Urteil des HessVGH vom 10.05.1999

VGH Kassel: gericht erster instanz, leistungsfähigkeit, ausländerrecht, entlastung, ausreise, abschiebung, anmerkung, aufenthalt, sozialhilfe, gerät

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 UZ 2442/98
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 2 AuslG 1990, § 30
Abs 3 AuslG 1990, § 30 Abs
4 AuslG 1990
(Versagung einer Aufenthaltsbefugnis nach AuslG 1990 §
30 Abs 3 oder Abs 4 wegen Sozialhilfebezugs)
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor des
vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete erstinstanzliche Urteil ist nach §
124a VwGO statthaft, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Die von der Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vermag der Senat anhand der
Ausführungen in der Antragsschrift vom 9. Juni 1998 nicht zu erkennen.
Insoweit wirft die Klägerin zunächst die Rechtsfrage auf, ob die in § 7 Abs. 2 AuslG
genannten Regelversagungsgründe auch der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis
gemäß § 30 AuslG mit der Folge entgegenstehen, dass beim Vorliegen eines
derartigen Versagungsgrundes die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt
sind, auf deren Grundlage die Ausländerbehörde sodann im Ermessenswege über
die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis zu entscheiden hat. Da im Falle der Klägerin
offensichtlich nur eine Aufenthaltsbefugnis nach den Absätzen 3 oder 4 des § 30
AuslG in Betracht kommt, dem aber möglicherweise der Regelversagungsgrund
des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (Sozialhilfebedürftigkeit) entgegensteht, und da die
Berufung nur hinsichtlich entscheidungserheblicher Fragestellungen zugelassen
werden kann, reduziert sich die von der Klägerin aufgeworfene Problematik auf die
Grundsatzfrage, ob die Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG im Rahmen der
Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 oder
4 AuslG Berücksichtigung finden muss. Diese Frage ist zu bejahen. Ihre
Beantwortung ergibt sich, ohne dass es dazu der Durchführung eines
Berufungsverfahrens bedürfte, unmittelbar aus dem Gesetz (in diesem Sinne auch
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1997 - 13 S 1191/97 -, InfAuslR
1998, 75 = VBlBW 1998, 75).
Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG wird eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn ihre
Erteilung im Ermessen der Ausländerbehörde steht, in der Regel versagt, wenn der
Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem
Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln, aus Unterhaltsleistungen von
Familienangehörigen oder Dritten oder aus weiteren im Gesetz im einzelnen
genannten Quellen bestreiten kann. Bei der von § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG
erfassten Aufenthaltsbefugnis handelt es sich um eine solche im Ermessenswege
zu erteilenden Aufenthaltsgenehmigung (vgl. § 5 Nr. 4 AuslG), so dass schon dies
für die Bejahung der zuvor umrissenen Rechtsfrage spricht. Die Absätze 3 und 4
des § 30 AuslG schließen eine Anwendung des Regelversagungsgrundes des § 7
Abs. 2 Nr. 2 AuslG auch nicht aus. Damit unterscheiden sich diese Tatbestände
deutlich von dem des § 30 Abs. 1 AuslG, wo § 7 Abs. 2 AuslG ausdrücklich genannt
ist und einer Erteilung der Aufenthaltsbefugnis in den von diesem Absatz erfassten
Fällen gerade nicht entgegensteht. In den Fällen, in denen einem Ausländer aus
völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen oder zur Wahrung
politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Einreise und der
Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt werden soll (Tatbestand des § 30 Abs. 1
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Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt werden soll (Tatbestand des § 30 Abs. 1
AuslG), will das Gesetz also gerade sicherstellen, dass dies auch dann geschehen
kann, wenn ein solcher Ausländer im Bundesgebiet auf den Bezug etwa von
Sozialhilfe angewiesen sein wird. Indem das Gesetz die Unbeachtlichkeit des
Vorliegens eines Regelversagungsgrundes nach § 7 Abs. 2 AuslG ausdrücklich nur
in den Fällen des Absatzes 1 des § 30 AuslG anordnet, nicht aber in seinen
Absätzen 3 und 4, auf die sich die von der Klägerin aufgeworfene Fragestellung
bezieht, bringt es mit nicht zu übersehender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass die
grundsätzlich auch für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis geltende Regelung
des § 7 Abs. 2 AuslG insoweit Berücksichtigung finden muss. Dass in der
Begründung der Bundesregierung zu § 30 des Entwurfs für ein Gesetz zur
Neuregelung des Ausländerrechts (BTDS 11/6321 S. 66 f.) in einer scheinbar
generellen und nicht nur auf § 30 Abs. 1 bezogenen Anmerkung davon die Rede
ist, es liege in der Natur dieser aus besonderen Gründen erfolgenden
Aufenthaltsgewährung und bedürfe deshalb keiner ausdrücklichen Klarstellung,
dass bei der Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis von den in § 7
Abs. 2 AuslG geregelten Versagungsgründen abgesehen werden könne, soweit der
besondere humanitäre oder politische Grund auch das rechtfertige, spricht nicht
gegen diese Einschätzung. Zum einen kann einer solchen historischen
Betrachtungsweise - wenn sie in Konflikt mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut
gerät - keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Zum anderen
könnte diese Bemerkung - selbst wenn man sie auf den gesamten § 30 AuslG und
nicht nur auf dessen Absatz 1 bezöge - aber auch so verstanden werden, dass
stets dann, wenn besondere humanitäre oder politische Gründe dies rechtfertigen,
von der grundsätzlichen Geltung des § 7 Abs. 2 AuslG im Einzelfall abgesehen
werden könne, weil nämlich diese besonderen Gründe den konkreten Fall als
atypisch und daher vom vorgenannten Regelversagungsgrund nicht erfasst
erscheinen lassen. Diese Ausnahme würde aber nichts an der generellen
Beachtlichkeit des § 7 Abs. 2 AuslG in den von § 30 Abs. 3 und 4 AuslG erfassten
Fallkonstellationen ändern.
