Urteil des HessVGH vom 20.08.2002

VGH Kassel: sachliche zuständigkeit, altersgrenze, verfassungsrecht, richteramt, hessen, staatssekretär, dienstrecht, genehmigung, beamtenrecht, wählbarkeit

1
2
3
4
5
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 1229/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 33 Abs 2 GG, § 2 RiG
HE, § 7 Abs 1 RiG HE, § 19
Abs 2 S 1 Nr 3 BG HE
(Beförderungsverbot - Altersgrenze - Richter)
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner zu Recht im Wege der
einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, den Beigeladenen bei der Besetzung
der Stelle eines Vorsitzenden Richters/einer Vorsitzenden Richterin am ... der
Antragstellerin vorzuziehen. Die vom Hessischen Minister der Justiz am 8. Oktober
2001 gebilligte Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen verletzt die
Antragstellerin in ihrem Bewerbungsverfahrensrecht, das nach ständiger
Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse des Senats vom 2. Juli 1996 - 1 TG
1445/96 - HessVGRspr. 1996, 92 = NVwZ 1997, 615 m. w. N. sowie zuletzt vom
11. Juni 2002 - 1 TG 812/02 -) auch bei der Auswahl zwischen Bewerberinnen und
Bewerbern um ein Richteramt mit höherem Endgrundgehalt als demjenigen des
Eingangsamtes zu beachten ist.
Der Beigeladene hat am 1. September 2001 das 63. Lebensjahr vollendet. Ihm
darf nach der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Hessisches Beamtengesetz
(HBG) in der Fassung vom 11. Januar 1989 (GVBl. I S. 26, zuletzt geändert durch
Gesetz vom 2. April 2001, GVBl. I S. 1701), die gemäß § 2 Hessisches
Richtergesetz (HRiG) auf Richterdienstverhältnisse entsprechend anzuwenden ist,
innerhalb von zwei Jahren vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze (§ 7 Abs. 1
HRiG) ein höherwertiges Richteramt nicht mehr übertragen werden.
Nach § 2 HRiG gelten für die Rechtsverhältnisse der Richter die Vorschriften für die
Beamten des Landes mit Ausnahme des Vierten Abschnitts des Hessischen
Beamtengesetzes entsprechend, sofern nicht das Deutsche Richtergesetz (DRiG)
und das HRiG etwas anderes bestimmen. Ebenso wie das Verwaltungsgericht hat
auch der Senat keine Bedenken gegen die entsprechende Anwendung des § 19
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HBG, obwohl diese Vorschrift nach der insoweit zutreffenden
Ansicht des Antragsgegners dem beamtenrechtlichen Laufbahnrecht (§§ 17 ff.
HBG, §§ 1 ff. Bundeslaufbahnverordnung - BLV -) zuzuordnen ist.
Laufbahnrechtliche Bestimmungen sind auf das Richterdienstverhältnis
grundsätzlich nicht übertragbar (v. Roetteken in: ders./v. Rothländer, Hessisches
Bedienstetenrecht, 7. Aufl., Stand: Mai 2002, § 19 HBG Anm. 8; Breunig, ebenda, §
2 HRiG Anhang 2, Anm. 52). es sei denn, sie enthalten Vorschriften allgemeiner
Art, deren Anwendung weder Besonderheiten des Richterdienst- oder -amtsrechts
noch insbesondere die richterliche Unabhängigkeit entgegenstehen. Um eine
solche allgemeine Vorschrift handelt es sich bei dem sog. Verbot der
Altersbeförderung in § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HBG.
Dieses Verbot ist in § 12 Abs. 4 Nr. 3 BLV und - mit z.T. abweichenden Maßgaben -
in fast allen Beamtengesetzen der Länder enthalten (vgl. die Nachweise bei
Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, 5. Aufl., Stand Juni 2002, Teil C
§ 25 LBG NW Rn. 3d); es gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums (so ausdrücklich Bay. VGH, Urteil vom 4. März 1960, BayVBl.
