Urteil des HessVGH vom 20.02.1987

VGH Kassel: politische verfolgung, polizei, indien, regierung, brief, anhörung, staat, bundesamt, presse, anerkennung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 3215/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 AsylVfG 1992, § 11
AsylVfG 1992
Leitsatz
Indern, denen im Heimatland wegen eines oder mehrerer Tötungsdelikte
Strafverfolgung droht, können daraus grundsätzlich keinen Asylanspruch ableiten. Das
gilt auch, wenn der Verdächtige der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehört und die
Opfer Hindus waren .
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs.
1 VwGO).
Sie ist jedoch nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag des
Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 27.
Oktober 1986 (IV/2 E 8742/86) gegen die Abschiebungsandrohung der zuständigen
Ausländerbehörde des Antragsgegners erhobenen Klage zu Recht abgelehnt; denn
der ausländerrechtliche Bescheid vom 23. Oktober 1986 erweist sich als offenbar
rechtmäßig mit der Folge, daß das Öffentliche Interesse am Vollzug der
Abschiebungsandrohung das private Interesse des Antragstellers an der
Aussetzung der Vollziehung überwiegt.
Es bestehen keine durchgreifenden rechtlichen oder tatsächlichen Bedenken
gegen die Abschiebungsandrohung vom 23. Oktober 1986. Diese ist nicht
verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und weist keine sonstigen Mängel auf.
Insbesondere ist auch die für eine freiwillige Ausreise eingeräumte Frist von zwei
Wochen nach Zustellung des Bescheides bzw. von einer Woche nach Eintritt der
Unanfechtbarkeit einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ausreichend, und hat
die Behörde insoweit das ihr zustehende Ermessen sachgerecht betätigt und ihre
Ermessensentscheidung ausreichend begründet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
der Antragsteller erst im Februar 1986 in die Bundesrepublik eingereist ist und
seitdem ohne irgendwelche Verpflichtungen aus Miet- oder Arbeitsverträgen in
Gemeinschaftsunterkünften wohnt. Auch sonstige Gründe, welche bei der
Entscheidung der Behörde hätten Berücksichtigung finden müssen, sind weder
vorgetragen noch sonstwie ersichtlich.
Die Feststellung der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages in dem
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
15. Oktober 1986 erweist sich nach der hier im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO,
§ 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 AsylVfG erforderlichen erschöpfenden Überprüfung
als richtig (vgl. hierzu Beschluß des Senates vom 28. August 1985 - 10 TH 1561/85
- m.w.N., EZAR 226 Nr. 7). Die Ablehnung des Asylantrages drängt sich nämlich
geradezu auf, weil sich das Asylbegehren des Antragstellers eindeutig als
aussichtslos erweist. Insofern wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses
Bezug genommen, die sich der Senat mit der Maßgabe zu eigen macht, daß der
Antragsteller nicht behauptet hat, die Polizei suche ihn, weil er zusammen mit
anderen die Mörder seines Vaters umgebracht habe; man habe vielmehr
diejenigen umgebracht, welche den Vater nach der Ermordung von Frau Indira
Gandhi geschlagen hätten. An der rechtlichen Beurteilung ändert sich dadurch
zugunsten des Antragstellers nichts.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren ist
angesichts der ausführlichen Würdigung, welche der Vortrag des Antragstellers im
Bescheid des Bundesamtes gefunden hat, nicht ersichtlich, was gemeint ist, wenn
der Antragsteller rügt, das Bundesamt sei nicht einmal auf die persönlichen
Gründe, die der Antragsteller dargelegt habe, eingegangen und habe pauschal
den Antrag abgelehnt. Dasselbe gilt für die Darlegungen des Antragstellers, bei
der Sikh-Youth-Federation handele es sich um eine in Indien verbotene
Parteirichtung, die mit friedlichen Mitteln, aber sehr gerecht versuche, einen
eigenen Staat, nämlich den Sikh-Staat im Punjab zu gründen und zu verwalten.
