Urteil des HessVGH vom 19.11.2004

VGH Kassel: hund, körperliche unversehrtheit, angriff, verordnung, begriff, abgrenzung, behörde, eingriff, form, bankrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 UZ 2947/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 2 Abs 2 Nr 2 Alt 1 HuV HE
(Schädigungen durch den Biss eines Hundes sind alle
Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, egal
wann sie auftreten)
Leitsatz
Eine Schädigung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. HundeVO liegt grundsätzlich bei
jeder Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des gebissenen Tieres
unabhängig von der Schwere der körperlichen Beeinträchtigung vor. Außer Betracht
bleiben nur ganz geringfügige Verletzungen wie etwa einzelne herausgerissene Haare
oder sehr kleine oberflächliche Kratzer.
Als Schädigung sind im Rahmen von § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. HundeVO sämtliche (noch)
auf den Biss zurückzuführende körperliche Beeinträchtigungen des gebissenen Tieres
zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese unmittelbar nach dem Biss
aufgetreten sind oder sofort feststellbar waren.
Gefährlich ist ein Hund unter den Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 HundeVO
unabhängig davon, ob sein Verhalten Ausdruck einer besonderen, nicht artgemäßen
Aggressionsbereitschaft ist.
Tenor
Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 16. Juli 2004 (Az.: 10 E 5578/03) zugelassen.
Das Verfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 11 UE
3488/04 fortgesetzt.
Die Entscheidung über die Kostentragung für das Zulassungsverfahren bleibt der
Kostenentscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.
Gründe
Der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige
Antrag der Beklagten hat Erfolg und führt zur Zulassung der Berufung gegen das
im Tenor des vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete erstinstanzliche Urteil.
Die Richtigkeit es angefochtenen Urteils erster Instanz begegnet ernstlichen
Zweifeln im Sinne des Zulassungstatbestandes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Zu Recht beanstandet die Beklagte die der erstinstanzlichen Entscheidung zu
Grunde liegende Feststellung, der Hund der Klägerin sei mit dem angefochtenen
Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2003 zu Unrecht als gefährlich eingestuft
worden. Die von der Vorinstanz zur Begründung dieser Feststellung angeführten
Erwägungen begegnen aus den von der Beklagten zutreffend dargelegten
Gründen durchgreifenden Bedenken.
Zwar geht das Verwaltungsgericht hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der von
der Beklagten vorgenommenen Einstufung des Hundes "Zeus Maximus" als
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der Beklagten vorgenommenen Einstufung des Hundes "Zeus Maximus" als
gefährlich von § 2 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO aus, denn bei dem Hund der Klägerin,
einem Rottweiler, wird nicht schon wegen der Zugehörigkeit zu einer in § 2 Abs. 1
Satz 2 HundeVO aufgeführten Hunderasse oder -gruppe eine Gefährlichkeit
vermutet. Die Ansicht der Vorinstanz, die Voraussetzungen, unter denen ein Hund
gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO als gefährlich zu betrachten sind, seien im
vorliegenden Fall nicht erfüllt, erweist sich auf der Grundlage der hierfür gegebenen
Begründung jedoch als nicht tragfähig. Entgegen ihrer Annahme ist auf der Basis
des Sachverhalts, wie er sich nach dem Inhalt der Behördenakten und nach dem
Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme darstellt, die
Einordnung von "Zeus Maximus" als gefährlicher Hund jedenfalls nach der ersten
Alternative von § 2 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO gerechtfertigt. Danach sind solche
Hunde gefährlich, die ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst
angegriffen worden zu sein. Diese Voraussetzungen liegen ersichtlich vor.
Zunächst ist davon auszugehen, dass "Zeus Maximus "den Border-Collie des
Zeugen S. am 23. Juni 2003 gebissen hat. Dass "Bobby" an diesem Tag durch den
Hund der Klägerin einen Biss im linken Halsbereich erhalten hat, wird durch die
übereinstimmenden Aussagen der Zeugen S. und K. und des ebenfalls als Zeugen
vernommenen Tierarztes Dr. R. belegt. Aus den Angaben der Klägerin, die sich
lediglich im Verwaltungsverfahren näher zu den Umständen des Beißvorfalls am
23. Juni 2003 geäußert hat, folgt nichts anderes. Ihre Einlassung, "Zeus Maximus"
sei auf den Hund des Zeugen S. zugelaufen, habe dann aber abgedreht und sei
seinerseits von dem Border-Collie angefallen und verletzt worden, steht in
Widerspruch zu den genannten Aussagen der Zeugen S. und K. und wird durch die
Erklärung des Zeugen Dr. R., der eine Bissverletzung bei dem Hund des Zeugen S.
bestätigt, widerlegt. Auch das Verwaltungsgericht bezweifelt offenbar nicht, dass
es "Zeus Maximus" war, der den Border-Collie des Zeugen S. gebissen hat.
