Urteil des HessVGH vom 12.12.1991

VGH Kassel: tötung von tieren, feststellungsklage, universität, grundrecht, konkretes rechtsverhältnis, praktikum, hochschule, leistungsklage, gewissensfreiheit, immatrikulation

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 UE 522/91
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 4 Abs 1 GG, Art 5 Abs 3
GG, Art 12 Abs 1 S 1 GG,
Art 19 Abs 4 GG, § 43 Abs
1 VwGO
(Vorbeugende Feststellungsklage betreffend Anspruch auf
Teilnahme an tierversuchsfreien bzw tierverbrauchsfreiem
Physiologiepraktikum)
Tatbestand
Die Klägerin verlangt, daß die Beklagte ihr die Möglichkeit einräumt, im
vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin an einem Physiologiepraktikum
teilzunehmen, ohne daß sie, die Klägerin, an Tierversuchen bzw. Versuchen mit
Organpräparaten von für diesen Zweck zuvor getöteten Tieren beteiligt sein muß
und ihr stattdessen die Teilnahme an anderen geeigneten Übungen oder
Versuchen angeboten wird.
Die Klägerin war vom Sommersemester 1986 bis zum Wintersemester 1987/88 bei
der Beklagten immatrikuliert und studierte Humanmedizin. Im Wintersemester
1987/88, dem vierten Fachsemester bei der Beklagten, weigerte die Klägerin sich,
an einem Physiologiepraktikum teilzunehmen, in dem an zuvor für die
Experimente getöteten Fröschen experimentiert wurde. Den Praktikumsschein
erhielt sie daraufhin nicht. Die Klägerin ist derzeit nicht bei der Beklagten, sondern
an der Universität W /, einer staatlich anerkannten Hochschule in freier
Trägerschaft, in W immatrikuliert und studiert dort im. Fachsemester Medizin. Sie
hat im Sommersemester 1991 in Witten ca. die Hälfte des Physiologiepraktikums
absolviert. Der Besuch der restlichen Praktikumsteile steht noch aus. Das
Physiologiepraktikum in W / wird ohne Tierversuche bzw. Versuche an Präparaten
zuvor getöteter Tiere durchgeführt.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 18. Mai 1988 beantragte die Klägerin
bei dem Leiter des Klinikums der Beklagten die Freistellung von der Teilnahme an
Tierversuchen und an Organpräparationen hierzu getöteter Tiere. Eine im Juni 1988
erhobene Feststellungsklage nahm sie jedoch zurück, nachdem der
Berichterstatter des Verwaltungsgerichts auf die Subsidiarität der
Feststellungsklage und auf Bedenken hinsichtlich der materiellen Erfolgsaussichten
hingewiesen hatte. Mit Schreiben vom 26. Januar 1989 teilte das
Studentensekretariat, das Teil der Verwaltungsorganisation des Präsidenten der
Beklagten ist, der Klägerin mit, die Beklagte sei bereit, die Klägerin wieder im
Studiengang Humanmedizin einzuschreiben, wenn ihrer Klage beim
Verwaltungsgericht Frankfurt am Main stattgegeben werde und sie die
Einschreibung innerhalb eines halben Jahres nach Bekanntgabe der Entscheidung
beantrage.
Am 28. März 1989 hat die Klägerin gegen den Geschäftsführenden Direktor des
Klinikums der Beklagten - den ehemaligen Beklagten zu 1) - Verpflichtungsklage
erhoben und diese Klage am 28. November 1989 um einen Feststellungsantrag
gegen die beklagte Universität - die ehemalige Beklagte zu 2) - sowie den
Fachbereich Humanmedizin - den ehemaligen Beklagten zu 3) - ergänzt. Sie hat
vorgetragen, sie könne aus Gewissensgründen nicht an den ihr auferlegten
Tierversuchen bzw. an der Behandlung von Organpräparaten hierfür getöteter
Tiere teilnehmen. Solche Versuche seien zur Erreichung des Lernzwecks nicht
erforderlich. Sie würden daher auch an einigen Universitäten nicht mehr
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erforderlich. Sie würden daher auch an einigen Universitäten nicht mehr
durchgeführt. Darüberhinaus verstießen sie gegen die §§ 1, 10 Abs. 1 und 17 Nr. 1
des Tierschutzgesetzes - TierSchG -.
Die Klägerin hat hinsichtlich der beklagten Universität beantragt,
gerichtlich festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die
erfolgreiche Teilnahme am Physiologiepraktikum zum Studium der Humanmedizin
derart zu ermöglichen, daß sie an Tierversuchen bzw. Versuchen an
Organpräparaten an für diesen Zweck zuvor getöteten Tieren nicht teilnehmen
muß und ihr stattdessen andere geeignete Übungen oder Versuche ohne
vorherige innerhalb des Praktikums erfolgte Tiertötung angeboten werden.
