Urteil des HessVGH vom 11.12.2008

VGH Kassel: bewaffneter konflikt, afghanistan, amnesty international, bundesamt für migration, politische verfolgung, bevölkerung, provinz, leib, versorgung, ärztliche behandlung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 A 611/08.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 15c QRL, § 60 Abs 7 S 2
AufenthG
Leitsatz
1. Ein Abschiebungsschutzbegehren ist in Anpassung an die neue Rechtslage nach
Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 grundsätzlich
dahin auszulegen, dass in einem Stufenverhältnis in erster Linie im Hauptantrag die
Verpflichtung zur Feststellung eines europarechtlich determinierten
Abschiebungsschutzes und nur hilfsweise die Verpflichtung zur Feststellung eines
nationalen Abschiebungsschutzes begehrt wird
(Anschluss an BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43/07 -).
2. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
(Art. 15 c QRL) erfordert keine landesweite, sondern nur eine auf einen Teil des
Staatsgebietes beschränkte Konfliktsituation
(Anschluss an BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2007 - 10 C 43/07 - unter Aufgabe der
Auffassung im Senatsurteil vom 7. Februar 2008 - 8 UE 1913/06.A -).
3. In der Provinz Paktia im Südosten Afghanistans findet derzeit ein innerstaatlicher
bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und
Guerillakämpfen stat
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt
am Main vom 20. September 2007 - 5 E 2199/06.A(5) - abgeändert und der
Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung
eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden
ist.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird verpflichtet, in Bezug auf
Afghanistan für den Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte hat die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu
vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am …1972 in dem Dorf K. K. in der Gemeinde Z./Provinz P./Afghanistan
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Der am …1972 in dem Dorf K. K. in der Gemeinde Z./Provinz P./Afghanistan
geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer
Volkszugehörigkeit und begehrt vorliegend Abschiebungsschutz.
Im Februar 2001 war er seinen Angaben nach aus Afghanistan aus- und in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte seine Anerkennung als
Asylberechtigter beantragt.
Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im
Folgenden: Bundesamt) hatte er am 26. Februar 2001 u.a. folgende Angaben
gemacht:
Er habe am 11. Februar 1991 in seinem Dorf seine am 20. Juni 1973 in Z.
geborene Ehefrau geheiratet, die bei ihren Eltern und Verwandten in dem nicht
weit von seinem Dorf entfernten Dorf A. lebe. Seine drei 1994, 1996 und 1999
geborenen Söhne lebten bei seinen Eltern im Dorf K. K.. Sein Bruder sei seit ca.
sechs Jahren in Deutschland. Er habe noch mehrere Onkel und Tanten, die in
seinem Heimatdorf lebten.
Er habe keine Schule besucht und sei Analphabet. Er habe auch keinen Beruf
erlernt und auf eigenen Feldern als Landwirt gearbeitet.
Er habe Afghanistan vor etwa 19 Tagen verlassen, weil er Schwierigkeiten mit den
Taliban gehabt habe. Das Leben in Afghanistan unter den Taliban sei unerträglich.
Die Bevölkerung werde von ihnen ständig schikaniert. Man müsse
Bestechungsgelder zahlen und werde bestraft und geschlagen, nur weil z. B. die
Kleidung nicht in Ordnung oder der Bart nicht lang genug sei. Etwa einen Monat vor
seiner Flucht sei er von den Taliban festgenommen, inhaftiert und geschlagen
worden, weil sein Bart nicht lang genug gewesen sei; nach einem Tag sei er wieder
frei gelassen worden.
Einen Tag bevor er das Land verlassen habe, sei ein Brief der Taliban an ihren
Dorfältesten gelangt, nach dem er und vier weitere Dorfbewohner sich bei den
Taliban melden sollten, um in den Krieg gegen ihre Landsleute zu ziehen. Der
Dorfälteste habe sie darüber informiert. Die Taliban verlangten normalerweise
mindestens zehn Männer eines Dorfes für den Krieg. Weil ihr Vorgehen mittlerweile
überall in Afghanistan bekannt sei, flüchteten viele Männer und verließen
Afghanistan. In ihrem kleinen Dorf seien deshalb nur noch diese fünf Männer
erreichbar gewesen. Wenn man der Aufforderung der Taliban nicht freiwillig
nachkomme, werde man gewaltsam eingesammelt und zur Front gebracht. Wenn
man sich weigere, werde man bestraft und verhaftet. Er habe aber nicht gegen
seine eigenen Leute, die auch Muslime seien, kämpfen wollen; außerdem habe er
im Krieg nicht verwundet bzw. getötet werden wollen.
Mit seinem Onkel mütterlicherseits habe er sein Heimatdorf abends mit dem Pkw
verlassen und sei am nächsten Tag vormittags in Pakistan angekommen. Mit
einem Fluchthelfer sei er nach einem achttägigen Aufenthalt in Pakistan mit dem
Flugzeug nach Deutschland geflogen.
Wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste, würde er entweder verhaftet und
bestraft oder zwangsrekrutiert. Außerdem leide er an Asthma und wäre deshalb
dankbar, wenn er zu seinem Bruder nach B-Stadt könnte. Er sei oft sehr traurig,
weil er seine Familie und seine Kinder habe verlassen müssen. Wenn er an sie
denke, bekomme er Probleme mit der Luft. Er habe die Beschwerden schon in
Afghanistan gehabt, seit er in Deutschland sei, hätten sie sich aber verschlimmert.
In Afghanistan habe er deswegen ein pulverförmiges Medikament bekommen, das
ihm nicht geholfen habe. Nach der Asylantragstellung sei er hier in Deutschland
beim Arzt gewesen, Medikamente habe er bislang aber nicht bekommen.
Das Bundesamt hatte mit Bescheid vom 18. Juli 2001 die Asyl- und die
Flüchtlingsanerkennung des Klägers abgelehnt, aber festgestellt, dass das
Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans
vorliege; im Übrigen lägen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vor.
Dem Kläger war die Abschiebung nach Afghanistan angedroht, aber für die Dauer
von drei Monaten ausgesetzt worden.
Zur Begründung hatte das Bundesamt u. a. ausgeführt, die eintägige Festnahme
des Klägers etwa einen Monat vor seiner Ausreise und die von ihm geschilderte
Rekrutierung durch die Taliban seien nicht asylbegründend. Die Heranziehung zum
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Rekrutierung durch die Taliban seien nicht asylbegründend. Die Heranziehung zum
Wehrdienst könne nur dann als politische Verfolgung angesehen werden, wenn sie
zielgerichtet an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Er habe jedoch in
Übereinstimmung mit den vorliegenden Erkenntnissen vorgetragen, dass alle
Männer aus seinem Dorf rekrutiert werden sollten. Im Übrigen stehe der
Asylanerkennung des Klägers seine Einreise aus einem sicheren Drittstaat
entgegen.
Es liege jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezüglich
Afghanistan vor. Im Falle einer Rückkehr bestehe für den Kläger die Gefahr der
Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Zwangsrekrutierungen junger Männer seien
im ganzen Lande üblich. Als alleinreisender junger Mann schwebe der Kläger
überall in Afghanistan in großer Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden. Wenn er in die
Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen
eingesetzt werde, bestehe tatsächlich akute Gefahr für Leib und Leben. Nicht nur
die Taliban bedienten sich dieser Methoden, auch die Nordallianz führe
Zwangsrekrutierungen durch. Die Vorgehensweise sei die gleiche wie bei den
Taliban. Für die Zwangsrekrutierten sei es praktisch unmöglich, dem Armeedienst
wieder zu entkommen. Sie würden wie Leibeigene behandelt und erhielten keinen
Sold.
Vor diesem Hintergrund könne derzeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen werden, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan
keine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohe.
Die gegen den Bescheid im Übrigen am 7. August 2001 beim Verwaltungsgericht
Frankfurt am Main erhobene Asylklage hatte der Kläger u.a. damit begründet, dass
die geplante Rekrutierung durch die Taliban asylrechtlich erheblich sei, weil er es
aus Gewissensgründen ablehne, sich an Kampfhandlungen diktatorischer Regime
zu beteiligen. Zwar habe er früher auch gegen die Russen gekämpft, aufgrund der
Bürgerkriegserfahrung in Afghanistan lehne er es mittlerweile jedoch ab, eine
Waffe zu tragen und sich an Kampfhandlungen gegen wen auch immer zu
beteiligen.
Mit Urteil vom 14. März 2002 - 5 E 3213/01.A (V) - war die Klage abgewiesen
worden, weil jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt davon auszugehen gewesen sei,
dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine asylerhebliche
Verfolgung durch die Taliban nicht mehr drohe.
Auf Anregung der Stadt B-Stadt leitete das Bundesamt im Februar 2006
hinsichtlich der Feststellung des Abschiebungsschutzes ein Widerrufsverfahren ein,
weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger
entfallen sei. Auf das Anhörungsschreiben vom 11. April 2006 nahm er durch
seinen Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. Mai 2006 u.a. wie folgt
Stellung:
Bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von
Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf liege in der Nähe zur pakistanischen
Grenze und sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban.
