Urteil des HessVGH vom 26.04.1994

VGH Kassel: besondere härte, schutz der familie, lebensgemeinschaft, aufenthaltserlaubnis, abschiebung, wiedereinreise, ehepartner, ausländerrecht, vorspiegelung, wohnung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 TH 2676/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 19 Abs 1 Nr 2 AuslG 1990
(Eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten nach
mindestens dreijähriger rechtmäßiger Dauer der Ehe im
Bundesgebiet - besondere Härte iSd AuslG 1990 § 19 Abs 1
Nr 2)
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Das
Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem von der Antragstellerin nach
Versagung der von ihr beantragten Aufenthaltsgenehmigung und Androhung der
Abschiebung durch Bescheid des Landrats des Landkreises vom 26. Mai 1993
gestellten Eilantrag zu entsprechen, der nach Ergehen des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums vom 17. September 1993
nunmehr auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der bei dem
Verwaltungsgericht am 25. Oktober 1993 erhobenen Klage gerichtet ist.
Soweit die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung ihres
Antrages auf Verlängerung der bis zum 21. März 1993 erteilten
Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist ihr Rechtsschutzantrag ungeachtet der am 5.
Oktober 1993 erfolgten Abschiebung nach Polen weiterhin zulässig. Im Falle einer
stattgebenden Entscheidung über den Aussetzungsantrag der Antragstellerin
hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltsgenehmigung könnte der
Antragsgegner nämlich gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO dazu verpflichtet werden,
die erfolgte Vollziehung des ausländerbehördlichen Bescheides vom 26. Mai 1993
rückgängig zu machen und der Antragstellerin die Wiedereinreise in das
Bundesgebiet zu ermöglichen. Insoweit ist deshalb ein fortbestehendes
Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin anzuerkennen, das Eilverfahren vom
Ausland aus weiterzuführen.
Der - insoweit - zulässige Antrag ist aber unbegründet, denn die - durch das
Regierungspräsidium bestätigte - Entscheidung der Ausländerbehörde, der
Antragstellerin die am 21. März 1993 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis nicht zu
verlängern, stellt sich bereits nach überschlägiger Prüfung im Eilverfahren als
offensichtlich rechtmäßig dar. Das private Interesse der Antragstellerin, wieder in
die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich hier bis zum Abschluß des
Hauptsacheverfahrens aufhalten zu können, hat deshalb hinter dem vorrangigen
öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Vollzugsfolgen zurückzutreten.
Zunächst kann die Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nicht mehr zu dem
bisherigen Aufenthaltszweck, nämlich zur Fortführung der ehelichen
Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann, verlangen. Eine
Verlängerung der dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen erteilten
Aufenthaltserlaubnis ist gemäß § 23 Abs. 2 Satz 2 AuslG nur möglich, solange die
familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht.
Die Antragstellerin lebt aber weder derzeit mit ihrem Ehemann zusammen, noch
steht zu erwarten, daß die Lebensgemeinschaft mit diesem nach Wiedereinreise
der Antragstellerin ins Bundesgebiet alsbald wiederhergestellt werden würde. Zwar
hat die Antragstellerin im Verlaufe des vorliegenden Beschwerdeverfahrens
vorgetragen, sie sei mit ihrem Ehemann übereingekommen, die Ehe wieder
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vorgetragen, sie sei mit ihrem Ehemann übereingekommen, die Ehe wieder
fortzusetzen. Sie hat es indessen - auch nach Aufforderung durch den
Berichterstatter des Senats - nicht vermocht, diese Behauptung, etwa durch
Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung des Ehemannes über seine Bereitschaft
zur Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft, glaubhaft zu machen.
Die von der Antragstellerin beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
kommt weiterhin auch nicht nach § 23 Abs. 3 i. V. m. § 19 Abs. 1 AuslG in
Betracht, denn der Antragstellerin ist entgegen ihrer Auffassung durch die Ehe mit
einem deutschen Staatsangehörigen und durch ihren bisherigen Aufenthalt im
Bundesgebiet ein vom bisherigen Aufenthaltszweck unabhängiges
Aufenthaltsrecht nicht erwachsen.
