Urteil des HessVGH vom 24.09.2008
VGH Kassel: sachliche zuständigkeit, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, materielle rechtskraft, vollzug, vollziehung, hessen, tierschutzgesetz, ausführung, form, rechtsschutz
1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 B 593/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2008 – 3 G 2123/07 – mit
Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben. Der Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die
Anordnung des Landrats des Kreises Offenbach vom 18. Dezember 2007 – 19c
20/21/2063/07 – wird abgelehnt.
Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten hat die Antragstellerin zu
tragen.
Der Streitwert wird auch für die zweite Instanz auf 2.500,-- Euro
festgesetzt.
Gründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gestellte und begründete
Beschwerde hat Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht stattgegeben. Die angegriffene Anordnung
des Landrats des Kreises Offenbach erweist sich bei summarischer Prüfung als
offensichtlich rechtmäßig; die Begründung der Anordnung ihres Sofortvollzugs ist
hinreichend und überzeugend (§§ 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, 146 Abs. 4, 147 Abs.
1 VwGO).
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsgegner seine
sachliche Zuständigkeit für die getroffene Anordnung zu Recht aus § 1 Abs. 1 des
Gesetzes zum Vollzug von Aufgaben auf den Gebieten des Veterinärwesens, der
Lebensmittelüberwachung und des Verbraucherschutzes vom 21. März 2005
(GVBl. I S. 229 ff., 232) und aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung über die
Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Tierschutzrechts vom 24. Mai 2007 (GVBl. I S.
307) hergeleitet; zu berichtigen ist lediglich, dass der auf Seite 4 der
angefochtenen Anordnung im zweiten Absatz zitierte § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom
21 März 2005 keine "Nr. 4" enthält.
Soweit das Verwaltungsgericht Darmstadt im angefochtenen Beschluss unter
wörtlicher Bezugnahme auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
in dessen inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 7. Dezember 2007 – 6 E 928/07 –
(juris) die Ansicht vertreten hat, es existiere für tierschutzrechtliche Erlaubnisse
nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 TierSchG bzw. ihre Aufhebung in Hessen derzeit keine
Zuständigkeitsregelung, kann dem nicht gefolgt werden. Denn der Gesetzgeber
hat, indem er durch § 1 Abs. 1 des zitierten Gesetzes vom 21. März 2005 u.a. den
Landräten die Zuständigkeit für "den Vollzug des Veterinärwesens" zugewiesen
hat, die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden vermisste Zuständigkeitsregelung
getroffen; die Verordnung über die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des
Tierschutzrechts vom 14. Mai 2007 hat daran nichts geändert, sondern in § 1 Abs.
1 Nr. 4 die vom Gesetzgeber getroffene Regelung deklaratorisch bestätigt.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat bei seiner das rechtskräftige Urteil vom 7.
Dezember 2007 – 6 E 928/07 – tragenden Annahme, es fehle an einer
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Dezember 2007 – 6 E 928/07 – tragenden Annahme, es fehle an einer
landesgesetzlichen Legaldefinition, die den Tierschutz dem Veterinärwesen
zuordne (juris Rdnr. 143), übersehen, dass der Gesetzgeber bereits im Ersten
Gesetz zur Verwaltungsstrukturreform vom 20. Juni 2002 (GVBl. I S. 342) im
Rahmen des Art. 4 (Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes zur
Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung) in der damals eingeführten Anlage
zu § 16a HessAGVwGO eine entsprechende Regelung getroffen hat, indem er bei
der Aufstellung der vom Wegfall des Widerspruchsverfahrens betroffenen Gebiete
u. a. Folgendes aufgeführt hat:
"7. Veterinärwesen
7.1. …
7.4 Entscheidungen über die Erlaubnis nach § 11 des Tierschutzgesetzes
Tiere zu züchten, zu halten oder mit Tieren zu handeln;
…"
Damit und durch weitere Bestimmungen in der Anlage zu § 16a HessAGVwGO hat
der Gesetzgeber schon fast drei Jahre vor der im Rahmen des
Kommunalisierungsgesetzes vom 21. März 2005 getroffenen Regelung in § 1 Abs.
