Urteil des HessVGH vom 26.10.1989
VGH Kassel: amnesty international, auskunft, eltern, gefahr, verein, asylbewerber, wahrscheinlichkeit, politische verfolgung, bundesamt, anerkennung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UE 4007/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 16 Abs 2 GG
(Sippenhaft im Iran - Verfolgung Angehöriger von im
Ausland lebenden Asylantragstellern)
Tatbestand
Die am 29. Oktober 1983 in F geborene Klägerin ist iranische Staatsangehörige.
Der Vater der Klägerin hält sich seit dem Jahre 1970, die Mutter der Klägerin seit
dem Jahre 1975 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Mit Anwaltsschriftsatz vom
3. Juni 1985 stellten die Eltern der Klägerin -- zunächst nur für sich selbst --
Asylantrag und fügten zur Begründung ihres Asylbegehrens jeweils tabellarische
Lebensläufe bei. In der den Vater der Klägerin betreffenden Übersicht wird unter
anderem ausgeführt, daß dieser nach seiner Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland Kontakte zur Tudeh-Partei geknüpft habe, die bis 1978 angedauert
hätten. Im Jahre 1983 habe er sich dem "Koordinationsbüro der nationalen
Republikaner Irans" angeschlossen, der er weiterhin als aktives Mitglied angehöre.
Die Mutter der Klägerin gehört nach dem von ihr gefertigten Lebenslauf seit dem
21. Mai 1984 der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im Ausland e.V." an.
Zuvor habe sie vorwiegend bei der Tudeh-Partei bzw. bei der "Demokratischen
Frauenorganisation Irans" mitgearbeitet. Im Mai 1984 habe sie ihr Studium als
Diplompädagogin an der Universität F ... mit einer Diplomarbeit abgeschlossen, in
der sie sich mit der Lage der Frauen in Iran befaßt und hierbei auch Kritik an dem
Frauenbild des Koran geübt habe. Zur Bestätigung ihrer Angaben legte die Mutter
der Klägerin neben einem Auszug aus ihrer Diplomarbeit vom 2. November 1983
eine Bescheinigung der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im Ausland e.V."
vom 26. April 1985 vor, in der unter anderem bestätigt wird, daß die Mutter der
Klägerin wesentlichen Anteil am Zustandekommen des Vereines gehabt habe.
Frau A habe große Anstrengungen unternommen, den Vereinsmitgliedern das
historische Verständnis der heutigen Frauenunterdrückung in Iran zu vermitteln
und sei aufgrund ihrer Fachkenntnisse unter anderem auch von dem Katholischen
Akademischen Ausländerdienst eingeladen worden, um dort über die aktuellen
iranischen Verhältnisse zu referieren. Der Verein beabsichtige überdies, die
Diplomarbeit von Frau A zu veröffentlichen.
Anläßlich der durch die Asylantragstellung bedingten Vorsprache bei der
Ausländerbehörde am 5. August 1985 beantragten die Eltern der Klägerin, ihre
Tochter in das Asylverfahren miteinzubeziehen.
Bei der Befragung im Rahmen der Vorprüfung bei dem Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wiederholte der Vater der Klägerin im
wesentlichen seine Angaben aus dem von ihm zur Antragsbegründung gefertigten
Lebenslauf. Ergänzend gab er an, daß ein ehemaliger Parteifreund aus seiner Zeit
bei der Tudeh-Partei im Jahre 1983 festgenommen worden sei. Über Angehörige
dieses Freundes habe er erfahren, daß dieser auch über ihn -- den Vater der
Klägerin -- vernommen worden sei und hierbei auch seinen Namen erwähnt habe.
Die Mutter der Klägerin gab zur näheren Erläuterung ihrer politischen Arbeit in der
Bundesrepublik Deutschland noch an, daß sie in den Jahren 1984 und 1985 an
öffentlichen Veranstaltungen der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im
Ausland e.V." teilgenommen habe, wobei die Organisation vorgestellt und über die
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Ausland e.V." teilgenommen habe, wobei die Organisation vorgestellt und über die
Situation der Frauen in Iran diskutiert worden sei. Im August 1984 habe sie bei
einer Veranstaltung des Katholischen Akademischen Ausländerdienstes über ihre
Diplomarbeit gesprochen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Verein betreue sie
einmal in der Woche neu angekommene iranische Flüchtlinge im Lager S. Dabei
informiere sie die neu Angekommenen und stehe ihnen für Behördengänge oder
Arztbesuche als Dolmetscherin zur Verfügung. Hierauf würden die Iraner durch
Zettel, die im Lager S an verschiedenen Orten aufgehängt seien, ausdrücklich
hingewiesen. 1984 habe sie das Risiko auf sich genommen, ihre Familie in Iran zu
besuchen. Diese Reise sei ihr damals nicht so gefährlich vorgekommen, da sie sich
zuvor nur in der Tudeh-Partei und der Demokratischen Frauenorganisation Irans
betätigt habe, die das Regime unterstützt und sich zu dieser Zeit noch politisch
sehr stark zurückgehalten hätten.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erkannte die Eltern
der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 1986 als Asylberechtigte an und lehnte
zugleich den für die Klägerin gestellten Asylantrag ab. Zur Begründung der
ablehnenden Entscheidung wurde im wesentlichen ausgeführt, es könne auf Grund
der feststellbaren politischen Verhältnisse in Iran ausgeschlossen werden, daß die
iranischen Behörden unschuldige Kleinkinder wie die Klägerin wegen des
Verhaltens ihrer Eltern bestrafen oder als Geiseln festhalten könnten.
Der Bescheid des Bundesamtes wurde den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin
am 3. April 1986 zugestellt.
Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 8. April 1986, am 10. April 1986
eingegangen, erhob die Klägerin Klage.
Die Klägerin beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 10. März 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beteiligte sich am
erstinstanzlichen Verfahren nicht.
Mit Einzelrichterurteil vom 11. Dezember 1987 hob das Verwaltungsgericht -- ohne
die Berufung gegen seine Entscheidung zuzulassen -- den Ablehnungsbescheid
vom 10. März 1986 auf und verpflichtete das Bundesamt, die Klägerin als
Asylberechtigte anzuerkennen. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, daß
die Klägerin nach Überzeugung des Gerichtes trotz ihres geringen Alters im Falle
einer Rückkehr in den Iran mit asylrechtlich bedeutsamen Repressionen zu
rechnen habe. In Iran werde, wie sich aus den vorliegenden Erkenntnissen ergebe,
zumindest eine sippenhaftähnliche Verfolgung von Angehörigen gesuchter
Regimegegner praktiziert, die mit Verhaftung und Verhören zu rechnen hätten, um
den Aufenthaltsort des Gesuchten herauszufinden bzw. um zu erfahren, wie dieser
das Land verlassen hat. Von dieser Verfolgung seien nicht nur Erwachsene,
sondern auch Kinder politischer Gegner betroffen. Im Falle der Klägerin sei dabei
auch von Bedeutung, daß sich zumindest ihre Mutter durch die von dieser
entfalteten exilpolitischen Aktivitäten als ernstzunehmende Kritikerin des
herrschenden Regimes in Iran offenbart habe.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung im vorgenannten Urteil legte der
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 5. September 1988 Beschwerde
ein. Auf diese Beschwerde ließ der Hessische Verwaltungsgerichtshof die
Beschwerde zu.