Zugunsten der Antragstellerin kann hierbei, wie schon in den angefochtenen
Bescheiden und in der Vorentscheidung des Verwaltungsgerichts zutreffend
festgestellt worden ist, nur die Regelung in § 19 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in Betracht
kommen, wonach die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung
einer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestehenden
ehelichen Lebensgemeinschaft dann als eigenständiges Aufenthaltsrecht
verlängert wird, wenn es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist,
dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Dagegen vermag die
Regelung in § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, die das Entstehen eines von keinen weiteren
Voraussetzungen abhängigen eigenständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten
von einer Mindestbestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft von vier Jahren
vorsieht, keine Anwendung zu finden. Die von der Antragstellerin am 11.
Dezember 1989 aufgenommene eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem
deutschen Ehemann ist nämlich spätestens mit dem Auszug der Antragstellerin
aus der gemeinsamen Wohnung im Januar 1993 beendet worden. Die
Lebensgemeinschaft hat deshalb im Höchstfall wenig mehr als drei Jahre im
Bundesgebiet bestanden.
Eine den Aufenthalt der Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland
erfordernde besondere Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist auch unter
Berücksichtigung ihres ergänzenden Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht zu
erkennen. Eine solche Härtelage kann grundsätzlich nur dann anerkannt werden,
wenn der Ehegatte durch die Ausreisepflicht ungleich härter getroffen würde als
andere Ausländer in vergleichbarer Situation (vgl. Kanein/Renner, Ausländerrecht,
6. Aufl., Rdnr. 6 zu § 19 AuslG; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juli 1992, Rdnr.
6 zu § 19 AuslG; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S.
140). Mit solch ungewöhnlich schwerwiegenden Nachteilen ist die Rückkehr der
Antragstellerin in ihr Heimatland aber ersichtlich nicht verbunden.
Eine besondere Härte kann zunächst nicht daraus hergeleitet werden, daß die
Antragstellerin wegen ihrer Ehe ihre bis dahin bestehende wirtschaftliche Existenz
in Polen aufgegeben hatte und nunmehr gezwungen ist, sich dort unter
möglicherweise wesentlich ungünstigeren Bedingungen eine neue
Lebensgrundlage zu schaffen. Insoweit handelt es sich nicht um besondere, nur
aus den Verhältnissen des vorliegenden Einzelfalles erklärbare Schwierigkeiten,
sondern im Gegenteil um Erschwernisse, denen, wenn auch möglicherweise in
unterschiedlichem Ausmaß, letztlich jeder Ausländer ausgesetzt ist, der sich nach
Scheitern seiner Ehe in Deutschland wieder in seinem Heimatland zurechtfinden
muß. Die Bewältigung solch typischer Integrationsprobleme wird einem Ausländer,
dessen eheliche Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen oder einem hier
aufenthaltsberechtigten Ausländer noch nicht vier Jahre rechtmäßig im
Bundesgebiet bestanden hat, ohne weiteres zugemutet.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin weiterhin geltend, sie sei - ohne sich ihrer
Rechtlosigkeit in den ersten Jahren des Aufenthalts in Deutschland bewußt zu sein
- nur auf Veranlassung ihres Ehemannes ins Bundesgebiet eingereist und sei von
diesem nach Scheitern der Ehe unter Ausnutzung ihrer ungesicherten rechtlichen
Lage und unter Vorspiegelung der Absicht, die Ehe mit ihr fortsetzen zu wollen, so
weit unter Druck gesetzt worden, daß sie sogar eine gegen ihren Ehemann
erstattete Strafanzeige wegen Tätlichkeiten zurückgezogen habe. Diese
Umstände vermögen, selbst wenn sich die Antragstellerin während ihrer Ehe
tatsächlich in einer schwierigen und bedrückenden Lage befunden haben sollte,
allein ihren weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu
rechtfertigen. Es entspricht der von dem Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 19
AuslG verfolgten Zielsetzung, Ausländerinnen und Ausländer, die im Vertrauen auf
den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in. Deutschland eingereist sind
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den Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft in. Deutschland eingereist sind
und bereits mehrere Jahre rechtmäßig mit ihrem Ehepartner im Bundesgebiet
zusammengelebt haben, vor den mit der Rückkehr ins Heimatland verbundenen
(besonderen) Nachteilen zu bewahren (z. B. den Abbruch der stattgefundenen
Integration in Deutschland oder etwa Diskriminierungen im Heimatland wegen der
Ehescheidung). Eine besondere Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann
von daher nur mit aktuell bestehenden oder nach Rückkehr in das Heimatland zu
erwartenden Schwierigkeiten begründet werden, die gerade durch die Trennung
von dem Ehepartner bedingt sind. In der Vergangenheit liegende Umstände,
insbesondere auch Vorgänge, die zu der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft
geführt haben, sind dagegen für die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den
Herkunftsstaat ohne Bedeutung, es sei denn, es ergeben sich hieraus
Folgewirkungen, die der Ausländerin oder dem Ausländer eine Rückkehr in
besonderer Weise erschweren (z. B. eine schwere seelische Erkrankung).
Derartiges ist im Falle der Antragstellerin aber nicht erkennbar.
Schließlich kann die Antragstellerin auch aus der familiären Verbundenheit mit
ihrer in der Bundesrepublik Deutschland lebenden und hier verheirateten Tochter
nichts zu ihren Gunsten herleiten. Diesem Umstand könnte im Rahmen des § 19
Abs. 1 Nr. 2 AuslG mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz
der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) nur dann Bedeutung beigemessen werden, wenn die
Antragstellerin aus besonderen Gründen auf die Hilfe und den Beistand gerade
ihrer Tochter angewiesen wäre und diese Unterstützung nur in Deutschland
geleistet werden könnte (vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluß vom 1. Oktober 1992 -
2 BvR 1365/92 -, InfAuslR 1993, 10; Beschluß des Senats vom 7. Februar 1994 - 13
TH 2734/93 -). Für eine derartige Abhängigkeit der Antragstellerin von der
familiären Lebenshilfe ihrer in Deutschland lebenden Tochter liegen indessen
keinerlei Anzeichen vor.
Daß der Antragstellerin auch aus anderen Gründen der Aufenthalt im
Bundesgebiet nicht ermöglicht werden kann, daß ihr insbesondere mangels
Vorliegen dringender humanitärer Gründe auch keine Aufenthaltsbefugnis gemäß
§ 30 Abs. 2 AuslG erteilt werden kann, hat bereits das Verwaltungsgericht in
seinem angefochtenen Beschluß mit umfassender und zutreffender Begründung
dargelegt. Der Senat kann deshalb insoweit von einer eigenen Begründung
absehen und auf die Ausführungen der Vorinstanz auf S. 8, zweiter Absatz, bis S.
10, erster Absatz, des Beschlusses vom 12. August 1993 Bezug nehmen (§ 122
Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Soweit die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz weiterhin auch gegen die im
Bescheid der Ausländerbehörde des Landkreises vom 26. Mai 1993 zugleich
enthaltene Abschiebungsandrohung begehrt, stellt sich ihr Eilantrag als unzulässig
dar. Ein rechtlich schützenswertes Interesse, gerichtlichen Rechtsschutz auch
gegen diese Verfügung in Anspruch zu nehmen, ist nach der Abschiebung der
Antragstellerin nach Polen nicht mehr anzuerkennen. Durch den Vollzug der
angedrohten Abschiebung hat sich die im Bescheid vom 26. Mai 1993 enthaltene
Abschiebungsandrohung erledigt und vermag, da auf sie im Falle einer
Wiedereinreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik nicht zurückgegriffen
werden könnte, eine fortdauernde Beschwer der Antragstellerin nicht zu
begründen (vgl. Urteil des Senats vom 17. Dezember 1993 - 13 UE 197/90 -).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.