Dass der Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG auch bei Anträgen auf
Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG beachtet
werden muss, führt auch nicht etwa zu nicht sachgerechten Ergebnissen. Zwar ist
- worauf das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu Recht hinweist - der mit
Einführung dieses Regelversagungsgrundes bezweckte Gedanke - baldige Ausreise
oder Abschiebung des sozialhilfebedürftigen und daher keinen Aufenthaltstitel
erhaltenden Ausländers und daraus resultierende Entlastung der Staatskasse - in
den von § 30 Abs. 3 und 4 AuslG erfassten Konstellationen nicht ohne weiteres
nutzbar zu machen. Der Ausländer, der unter diese Gesetzestatbestände fällt,
wird nämlich - auch wenn ihm die Aufenthaltsbefugnis wegen seiner
Hilfebedürftigkeit nicht erteilt wird - im Regelfall aufgrund einer Duldung weiterhin
im Bundesgebiet bleiben, so dass eine Entlastung der öffentlichen Hand als Folge
der Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG nicht unmittelbar eintritt. Andererseits
ist aber durch das Eingreifen des § 7 Abs. 2 AuslG die Möglichkeit eröffnet, eine
Verfestigung des Aufenthalts der vom Regelversagungsgrund erfassten Ausländer
durch Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu verhindern und zu gewährleisten,
dass die Ausreisepflicht dieser Ausländer nach Wegfall der Ausreisehindernisse
ohne unerwünschte Verzögerung durchgesetzt werden kann (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1997 - 13 S 1191/97 -, a.a.O.). Schließlich
findet die unterschiedliche gesetzliche Behandlung der Fälle des § 30 Abs. 1 AuslG
einerseits und der der Absätze 3 und 4 des § 30 AuslG andererseits, was die
Anwendbarkeit des Regelversagungsgrundes des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG angeht,
auch eine sachliche Rechtfertigung in dem Umstand, dass mit der Vorschrift des §
30 Abs. 1 AuslG gewichtige humanitäre und politische Zielsetzungen verbunden
sind, wie sie bei § 30 Abs. 3 und 4 nicht in gleichem Maße erkennbar sind.
Die vom Senat in Übereinstimmung mit dem Gericht erster Instanz vertretene
Auffassung, dass der Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG
grundsätzlich auch beachtet werden muss, wenn eine Aufenthaltsbefugnis nach §
30 Abs. 3 oder 4 AuslG im Streit steht, entspricht im übrigen auch der absolut
vorherrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Juni 1997 - 17 A 7548/95 -; VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 22. Juli 1997 - 13 S 1191/97 -, a.a.O., Urteil vom 22.
September 1997 - 1 S 103/96 -, NVwZ-RR 1998, 678 = InfAuslR 1998, 78 = DÖV
1998, 250; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 13 S 3121/96 -, VBlBW 1999, 150;
Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., AuslG § 30 Rdnr. 8, 12; Hailbronner,
Ausländerrecht, AuslG § 30 Rdnr. 25; GK- AuslG § 30 Rdnr. 79, 118, 136).
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Angesichts der zuvor dargestellten, zur Durchführung eines Berufungsverfahrens
keinen Anlass gebenden Rechtslage ist auch nicht ersichtlich, dass dieses
Rechtsmittel zugelassen werden müsste, weil - so die Klägerin in ihrer
Antragsschrift - die Rechtssache insoweit rechtliche Schwierigkeiten aufwiese
(Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Da sich das Verwaltungsgericht
mit seiner Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit dem vorliegend zur
Entscheidung berufenen Senat befindet, bestehen insoweit auch keine ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (Zulassungsgrund
des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Auch die weitere von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Verhalten
eines Unterhaltspflichtigen dem um eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3
oder 4 AuslG nachsuchenden Ausländer in der Weise "zugerechnet" werden könne,
dass dieser sich zur Abwehr des Regelversagungsgrundes des § 7 Abs. 2 Nr. 2
AuslG nicht mit Erfolg auf eine in seinem Falle gegebene atypische Konstellation
berufen könne, macht die Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht
erforderlich.
