Urteil des HessVGH vom 18.05.1990

VGH Kassel: landrat, genehmigung, behörde, kiosk, auskunft, verwaltungsakt, quelle, gaststätte, nutzungsänderung, lärm

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 TH 362/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 1 BImSchG, § 3 Abs
2 BImSchG, § 2 GastG, § 4
Abs 1 Nr 3 GastG, § 15 Abs
1 S 2 BauNVO
(Nachbarschützender Charakter des GastG § 4 Abs 1 Nr 3;
Beurteilungszeitpunkt für Genehmigung)
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Beigeladenen ist zum Teil begründet. Der
beschließende Senat teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß der
Widerspruch des Beigeladenen gegen die der Antragstellerin von dem Landrat ...
erteilte Gaststättenerlaubnis voraussichtlich keinen Erfolg haben könne. Vielmehr
erscheinen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen.
Das Vorbringen des Beigeladenen läßt es möglich erscheinen, daß die
Gaststättenerlaubnis vom 10. Oktober 1989 unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 3
des Gaststättengesetzes -- GastG -- zustandegekommen ist. Nach dieser
Bestimmung ist die gemäß § 2 GastG für den Betrieb eines Gaststättengewerbes
erforderliche Erlaubnis zu versagen, wenn der Gewerbebetrieb im Hinblick auf
seine örtliche Lage oder auf die Verwendung der Räume dem öffentlichen
Interesse widerspricht, insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes -- BImSchG -- oder sonst erhebliche Nachteile,
Gefahren oder Belästigungen für die Allgemeinheit befürchten läßt. Zu Unrecht
verneint die Antragstellerin die Erfolgsaussichten des Widerspruchs von vornherein
mit der Begründung, daß § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG nicht nachbarschützend und
daher ungeeignet sei, dem Rechtsbehelf des Beigeladenen zum Erfolg zu
verhelfen. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt dieser
Überlegungen, wonach die Widerspruchsbehörde im Falle eines
Nachbarwiderspruchs darauf beschränkt ist, den angegriffenen Verwaltungsakt auf
die Verletzung nachbarschützender Vorschriften hin zu überprüfen (BVerwG, Urt.
v. 18.05.1982 -- 7 C 42.80 --, BVerwGE 65, 313, 318). Nach der Rechtsprechung
des beschließenden Senats ist § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG jedoch als
nachbarschützende Vorschrift anzusehen. Zwar ist in der Bestimmung davon die
Rede, daß der Gewerbebetrieb dem öffentlichen Interesse widersprechen muß,
wenn die Erlaubnis versagt werden soll. Jedoch wird das öffentliche Interesse nicht
allein durch erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen für die
Allgemeinheit beispielhaft beschrieben, sondern auch durch schädliche
Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Das
Gaststättengesetz bezieht sich damit seit dem Inkrafttreten des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes ausdrücklich auf die dort gegebene Verdeutlichung des
Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen. Nach der Begriffsbestimmung in § 3
Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Gesetzes
Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren,
erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die
Nachbarschaft herbeizuführen. Die ausdrückliche Erwähnung der Nachbarschaft
schließt es aus, § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG die nachbarschützende Zielsetzung
abzusprechen.
Die danach rechtlich grundsätzlich mögliche Heranziehung des § 4 Abs. 1 Nr. 3
GastG bei der Entscheidung über den Widerspruch des Beigeladenen scheitert
nicht daran, daß das Kreisbauamt ... dem Ehemann der Antragstellerin eine
Baugenehmigung für die Nutzungsänderung ... erteilt hat, woraus sich die Befugnis
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Baugenehmigung für die Nutzungsänderung ... erteilt hat, woraus sich die Befugnis
zur Nutzung des Kellergeschosses als Kiosk mit Nebenräumen wie Vorräte-Küche
ergibt. Der beschließende Senat stützt sich insoweit auf die den Beteiligten im
Laufe des Beschwerdeverfahrens bekanntgegebene amtliche Auskunft des
Kreisbauamts vom 25. April 1990 und geht dabei zugunsten der Antragstellerin
davon aus, daß die Nutzung als Kiosk zugleich eine Nutzung als Trinkhalle
mitumfaßt. Im Hinblick auf die Gleichartigkeit des Zulässigkeitsmaßstabes in § 15
Abs. 1 Satz 2 der Baunutzungsverordnung und in § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG hat das
Kreisbauamt allerdings auf diese Weise in einer für den Landrat ... bindenden
Weise festgestellt, daß sich die von der Nutzung der Trinkhalle der Antragstellerin
typischerweise ausgehenden Immissionen im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG
halten. Es bleibt dem Landrat als Gaststättenbehörde jedoch unbenommen, die
Genehmigung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG wegen atypischer Immissionen, die von
der Gaststätte ausgehen, zu versagen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 04.10.1988 -- 1
C 72.86 --, DVBl. 1989, 372). Anhaltspunkte in dieser Richtung liefert insbesondere
der Bericht des Polizeiobermeisters A vom 10. Oktober 1989, der unter anderem
auf durch den Betrieb entstehenden Lärm und die Öffnung bis in die späten
Abendstunden abstellt.
