Urteil des HessVGH vom 18.01.1988

VGH Kassel: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, ablauf der frist, anweisung, gemeinde, widerruf, verfügung, aufsichtsbehörde, genehmigung, ersatzvornahme, vorbescheid

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 TH 1663/85
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 81 BauO HE vom
16.12.1977, § 101 BauO
HE, § 4 GemO HE, § 136
GemO HE, § 139 GemO HE
(Rechtsschutz einer Gemeinde gegen
kommunalaufsichtliche Anweisung; Aufnahme von
Ermessenserwägungen in Weisung)
Gründe
Gegenstand des Verfahrens war der Antrag der Antragstellerin auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen eine
kommunalaufsichtsbehördliche Anweisung, die der Antragsgegner an die
Antragstellerin zur Durchsetzung einer zuvor ergangenen
fachaufsichtsbehördlichen Weisung gerichtet hat. Der Regierungspräsident in
Darmstadt hatte als obere Bauaufsichtsbehörde der Antragstellerin als untere
Bauaufsichtsbehörde die Weisung erteilt, eine am 28.03.1984 erteilte
Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses im rückwärtigen Bereich
des Anwesens H.-D.-Straße 147 (Flur ..., Flurstück ... in D.) - Baugrundstück - zu
widerrufen.
Der Anweisung liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Das Baugrundstück liegt
in der nicht genehmigten Restfläche des Geltungsbereichs des Bebauungsplans E
26 der Antragstellerin, der in diesem Bereich reines Wohngebiet mit einer
eingeschossigen rückwärtigen Bebauung u.a. der Grundstücke H.-D.-Straße 145
bis 163 vorsah, wobei die Erschließung der rückwärtigen Bebauung nur von der H.-
D.-Straße aus über die vorderen Grundstücksflächen zulässig sein sollte. Nachdem
der Regierungspräsident in Darmstadt u.a. diesen Teilbereich wegen nicht
gesicherter Erschließung und eines Verstoßes gegen die Anforderungen an ruhiges
Wohnen sowie die Erhaltung der Erholungsfunktion von Freiflächen von der
Genehmigung des Bebauungsplanes ausgenommen hatte, blieb eine
entsprechende Verpflichtungsklage der Antragstellerin auf Erteilung der
Genehmigung für die Restfläche in erster Instanz erfolglos. Vor dem Hessischen
Verwaltungsgerichtshof schlossen die Beteiligten des damaligen Verfahrens am
15.09.1983 einen Vergleich, in dem die damalige Klägerin ihre Klage zurücknahm
(Az.: IV OE 66/82; II E 105/80).
Am 20.01.1983 erteilte die Antragstellerin einen Vorbescheid, durch den die
Genehmigung für die Errichtung von zwei eingeschossigen Wohnhäusern auf dem
rückwärtigen Teil des Baugrundstücks in Aussicht gestellt wurde. Gegen diesen
Vorbescheid legte eine Nachbarin Widerspruch ein, der vom
Regierungspräsidenten in Darmstadt mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.1984
zwar zurückgewiesen wurde, weil nachbarliche Interessen, die vom Schutzzweck
einer nachbarschützenden Norm erfaßt wurden, einer Bebauung nicht
entgegenstanden. Zugleich brachte der Regierungspräsident aber deutlich und
ausführlich seine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit weiterer Bebauung zum
Ausdruck. Er führte aus, die beabsichtigte Bebauung des rückwärtigen
Grundstücksteils sei mit den in § 34 BBauG normierten Zulassungskriterien nicht
vereinbar. Dennoch erteilte die Antragstellerin unter dem
28. März 1984 eine Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses mit
Einliegerwohnung auf der rückwärtigen Grundstücksfläche. Die Baugenehmigung
war mit folgendem "wichtigen Hinweis" versehen:
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"Gegen die Erteilung der Baugenehmigung liegen vorsorgliche Einwände vor.
Das Bauaufsichtsamt hat die Einwendenden von der Erteilung der
Baugenehmigung in Kenntnis gesetzt. Die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs
beträgt ein Monat. Nach Ablauf der Frist kann von seiten des Bauaufsichtsamtes
Auskunft erteilt werden, ob die Baugenehmigung gegenüber den Einwendungen
rechtsbeständig geworden ist.
Sofern vor Rechtsbeständigkeit mit den Bauarbeiten begonnen wird, geschieht
dies auf eigenes Risiko."