Ausweislich seiner Ausführungen auf Seite 6, 1. Abschnitt, des Urteils verneint es
lediglich "eine Schädigung durch Biss im Sinne von § 2 Abs. 2 Ziffer 2 HundeVO".
Die für diese Einschätzung gegebene Begründung begegnet indessen
gravierenden Bedenken.
Das Verwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst darauf ab, es stehe
lediglich fest, dass der Border-Collie "Bobby" des Zeugen S. nach dem
"Zusammenstoß" mit dem Hund der Klägerin zwei kleinere oberflächliche Wunden
an der linken Halsseite aufgewiesen habe. Der Tierarzt, der "Bobby" nach dem
Vorfall untersucht habe, habe ausweislich seiner Zeugenaussage bestätigt, dass
die Untersuchung der Wunde am 23. Juni 2003 leichte Verletzungen an der linken
Halsseite ergeben habe. Nach der Aussage des Zeugen Dr. R. habe es sich um
zwei kleinere oberflächliche Wunden in Form zweier kleiner Löcher im Abstand von
2 bis 5 cm gehandelt, was auf einen Biss schließen lasse. Eine weitere Behandlung
sei zunächst nicht erfolgt. Erst drei Tage später sei der Hund noch einmal mit
einem Hämatom im Bissbereich vorgestellt worden. Nach Erklärung des Zeugen
habe es sich nicht um einen außergewöhnlichen Fall gehandelt, sondern um einen
Standardfall, wie er immer wieder vorkomme. Die in dem Behördenvermerk vom
23. Juni 2003 niedergelegte Äußerung des Tierarztes, der Hund sei ziemlich
gebeutelt gewesen und er habe Glück gehabt, dass die Bisswunde nicht 3 bis 5 cm
tiefer gelegen habe, habe er bei seiner Einvernahme als Zeuge nicht bestätigt. Er
habe lediglich bekundet, dass sich der Border-Collie in einem nicht
lebensbedrohenden Schockzustand befunden habe. Überdies sei das Hämatom
bei der Erstuntersuchung nicht feststellbar gewesen. Zur Überzeugung des
Gerichts stehe fest, dass es sich um leichte Blessuren gehandelt habe, welche im
Rahmen einer noch artgerechten Auseinandersetzung unter Rüden - wie bei sich
prügelnden Kindern - vorkommen könnten. Es handele sich indessen nicht um eine
Bissverletzung im Sinne der Verordnung, welche es rechtfertigen könnte, den
Rottweiler als gefährlichen Hund einzustufen.
Diese Erwägungen sind mit der Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative
HundeVO nicht vereinbar.
Das Verwaltungsgericht nimmt ersichtlich an, dass die Verletzungen, die der Hund
des Zeugen S. bei dem Vorfall erlitten hat, von ihrer Art und Schwere nicht
ausreichen, um von einer Schädigung im Sinne der oben genannten Bestimmung
ausgehen zu können. Welche Voraussetzungen nach Ansicht der Vorinstanz für
eine Schädigung im vorgenannten Sinne erfüllt sein müssen, geht aus den
Entscheidungsgründen des Urteils zwar nicht eindeutig hervor. Erkennbar nimmt
das Verwaltungsgericht aber an, dass nur schwerere Verletzungen als Schädigung
im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO betrachtet werden können,
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im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO betrachtet werden können,
denn es hebt mehrfach hervor, dass es sich bei den Bisswunden im Halsbereich
von "Bobby" nur um leichte Verletzungen bzw. "Blessuren" gehandelt habe.
