Urteil des HessVGH vom 17.01.2003

VGH Kassel: beweisantrag, amnesty international, abweisung, unterlassen, auskunft, mangel, religion, ermessen, bangladesch, rüge

1
2
3
4
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UZ 484/01.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 78 Abs 3 S 3 AsylVfG
1992, § 138 Nr 3 VwGO, §
295 ZPO
(Gehörsrüge bei abgelehntem Beweisantrag)
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieser Entscheidung
bezeichnete Urteil bleibt ohne Erfolg, da der Kläger Zulassungsgründe nicht in
einer dem Darlegungserfordernis genügenden Art und Weise vorzutragen
vermochte. Da dem Zulassungsantrag somit die Erfolgsaussicht fehlt, ist auch der
Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, §§ 114 ff. ZPO, 166 VwGO.
Der Kläger bleibt ohne Erfolg, soweit er sich auf eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO beruft und
vorträgt, sein in der ersten mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellter
Beweisantrag Nr. 2 sei zu Unrecht abgelehnt worden. Er hatte beantragt, Beweis
zu erheben über seine Behauptungen, Angehörige der Hindu-Religion seien nach
wie vor schutzlos der Verfolgung durch Dritte und durch staatliche
Sicherheitskräfte ausgeliefert. Dies gelte besonders für Personen, die als
Funktionäre in den Organisationen der Hindu-Gemeinde tätig seien. Unabhängig
davon seien Mitglieder und Funktionäre der BHCOP schutzlos Übergriffen Privater
und staatlicher Stellen ausgeliefert. Die Sicherheitsbehörden in Bangladesch seien
nicht Willens und unabhängig davon nicht in der Lage, den Betroffenen Schutz zu
gewähren. Er hatte dazu beantragt, Beweis durch Stellungnahme des
Südasieninstituts und des UNHCR, durch Auskunft von amnesty international,
durch Sachverständigengutachten und durch Zeugnis von vier weiteren Personen
zu erheben. Das Gericht hatte diesen Antrag sowie weitere Anträge in der
mündlichen Verhandlung abgelehnt und zu dem Beweisantrag Nr. 2 ausgeführt, es
dränge sich für das Gericht keine weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens auf, weil es aufgrund der vorhandenen
Erkenntnisquellen in der Lage sei, die aufgestellten Behauptungen des Klägers zu
prüfen und darüber zu entscheiden. Die zu diesem Beweisthema angebotenen
Zeugen seien ungeeignete Beweismittel. Diese könnten allenfalls über
Einzelschicksale Auskunft geben. In der nächsten mündlichen Verhandlung vom
15. Januar 2001 wiederholte der Kläger seine in der mündlichen Verhandlung vom
19. Juni 2000 gestellten Anträge als Hilfsbeweisanträge.
Zur Begründung der Verletzung des rechtlichen Gehörs macht der Kläger geltend,
dem Gericht habe kein Ermessen zugestanden, um die Einholung
sachverständiger Stellungnahmen im Beweiswege abzulehnen, da bisher noch
keinerlei gutachterliche Stellungnahmen dazu vorlägen. Soweit sich in den
Erkenntnisquellen Stellungnahmen befänden, enthielten diese nicht Aussagen
oder Angaben dazu, der genannte Personenkreis sei vor einer erneuten
mittelbaren Verfolgung sicher. Die Beweiserhebung hätte sich auch aufgedrängt.
Mit diesen Ausführungen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht
dargetan. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht Beweisanträge mit Gründen
ablehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden. Auf einen Gehörsverstoß
kann sich der Betroffene jedoch nur berufen, wenn er zuvor alle prozessualen und
faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl.
5
6
7
8
faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl.
BVerwG, B. v. 8.12.1988, NJW 1989 S. 1233, OVG Münster, Beschluss vom
20.04.1995, NVwZ Beilage 1995 S. 59; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.01.1998,
AuAS 1998 S. 141, Hamburgisches OVG, Beschluss vom 23.09.1998 - BS 129/96 -,
zitiert nach JURIS; Hess. VGH, Beschluss vom 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -). Im
vorliegenden Fall hat der Kläger es unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen.
Das Verwaltungsgericht hatte die in der Sitzung vom 15. Juni 2000 vom Kläger
gestellten Beweisanträge durch einen begründeten Beschluss abgelehnt. Bei
dieser Sachlage hätte der Kläger in der nächsten mündlichen Verhandlung am 15.
