Urteil des HessVGH vom 01.08.1989

VGH Kassel: politische verfolgung, sudan, offenkundig, beschwerdeschrift, repressalien, erkenntnis, form, erheblichkeit, bedürfnis, eritrea

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 TE 702/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 32 Abs 2 AsylVfG, § 32
Abs 4 AsylVfG, § 2 Abs 1
AsylVfG
Nichtzulassungsbeschwerde; Verfolgungsmaßnahmen
gegen Widerstandskämpfer in Äthiopien;
Verfolgungssicherheit im Sudan
Gründe
Der Beschwerde des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen die
Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Verwaltungsgerichts kann kein Erfolg
beschieden sein.
Soweit mit der Beschwerde die (Rechts-)Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig
bezeichnet wird, "ob in Äthiopien staatliche Maßnahmen gegen
Widerstandskämpfer und Regimegegner deshalb asylrechtlich unerheblich sind,
weil sie im Rahmen eines sezessionistischen Bürgerkriegs geführt werden",
vermag dies die Zulassung der Berufung schon deshalb nicht gemäß § 32 Abs. 2
Nr. 1,Abs. 4 AsylVfG zu rechtfertigen, weil die Problematik der Asylgewährung für
Antragsteller aus Ländern, in denen Bürgerkrieg oder jedenfalls eine
bürgerkriegsähnliche Situation herrschen, bereits eine hinreichende grundsätzliche
Klärung in der Rechtsprechung vor allem des Bundesverwaltungsgerichts gefunden
hat (vgl. zuletzt für Äthiopien - Urteil vom 30. Mai 1989 - BVerwG 9 C 44.88 - und
davor u.a. Urteile vom 3. Dezember 1985 - BVerwG 9 C 33.85 -
269> und vom 22. April 1986 .- BVerwG 9 C 37.85 - Beschlüsse vom 4. November
1986 - BVerwG 9 B 200.86 -, vom 3. Dezember 1986 - BVerwG 9 B 247.86 - vom
12. Januar 1987 - BVerwG 10 B 282.86 -, vom 14. Mai 1987 - BVerwG 9 B 127.87 -
und vom 7. Juni 1988 - BVerwG 9 B 86.88 -
InfAusIR 88, 253>) und weil die Anwendung dieser Grundsätze auf den jeweils zur
Entscheidung stehenden Rechtsstreit von dessen tatsächlichen Besonderheiten
abhängt und sich daher schon deshalb einer grundsätzlichen und über den
Einzelfall hinausreichenden Klärung durch das Berufungsgericht entzieht. In
diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht beispielsweise in seinem
Beschluß vom 18. September 1987 - BVerwG 9 B 26.87 - ausgeführt, es sei in der
Rechtsprechung dieses Gerichts geklärt, daß sich eine politische Verfolgung
grundsätzlich auch aus Bürgerkriegsverhältnissen herleiten könne. Es verstehe
sich von selbst, daß eine politische Verfolgung nicht deshalb asylrechtlich
unbeachtlich sei, weil sie Form und Ausmaße einer bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzung annehme. Ob und unter welchen Umständen bei solchen
Verhältnissen bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Einzelpersonen wegen ihrer
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen
ihrer politischen Überzeugung politisch verfolgt würden, lasse sich nicht
rechtsgrundsätzlich, sondern nur in Würdigung der im jeweiligen konkreten Falle
gegebenen tatsächlichen Verhältnisse beantworten. Daß insoweit stets eine
Einzelfallbetrachtung stattzufinden hat, verdeutlichen letztlich auch die
Entscheidungen des vorliegend beschließenden Senats vom 8. Mai 1989 (13 UE
1972/87 und 13 UE 3885187), vom 12. Juni 1989 (13 UE 1620/87 und 13 UE
2970/87) und vom 26. Juni 1989 (13 UE 2321/87, 13 UE 2565187 und 13 UE
3927/87), in denen er sich zu Asylgesuchen äthiopischer Staatsangehöriger
eritreischer Volkszugehörigkeit auch unter Berücksichtigung der in Äthiopien zu
verzeichnenden Form kriegerischer Auseinandersetzung geäußert hat.