Hinsichtlich der übrigen Beklagten hat sie ähnliche Anträge gestellt.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 1) hat vorgetragen, eine Verletzung der Rechte der Klägerin
erscheine deshalb nicht möglich, weil sie, die Klägerin, nicht mehr Studentin der
Universität F sei. Auch könne ein Hochschullehrer bezüglich der inhaltlichen oder
methodischen Ausgestaltung seiner Lehrveranstaltungen nicht angewiesen
werden. Die Einschätzung, ob ein Versuch zur praktischen Ausbildung geeignet sei
und ob hierzu die Tötung von Tieren didaktisch sinnvoll oder unerläßlich sei,
unterliege dem wissenschaftlich-pädagogischen Beurteilungsspielraum des
Lehrveranstaltungsleiters. Er, der Beklagte zu 1), halte die Versuche unter
Verwendung von Organpräparaten für unerläßlich. Filmische Darstellungen oder
Computer-Simulationen könnten diese Erfahrungen, die der Arzt später im
Umgang mit kranken Menschen benötige, nicht vermitteln. Damit werde der
Klägerin nicht die Möglichkeit genommen, ihr Berufsziel zu erreichen; nach ihrem
eigenen Vortrag seien die entsprechenden Lehrveranstaltungen an anderen
Universitäten anders ausgestaltet, so daß sie das Praktikum dort absolvieren
könne. Auch bestehe die Möglichkeit, das Praktikum mit Einverständnis des
Prüfungsamtes und der beteiligten Universitäten anderenorts als Gasthörerin zu
belegen und sich den Schein über die erfolgreiche Teilnahme bei der beklagten
Universität anerkennen zu lassen.
Die Beklagten zu 2) und 3) haben vorgetragen, sie könnten den Hochschullehrer
nicht zu bestimmter inhaltlicher und methodischer Gestaltung seiner
Lehrveranstaltungen zwingen.
Mit Urteil vom 24. Oktober 1990 hat das Verwaltungsgericht dem gegen die
beklagte -Universität gerichteten Feststellungsantrag stattgegeben und die Klage
gegen die anderen Beklagten abgewiesen. Zur Begründung hat das
Verwaltungsgericht im wesentlichen ausgeführt, die Feststellungsklage sei zulässig
und begründet. Da die Klägerin ihr unterbrochenes Studium in F fortsetzen wolle
und die Beklagte ihre Bereitschaft erklärt habe, die Klägerin bei erfolgreichem
Ausgang des Verfahrens wieder zu immatrikulieren, liege ein hinreichend
konkretisiertes Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 VwGO vor. Die aus einer
Immatrikulation resultierenden Mitgliedschaftsrechte der Klägerin seien daher zu
unterstellen. Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO greife nicht, da
die Klägerin mangels Immatrikulation bei der Beklagten ihre Rechte nicht durch
Leistungsklage verfolgen könne. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen
Anspruch auf Ermöglichung eines tierversuchsfreien Physiologiepraktikums, da
sich das ihr zustehende Grundrecht der Gewissensfreiheit im Sinne des Art. 4 Abs.
1 Grundgesetz - GG - über Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sowie Art. 12 Abs. 1 Satz
1 GG zu einem entsprechenden Anspruch gegen die Beklagte verdichte. Den
Anforderungen, die die Ärztliche Approbationsordnung an praktische Übungen
stelle, könne entsprechend der Antragstellung genügt werden, was sich auch
daran zeige, daß an anderen Universitäten tierversuchsfreie Physiologiepraktika
angeboten würden. Die Klägerin habe eine Gewissensentscheidung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 GG dargetan. Wie ein tierversuchsfreies Physiologiepraktikum
auszugestalten sei, bleibe der Beklagten überlassen. Sie könne von ihren
Lehrkräften die Durchführung eines solchen Praktikums verlangen, denn das
Grundrecht der Lehrfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sei gegenüber den
Grundrechten der Klägerin (Art. 1, 4 und 12 GG) nachrangig.