Abgesehen davon, daß aufgrund der Angaben des Antragstellers im Rahmen der
persönlichen Anhörung bei der Vorprüfung davon auszugehen ist, daß er Mitglied
der All-India-Sikh-Student-Federation (AISSF) gewesen sein will und nicht, wie in
der Begründung zur Beschwerde im Schriftsatz vom 25. November 1986
behauptet, Mitglied der Sikh-Youth-Federation, widersprechen die Behauptungen
des Antragstellers den Erkenntnissen des Senates. Danach handelt es sich bei der
AISSF um eine als Studentenorganisation der Akali-Dal gegründete Gruppe,
welche eine kompromißlose radikale Linie bei der Verfolgung ihrer Interessen
vertritt (A.A. vom 27. August 1986, Unterlage Nr. 74). Bezüglich der Behauptung,
es handele sich bei der AISSF um eine verbotene Organisation, steht aufgrund der
gleichen Auskunft des Auswärtigen Amtes fest, daß ein Verbot der Organisation
lediglich in der Zeit vom 19. März 1984 bis zum April 1985 bestanden hat.
Nichts anderes ergibt sich aus dem mit Schriftsatz vom 9. Februar 1987
vorgelegten Brief bzw. aus dessen Übersetzung in die deutsche Sprache.
Abgesehen davon, daß solchen Briefen meist kein Beweiswert zukommt, weil es
sich häufig um bestellte Gefälligkeitsschreiben handelt, ist der Inhalt des
Schreibens, wie es sich aus der mitvorgelegten Übersetzung ergibt, nicht
geeignet, dem Antrag des Antragstellers zum Erfolg zu verhelfen. Danach warnt
die Mutter des Antragstellers ihn vor einer Rückkehr nach Indien, weil die indische
Polizei zwei Freunde von ihm verhaftet und brutal geschlagen habe. Dabei hätten
diese gegenüber der Polizei wahrheitswidrig angegeben, daß der Antragsteller
zusammen mit den Festgenommenen jemanden umgebracht habe. Die Freunde
hätten gelogen, als sie bei der Polizei den Namen des Antragstellers im
Zusammenhang mit der Mordsache genannt hätten. Diese Schilderung könnte
mit den Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung vom 18.
September 1986 im Einklang stehen, wonach der Antragsteller zusammen mit
einem Freund die Hindus, welche seinen Vater geschlagen haben sollen,
umgebracht haben will. Wenn der Antragsteller deshalb von der Polizei gesucht
wird, kommt dem keine asylrechtliche Relevanz zu. Der Antragsteller würde, die
Wahrheit der Angaben in dem der Mutter des Antragstellers zugeschriebenen Brief
einmal unterstellt, wegen einer schweren Straftat, die in allen Rechtsstaaten mit
einer hohen Strafe bedroht ist, einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Dabei
ist die indische Justiz, den Angaben in dem genannten Brief zufolge - Verurteilung
der Freunde zu 20 Jahren Haft - von einem Totschlag ( Section 299 Indian Penale
Code -IPC-; ) oder von einer privilegierten Form des Mordes (Section 300 IPC)
ausgegangen, da sonst die Todesstrafe gegen die Freunde des Antragstellers
verhängt worden wäre (Section 302 IPC). Da jedoch nichts dafür ersichtlich ist, daß
die Strafmaßnahmen nicht sachgerechte, tat- und schuldangemessene staatliche
Reaktion auf kriminelles Unrecht darstellen und auch nicht ersichtlich ist, daß
durch die Strafmaßnahmen der Antragsteller wegen seiner Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
seiner Überzeugung getroffen werden soll, stellt sich die dem Antragsteller im Falle
seiner Rückkehr in die Heimat unter Umständen drohende Strafverfolgung nicht
als politische Verfolgung dar (vgl. Baden-Württembergischer VGH, Urteil v. 7. Juli
1981 - A 12 S 104/80 -). Nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen erscheint
es nämlich ausgeschlossen, daß dem Antragsteller im Falle einer Verurteilung
wegen eines Tötungsdeliktes ein "Politmalus" droht. Die indischen
Strafverfolgungsbehörden und Gerichte unterscheiden nämlich nicht nach der
Religionszugehörigkeit der Straftäter (Auswärtiges Amt vom 12.08.1985 an
Hess.VGH - Unterlage Nr. 56 -). Ebenso hat die Sachverständige Dr. Gabriele
Venzky in ihrer Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Köln am 17. Juli 1986
