Urteil des HessVGH vom 28.11.1989

VGH Kassel: widmung, indienststellung, treu und glauben, bebauungsplan, bekanntmachung, gemeinde, eigentümer, verkehr, erwerb, realakt

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 UE 133/85
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 StrG HE, § 4 Abs
3 StrG HE, § 13 Abs 2 StrG
HE, § 13 Abs 3 StrG HE
(Widmung einer Straße; Wirksamkeit des
Bebauungsplanes; Bekanntmachung der
Verkehrsübergabe)
Tatbestand
Die klagende Stadt wendet sich gegen die -- entschädigungspflichtige --
Zuweisung von zwei Grundstücken, die dem öffentlichen Verkehr dienen.
Der Beigeladene ist Eigentümer der in der Gemarkung O, Flur 1, gelegenen
Flurstücke 327/10 (791 qm) und 329/1 (967 qm). Auf diesen Grundstücken ließ der
Beigeladene als Bauträger für das gesamte Neubaugebiet "I" Mitte der 60er Jahre
Straßen herstellen, die der Erschließung dieses Baugebiets dienen, ohne förmlich
dem öffentlichen Verkehr gewidmet zu sein. Diese Straßengrundstücke sind in
dem Bebauungsplan "I" der ehemals selbständigen Gemeinde O als öffentliche
Verkehrsflächen ausgewiesen. Der Bebauungsplan wurde am 22. Juli 1965 von
dem Regierungspräsidenten in D genehmigt und in der Zeit vom 4. August bis 4.
September 1965 in der Gemeinde O öffentlich ausgelegt.
Nachdem Verhandlungen zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin über eine
Übernahme der Grundstücke in das Eigentum der Klägerin gescheitert waren,
beantragte der Beigeladene mit Schreiben vom 14. Mai 1981 bei dem
Regierungspräsidenten in D als Enteignungsbehörde, ihm das Eigentum an den
fraglichen Straßengrundstücken gegen Entschädigung zu entziehen und an die
Klägerin zu übertragen.
Durch Beschluß vom 10. August 1982 (Teil A) entsprach der Regierungspräsident
in D diesem Antrag. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Das
Enteignungsverlangen des Beigeladenen sei nach § 13 des Hessischen
Straßengesetzes vom 9. Oktober 1962 (GVBl. I S. 437) -- HStrG -- zulässig und
begründet. Bei den Grundstücken handele es sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG
um öffentliche Straßen im Sinne des Wegerechts, weil sie aufgrund eines
förmlichen Verfahrens, nämlich der Bauleitplanung, hergestellt worden seien;
eventuelle Fehler bei der Bekanntmachung des Bebauungsplans stünden dem
nicht entgegen.
Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht
Darmstadt Klage erhoben mit im wesentlichen folgender Begründung: Der
Bebauungsplan "I" sei nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden, weil die
Hauptsatzung der ehemaligen Gemeinde O keine Angaben enthalten habe, wo
und während welcher Zeitspanne Pläne auszulegen seien. Ein wegen eines nicht
heilbaren Verfahrensmangels ungültiger Bebauungsplan könne aber nicht die
Öffentlichkeit eines Weges im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG begründen. Es sei
ihr auch nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zu
berufen; sie sei nicht verpflichtet, einen als unwirksam erkannten Bebauungsplan
anzuwenden. Im übrigen hätten der Beigeladene und die ehemalige Gemeinde O
eine Vereinbarung -- allerdings ohne Beachtung der Formvorschriften des § 313
BGB -- getroffen, nach der die Straßengrundstücke kostenlos übereignet werden
sollten.
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Die Klägerin hat beantragt,
den Enteignungsbeschluß des Regierungspräsidenten in D vom 10. August
1982 und den Widerspruchsbescheid vom 22. November 1982 aufzuheben.
Der Beklagte und der Beigeladene haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat sich auf seine Ausführungen in dem angefochtenen
Enteignungsbeschluß bezogen und ergänzend ausgeführt, es könne nicht
angehen, daß sich die Klägerin mit Erfolg auf Fehler berufe, die sie selbst im
Bauleitplanverfahren begangen habe.
