Urteil des HessVGH vom 13.12.1991

VGH Kassel: mündliche prüfung, biologie, prüfer, bekanntmachung, zusammensetzung, vorsitz, prüfungsergebnis, gymnasium, schüler, verordnung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
7. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 UE 3113/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 62 SchulVwG HE, § 1
VwVfG HE, § 46 VwVfG HE,
§ 1 GymOV HE, § 38 Abs 4
GymOV HE
(Verfahrensfehlerhafte Abiturprüfung wegen nicht
rechtzeitiger Bekanntmachung des
Fachausschußvorsitzenden (Hessen))
Tatbestand
Der Kläger unterzog sich am Ende des Schuljahres 1986/87 am G-Gymnasium in F
der Abiturprüfung. Er wurde mündlich im Fach Biologie geprüft. Als Prüfer hatte er
Studienrat Dr. F gewählt. Zum Vorsitzenden des Fachausschusses war
Studiendirektor B bestimmt worden, außerdem ein Protokollführer. Unter dem 20.
Mai 1987 wurde ein Prüfungsplan für die mündliche Abiturprüfung am 25. Mai 1987
in der Schule ausgehängt. In diesem wurden die Räume, die Reihenfolge der
Prüfungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes und die Namen der Prüflinge
bekanntgegeben. Hinter dem Namen jedes Prüflings waren jeweils Abkürzungen
von je zwei Buchstaben für das Prüfungsfach, den Prüfer und den Protokollführer
aufgeführt. Auf den Namen des jeweiligen Fachausschußvorsitzenden erfolgte kein
Hinweis. Am 25. Mai 1987 wurde dem Kläger im Anschluß an die mündliche
Prüfung eröffnet, daß er die Abiturprüfung nicht bestanden habe, weil er im dritten
Teil der Gesamtqualifikation von erforderlichen 100 Punkten nur 94 erreicht habe.
Mit Schreiben vom 31. Mai 1987 legte der Kläger gegen die Entscheidung des
Prüfungsausschusses Widerspruch ein. Er rügte dabei das Prüfungsverfahren im
Fach Biologie, das Gegenstand der mündlichen Abiturprüfung war und in dem er 4
Punkte erhalten hatte. Er habe zu spät erfahren, wer Vorsitzender des
Fachausschusses gewesen sei. Der Vorsitzende habe die Funktion des Prüfers
übernommen.
Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid des Staatlichen
Schulamtes für die Stadt F vom 3. September 1987 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1987 Klage erhoben mit
Antrag,
die Entscheidung des Abiturprüfungsausschusses am G-Gymnasium in F vom 25.
Mai 1987 sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 3. September
1987, Az.: 2.1-NVW-23/87-203, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den
Kläger erneut zur Abiturprüfung zuzulassen und die Prüfungsergebnisse der
Jahrgangsklasse 13, der schriftlichen Abiturarbeiten sowie der mündlichen Prüfung
im Fach Gemeinschaftskunde anzurechnen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zur Begründung vorgetragen, das Prüfungsverfahren sei nicht zu
beanstanden.
Durch Urteil vom 1. Juni 1988 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen
und zur Begründung ausgeführt, der vom Kläger angefochtene Verwaltungsakt sei
rechtmäßig und verletze ihn nicht in seinen Rechten. Deshalb könne er auch nicht
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rechtmäßig und verletze ihn nicht in seinen Rechten. Deshalb könne er auch nicht
die erneute Zulassung zur Abiturprüfung begehren. Das Prüfungsverfahren sei
nicht zu beanstanden.
Gegen das am 29. Juni 1988 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts hat der
Kläger mit Schriftsatz vom 27. Juli 1988, der am 28. Juli 1988 beim
Verwaltungsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt.
