Urteil des HessVGH vom 22.05.1990

VGH Kassel: allgemeiner rechtsgrundsatz, wiederholung, begründungspflicht, prüfungsordnung, fahrlehrer, kopie, eng, gesamteindruck, ergänzung, arbeitsrecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 UE 1905/86
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 2 S 1 FahrlG vom
31.07.1980, § 14 Abs 2 Nr
1 FahrlPrüfO, § 23 S 2
FahrlPrüfO, § 24 S 2
FahrlPrüfO
(Fahrlehrerprüfung - zur Begründungspflicht bei Bewertung
des schriftlichen Teils)
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung über das Nichtbestehen der
Fahrlehrerprüfung für die Klasse 1.
Er erwarb 1985 die Fahrlehrererlaubnis für die Klasse 3. An der Prüfung für die
Fahrlehrererlaubnis für die Klasse 1 nahm er ohne Erfolg teil. Im Juni 1986 ließ ihm
der Regierungspräsident ... zu einer Wiederholung dieser Prüfung zu. Da ihm die
bisher erfolgreich absolvierten Prüfungsergebnisse angerechnet wurden, bestand
die Prüfung, der er sich am 5. August 1985 unterzog, nur noch in dem schriftlichen
Teil. Die Prüfungsaufgabe lautete:
Frage 1: Welche besonderen Gefahren bestehen für den Fahrer eines
Kraftrades bei einem Unfall?
Welche Vorsichtsmaßnahmen können diese Gefahren und ggf. deren
Folgen mindern?
Frage 2: Erläutern Sie anhand einer einfachen Skizze die dynamische
Radlastverlagerung und wie sich diese beim Betrieb des Kraftrades auswirkt.
Mit Bescheid vom 21. August 1985 lehnte der Regierungspräsident in Darmstadt
die Erteilung der Fahrlehrererlaubnis für die Klasse 1 ab. Gleichzeitig teilte er dem
Kläger unter Bezugnahme auf eine beigefügte Kopie der Prüfungsniederschrift mit,
daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Die Niederschrift über die Prüfung vom
5. August 1985 enthält zu der Bewertung der schriftlichen Arbeiten folgende
Angaben:
Frage 1: Note: ausreichend
Frage 2: Note: mangelhaft
Begründung: Physikalische Grundzusammenhänge im Ansatz nicht
erkennbar; z. T. unvollständige Darstellung (kein Eingehen auf die
Beschleunigung). Skizze nicht brauchbar.
Gesamtnote: mangelhaft.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch mit im wesentlichen
folgender Begründung: Ihm seien entgegen der Prüfungsordnung nicht eine,
sondern zwei Fragen über das Verhalten im Straßenverkehr vorgelegt worden.
Hierdurch sei unzulässigerweise der gesamte Prüfungsteil auf drei Fragen
ausgedehnt worden, was auch hinsichtlich der Prüfungszeit hätte beachtet werden
müssen. Außerdem habe der schriftliche Teil nicht mit "mangelhaft" bewertet
werden dürfen, weil er zwei von drei Aufgaben ausreichend bearbeitet habe und
dem Bereich des Verkehrsrechts und der Gefahrenlehre größeres Gewicht
beigemessen werden müsse als dem Bereich der Kraftfahrzeugtechnik. Es sei
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beigemessen werden müsse als dem Bereich der Kraftfahrzeugtechnik. Es sei
nicht nachvollziehbar, warum seine Lösung der zweiten Frage nicht brauchbar sein
solle. Des weiteren sei auch die Gesamtbeurteilung des schriftlichen Teils nicht
begründet worden.
Nachdem der Regierungspräsident in Darmstadt eine ergänzende Stellungnahme
eines Beisitzers des Prüfungsausschusses zu der Bewertung der schriftlichen
Arbeiten des Klägers eingeholt hatte, wies er dessen Widerspruch durch
Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 1986 zurück.