Gegen das am 6. Dezember 1990 zugestellte Urteil hat die beklagte Universität
am 4. Januar 1991 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Verwaltungsgericht
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am 4. Januar 1991 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Verwaltungsgericht
sei offenbar von einer vorbeugenden Feststellungsklage ausgegangen, die jedoch
unzulässig sei. Nachdem die Klägerin bei der Beklagten nicht mehr immatrikuliert
sei, bestehe zwischen den Parteien keine andere Rechtsbeziehung als zwischen
der Klägerin und jeder anderen Universität. Die bloße Absicht der Klägerin, erneut
Studentin bei der Beklagten zu werden, schaffe eine derartige Rechtsbeziehung
ebensowenig wie der Umstand, daß die Klägerin früher Studentin bei der Beklagten
gewesen sei. Die Unzulässigkeit der Feststellungsklage folge auch aus § 43 Abs. 2
Satz 1 VwGO, denn es wäre der Klägerin im Jahre 1988 möglich gewesen, durch
Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage ihr Begehren zu verfolgen. Die Klage
sei darüber hinaus unbegründet. Die Klägerin habe eine Gewissensentscheidung
nicht dargetan. Die Beklagte sei auch nicht in der Lage, die in dem angefochtenen
Urteil festgestellte Verpflichtung zu erfüllen. Die Entscheidung über die inhaltliche
Ausgestaltung des Physiologiepraktikums obliege dem jeweiligen Hochschullehrer.
Die Hochschule könne nur insoweit verpflichtet werden, als auch der einzelne
Hochschullehrer durch die Universität oder das Gericht verpflichtet werden könnte.
Bei der dem Hochschullehrer obliegenden Entscheidung sei jedoch nur zu prüfen,
ob er die grundrechtlichen Leitlinien beachtet und das kollidierende Grundrecht
des Studenten entsprechend gewürdigt habe. Seine Entscheidung halte einer
wissenschaftlichen Überprüfung schon dann stand, wenn sie sich als vertretbar
erweise. Eine Beweiserhebung könne nicht darauf gerichtet sein, ob die Auffassung
des Hochschullehrers zutreffend sei oder nicht, sondern lediglich darauf, daß sie
vernünftigerweise vertreten werden könne. Das Verwaltungsgericht habe sich mit
seinem begrenzten medizinischen Erfahrungswissen nicht ohne Beweiserhebung
über die in der mündlichen Verhandlung von dem damaligen Beklagten zu 1)
gemachten entgegenstehenden Darlegungen hinwegsetzen dürfen. Die
Hochschullehrer des Fachbereichs Humanmedizin der Beklagten seien zu Recht
nicht bereit, abweichend von ihrer wissenschaftlichen Überzeugung auf die
gebotene praktische Erfahrung aus Tierversuchen oder Versuchen an
Tierpräparaten zu verzichten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 1990
abzuändern und die Klage gegen die beklagte -Universität F abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß festgestellt werde, daß die
Beklagte verpflichtet war, der Klägerin ein Physiologiepraktikum ohne
Organpräparate bzw. Tierversuche zu ermöglichen.
Sie trägt vor, es würde die verfassungsrechtliche Garantie des Rechtsschutzes
nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, wenn man ihr die Klagemöglichkeit gegenüber
der Beklagten versagte. Ein konkretes Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1
VwGO liege vor.
Die Exmatrikulation sei nur vorübergehender Natur. Auch § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO
stehe der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Andernfalls wäre sie,
die Klägerin, gezwungen gewesen, ihre Immatrikulation bei der Beklagten auf Jahre
hinaus fortbestehen zu lassen, obwohl dies eine sinnvolle zeitliche Überbrückung
vereitelt hätte. Dies entspreche nicht dem Sinn des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der
vermeiden wolle, daß die Regeln des Vorverfahrens (Fristen u. a.) umgangen
würden. Davon könne hier keine Rede sein. Das Urteil des Verwaltungsgerichts sei
auch in der Sache überzeugend. Nicht dem Hochschullehrer stehe die
Entscheidung darüber zu, ob Tierversuche verzichtbar seien. Andernfalls hätte er
über die Grundrechte der Studenten und den gesetzlichen Schutz der Tiere zu
entscheiden. Es gebe auch genügend wissenschaftliche Nachweise, die das
Klagebegehren stützten. Die Frage, ob das Leben von Tieren gegenüber
menschlichem Leben prinzipiell gleichwertig sei, stelle sich nicht, da der Zweck des
Praktikums auch ohne Tiertötungen erreicht werden könne. Die Klägerin darauf zu
verweisen, an einer anderen Universität zu studieren, an der keine Tierversuche
durchgeführt würden, stelle eine Aushöhlung des Rechts der freien Berufswahl dar.
Dieses Recht umfasse auch das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte.
Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Antrag auf Erlaß einer
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Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung gestellt; sie hat erreichen wollen, daß sie bei der
Antragsgegnerin an einem Physiologiepraktikum teilnehmen kann, das für die
Teilgebiete Nervenphysiologie und Muskelphysiologie sowie zum Thema Herz ohne
die Tötung von Fröschen und sonstigen Tieren sowie ohne Versuche an
Organpräparaten auskommt. Der Senat hat den Antrag mit Beschluß vom 28. Juni
1991 - 6 Q 1178/91 - abgelehnt.