Zur Begründung des zugelassenen Rechtsmittels trägt der Bundesbeauftragte
vor, daß nach derzeitiger Auskunftslage mit hinreichender Sicherheit davon
ausgegangen werden könne, daß Angehörige von politisch Verfolgten nicht durch
staatliche Maßnahmen im Sinne einer Sippenhaft oder Geiselnahme bedroht
seien.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 11. Dezember 1987
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sich im Verlaufe des Berufungsverfahrens nicht zur Sache
geäußert.
Der Senat hat mit Verfügung des Berichterstatters vom 17. März 1989 das
Auswärtige Amt, das Deutsche Orient-Institut und die Gefangenenhilfsorganisation
amnesty international um Auskunft gebeten. Wegen des Inhalts der Verfügung
vom 17. März 1989 und der daraufhin erstatteten Auskünfte des Deutschen
Orient-Instituts vom 20. Juni 1989 und des Auswärtigen Amtes vom 29. August
1989 sowie von amnesty international vom 27. Juni 1989 wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten verwiesen.
Den Beteiligten ist eine Liste der dem Senat zu Iran vorliegenden
Erkenntnisquellen übersandt worden. Sie haben ihr Einverständnis erklärt, daß
ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entschieden wird.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten des Bundesamtes Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, über
die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden kann (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO), ist unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hat der auf Anerkennung als Asylberechtigte gerichteten
Verpflichtungsklage der Klägerin zu Recht stattgegeben.
Die Beklagte ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung des Berufungsgerichtes verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte
anzuerkennen.
Asylrechtlichen Schutz genießt jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den
Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr
für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt
wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfG,
Beschluß vom 2. Juli 1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 (357)). Eine
Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie auf die
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder die politische Überzeugung des Betroffenen abzielt. Für den politischen
Charakter einer staatlichen Verfolgungsmaßnahme kommt mithin der den
Eingriffen zugrundeliegenden staatlichen Motivation entscheidende Bedeutung zu
(BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 -- BVerG 9 C 36.83 --, BVerwGE 67, 184 (188)).
Bei der Feststellung der politischen Verfolgungsmotivation sind in besonderem
Maße Erfahrungen und typische Geschehensabläufe zu berücksichtigen. Überdies
ist es regelmäßig geboten, auf objektive Kriterien zurückzugreifen, die einen
Rückschluß auf die subjektive Verfolgungsmotivation des Staates erlauben.
Derartige objektive Kriterien können in den tatsächlichen und rechtlichen
Verhältnissen im Heimatstaat des Asylbewerbers oder in der Art und der
praktischen Handhabung der im Rahmen der Verfolgung zur Anwendung
gelangenden Sanktionsnormen liegen (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 -- BVerwG
9 C 874.82 --, BVerwGE 67, 195, 198 bis 200).
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus
(BVerwG, a.a.O., S. 359, 360). Dem Asylbewerber muß deshalb politische
Verfolgung bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles mit
beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, so daß es ihm nicht
zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren. Hierbei ist auf die Verhältnisse
im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen, wobei
es einer über einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Prognose der sich für
den Asylbewerber ergebenden Verfolgungssituation bedarf (BVerwG, Urteil vom
24. April 1979 -- BVerwG 1 C 49.77 --, Buchholz 402.24, § 28 Ausländergesetz Nr.
13; Urteil vom 31. März 1981 -- BVerwG 9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3).
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Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen
Asylantragsteller, die bereits einmal in ihrer Heimat politischer Verfolgung
ausgesetzt waren oder politische Repressionen begründet zu befürchten hatten.
Diese Personen sind schon dann als Asylberechtigte anzuerkennen, wenn an ihrer
Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat
ernsthafte Zweifel verbleiben (BVerfG, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 25. September
1984 -- BVerwG 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169).
Ein strenger Maßstab ist demgegenüber sowohl in materieller Hinsicht als auch
was die Darlegungslast und die Beweisanforderungen anbelangt, dann anzulegen,
wenn sich der Asylbewerber auf Verfolgungsgründe beruft, die er nach Verlassen
seines Heimatstaats aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sog.
selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände). Diese subjektiven Nachfluchtgründe
sind wegen des Fehlens des von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich
vorausgesetzten kausalen Zusammenhangs zwischen Verfolgung und Flucht
überdies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überhaupt asylrechtlich relevant
(BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986 -- 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 74, 51).
Handelt es sich bei dem Asylantragsteller um den Angehörigen eines politisch
Verfolgten, kann seinem Asylbegehren, weil das Asylrecht gegenüber
Aufenthaltsrechten nach dem Ausländergesetz nicht subsidiär ist, nicht
entgegengehalten werden, daß ihm schon ausländerrechtlich der Aufenthalt bei
seinem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Angehörigen gestattet ist,
sich sein Schicksal nach freiwilliger oder erzwungener Rückkehr somit -- jedenfalls
gegenwärtig -- lediglich als theoretische Frage stellt (BVerwG, Urteil vom 27. April
1982 -- BVerwG 9 C 239.80 --, BVerwGE 65, 245 (249)).
Allerdings setzt die Zuerkennung eines Asylanspruchs stets die Gefahr eigener
politischer Verfolgung voraus. Angehörige von politisch Verfolgten können ihre
Anerkennung als Asylberechtigte deshalb nicht bereits wegen der familiären
Verbundenheit mit der von politischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen oder
bedrohten Person verlangen (BVerfG, Vorprüfungsausschuß, Beschluß vom 19.
Dezember 1984 -- 2 BvR 1517/84 --, NVwZ 1985, 260; BVerwG, Urteil vom 27. April
1982, a.a.O.). Soweit es um das Schicksal von Familienangehörigen politisch
Verfolgter geht, ist jedoch stets in Betracht zu ziehen, daß die primär gegen ein
Familienmitglied gerichteten Maßnahmen des Staates kraft der gegenseitigen
Abhängigkeit mittelbar Auswirkungen auch auf die Lage seiner Angehörigen haben
und sich -- je nach Art und Schwere dieser Folgen -- auch für diese als Verfolgung
darstellen können. Anhaltspunkte für den Willen des Staates, auch diese Personen
in die Verfolgung mit einzubeziehen, können in der Schwere der Maßnahmen und
ihrer Folgen, dem Stellenwert, der der Familie aus Sicht des Regimes zukommt
sowie in den allgemeinen politischen Verhältnissen im Verfolgerstaat zu finden
sein. Eine Rolle spielen kann auch die Frage, ob und inwieweit Familienangehörige
von Verfolgten, soweit sie im Land zurückbleiben oder dorthin zurückkehren
müssen, in die Gefahr geraten können, daß der Verfolgerstaat sich ihrer
geiselähnlich bedient, um auf den Angehörigen Druck auszuüben (BVerwG, Urteil
vom 27. April 1982, a.a.O.).
