Urteil des HessVGH vom 26.06.1992

VGH Kassel: ausbildung, energie, universität, flucht, anerkennung, hessen, fachhochschule, heimatstaat, altersgrenze, quelle

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 TG 332/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 3 BAföG, § 10 Abs
3 S 2 Nr 3 BAföG
(Ausbildungsförderung: Förderung einer anderen
Ausbildung nach Abbruch der früheren Ausbildung aus
wichtigem Grund)
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146, 147 VwGO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Dem von dem Antragsteller geltend gemachten Anspruch auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung ist für die Zeit ab Eingang des Antrags bei Gericht am 06.
Dezember 1989 zu entsprechen. Er hat einen Anordnungsgrund und einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2
ZPO). Zur Durchführung des von ihm betriebenen Studiums ist er dringend auf
Förderungsleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz angewiesen.
Nach dem von ihm glaubhaft gemachten Sachverhalt steht ihm ein solcher
Anspruch auch zu.
Dem Anspruch des Antragstellers auf Ausbildungsförderung steht nicht entgegen,
daß er bei Beginn seines Studiums in der Fachrichtung Ingenieurinformatik zum
Sommersemester 1989 bereits 31 Jahre alt war, denn er war aus persönlichen
Gründen gehindert, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig vor Vollendung des 30.
Lebensjahres zu beginnen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist ein Förderungsbewerber an der rechtzeitigen
Aufnahme der Ausbildung gehindert gewesen, wenn er aus von ihm nicht zu
vertretenden, in seinen persönlichen Lebensverhältnissen liegenden Gründen eine
objektiv gegebene Chance, eine seiner Neigung und Eignung entsprechende
Ausbildung zu beginnen, bis zum Erreichen der Altersgrenze nicht wahrnehmen
konnte (vgl. u. a. BVerwG, Beschluß vom 08. März 1989 - 5 B 17.89 -, Buchholz
436.36 § 10 BAföG Nr. 15 und Urteil vom 10. Oktober 1985 - 5 C 14.83 - Buchholz
436.36 § 10 BAföG Nr.10). Dabei können auch solche Gründe persönliche
Hinderungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG sein, die den
Auszubildenden aufgrund seiner politisch-oppositionellen Haltung in seinem
Heimatstaat gehindert haben, den Ausbildungsabschnitt, für den er
Ausbildungsförderung begehrt, rechtzeitig, das heißt vor Vollendung des 30.
Lebensjahres, zu beginnen. So war es hier.
Der am 01. August 1957 im Iran geborene Antragsteller mußte das von ihm im
September 1976 an der Universität T begonnene Studium der Atom-Energie-
Technik während eines Praktikums im Sommer 1980 abbrechen, weil er wegen
seiner politisch-oppositionellen Haltung verfolgt wurde und deshalb "untertauchen"
mußte. Dennoch wurde er 1981 verhaftet, wobei ihm nach einer neunmonatigen
Haftzeit die Flucht gelang und er wiederum ohne Papiere und ohne die Möglichkeit,
sein Studium fortsetzen zu können, im Untergrund lebte. Im Herbst 1985 gelang
ihm die Flucht über die Türkei nach Deutschland. Mit Beschluß des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Z vom 25. Juli 1986 wurde er als
Asylberechtigter anerkannt und erhielt im Dezember 1986 einen entsprechenden
Reisepaß. Erst nach Anerkennung seiner Asylberechtigung konnte er im
September 1986 die Euro-Sprachschule und ab 01. Februar 1987 auf
Veranlassung der Otto-Benecke-Stiftung Intensivsprachkurse bei der Gesellschaft
zur Förderung berufsspezifischer Ausbildung e. V. besuchen. Unter dem 08. Juli
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zur Förderung berufsspezifischer Ausbildung e. V. besuchen. Unter dem 08. Juli
1987 erkannte das Studienkolleg für ausländische Studierende in G das iranische
Reifezeugnis (Abt. Mathematik) des Antragstellers vom Juni 1976 als gleichwertig
für ein Studium an Fachhochschulen im Land Hessen für im einzelnen aufgeführte
Studiengänge an, wobei dieser Bewertungsbescheid allein noch nicht den Zugang
zum Studium eröffnete. Der Antragsteller mußte vielmehr zunächst noch das
Studienkolleg in G von Oktober 1987 bis Januar 1989 besuchen und eine
erfolgreiche Feststellungsprüfung ablegen. Erst danach konnte er das Studium im
Studiengang Ingenieurinformatik an der Fachhochschule F aufnehmen.
Der vorstehend dargestellte Sachverhalt belegt, daß der Antragsteller aus
persönlichen Gründen gehindert war, vor Vollendung seines 30. Lebensjahres das
Studium der Ingenieurinformatik aufzunehmen.
Der Gewährung von Ausbildungsförderung steht nicht entgegen, daß der
Antragsteller von 1976 bis 1980 mit dem Studium der Atom-Energie-Technik in T
eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung begonnen hatte.
Diese Ausbildung mußte er aus einem wichtigen Grund im Sinne des § 7 Abs. 3
BAföG abbrechen. In T konnte er wegen seiner politisch-oppositionellen Haltung
seit dem Sommer 1980 nicht weiterstudieren. In Deutschland hatte er nicht die
Möglichkeit, das Studium der Atom-Energie-Technik an einer Universität
fortzusetzen, da der Bewertungsbescheid vom 08. Juli 1987 nur zu einem Studium
an einer Hessischen Fachhochschule berechtigte. Nachdem der Antragsteller aber
aus einem wichtigen Grund sein Studium der Atom-Energie-Technik abgebrochen
hat, steht das frühere Studium der Gewährung von Ausbildungsförderung für eine
andere Ausbildung gemäß § 7 Abs. 3 BAföG und damit auch der Bewilligung von
Förderungsleistungen im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 3
Satz 2 Nr. 3 BAföG nicht entgegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.