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Heft), die Akten des durch
Klagerücknahme beendeten Verfahrens V/1 E 1665/88 VG Frankfurt am Main (ein
Heft) sowie ein Heft Gerichtsakten des einstweiligen Anordnungsverfahrens 6 Q
1178/91 Hess. VGH haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf diese Unterlagen sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist
jedoch unbegründet, denn das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu
Recht stattgegeben.
Die von der Klägerin im Verfahren erster Instanz hilfsweise gegen die Beklagte
erhobene Feststellungsklage, der das Verwaltungsgericht stattgegeben hat und
die sie im Berufungsverfahren mit ihrem Hauptantrag weiterverfolgt, ist gemäß §
43 VwGO zulässig. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage unter anderem die
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen
Feststellung hat. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt hier vor. Unter
Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO sind unter anderem die sich aus
einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts
ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person zu
verstehen (Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., 1989, Rdnr. 11 zu § 43;
Redeker/ von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Aufl., 1988, Rdnr. 3 zu § 43,
jeweils m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur). Dabei besteht Einigkeit
darüber, daß auch das Bestehen oder Nichtbestehen einzelner Berechtigungen
oder Verpflichtungen festgestellt werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 28.
Oktober 1970 - VI C 55.68 - BVerwGE 36, 218 ff., 225, und vom 15. März 1988 - 1 C
69/86 - DVBl. 1988, 738 f.; Kopp, a. a. O., Rdnr. 12 zu § 43 VwGO). Darunter fällt
die gegebenenfalls bestehende Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die
Teilnahme an einem Physiologiepraktikum zu ermöglichen, ohne daß sie an
Tierversuchen bzw. Versuchen an Präparaten von zuvor für das
Physiologiepraktikum getöteten Tieren teilnimmt.
Dieses streitige Rechtsverhältnis ist auch hinreichend konkretisiert. Es ist in der
Rechtsprechung geklärt, daß die streitige Rechtsposition sich zu einem
bestimmten, der verwaltungsgerichtlichen Feststellung zugänglichen
Rechtsverhältnis verdichtet haben muß, da § 43 VwGO nur die Feststellung des
Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, nicht aber die
Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage ermöglicht (BVerwG, Urteile vom 26.
Mai 1961 - VII C 7.61 - BVerwGE 12,261 f., 25. Mai 1962 - VII C 240.59 - BVerwGE
14, 202 f., 8. Juni 1962 - VII C 78.61 - BVerwGE 14, 235 f., 14. Mai 1963 - VII C 33.63
- BVerwGE 16, 92 f., 28. Oktober 1970 - VI C 55.68 - BVerwGE 36, 218 ff., 225, 7.
Mai 1987 - 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 ff., 211 = NVwZ 1988, 430; OVG Münster,
Urteil vom 26. Juni 1964 - V A 728/63 - OVGE 20, 116 ff., 119; Beschluß vom 30.
September 1966 - IV B 541/66 - OVGE 22, 284 ff., 290/291; Urteil vom 28. Oktober
1970 - III A 893/67 - OVGE 26, 96 ff. 102; Hess. VGH, Urteil vom 17. Dezember
1985 - 9 UE 2162/85 - NVwZ 1988, 445 f., jeweils m. w. N.).
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 25. Mai 1962 - VII C 240.59 - BVerGE
14, 202 f.) und ihm folgend das Oberverwaltungsgericht Münster (vgl. die oben
zitierten Entscheidungen) haben zunächst das Vorliegen eines hinreichend
konkretisierten Rechtsverhältnisses verneint, wenn es um einen Sachverhalt ging,
der erst in der Zukunft Rechtsbeziehungen hervorrufen konnte, bzw. wenn es um
ein künftiges Rechtsverhältnis ging.
In anderen, insbesondere auch neueren Entscheidungen hat das
Bundesverwaltungsgericht den Akzent jedoch anders gesetzt. Danach verdichtet
sich eine Rechtsposition oder ein allgemeiner Rechtszustand bereits dann zu
einem bestimmten Rechtsverhältnis, das der verwaltungsgerichtlichen Feststellung
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einem bestimmten Rechtsverhältnis, das der verwaltungsgerichtlichen Feststellung
zugänglich ist, wenn gegenüber der Verwaltung konkrete Rechte in Anspruch
genommen werden, das heißt wenn die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen
bestimmten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, Urteile vom 8.
Juni 1962 und 14. Mai 1963, a. a. O., und vom 13. Oktober 1971 - VII C 57.66 -
BVerwGE 38, 346 f., 30. Mai 1985 - 3 C 53.84 - BVerwGE 71, 318 f.; vgl. auch Hess.
