Urteil des HessVGH vom 09.05.2005

VGH Kassel: stadt, inhaber, bindungswille, pflege, kostenvoranschlag, verantwortlichkeit, vorrang, quelle, dokumentation, versuch

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 UZ 2182/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 1 BSHG, § 12 Abs
1 BSHG, § 4 Abs 1 S 2
BSHG
(Sozialhilfeträger; zur eigenständigen
Zahlungsverpflichtung; Bindungswille)
Leitsatz
1. Die Frage, ob eine Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers ausnahmsweise
eine eigenständige Selbstverpflichtung mit Bindungswillen gegenüber einem Dritten
begründen kann, ist stets mit Blick auf den Vorrang des Verhältnisses zwischen
Sozialhilfeträger und Hilfeempfänger zu beantworten.
2. "Besondere Umstände" im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 96, 71), die ausnahmsweise die Annahme
rechtfertigen können, ein Sozialhilfeträger wolle außerhalb des Sozialhilfeanspruchs
eine eigenständige materiell-rechtliche Zahlungsverpflichtung eingehen, können nicht
schon in der Einholung eines Kostenvoranschlags gesehen werden, auf dessen
Grundlage dann geleistet wird.
3. Die Einholung eines Kostenvoranschlags oder weiterer Informationen bei einer
Einrichtung oder einem Dienst dienen regelmäßig nur dazu, dem Sozialhilfeträger einen
Überblick über den Umfang seiner Leistungsgewährungspflicht gegenüber dem
Hilfeempfänger zu vermitteln.
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2004 - 3 E 3199/02 (1) - wird
abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das eingangs genannte
Urteil hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten
Berufungszulassungsgründe durchgreift.
Der Senat teilt zunächst nicht die vorgetragenen ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat es
vielmehr zu Recht abgelehnt, der Klägerin Ansprüche gegenüber der Beklagten
aus einer Abtretungsvereinbarung mit dem Pflegedienst "C." vom 01.10.1998
betreffend etwaige Forderungen, die der Inhaber des Pflegedienstes gegen
gesetzliche Kostenträger für erbrachte Pflegeleistungen hat, zuzuerkennen.
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht dabei davon ausgegangen, dass eine
Zahlung auf Grund der Abtretung bereits daran scheitert, dass dem Pflegedienst
selbst kein Anspruch gegen die Beklagte zusteht, so dass es bereits an einem
abtretbaren Zahlungsanspruch mangelt.
Die gegen diese rechtliche Bewertung vorgebrachten Einwände in der
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Die gegen diese rechtliche Bewertung vorgebrachten Einwände in der
Berufungszulassungsschrift können kein anderes Ergebnis rechtfertigen.
Zwar ist der Klägerin dahingehend zuzustimmen, dass die Abtretung etwaiger dem
Pflegedienst zustehender Forderungen nicht bereits an § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG
scheitert, denn das Abtretungsverbot in der genannten Vorschrift betrifft
ausschließlich den persönlichen Leistungsanspruch des Hilfeempfängers selbst,
während sonstige Zahlungsansprüche grundsätzlich - wie auch andere Ansprüche
des öffentlichen Rechts - abtretbar sind (vgl. BGH, ZIP 1995, 1698 bzw. DB 1995,
2211).
Im vorliegenden Falle kann aber schon nicht davon ausgegangen werden, dass die
Beklagte mit der zunächst telefonischen (04.01.1999) und sodann schriftlichen
Erklärung vom 05.01.1999 eine eigenständige Selbstverpflichtung mit
Bindungswillen gegenüber dem Pflegedienst "C." abgeben wollte. Entgegen der
Ansicht der Klägerin hat das Verwaltungsgericht bei der rechtlichen Würdigung
nicht die für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Kriterien
verkannt. Vielmehr sind die von der Rechtsprechung, insbesondere des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 71, 181 <187>; 96, 71 <75>), aber
auch von anderen Oberverwaltungsgerichten (vgl. z.B. OVG Frankfurt/Oder, Urteil
vom 27.01.2000 in FEVS 51, 555 ff. und OVG Münster, Urteil vom 17.10.2000 in
FEVS 52, 303 ff.) entwickelten Grundsätze zur Auslegung von
Kostenübernahmeerklärungen eines Sozialhilfeträgers zutreffend auf den
vorliegenden Sachverhalt angewandt worden.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass sich im hiesigen Fall die äußeren Umstände
etwas anders darstellten als in den Fällen, in denen es um sogenannte
Mietübernahmeerklärungen ging, so reicht dies aber dennoch nicht aus, um im
Wege der Auslegung einen Rechtsbindungswillen der beklagten Stadt Frankfurt
gegenüber dem Pflegedienst zu ermitteln.