Zur Begründung der Klage und der Berufung hat der Kläger insgesamt folgendes
vorgetragen: Im Prüfungsfach Biologie sei es während der Abiturprüfung zu einer
Reihe von Verfahrensfehlern gekommen, die sein Leistungsvermögen und die
Bewertung beeinflußt hätten. Der Prüfungsplan für die Prüfung im Fach Biologie sei
nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 38 Abs. 4 der Verordnung über die
gymnasiale Oberstufe und die Abiturprüfung vom 9. Februar 1983 (im folgenden
"PO" genannt) bekanntgemacht worden. Nach dieser Bestimmung müsse der
Prüfungsplan spätestens am dritten Unterrichtstag vor Beginn der mündlichen
Prüfung durch Aushang bekanntgemacht werden. Der Termin der Prüfung und die
Prüfer seien zwar in dem rechtzeitig ausgehängten Plan bekanntgegeben worden,
nicht jedoch der Vorsitzende des Fachausschusses. Aus § 38 Abs. 4 i.V.m. § 31
Abs. 2 PO ergebe sich, daß zum Prüfungsplan nicht nur der Terminplan im Sinne
des § 31 Abs. 2 PO gehöre, sondern auch die Zusammensetzung des
Fachausschusses, denn dessen Berufung werde in § 31 Abs. 2 der PO ebenfalls
geregelt. Daß Vorsitzender des Fachausschusses Studiendirektor B gewesen sei,
habe er erst erfahren, als er aus dem Vorbereitungsraum zur Prüfung gerufen
worden sei. Die Tatsache, daß Studiendirektor B Vorsitzender des
Fachausschusses gewesen sei, habe ihn sehr betroffen gemacht. Dieser sei im
letzten Schuljahr sein Tutor gewesen, er habe sich wenig um ihn gekümmert. Im
Fach Chemie, das Studiendirektor B unterrichtet habe, habe er wesentlich
schlechtere Beurteilungen erhalten als in den vorhergehenden Schulhalbjahren.
Wenn er rechtzeitig erfahren hätte, wer Vorsitzender des Fachausschusses sei,
hätte er Gelegenheit gehabt, dem Prüfungsausschußvorsitzenden seine Bedenken
gegen eine Prüfung durch Studiendirektor Baumann vorzutragen.
Die Zeit zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung sei unzureichend bemessen
worden.
In der mündlichen Prüfung habe sich der Kläger zunächst der zweiten Aufgabe
zugewandt. Studiendirektor B habe bereits bei diesem Teil der Prüfung begonnen,
übermäßig in das Prüfungsgeschehen einzugreifen, und habe schließlich die
Erörterung der Aufgabe 2 abgebrochen, als der Kläger noch nicht fertig gewesen
sei. Bei der Prüfung zur Aufgabe 1 habe Studiendirektor B das Prüfungsgeschehen
völlig an sich gerissen. Insgesamt habe Studiendirektor B schätzungsweise 70 %
der Fragen gestellt. Er habe den eigentlichen Prüfer völlig in den Hintergrund
gedrängt, habe Fragen, die der Kläger nach Auffassung des Vorsitzenden wohl
nicht richtig beantwortet habe, ständig wiederholt, ohne Hilfestellungen zu leisten.
Nach § 39 Abs. 4 PO sei der Fachausschußvorsitzende jedoch lediglich berechtigt,
Zwischenfragen oder ergänzende Fragen zu stellen. Schließlich sei es rechtswidrig
unterlassen worden zu prüfen, ob dem Kläger gemäß § 39 Abs. 5 PO eine neue
Aufgabe hätte gestellt werden müssen. Dies sei eine Ermessensentscheidung, die
in erster Linie der Prüfer zu treffen habe. Der Prüfer habe sich aber offensichtlich
mit einer solchen Entscheidung überhaupt nicht befaßt.