Ihm sei seinerzeit wegen der Gefahr der Zwangsrekrutierung oder der Bestrafung
durch die Taliban und auch wegen der drohenden Zwangsrekrutierung durch die
Nordallianz Abschiebungsschutz bewilligt worden. Er wisse von keinen in
Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten.
Sein Heimatdorf sei bombardiert und dadurch das Familienhaus zerstört worden.
Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine
Ehefrau sei mit den Kindern nach P. geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt,
das am 8. Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er
weder von seiner Ehefrau noch von seinen Kindern ein Lebenszeichen erhalten. Er
habe auch im Übrigen keinerlei Geldmittel, Besitz oder Eigentum mehr in
Afghanistan und sei zudem erheblich erkrankt und benötige sowohl ärztliche
Behandlung als auch teure Medikamente. Er leide an epileptischen Anfällen, die
drei- bis viermal monatlich aufträten und weswegen ihm Antiepileptika verordnet
worden seien. Dazu reichte er ein ärztliches Attest des Nervenarztes Dr. med. W.
F. vom 7. März 2001 ein, in dem Folgendes ausgeführt war:
"Der o.g. leidet an epileptischen Anfällen seit dem 6. Lebensjahr. Die Anfälle
treten 2 bis 3 x monatlich auf. Ich habe Antiepileptika verordnet. Außerdem leidet
Herr G. an einem posttraumatischen Belastungssyndrom; er war in Afghanistan
einen Monat in Haft gewesen, wo er von Talibanmilizen gefoltert wurde. Er muß
daher auch sedierend und antidepressiv behandelt werden mit Doxepin 100 mg
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daher auch sedierend und antidepressiv behandelt werden mit Doxepin 100 mg
täglich. Sein Bruder Rahmat B. lebt seit 5 Jahren in Frankfurt und möchte ihn gerne
beherbergen und sich um ihn kümmern. Er sollte daher, wenn möglich, beim
Bruder in FFM bleiben."
Zudem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dazu legte der
Kläger ergänzend einen von Dr. med. W. F. unter dem 21. April 2006 ausgefüllten
Fragebogen zur posttraumatischen Belastungsstörung und ein weiteres Attest
dieses Arztes vom 10. Mai 2006 vor, wonach sich der Kläger nach wie vor in seiner
nervenärztlicher Behandlung befinde und an epileptischen Anfällen leide, die drei-
bis viermal monatlich aufträten.
Weiter machte der Kläger geltend, der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte
Maßstab einer "extremen Gefahr" sei nach dem Inkrafttreten des
Zuwanderungsgesetzes und nach Erlass der sog. Qualifikationsrichtlinie nicht mehr
anwendbar. Nach der Rechtsprechung und angeführten Erkenntnismitteln bedeute
die Verbringung einer mittellosen Person ohne intakten, bestehenden und
aufnahmebereiten und -fähigen Familienverband nach Afghanistan und nach Kabul
den Tod durch Unterernährung und Verhungern, zumindest drohe schwerwiegende
chronische und akute Unterernährung mit lebensbedrohlichen Folgen und
irreparablen schweren körperlichen Beeinträchtigungen. Die medizinische
Versorgung insbesondere mit Medikamenten sei nicht ausreichend.
Schließlich wäre ein Widerruf auch verspätet, weil er weder unverzüglich i.S.d. § 73
Abs. 1 AsylVfG noch ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 BGB erfolgen würde
und auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht gewahrt wäre.
Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 29. Mai 2006 gemäß § 73 Abs. 3
AsylVfG die mit Bescheid vom 18. Juli 2001 getroffene Feststellung, dass ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliege, und verneinte das
Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 4, 5 und 6 AufenthG.
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG lägen nicht mehr vor, weil zumindest im Raum Kabul die
Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht sei, dass der Kläger bei
einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen ausgeliefert würde", so dass eine verfassungskonforme
Auslegung nicht geboten sei. Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des
Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass
er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde.
Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation
besonders schutzbedürftig seien. Seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul
durch einen dort ansässigen Neurologen behandelt werden und das von ihm
benötigte Medikament Carbamezepin sei in Kabul erhältlich. Im Übrigen sei zu
berücksichtigen, dass er seit seinem 6. Lebensjahr, also seit etwa 1978 an dieser
Krankheit leide und bis zu seiner Flucht Anfang 2001 in Afghanistan erfolgreich
habe behandelt werden können, denn seinen Angaben nach sei erst nach seiner
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eine Verschlimmerung eingetreten. Zu
der von ihm weiter geltend gemachten posttraumatischen Belastungsreaktion
habe Herr Dr. F. ausgeführt, dass eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche
Verschlechterung bei einer Rückkehr in sein Heimatland nur "eventuell" zu
erwarten sei. Zudem seien auch nervenärztliche Behandlungen von
posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen in Kabul möglich.
Der Kläger hat am 8. Juni 2006 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage
auf Aufhebung des Widerrufsbescheides erhoben. Er hat seine Klage im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Es gebe keinerlei Änderung der Gefährdungssituation, weil sich die Provinz P. nach
wie vor in der Hand der Taliban befinde, die inzwischen so mächtig seien, dass sie
jederzeit und an jedem Ort Afghanistans und selbst in der Sicherheitszone der
Hauptstadt Kabul zuschlagen und töten könnten, so dass er überall in Afghanistan
mit Verfolgung, Verhaftung und Tötung durch die Taliban rechnen müsse. Er könne
auch nicht an einen anderen Ort oder nach Kabul ausweichen, weil er in diesen
Orten niemals gelebt habe und auch keine Verwandtschaft habe, die bereit oder in
der Lage sei, ihn aufzunehmen. Die Situation in seiner Heimatregion erfülle die
Voraussetzungen eines "innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" gemäß Art. 15 c
der Qualifikationsrichtlinie. Der extreme Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts
sei nicht mehr anwendbar. Bei erlittener Vorverfolgung gelte zudem ein
herabgestufter Maßstab. Auch die verfahrensrechtliche Sperrwirkung für eine
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herabgestufter Maßstab. Auch die verfahrensrechtliche Sperrwirkung für eine
politische Leitentscheidung finde insoweit keine Anwendung. Ein Ausweichen nach
Kabul sei ihm wegen seiner posttraumatischen Belastungsstörung und wegen
seiner epileptischen Anfälle nicht möglich. Auch durch Mitgabe von Medikamenten
oder Geld könne eine extreme Gefahr nicht ausgeschlossen werden, weil dadurch
der Eintritt eines Gesundheitsschadens lediglich hinausgeschoben werde.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 20. September
2007 hat der Kläger auf Befragen im Wesentlichen angegeben:
Dorfbewohner, die von Kabul oder aus dem Ausland nach P. zurück gekehrt seien,
seien von den Taliban getötet worden, weil sie in Kabul mit den Amerikanern und
den Europäern zusammen gearbeitet bzw. in einem nicht islamischen Land gelebt
hätten. Da bei den Taliban eine Akte über ihn existiere, würden sie ihn sowohl in
Kabul als auch in P. verfolgen. Sie hätten ihn damals einen Monat lang inhaftiert.
Auf Vorhalt: dies sei beschlossen worden, weil aber Freunde für ihn interveniert
hätten, sei er bereits nach einem Tag freigelassen worden. Er leide seit seiner
Kindheit an einer epileptischen Krankheit und habe manchmal Anfälle von ein bis
drei Stunden Länge, dann werde er bewusstlos. Bei seiner Bundesamtsanhörung
sei offensichtlich in Folge eines Dolmetscherfehlers von Asthma die Rede gewesen.
Er habe damals volkstümlich gesagt, er leide unter einer Krankheit, bei der die
Engel kämen, das habe der Dolmetscher offensichtlich nicht richtig verstanden.
Wenn diese Engel ihn beherrschten, werde er bewusstlos und habe danach
Herzschwierigkeiten. Er leide unter Depressionen. Sein Gehirn arbeite während
eines Anfalls nicht, es werde alles schlecht. Die Situation beruhige sich, wenn er
eine Tablette nehme; dann gehe es ihm relativ besser. Die Anfälle würden durch
die Tabletten gemindert. Die Tabletten, die er vor seiner Ausreise von Ärzten in
Afghanistan erhalten habe, hätten allerdings keine Wirkung gezeigt. Wenn er nach
Kabul zurück gehen müsste, hätte er dort niemanden, der ihn unterstützen und
ihm bei Anfällen Tabletten geben könnte. Seine drei Söhne hätten in P. in dem Ort
B. K. gelebt, seitdem dort ein starkes Erdbeben stattgefunden habe, habe er über
ihren Verbleib keine Information. Er wisse nicht, ob sie bei diesem Erdbeben ums
Leben gekommen seien oder nicht. Er habe auch keine Informationen über den
Aufenthalt seiner Eltern und seiner Onkeln und Tanten aus seinem Heimatdorf
seitdem es dort starke Bombardierungen gegeben habe, die während der Taliban-
Zeit im Dezember 2001 durch die Amerikaner erfolgt und bei denen sehr viele
Häuser des Dorfes zerstört worden seien. Er habe zur Zeit keinerlei Kontakt zu
Personen in seiner Heimat.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Mai
2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 15 Buchst. a, b und c der Richtlinie
2004/83/EG festzustellen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 20.
