Urteil des HessVGH vom 31.07.2007

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, abrechnung, vollziehung, aussetzung, quelle, immaterialgüterrecht, zivilprozessrecht, wechsel, wiederherstellung, belastung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 TG 1049/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gießen vom 25. April 2007 - 2 G 4004/06 - geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen
den Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin vom 28. September 2006 wird
angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren
auf 2.804,57 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag der
Antragstellerin auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des im Tenor genannten
Bescheides abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin ist
zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte dem
Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stattgeben müssen, denn an
der Rechtmäßigkeit der streitigen Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den
künftigen Erschließungsbeitrag für die Straßenherstellung im Bereich des
Bebauungsplans Nr. 27 der Antragsgegnerin bestehen ernstliche Zweifel, die es
nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren entsprechend anzuwendenden
Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO rechtfertigen, die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs der Antragstellerin in vollem Umfang anzuordnen.
Die Antragstellerin erhebt gegen ihre Heranziehung mehrere Einwände. So macht
sie geltend, dass die gemeinsame Abrechnung von G. Weg und B. Weg unzulässig
sei, da es sich um unterschiedliche Erschließungsanlagen handele, die nicht
wirksam zu einer Erschließungseinheit zusammengefasst worden seien. Ferner
habe die Antragsgegnerin bei der Verteilung des umzulegenden Aufwands
Grundstücke außer Betracht gelassen, die ebenfalls als erschlossen hätten
beteiligt werden müssen. Rechtswidrig sei die streitige Heranziehung schließlich
deshalb, weil die Antragsgegnerin schon einmal Vorausleistungen erhoben und
dabei nur die Anlieger des G. Wegs mit den bis dahin entstandenen Kosten der
Anlegung des G. Wegs als "Baustraße" belastet habe. Soweit man - wie die
Antragsgegnerin - darin eine Abschnittsbildung sehe, habe dieser
Abrechnungsraum für die Erhebung der jetzt streitigen Vorausleistung beibehalten
werden müssen. Nach der einschlägigen Rechtsprechung (OVG Münster, U. v.
01.06.2006 - 3 A 2169/03 - KStZ 2006, 176 = GemHH 2006, 260) müsse aus
Gründen der Durchsichtigkeit der Beitragserhebung eine Verschiedenheit des
Kreises der Beitragspflichtigen für Teileinrichtungen auf ein und derselben
Straßenstrecke vermieden werden. Dieser Gedanke lasse sich auch auf die hier
vorliegende Konstellation der Vorausleistungserhebung für Teilkosten übertragen
und stehe einer auf ein jeweils anderes Abrechnungsgebiet bezogenen Abwälzung
der Kostenmassen entgegen.
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Der Senat lässt dahinstehen, ob bereits die beiden erstgenannten Einwände der
Antragsgegnerin Anlass geben können, an der Rechtmäßigkeit der streitigen
Heranziehung ernstlich zu zweifeln. Die Frage, inwieweit der G. Weg und der in die
Abrechnung einbezogene Teil des B. Wegs bei natürlicher Betrachtungsweise trotz
unterschiedlicher Straßenbezeichnung als eine - einzige - Erschließungsanlage
angesehen werden können, lässt sich abschließend wohl erst nach einer
Augenscheinseinnahme beurteilen, und gleiches gilt möglicherweise auch für die
Frage des Erschlossenseins der Grundstücke auf der Westseite des B. Wegs.