Die vorgesehene Bebauung war Gegenstand eines einstweiligen
Anordnungsverfahrens, mit dem die Eigentümerin des Anwesens H.-D.-Straße Nr.
145 ein Bauverbot des genehmigten Vorhabens erstrebte. Der Antrag wurde durch
Beschluß des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 24.04.1984 abgelehnt (Az.: II/1
G 699/84), die Beschwerde durch Beschluß des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 31.08.1984 (Az.: 4 TG 1259/84) zurückgewiesen. In
den Gründen seiner Entscheidung nahm der Senat ausführlich zur
planungsrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Bauvorhabens Stellung und
zeigte die gegen das Vorhaben bestehenden Bedenken auf, ohne eine
abschließende Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit zu
treffen, für die eine Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre. Der Senat sah bei
der geplanten Stellung der Gebäude das objektivrechtliche Gebot der
Rücksichtnahme als nicht zum Nachteil der Nachbarin verletzt an.
Mit Verfügung vom 30.07.1984 wies der Regierungspräsidenten in Darmstadt als
obere Bauaufsichtsbehörde die Antragstellerin an, im Hinblick auf einen möglichen
Widerruf der Baugenehmigung die Anhörung des Betroffenen durchzuführen und
über das Ergebnis der Anhörung sowie über die Ermessenserwägungen hinsichtlich
des Widerrufs gemäß § 101 Abs. 1 Nr. 1 HBO zu berichten. Zur Begründung vertrat
er die Auffassung, daß die Baugenehmigung einer gerichtlichen Überprüfung nicht
standhalte und mithin entgegen der Regelung in § 96 Abs. 1 HBO erteilt worden
sei. An der bereits im Widerspruchsbescheid vom 10.01.1984 dargelegten
Rechtslage habe sich nichts geändert.
Nach Durchführung der Anhörung teilte die Antragstellerin dem
Regierungspräsidenten unter dem 10.12.1984 mit, sie halte die erteilte
Baugenehmigung nach wie vor für rechtmäßig und erachte demgemäß die
Einleitung fach- oder kommunalaufsichtlicher Maßnahmen für unzulässig.
Daraufhin erging unter dem 27.02.1985 die folgende fachaufsichtsbehördliche
Weisung:
"Als Obere Bauaufsichtsbehörde nach § 82 Abs. 2 HBO weise ich Sie gemäß §
81 Abs. 3 HBO in Ihrer Funktion als Untere Bauaufsichtsbehörde an,
1. die im Betreff bezeichnete rechtswidrige Baugenehmigung gemäß § 101
Abs. 1 Ziff. 1 HBO zu widerrufen
und die sofortige Vollziehung der zu erlassenden Widerrufsverfügung
gemäß § 80 Abs. 2 Ziff. 4 VwGO
gesondert anzuordnen.
2. Widerruf und Sofortvollzug sind sorgfältig zu begründen, wobei Sie der
Beurteilung der Rechtslage in der
Weisung folgen.
3. Dieser Weisung ist innerhalb von 10 Tagen ab Zustellung
nachzukommen.
Die Absendung Ihrer Verfügung ist mir vorab telefonisch oder
fernschriftlich mitzuteilen, sodann schriftlich
durch Übersendung eines Durchdrucks der Verfügung.
Sollten Sie dieser Weisung nicht (bzw. nur unvollständig oder nicht
fristgemäß) nachkommen, ist damit
zu rechnen, daß zur Durchsetzung dieser fachaufsichtlichen Weisung
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zu rechnen, daß zur Durchsetzung dieser fachaufsichtlichen Weisung
eine kommunalaufsichtliche
Anweisung nach § 139 i.V.m. § 135 Satz 1 2. Alt. HGO unter Anordnung
der sofortigen Vollziehung
ergeht."
Der begründende Teil der Weisung enthielt eine ausführliche Darlegung der
bauplanungsrechtlichen Rechtslage, der Begründung für die ins Auge gefaßte
Widerrufsentscheidung und der in diesem Zusammenhang anzustellenden
Ermessenserwägungen.
Unter dem 21.03.1985 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, daß sich
der Magistrat mit der Angelegenheit befaßt und sich nicht in der Lage gesehen
habe, der Weisung nachzukommen. Man habe das ihr eingeräumte Ermessen
pflichtmäßig gründlich und fehlerfrei betätigt.