September 2007 - 5 E 2199/06.A (V) - abgewiesen und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt:
Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses sei vom Bundesamt zu Recht
widerrufen worden, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die
Voraussetzungen der Folgeregelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder der neu
eingeführten Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer Abschiebung des
Klägers nach Afghanistan nicht entgegenstünden. Es lägen auch keine
Abschiebungsverbote nach Abs. 2, 3 und 5 dieser Vorschrift vor.
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes müsse der Kläger nicht mehr eine
Zwangsrekrutierung durch sie befürchten. Dass etwa auch in der Provinz P. die
Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im
Raum Kabul niederlassen könne. Dem stehe auch sein gesundheitlicher Befund
insbesondere wegen Epilepsie nicht entgegen, weil sich aus dem
nervenfachärztlichen Zeugnis des Dr. med. F. vom 21. April 2006 eine qualifizierte
Gefährdung für Leib und Leben des Klägers nicht entnehmen lasse. Für die
Aufbringung der Kosten von Arzneimitteln müsse er sich auf die Möglichkeit der
Unterstützung durch im Ausland lebende Angehörige verweisen lassen. Nach
Berichten der Deutschen Botschaft in Kabul sei eine Behandlung von Epilepsie in
Afghanistan jedenfalls möglich. Auch sein Vorbringen zu einer posttraumatischen
Belastungsstörung sei unerheblich, weil die dem Attest zugrundeliegende
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Belastungsstörung sei unerheblich, weil die dem Attest zugrundeliegende
Behauptung, er sei "einen Monat in Haft gewesen, wo er von Taliban-Milizen
gefoltert wurde", sich als Steigerung gegenüber seinem Anhörungsvorbringen
darstelle und seine Erklärung dazu nicht plausibel sei. Aus dem ärztlichen Zeugnis
des nunmehr behandelnden Dr. med. K. vom 20. Juli 2007 lasse sich nichts über
den aktuellen Befund oder gar eine Therapie entnehmen.
Auch aus der allgemeinen Entwicklung in Afghanistan folge kein
Abschiebungsverbot. Für den Großraum Kabul könne nicht ein internationaler oder
innerstaatlicher bewaffneter Konflikt angenommen werden, der zu einer
ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des
Klägers infolge willkürlicher Gewalt führe. Die Möglichkeit, dass der Kläger etwa
einem terroristischen Anschlag von Taliban zum Opfer fallen könnte, sei nur
theoretisch. Für den Kläger, der vor seiner Ausreise im landwirtschaftlichen Bereich
tätig gewesen und zudem Analphabet sei, sei es sicher sehr schwierig, sich
anderweitig zu verdingen, doch folge daraus allein kein Bleiberecht im
Bundesgebiet. Ob und gegebenenfalls welche individuellen Anknüpfungen der
Kläger in Afghanistan derzeit noch habe, verbleibe dunkel, das Gericht sei jedoch
nicht davon überzeugt, dass er keine Informationen über den Verbleib seiner
Eltern, Onkel und Tanten sowie seiner eigenen Söhne habe.
Die hilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von Art.
15 a, b und c der Richtlinie 2004/83/EG sei unzulässig, weil diese durch Gesetz vom
19. August 2007 umgesetzt worden sei.
Der Senat hat mit Beschluss vom 6. März 2008 - 8 UZ 2554/07.A - die Berufung
des Klägers gegen dieses Urteil zugelassen.
Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 11. März 2008 hat der Kläger die
Berufung am 26. März 2008 eingehend begründet.
Er macht nunmehr unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens im
Wesentlichen geltend, bei einer Rückkehr nach Afghanistan bestehe für ihn eine
extreme und konkrete individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. die
Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 a, b und c i.V.m. Art. 4
Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie. Angesichts der durchschnittlichen
Lebenserwartung in Afghanistan von 44 Jahren für Männer sei er mit seinen bald
38 Jahren ein alter Mann. Er sei auch deshalb kräftemäßig zu dem dort
erforderlichen Überlebenskampf nicht mehr in der Lage, weil er an mehreren
schweren Erkrankungen leide. Er befinde sich weiterhin in notwendiger ärztlicher
Behandlung bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. K. wegen
Epilepsie und einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie dessen beigefügtes
Attest vom 2. Dezember 2008 belege. Im Falle der Nichtbehandlung seiner
Epilepsie mit den notwendigen Medikamenten bestehe die Gefahr einer
Schädigung des Gehirns und schwerer sowie längerer epileptischer Anfälle. Bei
länger als fünf Minuten andauernden Anfällen mit Bewusstlosigkeit sei sofortige
notärztliche Behandlung erforderlich, andernfalls bestehe die Gefahr einer
irreversiblen Schädigung des Gehirns oder des tödlichen Verlaufs. Im Falle der
mehrfach monatlich auftretenden schweren epileptischen Anfälle werde er hier von
einem Mitbewohner betreut, der ihm dann seine Medikamente rechtzeitig gebe
und ihn bei einem starken Schock zum Arzt bringe. Selbst wenn er nach einer
Rückkehr nach Afghanistan dort eine Arbeit finden sollte, würde er sie nach einem
solchen, für andere Personen erkennbaren epileptischen Anfall wahrscheinlich
verlieren. Zudem leide er unter posttraumatischen Belastungsstörungen, die dort
zu einer Retraumatisierung führen würden.
Im Übrigen sei für einen Widerruf seines subsidiären Schutzes eine hohe
Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte und grundlegende positive Veränderung der
Umstände in seinem Heimatland erforderlich, zumal der erleichterte
Gefahrenmaßstab des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zu beachten sei. Die
gegenwärtige Lage in Afghanistan und insbesondere in seiner Heimatprovinz P. sei
aber äußerst unbeständig und instabil. Die Gewalt in Afghanistan habe in den
vergangenen zwei Jahren stetig zugenommen und mittlerweile das höchste Niveau
seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 erreicht, dies gelte insbesondere für alle
Distrikte der Provinz P. und für die in diese Provinz führenden Straßen. Hier
bestehe derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des Art. 15 c der
Qualifikationsrichtlinie, ihm sei auch ein Ausweichen nach Kabul nicht zumutbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird insbesondere
auf den letzten Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 9. Dezember
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auf den letzten Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 9. Dezember
2008 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Mai 2006
und des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20. September
2007 aufzuheben und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Satz 2
AufenthG in Verbindung mit den Voraussetzungen von Art. 15 a, b und c der
Richtlinie 2004/83/EG hinsichtlich Afghanistan vorliegen,
hilfsweise,
das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen
und bis zu dessen Entscheidung das Verfahren auszusetzen.
Die Beklagte hat keinen Antrag angekündigt oder gestellt.
Sie trägt bezüglich der vom Kläger geltend gemachten Erkrankung vor, die
eingereichten ärztlichen Atteste stellten lediglich fest, dass er an epileptischen
Anfällen leide, die drei- bis viermal monatlich aufträten, sowie an Gastritis und
Depressionen. Es fehle jedoch an einem Nachweis, dass es für ihn durch die
epileptischen Anfälle zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit käme, insbesondere für einen SUDEP (sudden unexpected death in
epilepsy) mit den entsprechenden Risikofaktoren. Allein aufgrund der drei- bis
viermaligen monatlichen Anfälle könne nicht davon ausgegangen werden, dass er
sich nicht - insbesondere in Kabul - seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Zwar
sei die allgemeine Versorgungslage nach wie vor schlecht, er befinde sich jedoch
insoweit in der gleichen Lage wie seine Mitbürger.
Den Beteiligten sind nach der Terminsladung mit gerichtlicher Verfügung vom 28.
November 2008 jeweils eine "Liste der Erkenntnismittel-Afghanistan (Stand: 5.
September 2008)" mit dem Hinweis, dass die aufgeführten Dokumente bei der
Entscheidung möglicherweise berücksichtigt werden können, und mit gerichtlicher
Verfügung vom 8. Dezember 2008 zwei weitere Dokumente zur Vorbereitung auf
die mündliche Verhandlung übersandt worden.
Dem Senat liegen die das Ursprungs- und das Widerrufsverfahren betreffenden
Akten des Bundesamtes und die jeweiligen Streitakten vor, die zum Gegenstand
der Verhandlung und der Beratung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere
gemäß § 124 a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO form- und fristgerecht begründet
worden.
Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main
mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2007 die auf Aufhebung des
Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 29. Mai 2006 und (hilfsweise) auf
Feststellung des Vorliegens "der Voraussetzungen von Art. 15 Buchst. a, b und c
der Richtlinie 2004/83/EG" gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen hat.
Der Widerrufsbescheid, für dessen Rechtmäßigkeit abweichend von den
allgemeinen Grundsätzen bei Anfechtungsklagen in der vorliegenden
asylverfahrensrechtlichen Streitigkeit gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung abzustellen ist, ist gemäß §
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, soweit die Feststellung eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist,
weil für den Kläger in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines
Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes in der durch
Art. 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970 [1982 f.])