Einer besonderen Gefährdung unterliegen unter dem Gesichtspunkt der
Sippenhaft Ehegatten und minderjährige Kinder eines politisch Verfolgten, da
totalitäre Staaten erfahrungsgemäß auf dieser der Zielperson nahestehende und
von ihm abhängige Personen Zugriff nehmen, um sie gewissermaßen
stellvertretend oder zusätzlich für den eigentlichen Adressaten der
Verfolgungsmaßnahmen zu treffen. Um dieser besonderen potentiellen
Gefährdungslage Rechnung zu tragen, wird für Ehegatten und minderjährige Kinder
von politisch Verfolgten eine -- widerlegliche -- Vermutung eigener politischer
Verfolgung wirksam, wenn Fälle festgestellt worden sind, in denen der
Verfolgerstaat Repressalien gegenüber solchen Personen im Zusammenhang mit
der politischen Verfolgung des Ehegatten oder der Eltern ergriffen hat. In diesen
Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren Überprüfung, ob die festgestellten
Fälle Ausdruck einer allgemeinen Praxis des Verfolgerstaates sind, ob die ihnen
zugrunde liegenden Umstände konkrete Rückschlüsse auf eine eigene
Verfolgungsgefahr desjenigen gestattet, der sich auf sie als Vergleichsfälle beruft
und ob die befürchteten Maßnahmen Ausdruck eines gerade gegen den
Angehörigen gerichteten staatlichen Verfolgungswillens sind. Die für die eigene
Verfolgung des Familienmitglieds streitende Vermutung kann nur auf Grund
besonderer Umstände, deren Darlegung und Nachweis der Beklagten obliegt, als
widerlegt gelten, etwa wenn erkennbar ist, daß es sich bei den Übergriffen gegen
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widerlegt gelten, etwa wenn erkennbar ist, daß es sich bei den Übergriffen gegen
Angehörige politisch Verfolgter um atypische Einzelfälle gehandelt hat, die sich
nicht wiederholt haben (BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1985 -- BVerwG 9 C 35.84 --,
NVwZ 1986, 487 und vom 13. Januar 1987 -- BVerwG 9 C 53.86 --, BVerwGE 75,
304 (312, 313)).
In Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze ist zunächst festzustellen, daß der für
vorverfolgte Ausländer geltende herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab auf
die in der Bundesrepublik geborene und seit ihrer Geburt hier lebende Klägerin
keine Anwendung findet.
Die Klägerin kann ihre Anerkennung als politisch Verfolgte aber deshalb verlangen,
weil ihr nach Überzeugung des Senates in Iran wegen der Asylanerkennung und
der politischen Betätigung ihrer Mutter in der Bundesrepublik selbst politische
Repressalien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Dabei kommt der Klägerin allerdings die nach der dargestellten höchstrichterlichen
Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen auch für minderjährige
Kinder geltende Regelvermutung eigener politischer Verfolgung nicht zugute.
Die Annahme einer solchen Regelvermutung würde voraussetzen, daß es bereits
Fälle gegeben hat, in denen zurückkehrende minderjährige Kinder durch das
derzeit an der Macht befindliche Regime in Iran wegen der exilpolitischen Tätigkeit
ihrer Eltern im Ausland bei Rückkehr in asylrechtlich erheblicher Weise belangt
worden sind.
Konkrete Erkenntnisse über derartige Beispielfälle sind jedoch keiner der
vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen, die sich mit dem Problem der
Sippenhaft in Iran befassen, zu entnehmen. Die Gefangenenhilfsorganisation
amnesty international hat sich in der Stellungnahme vom 27. Juni 1989 an den
Senat mangels entsprechender Informationen ausdrücklich daran gehindert
gesehen, eine eindeutige Einschätzung zu der Frage abzugeben, ob iranische
Kinder in dem Alter, in dem sich die Klägerin befindet, im Falle ihrer Rückkehr
Verhören nach der politischen Gesinnung oder Betätigung ihrer Eltern und
eventuellen weiteren Maßnahmen ausgesetzt würden. Auch das Deutsche Orient-
Institut (Auskunft vom 20. Juni 1989 an den Senat) hat seine auf den vorliegenden
Fall bezogene Aussage, die iranischen Behörden würden nach Bekanntwerden der
Asylanerkennung der Eltern versuchen, auf die Klägerin Druck auszuüben, wobei
sie gegebenenfalls mit Verhören, einer vorübergehenden Inhaftierung und
erheblichen Nachteilen in Schule und Beruf zu rechnen habe, nicht auf der
Grundlage spezifischer Erfahrungen über ein entsprechendes Vorgehen der
iranischen Dienststellen in anderen Fällen, sondern mit Blick auf die allgemeine
Menschenrechtssituation im Lande getroffen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß
auch Angehörige von im Ausland lebenden Regimegegnern in die Verfolgung der
Opposition in Iran einbezogen werden, lassen sich allenfalls der Auskunft von
amnesty international vom 15. Oktober 1987 an das Verwaltungsgericht Berlin
entnehmen. Dort wird unter anderem von mehreren Fällen berichtet, in denen
Iraner in der Bundesrepublik mit der Drohung zur Rückkehr erpresst worden seien,
anderenfalls die in Iran verbliebenen Kinder an die vorderste Kriegsfront zu stellen.
Da sich diese Verfolgungseingriffe jedoch gegen in Iran befindliche Kinder von
Exiliranern gerichtet haben, kann auf diese Vorfälle eine zugunsten der Klägerin
sprechende Vermutung eigener politischer Verfolgung nicht gestützt werden.
Staatliche Übergriffe gegen Familienmitglieder im Inland indizieren ein
entsprechendes Vorgehen gegen Angehörige des Gesuchten, die vom Ausland her
in den Verfolgerstaat zurückkehren, nicht ohne weiteres. Vielmehr können, was die
Wahrscheinlichkeit des Verfolgungsangriffs und die hierbei eingesetzten Mittel
anbelangt, zwischen beiden Fallgestaltungen Unterschiede bestehen, je nachdem,
welche Absichten der Verfolgungsstaat mit dem Zugriff auf den
Familienangehörigen verfolgt. So ist beispielsweise denkbar, daß der Staat
lediglich auf die im Land lebenden und ihm bekannten Familienangehörigen des
Regimegegners zugreift, das zurückkehrende Familienmitglied aber als
"unbeschriebenes Blatt" (zunächst) unbehelligt läßt.
