Urteil des HessVGH vom 15.08.1986

VGH Kassel: aufenthaltserlaubnis, abschiebung, rechtsschutz, besitz, asylbewerber, hessen, duldung, bankrecht, prüfungspflicht, baurecht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 1155/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 2 AsylVfG, § 10
Abs 3 AsylVfG, § 11 Abs 1
Halbs 3 AsylVfG, § 11 Abs 2
AsylVfG, § 28 Abs 1 AsylVfG
(Berücksichtigung von Humanitätsgründen bei Erlaß einer
Abschiebungsandrohung gegenüber einem abgelehnten
Asylbewerber)
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage ist unbegründet.
Soweit der Antragsteller sich im Rahmen des vorliegenden einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens gegen die Ablehnung seines Folgeantrags durch das
Bundesamt als offensichtlich unbegründet wendet, hat das Verwaltungsgericht
dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht nicht zum Erfolg verholfen. Die
Vorinstanz stellt zwar in diesem Zusammenhang zunächst auf eine "summarische
gerichtliche Überprüfung" ab, obwohl bei der gerichtlichen Überprüfung des
Sofortvollzugs einer Abschiebungsandrohung nach Ablehnung eines Asylantrags
als offensichtlich unbegründet erschöpfend untersucht werden muß, ob das
Asylgesuch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, B. v. 2. Mai 1984 - 2 BvR
1413/83 - BVerfGE 67, 43 ff.; B. d. erk. Senats v. 28. August 1985 - 10 TH 1561/85
-). Der Sache nach hat jedoch das Verwaltungsgericht die Frage der
offensichtlichen Unbegründetheit in diesem Sinne erschöpfend geprüft und
zutreffend beantwortet, wie sich aus S. 6 ff. des angefochtenen Beschlusses
ergibt. Auf diesen Teil der Begründung wird Bezug genommen.
Der vom Antragsteller mit der Klage angefochtenen Abschiebungsandrohung
stehen auch insofern keine rechtlichen Bedenken entgegen, als der Antragsteller
sich ihr gegenüber auf seine familiäre Situation, insbesondere darauf beruft, daß
gegen seine Ehefrau und seine Kinder noch keine aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen ergriffen worden sind und für eines seiner Kinder bei einer
Abschiebung nach Pakistan wegen der dort unzureichenden ärztlichen Versorgung
aufgrund eines schweren Herzfehlers Lebensgefahr drohen soll. Dieser
Sachverhalt ist dann, wenn eine Ausreisepflicht nach dem Asylverfahrensgesetz
besteht und dementsprechend eine Abschiebungsandrohung zu ergehen hat - hier
nach § 11 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 AsylVfG (Entsprechendes gilt für die
Ausreisepflicht nach § 10 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 AsylVfG) -, für die Feststellung der
Ausreiseverpflichtung nach dem Asylverfahrensgesetz unerheblich. Danach ist bei
der Feststellung der Ausreisepflicht nur zu berücksichtigen, ob der Ausländer im
Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist oder ob ihm
nicht ungeachtet der Entscheidung über seinen Asylantrag der Aufenthalt im
Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht wird. Der Antragsteller ist weder im
Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung.
Ihm wird auch nicht ungeachtet der Entscheidung über seinen Asylantrag der
Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglicht. Denn es ist nicht Sinn
und Zweck der zuletzt genannten Bestimmung, der Ausländerbehörde im Rahmen
der Entscheidung nach §§ 10 Abs. 2 und 11 Abs. 2 AsylVfG eine umfassende
Prüfungspflicht hinsichtlich aller einer Abschiebung möglicherweise
entgegenstehender - auch humanitärer - Gründe aufzuerlegen. Hätte der
Gesetzgeber die Ausländerbehörde zur Berücksichtigung von allgemeinen
humanitären Gründen zwingen wollen, so hätte er dies durch den Hinweis auf eine
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humanitären Gründen zwingen wollen, so hätte er dies durch den Hinweis auf eine
dem Ausländer zuzusprechende Duldung oder durch die Worte "wenn ihm nicht
ungeachtet der Entscheidung über seinen Asylantrag der Aufenthalt im
Geltungsbereich dieses Gesetzes zu ermöglichen ist" zum Ausdruck bringen
können. Statt dessen hat der Gesetzgeber durch die Formulierung "ermöglicht
wird" auf eine ähnlich gefestigte, der Ausreisepflicht entgegenstehende Position
des Asylbewerbers abgestellt, wie sie in den vorhergehenden Bestimmungen
dadurch angesprochen worden ist, daß dort nicht nur auf einen Anspruch auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung, sondern
auf den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung
abgehoben worden ist. Nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung (vgl.
