Urteil des HessVGH vom 18.01.1996

VGH Kassel: pflege, naturschutzgebiet, vorkaufsrecht, verordnung, duldungspflicht, stadt, hessen, kaufvertrag, sicherheit, kontrolle

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 2544/93
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 40 NatSchG HE
(Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts -
Pflegeplan keine zwingende Voraussetzung; keine
Nachrangigkeit des Vorkaufsrechts gegenüber anderen
Maßnahmen)
Tatbestand
Die Kläger haben Lehrberufe im medizinischen Bereich und betreiben eine kleine
Schafzucht als Hobby. Sie sind seit etwa 20 Jahren Pächter der im Eigentum der
Beigeladenen stehenden Außenbereichsgrundstücke Gemarkung S Flur 8,
Flurstücke 7 und 8 mit insgesamt 2.352 qm. Diese Grünlandfläche liegt im
Geltungsbereich der Verordnung über das Naturschutzgebiet "Salzwiesen
(NaturschutzVO) vom 01.02.1982 (StAnz. S. 400).
Mit notariellem Kaufvertrag vom 01.12.1989 (Bl. 7 der Gerichtsakte - GA -)
veräußerten die Beigeladenen die Grundstücke an die Kläger zu einem Kaufpreis
von 7.056,-- DM. Im Kaufvertrag heißt es nach einem Hinweis auf das
Vorkaufsrecht nach § 40 HENatG unter Nr. 5 der Verkaufsbedingungen (Bl. 11 GA),
die Kläger wollten die Nutzung der Grundstücke als Schafwiese auch weiterhin
beibehalten.
Nachdem die Stadt Bad Nauheim und der Wetteraukreis von ihrem Vorkaufsrecht
keinen Gebrauch gemacht bzw. ihren Ausübungsbescheid aufgehoben hatten,
ging auf Veranlassung des beurkundenden Notars eine Ablichtung des
Kaufvertrags mit der Bitte um Erklärung über die Ausübung des Vorkaufsrechts
am 09.08.1991 bei dem Beklagten ein (Bl. 29 der Behördenakte - BA -). Dieser
erklärte mit Schreiben vom 22.08.1981 (Bl. 19 GA), das keine
Rechtsmittelbelehrung enthielt, er mache von seinem Vorkaufsrecht nach § 40
HENatG Gebrauch.
Den klägerischen Widerspruch wies das Regierungspräsidium mit
Widerspruchsbescheid vom 16.09.1991 (Bl. 24 GA) mit der Begründung zurück, die
klägerische Rücksichtnahme auf ökologische Belange sei lobenswert, jedoch nicht
ausreichend, um auf Dauer den Schutzzweck im Sinne der Naturschutzverordnung
zu sichern. Es handele sich um ökologisch sehr wertvolle Salzpflanzen- Standorte,
deren Erhalt auf Dauer nur durch gezielte Pflegemaßnahmen seitens der Oberen
Naturschutzbehörde sowie durch Unterlassung der Beweidung gewährleistet
werden könne.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat der am 15.10.1991 erhobenen
Anfechtungsklage mit Urteil vom 17.08.1993 mit der Begründung stattgegeben,
bei der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 40 Abs. 1 HENatG handele es sich
um eine Ermessensentscheidung. Eine gerichtliche Überprüfung sei im
wesentlichen auf eine Willkürkontrolle beschränkt. Es bestünden Zweifel, ob die
Ausübung des Vorkaufsrechts hier geeignet sei, Zwecke des Naturschutzes und
der Landschaftspflege durchzusetzen. Nach den schlüssigen Darlegungen der
Kläger bestünden Anhaltspunkte, daß auf den bereits im Eigentum der öffentlichen
Hand stehenden Nachbargrundstücken eine den Erhalt der wertvollen Salzflora
gewährleistende Pflege nicht oder jedenfalls nicht im gleichen Umfang wie auf den
streitgegenständlichen Grundstücken stattfinde. So sei auf anliegenden
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streitgegenständlichen Grundstücken stattfinde. So sei auf anliegenden
öffentlichen Flächen das Mähgut mit dauerhaften Spuren hinterlassenden
schweren Radladern gemäht und abtransportiert worden. Im übrigen erscheine die
Ausübung des Vorkaufsrechts nicht erforderlich. Der Beklagte habe nicht
dargetan, ob und wie hier eine noch bessere und sinnvollere Pflege erfolgen könne.
