Urteil des HessVGH vom 26.09.1990

VGH Kassel: gebühr, ausnahme, aufwand, beihilfe, liquidation, universität, erfahrung, ausführung, chirurgie, leiter

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 UE 1647/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 1 BhV HE 1979, § 5
Abs 1 BhV HE 1988, § 5
Abs 3 GOÄ
(Beihilfe - Überschreitung des "Regelhöchstsatzes" (1,8
facher Gebührensatz) hier: Computertomographie)
Tatbestand
Die Klägerin ist Beamtin des beklagten Landes. Für eine computergesteuerte
Tomographie von 5 Bewegungssegmenten der Wirbelsäule stellte ihr Prof. Dr.
med. B, Leiter der Röntgenabteilung -- Chirurgie des Zentrums für Radiologie des
Klinikums der J-Universität G, unter dem 13.6.1985 736,-- DM in Rechnung. Hierbei
handelte es sich um den 2,3fachen Gebührensatz der Nr. 5344 des
Gebührenverzeichnisses -- Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vom
12.11.1982 --. Zur Begründung des Multiplikationsfaktors von 2,3 gab Prof. B an,
daß es sich um eine persönliche ärztliche Leistung und um eine zeitaufwendige
schwierige Untersuchung, die große Erfahrung erfordere, gehandelt habe.
Mit Bescheid vom 23.8.1985 setzte der Regierungspräsident in G auf den
Beihilfeantrag der Klägerin hin die beihilfefähigen Aufwendungen für die
computertomographische Untersuchung auf 576,-- DM fest. Hierbei handelt es
sich um den 1,8fachen Gebührensatz für die in Nr. 5344 des
Gebührenverzeichnisses beschriebenen ärztlichen Leistungen. In dem Bescheid
wies der Regierungspräsident in G die Klägerin darauf hin, daß die Überschreitung
der Regelspanne nicht ausreichend begründet sei.
Prof. Dr. med. S, der geschäftsführende Direktor des Medizinischen Zentrums für
Radiologie des Klinikums der J-Universität begründete daraufhin mit Schreiben vom
12.12.1985 die Liquidation des 2,3fachen Gebührensatzes wie folgt: Bei der
Computertomographie handele es sich grundsätzlich um keine reine technische
Leistung wie bei der Durchführung von Röntgenuntersuchungen. Die Untersuchung
werde durch einen Arzt persönlich durchgeführt. Zu ihr gehöre die Erhebung einer
Kurzanamnese. Bei der Untersuchung der Wirbelsäule beschränke sich der
Untersuchungsumfang normalerweise auf 2, maximal auf 3 Bewegungssegmente.
Bei der Klägerin seien insgesamt 5 Bewegungssegmente untersucht worden. Der
hierfür benötigte Zeitumfang gehe weit über das normale Maß einer
computertomographischen Untersuchung hinaus und dauere mit den
dazugehörenden Rüstzeiten mehr als 1 Stunde. Entsprechend lang und
zeitaufwendig sei die Interpretation der 50 angefertigten Bilder.
Mit Bescheid vom 5.3.1986 lehnte es der Regierungspräsident in G ab, den Betrag
der beihilfefähigen Aufwendungen für die computertomographische Untersuchung
der Klägerin über den Betrag von 576,-- DM hinaus auf 736,-- DM zu erhöhen. Zur
Begründung verwies er darauf, daß Besonderheiten der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ
genannten Bemessungskriterien (besondere Schwierigkeit oder außergewöhnlicher
Zeitaufwand bei der einzelnen Leistung bzw. besondere Umstände bei der
Ausführung der Leistung) nicht vorgelegen hätten. Der Schwierigkeitsgrad der
ärztlichen Leistung werde bereits in der entsprechenden Position der
Gebührenordnung für Ärzte berücksichtigt. Honorarsteigernde Gründe, die ein
Überschreiten der Regelspanne rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Die
von Prof. Dr. B in Rechnung gestellte Gebühr sei, soweit sie das 1,8 fache des
Gebührensatzes in Höhe von 576,-- DM um 160,-- DM übersteige, nicht als
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Gebührensatzes in Höhe von 576,-- DM um 160,-- DM übersteige, nicht als
angemessen im Sinne des § 4 Abs. 1 HBeihVO in der Fassung vom 18.12.1979
(GVBl. 1980 I S. 22) anzusehen und deshalb nicht beihilfefähig.