1960, 155) und verstößt wie auch andere Höchstaltersgrenzen im
beamtenrechtlichen Kontext weder gegen Verfassungsrecht noch gegen sonstige
6
7
8
9
beamtenrechtlichen Kontext weder gegen Verfassungsrecht noch gegen sonstige
gesetzliche Vorschriften (vgl. dazu z.B. BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1997 - 2
BvR 1088/97 - NVwZ 1997, 1207 = ZBR 1997, 397 betr. Wählbarkeit als
hauptamtlicher Bürgermeister; BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1980 - 2 C 22.79 -
ZBR 1981, 228 betr. Übernahme als Berufssoldat; Beschluss vom 9. März 2000 - 1
WB 87.99 - Buchholz 236.11 § 33 SLV Nr. 1 betr. Laufbahnaufstieg; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Juli 1981 - 2 A 140/80 - ZBR 1981, 378).
Die zweijährige Beförderungssperre vor Erreichen der Altersgrenze stellt eine
Ausprägung des in Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 Hessische Verfassung (HV), § 8
Abs. 1 HBG, § 10 Abs. 1 HGlG verankerten Leistungsgrundsatzes dar. Der
Gesetzgeber bringt darin seine Erwartung zum Ausdruck, dass der Beamte im
Interesse des Dienstherrn und zum Nutzen der Allgemeinheit die ihm
übertragenen Aufgaben des höher bewerteten Amtes/Dienstpostens noch für eine
längere Zeitdauer wahrnehmen werde (so insbes. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
15. Juli 1981 a. a. O.); diese Erwartung liegt auch den jüngeren gesetzlichen
Regelungen zur Übertragung von Leitungsfunktionen auf Zeit zu Grunde (vgl. § 19
b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 HBG). Der dem Dienstherrn im Rahmen seiner
Organisationshoheit grundsätzlich zustehende Spielraum bei
Personalauswahlentscheidungen erfährt auf diese Weise eine gesetzliche
Einschränkung im Sinne einer sachgerechten Vorauswahl (vgl. dazu BVerwG, Urteil
vom 23. Oktober 1980 a. a. O.). Diese Einschränkung verhindert zugleich, dass in
die Auswahlentscheidung im Einzelfall altersbezogene und damit leistungsfremde
Gesichtspunkte eingehen. Die Auswahl unter den übrigen Bewerbern erfolgt nach
individueller Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung; darin liegt eine deutliche
Stärkung des Leistungsprinzips im Sinne einer Personalplanung, die auf eine
leistungsgerechte Besetzung von Führungs- und Leitungsfunktionen bei
ausgewogener Altersstruktur gerichtet ist.
Der Senat verkennt keineswegs, dass Fälle denkbar sind, in denen der
Entscheidungsspielraum des Dienstherrn gerade unter Eignungs- und
Leistungsgesichtspunkten auf die Auswahl eines unter die Alterssperre fallenden
Beförderungsbewerbers beschränkt wäre. Eine solche Konstellation kann zu
individuellen Härtefällen führen, die jedoch bei einer jeglichen normativen
Stichtagsregelung auftreten und im übergeordneten öffentlichen Interesse der
sachgerechten Ausgestaltung des Lebenszeitbeamtenverhältnisses hinzunehmen
sind. Ob darüber hinaus die in derartigen Fällen vorgesehene Erteilung einer
Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 3 HBG auch bei der
Übertragung eines höherwertigen Richteramts in Betracht käme und welche
Dienststelle hierfür zuständig wäre, kann dahinstehen, weil im vorliegenden Fall
eine Genehmigung im Zeitpunkt der Entscheidung nicht beantragt war. Zwar
erscheint fraglich, ob bei einer entsprechenden Anwendung des § 19 Abs. 3 Satz 3
HBG die sachliche Zuständigkeit für eine Ausnahmeregelung beim Staatssekretär
des für das Dienstrecht der Beamten zuständigen Ministeriums des Innern als
Direktor des Landespersonalamts (§ 111 Satz 1 HBG) oder - wofür einiges spricht -
bei der gemäß § 19 Abs. 3 Satz 4 HBG zur Letztentscheidung berufenen
Landesregierung liegen könnte. Jedenfalls aber bedürfte es für die Herbeiführung
einer solchen Entscheidung einer Initiative des Ministers der Justiz als
Ernennungsbehörde (§ 3 Abs. 1 und 2 HRiG; vgl. zum Verfahren grundsätzlich
BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1967 - VI C 73.64 - BVerwGE 26, 31 = ZBR 1967,
311; s. ferner Urteil vom 19. März 1969 a. a. O.). Daran fehlt es hier.