- Richtlinienumsetzungsgesetz - geänderten Fassung der Bekanntmachung vom
25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. März
2008 (BGBl. I S. 313) - AufenthG - vorliegen.
Entgegen dem vom Kläger im Widerrufsverfahren unter dem 21. Mai 2006
erhobenen Einwand, der Widerruf sei verspätet, leidet der angefochtene
Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 29. Mai 2006 allerdings nicht schon an
derartigen formellen Mängeln.
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Unabhängig von der Frage, ob es auf einen Widerruf der Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 73 Abs. 3 AsylVfG überhaupt anwendbar ist, dient
das vom Kläger geltend gemachte Gebot des unverzüglichen Widerrufs gemäß §
73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG jedenfalls ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass
ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt
(st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 21/06 - BVerwGE 128 S.
199 ff. = NVwZ 2007 S. 1089 ff. = juris Rdnr. 18; vgl. auch Hess. VGH, Urteil vom
10. Februar 2005 - 8 UE 280/02.A - AuAS 2005 S. 143 f. = juris Rdnr. 75).
Die vom Kläger weiter herangezogene Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG ist nach
wohl überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung auf § 73 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG - und damit ebenso auf Abs. 3 dieser Vorschrift - nicht anwendbar (vgl. u.
a. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. August 2003 - A 6 S 820/03 - InfAuslR 2003 S.
455 f. = juris Rdnr. 3; Hess. VGH, Urteil vom 10. Februar 2005 a.a.O. juris Rdnr. 76)
und wird inzwischen auch vom Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in den Fällen
für nicht anwendbar gehalten, in denen der Widerruf - wie hier - innerhalb der Drei-
Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG erfolgt (vgl. Urteil vom 12. Juni 2007 -
10 C 24/07 - NVwZ 2007 S. 1330 ff. = InfAuslR 2007 S. 401 ff. = juris Rdnr. 14).
Jedenfalls beginnt diese Jahresfrist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts auch frühestens nach einer Anhörung mit
angemessener Frist zur Stellungnahme (vgl. Urteil vom 20. März 2007 a.a.O. juris
Rdnr. 18), also hier frühestens ab 11. April 2006, so dass sie mit dem hier am 1.
Juni 2006 per Einschreiben zugestellten Bescheid vom 29. Mai 2006 ohnehin
eingehalten wäre.
Das gilt auch für die Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG. Diese ist
auch auf Widerrufsbescheide anwendbar, die nach dem Inkrafttreten dieser
Vorschrift am 1. Januar 2005 ergangen sind, sich aber auf vor diesem Zeitpunkt
unanfechtbar gewordene Alt-Anerkennungen beziehen, sie ist aber in diesen Fällen
erst mit dem 1. Januar 2005 angelaufen, also hier ebenfalls eingehalten; ganz
abgesehen von der Frage, ob die dort geregelte Prüfungspflicht auch im Interesse
des anerkannten Flüchtlings oder allein im öffentlichen Interesse besteht (vgl.
BVerwG, Urteil vom 20. März 2007 a.a.O. juris Rdnrn. 12 und 17).
Der Widerruf war des weiteren nicht bereits in entsprechender Anwendung des § 73
Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen, wonach der Beendigungstatbestand des
Satzes 2 dieser Vorschrift keine Anwendung findet, wenn sich der Ausländer auf
zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die
Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Zwar beruft sich der Kläger auf eine posttraumatische Belastungsstörung wegen
einer vor seiner Ausreise erlittenen einmonatigen Haft mit Folter durch die
Talibanmilizen und auf die Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in
sein Heimatland. Der Berücksichtigung dieses Vorbringens steht aber entgegen,
dass das Bundesamt eine politische Verfolgung wegen dieser vom Kläger in seiner
Anhörung vom 26. Februar 2001 noch auf einen Tag begrenzten Festnahme durch
die Taliban mit Bescheid vom 18. Juli 2001 mangels Erheblichkeit bestandskräftig
abgelehnt hat. Zudem ist der Feststellung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am
Main in seinem hier angefochtenen Urteil vom 20. September 2007 zuzustimmen,
dass die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung diese Steigerung
seines Vorbringens nicht plausibel erklären können. Auch im Übrigen erfüllt das
unter dem 21. Mai 2006 von ihm eingereichte ärztliche Attest des Dr. med. W. F.
vom 7. März 2001 auch unter Berücksichtigung seiner ärztlichen Eintragungen in
den anwaltlichen Fragebogen die in der Rechtsprechung für die Geltendmachung
einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgestellten Mindestanforderungen
nicht. Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben,
auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die
Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa auch Angaben darüber,
seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat
und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde
bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der
Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen
Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.
September 2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129 S. 251 ff. = NVwZ 2008 S. 330 ff. =
juris Rdnr. 15; vgl. auch zu den weiteren Anforderungen hinsichtlich Exploration
sowie Darstellung und Überprüfung der geltend gemachten
Anknüpfungstatsachen: Hess. VGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - 7 TG
2410/07 - juris Rdnr. 20).
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Der Widerrufsbescheid ist aber aufzuheben, soweit in ihm die Feststellung eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist,
weil für den Kläger in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines
Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Dabei ist nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des
Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen effektiven
Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG vorrangig auf das neu eingefügte
Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen und die
Beklagte über die Aufhebung des Widerrufsbescheides hinaus zu der positiven
Feststellung dieses Abschiebungsverbots zu verpflichten, weil es von dem
Widerrufsbescheid noch nicht erfasst war, der nur das Abschiebungsverbot nach §
60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als Nachfolgeregelung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
betraf.
Der nationale Gesetzgeber hat mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz in § 60 Abs.
2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG Vorgaben für den subsidiären Schutz in Art. 15 der
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die
Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen,
und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber.
ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) - Qualifikationsrichtlinie (QRL) -
aufgenommen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 60
AufenthG, BT/Ds. 16/5065 S. 186) und diese als absolute Abschiebungsverbote
ausgestaltet, über deren Vorliegen bei Asylbewerbern allein das Bundesamt zu
entscheiden hat. Dieser europarechtlich determinierte Abschiebungsschutz bildet
einen eigenständigen Streitgegenstand bzw. einen abtrennbaren Streitgegen-
standsteil, der entsprechend der typischen Interessenlage eines in Bezug auf sein
Heimatland ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz begehrenden Klägers
vorrangig vor dem sonstigen herkunftslandbezogenen (nationalen)
ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz zu prüfen ist. Die Feststellung eines
Abschiebungsverbots durch das Bundesamt, mit der zugleich verbindlich die
positiven Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus nach der
Qualifikationsrichtlinie festgestellt werden, vermittelt dem Schutzsuchenden
regelmäßig weitergehende Rechte als die Feststellung eines sonstigen
ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots, so dass für die Ausländerbehörde
auch erkennbar sein muss, ob ein vom Bundesamt festgestelltes
ausländerrechtliches Abschiebungsverbot auf den Voraussetzungen des Art. 15
QRL oder nur auf nationalem Recht beruht.
Die Annahme getrennter Streitgegenstände oder Streitgegenstandsteile
entspricht zudem tendenziell eher der in Art. 18 QRL vorgesehenen Zuerkennung
des subsidiären Schutzstatus.
Da die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG normierten Abschiebungsverbote
an Umstände anknüpfen, die nach Art. 15 QRL als ernsthafter Schaden gelten, und
damit inhaltlich dem Regelungsbereich des subsidiären Schutzes nach dieser
Richtlinie zuzuordnen sind, hat der deutsche Gesetzgeber auch nur für diese
Abschiebungsverbote in § 60 Abs. 11 AufenthG die unmittelbare Geltung einzelner
Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie angeordnet.
Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist bei dem nationalen
ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz das Bundesamt bei Asylbewerbern auch
für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach § 60 Abs.
7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von der
Abschiebung abgesehen werden soll, so dass es sich nunmehr bei den nationalen
ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1
AufenthG bezogen auf den jeweiligen Abschiebezielstaat um einen einheitlichen,
nicht weiter teilbaren Streitgegenstand handelt.
In Anpassung an diese neue Rechtslage ist deshalb ein
Abschiebungsschutzbegehren grundsätzlich dahin auszulegen, dass in einem
Stufenverhältnis in erster Linie im Hauptantrag die Verpflichtung zur Feststellung
eines europarechtlich determinierten Abschiebungsschutzes und nur hilfsweise die
Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsschutzes begehrt
wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43/07 - AuAS 2008 S. 245 ff. =
NVwZ 2008 S. 1241 ff. = juris Rdnrn. 10 bis 15).
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Der vom Kläger angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 29. Mai
2006 bezog sich auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
(jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) und damit lediglich auf ein nationales
ausländerrechtliches Abschiebungsverbot, so dass der Kläger mit Aufhebung
dieses Bescheides nur diesen nachrangigen Abschiebungsschutz erhielte. Im
Interesse effektiven Rechtsschutzes und unter Berücksichtigung der typischen
Interessenlage eines um Abschiebungsschutz nachsuchenden Ausländers hat der
Senat unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage deshalb
vorrangig die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes im Sinne des
subsidiären Schutzstatus nach der Qualifikationsrichtlinie geprüft und das
Bundesamt zu einer entsprechenden Feststellung verpflichtet.
