Urteil des HessVGH vom 29.04.1994

VGH Kassel: ausgleichsabgabe, anspruch auf rechtliches gehör, auflage, anfechtungsklage, genehmigung, bedingung, anhörung, verfügung, stadt, landschaft

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 UE 188/93
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 2 Nr 4 VwVfG, § 8
Abs 9 BNatSchG, § 8a
BNatSchG, § 8b BNatSchG,
§ 6 Abs 3 NatSchG HE
(Isolierte Anfechtung einer Auflage - naturschutzrechtliche
Ausgleichsabgabe)
Tatbestand
Nach bestandskräftiger Ablehnung einer Bauvoranfrage stellte der Kläger, der
nicht Eigentümer der Grundflächen ist, unter dem 19.06.1986 und 05.05.1988
einen Bauantrag für die Errichtung von zwei Tennisplätzen auf den
Außenbereichsgrundstücken in der Gemarkung Flur, Flurstücke, und im Bereich
des Entwurfs des Bebauungsplans der Stadt Nr. 12
Mit am 01.06.1988 ausgehändigtem Bescheid vom 09.05.1988 (Bl. 78 der
Behördenakte - BA -) erteilte der Beklagte dem Kläger gemäß § 33 BauGB die
begehrte Baugenehmigung mit der unter den "Auflagen" aufgeführten und mit
einer Begründung versehenen Nebenbestimmung, für die Flächenversiegelung von
1369 qm eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 13.690,-- DM gemäß § 6 Abs. 3
HENatG zu entrichten. Die Nebenbestimmung beruhte auf dem Schreiben der
unteren Naturschutzbehörde vom 29.09.1987 (Bl. 9 BA), die ihr Einvernehmen von
dieser "Bedingung" abhängig gemacht hatte, worüber der Kläger laut eines
Aktenvermerks vom 23.03.1988 (Bl. 71 BA) bei der Anhörung informiert wurde.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 20.06.1988 (Bl. 81 BA) Widerspruch gegen die
Auflage zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe ein, den der Regierungspräsident in
mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.1988 (Bl. 3 der Gerichtsakte - GA -) als
unbegründet zurückwies. Nach der Stellungnahme der unteren
Naturschutzbehörde, die die Bauaufsichts- und die Widerspruchsbehörde inhaltlich
nicht überprüfen könne, sichere die Ausgleichsabgabe die Rechtmäßigkeit des
Bauvorhabens nach den naturschutzrechtlichen Bestimmungen. Es seien keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Naturschutzbehörde den ihr zustehenden
fachlichen Beurteilungsspielraum überschritten hätte.
Mit der am 06.01.1989 isoliert gegen die Ausgleichsabgabe gerichteten
Anfechtungsklage hat der Kläger geltend gemacht, die Widerspruchsbehörde habe
es zu Unrecht unterlassen, die Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde
inhaltlich zu prüfen, und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Im
übrigen sei die Höhe der Ausgleichsabgabe nicht richtig ermittelt und die
Ausgleichswirkung geplanter Eingrünungsmaßnahmen nicht berücksichtigt worden.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,
die Auflage A.2 der Baugenehmigung vom 9. Mai 1988 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums in vom 5. Dezember 1988
aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verneint einen Verfahrensmangel. Die Festsetzung und Höhe der Abgabe hält
er für gerechtfertigt. Die mit dem Bau der Tennisplätze verbundenen
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er für gerechtfertigt. Die mit dem Bau der Tennisplätze verbundenen
Naturbeeinträchtigungen könnten nicht vollständig ausgeglichen werden. Es
handele sich um eine irreversible Vernichtung der Vegetationsdecke, bei der
Feuchtwiesenbereiche mit Binsen- und Seggenbeständen in Anspruch genommen
würden. Bei der Höhe der Ausgleichsabgabe seien die Kosten zugrundegelegt
worden, die erforderlich seien, um die Aufbringung des Tennisplatzuntergrundes
wieder zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Die
beabsichtigten Begründungsmaßnahmen seien berücksichtigt worden.
