Urteil des HessVGH vom 20.12.2005

VGH Kassel: konkludentes verhalten, öffentlicher auftrag, gebietskörperschaft, stadt, städtebau, zivilrecht, akteneinsicht, auflage, treuhänder, entziehen

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TG 3035/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 39 VwVfG HE, § 40 Abs 1
VwGO, § 44a VwGO, § 100
VwGO, § 100 Abs 2 Buchst
h GWB vom 26.08.1998
(Gemeindliches Grundstück; Verkauf; Vergabe,
Investorenauswahl; Rechtsweg; Städtebau;
Entwicklungsmaßnahme)
Leitsatz
Ist ein Investorenauswahlverfahren darauf ausgerichtet, einen Erwerber für das bzw. die
Treuhandgrundstücke auszuwählen, der einen wirtschaftlich günstigen Preis für das/die
Grundstücke bietet und dessen Bauabsichten den städtebaulichen
Gestaltungsvorstellungen entsprechen, finden die vergaberechtlichen Vorschriften des
GWB keine Anwendung.
Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ist, richtet sich, wenn eine
ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach ständiger Rechtsprechung
nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.
Werden in einem städtebaulichen Entwicklungsbereich durch eine von der
Gebietskörperschaft eingeschaltete Treuhänderin Grundstücke veräußert, unterliegt die
Tätigkeit der Treuhänderin zumindest insoweit den Vorgaben öffentlich-rechtlicher
Normen, als sie gemäß § 167 Abs. 3 i.V.m. § 169 Abs. 5 bis 8 BauGB verpflichtet ist, nur
unter Beachtung der besonderen städtebauentwicklungsrechtlichen Vorschriften, die
von ihr treuhänderisch verwalteten Grundstücke zu veräußern.
Der Streit um eine Vergabeentscheidung hinsichtlich eines gemeindlichen Grundstücks
stellt trotz der privatrechtlichen Abwicklung zumindest dann eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO dar, wenn die vergebende Stelle - sei es die
Gebietskörperschaft selbst oder sei es ein von ihr eingesetzter Treuhänder - hinsichtlich
der Vergabeentscheidung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben in seiner
Entscheidung gebunden ist.
Sowohl der isoliert geltend gemachte Akteneinsichtsanspruch sowie der Anspruch auf
Vorlage einer Begründung einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung zielen auf
unselbständige Verfahrenshandlungen, die gemäß § 44 a VwGO nur gleichzeitig mit den
gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden
können.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Frankfurt am Main vom 3. November 2005 - 8 G 4223/05 (2) - wird
zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf
1.375.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, da das Verwaltungsgericht
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Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, da das Verwaltungsgericht
im Ergebnis zu Recht den Eilantrag der Antragstellerin abgewiesen hat. Die von der
Antragstellerin dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen im
Ergebnis keine andere Entscheidung in der Sache.
Allerdings ist dem Verwaltungsgericht nicht darin zu folgen, dass der
Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei.
Zunächst handelt es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht
um eine vergaberechtliche Streitigkeit nach dem Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.
August 1998 (BGBl. I S. 2546), da gemäß § 100 Abs. 2 h) GWB dessen Vierter Teil,
der die Vergabe öffentlicher Aufträge regelt, nicht für Aufträge über Erwerb oder
Rechte an Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden oder anderem
unbeweglichen Vermögen ungeachtet ihrer Finanzierung gilt. Nach dem
unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerin ist das
Investorenauswahlverfahren darauf ausgerichtet gewesen, einen Erwerber für das
bzw. die Treuhandgrundstück(e) auszuwählen, der einen wirtschaftlich günstigen
Preis für das/die Grundstück(e) bietet und dessen Bauabsichten den
städtebaulichen Gestaltungsvorstellungen der Antragsgegnerin bzw. der Stadt
Frankfurt am Main entsprechen. Demzufolge ist die Antragstellerin bei der von ihr
kalkulierten Gesamtinvestitionssumme von etwa 55.000.000,00 € davon
ausgegangen, dass ein maximaler Grundstückspreis von 9.000.000,00 bis
10.000.000,00 € realistisch sei (vgl. Anlage K 4 der von der Antragstellerin
eingereichten Unterlagen). Bietet der Auftraggeber selbst Grundstücke zum
Verkauf an, ist er nicht an das Vergaberecht gebunden (vgl. Zeiss, juris Praxis
Kommentar, Vergaberecht, unter www.juris.de, § 99 Rdnr. 9 mit Nachweisen).