Auch das Protokoll über die mündliche Prüfung sei nicht ordnungsgemäß geführt
worden.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Entscheidung des
Prüfungsausschusses für die Abiturprüfung am G-Gymnasium in F vom 25. Mai
1987 sowie die Entscheidung des Fachausschusses für die mündliche Prüfung im
Fach Biologie in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Staatlichen
Schulamtes für die Stadt F vom 3. September 1987 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat im Laufe des gesamten Verfahrens folgendes vorgetragen: Bei der
Bekanntmachung des Prüfungsplanes komme es auf die Benennung des
Fachausschußvorsitzenden nicht an. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses
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Fachausschußvorsitzenden nicht an. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses
könne nämlich jederzeit selbst diese Funktion übernehmen, so daß es für einen
Prüfling jederzeit zu einer Änderung im Ausschußvorsitz kommen könne. Die
Aufgaben der mündlichen Prüfung im Fach Biologie seien vom Prüfer gestellt
worden, ebenso die Fragen während des gesamten ersten Teils der Prüfung,
nämlich der Aufgabe 2; in diesem Prüfungsabschnitt habe der Vorsitzende des
Fachausschusses nicht das Wort ergriffen. Erst nachdem der gesamte
Fachausschuß zur Überzeugung gelangt sei, daß der Kläger seine Ausführungen
beendet habe und trotz Hilfen des Prüfers die Aufgaben nicht entsprechend habe
lösen können, sei er zum zweiten Teil der Prüfung, also der Aufgabe 1,
übergegangen. Der Kläger habe, obwohl er dazu aufgefordert worden sei, sich zu
allen vier Einzelfragen dieser Aufgabe zu äußern, mit der Einzelfrage 3 begonnen.
Es habe sich im Laufe der Prüfung herausgestellt, daß er die Aufgabe 1 offenbar
nicht verstanden habe. Entsprechende Nachfragen des Fachausschußvorsitzenden
hätten diesen Fehler offenbart. Der Fachausschußvorsitzende habe nur
Nachfragen zur Klärung ungenauer bzw. falscher Darstellungen des Klägers
gestellt. Es habe sich nur um Zwischenfragen oder ergänzende Fragen gehandelt.
Der Prüfer sei auch nicht verpflichtet gewesen, eine neue Aufgabe zu stellen.
Umfang und Ablauf der mündlichen Prüfung hätten nämlich sehr wohl eine
eingehende Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers zugelassen.
Im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt und die vom Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Entscheidung des Fachausschusses für
die mündliche Prüfung des Klägers im Fach Biologie und in der Folge die
Entscheidung des Prüfungsausschusses über das Nichtbestehen des Abiturs sind
aufzuheben, weil sie auf einem Verfahrensfehler beruhen und der Kläger dadurch
in seinen Rechten verletzt wird.
Entscheidungsgrundlage ist, da es sich um eine Anfechtungsklage handelt, die
Verordnung über die gymnasiale Oberstufe und die Abiturprüfung vom 9. Februar
1983 (ABl. HKM S. 54) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 27. Juni 1984
(ABl. HKM S. 352) - PO -. Gegen die Vorschriften dieser Verordnung hat der
Prüfungsausschuß dadurch verstoßen, daß in dem bekanntgemachten
Prüfungsplan der Fachausschußvorsitzende für die mündliche Prüfung des Klägers
im Fach Biologie nicht aufgeführt worden ist. Nach § 38 Abs. 4 PO hatte der
Vorsitzende des Prüfungsausschusses einen Prüfungsplan aufzustellen, der
spätestens am dritten Unterrichtstag vor Beginn der mündlichen Prüfung durch
Aushang bekanntzumachen war und bis zum Ende der mündlichen Prüfung
aushängen mußte. Der erforderliche Inhalt des Prüfungsplanes ergibt sich aus § 31