1 des Gesetzes zum Vollzug von Aufgaben auf den Gebieten des Veterinärwesens,
der Lebensmittelüberwachung und des Verbraucherschutzes deutlich gemacht,
dass er "Veterinärwesen" als Oberbegriff u. a. für Tierschutzrecht verwendet, so
dass dahinstehen kann, ob diese Auslegung bereits bundesrechtlich oder durch
andere landesrechtliche Regelungen vorgegeben oder gar sprachwissenschaftlich
festgelegt ist, wie der Antragsgegner mit der Beschwerdebegründung geltend
gemacht hat.
Die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden in dem rechtskräftigen Urteil vom 7.
Dezember 2007 – 6 E 928/07 – angestellten Überlegungen (juris Rdnrn. 100 ff.) zu
den beiden letzten Änderungen der Verordnung über Zuständigkeiten auf dem
Gebiet des Tierschutzrechts durch Verordnung vom 24. April 2006 (GVBl I S. 138,
156) und durch Verordnung vom 24. Mai 2007 (GVBl. I S. 307) stehen dem nicht
entgegen. Soweit das Verwaltungsgericht meint, aus der Zitierung des § 1 des
Gesetzes über die Ermächtigung zur Bestimmung der Zuständigkeiten nach dem
Tierschutzgesetz vom 15. Dezember 1972 (GVBl. I S. 423) in der Verordnung vom
24. April 2006 den Schluss ziehen zu müssen, der Verordnungsgeber habe § 1
Abs. 1 des Gesetzes zum Vollzug von Aufgaben auf den Gebieten des
Veterinärwesens, der Lebensmittelüberwachung und des Verbraucherschutzes
vom 21. März 2005 selbst nicht als hinreichende Zuständigkeitsregelung für
tierschutzrechtliche Maßnahmen angesehen, ist dies nicht nachvollziehbar. Der
Verordnungsgeber musste damals auf die alte Verordnungsermächtigung aus
dem Jahr 1972 zurückgreifen, weil das Kommunalisierungsgesetz selbst keine
Verordnungsermächtigung für diesen Bereich enthielt und das Gesetz zur
Bestimmung von Zuständigkeiten vom 3. April 1998 (GVBl. I S. 98) in § 1 Abs. 1
damals noch folgende Regelung traf:
"Zur Ausführung von Bundesrecht erlässt die Landesregierung
Anordnungen über die sachliche Zuständigkeit von Landesbehörden, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist."
Aus dieser Bestimmung ließ sich keine Verordnungsermächtigung herleiten, die
aber für eine Änderung der in Form einer Rechtsverordnung erfolgten früheren
Zuständigkeitsregelung notwendig gewesen wäre. Erst bei Erlass der jüngsten
Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Tierschutzrechts vom 24.
Mai 2007 konnte man auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Bestimmung von
Zuständigkeiten vom 3. April 1998 Bezug nehmen, nachdem in § 1 Abs. 1 S. 1
dieses Gesetzes durch Art. 2 des Änderungsgesetzes vom 16. Oktober 2006
(GVBl. I S. 510) das Wort "Anordnungen" durch "Rechtsverordnungen" ersetzt
worden war. Mithin gibt die Entstehungsgeschichte der Verordnung über
Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Tierschutzrechts für deren Auslegung nicht
das her, was das Verwaltungsgericht Wiesbaden hineininterpretiert hat.
An die von dem Verwaltungsgericht Wiesbaden in dessen Urteil vom 7. Dezember
2007 – 6 E 928/07 – vertretenen Rechtsansichten sind die Beteiligten und der
Senat auch nicht wegen der Rechtskraft dieses Urteils gebunden. Abgesehen
davon, dass der Antragsgegner am damaligen Rechtsstreit nicht beteiligt war (§
121 VwGO), erwächst in materielle Rechtskraft nur die Entscheidung über den
14
15
16
17
18
121 VwGO), erwächst in materielle Rechtskraft nur die Entscheidung über den
jeweiligen Streitgegenstand, nicht die dafür maßgebenden rechtlichen Erwägungen
des Gerichts (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Rdnr. 18 zu § 121 mit weiteren
Nachweisen).