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Die von der Beschwerde ferner als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene
(tatsächliche) Frage, "ob der äthiopische Staat das illegale Verlassen des Landes
in Verbindung mit einer Asylantragstellung im westlichen Ausland als Ausdruck
politischer Regimegegnerschaft betrachtet und mit asylerheblichen
Verfolgungsmaßnahmen ahndet", vermag schon deshalb nicht zur Zulassung der
Berufung zu führen, weil sie sich aus Anlaß des vorliegend zu entscheidenden
Rechtsstreits in dieser Allgemeinheit nicht stellt. Vielmehr hat das
Verwaltungsgericht seine insoweit zum Gegenstand der Beschwerde gemachten
Feststellungen offenkundig, wie der zur Entscheidung stehende Sachverhalt
verdeutlicht, auf aus Eritrea stammende Asylsuchende bezogen, die sich in den
Augen der äthiopischen Behörden der Unterstützung einer Widerstandsbewegung
verdächtig gemacht haben. - Selbst wenn man aber das pauschale und nicht auf
diesen Personenkreis abstellende Vorbringen der Beschwerde um diese die
Fragestellung einschränkenden Merkmale ergänzte, könnte dies nicht zur
Zulassung der Berufung zum Zwecke der Klärung einer tatsächlichen Frage
grundsätzlicher Art führen. Denn daß jedenfalls Angehörige des vorgenannten
Personenkreises wegen illegalen Verlassens ihres Heimatlandes und
nachfolgender Asylantragstellung im westlichen Ausland grundsätzlich im Falle
einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten und daher asylrechtlich
relevanten Repressalien zu rechnen haben, hat der Senat: in seiner bisherigen
Rechtsprechung (vgl. die zuvor genannten Urteile) näher dargelegt. Ein Bedürfnis
für eine klärende Entscheidung des Berufungsgerichts besteht daher insoweit nicht
mehr. - Es ist auch nicht erkennbar, daß sich das Verwaltungsgericht - was die
vorgenannte Fragestellung angeht - im Widerspruch zu der in den erwähnten
Entscheidungen des Senats zum Ausdruck kommenden Einschätzung befände.
Eine Berufungszulassung kann daher auch nicht unter dem Gesichtspunkt der
Divergenz (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG) in Betracht kommen.
Keiner vertieften Erörterung bedarf in diesem Zusammenhang, ob sich das
Verwaltungsgericht, wenn es seine der Klage stattgebende Entscheidung
wesentlich auf den Gesichtspunkt der Republikflucht und der Asylantragstellung im
westlichen Ausland stützt, im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur asylrechtlichen Erheblichkeit derartiger erst mit
oder nach der Flucht entstehender Verfolgungsgründe befindet, der sich auch der
Senat in seinen zuvor genannten Urteilen angeschlossen hat. Auch insoweit käme
nämlich eine Zulassung der Berufung schon deshalb nicht in Betracht, weil die
Beschwerde - was diese Rechtsfrage angeht -- weder unter dem Aspekt der
grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit noch dein der Divergenz einen Grund für die
Zulassung der Berufung in einer den Anforderungen des § 32 Abs. 4 AsylVfG
entsprechenden Weise dargelegt hat. Offenkundig hat die Beschwerde nämlich,
soweit sie den Problemkreis "illegales Verlassen des Landes/Asylantragstellung im
westlichen Ausland" anspricht, nur das Verhalten des äthiopischen Staates im
Hinblick auf diese Vorgänge zum Gegenstand ihrer (tatsächlichen) Fragestellung
gemacht, nicht jedoch die Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen
diese Verhaltensweisen asylrechtliche Relevanz gewinnen können.
