Urteil des HessVGH vom 16.12.1993

VGH Kassel: mitbestimmungsrecht, privatisierung, stadt, amt, firma, kreis, vertretung, ehepaar, quelle, arbeitsunfähigkeit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
Fachsenat für
Personalvertretungssachen
(Land)
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
HPV TL 243/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 81 Abs 1 S 1 PersVG
HE
(Mitbestimmung des Personalrates bei der Privatisierung -
Fremdvergabe von Reinigungsarbeiten)
Gründe
I.
Die Verfahrensbeteiligten streiten darüber, ob die Vergabe von Reinigungsarbeiten
an Privatfirmen hinsichtlich des W mitbestimmungspflichtig ist.
Bezüglich des waren 1990 im Stellenplan der Stadt F insgesamt 48
Wochenstunden für die Durchführung der Unterhaltsreinigung ausgewiesen. Die
entsprechenden (Teil-)stellen waren zunächst mit einem Ehepaar besetzt. Ab
November 1990 wurde wegen der Arbeitsunfähigkeit des Ehepaares eine
Privatfirma mit der Reinigung des beauftragt, weil sich eine Vertretung aus dem
Kreis der städtischen Bediensteten nicht finden ließ. Am 31. Januar 1991 schied die
Ehefrau aus. Der Ehemann verstarb am 30. April 1991. Für die Zeit ab 1. Mai 1991
wurde ein neuer Mitarbeiter für die Reinigungsarbeiten eingestellt, der jedoch auch
wiederholt arbeitsunfähig war. Die Reinigungsarbeiten wurden daher zunächst
durch Überstunden der im tätigen Hausmeisterin und danach vorübergehend
durch befristet eingestellte Aushilfskräfte durchgeführt. Nachdem sich keine
Aushilfskräfte mehr fanden, wurde eine andere städtische Mitarbeiterin mit 28
Wochenstunden zur Vertretung des erkrankten, an sich zuständigen Mitarbeiters
tätig. Die Reststunden wurden durch eine Privatfirma abgedeckt. Da der
zuständige Mitarbeiter im Februar 1992 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied und
auch andere Kräfte nicht gefunden werden konnten, übernahmen ab Ende Februar
1992 verschiedene Privatfirmen in Folge vollständig die Reinigung des Mit
Schreiben vom 6. April 1992 erklärte sich das Personal- und Organisationsamt
gegenüber dem Stadtschulamt damit einverstanden, daß das W künftig in
Fremdvergabe gereinigt werde. Die aus dem Stellenpool bereitgestellte Kapazität
von 48 Stunden je Woche wurde zunächst zur Wiederbesetzung gesperrt. Die
abschließende Streichung dieser Stelle erfolgte mit dem Nachtragsstellenplan
1992. Seit dem 1. September 1992 ist die Firma C. S. aufgrund eines bis 31.
August 1994 befristeten Vertrages allein für die Reinigung des zuständig.
Der Antragsteller wurde im Zusammenhang mit der Vergabe der Arbeiten an die
Fremdfirmen nicht beteiligt.
Er hat am 30. September 1992 das personalvertretungsrechtliche
Beschlußverfahren eingeleitet und vorgetragen, es handele sich um einen Fall der
Vergabe von Arbeiten und Aufgaben im Sinne des § 81 Abs. 1 HPVG.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, daß der Antragsteller bei der "Fremdvergabe"
der Reinigung des
stiege in Frankfurt am Main das Mitbestimmungsrecht
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nach § 81 Abs. 1 HPVG hat.
Der Beteiligte hat beantragt,
den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Er hat vorgetragen, ein Mitbestimmungsrecht nach § 81 Abs. 1 HPVG sei nur dann
gegeben, wenn es sich um Arbeiten handele, die bisher durch Beschäftigte der
Dienststelle wahrgenommen worden seien. Die in Rede stehenden
Reinigungsarbeiten seien in den vergangenen 2 Jahren immer wieder von
Fremdfirmen ausgeführt worden. Die Übertragung von Arbeiten an Private, die nur
einen Teil der Dienststelle sowie einen unbedeutenden Teil der in der Dienststelle
anfallenden Arbeiten beträfen, habe nicht das Eingreifen der Mitbestimmung nach
§ 81 Abs. 1 HPVG zur Folge. Bei den Tatbeständen des § 81 Abs. 1 und 2 HPVG
handele es sich um grundlegende und umfangreiche Veränderungen bezüglich der
Organisation der Dienststelle, wodurch gleichzeitig die Arbeitsplätze vieler
Beschäftigter berührt würden. Daraus ergebe sich, daß ein Mitbestimmungsrecht
bei der Vergabe von Arbeiten an Private erst dann bestehe, wenn artverwandte
Arbeiten oder Aufgaben vollständig vergeben oder privatisiert werden sollten. Die
im zu erledigenden Reinigungsarbeiten stellten jedoch nur einen unbedeutenden
Teil der im amt als Dienststelle anfallenden Reinigungsarbeiten dar.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag mit Beschluß vom 3. Dezember 1992
stattgegeben und festgestellt, daß der Antragsteller bei der Fremdvergabe der
Reinigung des ein Mitbestimmungsrecht aus § 81 Abs. 1 HPVG habe.