VGH, Urteil vom 17. Dezember 1985, a. a. O.). Dieser Auffassung ist zu folgen. Sie
berücksichtigt, daß in vielen Fällen der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
nur dann hinreichend Rechnung getragen wird, wenn schon vor Eintritt der
Bedingung, von der das Entstehen des Rechtsverhältnisses abhängig ist, die
streitigen Rechtsfragen geklärt werden. Andererseits wird der Gefahr, daß lediglich
abstrakte Rechtsfragen beantwortet werden, dadurch begegnet, daß ein
bestimmter, bereits übersehbarer Sachverhalt Voraussetzung für die Zulässigkeit
der Feststellungsklage ist.
Aus der Anwendung dieser Grundsätze folgt, daß ein hinreichend konkretisiertes
Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO vorliegt. Es geht der Klägerin
nicht nur um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage. Vielmehr macht sie geltend
und hat auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt, sie werde
sich - entsprechend der ihr erteilten Bescheinigung - bei der Beklagten wieder
immatrikulieren, wenn sie im vorliegenden Rechtsstreit obsiegen sollte. Zu
berücksichtigen ist dabei, daß die Klägerin mehrere Semester bei der Beklagten
im Studienfach Medizin immatrikuliert war und daß sie nach wie vor - wenn auch an
einer anderen Hochschule - Medizin studiert. Somit ist die Anwendung
hochschulrechtlicher Rechtsnormen im Hinblick auf einen bestimmten, bereits
übersehbaren Sachverhalt streitig. Wegen der genannten konkretisierenden und
individualisierenden Momente handelt es sich auch nicht um eine Popularklage, die
in der Tat nach § 43 VwGO nicht zulässig wäre.
Das von § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der baldigen
Feststellung (Feststellungsinteresse) hat die Klägerin ebenfalls. Da sie derzeit nicht
bei der Beklagten immatrikuliert ist, sich aber im Falle eines Obsiegens wieder bei
der Beklagten immatrikulieren will, geht es darum, ob die Klägerin ein vernünftiges
Interesse an der von ihr begehrten vorbeugenden Feststellung hat. Dabei steht
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, die
grundsätzliche Zulässigkeit eines derart vorbeugenden Rechtsschutzes außer
Frage; die Besonderheit besteht ausschließlich darin, daß ein entsprechend
qualifiziertes, nämlich auf die Inanspruchnahme gerade vorbeugenden
Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse vorausgesetzt wird. Für einen
vorbeugenden Rechtsschutz ist demnach kein Raum, wenn und soweit der
Betroffene im konkreten Fall zumutbarerweise auf den von der VwGO als
grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen
Rechtsschutz verwiesen werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Januar 1967 -
III C 58.65 - BVerwGE 26, 23 ff., 24/25, 8. September 1972 - IV C 17.71 - BVerwGE
40, 323 ff., 326/327, 29. Juli 1977 - IV C 51.75 - BVerwGE 54, 211 ff., 215/216, 31.
Januar 1975 - IV C 46.72 - BayVBl. 1976, 27, 26. Juni 1981 - 4 C 5.78 - DVBl. 1981,
936 ff., 939, 3. Juni 1983 - 8 C 43/81 - NVwZ 1984, 168 f.). Ein derart qualifiziertes
Rechtsschutzinteresse ist hier gegeben, denn es kann der Klägerin nicht
zugemutet werden, ohne Absolvierung der Ärztlichen Vorprüfung bei der Beklagten
immatrikuliert zu bleiben und gegebenenfalls mehrere Jahre auf den
rechtskräftigen Ausgang ihres Klageverfahrens zu warten.
Auch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG rechtfertigt es, hier davon
auszugehen, daß das Feststellungsinteresse vorliegt, denn die Klägerin könnte den
geltend gemachten Anspruch, wenn dieser bestehen sollte, gerichtlich kaum
durchsetzen, wenn sie ihn nicht im Wege der vorbeugenden Feststellungsklage
geltend machen könnte. Das einstweilige Anordnungsverfahren nach § 123 VwGO
bot hier keine ausreichenden Möglichkeiten, denn der Senat hat mit Beschluß vom
28. Juni 1991 - 6 Q 1178/91 - den Antrag der Klägerin auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung unter Hinweis auf ihre fehlende Immatrikulation bei der Beklagten
abgelehnt.
Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht die Subsidiaritätsklausel des § 43
Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Feststellung
nicht begehrt werden, soweit ein Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder
Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Das
Bundesverwaltungsgericht, dem sich der Senat auch insofern anschließt, hat in
ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die in § 43 Abs. 2 VwGO angeordnete
Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei gegen
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Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei gegen
den Staat gerichteten Klagen nur dort eingreife, wo ohne Beachtung dieser
Subsidiarität die für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden
Sonderregelungen unterlaufen würden (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 1970
- VI C 8.69 - BVerwGE 36, 179 ff., 181/182, 8. September 1972 - IV C 17.71 -
BVerwGE 40, 323 ff., 327/328, 2. Juli 1976 - VII C 71.75 - BVerwGE 51, 69 ff., 75, 7.