Abs. 2 PO, auf den § 38 Abs. 4 PO ausdrücklich Bezug nimmt. Hierzu gehört neben
dem Terminplan für die schriftliche und mündliche Prüfung und der
Zusammensetzung der Fachausschüsse auch die Angabe des jeweiligen
Fachausschußvorsitzenden. Da die Bezugnahme auf § 31 Abs. 2 PO in § 38 Abs. 4
PO keinerlei Einschränkung enthält, ist bei der Bekanntmachung des
Prüfungsplans also die Benennung des Fachausschußvorsitzenden ebenfalls
zwingend geboten. Diese Regelung hat ihren guten Sinn. Der Verordnungsgeber
wollte ersichtlich sicherstellen, daß die Prüflinge sich aufgrund der fristgerechten
Bekanntmachung des vollständigen Prüfungsplans auch auf die Mitglieder der
Fachausschüsse (einschließlich der Person des Vorsitzenden), deren spezielle
Gebiete und Eigenarten einstellen können (so auch schon der früher für das
Schulrecht zuständig gewesene 6. Senat des Hess. VGH in seinem Beschluß vom
19. März 1985, 6 TG 48/85). Die Prüflinge sollen ferner in der Lage sein, sich
rechtzeitig darüber schlüssig zu werden, ob sie gegen die Bestellung bestimmter
Fachausschußmitglieder (einschließlich des Vorsitzenden), mit denen sie
womöglich bereits sachliche oder persönliche Differenzen hatten, remonstrieren
oder diese gar formell wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen wollen. Gerade
eine Situation, wie sie der Kläger erlebte, der nämlich bei der Prüfung innerlich
unvorbereitet unversehens mit einem Fachausschußvorsitzenden konfrontiert
wurde, von dem er nichts Gutes erwarten zu können glaubte, soll durch die
Bekanntmachungspflicht gemäß § 38 Abs. 4 PO vermieden werden.
Gegen die hier vertretene Auffassung, daß der Aushang des Prüfungsplans auch
den Namen des Fachausschußvorsitzenden enthalten müsse, kann nicht
eingewendet werden, der Fachausschußvorsitzende stehe nie von vornherein
endgültig fest, weil der Prüfungsausschußvorsitzende gemäß § 31 Abs. 3 PO den
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endgültig fest, weil der Prüfungsausschußvorsitzende gemäß § 31 Abs. 3 PO den
Vorsitz eines Fachausschusses auch kurzfristig noch an sich ziehen könne. Bei der
Auslegung des § 38 Abs. 4 PO ist vom Regelfall auszugehen. Im Regelfall aber führt
derjenige den Vorsitz im Fachausschuß für die mündliche Prüfung, der gemäß § 31
Abs. 2 PO vom Prüfungsausschußvorsitzenden - im Benehmen mit dem Schulleiter
- hierzu bestellt worden ist. Die fristgerechte Bekanntmachung des Namens des
Fachausschußvorsitzenden erfüllt daher im Regelfall ihren Zweck, ihre rechtliche
Notwendigkeit kann bei der gebotenen teleologischen Auslegung nicht verneint
werden, nur weil in Ausnahmefällen nachträglich eine Änderung der
Zusammensetzung des Fachausschusses gemäß § 31 Abs. 3 PO - die allerdings
das Vorliegen sachlicher Gründe voraussetzt, weil der Prüfling nicht ohne solche
Gründe vor unerwartete Prüfungssituationen gestellt und dadurch verunsichert
werden soll (so auch schon der erwähnte Beschluß des 6. Senats vom 19. März
1985) - möglich ist. Zieht der Prüfungsausschußvorsitzende im Einzelfall aus
sachlichen Gründen (im Falle des vorerwähnten Beschlusses: Streitigkeiten
zwischen den Fachausschußmitgliedern) den Vorsitz im Fachausschuß einmal an
sich, womit ein Prüfling stets rechnen und worauf er sich deshalb generell
einstellen muß, so wird der Verfahrensmangel der Nichtbekanntmachung des
Namens des ursprünglich bestellten Fachausschußvorsitzenden allerdings
gegenstandslos. Die Möglichkeit einer derartigen Konstellation in Einzelfällen kann
aber - wie dargelegt - keinen Einfluß auf das Ergebnis der Auslegung des § 38 Abs.