Den von der Klägerin mit Schriftsatz ihres bevollmächtigten Rechtsanwalts vom
26.3.1986 am 2.4.1986 eingelegten Widerspruch wies der H Kultusminister mit
Widerspruchsbescheid vom 31.10.1986 -- zugestellt am 21.11.1986 -- zurück.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.12.1986 am 15.12.1986 beim
Verwaltungsgericht in Gießen Klage erhoben und zur Begründung darauf
verwiesen, daß nach der Stellungnahme des Prof. Dr. S vom 12.12.1985 der
2,3fache Bemessungssatz für die in Nr. 5344 des Gebührenverzeichnisses
vorgesehene Gebühr in Höhe von 320,-- DM gerechtfertigt sei.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidenten in G vom 5.3.1986 sowie den
Widerspruchsbescheid des H Kultusministers vom 31.10.1986 aufzuheben und den
Beklagten zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 80,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem
15.12.1986 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht Gießen hat mit Gerichtsbescheid vom 3.6.1987 -- V/V E
782/86 -- die Klage abgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, daß der von Prof. B
der Klägerin in Rechnung gestellte 2,3fache Gebührensatz der in Nr. 5344 des
Gebührenverzeichnisses vorgesehenen Gebühr in Höhe von 320,-- DM nicht
gemäß § 5 Absätze 2 und 3 GOÄ gerechtfertigt sei.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 10.6.1987 zugestellten Gerichtsbescheid am
25.6.1987 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, das ihr von Prof. Dr. B in
Rechnung gestellte Honorar sei in voller Höhe beihilfefähig, da der Betrag von
736,-- DM angemessen sei. Der 2,3fache Bemessungssatz sei von Prof. Dr. S
ausreichend begründet worden. In ihrem Falle habe der zeitliche Aufwand für die
Untersuchung die übliche Untersuchungsdauer um mehr als 50 % überstiegen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Gießen vom 3.6.1987 -- V/V E
782/86 -- aufzuheben und nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, da Nr. 5344 des Gebührenverzeichnisses mehrere
Untersuchungsvorgänge abgelte, ohne eine weitere Spezifizierung vorzunehmen,
sei es nicht gerechtfertigt, ein Überschreiten der Regelspanne anzuerkennen,
wenn sich die computertomographische Untersuchung der Wirbelsäule nicht, wie
normalerweise, auf 3, sondern auf 5 Bewegungssegmente erstrecke. Ein vom
Normalmaß abweichender Zeitaufwand könne nicht berücksichtigt werden, da Nr.
5344 des Gebührenverzeichnisses bereits die Computertomographie des
gesamten Körpers mit Ausnahme des Kopfes umfasse. Die Anzahl der
untersuchten Bewegungssegmente sei unter diesen Umständen unwesentlich. Im
übrigen werde ein gegenüber der üblichen Untersuchungsdauer um 50 % höherer
Zeitaufwand im Falle der Klägerin mit dem 1,8fachen Bewertungssatz abgegolten.
Die Verfahrensbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt (vgl. Schriftsatz des
Bevollmächtigten der Klägerin vom 29.8.1990 und Schriftsatz des
Beklagten vom 20.8.1990 ).
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den angefochtenen Gerichtsbescheid,
das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Verfahrensbeteiligten und die den
Rechtsstreit betreffenden Verwaltungsvorgänge (ein Heftstreifen), die beigezogen
und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige
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Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige
Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß die der Klägerin für die
computertomographische Untersuchung ihrer Wirbelsäule in Rechnung gestellten
736,-- DM nur in Höhe von 576,-- DM beihilfefähig sind. Eine Beihilfe steht der
Klägerin gemäß § 4 Abs. 1 HBeihVO in der Fassung vom 18.12.1979 (GVBl. 1980 I
S. 22) nur für Aufwendungen zu, soweit sie der Höhe nach angemessen sind.
Angemessen im Sinne dieser Bestimmung ist eine ärztliche Liquidation
regelmäßig nur dann, wenn bei der Höhe der Bemessung des ärztlichen Honorars
die Regelungen der Gebührenordnung für Ärzte berücksichtigt wurden. Dies war
hier nicht der Fall. Nach § 5 Abs. 3 GOÄ bemißt sich die Gebühr für eine
computertomographische Untersuchung nach dem 1-fachen bis 2 1/2fachen des
Gebührensatzes, denn die Nr. 5344 steht in Abschnitt 0 des
Gebührenverzeichnisses. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 GOÄ i.V.m. Abs. 2 Satz 4 dieser
Bestimmung darf für eine computertomographische Untersuchung die Gebühr in
der Regel nur zwischen dem 1-fachen und 1,8fachen des Gebührensatzes
bemessen werden. Ein Überschreiten des 1,8fachen des Gebührensatzes ist nur
zulässig, wenn Besonderheiten der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der
einzelnen Leistung, der Umstände bei der Ausführung sowie der örtlichen
Verhältnisse dies rechtfertigen. Hieraus folgt, daß der 1,8fache Satz der
"Regelhöchstsatz" und daß ein Überschreiten dieses Schwellenwertes in der Regel
unzulässig ist (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 24.5.1989 -- 17 U 26/88 --, MedR
1989, 332; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.6.1989 -- 3 K 1621/88 --, NWVBl. 1990,
68; Brück, Heinzerling, Hess, Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, Stand:
1.1.1988, § 5 RdNr. 1).
Bei der computertomographischen Untersuchung der Klägerin hatten sich keine
Besonderheiten bei der Schwierigkeit oder dem Zeitaufwand der Leistung ergeben,
die ein Überschreiten des "Regelhöchstsatzes" von 1,8 zulassen würden. Die
Tatsache, daß die computertomographische Untersuchung von einem Arzt
durchgeführt wurde und daß sie eine große ärztliche Erfahrung erfordert,
rechtfertigt die Überschreitung des Schwellenwerts nicht. Denn diese Umstände
wurden bereits bei der Bemessung des Gebührensatzes berücksichtigt. Daß die
Untersuchung der Klägerin mit sonstigen besonderen Schwierigkeiten verbunden
war, ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich. Allerdings überschritt der
zeitliche Aufwand für die Untersuchung die übliche Dauer der Untersuchung einer
Wirbelsäule. Dies beruhte allerdings nicht auf besonderen Schwierigkeiten des
Untersuchungsverfahrens oder sonstigen Umständen, die normalerweise bei einer
Computertomographie der Wirbelsäule nicht auftreten, sondern darauf, daß nicht -
- wie üblich -- 2 oder 3, sondern 5 Bewegungssegmente untersucht wurden.
Hierbei handelt es sich aber um einen vom Normalfall abweichenden
Mehraufwand, der noch innerhalb des Gebührenrahmens bis zum 1,8fachen des
Gebührensatzes abzugelten ist. Denn Nr. 5344 des Gebührenverzeichnisses gilt
für die computergesteuerte Tomographie des Körpers mit Ausnahme des Kopfes.
Das bedeutet, daß für eine computertomographische Untersuchung der
Wirbelsäule der "Regelhöchstsatz" von 1,8 anzuwenden ist, ohne daß es auf die
Anzahl der untersuchten Bewegungssegmente ankommt. Die Spanne vom 1-
fachen bis 1,8fachen des Gebührensatzes gibt dem behandelnden Arzt eine
ausreichende Möglichkeit, sein Honorar angemessen nach der Anzahl der zu
untersuchenden Bewegungssegmente der Wirbelsäule zu staffeln.
Die Unangemessenheit des von Prof. B in Rechnung gestellten Honorars beweist
noch folgende Überlegung: Nach Nr. 5344 des Gebührenverzeichnisses beträgt die
einfache Gebühr für die computergesteuerte Tomographie des Körpers mit
Ausnahme des Kopfes 320,-- DM. Diese Gebühr erhöht sich um (lediglich) 100,--
DM, wenn sich die computertomographische Untersuchung auch auf den Kopf
erstreckt (Nr. 5345 des Gebührenverzeichnisses). Der Verordnungsgeber hat
damit die computergesteuerte Tomographie von zumindest zwei Körperteilen,
nämlich einem Teil des Körpers mit Ausnahme des Kopfes und eines Teiles des
Kopfes, für den (einfachen) Normalfall gebührenmäßig mit 420,-- DM bewertet. Die
von dem Beklagten als beihilfefähig anerkannten Aufwendungen für die
Computertomographie der 5 Bewegungssegmente der Wirbelsäule der Klägerin
überschreiten mit 576,-- DM den einfachen Gebührensatz der Nr. 5345 des
Gebührenverzeichnisses (computergesteuerte Tomographie des Körpers
einschließlich des Kopfes) um 156,-- DM. Der erhöhte zeitliche Aufwand für die
Untersuchung der Klägerin ist deshalb mit dem 1,8fachen des Gebührensatzes
angemessen bewertet.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.