dazu VGH Baden-Württemberg, B. v. 7. November 1985 - A 12 S 627/85 -) war
hierbei offenbar an den Schutz vor Abschiebung gedacht, wie er
Ostblockangehörigen, christlichen Türken und Libanesen sowie Afghanen seinerzeit
aufgrund des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder
vom 26. August 1966 (jetzt: vom 26. April 1985) sowie aufgrund von Erlassen der
Innenminister der Länder (für Hessen: Erlaß des Hess. Ministers des Innern vom
24. Mai 1985 - StAnz. S. 1134) ohne Rücksicht auf die Ablehnung ihres
Asylantrages eingeräumt wird. Nur bei dieser Auslegung der Ausreisepflicht nach
dem Asylverfahrensgesetz ist es auch gerechtfertigt, daß die Ausländerbehörde
den Ausländer nicht vorher anzuhören hat (§ 28 Abs. 3, § 10 Abs. 2 Satz 2, § 11
Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) wie auch umgekehrt der Ausländer im
Rahmen seines Asylverfahrens keine Veranlassung hat, auf die einer Abschiebung
entgegenstehenden asylrechtlich unabhängigen humanitären Gründe hinzuweisen.
Der Ausländer kann und muß dann solche Gründe noch nach Ergehen der
Abschiebungsandrohung bei der Ausländerbehörde geltend machen und diese ist
gehalten, die vorgebrachten Gründe im Rahmen des allgemeinen Ausländerrechts
- also außerhalb des Asylverfahrens - vor Ergreifen von weiteren
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu prüfen. Dem Ausländer steht in diesem
Zusammenhang der volle Rechtsschutz und nicht nur der nach dem
Asylverfahrensgesetz verkürzte Rechtsschutz zur Verfügung (wie hier: OVG
Rheinland-Pfalz, B. v. 22. November 1982 - 11 B 183/82 -; VGH Baden-
Württemberg, B. v. 29. November 1983 - A 12 S 1007/83 -; anders B. v. 29. Juni
1984 - A 13 S 269/84 -; wie hier wohl auch OVG Hamburg, B. v. 5. Mai 1986 - OVG
Bs IV 264/86 -). Die Gegenmeinung (Gemeinschaftskommentar-AsylVfG 1986, §
28 Rz 92 f.) kann sich zwar dem Wortlaut nach auf Ausführungen in der
angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 1984 - 2
BvR 1413/83 - berufen, wonach die Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 AsylVfG
einem Asylbewerber, der weder Aufenthaltserlaubnis noch
Aufenthaltsberechtigung besitzt, weiterhin den Aufenthalt ermöglichen und
hierdurch vermeiden kann, daß sie sehenden Auges eine aufenthaltsbeendende
Entscheidung treffen muß, die etwa humanitären oder anderen beachtlichen
Gründen zuwiderliefe. Diese Entscheidung ist jedoch zu einem anderen
Rechtsproblem, nämlich dem des bereits angesprochenen Umfangs einer
gerichtlichen Überprüfung des Sofortvollzugs einer Abschiebungsandrohung
ergangen, wobei es dem Bundesverfassungsgericht darauf ankam, auf einen
überhaupt für nötig gehaltenen Rechtsschutz bei asylrechtsunabhängigen, einer
Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründen hinzuweisen; dem
Bundesverfassungsgericht dürfte es mit anderen Worten nicht darauf
angekommen sein, festzulegen, in welcher Verfahrensart - der nach dem
Asylverfahrensgesetz oder der nach dem allgemeinen Ausländerrecht dem
Asylbewerber - wegen asylrechtsunabhängiger humanitärer Gründe Rechtsschutz
gewährt wird.
Darüber hinaus ist zwar zu beachten, daß § 28 Abs. 7 AsylVfG dem Ausländer, der
nach dem Asylverfahrensgesetz zur Ausreise verpflichtet ist, die Berufung auf § 21
Abs. 3 Satz 1 AuslG abschneidet. Er ist dadurch aber nicht gehindert, wegen nach
Ergehen der asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung geltend
gemachter humanitärer Gründe einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, so daß
der hier vertretenen Auffassung auch nicht mangelnde Effektivität des
Rechtsschutzes entgegengehalten werden kann.
Mit der hier vertretenen Meinung setzt sich der Senat auch nicht mit der von ihm
im Beschluß vom 21. Mai 1986 - 10 TH 892/86 - zum Ausdruck gebrachten
Auffassung in Widerspruch. Dieser Beschluß ist zur Frage der Statthaftigkeit einer
einstweiligen Anordnung nach verspätetem Antrag gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3
AsylVfG ergangen und stellt allein darauf ab, ob der nicht erlaubte oder
genehmigte Aufenthalt durch Erteilung einer Duldung nach § 17 AuslG ermöglicht
werden kann.
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Nach alledem kann sich der Antragsteller im vorliegenden Verfahren gegenüber
dem seine Ausreisepflicht feststellenden und seine Abschiebung androhenden
Bescheid der Antragsgegnerin nicht auf die von ihm geltend gemachte familiäre
Situation berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts der Beschwerde beruht auf den §§ 20 Abs.
3, 13 Abs. 1 GKG.
Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.