bekundet, sie habe beim Studium der (indischen) Presse nicht den Eindruck
gewonnen, daß etwa ein Mord aus politischen Motiven anders bestraft würde als
ein Raubmord (Nr. 72 der Unterlagen). Die Sachverständige, die in der gleichen
Vernehmung angegeben hat, seit vielen Jahren und jeweils über längere Zeit, in
Indien zu leben, hat nach ihren Angaben vor ihrer Vernehmung mit einer Vielzahl
ehemals inhaftierter Sikhs über die Situation im Punjab und die Maßnahmen der
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ehemals inhaftierter Sikhs über die Situation im Punjab und die Maßnahmen der
Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden gesprochen. Von daher kommt ihrer
Aussage ein besonderes Gewicht zu, da vor diesem Hintergrund der allgemeinen
Informationen, über die die Sachverständige verfügt, die von ihr gewählte
Formulierung, wonach sie ihre Erkenntnisse Über die Art der Strafzumessung in
Mordfällen aus dem Studium der Presse gewonnen habe, sicher zu eng gewählt
ist. Der Senat geht deshalb davon aus, daß die Sachverständige jedenfalls aus
den persönlichen Kontakten mit betroffenen Sikhs keine anderen Erkenntnisse
gewonnen hat, so daß ihre Aussage, bei der Bestrafung von Gewalttätern komme
es in Indien nicht zu einer politisch motivierten Überschärfung, als richtig
angesehen wird. Dasselbe ergibt sich aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes
vom 1. Juli 1986 an das Verwaltungsgericht Minden (Nr. 69 der Unterlagen),
wonach seit der Regierungsübernahme durch die Sikh-Partei Akali-Dal im Punjab
(Herbst 1985) von einer Verfolgung der Sikhs wegen politischer Aktivitäten (im
Ausland) weniger denn je die Rede sein könne. Danach werden Straftaten
weitestgehend von der durch die Akali-Dal-Partei gestellten Regierung des Punjab
verfolgt. Das gelte insbesondere für terroristische Aktivitäten extremistischer
Sikhs, denen fast täglich mehrere Menschen zum Opfer fielen. Insgesamt ergibt
sich aus den vom Senat ausgewerteten Unterlagen, daß auch die indische
Zentralregierung bemüht ist, Aggressionen abzubauen und auch straffällig
gewordene (insbesondere Jugendliche) Sikhs wieder zur Normalität
zurückzubringen. So wurde durch die Regierung des Punjabs in den ersten hundert
Tagen ihrer Regierung die Freilassung von 4.449 Gefangenen angeordnet, von
denen sich laut Angaben des Südasien-Instituts im Gutachten vom 17. Februar
1986 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Nr. 66 der Unterlagen) bereits
3.487 auf freiem Fuß befanden. Darüber hinaus geht der Senat davon aus, daß im
Rahmen der genannten Entspannungs- und Normalisierungsbemühungen die
Strafverfahren in Indien, einschließlich der präventiven Verhaftungsmaßnahmen,
insgesamt rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und eine Benachteiligung
von Sikhs nicht in Betracht kommt (Gräfin Dr. Bernstorff am 6. März 1986 vor dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof -Nr. 67 der Unterlagen-;, Südasien-Institut
a.a.O. -Nr. 66 der Unterlagen-;, Auswärtiges Amt vom 8. November 1984 an das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge -Nr. 46 der Unterlagen-
;, Südasien-Institut vom 6. Juni 1984 an Bayerischen VGH -Nr. 40 der Unterlagen-;,
Dr. Gabriele Venzky, a.a.O. -Nr. 72 der Unterlagen-;, VG Minden a.a.O. -Nr. 69 der
Unterlagen». Soweit in der Übersetzung des genannten Handschreibens noch
ausgeführt ist, die Polizei suche den Antragsteller, weil er ja der Führer seiner
Partei gewesen sei und für diese Reden gehalten habe, kommt dem schon deshalb
kein Beweiswert zu, weil der Kläger selbst nicht einmal behauptet hat, in einer so
gehobenen Position in irgendeiner Verbindung tätig gewesen zu sein.
Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens
beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 13 Abs. 1, 20 Abs . 3 GKG a .F .
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.