Die Voraussetzungen für ein solches absolutes Abschiebungsverbot gemäß § 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wonach - in Umsetzung des subsidiären Schutzes nach
Art. 15 c QRL - von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen
individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist, sind im Falle des Klägers in
Bezug auf Afghanistan gegeben.
In seiner Heimatregion, der Provinz P., herrscht derzeit ein innerstaatlicher
bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und
Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO
einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bereits zitierten Urteil vom 24. Juni
2008 (a.a.O. juris Rdnrn. 18 ff.) Merkmale dieses "europarechtlichen"
Abschiebungsverbotes unter Heranziehung der Qualifikationsrichtlinie näher
präzisiert; dem folgt der Senat.
Danach ist der Begriff eines "internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten
Konflikts" unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts anhand der vier
Genfer Konventionen von 1949 auszulegen, die durch Zusatzprotokolle ergänzt
worden sind. Darunter fallen alle bewaffneten Konflikte, die im Hoheitsgebiet eines
Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen
organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen
Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des staatlichen Hoheitsgebiets
ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen,
während innere Unruhen und Spannungen, wie Tumulte, vereinzelt auftretende
Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, nicht als ein derartiger bewaffneter
Konflikt gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden
Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im
Sinne von Art. 15 c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber
jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen.
Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe.
Von dem völkerrechtlichen Begriff des "bewaffneten Konflikts" sind nur
Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an erfasst. Ob die
Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreichen müssen, wie er für
die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für
den Einsatz des Internationen Roten Kreuzes erforderlich ist, hat das
Bundesverwaltungsgericht offen gelassen und kann auch hier unentschieden
bleiben. Die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts findet
jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in
Drittstaaten Zufluchtsuchende nach Art. 15 c QRL widerspricht. Kriminelle Gewalt
wird bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt,
jedenfalls dann nicht berücksichtigt, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien
begangen wird.
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordert insbesondere auch keine
landesweite Konfliktsituation, sondern liegt auch schon dann vor, wenn die oben
genannten Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebiets erfüllt sind;
soweit der Senat in seinem Urteil vom 7. Februar 2008 (- 8 UE 1913/06.A - juris
Rdnrn. 42 und 44) noch eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht
mehr fest. Dass der subsidiäre Abschiebungsschutz keinen landesweiten Konflikt
voraussetzt, ergibt sich daraus, dass gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch für die
Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die
Regeln über den internen Schutz nach Art. 8 QRL gelten und ein aus seinem
Herkunftsstaat Geflohener nur auf eine landesinterne Schutzalternative verwiesen
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Herkunftsstaat Geflohener nur auf eine landesinterne Schutzalternative verwiesen
werden kann, wenn diese außerhalb des Gebietes eines innerstaatlichen
bewaffneten Konflikts liegt. Damit wird anerkannt, dass sich ein innerstaatlicher
Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken muss. Auch nach den
völkerrechtlichen Bestimmungen genügt, dass die bewaffneten Gruppen
Kampfhandlungen in einem "Teil des Hoheitsgebiets" durchführen.
Nach diesen Kriterien und den vorliegenden Erkenntnismitteln ist davon
auszugehen, dass in der Heimatregion des Klägers ein innerstaatlicher
bewaffneter Konflikt stattfindet.
Die Provinz P. liegt im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel. Eine
durchlässige Grenze trennt sie von Pakistan. Der Senat hat die Machtverhältnisse
in diesem Bereich Anfang 2005 als undurchsichtig und instabil bezeichnet und
dazu ausgeführt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 10. Februar 2005 a.a.O. juris Rdnr. 68)
"Neben den für diese paschtunisch geprägten Gebiete typischen Stammesfehden
und den verstärkten Aktivitäten der mit den Taliban kooperierenden Hezb-e-Islami
des radikalen paschtunischen Milizenführers Hekmatyar kommt es hier zu einer
Destabilisierung durch die Reinfiltration von Taliban und Al-Qaida, die zwar von den
etwa 18.000 Mann starken US- bzw. Anti-Terror-Streitkräften bekämpft werden
(vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004 S. 12), aber auf Grund des zur
Stammesloyalität verpflichtenden Ehrenkodex "Paschtunwali" großen Rückhalt bei
den paschtunischen Stammesführern finden. So ist schon davon die Rede, dass
die Taliban im Osten und Süden Afghanistans wieder etwa 35 % des Landes
kontrollieren, und zwar mit stillschweigender Billigung Karsais (vgl. Dr. Danesch an
Sächs. OVG vom 24. Juli 2004 S. 10; A., "Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage
zu "Das Parlament" vom 22. November 2004 S. 24 ff.). Angesichts des teilweise
trotzdem bestehenden Einflusses regierungstreuer Kräfte und sonstiger
Lokalherrscher und der Bekämpfung durch die Anti-Terror-Streitkräfte kann aber
nicht von stabilen und gesicherten regionalen Herrschaftsstrukturen der Taliban/Al
Qaida ausgegangen werden."
Viele Vertreter von Hilfsorganisationen oder ausländische Militärs beschreiben P.
inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt; so ist der Gouverneur
H. T. am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der
Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübten. Sie gewinnen im gesamten
Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachten P. als Rückzugs- und
Transitraum (vgl. Wegweiser zur Geschichte-Afghanistan, herausgegeben vom
Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 2. Aufl. 2007, S. 149 f.). Auch in anderen
Quellen wird von diesem Bombenattentat und darüber berichtet, dass die
Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze rapide zugenommen
hat und in diesem paschtunisch geprägten Gebiet vermehrt Überfälle und
Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" stattfinden (vgl. Koelbl/Ihlau,
Geliebtes, dunkles Land, 1. Aufl. 2007, S. 45 ff. "Im Herzen von Paschtunistan").
Wie der gesamte Süden und Südosten Afghanistans wird auch diese Region von
den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst.
So schreibt der Gutachter Dr. D. in seinem Gutachten vom 4. Dezember 2006 an
den Senat (vgl. S. 20), seit mehreren Monaten tobe im Osten und Süden ein
regelrechter Krieg zwischen amerikanischen und afghanischen Truppen auf der
einen und den Taliban auf der anderen Seite. Die afghanische Armee solle von
gegenwärtig 28.000 Mann (ursprünglich sollte sie bis 70.000 Soldaten umfassen)
auf 200.000 Mann aufgestockt werden. In den letzten Wochen (seit September
2006) habe der Krieg zwischen NATO-Truppen und afghanischer Armee auf der
einen Seite und den Taliban auf der anderen Seite an Heftigkeit zugenommen. Die
31.000 Soldaten der US-Truppen und anderer NATO-Länder, die insgesamt am
Hindukusch stünden, sähen sich im Süden und Osten Afghanistans zusammen mit
den Truppen der afghanischen Armee in einen heftigen Krieg verwickelt und seien
nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen. Die Angriffe der Taliban nähmen
kriegsähnliche Dimensionen an. In dieser Situation habe sich die afghanische
Regierung laut den Aussagen von Verteidigungsminister R. W. Mitte Juni 2006 zum
Aufbau einer Wehrpflichtigenarmee entschlossen (bis heute eine Berufsarmee),
weil sie mehr Soldaten für den sich abzeichnenden Krieg brauche. Bis auf den
heutigen Tag fänden regelrechte Schlachten statt. Die Taliban genössen im Süden
und Osten des Landes große Unterstützung durch die paschtunische Bevölkerung,
die ihre islamistische Ideologie teile.
Diese Einschätzung wird von amnesty international geteilt (vgl. Verena Harpe, "Ab
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Diese Einschätzung wird von amnesty international geteilt (vgl. Verena Harpe, "Ab
in den Hindukusch", vom 1. Januar 2007); im Süden und Osten Afghanistans
herrsche offener Krieg, häuften sich Selbstmordattentate und seien allein im
vergangenen Jahr über 2.000 Menschen bei Anschlägen ums Leben gekommen,
die meisten von ihnen Zivilisten.
Auch der Senat hat schon im Juni 2007 festgestellt, dass bürgerkriegsähnliche
bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Taliban und anderen extremistischen
Gruppen (allenfalls) im Süden und Süd-Osten des Landes stattfinden (vgl. Hess.
VGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 8 UZ 452/06.A - AuAS 2007 S. 202 ff. =
NVwZ-RR 2008 S. 58 f. = juris Rdnr. 48).
Dies entspricht auch dem letzten Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl-
und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7.
März 2008 (Stand: Februar 2008). Danach sei seit Frühjahr 2007 vor allem im
Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter
Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der
Selbstmordanschläge und Angriffe mit Sprengfallen von regierungsfeindlichen
Kräften habe 2007 erheblich zugenommen. Die Anti-Terror-Koalition bekämpfe die
radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Süden, Südosten und Osten des Landes.