Das Verwaltungsgericht Gießen hat die Anfechtungsklage als zulässig angesehen
und als unbegründet abgewiesen. Die der Baugenehmigung als Auflage beigefügte
naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe sei dem Grunde und der Höhe nach
gemäß § 96 Abs. 4 Satz 1 HBO i.V.m. den §§ 7 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 bis 3
HENatG gerechtfertigt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 16.12.1992 zugestellte verwaltungsgerichtliche
Urteil am 15.01.1993 Berufung eingelegt. Streitpunkt sei die Höhe der
Ausgleichsabgabe und deren Berechnung. Das Verwaltungsgericht habe die
gesetzlich vorgegebenen naturschutzrechtlichen Belange (Leistungsfähigkeit des
Naturhaushalts, Landschaftsbild, Erholungswert und örtliches Klima) nicht in die
Erörterung mit einbezogen, sondern lediglich die fiktiven Kosten der Rekultivierung
der "versiegelten" Fläche einschließlich der Beseitigung der baulichen Anlagen und
der Eingrünung der Fläche. Von einer Flächenversiegelung könne hier nicht ohne
weiteres ausgegangen werden, da der Aschenplatz alle niedergehende
Feuchtigkeit aufnehme. Überdies werde die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens
durch Anpflanzen von Sträuchern und Bäumen als Ausgleichsmaßnahmen erhöht.
Bezogen auf den anteiligen Restschaden seien die ersparten
Rekultivierungskosten deutlich niedriger anzusetzen als der verlangte Betrag von
13.690,-- DM.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 1. Dezember
1992 - I/2 E 13/89 - die Auflage Nr. 2 in der Baugenehmigung vom 9. Mai 1988
i.d.F. des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidenten in vom 5. Dezember
1988 aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen
Urteils und unter Aufhebung der Baugenehmigung vom 9. Mai 1988 i.d.F. des
Widerspruchsbescheids vom 5. Dezember 1988 zur Erteilung einer bezüglich einer
naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe auflagenfreien Baugenehmigung für die
beiden bereits errichteten Tennisplätze zu verpflichten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und den Hilfsantrag abzuweisen.
Der Beklagte teilt mit, ein gültiger Bebauungsplan für den Bereich der Tennisplätze
liege noch nicht vor. Für eine Erweiterung der Platzanlage um zwei Plätze und ein
Clubhaus sei eine Bauvoranfrage mit Verfügung vom 29.01.1993 i.d.F. des
Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums vom 10.08.1993 wegen
fehlender Planreife abgelehnt worden. Eine Vergleichsrechnung über die
naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe für das streitbefangene Vorhaben nach
dem Biotopwertverfahren (StAnz. 1992, 1437) habe eine Ausgleichsabgabe in
Höhe von 44.985,-- DM ergeben.
Dem Gericht liegen mehrere Lichtbilder vor, die der Kläger zu den Akten gereicht
hat, ebenso die einschlägige Bauakte des Beklagten und ein Hefter
Aufstellungsunterlagen über den Entwurf des Bebauungsplans Nr. 12 der Stadt.
Auf den Inhalt der Beiakten wird ebenso wie auf den übrigen Akteninhalt ergänzend
Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Die im Hauptantrag isoliert gegen die der Baugenehmigung beigefügte
naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe gerichtete Anfechtungsklage ist nicht
statthaft und damit unzulässig, wie auch der Widerspruch gegen die Abgabe als
Anfechtungswiderspruch unzulässig ist. Die isolierte Aufhebung der einer
Genehmigung beigefügten Auflage setzt voraus, daß die Genehmigung mit einem
Inhalt weiter bestehen kann, der der Rechtsordnung entspricht (BVerwG, Urteil
vom 17.02.1984 - 4 C 70.80 - NuR 1984, 192 in Weiterführung der Rechtsprechung
zur sog. modifizierenden Auflage im Urteil vom 08.02.1974 - 4 C 73.72 - DÖV
1974, 380).