Mai 1987 - 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 ff., 211 = NVwZ 1988, 430 f. und 15. März
1988 - 1 C 69.86 - DVBl. 1988, 738 f.). Dies ist hier nicht der Fall, denn die
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sind nicht die einzigen in Betracht
kommenden Klagearten. Wollte oder müßte die Beklagte der Klägerin eine deren
Wünschen entsprechende Arbeitsmöglichkeit im Physiologiepraktikum einrichten,
so müßte dies nicht in der Handlungsform des Verwaltungsakts geschehen.
Vielmehr wäre es möglich, dem Begehren der Klägerin schlicht hoheitlich handelnd
zu entsprechen, so daß eine allgemeine Leistungsklage zulässig gewesen wäre, als
die Klägerin noch bei der Beklagten immatrikuliert war. Unter Berücksichtigung der
zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht der Zulässigkeit
der Feststellungsklage die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO
somit nicht entgegen.
Der Klägerin fehlt auch für die von ihr gegen die beklagte Johann Universität F
erhobene Feststellungsklage nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, obwohl
sie an ihrem derzeitigen Studienort W an einem "tierverbrauchsfreien
Physiologiepraktikum" teilnehmen kann und sogar im Sommersemester 1991 mit
dem Besuch eines derartigen Kurses begonnen hat. Sie hat dargelegt, sie wolle
nach wie vor das Physiologiepraktikum in F besuchen und ihr Studium dort
fortsetzen. Die medizinische Ausbildung in W entspreche nicht ihren Vorstellungen.
Außerdem habe sie persönliche Gründe dafür, wieder nach F zurückzukehren, die
Stadt, in deren Nähe sie wohnt. Ihrem Begehren wird demnach durch die
Praktikumsmöglichkeit in W nicht Rechnung getragen. Daß sie das Verfahren nur
fortführt, um die streitige Rechtsfrage zu Lasten der Beklagten klären zu lassen,
läßt sich nicht feststellen.
Die nach allem zulässige Feststellungsklage ist begründet, denn die Klägerin kann
im Falle ihrer Wiederimmatrikulation bei der Beklagten von dieser verlangen, daß
ihr die Teilnahme an einem Praktikum ermöglicht wird, in dem keine Versuche an
lebenden Tieren und keine Versuche an Präparaten von eigens zur Durchführung
des Praktikums getöteten Tieren vorgenommen werden. Das hat das
Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht festgestellt. Zur Frage eines
(umfassenden) Rechts auf Durchführung eines tierverbrauchsfreien
Physiologiepraktikums hat der Senat in seinem bereits angesprochenen Beschluß
vom 1. Oktober 1991 - 6 TG 2124/91 - folgendes ausgeführt:
"Wie sich bereits aus dem den Beteiligten bekannten Beschluß des Senats vom
12. Mai 1987 (- 6 TG 507/87 - AgrarR 1988, 239 = NuR 1988, 348 = WissR 21, 71
ff.) ergibt, kann die Frage, ob ein Student ein Recht auf Durchführung eines
tierverbrauchsfreien Physiologiepraktikums hat, nur unter Abwägung der durch die
Entscheidung tangierten Grundrechte und - wie ergänzt werden muß - sonstiger
Verfassungsgrundsätze, insbesondere unter Berücksichtigung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit beantwortet werden. Nur durch eine derartige Abwägung
kann im Einzelfall geklärt werden, ob der Rechtsposition des Studenten oder der
Rechtsposition der Hochschule bzw. des Hochschullehrers der Vorrang gebührt
(Hess. VGH, Beschluß vom 12. Mai 1987, a. a. O. mit weiteren Nachweisen; vgl.
auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. November 1983 - 9 S 959/82 -
ESVGH 34, 92 ff., 98 = NJW 1984, 1832 ff., 1834; Bay. VGH, Beschluß vom 18.
Oktober 1988 - 7 CE 88.2150 - NVwZ-RR 1989, 549 ff., 551 mit weiteren
Nachweisen).
Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, daß das Recht des für das Praktikum
verantwortlichen Hochschullehrers, über die inhaltliche und methodische
Gestaltung seiner Lehrveranstaltungen und damit über die Zweckmäßigkeit einer
Ausrichtung des Unterrichts am Lehrgegenstand, die Auswahl des
Lehrgegenstandes und seine Eignung als Mittel zur Verwirklichung des
Ausbildungsziels zu entscheiden, durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes -
GG - verfassungsrechtlich geschützt ist (vgl. den Senatsbeschluß vom 12. Mai
1987, a. a. O.; BVerwG, Beschluß vom 29. August 1990 - 7 NB 5.90 -).