Am 17. März 1986 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Darmstadt Klage
erhoben, zunächst mit dem Ziel, ihn unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide
zur Wiederholung der Prüfung zuzulassen. Er hat vorgetragen, die
Prüfungsaufgabe habe nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen, weil die
erste Aufgabe aus zwei selbständigen Fragen bestanden habe; außerdem betreffe
diese Aufgabe nicht -- wie vorgeschrieben -- die Gefahrenlehre, sondern die
Unfallforschung. Infolge der Aufteilung der ersten Aufgabe in zwei Bereiche sei es
ihm in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich gewesen, alle schriftlichen
Aufgaben ausreichend zu bearbeiten. Der Prüfungsausschuß habe den
schriftlichen Teil der Prüfung in Relation zu den Ergebnissen der praktischen
Prüfung in einem Maße überbewertet, das den Anforderungen des
Fahrlehrerberufs nicht gerecht werde. Da eine Wiederholung der Prüfung nicht
möglich sei, führe das Prüfungsergebnis dazu, daß er auf Lebenszeit in der
Ausübung seines Berufs wesentlich eingeschränkt sei.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidenten in
Darmstadt vom 21. August 1985 in der Form dessen Widerspruchsbescheides
vom 10. Februar 1986 zu verpflichten, eine erneute Bewertung der schriftlichen
Prüfungsarbeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vorzunehmen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verpflichten, den Kläger zu einer erneuten
Wiederholungsprüfung zuzulassen.
Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Gründe der ablehnenden Bescheide
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 30. Mai 1986
stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die
angefochtene Prüfungsentscheidung sei wegen des dem Prüfungsausschuß
zustehenden Beurteilungsspielraums nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien seien Umfang und Inhalt der
Prüfungsaufgaben nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen anerkannte
Bewertungsgrundsätze könne auch nicht unter dem Aspekt der Gewichtung der
einzelnen Prüfungsaufgaben zueinander festgestellt werden; vielmehr stünden die
Prüfungsthemen bei der Fahrlehrerprüfung für die Klasse 1 grundsätzlich
gleichrangig nebeneinander. Darüber hinaus lasse auch die Bewertung der
Bearbeitung der zweiten Prüfungsfrage mit "mangelhaft" keine Beurteilungsfehler
erkennen. Die Prüfungsentscheidung sei aber deshalb rechtswidrig, weil nur das
Ergebnis der zweiten Prüfungsarbeit begründet worden, aber nicht erkennbar sei,
aus welchen Gründen die einzelnen Prüfungsergebnisse "ausreichend" und
"mangelhaft" zu der Gesamtnote "mangelhaft" zusammengezogen worden seien.
Damit habe der Prüfungsausschuß seine Verpflichtung zur Begründung der
Prüfungsentscheidung verletzt. Darin liege ein wesentlicher Verfahrensfehler, weil
angesichts des Beurteilungsspielraums in der Sache den Verfahrensvorschriften
ein besonderes Gewicht zukomme. Da der Fehler nicht die Prüfung selbst, sondern
allein die Bewertung der Prüfungsleistungen betreffe, sei der Beklagte zu einer
Neubewertung zu verpflichten.
Gegen das ihm am 2. Juli 1986 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Juli 1986
Berufung eingelegt. Mit der Berufung hat er eine dienstliche Erklärung der drei
Mitglieder des Prüfungsausschusses vorgelegt, nach der die Gesamtbewertung
des schriftlichen Prüfungsteils mit "mangelhaft" darauf beruhe, daß der Kläger
nicht die erforderlichen technischen Kenntnisse besitze und dieser Mangel durch
die lediglich ausreichenden Leistungen bei der Bearbeitung der ersten
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die lediglich ausreichenden Leistungen bei der Bearbeitung der ersten
Prüfungsaufgabe nicht als ausgeglichen angesehen werden könne.
Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte vor, es bestehe kein allgemeiner
Rechtsgrundsatz, daß Prüfungsentscheidungen schriftlich zu begründen seien.
Deshalb müßten die hier einschlägigen Bestimmungen über die
Begründungspflicht eng ausgelegt werden. Unter diesen Voraussetzungen sei es
nicht erforderlich, die Gesamtnote des schriftlichen Prüfungsteils gesondert zu
begründen. Im übrigen bestehe kein Rechtsgrundsatz, nach dem die Gesamtnote
aus unterschiedlichen Einzelnoten nach den Regeln der Arithmetik
zusammengezogen werden müßten; vielmehr komme es insoweit allein darauf an,
welchen Gesamteindruck die einzelnen Prüfungsleistungen nach der freien
Überzeugung des Prüfungsausschusses vermittelten.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die von dem Kläger angefochtene
Entscheidung über sein Nichtbestehen der Fahrlehrerprüfung für die Klasse 1 ist
rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt,
daß die Entscheidung über das Bestehen der Fahrlehrerprüfung nur eingeschränkt
der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. hierzu bereits Senatsurteil
vom 6. September 1977 -- II OE 80/75 --). Ferner hat das Verwaltungsgericht zu
Recht dargelegt, daß die Auswahl der Prüfungsthemen nach Inhalt und Umfang
nicht zu beanstanden und daß die Bewertung der zweiten Prüfungsfrage mit
"mangelhaft" zwar kurz, aber ausreichend begründet ist. Auf diese Ausführungen
nimmt der Senat Bezug.
Der Senat teilt aber nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß die
Bewertung des schriftlichen Teils der Prüfung insgesamt mit "mangelhaft" wegen
eines Begründungsdefizits fehlerhaft und deshalb aufzuheben ist. Allerdings geht
das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, daß § 24 Satz 2 der Prüfungsordnung
für Fahrlehrer vom 27. Juli 1979 (BGBl. I S. 1263, geändert durch Verordnung vom
9. Dezember 1980, BGBl. I S. 2241) -- FahrlPrüfO -- nicht dahingehend
mißverstanden werden darf, daß hinsichtlich der einzelnen Prüfungsteile (vgl.
hierzu § 13 FahrlPrüfO) nur die Ergebnisse, nicht aber die Gründe für einen
eventuellen Mißerfolg anzugeben seien. Eine Begründung für das Nichtbestehen
der Prüfung erschöpft sich nicht -- wie § 23 Satz 2 FahrlPrüfO belegt -- auf die
Mitteilung, an welchem Prüfungsteil der Bewerber ohne Erfolg teilgenommen hat;
die Begründung muß vielmehr erkennen lassen, in welchem konkreten Abschnitt
und aus welchen Gründen der Bewerber nicht die erforderlichen Leistungen
erbracht hat. Diesen Anforderungen wird der Prüfungsbescheid gerecht; aus der
beigefügten Kopie der Niederschrift läßt sich entnehmen, daß und aus welchen
Gründen der Kläger die zweite Aufgabe des schriftlichen Teils der Prüfung nicht
ausreichend bearbeitet hat. Diese Begründung ist im Widerspruchsbescheid und
durch die dienstliche Äußerung der Prüfer im Verfahren ergänzt und vertieft
worden; darin liegt kein unzulässiges Nachschieben von tragenden Gründen,
sondern lediglich eine Konkretisierung und Erläuterung der bereits mit
Prüfungsbescheid mitgeteilten Gründe.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war es nicht geboten, die
Bewertung des gesamten schriftlichen Teils der Prüfung mit "mangelhaft"
gesondert zu begründen. Denn diese Begründung ergibt sich bereits aus den
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gesondert zu begründen. Denn diese Begründung ergibt sich bereits aus den
einschlägigen Vorschriften, so daß ein entsprechender Hinweis in der
Prüfungsniederschrift (und in dem Prüfungsbescheid) rechtlich nicht geboten war.
