Urteil des HessVGH vom 20.03.2001

VGH Kassel: aufschiebende wirkung, härte, verfügung, verwertung, quelle, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, dokumentation, scheidung, aufenthaltserlaubnis

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 TJ 2847/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 Nr 3 BRAGebO,
§ 291 ZPO
(Keine Beweisgebühr für Heranziehung eines im Gericht
vorhandenen Gutachtens)
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Zurückweisung ihrer Erinnerung
gegen die Kostenfestsetzung in dem Beschluss der Kostenbeamtin des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. April 2000 ist zulässig, aber nicht
begründet.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Festsetzung einer
Beweisgebühr für die Einführung und Verwertung des Gutachtens G vom 8.
Februar 1995 zu Recht abgelehnt worden ist. In dem zugrundeliegenden
Streitverfahren ging es um die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der
Antragsteller gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 19. Mai 1999, mit
denen von der Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung
nach Scheidung der Ehe der Antragstellerin abgelehnt worden war. Mit
gerichtlicher Verfügung vom 9. November 1999 war darauf aufmerksam gemacht
worden, dass die Antragstellerin zu 1) die für eine außergewöhnliche Härte im
Sinne von § 19 Abs. 1 AuslG sprechenden Umstand nicht glaubhaft gemacht habe;
gleichzeitig war auf das Gutachten der Pia Angela G vom 8. Februar 1995 über den
sozialen Status türkischer Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft hingewiesen
worden. Mit Beschluss vom 16. März 2000 hat das Verwaltungsgericht die
aufschiebende Wirkung der Widersprüche angeordnet und dazu unter anderem
ausgeführt, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erscheine zur Vermeidung
einer besonderen Härte erforderlich, weil nach dem auch einer Entscheidung des
VG Berlin zugrundeliegenden Gutachten vom 8. Februar 1995 davon auszugehen
sei, dass gerade aus den ländlichen Gebieten der Türkei stammende Frauen wie
die Antragstellerin zu 1) das eigenständige Aufenthaltsrecht aus § 19 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 für sich in Anspruch nehmen könnte. Anders sei dagegen die Stellung
türkischer Frauen zu beurteilen, die aus den größeren Städten kämen und deren
Lage sich in den letzten Jahren einer völligen Emanzipation genähert habe.
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis die Zuerkennung einer Beweisgebühr
zutreffend mit der Begründung abgelehnt, die Einführung des Gutachtens, das in
der gerichtlichen Informations- und Dokumentationsstelle vorhanden und dessen
Inhalt damit für das Gericht offenkundig sei, habe allein der Gewährung rechtlichen
Gehörs hinsichtlich des Inhalts dieses Gutachtens gedient und eine
Beweisaufnahme habe nicht stattgefunden, da das Gericht kein Gutachten
eingeholt habe. Ob für die Einführung bei dem Gericht bereits vorhandenen
Erkenntnisquellen eine Beweisgebühr anzusetzen ist, hängt davon ab, ob damit
lediglich bei dem Gericht offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO
verwertet werden oder ob über streitige Tatsachen Beweis erhoben wird (vgl. dazu:
VGH Baden-Württemberg, 07.01.1999 -- A 13 S 3273/95 --, EZAR 613 Nr. 35; VGH
Baden-Württemberg, 06.12.1989 -- A 12 S 578/89 --, VBlBW 1990, 180; Bayr. VGH,
28.02.1990 -- 9 C 90.30084 --; OVG Saarland -- 18.03.1991 -- 3 W 10/91 --, JurBüro
1992, 31; Thür. OVG, 21.07.1999 --, EZAR 613 Nr. 38 = Jur.Büro 2000, 24 = AuAs
2000, 21; OVG Bremen, 03.12.1991 -- 2 B 152/91 --; OVG Lüneburg, OVG
Nordrhein-Westfalen, 10.02.1999 -- 21 A 3943/95.A --, EZAR 613 Nr. 36 = NVwZ-
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Nordrhein-Westfalen, 10.02.1999 -- 21 A 3943/95.A --, EZAR 613 Nr. 36 = NVwZ-
Beil. 1999, 68 = AuAs 1999, 104; OVG Rheinland-Pfalz, 02.05.1996 -- 11 A
12058/95 --, AuAs 1996, 239; 21.10.1996 -- 11 L 6010/91 --, NVwZ-Beil. 97, 14 =
AuAs 1997, 59). Wie sich aus der richterlichen Verfügung vom 9. November 1999
und der Begründung des Beschlusses vom 16. März 2000 entnehmen lässt, hat
das Verwaltungsgericht das Gutachten G erkennbar nicht zu Beweiszwecken
beigezogen und im Wege einer Beweisaufnahme verwertet, sondern dieses dem
Gericht bekannte Gutachten lediglich zur Feststellung von Tatsachen und zum
Zwecke der Gewährung rechtlichen Gehörs für die Beteiligten in das Verfahren
eingeführt. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, dass der Antragsgegnerin
dieses Gutachten nicht bekannt war, wie sie im Schriftsatz vom 7. April 2000
geltend macht; denn sie hätte sich aufgrund des richterlichen Hinweises ohne
weiteres Kenntnis schaffen können. Entgegen der Auffassung der Antragsteller
kommt es nicht darauf an, dass das Verwaltungsgericht sich aufgrund des
Sachverständigengutachtens eine Meinung über die Frage der außergewöhnlichen
Härte im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 gebildet hat. Entscheidend ist allein, dass
das Verwaltungsgericht die in dem Sachverständigengutachten mitgeteilten
Tatsachen nicht für beweisbedürftig hielt, sondern diese als ohne weiteres
feststehend seiner rechtlichen Bewertung zu Grunde gelegt hat. Gegen diese
Verfahrensweise ist -- jedenfalls aus gebührenrechtlicher Sicht -- schon deswegen
nicht zu erinnern, weil die Antragsgegnerin die hier gebotene Gelegenheit zur
Stellungnahme nicht genutzt hat und die Antragsteller mit Schriftsatz vom 23.
Januar 2000 die in dem Gutachten mitgeteilten Tatsachen nicht angezweifelt,
sondern im Gegenteil zur Stützung ihres Rechtsstandpunkts ohne Weiteres
verwertet und zugrunde gelegt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.