Sollte gleichwohl eine negative Entwicklung auf den Grundstücken eintreten, stehe
den zuständigen Behörden dagegen ein umfangreiches Rechtsinstrumentarium
zur Verfügung, verbunden mit der Duldungspflicht für Eigentümer und
Nutzungsberechtigte nach § 37 HENatG.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 06.10.1993 zugestellte
verwaltungsgerichtliche Urteil am 27.10.1993 Berufung eingelegt. Er ist der
Auffassung, nicht gegen das Willkürverbot verstoßen zu haben. Die seltenen
Salzpflanzenflächen seien empfindlich gegen Trittschäden. Bei den Streitflächen
handele es sich um eine Kernzone des Naturschutzgebiets und nicht um eine
Pufferfläche, da sich hier das Hauptvorkommen von Juncetum geradii
(Bottenbinsen- Salzrasen) befinde. Es existiere ein von 1988 bis 1997 gültiger
Pflegeplan für das Naturschutzgebiet, aus dessen Sollzustandskarte dies
hervorgehe. Soweit sich die Kläger auf eine unfachmännische Pflege benachbarter
öffentlicher Flächen beriefen, handele es sich um ein einmaliges und
abredewidriges Verhalten eines mit Mäharbeiten beauftragten Unternehmers, das
inzwischen abgestellt worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 17. August 1993 - 8 E 1864/91
- aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führen sie aus, es sei nicht richtig, daß die Grünflächen eine noch
bessere Pflege erführen, wenn sie sich im Besitz der öffentlichen Hand befänden.
Dies habe der Beklagte eingeräumt, wenn er den Erwerb der Grundstücke damit
begründe, daß eine ständige behördliche Kontrolle der Einhaltung der
naturschutzrechtlichen Vorschriften nicht möglich sei. Sei schon eine ausreichende
behördliche Überwachung nicht möglich, gelte dies erst recht für eine optimale
Pflege. Die besondere Artenvielfalt auf den Streitflächen sei gerade ihrer Pflege zu
verdanken, während sich das behördliche Eingreifen mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zu Lasten der Artenvielfalt auswirken werde. Der Beklagte wolle
ein Prinzip durchsetzen, keinen besseren Naturschutz. Im übrigen liege eine
unverständliche Ungleichbehandlung darin, daß sie, die Kläger, im Jahre 1985 die
benachbarten Flurstücke 9 und 13 in der Flur 8 hätten erwerben können, ohne daß
die öffentliche Hand ihr Vorkaufsrecht damals in Anspruch genommen hätte.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den
Berichterstatter einverstanden erklärt.