Unter dem 03.05.1985 erließ der Antragsgegner die kommunalaufsichtliche
Anweisung, die in ihrem wesentlichen Inhalt folgenden Wortlaut hatte:
" ... In Ihrem Bericht vom 21. März 1985 bringen Sie zum Ausdruck, daß Sie
sich nicht in der Lage gesehen haben, der fachaufsichtlichen Weisung
nachzukommen. Ihr Bericht gibt mir Veranlassung zu den nachstehenden
kommunalaufsichtlichen Maßnahmen gemäß § 139 HGO i.V.m. § 135 Satz 1 2. Alt.
HGO:
1. Als Kommunalaufsichtsbehörde nach § 136 Abs. 2 HGO weise ich Sie an,
die fachaufsichtliche Weisung
vom 27. Februar 1985 innerhalb von 10 Tagen ab Zustellung dieser
Anweisung zu befolgen, insbesondere
also die rechtswidrige Baugenehmigung zu widerrufen.
2. Die sofortige Vollziehung dieser Anweisung wird gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO im öffentlichen
Interesse angeordnet.
3. Für den Fall, daß Sie dieser Anweisung nicht bzw. nur unvollständig oder
nicht fristgerecht nachkommen,
drohe ich Ihnen die kommunalaufsichtliche Ersatzvornahme nach § 140
HGO an ... ."
Gegen diese Verfügung legte die Antragstellerin am 14.05.1985 Widerspruch ein,
der durch Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 31.05.1985
zurückgewiesen wurde. Über die hiergegen vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt
erhobene Anfechtungsklage (Az.: V/2 E 1160/85) ist noch nicht entschieden.
Am 17.05.1985 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht in Darmstadt
einen Eilantrag gestellt, den das Verwaltungsgericht in Darmstadt mit Beschluß
vom 15.07.1985 abgelehnt hat. Gegen den der Antragstellerin am 19.07.1985
zugestellten Beschluß hat diese am 01.08.1985 Beschwerde eingelegt, der das
Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.
Nachdem der Bauschein mit Ablauf der Frist des § 9 Abs. 1 HBO erloschen war,
haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Dem Gericht haben die folgenden Akten vorgelegen:
Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Darmstadt II E 105/80, (zweitinstanzliches
Aktenzeichen IV OE 66/82),
II/1 E 223/84, II/1 G 699/84 (zweitinstanzliches Aktenzeichen 4 TG 1259/84), sowie
V/2 E 1160/85, ferner die Bauakten der unteren Bauaufsichtsbehörde B-0653/83
und die Restakten des Regierungspräsidenten in Darmstadt V 6. Sie waren
Gegenstand der Beratung.
II.
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Nachdem das Verfahren von der Antragstellerin und dem Antragsgegner
übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, ist gemäß §
161 Abs. 2 VwGO über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Zugleich ist der
Rechtsklarheit wegen auszusprechen, daß die verwaltungsgerichtliche
Entscheidung insoweit wirkungslos ist (§§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1
Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Es entspricht der Billigkeit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes, der Antragstellerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Dafür sind
folgende Überlegungen maßgeblich: Der Regierungspräsident hat bei Erlaß der
kommunalaufsichtlichen Anweisung gegenüber der Antragstellerin die gesetzlich
geregelten Verfahrensvorschriften beachtet. Seine Befugnis als Aufsichtsbehörde
(§ 136 Abs. 2 HGO), die Antragstellerin unter Androhung der Ersatzvornahme
anzuweisen, die ergangene fachaufsichtliche Weisung zu befolgen, beruht auf den
§§ 139, 140 HGO. Nach § 139 HGO kann die Aufsichtsbehörde die Gemeinde
anweisen, das Erforderliche zu veranlassen, falls diese die ihr gesetzlich
obliegenden Pflichten und Aufgaben nicht erfüllt. Kommt die Gemeinde einer
solchen Anweisung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, kann die
Aufsichtsbehörde anstelle der Gemeinde das Erforderliche anordnen (§ 140 HGO).
Den Rahmen für Maßnahmen nach § 139 HGO bildet § 135 Satz 1 HGO. Danach
soll durch Maßnahmen der Kommunalaufsicht u.a. sichergestellt werden, daß die
in Auftragsangelegenheiten erteilten Weisungen befolgt werden. Auf dem Gebiete
des Baurechts regelt § 81 Abs. 2 Hessische Bauordnung - HBO - das Verhältnis
zwischen oberer und unterer Bauaufsichtsbehörde.