Der Beigeladene hat sich den Darlegungen des Beklagten angeschlossen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. November 1984
abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die
streitgegenständlichen Grundstücke stellten öffentliche Straßen im Sinne des § 2
Abs. 1 Satz 2 HStrG dar. Für die Anwendbarkeit dieser Norm komme es nicht
darauf an, ob der Bebauungsplan, der dem Straßenbau zugrunde liege, insgesamt
fehlerfrei zustande gekommen sei. Vielmehr reiche aus, daß -- wie vorliegend --
ein Planaufstellungsverfahren durchgeführt und der Plan aufsichtsbehördlich
genehmigt worden sei. Denn an ein förmliches Verfahren im Sinne des § 2 Abs. 1
Satz 2 HStrG dürften keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an eine
Widmung nach § 4 HStrG. Im übrigen sei die Berufung auf den Verfahrensmangel
im Bebauungsplanverfahren wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben
unbeachtlich; die Klägerin sei vielmehr gehalten, festgestellte Verfahrensfehler zu
korrigieren.
Gegen das ihr am 20. Dezember 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.
Januar 1985 Berufung eingelegt. Sie trägt erneut vor, nur ein fehlerfreies
Bebauungsplanverfahren könne als förmliches Verfahren im Sinne des § 2 Abs. 1
Satz 2 HStrG angesehen werden, zumal die Öffentlichkeit der Wege im Sinne
dieser Vorschrift bundesrechtlich vorgegeben sei. Darüber hinaus setze die
Wirksamkeit der Widmungsfiktion die Bekanntmachung der Verkehrsübergabe
nach § 4 Abs. 3 Satz 2 HStrG voraus. Das sei aus Gründen der Rechtsklarheit
notwendig. Schließlich sei § 2 Abs. 1 Satz 2 nur dann anwendbar, wenn die Straße
von dem Träger der Straßenbaulast oder von einem Dritten hergestellt worden sei,
der aufgrund eines Erschließungsvertrages ausdrücklich hierzu ermächtigt worden
sei. Im übrigen, trägt die Klägerin weiter vor, habe sie sich auch nicht treuwidrig
verhalten; dieser Vorwurf treffe vielmehr auf den Beigeladenen zu, weil er die
Kosten für den Erwerb und die Herstellung der fraglichen Straßen auf die Bauherrn
dieses Baugebiets abgewälzt habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen
Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte bezieht sich auf seine bisherigen Ausführungen und verteidigt das
angegriffene Urteil.
Der Beigeladene erwidert, die Übernahme der Straßengrundstücke stehe in
keinem rechtlichen Zusammenhang mit den von den Bauherren aufgewendeten
Erschließungskosten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
einverstanden erklärt.
Der Behördenvorgang des Beklagten war Gegenstand der Beratung. Auf seinen
Inhalt und den der Gerichtsakte wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug
genommen.
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Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet;
das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der -- allein angefochtene -- Teil A des Enteignungsbeschlusses des
Regierungspräsidenten in D vom 10. August 1982 in der Gestalt dessen
Widerspruchsbescheids vom 22. November 1982 ist nicht zu beanstanden. Er
findet seine Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 3 Satz 1 des Hessischen
Straßengesetzes -- HStrG -- in der hier maßgeblichen Fassung vom 9. Oktober
1962 (GVBl. I S. 437). Der Anwendung dieser Vorschrift stehen, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, jedenfalls im vorliegenden
Verfahren keine bauplanungsrechtlichen Entschädigungsregelungen entgegen.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, daß die nach
§ 13 Abs. 3 Satz 2 HStrG entsprechend anwendbaren enteignungsrechtlichen
Verfahrensvorschriften zum Nachteil der Klägerin verletzt sein könnten. Der
Enteignungsbeschluß genügt auch den straßenrechtlichen Anforderungen. Ist der
Träger der Straßenbaulast nicht Eigentümer der für die Straße in Anspruch
genommenen Grundstücke, hat er diese Parzellen auf Antrag des Eigentümers
innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Inbesitznahme zu erwerben (§ 13 Abs. 2
Satz 1 HStrG). Kommt innerhalb dieser Frist zwischen dem Eigentümer und dem
Baulastträger keine Einigung über den Erwerb zustande, so kann der Eigentümer
nach § 13 Abs. 3 Satz 1 HStrG die Enteignung verlangen. Diese Voraussetzungen
sind hier gegeben. Die Klägerin hat die streitgegenständlichen Grundstücke mit
der Verkehrsübergabe als Baulastträger für die Gemeindestraßen spätestens
1970 in Besitz genommen. Der somit gebotene Erwerb der Grundstücke hat sich
auch nicht aus Gründen verzögert, die die Klägerin nicht zu vertreten hat (vgl. § 13
Abs. 2 Satz 2 HStrG); vielmehr sind die langjährigen Kaufverhandlungen letztlich
daran gescheitert, daß die Klägerin eine entschädigungspflichtige Übernahme der
Grundstücke schlechthin abgelehnt hat.
Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei den strittigen
Wegeparzellen auch um Straßen im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 HStrG. Richtig ist
allerdings, daß § 13 HStrG (insgesamt) nur auf öffentliche Straßen im Sinne des
Wegerechts anzuwenden ist. Das folgt schon daraus, daß eine Straßenbaulast, an
die diese Regelung anknüpft, überhaupt nur bei wegerechtlich öffentlichen Straßen
bestehen kann. Richtig ist auch, daß die streitgegenständlichen Flurstücke bislang
nicht förmlich, d. h. nach Maßgabe des § 4 HStrG, dem öffentlichen Verkehr
gewidmet worden sind. Sie gehören aber kraft gesetzlicher Fiktion zu der Kategorie
der öffentlichen Straßen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG gelten Straßen, die
aufgrund eines förmlichen Verfahrens nach anderen Gesetzen gebaut worden
sind, mit der Verkehrsübergabe als gewidmet. Als ein im Sinne dieser Vorschrift
anderweitiges förmliches Verfahren ist auch die Aufstellung eines Bebauungsplans
anzusehen (vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl., Rdnr. 19.33 zu Kap. 7,
m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. April 1986, VBlBW 87, 104, 106
m.w.N.; Hess. VGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 1983 -- 5 TH 59/83 --; vom 30.
Juni 1987, HSGZ 88, 35, und vom 24. Mai 1988, ZKF 88, 279). Die Wegeparzellen
des Beigeladenen sind in dem Bebauungsplan "I" der ehemaligen Gemeinde O als
öffentliche Verkehrsflächen ausgewiesen und auch als solche ausgebaut worden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für den Eintritt der
Widmungsfiktion nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG nicht darauf an, ob der
Bebauungsplan insgesamt wirksam zustande gekommen ist oder ob er, wie die
Klägerin (wohl zu Recht -- vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 13. September 1989 -- 3
N 1771/89 --) vorträgt, mangels eines ordnungsgemäßen
Bekanntmachungsrechts der ehemaligen Gemeinde O überhaupt nicht
rechtsgültig veröffentlicht werden konnte. Insoweit schließt sich der erkennende
Senat der Rechtsprechung des 5. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
an (vgl. Beschlüsse vom 30. Juni 1987 und 24. Mai 1988, a.a.O.). Voraussetzungen
und Folgen der Widmungsfiktion nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG lassen sich nur vor
dem historischen Hintergrund des Erlasses dieser Vorschrift und nur in dem
systematischen Zusammenhang mit den sonstigen, die Widmung betreffenden
Regelungen des Hessischen Straßengesetzes und ähnlichen Vorschriften anderer
Länder sicher bestimmen. Bei der Kodifizierung des Straßenrechts stand der
Gesetzgeber vor der mehr rechtspolitischen als rechtsdogmatischen
Entscheidung, ob die wegerechtliche Öffentlichkeit einer Straße (mit den sich
daraus ergebenden gesetzlichen Folgen, etwa der Statuierung der Straßenbaulast
und der Eröffnung des Gemeingebrauchs) an den bloßen Realakt der
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und der Eröffnung des Gemeingebrauchs) an den bloßen Realakt der
Indienststellung oder an die Rechtshandlung der Widmung einer Straße für den
öffentlichen Verkehr geknüpft werden sollte. Das Hessische Straßengesetz hat
sich in § 2 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. §§ 4 ff.) zu der von dem Preußischen
Oberverwaltungsgericht aufbereiteten Widmungstheorie bekannt (vgl. hierzu
ausführlich Böhm, Das Hessische Straßengesetz, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 2). Dieser
Grundsatz ist aber in zweifacher Hinsicht durchbrochen. Neben der im
vorliegenden Zusammenhang nicht interessierenden Übergangsregelung in § 52
Abs. 2 HStrG fingiert der hier streitentscheidende Satz 2 des § 2 Abs. 1 HStrG die
(wegerechtliche) Öffentlichkeit von Straßen, die aufgrund eines förmlichen
Verfahrens nach anderen Gesetzen gebaut worden sind, wobei die Fiktionswirkung
mit der Indienststellung eintritt. Die unmittelbare Anbindung der Fiktion der
Öffentlichkeit an die Verkehrsübergabe der Straße offenbart eine deutliche
Reminiszenz an die Indienststellungstheorie. Hervorzuheben ist, daß nach der
Konstruktion dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht das nach § 4 HStrG "an
sich" erforderliche Widmungsverfahren durch das förmliche Verfahren nach einem
anderen Gesetz -- nach Art einer Verfahrenskonzentration -- ersetzt wird, sondern
daß die fiktive Begründung der Öffentlichkeit der Straße an den Realakt der
Indienststellung geknüpft wird, allerdings mit der Einschränkung, daß der
Herstellung und Übergabe der Straße eine -- straßenrechtsexterne -- förmliche
Verwaltungsentscheidung zugrunde liegen muß.