Eine Zulassung der Berufung kommt auch nicht: deshalb in Betracht, weil es - wie
die Beschwerde darlegt - grundsätzlich klärungsbedürftig ist, ob "in Äthiopien nahe
Angehörige von Regimegegnern und Widerstandskämpfern politischer Verfolgung
ausgesetzt waren und dies auch derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
befürchten ist". mit diesem Vorbringen wirft die Beschwerde eine Frage
tatsächlicher Art auf, die bei verständiger Interpretation des
verwaltungsgerichtlichen Urteils überhaupt nicht Gegenstand dieser Entscheidung
ist. Dabei mag dahinstehen, ob dies schon daraus folgt, daß das
Verwaltungsgericht ausweislich seiner Darlegungen auf Seite 6 des Urteils der
Klägerin bereits wegen deren eigenen Verhaltens im Zusammenhang mit der EPLF
Vorfluchtgründe zugebilligt und daher gerade nicht entscheidend auf deren
Familienzugehörigkeit abgestellt hat. Selbst wenn man dies im Hinblick auf die
weiteren Ausführungen des Gerichts erster Instanz auf den Seiten 6 ff. des Urteils,
in denen es auf den Gesichtspunkt der Sippenhaft eingegangen ist, in Frage
stellen wollte, könnte die von der Beschwerde aufgeworfene Frage tatsächlicher Art
nicht zur Zulassung der Berufung führen. Denn das Verwaltungsgericht hat
jedenfalls offenkundig auf den Seiten 8 bis 13 der angefochtenen Entscheidung die
Asylberechtigung der Klägerin entscheidend und unabhängig von seinen
Ausführungen zu etwaigen Vorfluchtgründen darauf gestützt, daß die Klägerin
wegen illegalen Verlassens des Landes, wegen ihres langen Aufenthaltes im
westlichen Ausland und ihrer Asylantragstellung in der Bundesrepublik
Deutschland im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien einer politischen Verfolgung
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Deutschland im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien einer politischen Verfolgung
ausgesetzt wäre. Diese die Entscheidung selbständig tragenden Erwägungen
enthalten indes keinerlei Bezug zu der Frage, ob Angehörige von Regimegegnern
und Widerstandskämpfern politischen Repressalien durch den äthiopischen Staat
ausgesetzt sind.
Auch das weitere Vorbringen der Beschwerde, mit: der die Frage als
klärungsbedürftig bezeichnet wird, ob äthiopische Staatsangehörige, die sich nach
Verlassen des Heimatlandes und vor der Einreise in das Bundesgebiet im Sudan
aufgehalten haben, dort sicher waren im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylVfG n.F., kann
nicht zur Zulassung der Berufung führen. insoweit genügt der Inhalt der
Beschwerdeschrift nämlich nicht den Anforderungen, wie sie an die vom Gesetz
verlangte Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer
Rechtssache zu stellen sind (§ 32 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 4 AsylVfG).
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 32 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG hat eine
Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz dann, wenn sie eine
tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz
entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung obergerichtlicher Klärung bedarf (ständige
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs). Dabei obliegt es dem
Beschwerdeführer, den nach seiner Ansicht gegebenen Zulassungsgrund
innerhalb der Beschwerdefrist darzulegen (§ 32 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Dies
bedeutet, daß seinem vorbringen im Falle einer von ihm erstrebten Zulassung der
Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache mit hinreichender
Deutlichkeit zumindest zu entnehmen sein muß, welche konkrete und in ihrer
Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage oder welche
bestimmte und für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsame Frage
tatsächlicher Art er einer obergerichtlichen Klärung zugeführt wissen möchte.
Schon diesem unabdingbaren Mindesterfordernis genügt die Beschwerde nicht, so
daß es im vorliegenden Fall keiner Vertiefung der Problematik bedarf, ob im
Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG ähnliche strenge Anforderungen an die
Darlegung des Zulassungsgrundes gestellt werden können, wie dies etwa in der
Rechtsprechung zu § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO anerkannt ist.
