Urteil des HessVGH vom 16.02.1990

VGH Kassel: ablauf der frist, wohnraum, genehmigung, wohnung, hauptsache, amt, zweckentfremdung, rechtsschutzinteresse, auflage, nutzungsänderung

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UE 831/85
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 96 Abs 1 BauO HE, Art 6
§ 1 Abs 1 MietRVerbG
(Umnutzung von Gewerberaum in Wohnraum und
Zweckentfremdung - Ausnahmegenehmigung)
Tatbestand
Die Kläger sind seit 1977 Eigentümer des Grundstücks S. ... .... Auf diesem
Grundstück befindet sich ein um die Jahrhundertwende errichtetes
zweigeschossiges Wohnhaus. Mit Bescheid vom 7. März 1979 erteilte der Magistrat
der Beklagten -- Amt für Wohnungswesen -- den Klägern auf deren Antrag die
wohnungswirtschaftliche Ausnahmegenehmigung gem. Art. 6 des Gesetzes zur
Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur
Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1981 (BGBl.
I S. 1745) -- MRVerbG -- i.V.m. den Hessischen Verordnungen über das Verbot der
Zweckentfremdung von Wohnraum zur Umnutzung des neben der Küche
gelegenen Wohnraumes der Erdgeschoßwohnung auf dem Anwesen. Die
Ausnahmegenehmigung war auf 5 Jahre befristet und mit der Auflage versehen,
daß die gesamte Erdgeschoßwohnung wieder ausschließlich zu Wohnzwecken
genutzt werden müsse, wenn die Kläger die Pizzeria nicht mehr persönlich
betrieben.
Durch Baugenehmigung vom 17. Mai 1979 genehmigte die Bauaufsichtsbehörde
der Beklagten unbefristet die Nutzungsänderung des im Erdgeschoß des
Wohnhauses neben der Küche gelegenen Zimmers in einen Stehimbiß. Mit
Bauschein vom 30. Oktober 1979 erteilte die Bauaufsichtsbehörde die
Genehmigung für den Einbau einer Toilettenanlage im Kellergeschoß und mit
Bauschein vom 5. März 1980 die Genehmigung für die Einrichtung eines
Wirtschaftsgartens nördlich des Wohnhauses vor dem Eingang zum Stehimbiß und
für dessen Bestuhlung.
Im April 1982 beantragten die Kläger beim Amt für Wohnungswesen, die
Genehmigung für die Nutzung des gesamten Erdgeschosses ihres Hauses als
Gewerbebetrieb. Ferner beantragten sie die Erlaubnis, die Pizzeria auch durch
dritte Personen weiterführen zu dürfen. Dies lehnte der Magistrat der Beklagten --
Amt für Wohnungswesen -- durch Bescheid vom 9. Juni 1982 ab. Der dagegen
zunächst eingelegte Widerspruch wurde durch die Kläger in der mündlichen
Anhörung des Widerspruchsausschusses am 18. November 1982
zurückgenommen.
Zur Jahresmitte 1982 vermieteten die Kläger die Pizzeria für 10 Jahre an die
Eheleute F..
Durch Schreiben vom 15. Dezember 1983 teilte das Amt für Wohnungswesen den
Klägern mit, daß nunmehr die rechtswidrige Nutzung der zweckentfremdeten
Wohnräume beseitigt werden müsse. Bevor jedoch die Aufgabe der Pizzeria, die
Räumung und die Wiederherstellung der ausschließlich wohnlichen Nutzung der
Wohnung im Erdgeschoß förmlich angeordnet werde, werde Gelegenheit zur
Stellungnahme im Rahmen des § 28 HVwVfG gegeben. Eine entsprechende
Mitteilung erhielten auch die Eheleute F..
Die Kläger haben am 30. September 1983 Klage erhoben auf Feststellung, daß es
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Die Kläger haben am 30. September 1983 Klage erhoben auf Feststellung, daß es
der Beklagten verwehrt sei, von den Klägern unter Hinweis auf das
Zweckentfremdungsverbot zu fordern, den von ihnen früher selbst ausgeübten
und genehmigten Gewerbebetrieb dann Wohnzwecken zuzuführen, wenn der
Gewerbebetrieb an Dritte vermietet oder verpachtet werde, und daß es der
Beklagten verwehrt sei, den Klägern die Erweiterung des bestehenden und
genehmigten Gewerbebetriebes auf andere, unmittelbar angrenzende Räume zu
untersagen, wenn hierfür die baurechtlichen und gewerblichen Genehmigungen
vorliegen.