Schon aus dieser Gesetzessystematik ergibt sich, daß die Öffentlichkeit einer
Straße, die aufgrund eines Bebauungsplans gebaut und (ohne ausdrückliche
Widmung) dem Verkehr übergeben wird, entgegen Böhm (a.a.O., Anm. 8 zu § 2)
nicht bundesrechtlich, sondern durch das Landesstraßenrecht -- konstitutiv --
begründet wird, so daß sich keine kollisionsrechtlichen Probleme ergeben
(Neumeyer, Das Hessische Straßengesetz, 3. Aufl. 1989, Anm. 2 zu § 2 -- Seite 69
--; vg. auch Kodal/Krämer, a.a.O., Rndr. 19.32 zu Kap. 7). Wesentlicher
Anknüpfungspunkt der Widmungsfiktion ist nicht die Ausweisung der Straße im
Bebauungsplan, sondern deren Indienststellung. § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG
transponiert keine auf Bundesrecht beruhende Entscheidung in das Wegerecht,
sondern knüpft lediglich tatbestandsmäßig an die bundesgesetzlich geregelte
Bauleitplanung an.
Insoweit unterscheidet sich die Widmungsfiktion nach hessischem Straßenrecht
deutlich von Regelungen anderer Länder, die es zulassen, daß bei Straßen, die
aufgrund eines Bebauungsplans oder eines Planfeststellungsverfahrens hergestellt
werden, die Widmung in dem Bebauungs- oder Fachplan verfügt werden kann (vgl.
z. B. § 6 Abs. 5 des Niedersächsischen Straßengesetzes in der Fassung vom 24.
September 1980, GVBl. S. 360, durch den das Urteil des OVG Lüneburg vom 29.
Juni 1971, DVBl. 71, 792 -- mit Anmerkung Schmaltz -- gegenstandslos geworden
ist). In diesem Falle wird die Widmung nicht fingiert, sondern im Rahmen eines
anderweitigen Verfahrens verfügt und mit der Verkehrsübergabe wirksam (vgl. zu
diesen Fällen Kodal/Krämer, a.a.O., Rdnr. 19.31 zu Kap. 7).
Da die (wegerechtliche) Öffentlichkeit einer Straße in den Fällen des § 2 Abs. 1
Satz 2 HStrG nicht durch ein die Widmung ersetzendes anderes förmliches
Verfahren, sondern durch den -- allerdings rechtlich vorzubereitenden -- Realakt
der Indienststellung begründet wird, hängt der Eintritt der Fiktionswirkung nicht
davon ab, daß das die Straße ausweisende Planverfahren seinerseits insgesamt
einer rechtlichen Überprüfung standhält. Andererseits reicht auch nicht aus, daß
überhaupt ein Bebauungsplanverfahren stattgefunden hat; sonst würden die
rechtlichen Anforderungen an die Begründung der Öffentlichkeit einer Straße zur
Disposition des jeweiligen Planungsträgers gestellt. Die Beurteilung der Frage,
unter welchen Voraussetzungen im einzelnen ein anderweitiges Verfahren als
ausreichende rechtliche Grundlage für die Indienststellung der Straße angesehen
werden kann, muß sich an den für die förmliche Widmung vorgegebenen
Verfahrensvorschriften orientieren. Daher teilt der erkennende Senat die
Auffassung des 5. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, daß die
Aufstellung eines Bebauungsplans jedenfalls dann als ausreichende rechtliche
Grundlage für die die Widmungsfiktion auslösende Indienststellung der Straße
anzusehen ist, wenn das Verfahren -- wie hier -- bis zur Genehmigung des Plans
durch den Regierungspräsidenten ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Denn
dann hatten die Träger öffentlicher Belange und privaten Betroffenen Gelegenheit,
Bedenken und Anregungen zu der Absicht der Herstellung der Straße
vorzubringen; auf die wirksame Auslegung des genehmigten Plans kommt es dann
nicht mehr an.