Insoweit mag dahinstehen, ob die Frage, wann im jeweiligen Einzelfall eine vom
Regelfall abweichende atypische Konstellation gegeben ist, die zum Ausschluss
eines der in § 7 Abs. 2 AuslG normierten Versagungsgründe führt, überhaupt unter
dem Blickwinkel der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zur Zulassung
der Berufung führen kann. Zweifel hieran bestehen deshalb, weil eine derartige
Abweichung vom Regelfall naturgemäß stets nur ausnahmsweise im Hinblick auf
die konkreten Besonderheiten des zur Entscheidung stehenden Falles festgestellt
werden könnte, so dass sich eine in diesem Zusammenhang stellende Frage
zwangsläufig einer generalisierenden und über den Einzelfall hinaus bedeutsamen
Beantwortung entziehen dürfte (in diesem Sinne VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 22. Juli 1997 - 13 S 1191/97 -, a.a.O.).
Selbst wenn man diese Bedenken zurückstellen wollte, ließe sich die oben
formulierte Frage der Klägerin unschwer anhand des Gesetzes beantworten.
Mit ihrer die Zurechenbarkeit des Verhaltens eines Unterhaltspflichtigen
betreffenden Fragestellung bezieht sich die Klägerin ersichtlich auf die Ansicht des
Verwaltungsgerichts, ein atypischer und die Anwendbarkeit des
Regelversagungsgrundes des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG ausschließender Fall liege
dann nicht vor, wenn der betreffende Ausländer den Versagungsgrund in
zumutbarer Weise beseitigen könne, wobei er sich das Verhalten derer
"anrechnen" lassen müsse, durch deren mögliche Unterhaltszahlungen der
Versagungsgrund entfallen würde. Auf der Grundlage dieser Einschätzung hat das
Verwaltungsgericht sodann zwar im Fall der Klägerin - bei isolierter Betrachtung
deren eigener Situation (Versorgung eines Kleinkindes) - einen
Ausnahmetatbestand in Erwägung gezogen, diesen aber letztlich doch - unter
Einbeziehung der Situation ihres Ehemannes und dessen Erwerbslosigkeit, die
nicht auf atypischen Umständen beruhe, - verneint.
Diese rechtliche Auffassung des Gerichts erster Instanz begegnet der Sache nach
keinen Bedenken, ihre Richtigkeit ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Der
Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es zu dieser Klarstellung nicht.
Die Hilfebedürftigkeit, an die § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG seine Versagungsregelung
knüpft, kann ihre Ursache sowohl in der mangelnden wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft des um eine Aufenthaltsgenehmigung
nachsuchenden Ausländers als auch beispielsweise in der mangelnden
Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft des diesem unterhaltspflichtigen
Angehörigen finden. Dem entsprechend kann sie sowohl durch eigenes Bemühen
des Ausländers als auch durch eine entsprechende Unterstützung durch den
Unterhaltspflichtigen beseitigt werden. Fällt der um eine Aufenthaltsgenehmigung
nachsuchende Ausländer daher der öffentlichen Unterstützung anheim, so ist eine
vom Regeltatbestand erfasste Konstellation sowohl in den Fällen gegeben, in
denen die Hilfebedürftigkeit ihre Ursache vorrangig in seiner eigenen Person findet,
als auch in den Fällen, in denen sie durch die mangelnde Leistungsfähigkeit oder -
bereitschaft eines ihm Unterhaltspflichtigen verursacht wird. Kann also
beispielsweise der Ausländer, der eine Aufenthaltsgenehmigung erstrebt, infolge
schwerer Behinderung oder sonstiger schwerwiegender und atypischer Umstände
nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen, so kann dennoch allein schon wegen
dieses Umstandes nicht von einem atypischen und daher von der auf den Regelfall
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dieses Umstandes nicht von einem atypischen und daher von der auf den Regelfall
bezogenen Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG nicht erfassten Konstellation
ausgegangen werden, wenn ein Unterhaltspflichtiger seinerseits die
Hilfebedürftigkeit infolge seiner fehlenden Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft
nicht abzuwenden vermag und in dessen Person keine atypischen Besonderheiten
gegeben sind. Dies erscheint angesichts der Regelung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG
selbstverständlich, nichts anders besagen die Darlegungen des Gerichts erster
Instanz, auch wenn die von ihm gewählte Formulierung, der Ausländer müsse sich
das Verhalten des Unterhaltspflichtigen "anrechnen" lassen, missverständlich sein
mag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts für das Antragsverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1 und 3, 13 Abs. 1 GKG.
Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die Rechtsverfolgung keine
hinreichende Erfolgsaussicht hat (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.