Gegen den am 29. Dezember 1992 zugestellten Beschluß hat der Beteiligte am
27. Januar 1993 Beschwerde eingelegt, die er nach Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist bis zum 26. April 1993 am 7. April 1993 begründet
hat.
Er trägt ergänzend vor, nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 1 HPVG setze das
Mitbestimmungsrecht des Personalrats voraus, daß Arbeiten oder Aufgaben
vergeben oder privatisiert würden, die bisher durch die Beschäftigten der
Dienststelle wahrgenommen worden seien. Nicht ausreichend sei es danach, daß
einzelne Beschäftigte betroffen seien. Vielmehr sei erforderlich, daß jedenfalls ein
größerer organisatorisch oder nach dem Aufgabeninhalt abgrenzbarer Kreis von
der Maßnahme berührt sei. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main habe
entschieden, daß Hilfstätigkeiten von gänzlich untergeordneter Bedeutung dem §
66 Abs. 1 HPVG Fassung 1984 nicht unterlegen hätten. Dabei habe das
Verwaltungsgericht zutreffend auf Sinn und Zweck der Vorschrift abgestellt,
nämlich auf das Anliegen, Gefahren des Arbeitsplatzverlustes durch technische
Rationalisierungsmaßnahmen oder sonstige Maßnahmen zu begegnen. Auch
deshalb lägen hier die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 HPVG nicht vor. Die
angegriffene Maßnahme habe keine auch nur annähernd relevante Veränderung
der Dienststelle zur Folge. Es handele sich nur um einen unbedeutenden Teil der
im Bereich des anfallenden Reinigungsarbeiten. Auch gehe durch die Vergabe der
Reinigungsarbeiten ein Arbeitsplatz nicht verloren, denn es habe für die Reinigung
kein Personal gefunden werden können.
Der Beteiligte beantragt,
den Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main
- Fachkammer für Personalvertretungssachen (Land) - vom
3. Dezember 1992 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde des Beteiligten zurückzuweisen.
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Er trägt vor, entscheidend sei, daß ein Teil der bisherigen Aufgaben, die von
Mitgliedern der Dienststelle wahrgenommen worden seien, privatisiert worden
seien. Es handele sich dabei um einen klar und leicht abgrenzbaren Teil der
Reinigungsarbeiten. Die Gesetzesformulierung "die Beschäftigten der Dienststelle"
bedeute nicht, daß das Mitbestimmungsrecht entfalle, wenn die
Reinigungsaufgaben nur von einer Person erfüllt würden. Der kollektive Bezug sei
gegeben, weil in der Vergangenheit mehrere Arbeitnehmer tätig gewesen seien
und weil sich die Tätigkeit auch auf die Arbeitsverhältnisse der anderen Mitarbeiter
auswirke. Im übrigen liege es nach der gesetzlichen Logik und auch
grammatikalisch nahe, daß gesetzessprachlich der Plural auch den Singular
umfasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und den übrigen Inhalt der Gerichtsakten Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben und
begründet worden.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Antrag ist zulässig. Das Feststellungsinteresse ist nach wie vor gegeben, denn
die Vergabeentscheidung ist nicht irreversibel und kann spätestens nach Ablauf
des bis zum 31. August 1994 befristeten Vertrages der jetzt tätigen Firma
rückgängig gemacht werden.
Der Antrag ist auch begründet, denn die nicht nur aushilfsweise, sondern auf
Dauer angelegte Fremdvergabe von Reinigungsarbeiten fällt jedenfalls dann unter
den Mitbestimmungstatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 1 HPVG, wenn - wie hier -
wegen der Privatisierungsentscheidung Stellen im Umfang von 48 Wochenstunden
im Stellenplan der Dienststelle entfallen sind. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 HPVG hat
der Personalrat unter anderem mitzubestimmen bei der Vergabe oder
Privatisierung von Arbeiten oder Aufgaben, die bisher durch die Beschäftigten der
Dienststelle wahrgenommen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach
dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob es sich bei auf Private
übertragenen Aufgaben um alle Aufgaben eines bestimmten Aufgabenbereichs
oder nur um einen Teil davon handelt, denn das Gesetz stellt auf Arbeiten oder
Aufgaben ab, ohne eine bestimmte Größenordnung vorauszusetzen. Es kann auch
dahinstehen, ob die lediglich zur Überbrückung von Engpässen vorgenommene
vorübergehende Vergabe an Private unter den Mitbestimmungstatbestand des §
81 Abs. 1 Satz 1 HPVG fällt. Jedenfalls eine auf Dauer angelegte Fremdvergabe,
wie sie hier vorgenommen wurde, ist nach der eindeutigen Regelung des § 81 Abs.