Januar 2001 das Verwaltungsgericht auf die seiner Ansicht nach gehörsverletzende
Ablehnung der Beweisanträge hinweisen müssen, um eine erneute
Beschlussfassung unter Berücksichtigung der von ihm nunmehr im
Zulassungsverfahren im Einzelnen dargelegten Gesichtspunkte zu erreichen. Dem
Kläger war aufgrund der Quellenliste, die das Verwaltungsgericht zur Grundlage
seiner Entscheidung heranzuziehen beabsichtigte, klar, welche Quellen zur
Situation der Hindus dort vorlagen (vgl. die Quellenliste, die auf S. 2 die Überschrift
"Situation der Hindus" trägt). Er hätte daher bereits in der mündlichen
Verhandlung vom 15. Januar 2001 ein seiner Ansicht nach fehlendes
Sachverständigengutachten zur Situation der Hindus rügen können und müssen.
Gleiches gilt entsprechend für die Rüge, dem Gericht habe für die Entscheidung
dieser Frage kein Ermessen zugestanden und es habe die erforderliche Sachkunde
nicht dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diese Ausführungen erst im
Zulassungsverfahren hat machen können. Seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der Ablehnung des Beweisantrags unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen
Gehörs waren allein durch die Verhandlung vom 15. Juni 2000 begründet, ohne
dass in der Verhandlung vom 15. Januar 2001 neue Gesichtspunkte hinzugetreten
wären, die eine Auseinandersetzung erst im Zulassungsverfahren notwendig
gemacht hätten.
Der Rechtsgedanke, wonach der Kläger in einer zweiten mündlichen Verhandlung
Gehörsrügen, die ihm in diesem Zeitpunkt bereits erkennbar sein müssen, auch
vorbringen muss, findet sich auch in § 173 VwGO i.V.m. § 295 ZPO wieder. Nach §
295 Abs. 1 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift
nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen
Verhandlung in dem betreffenden Verfahren den Mangel nicht gerügt hat, obgleich
sie erschienen ist und ihr der Mangel bekannt war oder hätte bekannt sein
müssen. Die Rügeanforderungen sind zwar unterschiedlich je nachdem, ob der
Beteiligte sich eines Anwalts bedient hat oder nicht. Im vorliegenden Verfahren hat
der Kläger sich jedoch eines Anwalts bedient, sodass Kenntnis der Rechtsprechung
zur Verletzung des rechtlichen Gehörs vorausgesetzt werden muss. Der
Rechtsgedanke des § 295 ZPO findet im Verwaltungsprozess Anwendung (vgl.
BVerwG, U. v. 12. Februar 1959 - III C 133.57 -, BVerwGE 5, 149 f.; BVerwG, B. v.
30.09.1988 - 9 CB 47/88 -, NJW 89, 678; Kohlndorfer, Die Anwendung von § 295
ZPO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, DVBl. 1988, 474 jeweils m.w.N.). Auch
dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass der Kläger im erstinstanzlichen
Verfahren das Seine dazu tun muss, eine Verwendung der auf einem Fehler
beruhenden Entscheidungsgrundlage zu verhindern (BVerwG, U. v. 12. 02.1959,
a.a.O.). Zwar wird dem Kläger bzw. seinem Bevollmächtigten nicht zuzumuten
sein, in der mündlichen Verhandlung selbst, in der er einen Beweisantrag stellt, die
Begründung des Gerichts für die Ablehnung des Beweisantrags daraufhin zu
überprüfen, wie weit sie mit dem Prozessrecht übereinstimmt. Sofern jedoch
zwischen erster und folgender mündlicher Verhandlung eine solche Zeitspanne wie
im vorliegenden Verfahren eingeräumt ist, ist dem Bevollmächtigten des Klägers
eine Überprüfung der den Beweisantrag ablehnenden Entscheidung des Gerichts
durchaus zuzumuten.
Der Rechtsgedanke des § 295 Abs. 1 ZPO ist auch nicht wegen § 295 Abs. 2 ZPO
hier ausgeschlossen, wie es der Fall wäre, wenn Vorschriften verletzt wären, auf
deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann. Dies trifft hier nicht zu,
denn grundsätzlich ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verzichtbar (vgl.
Kohlndorfer, a.a.O.).