Die auf § 6 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 HENatG beruhende naturschutzrechtliche
Ausgleichsabgabe stand bis zum Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und
Wohnbaulandgesetzes (IWG - BGBl. I S. 466) mit den §§ 8 a - c BNatschG am
01.05.1993 in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Verpflichtung zu
Ausgleichsmaßnahmen bei Eingriffen in Natur und Landschaft als einer
Gestattungsvoraussetzung und war untrennbarer Bestandteil der Eingriffs- und
Ausgleichssystematik des Hessischen Naturschutzgesetzes (vgl. für Baden-
Württemberg die Anmerkung von Heiderich zu VG Karlsruhe, U. v. 23.06.1982 - 1 K
289/80 - NuR 1983, 74, 75). Auch wenn wegen der Konzentrationswirkung der §§ 6
Abs. 12, 7 Abs. 1 Satz 1 HENatG die Baugenehmigungsbehörde beim
Zusammentreffen von Baurecht und Naturschutzrecht führend war und ist und im
Außenverhältnis zum Bauherrn lediglich eine einheitliche Baugenehmigung ergeht,
war bis zum Inkrafttreten des IWG wegen des erforderlichen Einvernehmens der
zuständigen unteren Naturschutzbehörde auch das gesamte materielle
Naturschutzrecht bei der Erteilung der Baugenehmigung zu beachten und diese
gegebenenfalls nach den Vorgaben der Einvernehmensbehörde gemäß § 6 Abs. 4
Satz 1 HENatG mit Nebenbestimmungen zu versehen. Die Festsetzung der auf § 6
Abs. 3 Satz 1 HENatG beruhenden Ausgleichsabgabe bei einem nicht
vermeidbaren und nicht ausgeglichenen, aber vorrangigen Natureingriff war
zwingend vorzunehmen, so daß auch eine zweckwidrige Festsetzung unter
Berücksichtigung des Gebots der einheitlichen Entscheidung nicht vorlag (vgl. OVG
Berlin, Urteil vom 14.12.1982 - 2 A 10/81 - NVwZ 1983, 419, 421; zur
Ausgleichsabgabe als Bedingung Hess. VGH, Beschluß vom 11.09.1991 - 3 TH
1810/91 - NVwZ-RR 1992, 469 = NuR 1992, 240). Die Kompensationswirkung der
Ausgleichszahlung sollte ebenso wie der Ausgleich möglichst zeitnah mit dem
Eingriff verknüpft werden, um die von der unmittelbar geltenden Vorschrift des § 1
BNatSchG geforderte nachhaltige Sicherung des Naturhaushalts im besiedelten
und unbesiedelten Bereich wirksam zu unterstützen. Zu beachten ist dabei, daß
die subsidiär zum Ausgleich oder Teilausgleich bei einem Restschaden
festzusetzende Ausgleichsabgabe gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 HENatG keine
Ermessens-, sondern eine gebundene Entscheidung darstellt, die erst die
Rechtmäßigkeit eines nicht ausgleichbaren, aber vorrangigen Eingriffs sichert
(Hess. VGH, U. v. 03.03.1994 - 4 UE 4471/92). Die Entscheidung über die
Ausgleichsabgabe gehört ebenso wie diejenige über vorrangige
Ausgleichsmaßnahmen zum wesentlichen Entscheidungsinhalt nach § 96 Abs. 1
Satz 1 HBO i.V.m. den §§ 5 ff. HENatG, weil die Frage der Zulässigkeit eines
baulichen Eingriffs in Natur und Landschaft die Prüfung der Kompensationspflicht in
vollem Umfang bis hin zur Ausgleichsabgabe voraussetzt (vgl. Künkele/Heiderich,
NatSchG für Bad.-Württ., Komm., Stand: 9/1993, § 11 Rdnr. 14). Unabhängig
davon, ob die naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe bis zum Inkrafttreten des
IWG als Auflage oder Bedingung in den Bauschein aufgenommen worden war,
bestand ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Gesamtinhalt der
Baugenehmigung und der Nebenbestimmung, der mit einem isoliert gegen die
Ausgleichsabgabe gerichteten Anfechtungswiderspruch des Bauherrn nicht
einseitig aufhebbar war. Der Bauherr war vielmehr darauf verwiesen, wenn er eine
nebenbestimmungsfreie Baugenehmigung erlangen wollte, zunächst einen
entsprechenden Verpflichtungswiderspruch einzulegen und den Ausgang des
Widerspruchsverfahrens abzuwarten. Mehr konnte auch aufgrund des in Art. 19
Abs. 4 GG verankerten Gebots des wirksamen Rechtsschutzes nicht verlangt
werden. Die mit der Ausgleichsabgabe als Nebenbestimmung belastete
Baugenehmigung, die über die Einvernehmensregelung der §§ 6 Abs. 12, 7 Abs. 1
HENatG materiell- rechtlich die naturschutzrechtliche Genehmigung des baulichen
Eingriffs umfaßte, konnte nicht zugleich ausgenutzt und mit einem isolierten,
anfechtenden Widerspruch angegriffen werden (vgl. Künkele/Heiderich, a.a.O., § 12
Rdnr. 6 und § 11 Rdnr. 14 unter Hinweis auf Gerhard, NatSchG BW Erl. 9 zu § 11
und Heiderich NuR 1983, 76; jetzt zur Geldleistung nach § 8 b Abs. 2 BNatSchG
Louis, BNatSchG, Komm., 1994, § 8 b Rdnr. 11; a.A. Bickel, HENatG, Komm., 1981,
§ 6 Rdnr. 20).