4 PO haben.
Die Beachtlichkeit des genannten - nach der Natur der Sache auch nicht
nachträglich heilbaren - Verfahrensfehlers für die Entscheidung ergibt sich aus § 46
des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - HVwVfG -. Diese Regelung gilt
gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 und/oder Nr. 3 HVwVfG auch für das Verfahren bei
Abiturprüfungen. Die Anwendung des § 46 HVwVfG ist nicht durch die Regelung in §
62 des Schulverwaltungsgesetzes - SchVG - ausgeschlossen. Zwar findet nach § 1
HVwVfG das Verwaltungsverfahrensgesetz keine Anwendung, wenn
Rechtsvorschriften des Landes inhaltsgleiche oder entgegenstehende
Bestimmungen enthalten. § 62 SchVG sieht vor, daß die Schulaufsichtsbehörden
im Rahmen der Fachaufsicht pädagogische Bewertungen sowie unterrichtliche und
erzieherische Entscheidungen und Maßnahmen aufheben können, wenn gegen
wesentliche Verfahrensvorschriften verstoßen wurde. Diese Bestimmung betrifft
indessen ausschließlich das Verhältnis zwischen der Schulaufsichtsbehörde und
der Schule und den Lehrern. Im Verhältnis zum betroffenen Schüler bleibt es
deshalb bei der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelung des § 46
HVwVfG.
Es kann nach alledem offenbleiben, ob § 62 SchVG und § 46 HVwVfG in bezug auf
Verfahrensfehler inhaltsgleich sind.
§ 46 HVwVfG sieht vor, daß die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht
nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über das Verfahren zustandegekommen ist, wenn keine andere
Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Hieraus folgt im
Umkehrschluß, daß der Verwaltungsakt fehlerhaft ist und aufgehoben werden
muß, wenn eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Handelt es sich um den Erlaß eines gebundenen Verwaltungsaktes, der seinem
Inhalt nach in jedem Falle so hätte ergehen müssen, dann scheidet also
regelmäßig seine Aufhebung wegen Verfahrensfehlern aus. Anders ist dies
dagegen bei Ermessensentscheidungen, bei denen im Regelfall nicht
ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Beachtung des
Verfahrensrechts zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Entsprechendes gilt für Prüfungsentscheidungen, bei denen ebenfalls nicht eine
bloße Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts unter eine gesetzliche Norm
vorgenommen wird, sondern bei denen den Prüfern hinsichtlich der
Prüfungsleistungen ein eigener Beurteilungsspielraum zusteht. Wenn demnach bei
Ermessensentscheidungen und ebenso bei beurteilenden Verwaltungsakten (z. B.
bei Prüfungsentscheidungen wie im vorliegenden Falle) wenigstens die konkrete
Möglichkeit besteht, daß ohne den angenommenen Verfahrensfehler die
angefochtene Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn also kein Fall vorliegt,
in dem der Ermessens- oder Beurteilungsspielraum auf Null reduziert und der
Verfahrensmangel nachweislich ohne Einfluß auf das Ergebnis geblieben ist, dann
sind die Verfahrensfehler beachtlich und führen zur Aufhebung des angefochtenen
Verwaltungsakts (vgl. hierzu auch Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage
1991, Rdnrn. 24 f. zu § 46 mit weiteren Nachweisen).