Demgegenüber beruft sich der Antragsteller auf das Grundrecht der
Gewissensfreiheit. Zwar gewährt das Grundrecht der Gewissensfreiheit kein
Abwehrrecht gegen Tierversuche im Rahmen eines Praktikums der Physiologie,
denn ein Student ist rechtlich weder zum Studium der Medizin noch zur Teilnahme
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denn ein Student ist rechtlich weder zum Studium der Medizin noch zur Teilnahme
an der Übung verpflichtet; es fehlt insofern an einer Zwangslage, die nach Art. 4
Abs. 1 GG zur Gehorsamsverweigerung berechtigt. Das Grundrecht der
Gewissensfreiheit ist jedoch zugleich als wertentscheidende Grundsatznorm bei
jeder Art Staatstätigkeit und damit auch bei der Abhaltung von
Lehrveranstaltungen an staatlichen Hochschulen zu beachten. Schenkt ein
Hochschullehrer der Gewissensentscheidung eines Studenten nicht die
verfassungsrechtlich gebotene Beachtung und erschwert ihm dadurch die
Teilnahme an einer für den Zugang zum Beruf notwendigen Lehrveranstaltung, so
verletzt er den Studenten in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.
Daraus hat der Senat im Beschluß vom 12. Mai 1987 gefolgert, daß dem
Grundrecht des Studenten auf Berufsfreiheit nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit der Vorrang vor dem Grundrecht des Hochschullehrers auf
wissenschaftliche Lehrfreiheit gebühren dürfte, sofern auf Tierversuche in der
Übung verzichtet werden könne."
An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen,
daß es hier nicht um die Frage geht, ob die Klägerin ein (umfassendes) Recht auf
Durchführung eines tierverbrauchsfreien Physiologiepraktikums hat, denn dies hat
sie nicht beantragt und es ist ihr folgerichtig von dem Verwaltungsgericht auch
nicht eingeräumt worden. Vielmehr ist lediglich zu klären, ob sie beanspruchen
kann, an einem Praktikum teilnehmen zu können, in dem keine Versuche an
lebenden Tieren und keine Versuche an Präparaten von eigens zur Durchführung
des Praktikums getöteten Tieren vorgenommen werden. Wegen der insoweit
eingeschränkten Antragstellung hat der Senat nicht zu entscheiden, ob die
Klägerin die Verwendung von völlig tierverbrauchsfreien Lehrmethoden im
Physiologiepraktikum (Videodemonstrationen, Lehrfilmen, Selbstversuchen mit
elektronischen Geräten) verlangen kann.
Ein eventuelles Recht, das Physiologiepraktikum in der beantragten Weise
absolvieren zu können, setzt voraus, daß die Klägerin eine Gewissensentscheidung
im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG getroffen hat (vgl. den Senatsbeschluß vom 1.
Oktober 1991 - 6 TG 2124/91 -). Dies ist der Fall.
Eine Gewissensentscheidung ist jede ernste, sittliche, das heißt an den Kategorien
von "gut" und "böse" orientierte Entscheidung, die der einzelne in einer
bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich
erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte
(BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 1960 - 1 BvL 21/60 - BVerfGE 12, 45 ff.,
55, und vom 7. März 1968 - 2 BvR 354, 355, 524, 566, 567, 710/66 und 79, 171,
431/67 - BVerfGE 23, 191 ff., 205; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 1975 - VI C 62.73 -
BVerwGE 49, 71 f.; BAG, Urteil vom 20. Dezember 1984 - 2 AZR 436/83 - BAGE 47,
363 ff., 376).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat eine Entscheidung gegen
Versuche an lebenden Tieren und an zum Zweck der Durchführung des
Physiologiepraktikums getöteten Tieren getroffen. Diese Entscheidung ist auch an
"gut" und "böse" orientiert. Die Klägerin hat - insbesondere in der mündlichen
Verhandlung des Senats - mit ihren Worten zum Ausdruck gebracht, daß sie die
Tötung von Tieren zum Zweck der Durchführung eines Physiologiepraktikums für
"böse" und die Vermeidung dieser Tötung für "gut" hält. Sie hat nämlich
sinngemäß erklärt, daß sie das tierische Leben als ein dem menschlichen Leben
gleichwertiges Rechtsgut ansieht. Mit ihrer Lebensführung hat sie auch
klargemacht, daß sie diese Entscheidung als für sich bindend und unbedingt
verpflichtend erfährt, so daß sie gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot
handeln könnte. Die Klägerin ist Vegetarierin. Sie trägt keine Lederschuhe und
verwendet allenfalls tierische Produkte, die sie seit Jahren in Gebrauch und die sie
erworben hat, als ihre Entscheidung für den Schutz der Tiere noch nicht so
ausgeprägt war wie heute. Daß es sich um eine ernsthafte Entscheidung handelt,
hat die Klägerin schon dadurch verdeutlicht, daß sie es wegen der von ihr
getroffenen Gewissensentscheidung auf sich genommen hat, ihr Studium bei der
Beklagten zu unterbrechen und - da sie gezwungen war, in W das Medizinstudium
neu zu beginnen - den Start ihrer beruflichen Laufbahn um mehrere Jahre zu
verschieben mit allen nachteiligen Folgen wie Einkommensverlusten, verspäteten
Aufstiegschancen etc. Diese Gewissensentscheidung ist nach der oben näher
dargestellten Rechtsprechung des Senats bei der Abwägung des aus Art. 12 Abs.