Nach § 81 Abs. 2 HBO sind die Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde u.a.
den kreisfreien Städten zur Erfüllung nach Weisung übertragen. Die obere
Bauaufsichtsbehörde kann im Rahmen der Fachaufsicht der unteren
Bauaufsichtsbehörde allgemeine Weisungen und Weisungen im Einzelfall erteilen
(§ 81 Abs. 3 HBO). Weisungen im Einzelfall können nur erteilt werden, wenn die
untere Bauaufsichtsbehörde ihre Aufgaben nicht im Einklang mit dem öffentlichen
Recht wahrnimmt oder die erteilten allgemeinen Weisungen nicht befolgt (§ 81
Abs. 3 Satz 1 HBO). Im vorliegenden Fall lagen die formellen Voraussetzungen für
ein Vorgehen des Antragsgegners unter Androhung der Ersatzvornahme vor, denn
die Antragstellerin als untere Bauaufsichtsbehörde war der fachaufsichtlichen
Weisung des Antragsgegners als obere Bauaufsichtsbehörde nicht
nachgekommen.
Fraglich ist, ob und inwieweit einer Gemeinde ein eigenes Recht zusteht, die an sie
gerichteten Weisungen - außer im Falle der Nichtigkeit - auch auf ihre fachliche
Richtigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen und ob die Überprüfbarkeit sich dann
nicht nur auf den kommunalaufsichtlichen Teil zu beschränken hat. Der neben
dem beschließenden Senat für Maßnahmen der Kommunalaufsicht auf dem
Gebiet des Baurechts ebenfalls zuständige 3. Senat hat die Auffassung vertreten,
es sei nicht Sache der Kommunalaufsicht, eine fachaufsichtliche Weisung auf ihre
Richtigkeit und Berechtigung zu untersuchen (B. v. 16.04.1982 - III TH 18/82 -
HSGZ 1982, 259). Legt man diese Rechtsmeinung zu Grunde, wird man wohl zu
dem Schluß kommen müssen, daß der Rechtsschutz der Gemeinde im Falle der
Anfechtung einer kommunalaufsichtlichen Anweisung, die zur Durchsetzung einer
fachaufsichtlichen Weisung auf einem Gebiet ergeht, das von der Gemeinde als
Auftragsangelegenheit (§§ 4 HGO, 81 HGO) wahrzunehmen ist, auf die gerichtliche
Überprüfung dahingehend beschränkt ist, ob die im Gesetz geregelten
Verfahrensvorschriften beachtet sind. Folgt man dieser Auffassung, war der Antrag
auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
unbegründet, denn dann war die Anweisungsverfügung vom 03.05.1985
gegenüber der Antragstellerin offensichtlich rechtmäßig, weil diese wie oben
dargelegt - die fachaufsichtliche Weisung in der gesetzten Frist nicht befolgt hat.
Vertritt man dagegen eine hinsichtlich der Prüfungsbefugnis weitergehende
Auffassung, so ist mit dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen zum Erlaß
der angefochtenen Verfügung die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit im
vorliegenden Fall noch nicht abschließend beantwortet. Für sie sprechen die
folgenden Überlegungen: Grundvoraussetzung für den Erlaß der Anweisung und
der Androhung ihrer Durchsetzung im Wege der Ersatzvornahme ist ein Verstoß
der Gemeinde gegen gesetzliche Vorschriften, d.h. im vorliegenden Fall ein
Verstoß der Antragstellerin gegen baurechtliche Vorschriften. Ohne einen solchen
Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, deren Wahrnehmung der Gemeinde als
Auftragsangelegenheit übertragen ist, würde es an der Voraussetzungen für einen
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Auftragsangelegenheit übertragen ist, würde es an der Voraussetzungen für einen
Eingriff im Wege der Aufsicht (§ 81 Abs. 3 Satz 2 HBO, §§ 135 Satz 1, 139 HGO)
fehlen. Eine Gemeinde kann durch Aufsichtsmaßnahmen nicht schlechthin zu
einem bestimmten Vorgehen, welches die Aufsichtsbehörde für rechtens hält,
verpflichtet werden. Sie ist vielmehr nur verpflichtet, das zu tun, was objektiv
rechtens ist. Eine Überprüfung der fachaufsichtlichen Weisung auf ihre fachliche
Richtigkeit müßte im übrigen auch im Verfahren der Anfechtung des Widerrufs der
Baugenehmigung erfolgen im Rahmen der Prüfung der Frage, ob der Widerruf in
Vollzug der Weisung zu Recht ausgesprochen wurde (vgl. Hess. VGH, B. v.