Wenn die Beschwerde unter Benennung des § 2 AsylVfG n.F. die "Frage" als
klärungsbedürftig bezeichnet, ob äthiopische Staatsangehörige im Sudan im Sinne
dieser Gesetzesbestimmung sicher waren, so läßt sie insoweit bereits jeden
Hinweis darauf vermissen, ob ihr daran gelegen ist, eine konkrete Rechtsfrage,
eine bestimmte tatsächliche Situation oder beides einer obergerichtlichen Klärung
zuzuführen. Die von ihr unter bloßer Wiederholung des gesetzlichen
Tatbestandsmerkmale gewählte pauschale Formulierung läßt nämlich jede der
vorgenannten Interpretationen zu, ohne daß dem übrigen Vorbringen in der
Beschwerdeschrift Anhaltspunkte für die eigentliche Zielsetzung der Beschwerde
entnommen werden könnten. Überläßt es die Formulierung einer
Nichtzulassungsbeschwerde aber dem Berufungsgericht, sich einen Grund für die
Zulassung des Rechtsmittels gleichsam "auszusuchen", so wird sie offenkundig
dem gesetzlich verankerten Darlegungserfordernis nicht hinreichend gerecht.
Die von der Beschwerde als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob äthiopische
Flüchtlinge im Sudan sicher waren im Sinne des § 2 AsylVfG n.F. kann weder
zweifelsfrei nur als Rechtsfrage noch eindeutig allein als eine Frage nach dem
Vorliegen bestimmter tatsächlicher Gegebenheiten interpretiert werden.
Insbesondere handelt es sich bei der Sicherheit vor Verfolgung, wie sie in § 2
AsylVfG als Tatbestandsmerkmal in Gestalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs
umschrieben ist, nicht um einen rein tatsächlichen, durch schlichte Beschreibung
der realen Gegebenheiten individualisierbaren zustand im fraglichen Drittland;
vielmehr hängt die Bejahung oder Verneinung dieser Verfolgungssicherheit stets
von einer rechtlichen Interpretation unter Ermittlung des Sinngehalts des
vorgenannten, in § 2 AsylVfG n.F. enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffs ab. Je
nach dem Ergebnis dieser Interpretation können bestimmte tatsächliche
Umstände zur Bejahung oder Verneinung einer Verfolgungssicherheit im Sinne
des Gesetzes führen. Wenn also - beispielsweise - ein Gericht im Rahmen seines
Entscheidungsprozesses zu der Erkenntnis gelangt, daß bestimmte Flüchtlinge in
einem Drittstaat im Sinne des § 2 AsylVfG n.F. vor Verfolgung sicher wären (oder
wenn es dies verneint), so trifft es insoweit nicht nur eine reine
Tatsachenfeststellung oder beantwortet ausschließlich eine Rechtsfrage, sondern
es gelangt zu dieser Erkenntnis aufgrund eines komplexen und
ineinandergreifenden Tatsachenermittlungs- und Subsumtionsprozesses. Welche
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ineinandergreifenden Tatsachenermittlungs- und Subsumtionsprozesses. Welche
konkreten Tatsachen insoweit maßgeblich sind und daher der richterlichen
Ermittlung und Feststellung bedürfen, hängt nämlich stets vom jeweiligen durch
Auslegung zu ermittelnden Sinngehalt des unbestimmten Gesetzesbegriffs ab.
Die Beschwerde hätte daher, um dem gesetzlichen Darlegungserfordernis im
Zusammenhang mit dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer
Rechtssache zu genügen, im Hinblick auf § 2 AsylVfG n.F. nicht pauschal das in
dieser Gesetzesbestimmung enthaltene Tatbestandsmerkmal zum Gegenstand
ihres Vorbringens machen dürfen, dessen Vorliegen nur im Wege eines
Tatsachenermittlungs- und Subsumtionsprozesses bejaht oder verneint werden
kann, sondern sie hätte zweifelsfrei dartun müssen, ob sie im Zusammenhang mit
dem unbestimmten Gesetzesbegriff "vor Verfolgung sicher war" eine bestimmte
Rechtsfrage (und ggfs. welche) der obergerichtlichen Klärung zuführen will oder ob
es ihr Ziel ist, bestimmte (ggfs. welche) tatsächliche Umstände, deren es zur
Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes unter Beachtung seines Sinngehalts
bedarf, grundsätzlich zu klären (vgl. in diesem Sinne auch OVG Bremen, Beschluß
v. 13. März 1987 - OVG 2 B 157186 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus den §§ 14 Abs. 1 - analog 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 32 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG,
25 Abs. 2 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.