1 Satz 1 GG folgenden Grundrechts der Klägerin mit dem in Art. 5 Abs. 3 GG
geregelten Recht des Praktikumsleiters auf Auswahl der Lehrmethoden zu
berücksichtigen.
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Hinsichtlich der Lehrfreiheit des Praktikumsleiters geht der Senat auch im
vorliegenden Berufungsverfahren davon aus, daß die Entscheidung darüber,
welche Lehrmethoden angewendet werden, grundsätzlich von dem für die
Durchführung der Lehrveranstaltung zuständigen Hochschullehrer im Rahmen des
ihm zustehenden wissenschaftlich-didaktischen Beurteilungsspielraums zu treffen
ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Entscheidung des Hochschullehrers jeder
gerichtlichen Kontrolle entzogen wäre. Vielmehr muß er sich bei seiner
Entscheidung im Rahmen der Rechtsordnung halten, was von den Gerichten zu
überprüfen ist. Andernfalls könnte der Hochschullehrer unter Berufung auf seinen
Beurteilungsspielraum gegen Grundrechte der ihm zur Lehre anvertrauten
Studenten verstoßen, ohne daß dies zu verhindern wäre. Daraus folgt, daß die
Gerichte berechtigt und verpflichtet sind zu überprüfen, ob der Hochschullehrer die
Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Stünde
fest, daß ein ausreichender Lernerfolg auch dann erzielt werden könnte, wenn in
den Praktika auf Tierversuche bzw. auf Versuche mit Präparaten von für das
Praktikum getöteten Tieren verzichtet würde, so läge unter Zugrundelegung der in
den Beschlüssen vom 12. Mai 1987 und vom 1. Oktober 1991 zum Ausdruck
gekommenen Auffassung des Senats eine Überschreitung des
Beurteilungsspielraums in Bezug auf Studenten vor, die derartige Versuche aus
Gewissensgründen ablehnen, wenn auch sie an den genannten Versuchen im
Praktikum Physiologie teilnehmen müßten. Der Leiter der Lehrveranstaltung und
damit die von ihm repräsentierte Hochschule würden insoweit gegen Art. 12 Abs. 1
Satz 1 GG verstoßen, als sie eine verbindliche Gewissensentscheidung des
Studenten, an den genannten Versuchen nicht teilnehmen zu können,
mißachteten.
Nach allem kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits darauf
an, ob im Praktikum der Physiologie auf Tierversuche bzw. auf Versuche mit
Präparaten von zum Zweck der Durchführung des Physiologiepraktikums
getöteten Tieren verzichtet werden kann. Diese Frage ist zu bejahen, ohne daß es
insofern einer Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten
bedarf. Dem im vorliegenden Verfahren von der Klägerin verfolgten Begehren
entspricht es bereits, wenn Versuche an Präparaten von Tieren, die zu anderen
Zwecken als zum Zweck der Durchführung des Physiologiepraktikums getötet
wurden, vorgenommen werden. Daß es möglich ist, derartige Tierpräparate zur
Verfügung zu stellen, ergibt sich daraus, daß die Beklagte der Klägerin ein
entsprechendes Angebot gemacht hat. Mit einem an den Bevollmächtigten der
Klägerin gerichteten Schreiben vom 17. Oktober 1990 hat die Beklagte ausgeführt,
am Max-Planck- Institut für Biophysik würden ebenfalls Zuchtfrösche der
afrikanischen Art Xenopus für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt. Dort werde
experimentell an Eiern dieser Tiere gearbeitet, wobei die Eierstöcke weiblicher Tiere
verwendet würden. Bei vorausplanender Verabredung ließe sich gewährleisten, daß
die Klägerin die entsprechenden Experimente des physiologischen Praktikums an
Organpräparaten durchführe, die von Tieren stammten, die nicht eigens für
Unterrichtszwecke getötet worden seien, sondern zur Gewinnung von Eierstöcken.
Aufgrund dieses Schreibens ist davon auszugehen, daß sich ein ausreichender
Lernerfolg auch mit Präparaten von Tieren durchführen läßt, die nicht für das
Physiologiepraktikum, sondern zu anderen Zwecken getötet wurden.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.