Dem Gericht liegt die einschlägige Behördenakte des Beklagten vor. Auf ihren
Inhalt wird ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ergänzend
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
Die auf § 40 Abs. 1 HENatG 1981 beruhende Ausübung des Vorkaufsrechts im
Naturschutzgebiet "Salzwiesen" ist rechtmäßig.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einräumung eines gesetzlichen
Vorkaufsrechts durch die Vorschrift des § 40 Abs. 1 HENatG 1981 bestehen nicht
(vgl. Bay. VGH, Urteil vom 11.08.1989 - Nr. 9 B 86.02748 - BayVBl. 1990, 277 mit
krit. Anm. von Numberger BayVBl. 1991, 278 und Gegendarstellung von
Engelhardt a.a.O., S. 279; VGH Mannheim, Urteil vom 28.02.1991 - 5 S 1222/90 -
NuR 1991, 485; Bay. VGH, Urteil vom 11.05.1994 - 9 B 93.1514 - NuR 1995, 270;
Urteil vom 22.05.1995 - 9 B 92.1183/84 - NuR 1995, 554; Engelhardt/Brenner,
Naturschutzrecht in Bayern, Stand: 01.09.1994, Art. 34 BayNatSchG Erl. 1;
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Naturschutzrecht in Bayern, Stand: 01.09.1994, Art. 34 BayNatSchG Erl. 1;
Künkele/Heiderich, NatSchG BW, Stand: 9/1994, vor § 46 Rdnr. 1; Lemmel, Berliner
Kommentar zum BauGB, Vorb. 4 vor § 24). Die Kompetenz des
Landesgesetzgebers für die Einführung des gesetzlichen Vorkaufsrechts für
Zwecke des Naturschutzes ergibt sich aus Art. 70, 72 Nr. 1, 75 Nr. 3 GG i.V.m. Art.
111, 119 Nr. 1 EGBGB. Das Bundesnaturschutzgesetz trifft in dieser Hinsicht keine
Regelung. Mithin ist davon auszugehen, daß den Ländern eine solche
Regelungsbefugnis zusteht (Hess. Landtag Dr. 9/1565, S. 46 zu § 41).
Der Beklagte hat das Vorkaufsrecht nach dem Eingang des Kaufvertrags am
09.08.1991 mit Bescheid vom 22.08.1991 rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen
Zweimonatsfrist des § 510 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 2 HENatG
1981 ausgeübt.
Auch sonst liegen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 HeNatG 1981
vor. Die Grundstücke liegen in einem wirksam festgesetzten Naturschutzgebiet.
Für eine Unwirksamkeit der Verordnung über das Naturschutzgebiet "Salzwiesen"
vom 01.02.1982 (StAnz. S. 400) ist nichts dargetan und auch sonst nichts
ersichtlich.
Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Beklagte habe willkürlich gehandelt,
ist nicht zu folgen. Sachlich vernünftige Gründe für die Ausübung des
Vorkaufsrechts liegen darin, daß es sich bei dem durch Solequellen geprägten
Feuchtbiotop aus sumpfigen Wiesen und großflächen Röhrichten (§§ 1 und 2
NaturschutzVO) um eine im Binnenland seltene Vegetation handelt und
ausweislich des mittelfristigen Pflegeplans für das Naturschutzgebiet vom
17.10.1988 (Sollzustandskarte Nr. III 5) auf den Streitflächen um eine
Hauptvorkommen des Bottenbinsen-Salzrasens. Die betroffenen Grundstücke
haben hochkarätige ökologische Eigenschaften, die es für Zwecke des
Naturschutzes besonders geeignet erscheinen lassen. Angesichts der
gesetzlichen Formulierung des § 40 Abs. 1 HENatG 1981, der die Belegenheit
eines verkauften Grundstücks in einem Naturschutzgebiet für die Ausübung des
Vorkaufsrechts durch die öffentliche Hand genügen läßt, steht es dem Beklagten
offen, mit Hilfe des staatlichen Eigentumserwerbs Schutz, Pflege und Entwicklung
der ökologisch besonders wertvollen und seltenen Flächen gegebenenfalls
Generationen übergreifend sicherzustellen. Dabei besteht ein Zusammenhang
zwischen Eigentumserwerb durch Vorkauf und Bereitstellung von Grundstücken zu
Zwecken des Naturschutzes nach § 20 HENatG 1981 (vgl. dazu Kluge/Werk,
Naturschutz in Hessen, Wiesbaden 1992, Nr. 8.3, S. 91).