Überdies sieht die Vorinstanz das Hämatom, das sich um die Bisswunde des
Hundes herausgebildet hatte, und den leichten Schockzustand des Hundes nach
dem Vorfall offenbar nicht als so schwerwiegend an, um von einer Schädigung im
vorgenannten Sinne sprechen zu können. Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt
werden.
Mit dem Begriff der Schädigung greift der Verordnungsgeber ersichtlich auf den
polizeirechtlichen Schadensbegriff zurück. Ein Schaden im ordnungsrechtlichen
Sinne liegt bei jeglicher Verletzung geschützter Rechtsgüter vor. Er ist von bloßen
Belästigungen, Unbequemlichkeit und sonstigen geringfügigen Nachteilen
abzugrenzen (vgl. Hornmann, HSOG, Anm. 26 zu § 11 HSOG). Bei der Schädigung
im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO ist ein Schaden in der
besonderen Form der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des gebissenen
Tieres gemeint. Sonstige durch den Biss am Tier entstehende (Sach-) Schäden
(z.B. durchbissenes Halsband, Beschädigung einer Decke) bleiben außer Betracht
(vgl. Bodenbender, HSGZ 2004, 63 [66]). Ein Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit des Tieres ist dann anzunehmen, wenn bei ihm ein von den
normalen körperlichen Funktionen abweichender Zustand hervorgerufen oder
gesteigert wird (vgl. zur Gesundheitsverletzung im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB:
BGH, Urteil vom 30. April 1991 - VI ZR 178/90 -, NJW 1991, 1948 [1949]).
Für die Annahme, dass für einer Schädigung eine körperliche Verletzung oder
Funktionsstörung von besonderer Schwere erforderlich ist, lässt sich der Regelung
in § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO nichts entnehmen. Ebenso wenig gibt
die Vorschrift einen Anhaltspunkt dafür, dass lediglich für die Gesundheit des
Tieres besonders gefährliche Verletzungen Berücksichtigung finden sollen. Im
Gegenteil ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber einen weitgehenden
Schutz vor Hunden mit offenbar gewordener übersteigerter Aggression angestrebt
hat und deshalb mit dem Begriff der Schädigung jeglichen Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit des gebissenen Tieres erfassen wollte. Mit Rücksicht auf die
notwendige Abgrenzung des (Gesundheits-)Schadens von bloßen
Unbequemlichkeiten und Belästigungen werden allerdings ganz geringfügige
Verletzungen (einzelne herausgerissene Haare, sehr kleine oberflächliche Kratzer)
unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. Bodenbender, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Grundsätze hätte das
Verwaltungsgericht eine Schädigung schon wegen der dem Hund des Zeugen S.
durch den Biss von "Zeus Maximus" unmittelbar zugefügten Verletzungen nicht
verneinen dürfen. Hierbei handelte es sich nicht etwa um völlig unbedeutende
oberflächliche "Blessuren". Da bei dem Biss die Zähne von "Zeus Maximus" die
Haut des Border-Collie durchstoßen und dort Löcher hinterlassen haben, handelt
es sich um eine erhebliche Verletzung des Hundes und damit um eine Schädigung
im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO. Eine Schädigung liegt aber
auch und insbesondere deshalb vor, weil durch den Biss ein Hämatom im
Verletzungsbereich aufgetreten ist. Selbst wenn man der Auffassung sein sollte,
dass die unmittelbare Bissverletzung des Border-Collie und der durch den Vorfall
bedingte Schockzustand des Hundes als geringfügig und deshalb nicht als
Schädigung zu betrachten sind, verbietet sich diese Betrachtungsweise jedenfalls
im Hinblick auf die bei dem Hund später eingetretene, erheblich schwerer
wiegende Gesundheitsbeeinträchtigung.
Sollte das Verwaltungsgericht darüber hinaus der Auffassung gewesen sein, das
Hämatom sei deshalb für die Frage einer Schädigung des gebissenen Hundes
unerheblich, weil diese gesundheitliche Störung erst einige Tage nach dem
Beißvorfall aufgetreten ist, wäre auch diese Sichtweise fehlerhaft. § 2 Abs. 2 Nr. 2,
1. Alternative HundeVO setzt lediglich voraus, dass die Schädigung durch den Biss
des Hundes verursacht wurde. Zu berücksichtigen sind daher sämtliche (noch) auf
den Biss zurückzuführende körperliche Beeinträchtigungen des gebissenen Tieres,
unabhängig davon, ob diese unmittelbar nach dem Biss aufgetreten sind oder
sofort feststellbar waren.