Auch im übrigen bestehen an der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Landrats des
Kreises Offenbach vom 18. Dezember 2007 keinerlei Zweifel. Soweit die
Antragstellerin in der Antragsbegründung geltend macht, bei dem Prüftermin am
21. November 2007 seien keine Mängel beanstandet worden, kann diese
Behauptung angesichts des Akteninhalts nur als Dreistigkeit bezeichnet werden.
Zwar enthält die Niederschrift über die Betriebsprüfung vom 21. November 2007
(Bl. 158 ff. der Behördenakten) nur den angekreuzten, vorgedruckten Text: "Es
wurden folgende Mängel festgestellt:", dann jedoch den handschriftlichen Text:
"Hiermit wird die weitere Aufnahme von Katzen und die Abgabe von Katzen
untersagt.". Die festgestellten Mängel waren so zahlreich, dass sie in einer
Aktennotiz der Amtstierärztin vom 21. November 2007 (Blatt 167 f. der Beiakten)
festgehalten und in der Begründung der angefochtenen Anordnung verwertet
worden sind. Sowohl bei der Begründung der Verhältnismäßigkeit der
angeordneten Maßnahmen als auch bei der Begründung der Anordnung der
sofortigen Vollziehung der Maßnahmen hat der Antragsgegner zu Recht der
Tatsache erhebliche Bedeutung beigemessen, dass den im November 2007
festgestellten Unregelmäßigkeiten zahlreiche Verstöße der Antragstellerin gegen
das Tierschutzgesetz vorausgegangen waren, die u. a. zu einem von ihr durch
Rücknahme des zunächst eingelegten Einspruchs akzeptierten Bußgeldbescheid
vom 29. November 2004 (Bl. 88 der Behördenakten) geführt hatten. Darin war ihr
vorgeworfen worden, erkrankte Katzen nicht auf der Station separiert, das
Bestandsbuch nicht auf dem aktuellen Stand gehalten, keinen Nachweis über
ärztliche Behandlungen erkrankter Tiere sowie keine Dokumentation über die
ärztliche Erstuntersuchungen vorgelegt und neu eingetroffene Katzen nicht sechs
Wochen lang in der Quarantänestation untergebracht zu haben. Zu Recht hat die
Behörde auch berücksichtigt, dass sie in den zurückliegenden Jahren, beginnend
im Juli 2001, wiederholt Anlass hatte, der Antragstellerin wegen festgestellter
Unregelmäßigkeiten in ihrem Tierheim dessen Schließung anzudrohen, ohne dass
dies zu einer feststellbaren Verhaltensänderung bei der Antragstellerin geführt
habe.
Bei der Begründung seiner Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der
Erlaubnis und der weiter angeordneten Maßnahmen hat der Antragsgegner zu
Recht besonders auf die bei ihm eingegangenen Beschwerden mehrerer Tierärzte
über schwer erkrankte Katzen aus dem Bestand der Antragstellerin und die
Weitergabe erkrankter Katzen an Kunden abgestellt, die nicht für die Dauer eines
langwierigen Gerichtsverfahrens hingenommen werden könne. Angesichts der
Tatsache, dass die Antragstellerin, wie auch in der Begründung der
Vollziehungsanordnung ausgeführt, wiederholt und hartnäckig gegen
tierschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen hat, ist die sofortige Vollziehung der
getroffenen Anordnungen auch unter Berücksichtigung der entgegenstehenden
Interessen der Antragstellerin gerechtfertigt und im öffentlichen Interesse
geboten.
Die Antragstellerin hat die in beiden Instanzen entstandenen Kosten zu tragen,
weil sie letztlich unterliegt (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Bei der Streitwertfestsetzung schließt sich der Senat der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts und dessen dafür gegebener Begründung an.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S.
5 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.