Soweit der Kläger weiterhin rügt, das Gericht habe den Beweisantrag Nr. 2, soweit
mit ihm die tatsächliche Schutzunfähigkeit der Sicherheitskräfte gegenüber
Personen, die als Funktionäre in der Hindugemeinde tätig gewesen seien, nicht
wahrgenommen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor. Auch
insofern hat es der Kläger unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen. Denn
wenn er Anlass hatte, davon auszugehen, das Gericht habe seinen Beweisantrag
9
10
11
12
13
14
wenn er Anlass hatte, davon auszugehen, das Gericht habe seinen Beweisantrag
nicht vollständig wahrgenommen, indem es auf die Schutzbereitschaft und nicht
auf die tatsächliche Schutzfähigkeit abgestellt habe, hätte der Kläger dieses
Missverständnis spätestens in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 15.
Januar 2001 aufklären können und müssen. Bei offensichtlichen
Missverständnissen ist der Kläger, um der Anforderung des Sich-Gehör-
Verschaffens Genüge zu tun, gehalten, das Gericht darauf bereits im weiteren
Verlauf der mündlichen Verhandlung hinweisen (vgl. OVG Hamburg, B. v.
23.09.1998 - Bs 1 29/96 - zitiert nach JURIS).
Soweit der Kläger weiterhin rügt, das Urteil beruhe auf der prozessrechtswidrigen
Abweisung des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellten
Beweisantrags Nr. 4, bleibt er ebenfalls ohne Erfolg. Insofern gelten die obigen
Ausführungen zum Beweisantrag Nr. 2 entsprechend. Auch insoweit hat der Kläger
es unterlassen, sich zumindest in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 15.
Januar 2001 Gehör zu verschaffen, indem er die seiner Ansicht nach
prozessordnungswidrige Abweisung erst mit den nunmehr im Zulassungsverfahren
vorgetragenen Argumenten rügt. Dies gilt ebenfalls entsprechend für die nach
Ansicht des Klägers prozessrechtswidrige Abweisung des in der mündlichen
Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellten Beweisantrags Nr. 5. Es ist auch hier
nicht dargetan, dass der Kläger sich nicht hätte zuvor Gehör verschaffen können.
Denn die Einwände gegen die ausweislich der Sitzungsniederschrift dokumentierte
Ablehnung des Beweisantrags hätten auch bereits in der mündlichen Verhandlung
vom 15. Januar 2001 geltend gemacht werden können. Entsprechendes gilt für den
nach Ansicht des Klägers prozessordnungswidrig abgewiesenen Beweisantrag Nr.
3.
Soweit der Kläger die Abweisung der Hilfsbeweisanträge im angefochtenen Urteil
rügt, ist damit ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargetan. Denn
wenn ein Verfahrensbeteiligter in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag
nur hilfsweise stellt, kann er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht
mehr berufen (Hess. VGH, B. v. 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -).
Soweit sich der Kläger hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 auf eine
Divergenz zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezieht, bleibt er
bereits deshalb ohne Erfolg, weil er die seiner Ansicht nach divergierenden
Rechtssätze nicht konkret benennt und einander gegenüberstellt. Dies ist jedoch
Voraussetzung, um das Darlegungserfordernis im Zulassungsverfahren zu erfüllen
(§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Soweit der Kläger die grundsätzliche Frage aufwirft,
ob ein Antrag auf Sachverständigenbeweis im Hinblick auf bereits vorliegende
Stellungnahmen aus anderen Verfahren vom Gericht ermessensfehlerfrei mit
begründeter Sachkunde abgelehnt werden kann oder ob insoweit wegen des
Rechts der Beteiligten zur Anhörung und Befragung des Sachverständigen in der
Verhandlung stets eine Bindung an den Antrag besteht, bleibt er ohne Erfolg. Die
Frage danach, unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf
Sachverständigenbeweis abgelehnt werden kann, sind in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung geklärt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(vgl. z.B. B. v. 11. Februar 1999 - 9 B 381.98 -) ist geklärt, dass das Gericht einen
Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ablehnen kann, wenn es
über eigene Sachkunde verfügt, die sich aus der Gerichtspraxis, namentlich der
Verwertung von bereits vorliegenden Erkenntnismitteln, ergibt.
Auch soweit der Kläger der Frage grundsätzliche Bedeutung zumisst, ob
vorverfolgte Angehörige der Hindu-Religion im Falle einer Rückkehr nach
Bangladesch hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sind, bleibt er ohne
Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage eingehend
auseinandergesetzt (S. 8 ff. des Urteils), ohne dass der Kläger dem in einer Weise
entgegengetreten wäre, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Annahme
rechtfertigen könnte, in einem Berufungsverfahren würde sich die Ansicht des
Klägers zu dieser Frage durchsetzen. Insofern setzt sich der Kläger mit den
Ausführungen des Urteils zu dieser Frage nicht ausreichend auseinander.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit
ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.