Die Infiltration islamistischer Kräfte (u. a. Taliban) aus dem pakistanischen
Paschtunengürtel nach Afghanistan sei ungebrochen. Vor allem im Süden, aber
auch im Südosten sei 2007 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf
Einrichtungen der Provinzregierung und Hilfsorganisationen zu verzeichnen (vgl. S.
5 und S. 11 unter Nr. 4.2).
Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Provinz P. gehen für eine
Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im
Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der
Zivilbevölkerung eine "erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben" gemäß §
60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des
Lebens oder der Unversehrtheit" gemäß Art. 15 c QRL in Form von Bestrafung
und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden.
Dabei bedarf es vorliegend nach Auffassung des Senats keiner abschließenden
Entscheidung darüber, wie das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 15 c QRL
zusätzlich aufgeführten und in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht übernommenen
Merkmal der "willkürlichen Gewalt" einerseits und der in beiden Vorschriften
geforderten "individuellen Bedrohung" auch unter Einbeziehung des von
Deutschland vorgeschlagenen und durch den Zusatz "normalerweise"
abgemilderten 26. Erwägungsgrund der Qualifikationsrichtlinie aufzulösen ist,
wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines
Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine
individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre.
Abgesehen von dem unstreitigen Ausschluss bloß mittelbarer nachträglicher
Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts, wie etwa einer schlechten Sicherheits-
und Versorgungslage (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 a.a.O. juris
Rdnr. 48; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. juris Rdnr. 35), wird insoweit
erörtert, ob eine Individualisierung der allgemeinen Gefahren, die normalerweise
nicht alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betreffen, durch
eine besondere Gefahrendichte, wie sie etwa flüchtlingsrechtlich für die Annahme
einer Gruppenverfolgung verlangt würde, oder schon durch einen hinreichend
engen räumlichen und zeitlichen Bezug zu einem bewaffneten Konflikt mit
erheblicher Opferzahl in der Zivilbevölkerung und/oder durch besondere
individuelle gefahrerhöhende Umstände oder persönliche Merkmale, wie etwa eine
bestimmte Gruppenzugehörigkeit, erforderlich ist. Umstritten ist außerdem, ob die
nach der Gesetzesbegründung auch im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
zu berücksichtigende "willkürliche Gewalt" völkerrechtswidrige Gewaltakte
voraussetzt, die nicht zwischen militärischen und zivilen Objekten unterscheiden
und die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig treffen, oder ob dadurch lediglich die
Individualisierungsanforderungen als Teil der Prognoseentscheidung eingeschränkt
werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rdnrn. 34 ff.; VG Stuttgart,
Urteil vom 21. Mai 2007 - 4 K 2563/07 - juris Rdnr. 18; Hruschka/Lindner, NVwZ
2007 S. 645 [649 f.]; Funke-Kaiser, InfAuslR 2008 S. 90 ff.; Markard, NVwZ 2008 S.
1206 ff.).
Diese möglicherweise europarechtlich zu klärenden Fragen können hier
unentschieden bleiben, weil sich die aus der völkerrechtswidrigen "willkürlichen
Gewalt" der Taliban und anderer extremistischer Gruppen für die Zivilbevölkerung
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Gewalt" der Taliban und anderer extremistischer Gruppen für die Zivilbevölkerung
seiner Heimatprovinz P. ergebenden Gefahren in der Person des Klägers im Falle
seiner Rückkehr so zuspitzen würden, dass die Individualisierungsanforderungen
ohne weiteres erfüllt wären, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer
Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß § 60 Abs. 11
AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 QRL heranzuziehen ist, wonach die Tatsache, dass
ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden
erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar
bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers
vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften
Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der
Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht
wird.
Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger Anfang Februar 2001 vor einer
ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus
seinem Heimatdorf in der Provinz P. geflüchtet ist.
Das Bundesamt hat ihm mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Juli 2001 wegen
einer ihm im Falle der Rückkehr drohenden Gefahr der Zwangsrekrutierung durch
die Taliban ein Abschiebungshindernis in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6
Satz 1 AuflG zuerkannt, was eine konkrete, d.h. einzelfallbezogen und individuell
auf seine Person zielende erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
voraussetzt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 11. November 2004 - 8 UE 2759/01.A -
juris Rdnr. 26). Nach dem vom Bundesamt dafür herangezogenen Maßstab, dass
eine konkrete Gefahr für den Kläger "derzeit nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden" könne, und nach der Begründung
seines bestandskräftigen Bescheides ist das Bundesamt insoweit von der
Richtigkeit der klägerischen Darstellung seines "Vorverfolgungsschicksals"
ausgegangen. Es hat eine politische Verfolgung wegen des von ihm geschilderten
Rekrutierungsversuchs lediglich deshalb verneint, weil Anhaltspunkte dafür, dass
eine eventuelle Rekrutierung in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale in seiner
Person erfolgten, nicht vorlägen und von ihm auch nicht behauptet worden seien.
Vielmehr habe er selbst vorgetragen, dass alle Männer aus seinem Dorf rekrutiert
werden sollten. Diese Angaben deckten sich auch mit den dem Bundesamt
vorliegenden Erkenntnissen, wonach die Zwangsrekrutierungen der Taliban
willkürlich und nach Gutdünken und ohne Rechtsgrundlage erfolgten. Nach den
vorliegenden Informationen vollzögen sich die Rekrutierungen der Taliban zumeist
nach dem Muster, dass sie an die Dorfältesten einer Gemeinde heranträten und
entsprechend der Größe der Gemeinde eine bestimmte Anzahl von männlichen
Kämpfern forderten. Es werde dann den Dorfältesten überlassen zu entscheiden,
wer den Taliban folgen müsse. Außerdem seien die Taliban-Krieger in den Städten
überall präsent und besetzten bewaffnet alle Straßenkreuzungen. Träfen sie dort
auf Männer im wehrfähigen Alter bis zu 50 Jahren, würden diese ohne Umstände in
ihren Militärfahrzeugen abtransportiert.
Diese mit der auf sein Heimatdorf bezogenen Schilderung des Klägers
deckungsgleiche Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in
den Erkenntnismitteln des Bundesamtes spricht auch nach Auffassung des Senats
dafür, dass ihm diese Angaben geglaubt werden können und keine stichhaltigen
Gründe dagegen sprechen, dass er bei einer Rückkehr in die paschtunische
Stammesgesellschaft seiner Heimatregion wegen seiner Vorgeschichte von einer
Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe paschtunischer
Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem
Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde.
Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- oder
Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden
Umständen beruht, sondern dergestalt in einem inneren Zusammenhang zu den
zu seiner Ausreise führenden Gründen steht, dass mit einem Wiederaufleben der
ursprünglichen oder dem erhöhten Risiko einer gleichartigen Bedrohung zu
rechnen ist, ist selbst nach den bisher in der Rechtsprechung für die Anwendung
des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs allein im Rahmen der Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung aufgestellten Kriterien die nunmehr auch für den
subsidiären Schutz anwendbare Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL
gerechtfertigt (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008 - 10 C 33/07 -
AuAS 2008 S. 118 f. = DVBl. 2008 S. 1255 ff. = juris Rdnrn. 35 ff.). Wegen der an
seine Vorgeschichte anknüpfenden konkret-individuellen Zielgerichtetheit einer
drohenden Bestrafung und/oder die an seine Gruppenzugehörigkeit anknüpfende
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drohenden Bestrafung und/oder die an seine Gruppenzugehörigkeit anknüpfende
Gefahr einer Zwangsrekrutierung ist auch ein für die Anwendbarkeit des § 60 Abs.
7 Satz 2 AufentG und Art. 15 c QRL hinreichender Individualisierungsgrad gegeben,
da damit persönliche Merkmale in Bezug genommen werden, die sogar geeignet
sein könnten, eine Flüchtlingsanerkennung zu stützen (vgl. Markard, a.a.O. S. 1207
f.).
Der Kläger kann schließlich nicht gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL
auf einen internen Schutz in einem anderen Teil seines Herkunftslandes
Afghanistan verwiesen werden.
Das würde voraussetzen, dass für ihn dort keine begründete Furcht vor Verfolgung
bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, bestünde
und von ihm nach den dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seinen
persönlichen Umständen vernünftigerweise erwartet werden könnte, dass er sich
in diesem Landesteil aufhält. Dabei sind nicht nur verfolgungsbedingte Gefahren,
sondern ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob für ihn am Zufluchtsort -
unabhängig von den Lebensverhältnissen in seinem Herkunftsgebiet - eine
ausreichende Lebensgrundlage besteht und jedenfalls sein Existenzminimum
gewährleistet ist, wobei einiges dafür spricht, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu
berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb
der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen
(vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rdnrn. 27 f. und vom 29. Mai 2008 -
10 C 11/07 - NVwZ 2008 S. 1246 ff. = DVBl 2008 S. 1251 ff. = juris Rdnrn. 32 ff.).
Diese Voraussetzungen sind in anderen Landesteilen Afghanistans, insbesondere
in dem wohl allein für einen internen Schutz in Frage kommenden Bereich der
Hauptstadt Kabul angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation, der
schlechten Sicherheits- und unzureichenden Versorgungslage für den aus der
ländlichen Provinz P. stammenden, ungelernten und kranken und seit knapp acht
Jahren in Deutschland lebenden Kläger, der in anderen Gebieten und insbesondere
in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse
verfügt, nicht gegeben.