Zu Unrecht meint das Verwaltungsgericht, daß die in dem Bericht des
Polizeibeamten angesprochenen Tatsachen gegebenenfalls bei der Entscheidung
über die Erteilung der Gaststättenerlaubnis nicht zu berücksichtigen seien, weil sie
der Gaststättenbehörde nicht vor der Erteilung der Erlaubnis am 10. Oktober 1989
bekannt geworden wären. Richtig ist, daß die über die Erteilung der Erlaubnis
entscheidende Behörde von der Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung
auszugehen hat. Geht man zugunsten des Beschwerdeführers von der inhaltlichen
Richtigkeit des Berichts des Polizeiobermeisters A vom 10. Oktober 1989 aus, so
liegen die dort berichteten Tatsachen vor diesem Tage und damit zugleich vor der
am selben Tage erfolgten Erteilung der Gaststättenerlaubnis für die
Antragstellerin. In diesem Falle wäre die Behörde bei ihrer Entscheidung von einer
unzutreffenden tatsächlichen Grundlage ausgegangen, ohne daß es darauf
ankäme, ob und auf welche Weise sich die Behörde Kenntnis von diesen Tatsachen
hätte verschaffen können. Im übrigen stellt nicht der Bescheid des Landrates ...
vom 10. Oktober 1989, sondern der noch ausstehende Widerspruchsbescheid die
abschließende Behördenentscheidung in der vorliegenden Angelegenheit dar.
Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Erlaubnis ohne Verstoß gegen
nachbarschützende Vorschriften zustande kommen kann, werden daher die
tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des
Widerspruchsbescheides sein.
Der Klarheit halber sei ausdrücklich hervorgehoben, daß dies allerdings nur für
solche tatsächlichen Verhältnisse gilt, die Gegenstand nachbarschützender
Vorschriften wie der des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG sind, weil sich die Aufhebungs- und
Abänderungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde gemäß § 73 VwGO im Falle
eines Nachbarwiderspruchs nach dem oben genannten Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1982 allein auf Vorschriften stützen
lassen, die dem Schutz des Nachbarn dienen. Die Heranziehung der nicht
nachbarschützenden Bestandteile der in § 4 Abs. 1 GastG getroffenen Regelung
zum Nachteil der Antragstellerin kann daher nur im Wege des Widerrufs der am
10. Oktober 1989 erteilten und außerhalb des Nachbarschutzes bestandskräftigen
Erlaubnis oder -- soweit es sich um damals bereits vorliegende Tatsachen handelt
-- im Wege der Rücknahme erfolgen.
Eine abschließende Feststellung, ob die Voraussetzungen für eine Versagung der
Gaststättenerlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG vorliegen, ist dem Senat in dem
vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anhand der ihm
zugänglichen Unterlagen (ein Hefter Prozeßakten, ein Hefter Behördenakten des
Landrats ...) nicht möglich. Als einschlägig erweisen sich insoweit insbesondere die
Anzeige des Beigeladenen vom 23. Juni 1989 an den Landrat ... und der
Widerspruch des Beigeladenen und vier anderer Nachbarn vom 5. November 1989
gegen die Gaststättenerlaubnis sowie der bereits genannte Bericht des
Polizeiobermeisters A vom 10. Oktober 1989. Die drei Schriftstücke sprechen zwar
von dem Betrieb der Antragstellerin angeblich ausgehende Lärmbelästigungen an.
Sie enthalten jedoch keine Angaben über deren Ausmaß. Aus dem Bericht des
Polizeibeamten ergibt sich überdies nicht zweifelsfrei, ob er selbst die
Lärmbelästigungen wahrgenommen oder lediglich entsprechende Aussagen von
Anwohnern entgegengenommen hat.
Unter diesen Umständen ist es erforderlich, die Interessen der Beteiligten bei der
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Unter diesen Umständen ist es erforderlich, die Interessen der Beteiligten bei der
hier in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden
gerichtlichen Ermessensentscheidung gegeneinander abzuwägen. Die Abwägung
führt zu dem Ergebnis, daß die sofortige Vollziehung der Gaststättenerlaubnis vom
10. Oktober 1989 zwar in Übereinstimmung mit dem Inhalt des angefochtenen
Beschlusses anzuordnen, in ihrer zeitlichen Geltung jedoch bis zur Entscheidung
der Widerspruchsbehörde über den Widerspruch des Beigeladenen gegen die
Erlaubnis zu befristen ist. Der beschließende Senat folgt dabei zunächst der
Einschätzung des Verwaltungsgerichts, daß der Betrieb der Trinkhalle für die
Antragstellerin von existentieller Bedeutung ist. Eine zeitlich unbegrenzte
Vollziehbarkeit der Erlaubnis erscheint gleichwohl nicht angemessen; denn das
Vorverfahren nach § 68 ff. VwGO gibt anders als das vorliegende
Beschwerdeverfahren Gelegenheit, Zweifeln daran nachzugehen, ob die
Genehmigung wegen atypischer Versagungsgründe im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3
GastG in dem oben auf S. 4 dieses Beschlusses geschilderten Sinne erteilt werden
darf oder nicht. Bei der Beurteilung der Frage, ob schädliche Umwelteinwirkungen
im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG von der Trinkhalle ausgehen, wird die
Widerspruchsbehörde die bereits genannte Vorschrift des § 3 Abs. 1 BImSchG
sowie Abs. 2 derselben Bestimmung heranzuziehen haben. Für die Zumutbarkeit
der danach zu den Immissionen gehörenden auf den Menschen einwirkenden
Geräusche bieten Erfahrungswerte, die in Fachnormen Niederschlag gefunden
haben, wichtige Anhaltspunkte. Als einschlägig erweist sich die VDI-Richtlinie 2058
Bl. 1 des Vereins Deutscher Ingenieure zur Beurteilung von Arbeitslärm in der
Nachbarschaft. Die Richtlinie sieht unter Nr. 3.3.1 unterschiedliche
Immissionsrichtwerte für die Tages- und Nachtzeit vor. Für Einwirkungsorte in
einem allgemeinen Wohngebiet sieht Nr. 3.3.1 d der Richtlinie
Immissionsrichtwerte von tags 55 dB(A) und nachts 40 dB(A) vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.