Die Innehabung des Eigentums hat für den Staat den Vorteil, nicht auf das den
Regelungen der einschlägigen Naturschutzverordnung zugrundeliegende
Verschlechterungsverbot verwiesen zu sein, sondern gegebenenfalls auch ohne
aus entgegenstehenden Eigentumsrechten fließende Hemmnisse Optimierungs-
und Verbesserungsmaßnahmen einleiten zu können. Dabei ist angesichts der vom
Beklagten vorgebrachten Trittschadensempfindlichkeit der Salzwiesen, der die
Kläger in der Sache nicht widersprochen haben, etwa an eine Zurücknahme der
Beweidung zu denken. Daß die Stadt hier einmal eine Beweidung durch Kühe statt
durch Schafe in Betracht gezogen hat, kann dem Beklagten nicht mit Erfolg
entgegengehalten werden, da er für Nutzungsabsichten der gemeindlichen
Gebietskörperschaft nicht verantwortlich ist.
Bei alledem ist nichts hinreichend dafür ersichtlich, daß eine Pflege der
Grundstücke durch die öffentliche Hand erkennbar schlechter wäre als die bereits
seit Jahrzehnten durchgeführte private Pflege und Nutzung der Kläger. So hat die
öffentliche Hand nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung
im Berufungsverfahren Nachbargrundstücke zu Eigentum, die sie durch einen
Landwirt pflegen läßt, ohne daß darüber Nachteiliges vorgetragen worden oder
erkennbar ist. Im übrigen besteht ein mittelfristiger Pflegeplan für den Zeitraum
von 1988 bis 1997, der die besondere fachliche Zuwendung des staatlich-
hoheitlichen Naturschutzes zu den Salzwiesen bekräftigt. Zur Vermeidung von
Mißverständnissen sei darauf hingewiesen, daß das Vorliegen eines Pflegeplans
keine zwingende Voraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 40
Abs. 1 HENatG ist, zumal Gemeinde, Kreis und Land jeweils nur zwei Monate Zeit
haben, um über den Vorkauf zu entscheiden.
Soweit die Kläger bei der staatlich veranlaßten Pflege eines Nachbargrundstücks
einen Mißgriff durch Einsatz eine Radladers rügen, der tiefe Fahrspuren auf der
Grundfläche hinterlassen habe, hat der Beklagte plausibel und unwidersprochen
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Grundfläche hinterlassen habe, hat der Beklagte plausibel und unwidersprochen
erklärt, es habe sich um ein inzwischen abgestelltes einmaliges Fehlverhalten
einer beauftragten Mähfirma gehalten, weshalb mit zukünftigen
Beeinträchtigungen dieser Art nicht mehr zu rechnen sei.
Ohnehin käme es in Betracht, daß die Kläger nach Vereinbarung mit dem
zuständigen Forstamt die von ihnen zu Hobbyzwecken vorgenommene
Grundstückspflege weiterhin übernehmen könnten.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht
vor. Soweit im Jahre 1985 in der Flur 8 die Flurstücke 9 und 13 an die Kläger
verkauft worden sind, ohne daß die öffentliche Hand ihr Vorkaufsrecht ausübte,
stand und steht es den Vorkaufsberechtigten frei, jeweils im Rahmen ihrer
verfügbaren Haushaltsmittel Prioritäten beim Vorkauf von naturschutzrechtlich
bedeutsamen Flächen zu setzen. Schon angesichts der geringen Fallzahl scheidet
hier eine ständige behördliche Übung und Handhabung aus, die etwa eine
Selbstbindung begründen könnte.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht
subsidiär zu anderen rechtlichen Möglichkeiten eines wirksamen behördlichen
Naturschutzes ist, so daß das beklagte Land auch aus Gründen der
Verhältnismäßigkeit (§ 4 HSOG) nicht auf das sonstige naturschutzrechtliche
Instrumentarium verwiesen werden kann, etwa auf die Duldungspflicht von
Eigentümern und sonstigen Nutzungsberechtigten nach § 37 HENatG 1981.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, der
Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708
Nr. 10, 711 ZPO entsprechend.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.