Zu der allgemeinen Situation hat der Senat in seinem Urteil vom 7. Februar 2008
u.a. ausgeführt (a.a.O. juris Rdnrn. 25 ff., dort allerdings anonymisiert):
"Den vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen lässt sich
hierzu folgendes entnehmen:
Die Wirtschaftslage Afghanistans, eines der ärmsten Länder der Welt, ist nach
Darstellung des Auswärtigen Amts (Lageberichte vom 19. November 2005, 13. Juli
2006 und 17. März 2007) "desolat". Die humanitäre Situation biete im Hinblick auf
etwa vier Millionen - vornehmlich aus Pakistan - zurückgekehrte Flüchtlinge große
Herausforderungen. Die Wohnraumversorgung sei unzureichend, Wohnraum sei
knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Die Versorgungslage in Kabul und
anderen großen Städten habe sich zwar grundsätzlich verbessert, in anderen
Gebieten sei sie aber weiter "nicht zufrieden stellend". Humanitäre Hilfe, die
weiterhin von erheblicher Bedeutung sei, werde im Norden durch
Zugangsprobleme, im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert. Die
medizinische Versorgung sei völlig unzureichend, selbst in Kabul. Rückkehrer
könnten "auf Schwierigkeiten stoßen", wenn sie außerhalb eines
Familienverbandes oder nach längerer Abwesenheit im westlich geprägten Ausland
zurückkehrten, insbesondere wenn ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk
sowie örtliche Kenntnisse fehlten. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende
Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und
Versorgung weiter. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer
Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung
gehabt. Bis Ende 2003 seien knapp 70.000 Unterkünfte gebaut worden, 2004
wegen fehlender Finanzen nur noch 27.000. Die Fortsetzung dieser
Hilfsmaßnahmen sei von neuen Unterstützungszusagen der Geberländer
abhängig. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien in Afghanistan nicht
vorhanden. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gebe es nicht.
Familien und Stämme übernähmen die soziale Absicherung.
Die Versorgungslage speziell in Kabul hat der Journalist und Autor Dr. Mostafa
Danesch in seinem vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten vom 4.
Dezember 2006 wie folgt dargestellt (Seite 22 ff.): Die Lebensbedingungen der
Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag
verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht".
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verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht".
Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel
Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung
nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin. Die afghanische Hauptstadt sei in den
letzten Jahren durch den Zustrom von Rückkehrern aus den Nachbarländern sowie
Binnenflüchtlingen stark angewachsen. Nachdem Kabul im Gefolge der
jahrelangen Bürgerkriege stark entvölkert worden sei - von ca. drei Millionen auf
eine Million Einwohner zum Ende der Taliban-Herrschaft -, sei die Stadt in den
darauf folgenden Jahren auf nach offiziellen Angaben geschätzte 4,5 Millionen
Einwohner angewachsen. Grundsätzlich erhalte jede in Kabul eintreffende Familie -
also auch abgeschobene Rückkehrer aus Europa - von den UN eine einmalige Hilfe
von 12 $ pro Person. Dann seien die Menschen auf sich gestellt und müssten sich
selbst eine Unterkunft suchen. Weitere Hilfe durch die UN oder Nicht-Regierungs-
Organisationen gebe es in Kabul momentan nicht. Erschwinglicher Wohnraum
außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht. Ein einfaches Zimmer
koste bis zu 20 US-Dollar im Monat. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab
vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur
gebe. Ein durchschnittlicher Tageslohn betrage in Kabul ca. zwei US-Dollar, wobei
es für allein stehende Rückkehrer schwierig sei, Gelegenheitsarbeiten zu finden.
Rund 60 bis 70% der Kabuler Bevölkerung bezögen ihr Wasser aus selbst
gegrabenen Flachbrunnen oder öffentlichen Handpumpen, manche müssten eine
bis eineinhalb Stunden zu Fuß gehen, um Wasser heranzuschaffen, und selbst
wohlhabende Stadtgebiete würden nur tageweise mit Leitungswasser versorgt.
Diese Darstellung der Versorgungslage hat amnesty international in einem vom
Senat eingeholten Gutachten vom 17. Januar 2007 (Bd. II Bl. 207 ff.GA, S. 4 ff.) im
Wesentlichen bestätigt und die Situation als "hochproblematisch" bezeichnet. Der
enorme Bevölkerungszuwachs habe in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum
verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten
in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in
Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über
regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln
seien katastrophal. Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and
Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" sei nach Auskunft der
mit der Durchführung beauftragten Internationalen Organisation für Migration
(IOM) bis 30. April 2007 begrenzt gewesen, wobei unklar sei, ob von diesem
Programm auch abgeschobene Afghanen hätten profitieren können. Das
Auswärtige Amt hat auf Anfrage des Senats im vorliegenden Verfahren mit
Auskunft vom 29. Mai 2007 (Bd. II Bl. 261 f. GA) bestätigt, dass das RANA-
Programm der Europäischen Union Ende April 2007 ausgelaufen sei.
Die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Nahrungsmitteln in
Afghanistan, insbesondere in Kabul, müssen nach Einschätzung von amnesty
international (Stellungnahme vom 17. Januar 2007) für die nicht wohlhabende
Bevölkerung als unzureichend bezeichnet werden. Viele Menschen litten unter
Mangel- und Unterernährung. Als Folge dieser desolaten Verhältnisse seien
Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. weit verbreitet. Eine Behandlung sei in der
Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich
sei. Während auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gegeben sei, sei es in
Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen
oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese
Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten
Kindersterblichkeitsraten. Ein erhebliches Problem sei die große Arbeitslosigkeit,
vor allem in Kabul. Rückkehrer konkurrierten hier mit der übrigen Bevölkerung um
die wenigen Arbeitsplätze. Oft bleibe nur eine gelegentliche Tätigkeit als
Tagelöhner, doch auch hier sei der Markt hart umkämpft. Angesichts der enorm
großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage im Land könne die
Versorgung der bedürftigen Bevölkerung nicht durch Angebote von internationalen
Hilfsorganisationen aufgefangen werden. Dies gelte insbesondere vor dem
Hintergrund, dass viele Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von
Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten und die Bereitschaft zu
einem weiteren Engagement daher stetig abnehme. Diese Einschätzung werde
vom UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) geteilt.
Die Einschätzung der Versorgungslage und der Arbeitsmarktsituation in den vom
Senat eingeholten Gutachten von Dr. Danesch und amnesty international werden
im Wesentlichen bestätigt durch die in die mündliche Verhandlung eingeführten
Dokumente. Peter Rieck hat in seinem Gutachten für das OVG Rheinland-Pfalz
zwar hoch qualifizierten Rückkehrern aus dem Ausland gute Chancen bei der
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zwar hoch qualifizierten Rückkehrern aus dem Ausland gute Chancen bei der
Arbeitsplatzsuche in Afghanistan eingeräumt, jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass
an- und ungelernte männliche Arbeitskräfte dort eine den Lebensunterhalt
sichernde Erwerbsmöglichkeit finden, als gering bezeichnet. Weiter hat er darauf
hingewiesen, dass in Kabul und mehr noch in den ländlichen Regionen
Afghanistans die Rekrutierung von Arbeitskräften sehr stark von persönlichen
Beziehungen geprägt werde und diese Beziehungsgeflechte sowohl in der
Privatwirtschaft als auch in der öffentlichen Verwaltung zu finden und stark
ausgeprägt seien. Die internationale Organisation für Migration hat in ihrer
Stellungnahme vom 23 November 2007 die Beschreibung der Wohnungssituation,
wie sie in den vom Senat eingeholten Gutachten dargestellt worden ist, bestätigt
und mit entsprechenden Zahlenangaben untermauert. Da der Kläger weder über
eine Berufsausbildung noch über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfügt,
gehört er zu der Personengruppe, deren Integrationschancen in Afghanistan eher
gering sind. Daran ändern seine hier erworbenen Sprachkenntnisse nach
Einschätzung des Senats nichts, da sie - wie der Kläger selbst gesagt hat - nicht
ausreichen dürften, um in Afghanistan als Dolmetscher oder Übersetzer tätig zu
werden.