Die Befürchtung der Klägerin, im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit wegen der politischen Aktivitäten ihrer Eltern in der
Bundesrepublik und der erfolgten Asylanerkennung selbst politisch verfolgt zu
werden, ist aber deshalb begründet, weil sich aus den vorliegenden Erkenntnissen
über das Verhalten der staatlichen Organe in Iran gegenüber im Lande lebenden
Angehörigen politischer Gegner Anhaltspunkte für ein entsprechendes Vorgehen
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Angehörigen politischer Gegner Anhaltspunkte für ein entsprechendes Vorgehen
auch gegen zurückkehrende Familienangehörige von im Ausland lebenden
Oppositionellen ergeben und angesichts der konkreten Umstände des
vorliegenden Falles anzunehmen ist, daß sich die Gefahr staatlicher Repressalien
auch bei einer Rückkehr der Klägerin realisieren wird.
Den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen sind deutliche Hinweise darauf zu
entnehmen, daß es nicht nur in den Anfangsjahren der Revolution nach 1979, in
denen es nach den insoweit übereinstimmenden Auskünften und Berichten
nahezu aller befragten Stellen wahllose Verfolgungen ganzer Familien von
gesuchten oder verhafteten Regimegegnern gegeben hat (vgl. z.B. Auskünfte des
Auswärtigen Amtes vom 6. Februar 1986 an das Bundesamt, von amnesty
international vom 15. Oktober 1987 an das Verwaltungsgericht Berlin und Auskunft
des Deutschen Orient-Instituts vom 13. August 1985 an das Bundesamt), sondern
auch bis in die jüngste Zeit hinein noch in erheblichem Umfang zu Fällen von
staatlichen Gewaltakten gegen Angehörige von Regimegegnern in Iran gekommen
ist. So hat die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international in ihren
Auskünften vom 15. Oktober 1987 an das Verwaltungsgericht Berlin und vom 27.
Juni 1989 an den Senat verschiedene Fälle von staatlichen Übergriffen auf
Angehörige von gesuchten Regimegegnern aus den Jahren 1986 und 1987
genannt und ausgeführt, daß in Iran weiterhin Angehörige von Personen, die als
Regimegegner verdächtigt bzw. gesucht würden, inhaftiert oder als Geiseln
festgehalten würden, um entweder Informationen über den Aufenthalt des
Geflüchteten in Erfahrung zu bringen oder diesen so lange unter Druck zu setzen,
bis er sich selbst den Behörden stelle. In diesen Fällen komme es zu tätlichen
Angriffen auf die betroffenen Familienangehörigen, zu Hausdurchsuchungen,
Verhören, Inhaftierungen über mehrere Jahre ohne Anklage und Verfahren,
Verurteilungen im Schnellverfahren zu hohen Gefängnisstrafen, zu physischen und
psychischen Folterungen und -- bei weiblichen Gefangenen -- zu Vergewaltigungen.
Der Senat geht aufgrund der in den genannten Auskünften wiedergegebenen
Erfahrungsberichte davon aus, daß es in Iran eine fortbestehende Praxis der
Verfolgung von Familienangehörigen gesuchter oder bereits inhaftierter
Regimegegner gibt, um über die Angehörigen den Aufenthalt des Gesuchten zu
erfahren oder an sonstige Informationen heranzukommen bzw. mit Hilfe von
Repressionen gegen die Familienangehörigen Druck auf den politischen Gegner
auszuüben, wobei das Vorgehen der Sicherheitsorgane gegenüber den in der
Anfangszeit der Revolution anzutreffenden Zuständen allerdings eher zielgerichtet
und auf den Einzelfall abgestellt ist. Die in den zitierten Auskünften von amnesty
international dargestellten Fälle von Verhaftungen, Bedrohungen und
Mißhandlungen von Familienangehörigen im Zuge der Fahndung nach gesuchten
Mitgliedern der Opposition beruhen erkennbar auf authentischen Berichten
Betroffener bzw. deren Angehöriger oder auf Zeugenaussagen von
Mitgefangenen. Es gibt keinen Grund, diese teilweise ausführlich und detailliert
wiedergegebenen Schilderungen in Zweifel zu ziehen, zumal auch andere Stellen
die Praktizierung sippenhaftähnlicher Verfolgung -- wenn auch zumeist ohne
Angabe von Einzelbeispielen -- bestätigt haben (vgl. z.B. Auskunft des Deutschen
Roten Kreuzes vom 24. Februar 1987 an den Hessischen Minister des Innern).
Bei den von amnesty international angeführten Beispielen handelt es sich
erkennbar auch nicht um außergewöhnliche, der üblichen Verfahrensweise der
staatlichen Organe in Iran offenkundig nicht entsprechende Einzelfälle. Vielmehr
gehen nach Mitteilung von amnesty international in der Auskunft vom 27. Juni
1989 an den Senat laufend Berichte über derartige Verfolgungsfälle bei der
Zentrale der Organisation in London ein. Die Tatsache, daß in der angeführten
Auskunft diese weiteren Beispielfälle von Verfolgungsmaßnahmen gegen
Familienangehörige nicht durch die Wiedergabe des konkreten Sachverhaltes
erläutert werden, sondern nach Mitteilung von amnesty international zum Schutz
der Betroffenen bzw. der Informanten geheimgehalten werden müssen, stellt die
Glaubwürdigkeit der in dieser Auskunft enthaltenen Mitteilung über das Vorliegen
weiterer Fälle von Repressionen gegen Angehörige von Regimegegnern nicht in
Frage.
Auch soweit von amnesty international in den zitierten Auskünften einschränkend
darauf hingewiesen wird, daß es in den meisten Fällen wegen der willkürlichen
Handhabung des Strafverfahrens in Iran nicht möglich sei, eine genaue
Unterscheidung zu treffen, ob Familienmitglieder allein wegen ihrer familiären
Beziehung zu Regimegegnern oder aber wegen eigener politischer Aktivitäten
verfolgt würden, vermag dies die Aussagekraft der wiedergegebenen Berichte über
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verfolgt würden, vermag dies die Aussagekraft der wiedergegebenen Berichte über
Fälle von Sippenhaft oder sippenhaftähnlicher Verfolgung aus den zurückliegenden
Jahren nicht zu entkräften. Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich keine Hinweise
darauf, daß die Familienangehörigen in den angeführten Beispielfällen wegen
eigener politischer Aktivitäten belangt werden sollten. Aus den vorliegenden
Berichten wird im Gegenteil deutlich, daß bei den geschilderten Repressalien
gegen Familienmitglieder gesuchter Regimegegner die Absicht der iranischen
Sicherheitsbehörden im Vordergrund stand, hierdurch Informationen über den
Gesuchten zu erlangen bzw. diesen zu veranlassen, sich den Behörden zu stellen,
um weitere Maßnahmen gegen seine Familie zu verhindern.