Jedenfalls berechtigt erscheint aber der auf die frühere Abschnittsbildung und den
Wechsel des Abrechnungsgebiets bei der jetzt streitigen Vorausleistungserhebung
bezogene dritte Einwand der Antragstellerin. Auch wenn - wie das
Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf
einschlägige Rechtsprechung ausgeführt hat - die Entscheidung für eine
Abschnittsbildung so lange noch rückgängig gemacht werden kann, als noch nicht
die endgültige Herstellung erfolgt und der Beitragsanspruch auf dieser Grundlage
endgültig entstanden ist, muss doch darauf geachtet werden, dass sich als Folge
einer Veränderung des Abrechnungsraums - sei es durch Bildung eines mit der
bisherigen Abschnittsbildung nicht mehr übereinstimmenden Abschnitts, sei es
durch den Übergang auf eine die Erschließungsanlage nunmehr in ihrer gesamten
Ausdehnung erfassende Abrechnung - nicht eine Belastungsungleichheit im
Verhältnis der betroffenen Anliegergruppen ergibt. Eben dies ist jedoch bei der von
der Antragsgegnerin praktizierten Vorausleistungserhebung der Fall. Die
Antragsgegnerin hat die "erste" Vorausleistungserhebung noch auf den G. Weg als
"Abschnitt" der jetzt als eine einzige Erschließungsanlage angesehenen
Gesamtanlage aus G. Weg und B. Weg bezogen und die bis dahin im Bereich des
G. Wegs entstandenen "Baustraßenkosten" auf die dortigen Anlieger umgelegt. Bei
der Abrechnung sämtlicher sonstiger Kosten hat sie dagegen auf die aus G. Weg
und B. Weg zusammengesetzte Gesamtanlage abgestellt. Für die Anlieger des G.
Wegs folgt daraus, dass sie im Rahmen ihrer Heranziehung zu einer ersten
Vorausleistung mit den Baustraßenkosten "ihres" Abschnitts gesondert belastet
wurden und sich jetzt zusätzlich - im Rahmen der für sie "zweiten" Vorausleistung -
sowohl an den Baustraßenkosten des B. Wegs als auch an den Kosten des
Restausbaus beider Abschnitte beteiligen sollen. Die Anlieger des B. Wegs werden
demgegenüber im Rahmen einer für sie einzigen Vorausleistungserhebung nur an
den Kosten der Restfertigstellung des G. Wegs und der Gesamtfertigstellung des
B. Wegs beteiligt. Für die vergleichweise stärkere Vorausleistungsbelastung der
Anlieger des G. Wegs gibt es keine sachliche Rechtfertigung. Das führt zur
Rechtswidrigkeit dieser Veranlagung wegen Verstoßes gegen den
Gleichheitsgrundsatz, der eine gleichmäßige Beteiligung der erschlossenen
Grundstücke an sämtlichen Kosten nach Maßgabe des jeweiligen
Verteilungsmaßstabes erfordert.
Die Möglichkeit, auf der Grundlage einer Vergleichsberechnung mit einer den
Anforderungen des Gleichheitssatzes genügenden Verteilung des
vorzufinanzierenden Aufwands die streitige Heranziehung in Höhe wenigstens
eines Teilbetrags aufrechterhalten zu können, so dass es in Höhe dieses Betrages
auch bei der sofortigen Vollziehbarkeit des Vorausleistungsbescheides zu bleiben
hätte, scheidet aus. Die Behebung des Gleichheitsverstoßes durch
Wiederherstellung der Belastungsgleichheit ist nämlich in durchaus
unterschiedlicher Weise vorstellbar. So könnte die Antragsgegnerin es bei der
einmal praktizierten abschnittsweisen Abrechnung belassen, um auf diese Weise -
entsprechend der Abrechnung beim G. Weg als Abschnitt - auch bei den Anliegern
des B. Wegs eine ausschließliche Belastung mit den Baustraßenkosten ihres
Abschnitts zu erzielen. Sie könnte aber auch die auf die Baustraßenkosten des G.
Wegs als Abschnitt bezogene erste Vorausleistungserhebung rückgängig machen
und an deren Stelle eine abschnittsübergreifende einzige Abrechnung der
voraussichtlichen Gesamtkosten beider Abschnitte treten lassen. Letzterenfalls
wären die von den Anliegern des G. Wegs bereits als "erste Vorausleistung"
erbrachten Zahlungen mit den zur Vorfinanzierung der Kosten der Gesamtanlage
erhobenen Vorausleistungen zu verrechnen. Nicht auszuschließen ist im Übrigen,
dass die Antragsgegnerin mit Rücksicht auf die ohnehin "in Kürze" anstehende
endgültige Abrechnung, die sie am Ende ihrer Beschwerdeerwiderung vom 18. Juli
2007 angekündigt hat, von weiteren Versuchen der vorherigen Finanzierung durch
Vorausleistungserhebung schlicht Abstand nimmt. Wie sie sich insoweit
entscheidet, bleibt ihr überlassen.
Als im Beschwerdeverfahren unterlegene Beteiligte hat die Antragsgegnerin die
Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 52
Abs. 3, 47, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 4 in
Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.