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Im vorliegenden Fall kann aufgrund des konkreten Sachverhalts und bei
Berücksichtigung des Vortrags des Klägers nicht ausgeschlossen werden, daß es
ohne den Verstoß gegen das Bekanntmachungsgebot des § 38 Abs. 4 PO zu
einem anderen, womöglich besseren Prüfungsergebnis gekommen wäre. Bei
rechtzeitiger Bekanntmachung des Namens des bestellten
Fachausschußvorsitzenden hätte der Kläger Gelegenheit gehabt, durch
Remonstration oder förmliche Ablehnung eine Änderung in der personellen
Zusammensetzung des Fachausschusses zu erreichen zu suchen. Daß dies
angesichts des Sachverhalts nicht völlig aussichtslos gewesen wäre und eine
andere personelle Besetzung des Fachausschusses zu einem anderen
Prüfungsergebnis hätte führen können, liegt auf der Hand. Aber selbst ohne
personelle Veränderungen im Fachausschuß wäre das Prüfungsergebnis bei
rechtzeitiger Bekanntgabe der Zusammensetzung des Fachausschusses
möglicherweise anders ausgefallen. Es ist davon auszugehen, daß das
Prüfungsergebnis sowohl vom Verhalten der Prüfer als auch vom Verhalten und
insbesondere der Leistung des Prüflings abhängig ist. Auf das Verhalten der Prüfer
selbst hat die fehlerhafte Bekanntmachung des Prüfungsplans naturgemäß keinen
Einfluß gehabt. Ein solcher Einfluß auf das Verhalten und die Leistung des Klägers
kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Bei rechtzeitiger Bekanntgabe der
Zusammensetzung des Fachausschusses hätte der Kläger sich mehrere Tage
lang innerlich auf die Person des Vorsitzenden einstellen, er hätte sich psychisch
"wappnen" können. Diese Möglichkeit war ihm wegen des Verfahrensfehlers
genommen. Die Tatsache, daß zu Beginn der Prüfung unerwartet ein
Fachausschußvorsitzender erschien, den er fürchtete, kann sehr wohl die
Unbefangenheit und das Leistungsvermögen des Klägers negativ beeinflußt
haben. Jede Prüfung bringt an sich schon einen besonderen Streß mit sich.
Entgegen der Intention des Verordnungsgebers, der mit § 38 Abs. 4 PO
gewährleisten will, daß der Prüfling rechtzeitig über seine Prüfungssituation
informiert ist, wurde der Kläger zu Beginn der Prüfung unerwartet mit einer
Tatsache konfrontiert, die den Prüfungsstreß noch erhöhte. Darauf, daß
verschiedene Personen aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeitsstruktur auf
derartiges mehr oder weniger sensibel reagieren, kommt es hier nicht an.
Entscheidend ist alleine die damalige psychische Befindlichkeit des Klägers. Dieser
hat jedenfalls genügend Tatsachen vorgetragen, die den Schluß zulassen, daß ihm
eine Prüfung unter dem Vorsitz des Studiendirektors B in einem zur
Verunsicherung führenden Maße unangenehm war. Die Akten belegen, daß seine
Leistungen im letzten Schulhalbjahr von diesem Prüfer schlechter beurteilt worden
waren, als es in vorangegangenen Halbjahren der Fall war, wobei zusätzlich zu
berücksichtigen ist, daß der Kläger ein Wiederholer war.
Der Verfahrensfehler ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht deswegen
unerheblich, weil nach § 31 Abs. 3 PO der Vorsitzende des Prüfungsausschusses
den Vorsitz des Fachausschusses an sich hätte ziehen können, was aber
tatsächlich nicht geschehen ist. Ein Verfahrensfehler wird nicht dadurch
unbeachtlich und seine Kausalität für das Prüfungsergebnis nicht dadurch
beseitigt, daß rechtlich ein anderer Verfahrensablauf möglich gewesen wäre, in
dem sich der Verfahrensfehler dann nicht ausgewirkt hätte.
Der Verfahrensfehler ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil durch ihn alle
anderen Mitprüflinge gleichermaßen betroffen wurden. Insofern sind die Schüler
zwar gleich behandelt worden, indessen handelt es sich um eine gleiche
Behandlung im Unrecht. Hierauf kann sich der Beklagte nicht berufen.
Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, er hätte den
Verfahrensfehler früher rügen müssen und könne sich nun nachträglich nicht mehr
wirksam auf ihn berufen. Zunächst steht nicht fest, wann dem Kläger bewußt
geworden ist, daß der Prüfungsausschuß den Verfahrensfehler (durch
Nichtveröffentlichung des Namens des bestellten Fachausschußvorsitzenden)
begangen hatte. Dies braucht auch nicht aufgeklärt zu werden. Selbst wenn der
Kläger rechtzeitig erkannt hätte, daß dem Prüfungsausschuß ein Verfahrensfehler
unterlaufen war, könnte ihm dies mangels ausdrücklicher normativer Regelung nur
entgegengehalten werden, wenn die anfängliche Untätigkeit und die erst
nachträgliche Geltendmachung des Verfahrensfehlers als rechtsmißbräuchlich
gewertet werden müßten, das Recht der Verfahrensrüge also verwirkt wäre. Dies
hätte nur dann angenommen werden können, wenn es dem Kläger zumutbar
gewesen wäre, den Verfahrensfehler sofort beim Prüfungsausschuß zu rügen und
die Bekanntgabe des Namens des Fachausschußvorsitzenden zu verlangen (vgl.