Soweit der Unterschied darin bestehen soll, dass die beklagte Stadt sich von sich
aus an den Pflegedienst gewandt habe, um einen Kostenvoranschlag erstellen zu
lassen, so ist dies in dieser Form nicht zutreffend. Aus den Behördenakten ergibt
sich vielmehr, dass die Beklagte keineswegs von sich aus Kontakt mit dem
Pflegedienst "C." aufgenommen hatte, sondern dieser Pflegedienst von der
Betreuerin des Hilfeempfängers, Frau D., eingeschaltet worden war. Diese hatte
selbst bereits mit dem Inhaber des Pflegedienstes, Herrn E., Kontakt
aufgenommen, um zu klären, ob die Pflege des Hilfeempfängers von diesem
Dienst übernommen werden könnte. Nachdem insoweit die Gespräche positiv
verlaufen waren, wandte sich Frau D. an die Beklagte, die ausweislich
handschriftlicher Aktenvermerke unter Zurückstellung von Bedenken entschied, im
hiesigen Einzelfall auf einen ihr bisher nicht bekannten Pflegedienst
zurückzugreifen. Um zu klären, ob die Bedingungen akzeptabel sein würden, ist
sodann der Kostenvoranschlag angefordert worden. Selbst wenn dann die
telefonische Erklärung lautete, das Angebot vom 22.12.1998 werde akzeptiert, so
konnte der Betreiber des Pflegedienstes angesichts der ihm bekannten Abfolge
der Anbahnung der Geschäftsbeziehungen nicht davon ausgehen, die Stadt
Frankfurt wolle ihm gegenüber eine eigenständige Verpflichtung eingehen.
Ersichtlich wollte sich die Beklagte anhand des Kostenvoranschlags nur darüber
klar werden, in welcher Größenordnung eine Leistungsgewährungspflicht
gegenüber dem Hilfeempfänger entstehen würde. Gerade als Inhaber eines
Pflegedienstes, der offenbar auch häufig mit gesetzlichen Kostenträgern zu tun
hat, musste es Herrn E. klar sein, dass grundsätzlich immer das Verhältnis des
Sozialhilfeträgers gegenüber dem Hilfeempfänger im Vordergrund steht. Die bloße
Bezugnahme auf sein Angebot lässt keine darüber hinausgehenden Schlüsse auf
einen selbständigen Rechtsbindungswillen zu.
Dies gilt auch für das nachfolgende Schreiben vom 05.01.1999, in dem lediglich
die Kostenübernahme für die Pflege des Hilfeempfängers erklärt wurde und im
Übrigen weitere Bedingungen genannt wurden, die noch zu erfüllen bzw.
Anforderungen, die nachzuweisen waren. Dass die Beklagte um die Übersendung
differenzierter Rechnungen bat, spricht zunächst nur für das Anliegen, die
verwaltungstechnische Abwicklung des Zahlungsverkehrs möglichst reibungslos zu
gestalten. Nur im Rahmen dieser verwaltungstechnischen Abwicklung des
Zahlungsverkehrs ist auch die an die beklagte Stadt gerichtete Mitteilung zu
sehen, sie möge die in Rechnung gestellten Beträge nicht an den Pflegedienst,
sondern an die Klägerin überweisen. Für eine solche Sichtweise spricht auch die
Betrachtung der Erklärung vor dem Hintergrund der Anforderungen in § 71 Abs. 2
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Betrachtung der Erklärung vor dem Hintergrund der Anforderungen in § 71 Abs. 2
HGO. Es ist nicht erkennbar, ob das Schreiben mit der Unterschrift eines nicht
näher ausgewiesenen Mitarbeiters des Sozialamtes ausgereicht hätte, um
bindende Erklärungen von erheblicher finanzieller Tragweite abzugeben.