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Der Auffassung des VG Karlsruhe (a.a.O.) und im Anschluß daran des VGH
Mannheim (Urteil vom 28.07.1983 - 2 S 299/81 - NuR 1984, 102) über die
zulässige Teilanfechtung der einer Baugenehmigung beigefügten Auflage einer
naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe, auch wenn die Genehmigung und die
Auflage auf einer einheitlichen Gesamtentscheidung beruhen, ist nicht zu folgen.
Beide Gerichte berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteil vom 12.03.1982, Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 102), wo es im
Zusammenhang mit der Zweckentfremdung von Wohnraum um eine
Ermessensentscheidung und nicht um eine gebundene Entscheidung wie bei der
naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe nach § 6 Abs. 3 HENatG gegangen ist.
Mithin liegt ein rechtlich anders zu beurteilender Sachverhalt vor, der in
Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.1984
(a.a.O.) eine andere rechtliche Bewertung erfordert.
Das direkte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Baugenehmigung und
Ausgleichsabgabe mit der Folge, daß das eine nicht ohne das andere rechtlich
bestehen kann, stellt für den Kläger keine Überraschungsentscheidung dar. Mit
Schreiben vom 29.09.1987 (Bl. 9 BA) hatte die untere Naturschutzbehörde ihr
gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 HENatG erforderliches Einvernehmen nur unter der
Bedingung der Zahlung einer Ausgleichsabgabe erteilt, was dem Kläger am
23.03.1988 ausweislich eines behördlichen Aktenvermerks (Bl. 71 BA) im Rahmen
der Anhörung nach § 28 HVwVfG eröffnet worden ist. Schließlich sei darauf
hingewiesen, ohne daß es wegen der zeitlichen Reihenfolge für diesen Fall von
rechtlicher Bedeutung ist, daß auch der Erlaß des Hessischen Ministeriums für
Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz vom 14.02.1991 (Az.: 5 A 4-46 d 40 c-
69/91) von der Ausgleichsabgabe als integralem Bestandteil der
Eingriffsgenehmigung ausgeht und ein Junktim in der Weise fordert, daß die
Ausnutzung der Genehmigung von der vorherigen Zahlung der Ausgleichsabgabe
abhängig zu machen ist.