Das ergibt sich im einzelnen aus folgenden Erwägungen: Nach § 4 Abs. 2 Satz 1
des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1336,
zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Juli 1980, BGBl. I S. 1141) -- FahrlG -- muß
die Fahrlehrerprüfung den Nachweis erbringen, daß der Bewerber die fachliche
Eignung zur Ausbildung von Fahrschülern besitzt. Nach Satz 2 dieser Bestimmung
hat er unter anderem ausreichende technische Kenntnisse des Kraftfahrzeugs,
gründliche Kenntnisse der maßgebenden gesetzlichen Vorschriften und das
Vertrautsein mit den Gefahren des Straßenverkehrs und mit den zu ihrer Abwehr
erforderlichen Verhaltensweisen nachzuweisen. Diese Regelung über die
erforderlichen Kenntnisse eines Fahrlehrers wird durch § 14 FahrlPrüfO
konkretisiert. Nach Abs. 2 Nr. 1 dieser Bestimmung muß der Bewerber um die
Fahrlehrererlaubnis der Klasse 1 eine Aufgabe über das Verhalten im
Straßenverkehr einschließlich Gefahrenlehre und eine Aufgabe über die Funktions-
und Wirkungsweise der Kraftfahrzeuge der Klasse 1 bearbeiten. Aus diesen
Vorschriften folgt unmittelbar, daß ein Fahrlehrer für die Klasse 1 den Prüfungsstoff
der beiden in § 14 Abs. 2 Nr. 1 FahrlPrüfO genannten Aufgabenbereiche
beherrschen muß mit der Folge, daß der schriftliche Teil der Prüfung insgesamt nur
bestanden ist, wenn der Bewerber in beiden Prüfungsgebieten ausreichende
Leistungen zeigt (vgl. Urteil des Hess. VGH vom 26. Oktober 1981 -- VI OE 56/79 --
, das zwar die zahnärztliche Vorprüfung, aber gleichwohl einen insoweit
vergleichbaren Fall betrifft).
Daraus ergibt sich, daß die Gesamtnote für den schriftlichen Teil der
Fahrlehrerprüfung nicht nach den Regeln der Arithmetik oder nach anderen
Bewertungsgrundsätzen frei gebildet wird, sondern durch § 4 FahrlG i.V.m. § 14
Abs. 2 Nr. 1 FahrlPrüfO vorgegeben ist. Die Bewertung des schriftlichen Teils der
Prüfung für die Fahrlehrererlaubnis der Klasse 1 deckt sich im Ergebnis mit der
Regelung des § 20 FahrlPrüfO. Danach ist die Prüfung insgesamt bestanden, wenn
die Leistungen in allen Prüfungsteilen mindestens mit der Note "ausreichend"
bewertet oder eine mangelhafte Leistung nach § 19 Abs. 3 FahrlPrüfO
ausgeglichen ist. Eine mangelhafte Bearbeitung einer der beiden
Prüfungsaufgaben des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FahrlPrüfO dürfte entsprechend § 19 Abs.
3 FahrlPrüfO grundsätzlich auch ausgleichbar sein. Diese Frage bedarf hier aber
keiner Erörterung, weil der Kläger die erste Aufgabe nur mit ausreichendem Erfolg
bearbeitet hat, so daß sich die Frage des Ausgleichs hier nicht stellt und deshalb
auch nicht bei der Bewertung des schriftlichen Prüfungsteils insgesamt erörtert
werden mußte.
Schließlich ist eine andere Beurteilung auch nicht deshalb geboten, weil der Kläger
die Fahrlehrerprüfung für die Klasse 1 nach § 25 FahrlPrüfO nicht wiederholen kann.
Dies beruht auf einer -- zulässigen -- Regelung der Berufsausübung. Dieser
Gesichtspunkt ist nicht geeignet, die Anforderungen an den Bewerber um die
Fahrlehrererlaubnis der Klasse 1 zu beeinflussen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.