zur Zumutbarkeit von Verfahrensrügen während des Prüfungsverfahrens z. B.
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zur Zumutbarkeit von Verfahrensrügen während des Prüfungsverfahrens z. B.
Hess. VGH, U. v. 6. April 1984, 6 OE 29/83). Der Senat verneint eine solche
Zumutbarkeit. Er berücksichtigt hierbei, daß sich ein im Prüfungsverfahren
unmittelbar vor der mündlichen Prüfung befindlicher Schüler im wesentlichen auf
die inhaltliche Vorbereitung der Prüfung konzentriert und sich in seiner speziellen,
psychisch angespannten Situation nur schwer dazu aufraffen kann,
Verfahrensrügen zu erheben. Hinzu kommt, daß er sich einem Organ
"ausgeliefert" wähnt, dessen Beurteilungen nur beschränkt rechtlich nachprüfbar
sind und dessen Wohlwollen er nicht ohne Not durch Verfahrensrügen aufs Spiel
setzen will.
Die nachträgliche Geltendmachung des Verfahrensmangels kann dem Kläger
schließlich auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt verwehrt werden, daß er,
nachdem er zu Beginn der mündlichen Prüfung von der Person des
Fachausschußvorsitzenden Kenntnis erlangt habe, sich gleichwohl auf die Prüfung
rügelos eingelassen und sich damit konkludent mit der Person des Vorsitzenden
einverstanden erklärt hat. Damit hätte der Kläger jedenfalls nicht gleichzeitig auf
die Verfahrensrüge verzichtet. Zudem liegt auf der Hand, daß es dem Kläger in
seiner momentanen Betroffenheit nicht zugemutet werden konnte, sich gleich zu
Beginn der mündlichen Prüfung durch Gegenvorstellungen oder eine
Ablehnungserklärung zu exponieren und dadurch die Prüfungsatmosphäre
zusätzlich zu belasten.
Nach alledem liegt ein erheblicher Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der
mündlichen Prüfung im Fach Biologie vor, so daß die Entscheidung des
Fachausschusses insoweit aufzuheben ist. Dieser Fehler führt in der Folge auch zur
Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses über das Nichtbestehen
der Abiturprüfung. Der Kläger kann nämlich bei einem anderen Ergebnis in der
mündlichen Prüfung im Fach Biologie die Reifeprüfung bestehen. Hierzu braucht er
in der mündlichen Prüfung in diesem Fach nach der Berechnung des Senats nur 2
Punkte mehr zu erzielen.
Nach alledem kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht mehr darauf an,
ob die mündliche Prüfung des Klägers im Fach Biologie auch an den anderen vom
Kläger geltend gemachten Verfahrensmängeln leidet oder nicht.
Infolge der Aufhebung eines Teils der mündlichen Prüfung und des
Gesamtergebnisses der Abiturprüfung befindet sich der Kläger weiterhin im
Prüfungsverfahren, das nun erneut zu Ende geführt werden muß. Es obliegt dem
Prüfungsausschuß, die Nachholung der mündlichen Prüfung im Fach Biologie zu
veranlassen, wobei dem Kläger nach Ablauf einer längeren Zeit ausreichend
Gelegenheit zur Vorbereitung auf diese Prüfung gegeben werden muß. Nach
Durchführung der mündlichen Prüfung im Fach Biologie wird der Prüfungsausschuß
dann erneut über das Bestehen der Abiturprüfung entscheiden müssen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.