Die Beklagte hat im Klageverfahren vorgetragen, der durch Baugenehmigung zu
Gewerberaum bestimmte Raum unterfalle nicht dem Zweckentfremdungsverbot.
Für weitere Räume sei eine baurechtliche Umnutzungsgenehmigung nicht erteilt
worden. Es sei selbstverständlich, daß auch die weiteren Räume, soweit für diese
eine baurechtliche Umnutzungsgenehmigung vorläge, keiner
wohnungswirtschaftlichen Ausnahmegenehmigung bedürften. Das Verfahren habe
sich in der Hauptsache erledigt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid als unzulässig
abgewiesen. Es hat die Klage mit den auf die wohnungswirtschaftliche Zulässigkeit
der Nutzung von Räumen im Rahmen einer von Dritten betriebenen Pizzeria
zielenden Feststellungsanträgen u.a. deshalb für unzulässig gehalten, weil das
besondere Rechtsschutzinteresse aufgrund des Vortrags der Beklagten entfallen
sei. Die von den Klägern begehrten Feststellungen konnten zwischen den
Beteiligten nicht mehr als streitig erachtet werden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid haben die Kläger Berufung eingelegt. Sie haben
die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter verfolgt und hilfsweise die Erteilung
einer wohnungswirtschaftlichen Ausnahmegenehmigung zur gewerblichen Nutzung
des Erdgeschosses der Liegenschaft beantragt.
Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.11.1989 erklärt hat, es bestehe
keine Absicht hinsichtlich des von der Bauaufsichtsbehörde als Gewerberaum
genehmigten Raum zweckentfremdungsrechtlich vorzugehen, hat der
Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 30. November 1989 mit
Zustimmung der Beklagten den Hilfsantrag zurückgenommen. Der
Klägerbevollmächtigte hat den Rechtsstreit im Hinblick auf die schriftsätzlichen
Äußerungen der Beklagten vom 23.11.1989 hinsichtlich der Feststellungsanträge
in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Erklärung
angeschlossen.
Dem Gericht liegen die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main
mit dem Aktenzeichen III/V G 2683/83 (zweitinstanzliches Aktenzeichen: 9 TG
427/84), zwei Bände Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die
Widerspruchsakte und die Bauakte betreffend das Anwesen S. vor. Diese
Vorgänge waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Nach Rücknahme des Hilfsantrags und Erledigung des Rechtsstreits in der
Hauptsache ist das Verfahren in unmittelbarer und entsprechender Anwendung
des § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen und zur Klarstellung auszusprechen, daß der
Beschluß des Verwaltungsgerichts wirkungslos ist (§§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1
ZPO in entsprechender Anwendung).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO. Bezüglich der
nach Erledigung der Hauptsache zu treffenden Kostenentscheidung entspricht es
hier billigem Ermessen, den Klägern die Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil sie
voraussichtlich unterlegen wären.
Die Klage war mit dem richtig verstandenen Klageantrag zu 1 ihrer Art nach
zulässig, nämlich einem Antrag, mit dem die Zulässigkeit der Nutzung des
baurechtlich als Stehimbiß genehmigten Raumes im Rahmen einer von Dritten
betriebenen Pizzeria festgestellt werden sollte. Durch die Auflage im
wohnungsrechtlichen Bescheid vom 07.03.1978, der die Kläger zur
ausschließlichen Nutzung der Erdgeschoßwohnung zu Wohnzwecken verpflichtete,
"sobald Sie persönlich die Pizzeria nicht mehr betreiben" war zwischen den
Beteiligten ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO begründet. Der
nach Ablauf der Frist zwischen den Beteiligten entstandene Streit darüber, ob der
Betrieb fortgeführt werden darf oder nicht begründete das besondere Interesse an
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Betrieb fortgeführt werden darf oder nicht begründete das besondere Interesse an
der alsbaldigen Feststellung im Sinne dieser Vorschrift. Das allgemeine
Rechtsschutzinteresse ist -- entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts --
auch nicht durch schriftsätzliche Darlegungen der Beklagten im ersten Rechtszug
entfallen. Diese hat ihre Rechtsauffassung vertreten und daraus bestimmte
Schlußfolgerungen abgeleitet, nämlich daß der durch baurechtliche Genehmigung
zum Gewerberaum bestimmte Raum dem Zweckentfremdungsverbot nicht
unterfalle. Es fehlt der Bindungswille, der im Falle einer verbindlichen Erklärung --
unterhalb der Schwelle einer förmlichen wohnungsrechtlichen
Ausnahmegenehmigung -- zwischen den Beteiligten Klarheit darüber schafft, daß
die Kläger oder ein anderer Gewerbetreibender in Zukunft nicht mehr in Anspruch
genommen werden können (Zusicherung vgl. § 38 HVwVfG). Ohne eine derartige
Wirkung muß vom Fortbestehen eines einmal begründeten
Rechtsschutzinteresses ausgegangen werden.
