom 22. August 1996
vorgelegte, detaillierte und aktualisierte Angebot der Firma ~ vom 20. August
1996 bei seiner Streitwertbemessung zurückgegriffen hat. Dieses Angebot beläuft
sich auf einen Gesamtpreis von 2.824.173,70 DM, in dem bestimmte
Baunebenkosten und die Kosten für den TÜV-Sachverständigen noch keine
Berücksichtigung gefunden haben. Da - wie bereits ausgeführt - in bezug auf die
mit der Anordnung für die Klägerin entstehenden Kosten dem Gericht nur eine
Schätzung möglich ist, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der
Streitwertermittlung in eine nähere Prüfung der einzelnen Positionen dieses
Angebots einzutreten, wie es der Beklagte in seinem Beschwerdeschriftsatz
vorgenommen hat. Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, wenn das
erstinstanzliche Gericht einen Streitwert von 2,8 Millionen DM als von der Klägerin
nachvollziehbar dargelegt angenommen hat.
Der Beklagte kann auch nicht mit seinem Vorbringen durchdringen, die in der
beschriebenen Weise erfolgte Festsetzung sei unverhältnismäßig, weil bei einer
Stillegung der Anlage oder einem Genehmigungswiderruf der Streitwert nach dem
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Stillegung der Anlage oder einem Genehmigungswiderruf der Streitwert nach dem
aktuellen Streitwertkatalog auf 1 der Investitionssumme festzusetzen sei und
dieser sich damit unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin - lediglich auf
28.000,00 DM beliefe. Ob die nachträgliche Anordnung im Hinblick auf die für die
Klägerin damit verbundenen voraussichtlichen Kosten gemessen an dem
wirtschaftlichen wert der an diesem Standort nur noch für wenige Jahre nutzbaren
Anlage, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, ist eine Frage, die sich bei
der materiell-rechtlichen Prüfung der Anordnung stellt, nicht aber im Rahmen der
Streitwertbemessung. Im übrigen ist mit der im Streitwertkatalog angesprochenen
Investitionssumme, die vom Gericht im Fall der angeordneten Betriebseinstellung
zugrundegelegt werden kann, die Summe der in die Gesamtanlage investierten
Kosten angesprochen und nicht die von dem Beklagten im Beschwerdevorbringen
seiner Berechnung zugrundegelegte Kostensumme, die sich auf die angeordnete
Nachrüstung der Anlage bezieht.
Wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen und auch der nicht vergleichbaren
rechtlichen und faktischen Auswirkungen der vom Beklagten hier zum Vergleich
herangezogenen weiteren Verfügungen des Immissionsschutzrechts verbietet
sich. Eine Untersagungs- oder Stillegungsverfügung und auch ein
Genehmigungswiderruf sind - anders als die nachträgliche Anordnung - auf die
Verhinderung des weiteren Anlagenbetriebs gerichtet und führen damit zu einem
wirtschaftlichen Verlust des Genehmigungsinhabers infolge der
Betriebseinstellung. Dementsprechend hat sich die Streitwertfestsetzung in diesen
Fällen an den 'wirtschaftlichen Einbußen des Anlagenbetreibers zu orientieren (vgl.
etwa im Streitwertkatalog Gliederungsnr. 11, 4.1.6 für das verwandte Rechtsgebiet
des Atomrechts).
Auch im Immissionsschutzrecht stellt nach Auffassung des Senats der im
Streitwertkatalog (Gliederungsnr. 11, 16.1.5) empfohlene Richtwert von 1 % der
Investitionssumme nur einen pauschalen Anhaltspunkt für den oft nur mit großen
Schwierigkeiten zu ermittelnden entgangenen Gewinn dar.
Ähnliche Überlegungen gelten auch in bezug auf den vom Beklagten weiter
vorgebrachten Gesichtspunkt, daß die streitgegenständliche nachträgliche
Anordnung inhaltsgleich mit der für die Umsetzung der Maßnahmen erforderlichen
Genehmigung sei, für diese sei aber nach dem Katalog nur 2,5 % der
Investitionssumme zur Bemessung des Streitwertes anzusetzen. Der Streitwert für
eine im Klagewege begehrte Genehmigungserteilung nach dem BImSchG
orientiert sich an dem mit der Ausnutzung der Genehmigung zu erwartenden
wirtschaftlichen Gewinn. Auch dieser kann im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung regelmäßig nur geschätzt werden. Als Grundlage dafür bietet sich
nach dem Streitwertkatalog ein pauschaler Schätzwert von 2,5 % der mit der
Genehmigung ermöglichten Investitionssumme an. Da eine begehrte
Genehmigung von ihrer Zielsetzung her zur Umsetzung der genehmigten
Maßnahmen berechtigt, aber die Ausnutzung der Genehmigung nicht
behördlicherseits erzwungen werden kann, knüpft der Streitwertkatalog zu Recht
an die mit der Genehmigungserteilung ermöglichten Investitionskosten an, also an
die Kosten, die vom Betreiber der Anlage unter Ausnutzung der Genehmigung zur
Erzielung eines Gewinnes eingesetzt werden können. Aus den oben dargelegten
Gründen verbietet sich deshalb auch hier wiederum eine Gleichsetzung der - von
der Behörde zwangsweise durchsetzbaren - nachträglichen Anordnung mit der
Genehmigungserteilung.
Der Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, daß bei der
Streitwertermittlung jedenfalls die Kosten unberücksichtigt zu bleiben haben, die
sich aus Maßnahmen herleiten, zu deren Umsetzung die Klägerin aufgrund eines
Teilnachrüstungskonzeptes schon vor Erhebung der Klage bereit war. Diese
Bereitschaft der Klägerin ist möglicherweise materiell-rechtlich bedeutsam im
Hinblick auf die Erforderlichkeit der nachträglichen Anordnung. Die Klägerin hat
aber den gesamten Bescheid des Staatlichen Amtes für Immissions- und
Strahlenschutz Frankfurt am Main vom 27. Oktober 1994, in der Gestalt, die er
durch den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 18.
Dezember 1995 gefunden hat, angegriffen und ihr Aufhebungsbegehren nicht auf
einzelne der angeordneten Maßnahmen beschränkt; vielmehr hält sie ausdrücklich
die ihr mit der Anordnung abverlangte konkrete Nachrüstung für rechtswidrig.
Wegen der Maßgeblichkeit allein des im Klageantrag zum Ausdruck kommenden
Klägerbegehrens für die Streitwertbemessung sind deshalb auch die
voraussichtlichen Kosten aller angeordneten (und angegriffenen) Maßnahmen bei
der Streitwertfestsetzung berücksichtigungsfähig.
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Für das vorliegende Beschwerdeverfahren werden gem. § 25 Abs. 4 GKG
Gerichtskosten nicht erhoben und außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.