Soweit mit einem städtebaulichen Vertrag keine Leistung, sondern "nur" die
Umsetzung städtebaulicher Gestaltungsvorstellungen verbunden ist, braucht
Vergaberecht nicht beachtet zu werden. Es ist unerheblich, wenn eine
Gebietskörperschaft im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages (etwa aus Anlass
eines Grundstücksverkaufs) ihre städtebaulichen Vorstellungen durchsetzen will.
Selbst wenn die Stadt den Investor verpflichtet, einen bestimmten
Architektenentwurf zu realisieren, führt dies nicht dazu, dass die
Gebietskörperschaft zur Empfängerin der Architektenleistungen wird (vgl. Zeiss,
a.a.O., § 99 Rdnr. 54 m.w.N.), wobei die Frage, ob ein öffentlicher Auftrag im Falle
eines Investorenauswahlverfahrens vorliegt, letztendlich eine Frage des Einzelfalles
bezogen auf den konkreten Ausschreibungsmodus darstellt (vgl.
Immenga/Mestmäcker, GWB, Kommentar zum Kartellgesetz, 3. Auflage, 2001, §
99 Rdnr. 5).
Aufgrund der Tatsache, dass nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der
Antragstellerin die Antragsgegnerin Grundstücke veräußert, um sie nach den im
Rahmen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme entwickelten
planungsrechtlichen Vorstellungen der Stadt Frankfurt am Main beplanen zu
lassen, findet Vergaberecht keine Anwendung (§ 100 Abs. 2 h) GWB ) .
Es handelt sich auch um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit
nichtverfassungsrechtlicher Art, für die gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
Ob eine Streitigkeit öffentlich rechtlich oder privatrechtlich ist, richtet sich, wenn
eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach ständiger
Rechtsprechung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der
Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. BVerwGE 75, 109; BVerwGE 96, 71;
Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage 2005, § 40 Rdnr. 6 m.w.N.).
Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem
Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche
oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 12. März 1993 - 8 S 2554/92 - in juris-online). Zwar
ist grundsätzlich ein Grundstücksverkauf gekoppelt mit Vorgaben zur Beachtung
planerischer Grundentscheidungen zivilrechtlicher Natur, vorliegend tritt jedoch die
Besonderheit hinzu, dass es sich um die Bebauung und Veräußerung von
Grundstücken in einem städtebaulichen Entwicklungsbereich gemäß den §§ 165 ff.
BauGB handelt, wobei die Tätigkeit der Antragsgegnerin als Treuhänderin der
Stadt Frankfurt am Main zumindest insoweit den Vorgaben öffentlich-rechtlicher
Normen unterliegt, als sie gemäß § 167 Abs. 3 i.V.m. § 169 Abs. 5 - 8 BauGB
verpflichtet ist, nur unter Beachtung der besonderen
städtebauentwicklungsrechtlichen Vorschriften, die von ihr treuhänderisch
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städtebauentwicklungsrechtlichen Vorschriften, die von ihr treuhänderisch
verwalteten Grundstücke zu veräußern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 12.03.1993 - 8 S 2554/92 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.1995
- 8 S 841/94 -; Hess. VGH, Beschluss vom 01.07.1983 - 4 TG 35/83 -; OVG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.09.1992 - 7 E 1159/92 -; OVG Münster,
Beschluss vom 30.06.2000 - 21 E 472/00 -, alle Entscheidungen in juris-online ).
Mag auch die weitere Vertragsabwicklung privatrechtlicher Natur sein, folgt hieraus
keineswegs, dass auch die Auswahlentscheidung ausschließlich dem Zivilrecht
zuzuordnen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.03.1993, a.a.O.).
Letztendlich kann die Antragstellerin einen Anspruch auf Übertragung eines
Grundstücks und damit auf Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages nur
aus dem öffentlich-rechtlichen Sonderrecht der §§ 165 ff. BauGB herleiten, es sei
denn, sie leitet ihren Rechtsanspruch aus sonstigen, dem Zivilrecht
zuzuordnenden vorvertraglichen Regelungen ab, was dem Vortrag der
Antragstellerin jedoch nicht entnommen werden kann.
Der Streit um Vergabeentscheidungen hinsichtlich eines gemeindlichen
Grundstücks stellt trotz der privatrechtlichen Abwicklung eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit dar, zumindest, wenn die vergebende Stelle - sei es die
Gebietskörperschaft selbst oder sei es ein von ihr eingesetzter Treuhänder -, der
wie im Fall der Antragsgegnerin zu 100 % der Gebietskörperschaft gehört,
hinsichtlich der Vergabeentscheidung aufgrund öffentlich rechtlicher Vorgaben in
seiner Entscheidung gebunden ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom
01.09.1992, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.1995, a.a.O.; VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.03.1993; OVG Münster, Beschluss vom
30.06.2000, a.a.O.; Hess. VGH, Beschluss vom 01.07.1983, a.a.O.). Etwas anderes
ergibt sich auch nicht daraus, dass nach dem von der Antragsgegnerin
vorgelegten Treuhändervertrag vom 22. Dezember 1998 hoheitliche Befugnisse
durch diesen Vertrag nicht übertragen werden (§ 1 Abs. 3 des Vertragstextes).