Eine darüber hinausgehende exakte Feststellung, daß diese Personen gerade
wegen ihrer familiären Verbundenheit zu einem gesuchten Regimegegner in
Anspruch genommen werden sollten, ist weder möglich noch erforderlich. Da
hinsichtlich der einem Verfolgungseingriff zugrundeliegenden staatlichen
Motivation grundsätzlich unmittelbare Beweise aus dem Herkunftsland nicht
erbracht werden können, ist insoweit in besonderer Weise auf Erfahrungen und
typische Geschehensabläufe zurückzugreifen. Erfahrungsgemäß neigen aber
totalitär geprägte Staaten dazu, sich in ihrem Kampf gegen Oppositionelle gerade
deren enge Beziehungen zu ihren Familienangehörigen zunutze zu machen und
die Angehörigen unabhängig davon, ob sie selbst durch eigene politische
Aktivitäten hervorgetreten sind, als Druckmittel gegen den Regimegegner
einzusetzen. Überdies ist immer in Betracht zu ziehen, daß der Verfolgerstaat bei
dem Angehörigen eines Regimegegners schon aufgrund der Familienzugehörigkeit
ebenfalls eine staatsfeindliche Gesinnung voraussetzt und deshalb um so eher
geneigt ist, sich seiner bei der Verfolgung des Familienmitglieds zu bedienen.
Eine solche auf Erfahrungen abstellende allgemeine Betrachtungsweise ist
angesichts der in Iran herrschenden Verhältnisse um so mehr geboten, als dort
der Ablauf der Ermittlungs- und Strafverfahren völlig undurchsichtig ist und
keinerlei näheren Einblick in die im Einzelfall für die Verfolgung maßgeblichen
Gründe gestattet (vgl. hierzu Auskünfte von amnesty international vom 15.
Oktober 1987 an das Verwaltungsgericht Berlin und vom 15. Februar 1989 an das
Verwaltungsgericht Ansbach sowie Referat "Die Todesstrafe in Iran" vom 21. März
1989).
Die im Gegensatz zu den vorgenannten Erkenntnissen stehenden Auskünfte des
Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Institutes rechtfertigen nach
Auffassung des Senates kein anderes Ergebnis.
Zwar ist nach übereinstimmender Mitteilung beider Stellen dort kein Fall einer
Sippenhaft aus den zurückliegenden Jahren bekanntgeworden (vgl. z.B. Auskünfte
des Auswärtigen Amtes vom 1. Februar, 5. Mai und 13. Juni 1988, jeweils an das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, und vom 13. September 1988 an das
Verwaltungsgericht Kassel sowie Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 2.
Juni 1989 an das Verwaltungsgericht Bremen). Dies schließt es jedoch nicht aus,
daß es in dem besagten Zeitraum gleichwohl Fälle von Verfolgungsmaßnahmen
gegen Angehörige von Gegnern des in Iran herrschenden Regimes gegeben hat,
die dem Auswärtigen Amt und dem Deutschen Orient-Institut nicht
bekanntgeworden sind.
Eine zurückhaltende Bewertung der in den Auskünften des Auswärtigen Amtes
enthaltenen Aussagen ist schon deshalb angebracht, weil das Auswärtige Amt
selbst hat anklingen lassen, daß ihm wegen der Unübersichtlichkeit der politischen
und gesellschaftlichen Verhältnisse in Teheran ein näherer Einblick in das
Verhalten der Sicherheitsorgane gegenüber Mitgliedern oppositioneller Gruppen
verwehrt ist und bei der zu beobachtenden uneinheitlichen Praxis der Behörden
von ihm eine verbindliche Aussage über deren Vorgehen letztlich nicht getroffen
werden könne (Auskünfte vom 9. Januar 1987 an das Bundesamt, vom 16.
Dezember 1988 an das Verwaltungsgericht Kassel und vom 9. Juni 1989 an das
Verwaltungsgericht Hannover). Vor diesem Hintergrund kann dem in den
vorliegenden Auskünften des Auswärtigen Amtes wiederholt enthaltenen Hinweis
auf den Fall des unbehelligt in Teheran lebenden Bruders eines im Exil lebenden
Führungsmitgliedes der iranischen Opposition sowie auf die legale Ausreise von
Angehörigen anerkannter oder auch abgelehnter Asylbewerber kein
ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden. Diese Erkenntnisse betreffen
ein Einzelbeispiel bzw. einen vergleichsweise eng begrenzten Personenkreis, so
daß hieraus auf das Schicksal von Angehörigen Oppositioneller in anderen Fällen
mit hinreichender Verläßlichkeit nicht geschlossen werden kann.
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Überdies ist zu berücksichtigen, daß es nach Aussage des Auswärtigen Amtes der
üblichen Verfahrensweise der iranischen Strafverfolgungsbehörden entspricht,
nahe Angehörige über den Aufenthalt gesuchter Personen zu vernehmen und
dazu gegebenenfalls kurzfristig zu inhaftieren. Zwar sind die Verhöre und die
vorübergehende Haft für den Betroffenen nach Angaben des Auswärtigen Amtes
nur bei dem Verdacht eigener Teilnahme an oppositionellen Aktivitäten mit der
Gefahr körperlicher Übergriffe verbunden (vgl. z.B. Auskünfte vom 5. Mai 1988 an
das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, vom 16. September 1988 an das
Verwaltungsgericht Kassel und vom 26. Mai 1989 an das Verwaltungsgericht
Oldenburg). Diese Einschränkung ist aber schon deshalb in Zweifel zu ziehen, weil
die Vernehmungsmethoden der iranischen Strafverfolgungsorgane, wie das
Auswärtige Amt an anderer Stelle selbst betont hat, in den wenigsten Fällen
rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen und davon auszugehen ist, daß bei
den Verhören zum Zwecke der Informationsgewinnung auch gefoltert wird (vgl.
Auskunft vom 9. Juni 1989 an das Verwaltungsgericht Hannover). Darüber hinaus
beurteilt sich die Frage, ob dem Familienangehörigen selbst staatsfeindliches
Verhalten vorgeworfen wird, ausschließlich aus iranischer Sicht. Das Regime
bestimmt, wie das Auswärtige Amt in anderem Zusammenhang selbst ausgeführt
hat, selbst, wer als politischer Gegner anzusehen ist. Es ist daher wahrscheinlich,
daß beispielsweise bereits die Weigerung, Auskunft über den Aufenthalt und die
politische Betätigung des Gesuchten zu geben, oder gegebenenfalls auch eine
ungenügende Beantwortung der bei dem Verhör gestellten Fragen in den Augen
der Strafverfolgungsbehörde als aktive Unterstützung staatsfeindlicher
Bestrebungen angesehen wird und zu körperlicher Mißhandlung und weiterer
Inhaftierung führen kann.