Es verhilft der im Hauptantrag verfolgten Anfechtungsklage auch nicht zur
Zulässigkeit, daß nach der ab 01.05.1993 geltenden Rechtslage insbesondere in
Genehmigungslagen nach § 33 BauGB i.V.m. den §§ 8 a Abs. 2, 8 b Abs. 2 und 8 c
Nr. 2 BNatSchG Baugenehmigungen ohne Ausgleichsabgaben bzw. Geldleistungen
möglich sind. Dagegen spricht hier nicht nur, daß für Anfechtungsklagen
grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend ist,
hier der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 05.12.1988.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß in einem unabgeschlossenen, noch
nicht unanfechtbar entschiedenen Altfall (Verfahrensbeginn vor dem 01.05.1993)
die Vergünstigung für einen Bauherrn, nunmehr bei Baugenehmigungen nach § 33
BauGB von Abgaben verschont zu bleiben, als Gegengewicht mit der Verpflichtung
verknüpft ist, nunmehr nach § 8 c Nr. 2 i.V.m. § 8 a Abs. 2 BNatSchG und § 33
BauGB den jeweils neuesten und durch das IWG zugunsten der Belange des
Naturschutzes auf der Planungsebene angehobenen Stand der Plan- und
Kompensationsreife gegen sich gelten zu lassen. Die in § 8 a Abs. 2 BNatSchG
geregelte Nichtanwendung des § 8 BNatSchG und damit auch des § 8 Abs. 9
BNatSchG mit den Ausgleichsabgaberegelungen der Länder ist daran gebunden,
daß bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die Kompensationsgebote für
Ausgleich und Ersatz nach § 8 a Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 und 8
Abs. 9 BNatSchG unter Berücksichtigung der Darstellungen der Landschaftspläne
nach § 8 a Abs. 1 Satz 3 BNatSchG abgearbeitet werden. Nach Sinn und Zweck
der §§ 8 a - c BNatSchG setzt die Freistellung von Ausgleichszahlungen bei nach §
33 BauGB zu beurteilenden Bauvorhaben, die auch von Regelungen der Länder
nach § 8 b Abs. 2 Nr. 1 und 2 BNatSchG nicht aufgehoben werden kann, im
Gegensatz zu früher auf der Planungsebene eine umfassende Konfliktbewältigung
der naturschutzrechtlichen Belange voraus, wofür früher zusätzlich noch die
Genehmigungsebene für das Einzelvorhaben zur Verfügung stand. Dies schließt es
für unabgeschlossene Altfälle nach § 33 BauGB zur Vermeidung einer
ungerechtfertigten doppelten Begünstigung aus, die Freistellung von
Zahlungspflichten aus dem neuen Recht nach Inkrafttreten des IWG und
abgesenkte ökologische Standards nach früherer Plan- und Kompensationsreife
gemäß dem alten Recht gleichzeitig in Anspruch zu nehmen.
Einer Umdeutung der isolierten Anfechtungsklage gegen die Ausgleichsabgabe als
Nebenbestimmung zur Baugenehmigung als einem begünstigenden
Verwaltungsakt in eine Verpflichtungsklage (vgl. dazu Kopp, VwGO, Komm., 9. Aufl.
1992, § 113 Rdnr. 17 m.w.N.) bedarf es hier angesichts des in der mündlichen
Verhandlung im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrags nicht.
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Verhandlung im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrags nicht.
Der Hilfsantrag, der eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
enthält, ist als Klageänderung in der Form der Klageerweiterung gemäß § 91 Abs.
1 VwGO zulässig. Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung im
Berufungsverfahren rügelos darauf eingelassen, worin eine stillschweigende
Einwilligung zu sehen ist (vgl. Kopp, a.a.O., § 91 Rdnr. 17).
Die Baugenehmigung vom 09.05.1988 kann wegen des inneren Zusammenhangs
der angefochtenen Ausgleichsabgabe mit den übrigen Teilen keinen Bestand
haben und ist in vollem Umfang aufzuheben (vgl. Kopp, a.a.O., § 113 Rdnr. 17). Im
übrigen verlangt auch § 8 c Nr. 2 BNatSchG, daß eine noch nicht unanfechtbare
Verwaltungsentscheidung nach früherem Recht von der Behörde aufgehoben und
durch einen den § 8 a berücksichtigenden Verwaltungsakt ersetzt wird (Louis,
a.a.O., § 8 c Rdnr. 4).
Das Verpflichtungsbegehren auf Erteilung einer auflagefreien neuen
Baugenehmigung führt mangels Spruchreife zur Verpflichtung des Beklagten zur
Neubescheidung des klägerischen Bauantrags unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im übrigen ist der
Hilfsantrag als unbegründet abzuweisen.