Unabhängig von der Frage, ob die Antragsgegnerin befugt ist, hoheitlich tätig zu
werden, unterliegt sie als Entwicklungsträgerin den besonderen Vorgaben der
städtebauförderungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere des § 169 Abs. 6
BauGB, denen sich die Stadt Frankfurt am Main auch nicht durch Einschaltung
eines privatrechtlich tätigen Dritten entziehen kann.
Ist mithin der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, ist der Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gleichwohl abzulehnen, da die Antragstellerin einen
Anordnungsanspruch nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO
glaubhaft gemacht hat.
Die Antragstellerin will mit ihrem Eilantrag den von ihr im Klageverfahren geltend
gemachten Akteneinsichtsanspruch sowie die Vorlage einer Begründung zu der
von der Antragsgegnerin getroffenen ablehnenden Entscheidung sichern. Beide
von der Antragstellerin angestrengten Klageanträge zielen auf unselbständige
Verfahrenshandlungen, die gemäß § 44 a VwGO nur gleichzeitig mit den gegen die
Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können
und daher einer isolierten, eigenständigen Geltendmachung entzogen sind.
Gemäß § 44 a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche
Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, wobei als
Verfahrenshandlungen alle Maßnahmen in Betracht kommen, die eine Behörde in
einem Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen vornimmt oder vorzunehmen
ablehnt, auch konkludentes Verhalten oder bloßes Unterlassen (Kopp/Schenke,
a.a.O., § 44 a Rdnr. 3).
Dass es sich bei dem von der Antragstellerin monierten Begründungserfordernis
des § 39 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HessVwVfG - um eine
Verfahrenshandlung im Sinne des § 44 a VwGO handelt, liegt auf der Hand, da das
Begründungserfordernis nur im Zusammenhang mit einer anstehenden
Sachentscheidung relevant werden kann. Doch auch hinsichtlich des von der
Antragstellerin geltend gemachten Akteneinsichtsgesuchs mutet das Gesetz der
Antragstellerin zu, den geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht erst in
einem sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahren durchsetzen zu
können (vgl. § 100 VwGO), da es sich auch insoweit um eine nicht selbstständig
angreifbare Verfahrenshandlung im Sinne des § 44 a VwGO handelt. Die
Antragstellerin kann nämlich ihren Anspruch auf Akteneinsicht innerhalb eines
Verfahrens zur Durchsetzung ihres eigentlich verfolgten Anspruchs - letztendlich
begehrt die Antragstellerin den Zuschlag für die Investitionsmaßnahme - geltend
machen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.02.2000 - 2 B 10209/00 - in
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machen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.02.2000 - 2 B 10209/00 - in
juris-online; Bay. VGH, Beschluss vom 18.05.1995 - 7 E 95.1069 - in juris-online).
Der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art.19 Abs.4 GG ist
dabei dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass Mängel im
Verwaltungsverfahren, die neben § 44 a VwGO nicht unmittelbar mit
Rechtsbehelfen gegen die Verfahrenshandlung geltend gemacht werden können,
im Rahmen eines gegen die Sachentscheidung zulässigen Klageverfahrens gerügt
werden können und rechtlich geprüft werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom
31.03.1997 - 11 VR 2/97 - in juris-online ). Dem damit verbundenen Kostenrisiko,
erst nach ordnungsgemäßer Einsichtnahme in die Verwaltungsunterlagen bzw.
nach Vorlage der Gründe für die ablehnende Entscheidung beurteilen zu können,
ob ein eingelegtes Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, trägt § 155
Abs. 4 VwGO ausreichend Rechnung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwertes auf § 50 Abs. 2 GKG entsprechend, §§ 52, 47, 53 GKG. Zwar findet §
50 Abs. 2 GKG aufgrund der Tatsache, dass es sich nicht um ein
vergaberechtliches Verfahren handelt, keine unmittelbare Anwendung , die dort
zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken hat der Senat jedoch im Rahmen der
von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung nach § 52 Abs. 1 GKG mit
berücksichtigt, sodass es im Ergebnis bei der Berechnung des Verwaltungsgerichts
verbleiben kann.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.