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Inhaltlich muß das anderweitige förmliche Verfahren dem Bestimmtheitsgrundsatz
genügen. Unter diesem Gesichtspunkt ergeben sich hier keine Bedenken. Aus den
gesamten Festsetzungen des Bebauungsplans "I" ist ersichtlich, daß die strittigen
Wege hier die Funktion von Gemeindestraßen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 a
HStrG erfüllen und als Erschließungsstraßen dem allgemeinen
Kraftfahrzeugverkehr offenstehen sollen. Der Beigeladene hat als Eigentümer der
Wegeparzellen -- schon durch sein Verhalten, nämlich den Ausbau, -- einer
künftigen Widmung dieser Straßen zugestimmt.
Schließlich hängt der Eintritt der Widmungsfiktion entgegen der Auffassung der
Klägerin auch nicht davon ab, daß die Verkehrsübergabe der Straße ortsüblich
bekanntgemacht wird. § 4 Abs. 3 Satz 2 HStrG schreibt zwar vor, daß im Falle des
§ 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG die Verkehrsübergabe durch den Träger der
Straßenbaulast öffentlich bekanntzumachen ist. Aber auch insoweit schließt sich
der erkennende Senat der Rechtsprechung des 5. Senats des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs an, nach der diese Bekanntmachung keine
Voraussetzung der Widmungsfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG ist (vgl.
Beschlüsse vom 9. Dezember 1983, 30. Juni 1987 und 24. Mai 1988, jeweils a.a.O.,
ebenso Neumeyer, a.a.O., Anm. 4 zu § 4). Das ergibt sich schon aus
gesetzessystematischen Gründen, weil die Widmungsfiktion in § 2 Abs. 1 Satz 2
HStrG nur an die Indienststellung der Straße aufgrund eines förmlichen Verfahrens
geknüpft ist, während die Pflicht zur Bekanntmachung der Indienststellung im
Zusammenhang mit den Vorschriften über das Widmungsverfahren in § 4 Abs. 3
HStrG geregelt ist. Daraus folgt, daß der Bekanntmachung der Indienststellung
jedenfalls dann eine bloß klarstellende Bedeutung zukommt, wenn die Einstufung
der Straße und der Inhalt der Widmung ohne die Bekanntmachung deutlich
erkennbar sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. April 1986, a.a.O., S.
106; der abweichende Beschluß des OVG Saarland vom 24. Oktober 1986 -- 2 R
278/86 -- beruht auf einer anderen Gesetzeslage). Daß diese Voraussetzungen
hier gegeben sind, wurde bereits oben dargelegt. Deshalb besteht entgegen der
Auffassung der Klägerin auch keine Veranlassung, den Eintritt der Widmungsfiktion
aus rechtsstaatlichen Gründen von der Bekanntmachung der Indienststellung
abhängig zu machen. Eine solche Verknüpfung läßt sich auch nicht aus den für
Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen ableiten, weil eine gesetzliche Fiktion
nicht als Verwaltungsakt qualifiziert werden kann. Die sich in diesem
Zusammenhang aufdrängende Frage nach dem Primärrechtsschutz gegen die
Begründung der Öffentlichkeit einer Straße durch Widmungsfiktion bedarf hier
keiner Erörterung (vgl. hierzu Kodal/Krämer, a.a.O., Rdnrn. 19.31 und 19.32 zu Kap.
7).
Schließlich kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, die fraglichen
Straßen seien hier nicht -- was aber § 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG voraussetze --
entweder von dem Träger der Straßenbaulast selbst oder aufgrund eines
Erschließungsvertrags von einem Dritten gebaut worden. Es mag sein, daß die
Indienststellung einer von einem Dritten hergestellten Straße nach § 2 Abs. 1 Satz
2 HStrG der Zustimmung des (künftigen) Baulastträgers bedarf. Diese liegt hier
aber vor, weil die fraglichen Straßen schon aufgrund des Bebauungsplans im
Einvernehmen mit der ehemals selbständigen Gemeinde O hergestellt worden
sind. Für die Auffassung der Klägerin, daß diese Zustimmung in Form eines
Erschließungsvertrages erteilt werden müsse, läßt sich den straßenrechtlichen
Bestimmungen kein Anhaltspunkt entnehmen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.