Urteil des HessVGH vom 07.10.1993

VGH Kassel: personalakte, ausnahme, einsichtnahme, konkurrent, gerichtsakte, beschränkung, quelle, luft, vervielfältigung, rechtspflege

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TJ 1705/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 GG, § 100 Abs
2 VwGO
(Gewährung von Akteneinsicht in Personalakte des
Mitbewerbers im beamtenrechtlichen
Konkurrentenverfahren)
Gründe
I.
Der Antragsteller ist in einem Konkurrentenverfahren um die Vergabe eines
höherwertigen Dienstpostens vor dem Verwaltungsgericht unterlegen. Zur
Vorbereitung seiner Beschwerde hat er um "Einsicht in die Prozeßakte" gebeten.
Akteneinsicht ist dem Antragsteller vom Berichterstatter des erstinstanzlichen
Verfahrens in der Weise gewährt worden, daß ihm Einsicht in die Prozeßakten und
in die vom Regierungspräsidenten in D über ihn geführten Personalakten gewährt
worden ist; darüberhinaus ist ihm die letzte aktuelle Beurteilung über den
Beigeladenen vom 21.8.1992 vorgelegt worden. Die Einsichtnahme in die
Personalakten des Beigeladenen und in die gesamte Beiakte zur
Personalhauptakte über den Beigeladenen (Inhalt: Beurteilungen und
Befähigungsberichte) ist ihm verweigert worden.
Gegen die Beschränkung seines Akteneinsichtsrechts in alle prozeßerheblichen
Akten hat der Antragsteller "Beschwerde" erhoben, welcher der Berichterstatter
des erstinstanzlichen Verfahrens nicht abgeholfen hat.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Abänderung der
Entscheidung des erstinstanzlichen Berichterstatters im Zusammenhang mit der
erbetenen Akteneinsicht durch Beschluß vom 14.6.1993 abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein
Akteneinsichtsbegehren "in alle prozeßerheblichen Akten des
Verwaltungsstreitverfahrens 1 G 549/93, insbesondere in die Beurteilungsakte des
Beigeladenen ..." mit Ausnahme seiner Personalakte weiterverfolgt.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens über
die Gewährung von Akteneinsicht sowie auf die Akte des Verwaltungsgerichts
Darmstadt - 1 G 549/93 - betreffend das Konkurrentenverfahren, die
Personalhauptakten und Beiakten des Antragstellers und des Beigeladenen (je 2
Bände) und auf den Stellenbesetzungsvorgang des Antragsgegners (1 Hefter)
Bezug genommen, die Gegenstand der Senatsberatung waren.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn der Antragsteller hat einen
Anspruch auf Einsicht in die Beiakte zur Personalhauptakte für den Beigeladenen
(Inhalt: Beurteilungen und Befähigungsberichte). Der angefochtene Beschluß ist
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(Inhalt: Beurteilungen und Befähigungsberichte). Der angefochtene Beschluß ist
daher aufzuheben und das Verwaltungsgericht anzuweisen, dem Antragsteller
Akteneinsicht in die genannte Beiakte zu gewähren.
Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß ein Verweisen des
Antragstellers auf die Überprüfung seiner Beschwerde gegen den Beschluß im
Konkurrentenverfahren durch den Senat unter dem Gesichtspunkt der Verletzung
rechtlichen Gehörs wegen der verweigerten Akteneinsicht den
verfahrensrechtlichen Anspruch des Antragstellers auf eine Entscheidung nach §
148 Abs. 1 Satz 1 VwGO jedenfalls aus seiner Sicht wegen fehlender hinreichender
Begründungsmöglichkeit seines Rechtsmittels leerlaufen lassen würde (vgl. hierzu
jedoch einschränkend: BVerwG, Beschluß vom 10.10.1989, NJW 1990, 1313).