Die Spruchreife für eine gerichtliche Entscheidung über den klägerischen
Bauantrag für die beiden bereits errichteten Tennisplätze fehlt, da der
Planungsstand für den Entwurf des einschlägigen Bebauungsplans Nr. 12 im
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht eindeutig erkennen ließ, ob
und gegebenenfalls mit welchen neuen Auflagen zur Sicherung der Anforderungen
des § 8 a BNatSchG die Neuerteilung einer Baugenehmigung nach § 33 BauGB in
Betracht kommt. Immerhin war nach den Angaben des Beklagten in der
mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zwischenzeitlich die Planreife
nach § 33 BauGB verneint worden, was zur bestandskräftigen Ablehnung einer
Bauvoranfrage für weitere zwei Tennisplätze und ein Clubhaus mit
bestandskräftiger Verfügung vom 29.01.1993 i.d.F. des Widerspruchsbescheids
des Regierungspräsidiums Gießen vom 10.08.1993 geführt habe. Soweit daraufhin
die Stadt Neustadt den früheren Offenlegungsbeschluß vom 17.08.1987
aufgehoben und die Bebauungsplanung mit einer landespflegerischen
Bestandsaufnahme und Bewertung aktualisiert und fortgesetzt hat, waren bis zur
mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren die öffentliche Auslegung des
Planentwurfs und die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange noch nicht
durchgeführt worden, so daß die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB
(formelle Planreife) nicht erfüllt waren. Angesichts der gestiegenen
naturschutzrechtlichen Anforderungen an die Bauleitplanung und die Planreife
nach § 8 a Abs. 1 und 2 BNatSchG ist ohne Anhörung der einschlägigen Träger
öffentlicher Belange im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch nicht
hinreichend voraussehbar, mit welchem Inhalt und mit welchen
naturschutzrechtlichen Kompensationsanforderungen der Bebauungsplan förmlich
festgesetzt werden wird (vgl. zur materiellen Baureife Battis/Krautzberger/Löhr,
BauGB, Komm., 4. Aufl. 1994, § 33 Rdnr. 8), zumal es sich um einen sensiblen
Landschaftsbereich mit Feuchtwiesen und Seggenbeständen im Ökosystem der
Wiera-Aue handelt.
Bei ihrer Neubescheidung des klägerischen Bauantrags hat die
Bauaufsichtsbehörde des Beklagten die Planreife nach § 33 BauGB unter
Beachtung der Anforderungen des § 8 a Abs. 1 und 2 BNatSchG selbständig zu
prüfen. Vorhabensbezogene planerische Festsetzungen über Ausgleich und/oder
Ersatzmaßnahmen sind in Übereinstimmung mit § 8 a Abs. 2, 1. Halbsatz
BNatSchG mit Nebenbestimmungen in der Baugenehmigung so zu verankern, daß
eine zeitnahe und wirksame Durchführung der naturschutzrechtlich gebotenen
Kompensationsmaßnahmen gesichert ist (Louis, a.a.O., § 8 a Rdnr. 24 und 26),
zumal der bauliche Eingriff hier bereits vor mehreren Jahren vorgenommen worden
ist. Soll es zu zugeordneten Sammelmaßnahmen der Gemeinde kommen, sind
die entsprechenden Vorschriften des § 8 a Abs. 1 Satz 4 und Abs. 3 BNatSchG zu
beachten. Eine Ausgleichsabgabe oder sonstige Geldleistung kann nicht mehr
gefordert werden, da die gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG unmittelbar geltende
Regelung des § 8 a Abs. 2 BNatSchG sie ausschließt, und sie selbst bei Fortgeltung
des § 6 Abs. 3 Satz 1 HENatG für Eingriffe in alten Plangebieten und in der
unbeplanten Ortslage, was in der Literatur umstritten ist und hier offenbleiben
kann, nicht mehr erhoben werden kann, da die Länderöffnungsklausel des § 8 b
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG in den dort genannten Varianten § 33 BauGB
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Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG in den dort genannten Varianten § 33 BauGB
nicht aufführt.
Sollte die Planreife nach § 33 BauGB nicht gegeben sein, handelt es sich um ein
Außenbereichsvorhaben, das nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB zu beurteilen und
mindestens wegen Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht
genehmigungsfähig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der Ausspruch über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO
entsprechend.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor. Die Auffassung des VGH Mannheim (a.a.O.) zur Zulässigkeit der
isolierten Anfechtung einer Ausgleichsabgabe erscheint durch das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.1984 (a.a.O.) überholt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.