Dass das bei "Bobby" aufgetretene Hämatom durch den Biss des Hundes der
Klägerin verursacht wurde, kann unter den vorliegenden Umständen nicht
zweifelhaft sein. Wie sich aus den Erklärungen des behandelnden Tierarztes Dr. R.
bei seiner Zeugenvernehmung am 23. Juni 2004 ergibt, zeigte sich die
Unterblutung nämlich im Bissbereich. Unter diesen Umständen stellt sich die von
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Unterblutung nämlich im Bissbereich. Unter diesen Umständen stellt sich die von
dem Verwaltungsgericht an einer späteren Stelle seines Urteils (Seite 8, 2. Absatz)
in den Raum gestellte Möglichkeit, dass das Hämatom - allein - durch den Zeugen
S. beim Zurückreißen seines Hundes mit der Leine verursacht worden sein könnte,
als reine Hypothese dar, die durch den erkennbaren Geschehensablauf nicht zu
begründen ist.
Nach dem derzeit zu überblickenden Sachverhalt liegt auch die weitere
Voraussetzung des § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO vor, dass der das
andere Tier schädigende Biss erfolgt ist, ohne dass der Hund selbst angegriffen
wurde. Nach den - auch insoweit übereinstimmenden - Aussagen der Zeugen S.
und K. wurde "Bobby" von dem Hund der Klägerin ohne vorangehende Begegnung
der beiden Hunde unvermittelt angegriffen. Ein von "Bobby" ausgehender Angriff
auf den Hund der Klägerin oder auch nur ein von ihm möglicherweise als
Aggression zu erkennendes Verhalten des Border-Collie ist nach Lage der Dinge
auszuschließen. Nach den Bekundungen der Zeugen S. und K. lag der Hund vor
dem Beißvorfall angeleint zwischen den im Gespräch vertieften Zeugen. Auch der
Zeuge L., der nach seinen Angaben von dem Vorfall selbst nichts mitbekommen
hat, hat bekundet, dass der Border-Collie, nachdem der Hund der Klägerin
fortgebracht worden sei, an der Leine gewesen sei. Es spricht von daher nichts für
die von der Klägerin der Behörde gegenüber vorgetragene Version, wonach ihr
Hund auf "Bobby" zugelaufen sei, dann aber kurz vor ihm abgedreht habe und
dann seinerseits von dem Hund des Zeugen S. von hinten angefallen worden sei.
Sind somit, soweit ersichtlich, sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 2 Nr.
2, 1. Alternative HundeVO erfüllt, bedarf es für die Feststellung der Gefährlichkeit
von "Zeus Maximus" nicht etwa noch der weiteren Prüfung, ob das von dem Hund
gezeigte Verhalten eine übersteigerten Aggressionsbereitschaft erkennen lässt.
Die gegenteilige Ansicht der Vorinstanz, das zur Schädigung eines anderen
Hundes führende Beißverhalten eines Hundes sei im Rahmen von § 2 Abs. 2 Nr. 2,
1. Alternative HundeVO nur dann bedeutsam, wenn sich dieses Verhalten nicht im
Rahmen einer artgemäßen Auseinandersetzung zwischen Hunden bewegt habe,
sondern Ausdruck einer besonderen Aggressivität des betreffenden Hundes sei,
findet in der Verordnung keine Grundlage.