Auf der Ebene des Besoldungs- und Versorgungsrechts findet das Verbot der
Altersbeförderung seine Entsprechung in der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1
BeamtVG zur Ruhegehaltfähigkeit der Dienstbezüge eines höher bewerteten
Amtes. Die erforderliche Mindestdauer, für die der Beamte oder Richter (§ 1 Abs. 2
BeamtVG) die entsprechenden Bezüge vor Eintritt in den Ruhestand erhalten
haben muss, ist erst kürzlich durch Gesetz vom 29. Juni 1998 (BGBl. I S. 1666) von
zwei auf drei Jahre heraufgesetzt worden. Auch in dieser versorgungsrechtlichen
Ausprägung des Grundsatzes der funktionsgerechten Besoldung (§§ 18, 25
BBesG) wird der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Wahrnehmung
höherwertiger Ämter und Funktionen mit dem Merkmal einer gewissen Dauer zu
versehen und auf diese Weise sog. Altersbeförderungen vorzubeugen, die nicht in
erster Linie auf der Eignung des Beamten für das Beförderungsamt beruhen,
sondern dazu dienen, ihm die ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus diesem Amt
zukommen zu lassen (vgl. dazu bereits BVerwG, Urteil vom 19. März 1969 - VI C
54.64 - BVerwGE 31, 345 = ZBR 1969, 314).
Es entspricht der feststehenden Rechtsprechung des Senats, dass auch die
9
10
11
12
13
Es entspricht der feststehenden Rechtsprechung des Senats, dass auch die
Übertragung von Richterämtern mit höherem Endgrundgehalt als demjenigen des
Eingangsamts ausschließlich im Wege der Bestenauslese nach den Maßstäben
von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu erfolgen hat (vgl. zuletzt
Beschlüsse des Senats vom 10. Juli 2001 - 1 TG 1587/01 -, vom 25. Oktober 2001 -
1 TZ 1922/01, 1 TZ 2370/01, 1 TG 1840/01 und 1 TG 2865/01 - sowie vom 11. März
2002 - 1 TZ 3215/01 -). Eine laufbahnrechtliche Vorschrift, die der Stärkung des
Leistungsprinzips dient, ist daher im Recht der Richter entsprechend anwendbar,
wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat (so im Ergebnis bereits
Beschluss des Senats vom 25. August 1999 - 1 TZ 2027/99 -).
Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht schließlich auch die praktische
Erwägung, dass die Funktion des/der Vorsitzenden eines Senats beim ... als
Berufungs- und Beschwerdeinstanz sowohl im Hinblick auf die Aufgaben der
Rechtsprechung als auch in den Belangen der Personalführung mit den Merkmalen
der Dauer und Kontinuität versehen ist und häufige Wechsel im Abstand von
weniger als zwei Jahren als unzuträglich erscheinen lässt; diese Erwägung ist auch
dem Antragsgegner als Dienstherrn keineswegs fremd, wie die Aufnahme des
Merkmals "Fähigkeit, die Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung innerhalb eines
Spruchkörpers zu fördern" in das entsprechende Anforderungsprofil dieses
Richterdienstpostens zeigt (vgl. JMBl. 1999, 175, 179).
Da die Beschwerde erfolglos bleibt, hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 2
VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Zu einer
Billigkeitsentscheidung hinsichtlich außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen
nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht kein Anlass, da dieser keine Anträge gestellt und
somit kein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14
Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1a und 2, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat
berechnet den Streitwert ebenso wie das Verwaltungsgericht in dem
angefochtenen Beschluss.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.