Wenn sodann im Rahmen der von der Klägerin bzw. dem Pflegedienst
gewünschten Abwicklung insofern ein Irrtum unterlaufen ist, als die Beklagte das
Geld auf das "falsche" Konto, nämlich das des Pflegedienstes überwiesen hat, so
kann daraus nichts zu Gunsten der Klägerin hergeleitet werden, denn die Beklagte
hätte sich auf den Wunsch der Beteiligten hinsichtlich der Abwicklung überhaupt
nicht einzulassen brauchen, da sie grundsätzlich nur dem Hilfeempfänger
verpflichtet ist. Auch die Hilfe und Unterstützung, die die Mitarbeiter der Beklagten
der Klägerin bei dem Versuch geleistet haben, das Geld von dem Inhaber des
Pflegedienstes im Rahmen der zwischen diesem und der Klägerin getroffenen
Vereinbarung ausgezahlt zu bekommen, ist nicht als Eingeständnis für eine
eigene, direkte Verantwortlichkeit zu werten. Die Erklärung, man habe
"versehentlich" das Geld direkt an den Pflegedienst gezahlt, betraf ersichtlich nur
die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, wie sie von den Beteiligten gewünscht
wurde und wie sie die Beklagte entgegenkommender Weise akzeptiert hat. Aus
diesem Entgegenkommen kann aber nicht abgeleitet werden, die Beklagte habe
sich ursprünglich gegenüber dem Pflegedienst binden wollen.
Eine Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht
verlangten "besonderen Umstände" (vgl. BVerwGE 96, 71 [77]), die
ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen können, ein Sozialhilfeträger wolle
außerhalb des Sozialhilfeanspruchs eine eigenständige materiell-rechtliche
Zahlungsverpflichtung eingehen, nicht vorliegen.
Auch der Berufungszulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder
rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
Schwierigkeiten im Sinne der genannten Vorschrift sind weder ersichtlich, noch von
der Klägerin ausreichend dargelegt. Die Bezugnahme auf Seite 8 des Urteils des
Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Ausführungen zu § 4 Abs. 1 Satz 2 BSHG geht
insofern fehl, als das Verwaltungsgericht hierzu lediglich bemerkt, auf die hiermit
verbundenen Fragestellungen komme es für den vorliegenden Fall nicht mehr an,
was angesichts der übrigen Ausführungen im Urteil folgerichtig ist. Eine
Rechtsfrage, auf die es für die Entscheidungsfindung aber gar nicht ankommt,
kann nicht eine besondere rechtliche Schwierigkeit begründen. Auch die Tatsache,
dass auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden wurde (nachdem die Klägerin
einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausdrücklich widersprochen hatte!),
lässt keine Schlüsse auf besondere Schwierigkeiten in rechtlicher oder
tatsächlicher Hinsicht zu.
Der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) liegt schon deshalb nicht vor, weil es bei der Auslegung der Erklärungen der
Beklagten ausschließlich um die Bewertung von Umständen des Einzelfalls geht,
die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind.
Schließlich ist auch nicht in der erforderlichen Weise unter Benennung eines
konkreten Rechtssatzes dargetan, inwieweit das Urteil des Verwaltungsgerichts
von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichen soll, erst recht
ist nicht vorgetragen, dass es auf dieser behaupteten Abweichung beruht (§ 124
Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
Da die Klägerin somit unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten
des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen, wobei Gerichtskosten gemäß § 188
Satz 2 VwGO a.F. i.V.m. § 206 Abs. 1 SGG hier nicht anfallen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.