In der Sache muß die Beschwerde mit folgenden Maßgaben Erfolg haben:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt Beschluß vom 20.4.1993
- 1 TG 709/93 - unter Hinweis auf Senatsbeschluß vom 10.10.1989 - 1 TG 2751/89
-, NVwZ 1990, 284 = ZBR 1990, 185 m.w.N.) ist bei einer Auswahlentscheidung
zur Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens all das zu berücksichtigen, was
für die Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. Art. 33
Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 HBG) bedeutsam ist. Wesentliche Grundlagen sind die
Personalakten der Bewerber, aus denen sich die schulische und berufliche Aus-
und Fortbildung einschließlich der Abschluß- und Laufbahnprüfungen, der
berufliche Werdegang und insbesondere die Beurteilung von Eignung, Befähigung
und bisheriger fachlicher Leistung ergeben. Aus diesem Prüfungsrahmen ergibt
sich der Anspruch des Antragstellers auf Einsichtnahme in die Beiakte zur
Personalhauptakte über den Beigeladenen, in der die früheren Beurteilungen über
diesen enthalten sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wäre nur
zuzulassen, wenn die früheren Beurteilungen sich nicht als entscheidungserheblich
herausstellen sollten. Von einer derartigen Sachlage kann jedoch nicht von
vornherein deshalb ausgegangen werden, weil es in erster Linie auf einen aktuellen
Leistungsvergleich ankommt. Der Dienstherr, der eine Auswahlentscheidung fällt,
kennt die früheren Beurteilungen des Bewerbers und prüft erforderlichenfalls, ob
sich etwa ein "Bruch" zwischen den früheren und der aktuellen Beurteilung
erkennen läßt. Gleichfalls ist denkbar, daß der Dienstherr - möglicherweise auch
"voluntativ" - einen von ihm bevorzugten Bewerber "hochbeurteilt" Ein Konkurrent
muß in die Lage versetzt werden, einen derartigen "Bruch" zu erkennen und zur
Wahrung seines sog. Bewerbungsverfahrensanspruchs im Verfahren zu rügen. Vor
dem Hintergrund seiner zitierten Rechtsprechung hält es der Senat daher
grundsätzlich für erforderlich, einem Konkurrenten Einsicht in den gesamten
Vorgang "Beurteilungen und Befähigungsberichte" zu gewähren, um ihm effektiven
Rechtsschutz zu ermöglichen, es sei denn, der Konkurrent begehrt die
Akteneinsicht mit völlig "aus der Luft gegriffenen" Argumenten. Hierbei wird zu
berücksichtigen sein, daß sich die Konkurrenten häufig persönlich kennen und sich
aus ihrer Sicht ein Bild über den anderen Bewerber gemacht haben. Maßstab für
das Erfordernis von Akteneinsicht in Beurteilungsvorgänge muß indessen das
Gebot effektiven Rechtsschutzes bleiben, so daß es nur bejaht werden kann, wenn
es aus der Sicht eines vernünftig und verständig denkenden Konkurrenten für
seine Rechtsverfolgung notwendig ist.
Der Senat verkennt nicht, daß mit dem so postulierten umfassenden
Akteneinsichtsrecht das informatielle Selbstbestimmungsrecht des Konkurrenten
aus Art. 2 Abs. 1 GG erheblich eingeschränkt wird. Er hält es deshalb für
erforderlich, § 100 Abs. 2 VwGO, der den Beteiligten das Recht einräumt, sich
durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften
aus den dem Gericht vorgelegten Akten erteilen zu lassen, vor dem Hintergrund
des Persönlichkeitsschutzes des Konkurrenten einschränkend dahin auszulegen,
daß Ablichtungen aus Personalakten und deren Beiakten nicht erteilt werden
dürfen. Hier sieht es der Senat als zumutbar und ausreichend an, daß der
Antragsteller die Vorgänge in Augenschein nimmt und sich gegebenenfalls auch
Notizen macht. Eine Vervielfältigung von Personalvorgängen durch Privatpersonen
ist - anders als etwa bei Rechtsanwälten als Organen der Rechtspflege - nicht
angebracht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.