Das Verwaltungsgericht stellt durch seine Rechtsansicht an die Gefährlichkeit eines
Hundes nach § 2 Abs. 2 HundeVO zusätzliche Anforderungen, die sich weder aus
der vorgenannten Bestimmung selbst noch aus ihrem rechtlichen Kontext
herleiten lassen. § 2 Abs. 2 HundeVO stellt nach seinem eindeutigen Wortlaut
("Gefährlich sind auch die Hunde, die ...") bezüglich der Gefährlichkeit eines
Hundes allein auf die unter Nrn. 1 bis 3 der Bestimmung im einzelnen normierten
Tatbestandsmerkmale ab. Einer zusätzlichen Feststellung, dass aus dem in diesen
Vorschriften erfassten Verhalten eine besondere, nicht artgerechte Aggressivität
zu Tage treten muss, bedarf es danach nicht. Die Notwendigkeit einer solchen
Feststellung kann auch nicht etwa aus der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 HundeVO
hergeleitet werden. Diese Vorschrift enthält lediglich eine allgemeine Definition des
gefährlichen Hundes ("Gefährlich sind Hunde, die durch Zucht, Haltung,
Ausbildung oder Abrichtung eine über das natürliche Maß hinausgehende
Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder eine andere in ihren Wirkungen
vergleichbare, mensch- oder tiergefährdende Eigenschaft besitzen"). Erst durch
die nachfolgenden Regelungen wird festgelegt, unter welchen spezifischen
Voraussetzungen die in § 2 Abs. 1 Satz 1 HundeVO allgemein beschriebenen
Eigenschaften für die Gefährlichkeit eines Hundes anzunehmen sind. Durch die
Bestimmung des § 2 Abs. 2 HundeVO hat der Verordnungsgeber zu erkennen
gegeben, dass er diese Eigenschaften bei Erfüllung der hierin geregelten
Tatbestandsmerkmale ohne Weiteres als gegeben erachtet. Es ist deshalb nicht
zulässig, den Anwendungsbereich dieser speziellen Regelung durch Rückgriff auf
die allgemeine Begriffsdefinition nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HundeVO einzuschränken.
Die Forderung nach einer zusätzlichen Überprüfung, ob das Beißverhalten eines
Hundes Ausdruck einer übersteigerten Aggressionsbereitschaft ist, ist schließlich
auch mit Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 HundeVO nicht vereinbar. Die
Bestimmung soll sicherstellen, dass auf ein durch das Verhalten des Hundes nach
außen zu Tage getretenes Gefährdungspotential rasch durch entsprechende
Maßnahmen reagiert werden kann. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die
Behörde schon für die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes aufwändige
Ermittlungen hinsichtlich der Charaktereigenschaften des Hundes durchführen
müsste. Diese Ermittlungen hat der Verordnungsgeber bewusst dem
nachfolgenden Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis zum Halten des gefährlichen
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nachfolgenden Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis zum Halten des gefährlichen
Hundes vorbehalten.
Anders als das Verwaltungsgericht meint, ist die gesonderte Feststellung einer
besonderen, nicht artgerechten Aggressivität des Hundes im Rahmen von § 2 Abs.
2 HundeVO auch nicht mit Rücksicht auf die Abgrenzung zu einer Beißerei in Folge
einer zwischen Hunden üblichen Auseinandersetzung notwendig. Durch das
Erfordernis, dass der Hund ohne einen auf ihn selbst ausgeübten Angriff gebissen
haben muss, hat der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative
HundeVO bereits Situationen berücksichtigt, in denen sich ein Hund durch Beißen
gegen den Angriff eines anderen Hundes zur Wehr setzt. Auch in der zweiten
Alternative des § 2 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO konzediert der Verordnungsgeber, dass
es Raufereien zwischen Hunden als Ausdruck artgerechten Verhaltens geben
kann. Hier wird ein Beißen nämlich nur dann als Ausgangspunkt für die
Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes genommen, wenn dieser bei einer
Auseinandersetzung mit einem anderen Hund seine Aggression trotz artüblicher
Unterwerfungsgestik des anderen Hundes nicht beendet.
Soweit sich das Verwaltungsgericht nachfolgend mit der Frage auseinandersetzt,
ob der Hund des Zeugen S. bei dem Angriff eine artübliche Unterwerfungsgestik
gegenüber dem Hund der Klägerin gezeigt habe, beziehen sich diese
Ausführungen auf die zweite Alternative des § 2 Abs. 2 Nr. 2 HundeVO. Auf das
Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt es aus derzeitiger Sicht nicht
entscheidend an, da aus den dargelegten Gründen bereits die Voraussetzungen
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative HundeVO erfüllt sind.
Die Entscheidung über die Kostentragung im Zulassungsverfahren bleibt der
Kostenentscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.
Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es
der Einlegung einer Berufung bedarf (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof,
Brüder-Grimm-Platz 1 - 3, 34117 Kassel, einzureichen. Die Begründungsfrist kann
auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats
verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten
sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung unzulässig.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.