Urteil des HessVGH vom 15.02.1990

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, bundesamt, beschwerdefrist, ausreise, beschwerdeinstanz, beschwerdeschrift, vertretener, asylbewerber, anerkennung, rechtsschutzinteresse

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 427/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 2 AsylVfG, § 10
Abs 2 AsylVfG, § 80 Abs 1
VwGO, § 187 Abs 3 VwGO,
§ 10 Abs 3 AsylVfG
(Feststellung der Unbeachtlichkeit des Folgeantrags durch
Ausländerbehörde - Keine erneute Abschiebungsandrohung
- Suspensiveffekt des Widerspruchs)
Gründe
Der Senat entscheidet über die Beschwerde, ohne dem Antragsteller nochmals
unter Fristsetzung Gelegenheit zu geben, die in der Beschwerdeschrift
angekündigte, aber bisher nicht erfolgte Begründung des Rechtsmittels
nachzuholen. In dem seiner Natur nach äußerst eilbedürftigen vorläufigen
Rechtsschutzverfahren in Streitigkeiten nach dem AsylVfG ist es Sache des
jeweiligen Antragstellers, seine Rechtsbehelfe ohne Aufforderung und tunlichst
innerhalb der Fristen für die Einlegung der Rechtsbehelfe zu begründen. Ein
anwaltlich vertretener Asylbewerber kann bei derartigen Verfahren in der
Beschwerdeinstanz nicht damit rechnen, daß das Beschwerdegericht über den
Ablauf der Beschwerdefrist hinaus auf eine Beschwerdebegründung wartet oder
ausdrücklich zu der angekündigten Beschwerdebegründung auffordert. Denn zum
einen ist eine Begründung der Beschwerde -- anders beispielsweise bei
Beschwerden nach § 32 Abs. 4 AsylVfG -- hier keine Zulässigkeitsvoraussetzung,
zum anderen hat die Eilbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens
selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Mitwirkungsobliegenheiten des
Antragstellers.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist -- abgesehen von der sich aus
dem Beschlußtenor ergebenden Einschränkung -- unbegründet. Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs zu Recht abgelehnt, jedoch ist der Antrag nicht unbegründet,
sondern wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Dem Widerspruch
des Antragstellers vom 31. Oktober 1989 gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 11. Oktober 1989 kommt entgegen der Auffassung des
Antragsgegners nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, so daß der
Antragsteller mit seinem den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Antrag
etwas erstrebt, was er bereits kraft Gesetzes hat.
Zwar hat der Antragsgegner in der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen
Bescheides zu Recht ausgeführt, daß gegen diesen der Widerspruch statthaft ist.
Jedoch hat er zuvor zu Unrecht darauf hingewiesen, daß diesem Widerspruch nach
§ 187 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 12 HessAGVwGO keine aufschiebende Wirkung
zukomme. Denn es handelt sich bei keiner der im Bescheid enthaltenen
Regelungen um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung, wie sie nach § 12
HessAGVwGO für den Wegfall der aufschiebenden Wirkung vorausgesetzt wird. Der
Antragsgegner hat in dem Bescheid vom 11. Oktober 1989 vielmehr lediglich
festgestellt, daß der Folgeantrag vom 5. Oktober 1988 unbeachtlich ist und der
Antragsteller zur Ausreise verpflichtet ist; ferner hat er ihm Gelegenheit zum
freiwilligen Verlassen des Bundesgebiets innerhalb von 14 Tagen eingeräumt. Er
hat in den Gründen des angefochtenen Bescheides weiterhin ausgeführt, daß der
Folgeantrag vom 5. Oktober 1988 nicht an das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge mangels Beachtlichkeit weitergeleitet wird. All dies sind
keine Maßnahmen, die Vollstreckungscharakter haben.
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Die das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an seinem Antrag nach § 80
Abs. 5 VwGO beseitigende aufschiebende Wirkung des Widerspruchs erfaßt den
Bescheid des Antragsgegners auch soweit, als er die Unbeachtlichkeit des
streitigen Folgeantrags feststellt und die Weiterleitung des letzteren an das
Bundesamt ablehnt. Dem steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG nicht entgegen. Der
Widerspruch wird nicht etwa durch § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ausgeschlossen. Die
Ablehnung der Weiterleitung eines Asylantrags ist gerade nicht eine Entscheidung
nach § 10 Abs. 2 AsylVfG, nämlich die Androhung einer Abschiebung unter
Fristsetzung, auf welche sich die Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG allein
beschränkt. Eine solche war hier nach § 14 Abs. 2 AsylVfG auch nicht erforderlich.
Diese Auslegung entspricht der richtigen Auffassung, daß § 10 Abs. 3 Satz 1
AsylVfG eine Ausnahme von der generellen Regelung nach § 68 VwGO darstellt
und daher eng auszulegen ist (vgl. Beschluß d. erk. Senats vom 22. Juli 1988 -- 10
TH 2746/88 --; ebenso zumindest im Ergebnis Marx/Strate/Pfaff, AsylVfG, 2. Aufl., §
14 Rz. 68 ff.). Die im Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, Stand:
Januar 1990 (§ 10 Rz. 95, 146 ff.), vertretene gegenteilige Auffassung vermag nicht
zu überzeugen. Abgesehen von den oben aufgezeigten grundsätzlichen
Erwägungen zu dem Regel-Ausnahmeverhältnis kann zur Begründung der
entsprechenden Anwendung von § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG mit der Folge eines
Widerspruchsausschlusses nicht angeführt werden, es bestehe kein
anerkennenswerter Grund, den "Folge-Folge-Antragsteller" wegen Nichtanwendung
von § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG besserzustellen, als den nach § 10 Abs. 2 AsylVfG
behandelten asylsuchenden Ausländer. Eine solche Besserstellung ist dem Gesetz
nicht zu entnehmen. Die Ausländerbehörde muß zwar im Fall des § 14 Abs. 2
AsylVfG die Beachtlichkeit des erneuten Folgeantrags überprüfen, kann aber bei
Feststellung der Unbeachtlichkeit ohne weiteres zu Abschiebemaßnahmen
übergehen. Das ist der Sinn des § 14 Abs. 2 AsylVfG. Der Ausländerbehörde steht
somit ein noch einfacherer Weg zur Verfügung als der nach § 10 Abs. 2 i.V.m. § 10
Abs. 3 AsylVfG. Ob und inwieweit ein Betroffener dann gegen zu befürchtende
Abschiebemaßnahmen Rechtsschutz nach § 123 VwGO erlangen kann, ist hier
nicht zu prüfen.
Die Beschwerde hat lediglich hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen
Verfahrens Erfolg. Diese Kosten sind gemäß § 155 Abs. 5 VwGO dem
Antragsgegner aufzuerlegen. Denn dieser hat durch seinen Hinweis in dem
Bescheid vom 11. Oktober 1988, der Widerspruch habe nach § 187 Abs. 3 VwGO
i.V.m. § 12 HessAGVwGO keine aufschiebende Wirkung, den Antragsteller
veranlaßt, den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs zu stellen. Das gilt entsprechend für die Kosten des
Beschwerdeverfahrens, zumal sich in dem angefochtenen erstinstanzlichen
Beschluß kein Hinweis auf die oben festgestellte Rechtslage findet, der
Antragsteller also von der Zulässigkeit seines Rechtsbehelfs weiterhin ausgehen
durfte.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.