Urteil des HessVGH vom 30.06.1987

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, widmung, bebauungsplan, begriff, verwaltungsbehörde, vorfrage, beitragspflicht, quelle, aussetzung, aussetzen

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TE 978/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 127 Abs 1 Nr 1 BBauG, §
2 Abs 1 S 1 StrG HE
(Erschließungsbeitragsrecht: Zum Begriff der "öffentlichen
Straße")
Gründe
I.
Die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens streiten vor dem Verwaltungsgericht
Frankfurt am Main über die Rechtmäßigkeit eines
Erschließungsbeitragsbescheides. Vom Kläger ist dabei vorgetragen worden, daß
der maßgebliche Bebauungsplan nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht und
daher unwirksam sei. Die Widmungsverfügung vom 26. August 1986 sei
rechtswidrig. Gegen die Widmungsverfügung ist Widerspruch eingelegt worden,
über den noch nicht entschieden ist.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat das Klageverfahren mit Beschluß
vom 19. März 1987 ausgesetzt. Aus den Gründen des Beschlusses ergibt sich, daß
Voraussetzung des Entstehens der Beitragspflicht die Widmung sei, deren
Rechtmäßigkeit, wie der erhobene Widerspruch zeige, streitig sei. Zur
Entscheidung über die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Widmungsverfügung
und der Wirksamkeit des Bebauungsplans sei nach dem Geschäftsverteilungsplan
des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main eine andere Kammer zuständig.
Prozeßökonomische Gründe geböten es daher, das Klageverfahren solange
auszusetzen, bis über die Frage der Rechtmäßigkeit der Widmung und der
Gültigkeit des Bebauungsplans bestands- bzw. rechtskräftig entschieden sei.
Dagegen hat die Beklagte Beschwerde erhoben.
Sie ist der Ansicht, die Voraussetzungen des § 94 VwGO lägen nicht vor. Die
Entscheidung über die Widmung sei für das Klageverfahren nicht vorgreiflich. Denn
die Kammer könne die Frage der Rechtmäßigkeit der Widmungsverfügung selbst
entscheiden. Es handele sich um eine Vorfrage, die inzident geprüft werden
müsse. Der Widerspruch gegen die Widmungsverfügung habe auch keine
aufschiebende Wirkung. Die Aussetzung führe zu einer unzumutbaren
Verzögerung des Verfahrens.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 19. März
1987 aufzuheben.
Der Kläger beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Kläger beruft sich auf die Gründe des Beschlusses vom 19. März 1987.
II.
Der Aussetzungsbeschluß war aufzuheben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen,
unter denen ein Verwaltungsgericht ermächtigt ist, ein Verfahren auszusetzen,
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unter denen ein Verwaltungsgericht ermächtigt ist, ein Verfahren auszusetzen,
nicht vorliegen. Nach § 94 VwGO darf das Gericht das Verfahren nur aussetzen,
wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen
oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand
eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde
festzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß die
Entscheidung über die Klage von der Rechtmäßigkeit der Widmungsverfügung vom
26. August 1986 abhängt. Zwar hängt das Recht zur Erhebung von
Erschließungsbeiträgen nach § 127 Abs. 1 und 2 BBauG davon ab, daß es sich bei
der abgerechneten Anlage um eine ö f f e n t l i c h e Straße handelt. Die
Begründung der Öffentlichkeit einer Straße richtet sich nach dem hessischen
Landesrecht. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Hessischen Straßengesetzes vom 9.
Oktober 1962 (GVBl. 1962 S. 437) wird die Öffentlichkeit einer Straße durch einen
Widmungsakt begründet. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes bedarf es eines
solchen Widmungsaktes jedoch nicht, wenn die Straße als öffentliche Straße
aufgrund eines förmlichen Verfahrens nach anderen Gesetzen gebaut wird bzw.
gebaut worden ist.
Die Frankfurter Straße in R.-F. ist, wie sich aus den Akten ergibt, aufgrund eines
Bebauungsplanes gebaut worden, also aufgrund eines förmlichen Verfahrens nach
dem Bundesbaugesetz. Folglich bedarf es einer Widmung im Sinne des § 2 Abs. 1
Satz 1 HStrG nicht mehr (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 9. Dezember 1983 - 5 TH
59/83 -; Böhm, Das Hessische Straßengesetz, 2. Aufl. S. 17).
Falls der klägerische Vortrag zutreffen sollte, wonach der Bebauungsplan nicht
ordnungsgemäß bekanntgemacht worden und deshalb unwirksam ist, ist
gleichwohl eine Widmung entbehrlich. Denn der Bebauungsplan ist jedenfalls von
der höheren Verwaltungsbehörde genehmigt worden. Auch in diesem Fall beruht
die Errichtung der Straße auf dem förmlichen Verfahren nach dem
Bundesbaugesetz das die Aufstellung, den Beschluß und die Genehmigung des
Bebauungsplanes umfaßt, der die Frankfurter Straße als öffentliche Straße
ausweist. Allein der Umstand, daß der Bebauungsplan möglicherweise nicht
wirksam bekanntgemacht worden ist, ändert nichts an der Tatsache, daß ein
förmliches Verfahren stattgefunden hat, auf Grund dessen die Öffentlichkeit der
Straße offenkundig ist. Denn es war gerade einer der Zwecke dieses Verfahrens,
die Schaffung einer öffentlichen Straße anzukündigen und zu ermöglichen. Die
Beklagte, die diese Straße dann auch tatsächlich gebaut hat, kann deren
Öffentlichkeit schlechterdings nicht mehr zu Lasten der Anlieger und sonstiger
Benutzer verneinen.
Ist aber die Öffentlichkeit einer Straße auf Grund des förmlichen Verfahrens nach
anderen Gesetzen außer Zweifel, so ist nach § 2 des Hessischen Straßengesetzes
eine förmliche Widmung, die keinen anderen Zweck verfolgt, als die Öffentlichkeit
einer Straße zu begründen, entbehrlich.
Bedarf es somit für die Befugnis der Beklagten zur Erhebung von
Erschließungsbeiträgen keines förmlichen Widmungsaktes, so kann auch die
etwaige Rechtswidrigkeit der gleichwohl vorgenommenen Widmung dieser Befugnis
ebensowenig entgegenstehen wie etwaige Mängel bei der Bekanntmachung des
Bebauungsplanes.
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, weil diese der abschließenden
Entscheidung in der Hauptsache vorzubehalten ist (§ 161 Abs. 1 VwGO).
Dieser Beschluß ist nicht anfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.