Insoweit ist die Klage jedoch unbegründet, denn nach Ablauf der Geltungsdauer
der wohnungsrechtlichen Ausnahmegenehmigung wären die Kläger verpflichtet
gewesen, den Raum wieder zu Wohnzwecken zu nutzen. Allerdings vertritt die
Beklagte die Auffassung, daß nach der baurechtlichen Genehmigung eines
Wohnraums als Gewerberaum dieser dem Zweckentfremdungsverbot nicht mehr
unterfällt. Sie verkennt damit das Verhältnis von baurechtlicher
Nutzungsänderungsgenehmigung und wohnungswirtschaftlicher
Ausnahmegenehmigung. Die Baugenehmigung hat keine Konzentrationswirkung
und umfaßt daher nicht die nach Wohnungswirtschaftsrecht im Falle der
Umwandlung von Wohnraum in Gewerberaum notwendige wohnungswirtschaftliche
Ausnahmegenehmigung. Allerdings macht § 96 Abs. 1 HBO, wonach die
Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen
Vorschriften entspricht, regelmäßig wie in anderen Fällen der
Mehrfachgenehmigungen etwa gaststättenrechtlicher Art (vgl. dazu Beschluß vom
23. Dezember 1988 -- 4 TH 4362/88 -- GewArch 1989, 168) oder
naturschutzrechtlicher Art (vgl. Urteil vom 27. August 1981 -- 4 OE 90/77 -- NuR
1982, 226) die vorherige wohnungswirtschaftliche Ausnahmegenehmigung
erforderlich. Wird die Baugenehmigung -- unzulässigerweise -- im Einzelfall ohne
das Vorliegen einer wohnungswirtschaftlichen Ausnahmegenehmigung erteilt,
entfällt mit der Genehmigung noch nicht das Substrat für die Anwendung des
Zweckentfremdungsverbots. Durch die Nutzungsänderungsgenehmigung als
solche wird keine Änderung der Nutzungsart herbeigeführt, sondern es entfällt
lediglich eine baurechtliche Schranke für diese Änderung. Etwas anderes könnte
dann gelten, wenn eine Wohnungsnutzung nach materiellem Baurecht überhaupt
unzulässig wäre (vgl. Nr. 2.3.7 der Allgemeinen Hinweise zum Verbot der
Zweckentfremdung von Wohnraum, eingeführt durch Erlaß des Hessischen
Ministers des Innern vom 20. August 1975 ). Davon kann
im vorliegenden Fall keine Rede sein.
Die Klage hätte auch mit dem Antrag zu 2 keinen Erfolg haben können, weil
insoweit die vorbeugende Unterlassungsklage nach ihrem Rechtsschutzziel nicht
die richtige Klageart darstellt. Es handelt sich bei der Erdgeschoßwohnung -- mit
Ausnahme des baurechtlich als Imbiß genehmigten und als Pizzeria genutzten
Raums -- um Wohnraum, der als solcher genutzt wurde und wird und somit dem
Zweckentfremdungsverbot nach Art. 6 MRVerbG unterfällt. Wenn die Kläger aus
dieser Bindung heraus wollen, sind sie -- wie in allen anderen Fällen von
Wohnraum, der unter das Zweckentfremdungsverbot fällt -- gehalten, in dem dafür
vorgesehenen Verfahren eine wohnungswirtschaftliche Ausnahmegenehmigung zu
beantragen und gegebenenfalls zu erstreiten. Soweit bisher keine baurechtliche
Nutzungsänderung genehmigt ist, besteht auch aus der Sicht der Kläger kein
Zweifel an der Rechtslage, wie der Antrag vom 19.09.1984 auf Erteilung der
wohnungsrechtlichen Ausnahmegenehmigung für das Erdgeschoß des Anwesens
der Kläger zeigt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.