Die nach alledem weiterhin festzustellende Praxis der iranischen Behörden,
Angehörige politischer Gegner in die Verfolgung mit einzubeziehen, ist auch für die
Prognose des Schicksals zurückkehrender Familienangehöriger von im Ausland
lebenden Oppositionellen von Bedeutung.
Wie durch anderweitige Auskünfte zweifelsfrei belegt ist, verfolgt die iranische
Regierung die Tätigkeit der im Ausland aktiven Oppositionsgruppen und die ihrer
Mitglieder mit großem Interesse. Zum Zwecke der Überwachung und Bespitzelung
dieses Personenkreises hat sie in der Bundesrepublik ein weitverzweigtes Agenten-
und Spitzelnetz aufgebaut, über das systematisch Informationen über hier
lebende Regimegegner gesammelt werden (Auskunft von amnesty international
vom 31. März 1988 an das Verwaltungsgericht Oldenburg). Überdies erging im
Jahre 1985 ein Aufruf des damaligen iranischen Generalstaatsanwalts an alle im
Ausland lebenden Iraner, Regimegegner zu überwachen und gegebenenfalls zu
denunzieren (Auskunft von amnesty international vom 15. Oktober 1987 an das
Verwaltungsgericht Berlin). Aufgrund dieser Umstände und der vorliegenden
Erkenntnisse über die Behandlung von in Iran lebenden Familienangehörigen
geflüchteter Oppositioneller ist anzunehmen, daß die iranischen Sicherheitsorgane
die Gelegenheit nutzen, über zurückkehrende Iraner an Informationen über die im
Ausland tätigen Exilorganisationen und ihre möglichen Verbindungen in den Iran
heranzukommen und die einreisenden Familienangehörigen gegebenenfalls auch
als Druckmittel zu benutzen, um den im Ausland befindlichen Regimegegner zur
Rückkehr zu zwingen. Dabei ist unter Berücksichtigung der Auskunft des
Deutschen Orient-Institutes an den Senat vom 20. Juni 1989 ein Zugriff vor allem
auf Angehörige von im Ausland als Asylberechtigte anerkannten Iranern in
Betracht zu ziehen. Daß in der Praxis mit Hilfe von Repressalien gegen Angehörige
Pressionen auf iranische Oppositionelle ausgeübt werden, die in der
Bundesrepublik als Asylberechtigte anerkannt wurden, zeigen die von amnesty
international in der Auskunft vom 15. Oktober 1987 an das Verwaltungsgericht
Berlin mitgeteilten Fälle, in denen die Rückkehr von rechtskräftig anerkannten
Iranern mit der Drohung erpresst wurde, ihre in Iran verbliebenen Kinder an die
vorderste Kriegsfront zu stellen.
Die Gefahr, nach Rückkehr in den Iran wegen der politischen Aktivitäten ihrer in der
Bundesrepublik als Asylberechtigte lebenden Angehörigen
Verfolgungsmaßnahmen der geschilderten Art ausgesetzt zu werden, besteht für
iranische Staatsangehörige allerdings nicht ohne Einschränkung. Wie die von der
deutschen Botschaft in Teheran gewonnenen Erkenntnisse belegen, sind in einer
ganzen Reihe von Fällen auch Angehörige von anerkannten Oppositionellen
unbehelligt geblieben. Nach den vom Auswärtigen Amt wiedergegebenen
Berichten der Deutschen Botschaft sind in vielen Fällen von Angehörigen
abgelehnter, aber auch anerkannter Asylbewerber Einreisesichtvermerke
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abgelehnter, aber auch anerkannter Asylbewerber Einreisesichtvermerke
beantragt worden, ohne daß diese Personen auch nur behauptet hätten, selbst
politisch verfolgt zu sein. Diese Personen könnten nach Ausstellung des
Sichtvermerks auch auf legalem Wege ausreisen, was bei politisch Verfolgten nicht
möglich sei (vgl. z. B. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. Mai 1989 an das
Verwaltungsgericht Oldenburg). Dies rechtfertigt die Annahme, daß die
Asylanerkennung eines Iraners nicht zwangsläufig dazu führt, daß seine
Angehörigen im Falle ihrer Rückkehr eingehenden Verhören und eventuellen
weiteren Maßnahmen unterworfen werden, sondern daß die iranischen
Sicherheitsbehörden von Fall zu Fall entscheiden, ob ihnen ein Vorgehen gegen die
in den Iran zurückgekehrten Familienangehörigen opportun erscheint. Dabei wird
aus der Sicht der iranischen Behörden möglicherweise die Überlegung
mitbestimmend sein, daß die im Ausland lebenden Asylberechtigten -- anders als
in Iran verbliebene Personen -- ihrem unmittelbaren Zugriff ohnedies entzogen
sind und in der Regel eine geringere Bedrohung der innerstaatlichen Ordnung
darstellen als in Iran selbst operierende Regimegegner.
Die danach gebotene differenzierte Betrachtungsweise führt zu dem Ergebnis, daß
bei der Rückkehr von Angehörigen anerkannter iranischer Staatsangehöriger nur
dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr staatlicher
Verfolgungseingriffe bejaht werden kann, wenn aufgrund der Persönlichkeit des
Asylberechtigten oder der von ihm entfalteten politischen Betätigung ein
gesteigertes Interesse des iranischen Staates entweder an der Erzwingung seiner
Rückkehr oder an der Aufdeckung seines Verhaltens in Iran oder im Ausland bzw.
eventueller politischer Verbindungen zur Opposition in Iran anzunehmen ist.
Das mit dieser Einschränkung bestehende Risiko für Angehörige von Iranern, die in
der Bundesrepublik als Asylberechtigte anerkannt wurde, bei Rückkehr aufgrund
ihrer familiären Beziehung zu dem Asylberechtigten staatlicher Verfolgung
unterworfen zu werden, besteht unter Berücksichtigung der vorliegenden
Erkenntnisse nicht nur für erwachsene Familienangehörige und Jugendliche,
sondern auch für minderjährige Kinder.