1 Satz 1 HPVG mitbestimmungspflichtig. Es ist auch unerheblich, daß im
konkreten Fall des niemand gefunden werden konnte, der als Bediensteter der
Stadt die Reinigungsarbeiten übernommen hätte. Davon hängt das
Mitbestimmungsrecht nicht ab. Beachtlich ist, daß 48 Wochenstunden und damit
sogar mehr als eine ganze Stelle aus dem Stellenplan gestrichen wurden
zugunsten eines Auftrags an eine Privatfirma. Allerdings mag unter den
gegebenen Umständen kein beachtlicher Grund für den Personalrat vorliegen, der
Maßnahme nicht zuzustimmen.
Dem Mitbestimmungsrecht steht nicht entgegen, daß bereits zur Zeit der
endgültigen Privatisierungsentscheidung (vgl. das an das amt gerichtete
Schreiben des Personal- und Organisationsamts vom 6. April 1992) keine
städtischen Bediensteten mehr mit der Reinigung des betraut waren, sondern ab
Ende Februar 1992 verschiedene Privatfirmen in Folge die Reinigung vollständig
übernommen hatten, nachdem vorher die Reinigung bereits teilweise an
Privatfirmen vergeben gewesen war. Verneinte man in einem derartigen Fall der
nach und nach durchgeführten Privatisierung das Mitbestimmungsrecht aus § 81
Abs. 1 Satz 1 HPVG, so könnte dieses generell im Wege der "schleichenden
Privatisierung" umgangen werden. Daß eine derartige Gesetzesauslegung nicht
von Sinn und Zweck der Vorschrift gedeckt ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Aus § 81 Abs. 1 Satz 1 HPVG folgt nicht, daß die Privatisierung nur derjenigen
Aufgaben mitbestimmungspflichtig ist, die bisher durch die Gesamtheit der
Beschäftigten der Dienststelle wahrgenommen wurden. Dies kann schon deshalb
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Beschäftigten der Dienststelle wahrgenommen wurden. Dies kann schon deshalb
nicht gemeint sein, weil in der Regel Aufgaben einer Dienststelle nicht von allen
Beschäftigten der Dienststelle wahrgenommen werden. Die auch in der
öffentlichen Verwaltung übliche Arbeitsteilung hat zur Folge, daß bestimmte
Aufgaben nur bestimmten Gruppen von Bediensteten übertragen sind. Es kann
auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Mitbestimmungspflicht nur bei der
vollständigen Privatisierung einer bestimmten Art von Aufgaben gegeben sein soll.
Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des § 81 Abs. 1 Satz 1 HPVG deuten
auf eine derart eingeschränkte Bedeutung der Vorschrift hin. Vielmehr genügt es,
wenn Teile eines Aufgabenbereichs privatisiert werden.
Offenbleiben kann ferner, ob die von dem Beteiligten unter Hinweis auf eine
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vertretene Auffassung
zutrifft, die Mitbestimmungspflicht solle nur dann bestehen, wenn keine
Hilfstätigkeiten von gänzlich untergeordneter Bedeutung betroffen seien, was auf
dem Anliegen des Gesetzgebers beruhen soll, Gefahren des Arbeitsplatzverlustes
durch technische Rationalisierungsmaßnahmen oder sonstige Maßnahmen zu
begegnen. Es steht im Fall des außer Frage, wie oben bereits ausgeführt wurde,
daß bei dem Verlust von 48 Wochenstunden mehr als eine ursprünglich im
Stellenplan der Stadt verankerte Stelle in Fortfall gekommen ist. Dies stellt den
Verlust mindestens eines Arbeitsplatzes dar und betrifft damit keine Hilfstätigkeit
von gänzlich untergeordneter Bedeutung. Im übrigen kann die Mitbestimmung bei
einer Privatisierung nicht davon abhängen, ob die in Rede stehende Tätigkeit als
höher- oder geringerwertig anzusehen ist. Für eine derartige Unterscheidung
bietet das Hessische Personalvertretungsgesetz keine Anhaltspunkte.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht
vorliegen (§§ 111 Abs. 3 HPVG, 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.