Zur Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, hat der
Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 4. Dezember 2006 (Seite
13 f.) ausgeführt, diese sei katastrophal. Im ganzen Land herrschten praktisch die
Drogenmafia und die großen Kriegsfürsten. Weder die Regierung noch die
ausländischen Truppen seien in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung zu
gewährleisten. Die Gefahr, durch Kriminalität, bei politisch motivierten Attentaten,
als ziviles Opfer militärischer Auseinandersetzungen oder durch unterlassene
Hilfeleistung und Machtmissbrauch seitens der Staatsorgane zu Schaden zu
kommen, bestehe für jeden Afghanen, besonders jedoch für mittellose
Rückkehrer. Staatliche Organe, beispielsweise Justiz oder Polizei, seien weder in
der Lage noch bereit, jemanden zu schützen, der solchen Missständen zum Opfer
falle. Polizei und Justiz seien vollständig korrupt und von den verschiedenen
Mujahedin-Parteien unterwandert. Selbst Präsident Karsai wage sich ohne US-
amerikanische Leibwächter nicht auf die Straße. Auf seine eigenen Polizeikräfte
oder einheimische Leibwächter könne er sich nicht verlassen. Während seines
Aufenthalts in Afghanistan im Dezember 2005 habe er, Dr. Danesch, festgestellt,
dass in einem von mindestens 700.000 Menschen, zumeist Schiiten, bewohnten
Stadtviertel weder Polizeikräfte noch ausländische Truppen oder
Hilfsorganisationen präsent gewesen seien. Gerade hier oder in anderen
Wohngebieten, die für die ausländischen Truppen "no-go"-Gebiete seien, müsse
sich ein abgeschobener Asylbewerber zwangsläufig niederlassen. Es gebe dort
keine neutrale Instanz, die ihn vor Gefahren schützen könne. Nacht für Nacht
kämen in Kabul Menschen ums Leben, ohne dass diese Fälle je aufgeklärt würden.
Die in Afghanistan stationierte internationale Schutztruppe (International Security
Assistance Force, ISAF) und die dort tätigen Hilfsorganisationen sind nach
Darstellung von Dr. Danesch nicht in der Lage, ein gewisses Maß an Sicherheit und
Schutz für die Bevölkerung zu gewährleisten. Bei seinem letzten Besuch in
Afghanistan im Dezember 2005 habe er feststellen müssen, dass die
ausländischen Schutztruppen und die Hilfsorganisationen sich hinter
Betonabsperrungen verschanzt hätten, die oft die Gehwege und Teile der Straße
einnähmen. Das Personal der europäischen Botschaften gehe aus Angst praktisch
nie vor die Tür. Wenn man sich doch in der Stadt bewege, lasse man sich zum
eigenen Schutz von Sicherheitskräften begleiten, jedoch nie von afghanischen, die
allgemein als weniger zuverlässig betrachtet würden. Die ISAF-Präsenz sei relativ
gering, selbst in der Kabuler Innenstadt. Er selbst habe während seines Aufenthalts
im Dezember 2005 dort nur einmal zwei gepanzerte Bundeswehr-Fahrzeuge auf
Patrouille gesehen; darin hätten Soldaten gesessen, die sich mit entsicherten
Waffen geschützt hätten. Ein weiteres Mal habe er ein US-amerikanisches
Fahrzeug gesehen. Diese Auftritte, die sich nicht auf die Randgebiete Kabuls
erstreckten, hätten lediglich die Aufgabe, die Anwesenheit der ausländischen
Truppen zu demonstrieren, aber sonst keinerlei praktische Auswirkungen.
Auch diese Darstellung von Dr. Danesch wird im Wesentlichen durch das
Gutachten von amnesty international vom 17. Januar 2007 (S. 1 ff.) bestätigt. Dort
wird die Sicherheitslage in Afghanistan, die sich in den letzten Jahren immer weiter
verschlechtert habe, als prekär bezeichnet. 2006 sei das blutigste Jahr seit dem
Sturz der Taliban gewesen und die zunehmende Gewalt beschränke sich nicht nur
auf den Süden und Osten Afghanistans, die Berichte von Unruhen im Norden und
Westen mehrten sich. Die kämpferischen Auseinandersetzungen spielten sich
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Westen mehrten sich. Die kämpferischen Auseinandersetzungen spielten sich
nicht nur in abgelegenen Regionen ab, sondern zum Beispiel im Distrikt Ghazni,
ganze zwei Stunden von Kabul entfernt. Diese Gegend entwickle sich zur Zeit
immer mehr zu einer "No-Go-Area", und internationale Hilfsorganisationen hätten
sich selbst aus der Provinzhauptstadt Ghazni zurückgezogen. Amnesty
international hat in seinem Gutachten (vgl. dort S. 2 f.) 26 Bombenanschläge und
Selbstmordattentate mit Personenschaden aufgelistet, die sich in der Zeit von Mai
bis Dezember 2006 in den Städten Kabul, Mazar-i Sharif, Herat und Kundus
ereignet hätten. Bewaffnete Raubüberfälle und Diebstähle seien an der
Tagesordnung und würden nicht selten von Angehörigen der Sicherheitskräfte und
der Polizei begangen. Rückkehrer aus westlichen Ländern seien besonders
gefährdet, Opfer von Diebstählen, Raubüberfällen und Entführungen zu werden, da
man bei ihnen Geld vermute."
Aus dieser allgemeinen Situation ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung unter
Heranziehung weiterer Erkenntnismittel etwa hergeleitet worden, dass ein 1981
geborener, nach wenigen Schuljahren nur in der väterlichen Landwirtschaft tätiger
und im Februar 2003 nach Deutschland eingereister Afghane im Falle seiner
Abschiebung das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln, Unterkunft und
medizinischer Versorgung in Kabul nicht aus eigener Kraft sichern könne, deshalb
mit hoher Wahrscheinlichkeit zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess
körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde, so dass er
einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt wäre, die nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Abschiebung
verfassungsrechtlich unzumutbar erscheinen lasse (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil
vom 6. Mai 2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008 S. 188 ff. = juris Rdnrn. 21 ff. m.w.N.
auch auf gegenteilige Entscheidungen).
Demgegenüber ist der Senat zwar in seinem Urteil vom 7. Februar 2008 (a.a.O.
juris Rdnr. 35) davon ausgegangen, dass ein junger, allein stehender Afghane
ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne
schwer wiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Falle einer zwangsweisen
Rückführung in sein Heimatland dort zwar keine Eingliederungshilfe durch den
afghanischen Staat, ausländische Hilfsorganisationen oder die eigene Familie zu
erwarten hätte, aber auf Grund seines Lebensalters und des Fehlens familiärer
Bindungen mit daraus resultierenden Unterhaltslasten wahrscheinlich in der Lage
wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul wenigstens ein kümmerliches
Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu
finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu
integrieren, obwohl manche von den Gutachtern mitgeteilte Details auch für die
gegenteilige Schlussfolgerung sprächen; daraus lasse sich jedoch nicht die für eine
verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche
hohe Wahrscheinlichkeit ableiten, dass ein solcher Kläger bei einer Rückkehr nach
Afghanistan dort verhungern würde oder ähnlich existenzbedrohenden
Mangellagen ausgesetzt wäre. Der Senat sei vielmehr davon überzeugt, dass in
Kabul trotz zahlreicher Todesfälle durch Mangelernährung und anderweitige
Unterversorgung gerade für junge, arbeitsfähige Männer Überlebenschancen
bestünden, auch wenn sie nicht durch eine bedarfsgerechte Ausbildung und
familiäre oder sonstige Beziehungen begünstigt würden.
Abgesehen von der - wohl eher zu verneinenden - Frage, ob erst bei einer
derartigen Extremgefahr interner Schutz gemäß Art. 8 QRL abgelehnt und damit
subsidiärer Schutz nach Art. 15 c QRL gewährt werden kann, kommt vorliegend
hinzu, dass der Kläger wegen seiner durch mehrere ärztliche Bescheinigungen
nachgewiesenen und von der Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Epilepsie-
Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr
eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen ist, so dass in seinem Fall auch nach den
strengen Maßstäben im Senatsurteil vom 7. Februar 2008 sogar die
Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses in verfassungskonformer
Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen sind. Dazu bedarf es
entgegen der Auffassung im angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil keiner
lebensbedrohlichen Erkrankungsform, es reicht vielmehr unter den allgemeinen
Gegebenheiten der Lebenssituation in Kabul aus, dass der Kläger seine
medikamentöse Versorgung kaum dauerhaft sicherstellen könnte und nach einem
der zwei- bis dreimal monatlich auftretenden Anfälle eine möglicherweise
gefundene Erwerbstätigkeit verlieren würde.
Auch wegen dieses Vorliegens der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot in
verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG war der
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verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG war der
angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 29. Mai 2006 aufzuheben.
Einer Entscheidung über die vom Kläger weiter geltend gemachten europarechtlich
determinierten Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG und über
das nationale Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG bedurfte es nicht,
weil diese mit den hier festgestellten Abschiebungsverboten jeweils einen
einheitlichen Streitgegenstand bzw. Streitgegenstandsteil bilden und keine
weitergehenden Rechte vermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O.
juris Rdnrn. 11, 13 und 15).
Da der Kläger mit dem Hauptantrag Erfolg hat, ist weder über die von ihm mit
Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten angekündigten und nur hilfsweise
gestellten Beweisanträge noch über seinen Hilfsantrag auf Vorlage des Verfahrens
zum Europäischen Gerichtshof zu befinden.
Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten hat die unterliegende Beklagte
gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b
AsylVfG nicht erhoben.
Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten und
über die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und §
711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung der oben angesprochenen Fragen zur Auslegung und
Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c QRL zu.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.