Wie ein Blick auf die erst einige Jahre zurückliegenden Vorgänge aus den ersten
Jahren nach der Ausrufung der Islamischen Republik Iran deutlich macht, wurden
Kinder als Angehörige verfolgter Regimegegner bzw. als selbst der Teilnahme an
oppositionellen Bestrebungen oder deren Unterstützung Verdächtigte in gleicher
Weise wie Erwachsene von staatlichen Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Die in
dieser Zeit deutlich hervortretende Einbeziehung von minderjährigen Kindern in die
gegen die politische Opposition gerichtete Verfolgung kann bei der Prognose des
Schicksals zurückkehrender Kinder von in der Bundesrepublik anerkannten
Regimegegnern nicht unberücksichtigt bleiben, denn sie offenbart eine
grundsätzliche Einstellung des Staates, Kinder schon früh für eigenes Verhalten
verantwortlich zu machen bzw. das Kind ungeachtet seines Alters für einen
Familienangehörigen in Anspruch zu nehmen. Dies kommt auch in der Auskunft
des Deutschen Orient-Institutes vom 20. Juni 1989 an den Senat zum Ausdruck.
Hierin wird überzeugend ausgeführt, daß Kinder in Iran ganz allgemein wesentlich
früher als Erwachsene behandelt werden als in Westeuropa, wie sich an dem
Einsatz von 12- bis 16-jährigen Jungen als Soldaten im Golfkrieg zeige. Darüber
hinaus hätten Kinder von Regimegegnern generell deshalb mit schwerwiegenden
sozialen Nachteilen zu rechnen, weil in der iranischen Gesellschaft auf die familiäre
Abstammung besonderer Wert gelegt werde. Daß diese in der iranischen
Gesellschaft offensichtlich fest verankerte Haltung gegenüber Kindern von
gesuchten oder bereits verhafteten politischen Gegnern unter den heutigen
politischen Verhältnissen eine nachhaltige Änderung erfahren hat, ist nicht zu
erkennen.
Für den vorliegenden Fall ist aufgrund der dargestellten Erkenntnisse davon
auszugehen, daß der Klägerin in Iran jedenfalls wegen der exilpolitischen
Aktivitäten ihrer Mutter Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Die Mutter der Klägerin hat sich, wie sich aus ihren glaubhaften Angaben
gegenüber dem Bundesamt ergibt, seit Anfang 1984 für die von der
linksgerichteten Tudeh-Partei beherrschte "Autonome Iranische Frauenbewegung
im Ausland e. V." politisch betätigt. Diese Tätigkeit geht, wie sich aus den
Ausführungen der Mutter der Klägerin und der von ihr im Anerkennungsverfahren
vorgelegten Unterlagen ergibt, erkennbar über eine einfache Mitgliedschaft in der
genannten Organisation bzw. eine bloße Teilnahme an der von dieser Gruppierung
durchgeführten Veranstaltungen hinaus. In der von ihr überreichten Bescheinigung
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durchgeführten Veranstaltungen hinaus. In der von ihr überreichten Bescheinigung
des Vorstandes der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im Ausland e. V."
vom 26. April 1985 wird bestätigt, daß Frau A wesentlichen Anteil am
Zustandekommen des Vereins gehabt habe. Die Mutter der Klägerin hat überdies,
wie durch das im Vorprüfungstermin vorgelegte Lichtbild bestätigt wird, bei
Veranstaltungen die Diskussionsleitung übernommen und im Rahmen ihrer
Tätigkeit für den Verein neu angekommene Flüchtlinge im Lager S betreut.
Bereits durch die Mitgliedschaft in der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im
Ausland e. V." und die für diesen Verein entwickelten herausgehobenen Aktivitäten
hat sich die Klägerin als entschiedene Gegnerin der herrschenden Staats- und
Gesellschaftsauffassung in ihrem Heimatland ausgewiesen. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß sich der Verein nach seinem nach außen kundgegebenen
Selbstverständnis als radikal-feministische Gruppierung darstellt, die das durch
den Islam geprägte patriarchalische Gesellschaftssystem grundsätzlich ablehnt
und deshalb in den Augen der iranischen Behörden als besonders gefährliche
Organisation erscheinen muß. Hierbei wird auch von Bedeutung sein, daß der
Verein von der Tudeh-Partei beherrscht wird, die von den iranischen Machthabern
zusammen mit den Volksmujahedin als einer der politischen Hauptgegner
betrachtet wird, deren Mitglieder auch von der jüngsten Hinrichtungswelle in
erheblichem Umfange betroffen waren (vgl. hierzu Lageberichte des Auswärtigen
Amtes vom 2. November 1988 und 20. Dezember 1988 sowie Auskunft von
amnesty international vom 15. Februar 1989 an das Verwaltungsgericht Ansbach).
Darüber hinaus hat die Mutter der Klägerin ihrer persönlichen regime- und
gesellschaftskritischen Einstellung durch die Publizierung ihrer Diplomarbeit in
öffentlich zugänglicher Form auch nach außen hin Ausdruck verliehen. Der Inhalt
dieser Diplomarbeit ist in besonderer Weise geeignet, sie in den Augen der
iranischen Behörden als zu bekämpfende "Abtrünnige" erscheinen zu lassen und
damit auch ihre Tochter, falls diese in den Iran übersiedeln müßte, der Gefahr von
Verfolgungsmaßnahmen auszusetzen, weil sich die Verfasserin in einem
historischen Abriß über die Lage der Frauen in kritischer Form auch mit im Koran
wurzelnden Grundprinzipien des islamischen Ehe- und Familienrechts
auseinandersetzt und dieses als Ausgangspunkt für die Benachteiligung und
Ungleichbehandlung von Frauen und Mädchen in Iran anprangert. Wie die Affäre
um den englischen Schriftsteller Salman Rushdi gezeigt hat, wird gerade eine
solche öffentliche Kritik an den im Koran niedergelegten Grundüberzeugungen des
Islam in Iran als besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen betrachtet, das
zu schwersten Repressionen gegen den Betroffenen führen kann.
Auch die Tatsache, daß die Mutter der Klägerin im Oktober 1984 unbehelligt in den
Iran reisen konnte, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Frau A hatte nach
ihren Angaben ihre Mitarbeit bei der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im
Ausland e.V." Anfang 1984 begonnen und war dem Verein offiziell erst am 21. Mai
1984 beigetreten. Auch ihre Diplomarbeit wurde erst Mitte 1984 veröffentlicht. Da
sie nach ihren glaubhaften Angaben zuvor nicht durch Teilnahme an
regierungsfeindlichen Aktionen in Erscheinung getreten war, ist anzunehmen, daß
sie den iranischen Behörden damals noch nicht als aktive Regimegegnerin
bekannt war. Spätestens durch ihre nachfolgende Betreuungstätigkeit im Lager S
als Mitglied der "Autonomen Iranischen Frauenbewegung im Ausland e.V." ist die
Mutter der Klägerin dagegen zwangsläufig in das Blickfeld der iranischen Behörden
bzw. ihrer Informanten in der Bundesrepublik gelangt, wodurch aller
Wahrscheinlichkeit nach auch ihre sonstigen Exilaktivitäten bekannt geworden sind.