18.01.1988 - 4 TH 2126/84 -).
Der Senat sieht im Rahmen der hier zu treffenden Kostenentscheidung von der
Klärung der Rechtsfrage ab, ob die fachaufsichtliche Weisung im vorliegenden
Verfahren auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen gewesen wäre. Folgt man dieser
weitergehenden Auffassung, so hängt die Rechtmäßigkeit der fachaufsichtlichen
Weisung davon ab, ob die Voraussetzungen für den Widerruf der Baugenehmigung
vom 28.03.1984 erfüllt waren. Gemäß § 101 Abs. 1 Ziffer 1 HBO kann eine
Baugenehmigung widerrufen werden, wenn die erteilte Genehmigung dem
bestehenden Recht widersprach und noch widerspricht. Die zwischen den
Beteiligten streitige Frage, ob das Einfamilienhaus auf dem rückwärtigen
Grundstücksteil planungsrechtlich zulässig war, wäre - wie der Senat in seinem den
Beteiligten bekannten Beschluß vom 31.08.1984 (4 TG 1259/84) näher dargelegt
hat - im Wege der Beweisaufnahme zu klären gewesen und bleibt deshalb offen.
Im übrigen durfte der Regierungspräsident die Erwägungen für die nach § 101 Abs.
1 Nr. 1 HBO zu treffende Ermessensentscheidung in seine Weisung mit
aufnehmen. Demzufolge ist kein Fall des fehlerhaften Ermessensnichtgebrauchs
der unteren Bauaufsichtsbehörde, wenn der Widerruf einer rechtswidrigen
Baugenehmigung auf Weisung der oberen Bauaufsichtsbehörde erfolgt.
Andernfalls ginge das gesetzliche Weisungsrecht bei Ermessensentscheidungen
ins Leere (vgl. Hess. VGH, B. v. 01.08.1985 - 3 TH 1267/85 - BRS 44 Nr. 156 =
ESVGH Bd. 35, 299 = NVwZ 1986, 57). Die in der Weisung wiedergegebenen
Ermessenserwägungen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die
Antragstellerin bei dem von ihr vorzunehmenden Widerruf fehlerhaft gehandelt
hätte. Zutreffend hat der Antragsgegner bei der Bewertung der privaten
Interessen des Bauherrn an der Baugenehmigung, von der noch kein Gebrauch
gemacht worden war, darauf abgestellt, daß dessen Vertrauen in die
Rechtmäßigkeit und den Fortbestand der Baugenehmigung durch den in diese
aufgenommenen Hinweis auf die dagegen erhobenen Einwände und durch die
Beiladung des Bauherrn zu dem von der Nachbarin angestrengten Verfahren der
einstweiligen Anordnung gegen den Vorbescheid eingeschränkt war. Allerdings
kann im Hinblick darauf, daß die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens
nicht abschließend geklärt ist, auch nicht von einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit
der Ermessensausübung ausgegangen werden. Bei dieser Sachlage wäre, wenn
sie nicht weiter geklärt worden wäre, im Falle einer streitigen Entscheidung in dem
hier vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Abwägung der Interessen
der Antragstellerin mit den Interessen des Antragsgegners vorzunehmen
gewesen. Eine solche Abwägung führt dazu, hier die vom Antragsgegner
vertretenen Interessen als überwiegend anzusehen, denn es lag im öffentlichen
Interesse, eine auf einer möglicherweise rechtswidrigen Baugenehmigung
beruhende bauliche Entwicklung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit anzuhalten.
Der Streitwert bemißt sich nach der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin
(§§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 3, 14
Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -). Der Senat bewertet das
Verwaltungsinteresse der Antragstellerin mit dem dreifachen Hilfsstreitwert (§ 13
Abs. 1 Satz 2 GKG). Von diesem Wert sind im Eilverfahren 2/3 in Ansatz zu
bringen.
Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung beruht auf § 25
Abs. 1 Satz 3 GKG.
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2
Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.