Darüber hinaus hat die Mutter der Klägerin ihrer persönlichen regime- und
gesellschaftskritischen Einstellung durch die Publizierung ihrer Diplomarbeit in
öffentlich zugänglicher Form auch nach außen hin Ausdruck verliehen. Der Inhalt
dieser Diplomarbeit ist in besonderer Weise geeignet, sie in den Augen der
iranischen Behörden als zu bekämpfende "Abtrünnige" erscheinen zu lassen und
damit auch ihre Tochter, falls diese in den Iran übersiedeln müßte, der Gefahr von
Verfolgungsmaßnahmen auszusetzen, weil sich die Verfasserin in einem
historischen Abriß über die Lage der Frauen in kritischer Form auch mit im Koran
wurzelnden Grundprinzipien des islamischen Ehe- und Familienrechts
auseinandersetzt und dieses als Ausgangspunkt für die Benachteiligung und
Ungleichbehandlung von Frauen und Mädchen in Iran anprangert. Wie die Affäre
um den englischen Schriftsteller Salman Rushdi gezeigt hat, wird gerade eine
solche öffentliche Kritik an den im Koran niedergelegten Grundüberzeugungen des
Islam in Iran als besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen betrachtet, das
zu schwersten Repressionen gegen den Betroffenen führen kann.
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Auch die Tatsache, daß die Mutter der Klägerin im Oktober 1984 unbehelligt in den
Iran reisen konnte, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Frau Azadpayma
hatte nach ihren Angaben ihre Mitarbeit bei der "Autonomen Iranischen
Frauenbewegung im Ausland e.V." Anfang 1984 begonnen und war dem Verein
offiziell erst am 21. Mai 1984 beigetreten. Auch ihre Diplomarbeit wurde erst Mitte
1984 veröffentlicht. Da sie nach ihren glaubhaften Angaben zuvor nicht durch
Teilnahme an regierungsfeindlichen Aktionen in Erscheinung getreten war, ist
anzunehmen, daß sie den iranischen Behörden damals noch nicht als aktive
Regimegegnerin bekannt war. Spätestens durch ihre nachfolgende
Betreuungstätigkeit im Lager Schwalbach als Mitglied der "Autonomen Iranischen
Frauenbewegung im Ausland e.V." ist die Mutter der Klägerin dagegen
zwangsläufig in das Blickfeld der iranischen Behörden bzw. ihrer Informanten in der
Bundesrepublik gelangt, wodurch aller Wahrscheinlichkeit nach auch ihre sonstigen
Exilaktivitäten bekannt geworden sind.
Die nach alledem anzunehmende Gefahr einer politischen Verfolgung für die
Klägerin ist auch nicht durch die jüngste innenpolitische Entwicklung seit dem Tod
des Revolutionsführers Khomeini entfallen. Zwar ist unter dem Einfluß des -- als
pragmatisch geltenden -- neuen Staatspräsidenten und früheren
Parlamentspräsidenten Rafsandschani eine gewisse innen- und außenpolitische
Lockerung sichtbar geworden. Diese Entwicklung hat aber bislang keine
erkennbaren Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in Iran. Weiterhin muß
davon ausgegangen werden, daß aktive Gegner des bestehenden Systems mit
strenger Bestrafung zu rechnen haben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom
18. August 1989). Für eine fortbestehende Unterdrückung von politischen Gegnern
in Iran spricht auch die Tatsache, daß in den Lageberichten des Auswärtigen
Amtes die Möglichkeit angedeutet wird, daß die auch nach dem Tode Khomeinis
weitergeführte Hinrichtungswelle gegen Drogenhändler als Deckmantel für die
Beseitigung oppositioneller Kräfte benutzt wird (Lageberichte vom 13. April und 18.
August 1989). Die weitere Entwicklung der innenpolitischen Lage und die der
Menschenrechtssituation in Iran ist von daher skeptisch zu beurteilen. Offen ist --
neben der Unsicherheit über den künftigen Kurs Rafsandschanis -- auch der
Ausgang des Machtkampfes mit den fundamentalistischen Kräften, die
offensichtlich weiterhin über großen Einfluß verfügen.
Die im Falle der Klägerin anzuerkennenden Verfolgungsgründe sind schließlich
auch nicht deshalb asylrechtlich unbeachtlich, weil die in der Bundesrepublik
geborene Klägerin kein Fluchtschicksal erlitten hat und sie ihre Verfolgungsfurcht
ausschließlich auf solche Umstände stützt, die erst nach der Ausreise ihrer Eltern
in die Bundesrepublik Deutschland entstanden sind. Die von der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts für die Fälle der subjektiven
Nachfluchttatbestände geltenden Einschränkungen der asylrechtlichen
Beachtlichkeit beziehen sich nach der von dem Bundesverfassungsgericht in
seiner Entscheidung vom 26. November 1986 gegebenen Definition ausschließlich
auf solche Nachfluchtgründe, die der Asylbewerber nach Verlassen des
Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom
26. November 1986, a.a.O., Seite 65). Dagegen sind nach den Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts objektive Nachfluchttatbestände, die durch Vorgänge
oder Ereignisse im Heimatland unabhängig von der Person des Asylbewerbers
ausgelöst werden, im Rahmen des Asylrechtes gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
unbeschränkt zu berücksichtigen. Diesen durch objektive Veränderungen im
Heimatland eingetretenen Verfolgungsgründen ist der Verfolgungstatbestand
gleichzusetzen, der -- wie im vorliegenden Fall -- nicht durch eigenes Zutun des
Asylbewerbers selbst, sondern durch ein von ihm nicht beeinflußtes und auch nicht
beeinflußbares Verhalten Dritter in der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist
(ebenso OVG Münster, Beschluß v. 21. April 1988 -- 16 B 21624/87). Auch in
diesen Fällen würde es Sinn und Zweck der Asylgewährleistung und ihrer
humanitären Intention zuwiderlaufen, dem Asylbewerber das Risiko aufzubürden,
die bislang nicht gegebene Flucht nachzuholen und damit die Asylanerkennung zu
erreichen. Auch in diesen -- für die Situation der Sippenhaft bei minderjährigen
Kindern typischen -- Fällen hat der Asylbewerber die für ihn entstandene
Verfolgungssituation weder selbst aus eigenem Entschluß geschaffen noch auf das
die Verfolgungsgefahr auslösende Verhalten des Dritten Einfluß nehmen können.
Für die uneingeschränkte Anerkennung dieser Verfolgungsgründe spricht auch der
Umstand, daß der Verfolgerstaat unter diesen Umständen bei seiner Verfolgung
nicht an ein eigenes Verhalten des betreffenden Asylbewerbers, sondern an
Gruppen- oder Familienmerkmale anknüpft, die außerhalb der Person des
Betroffenen liegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.